Herrmann Löns
Der zweckmäßige Meyer und andere Geschichten
Herrmann Löns

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Der dicke Pilz

Er kam nach Hannover mit großen Rosinen,
Und machte gleich zehn Filialen auf;
Er gab en detail alles grade so billig,
Wie andere kaum im en gros-Verkauf.
So billig wie er gab niemand die Seife,
Und Käse und Butter und Zucker und Reis
Drückte zu Boden die Kleinen und Schwachen
Und brachte um sie gleich massenweis'
Stolz sah er sich um, ein König des Tresens,
Ein Kaiser im Materialwarenreich,
Sie kamen gelaufen, die alle nichts werden,
Und kauften das schlechte und billige Zeug.
Er träumte von glänzenden Riesengeschäften.
Auf einmal da hat es ganz greulich gekracht:
Es war wirklich glänzend; vor einigen Tagen
Hat er eine glänzende Pleite gemacht.

Da gestern Nachmittag das Wetter so schön war, daß es eine Sünde und Schande gewesen wäre, hätte ich mich im Zimmer verflüchtet, so ließ ich, leichtsinnig, wie ich mich nun einmal habe, Plauderei Plauderei sein und bummelte durch die Eilenriede. Dort habe ich einige Stammplätze, die ich immer wieder aufsuche. Einer davon ist an einem Grabenrande. Ich bin dort ziemlich sicher, keinem Menschen zu begegnen, was ab und zu auch sein Gutes hat, und kann dort den Wasserkäfern zusehen und den Schwebefliegen, und so intensiv an nichts denken, als es mir gerade paßt. Hier am Grabenrande wächst eine junge Eiche. Ich kenne sie ganz genau, da ich sie selbst gepflanzt habe. Ich freue mich über jedes neue, grüne gelappte Blättchen, das sie sich zulegt, über jeden halben Zentimeter, den sie höher wird.

Als ich neulich ihr wieder einen Besuch machte, kam neben ihr etwas Kleines, Weißes aus der Erde. Ich achtete kaum darauf. Nach zwei Tagen war ich wieder da. Das Kleine, Weiße war etwas Großes, Weißes geworden, ein ganzer unverschämter dicker Riesenpilz, der meine lüttje Eiche schon ganz schief gedrückt hatte. Ich schob schon die Stiefelspitze vor, um den schwammigen Protz in den Graben zu befördern, aber ich zog den Fuß zurück. Eiche ist Eiche, dachte ich, und Schwamm ist Schwamm. Als ich nach einigen Tagen wieder hin kam, da war von meiner Eiche kaum noch etwas zu sehen, so viel Filialen hatte der Pilz um sich gegründet. Wieder schob ich den Fuß vor, wieder zog ich ihn zurück. Und als ich gestern hinkam, da sah ich ein, daß ich richtig gehandelt hatte. Meine Eiche stand da noch und um ihre Wurzeln faulte der Pilz mitsamt seinem großen Filialwesen und düngte ihre Wurzeln. Eiche bleibt Eiche, Schwamm wird Dünger.

Als ich dann in den Zoologischen kam, da hörte ich, daß in Hannover ein ähnlicher Fall vorgekommen sei. Auch dort hatte sich ein Pilz breit gemacht, hatte Filiale auf Filiale entwickelt, hatte viele gesunde kleine Eichen zur Seite gedrückt, einige getötet, andere geschwächt, bis ihm sein eigenes Gewicht zu schwer wurde, bis sein schwacher Stiefel den Riesenhut nicht mehr tragen konnte, bis er umsank und seine Filialen mit sich riß in die Fäulnis, in den Konkurs, und mit seinem zerfließenden Leibe, dem verlorenen Kredit, der jungen, lange von ihm geschädigten Eichen Wurzeln düngte.

Ist das nicht ebenso lächerlich wie abgeschmackt? Da kämpfen hundert kleine Kaufleute in Hannover den bitteren Kampf ums Dasein. Jede hundert Mark Kredit wird ihnen blutsauer, und um jeden Kunden müssen sie buhlen, fleißig den Hut in der Hand haben, und jeder Köchin süße Worte und süße Boltchen verehren. Und da kommt ein Herr Unbekannt aus Dingsda bei Soundsokirchen, macht eins, zwei, drei, eins, zwei, drei, zehn Geschäfte auf, kündigt an, bei ihm bekomme man alles unter Einkaufspreis – und er hat Kredit wie eine alte Firma und Kundschaft wie Heu! »Häöb'n Se schon gehört, Frau Meyer, drei Pfund Soda für zehn Pfennig! Und vier Harzkäse für zehn Pfennig! Und vierundzwanzig Eier für 'ne Mark und für Butter bloß eine Mark und für Mettwurst bloß achtzig Pfennig!« Und nun geht das Gerenne um den Pfennig los, man vergißt das alte, solide Geschäft in der Straße, in der man wohnt, und rennt nach dem Spektakelladen und kauft alles zum zwei bis zwanzig Pfennige billiger und – schlechter natürlich. Und man ist gar nicht entrüstet, wenn die überlaufenen Ladenmädchen einen schnippisch behandeln, spart man doch drei Pfennige, und schmeckt nachher auch alles nicht, knurrt der Vater auch und ißt dafür im Wirtshaus, schadt't nichts, macht nichts, 's ist alles einerlei – fünf Pfennig sind gespart.

Frau Döllmer, meine liebe, alte, gute Wirtin war natürlich von der neuen Geschichte hin. Sie hatte sich aus- und mir vorgerechnet, daß sie, wenn sie ein Jahr in den neuen billigen Geschäften gekauft hätte, soviel dabei verdient haben müßte, um sich eine ganze neue Pelzgarnitur von den Ersparnissen kaufen zu können. Den Segen des billigen Einkaufes spürte ich zuerst an meiner eigener Haut. Ich kam staubig von der Bahn und begab mich ins Badezimmer. Ich freute mich, daß auf dem Bort große Stücke Seife lagen. Sonst war die alte Dame damit immer mächtig sparsam und legte mir immer so lüttje Seifenprümmel hin, nicht größer wie ein Pfefferminzplättchen, die mir alle naselang wegwitschten. Ich nehme also meine Seife und will sie zum Schäumen veranlassen. Fiel ihr gar nicht ein; sie reagierte einfach sauer und schäumte ebenso wenig wie ein Stück Koks. Ich quälte mich ab mit ihr, bis ich schwitzte, sie nahm überhaupt kein Wasser an und bildetet noch nicht einmal drei Schaumperlen. Ich schlug sie mit großer Mühe und dem eisernen Stiefelknecht klein, hielt sie unter den Warmkran, aber sie schäumte genau so stark wie ein Kieselstein. Ich fing an zu brüllen durch das Schlüsselloch: »Frau Döllmer, was ist denn das für 'ne Weise von 'ner Art von 'ner Sache! Ich rufe nach Seife und Sie geben mir Granit oder Porphyr oder ein anderes vulkanisches Gestein! Bringen Sie die Kieselinge sofort nach dem Provinazialmuseum, solche sind in der mineralogischen Abteilung noch nicht!« Damit machte ich die Türe etwas auf und warf die Bescherung auf den Vorplatz, um mich dann ohne Seife zu baden.

Und mich zu versöhnen, hatte sie mir den Abendtisch ganz besonders lecker hergerichtet. Der Tee dampfte, Mettwurst und Käse schimmerten und eine große Dose Keks setzte dem Ganzen die Krone auf. Ich warf mir Zucker in den Tee, es klang, als wenn man einen Stein hineinwarf. Ich rührte, kein eine Amalgamierung von Tee und Zucker andeutendes Bläschen stieg auf. Ich holte den Zucker mit dem Löffel heraus – er war in dem kochenden Tee genau so vierkantig und intakt geblieben, wie ein Zwanzigmarkstück in Salzsäure. Ich gab ihn der Katze, aber sie biß nur einmal zu, hielt dann unter kläglichen Miauen den Stert piel in die Höhe und kletterte unter allen Anzeichen von mit größter Antipathie gemischter Todesangst auf meinen Bücherschrank und starrte mit gesträubten Haaren auf den zuckerähnlichen Edelstein.

Ich trank meinen Tee ohne Zucker und schmierte mir eine Butterstulle. Hm, merkwürdig, was ist denn das für Butter? Die hat ja'n Stich. Aber die Mettwurst sieht gut aus. Schade, sie schmeckt etwas nach Seife. Das Fett in ihr ist ranzig geworden. Schade, daß ich das nicht eher gewußt habe, hätte mich fein damit waschen können!

Daß ich nach diesen Erfahrungen mit einer ganz besonderen Vorsicht an den Käse ging, können Sie sich denken. Ich wollte ein Stück abbrechen, vermochte es aber nicht. Ebenso gut kann man ein Stück Leder zerbrechen. Ich wollte ihn schneiden – es ging nicht. Ich klemmte ihn in die Tischschublade und zog auf der anderen Seite: er war nicht kaput zu kriegen. Da wickelte ich ihn ein. Ich nehme ihn morgen nach meinem Schuster mit und lasse mir meine Stiefel damit besohlen.

Na, es sind ja noch Keks da, dachte ich. Mit Keks bin ich verwöhnt. Unsere Hannoverschen Keks können sich sehen und essen lassen. Die, die mir meine sorgliche Wirtin aufgetischt hatte, machten aus Bescheidenheit nur auf erstere Eigenschaft Anspruch. Sie fielen entweder im Munde zu einem trockenen Pulver zusammen, oder waren nicht zu bewegen, sich in ihre Moleküle aufzulösen. Ich werde bei dem großen Ausverkauf alle Keks ankaufen und aus der einen Sorte Streusand, aus der andere Küchenfliesen machen.

Die Seife hatte meine Wut erschöpft. Die Speisen ärgerten mich nicht mehr, sie interessierten mich nur. Ich zog mich an und wollte meiner Wirtin eröffnen, daß ich auf ihre Kosten bei Kasten speisen wolle, doch als ich bei ihr anklopfen wollte, hörte ich ein gottesjammerförmiges Stöhnen. Ich dachte schon, sie hätte aus unglücklicher Liebe an Zyankali geleckt oder an Schwefelhölzern gelutscht, und riß die Tür auf – da saß sie vor dem Lederlehnstuhl, den Kopf hinüber, bleich wie ein Vorhemd und die Stirn voll Angstschweiß. Ich schleppte sie auf das Sofa, benetzte sie mit Eau-de-mille-dausend-fleurs und fragte sie, was ihr passiert sei. Und da kam es heraus – die Unglückliche hatte von dem Käse, der Wurst und dem Keks gegessen, den sie mir vorgesetzt hatte. Na, drei Chateau Niemeyer brachten sie wieder hoch; heute geht es ihr schon besser, und der Arzt sagt, Lebensgefahr sei jetzt ausgeschlossen. Nun denken Sie mal, was die Frau für 'ne Natur hat.

Man muß das Eisen schmieden, so lange es warm ist. Ich habe ihr eine Standpauke gehalten, die nicht von Papiermachee ist. Frau Döllmer, sprach ich, das haben Sie von Ihrer Sparerei! Das Geld ist fortgeworfen, Sie haben sich den Magen verkorkst, der Doktor ist auch nicht umsonst, die Pelzgarnitur gibts nicht – sehen Sie, verehrteste Donna, das kommt von dem Grundsatze, billig zu kaufen. Und nun sehen Sie bloß zu, daß all das Zeug in das Herdfeuer kommt – passen sie aber auf, ob es wirklich verbrennt, denn das ist auch noch nicht ganz sicher – damit ja die Katze nicht daran kommt und der Mops, denn sonst bekommen Sie es mit dem Tierschutzverein zu tun! Und dann heben Sie die Finger hoch und schwören Sie mir, nie wieder da zu kaufen, wo alles billiger ist als anderswo! Sehen Sie, wenn Sie nicht selbst davon gegessen hätten, so würde ich Sie wegen Mordversuchs anzeigen. Seitdem ich neuerlich einmal die kleine Dorette aus der Paterreetage in das Dickärmchen gekniffen habe, kommen Sie mir überhaupt so sonderbar vor. Aber wer weiß, vielleicht hatten Sie einem Doppelmord vor!

Na, letzteres war nur Ulk, aber Ulk verträgt sie am wenigsten. Aber sie schwor mir, von jetzt ab nur in reellen Geschäften zu kaufen.

Ob sie's halten wird? Jedenfalls so lange, bis sie besser ist.

 


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