Meinrad Lienert
Das Hochmutsnärrchen
Meinrad Lienert

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XI.

Die ersten silbergrauen Kätzchen saßen auf den Weidenstauden, und aus allen Riedern guckten die Schneeglöckchen, als eines Abends ein Mann atemlos in die Waldstatt gelaufen kam und die Kunde brachte, die Welschen seien vom Zürichsee her nun wirklich über die Grenzen des Landes Schwyz eingebrochen; die jungen Waldleute von Einsiedeln, mit den Leuten ab den Höfen ob dem See, verlegen ihnen beim Hofe Wollerau und an der Bellenschanze den Weg; es müsse bald zu einer Schlacht kommen.

Diese Nachricht schlug ins einsame Walddorf ein wie ein Stein in eine Fensterscheibe. Nun galt es Ernst.

Die Glocken des verlassenen Klosters stürmten, und der Waldstattrat, der hastig zusammenlief, ließ durch seinen Weibel das letzte Aufgebot umtrommeln, wonach alles, alt und jung, was noch ein Brandrohr und eine Hellebarde zu tragen vermöge, sich bereit zu halten hätte, das altgefreite Land Schwyz bis auf den letzten Blutstropfen zu verteidigen. Eisgraue Männer griffen zu den Waffen, um sie mit zitternden Händen zu wägen, und 156 halbgewachsene Knaben halfen ihnen Kugeln gießen und jagten jauchzend, frischgeschälte Knüttel aus dem Walde bringend, im Dorf herum. »Jetzt gibt's einen Hau; haarus, haarus!«

Der Leutpriester aber, der Pfarrer der Waldstatt, wollte nach dem Vorbilde eines rührigen Kapuziners in Schwyz alles aufbieten, was helfen konnte, die Welschen vom Hochtale St. Meinrads und seinem Kloster abzutreiben. Er begeisterte das Volk unablässig für den Kampf; es mußte ihm alles auf die Beine, was noch etwas wehrhaft erschien. Er bildete sogar aus den Töchtern des Dorfes noch rasch eine Jungfernrotte, die der alte Schulmeister Plazi für den Krieg eindrillen sollte. »Denn«, sagte der Pfarrherr, »wenn unsere ausgerückten jungen Landleute den Feind nicht in den Zürichsee zurückzuwerfen vermögen, können die Franken schon morgen über unsere Waldstatt herfallen; deshalb muß alles, was sich noch wehren kann, ins Feld.«

Schmunzelnd machte sich der Schulmeister daran, die Waldjungfern, die sich bereitwillig stellten, in die Kriegskünste einigermaßen einzuführen. Unterhalb des Frauenbrunnens exerzierte er, mit dem schäbigen Reste seiner neapolitanischen Uniform bekleidet, eine verwetzte Fuchspelzmütze auf dem Kopfe, die Dorfmädchen nach bestem Vermögen ein, unter der lachenden Kritik der zugaffenden Dorfbuben.

157 Es machte aber unter den exerzierenden waldstättischen Amazonen böses Blut und verursachte gar spitzige Reden, als sie hörten, die Pfauentochter wolle durchaus nicht unter ihnen erscheinen, um die Drillübungen mitzumachen. Obwohl ihre Mutter es nicht ungerne gesehen hätte, wenn sie zu den weiblichen Vaterlandsverteidigern gestoßen wäre und ihre Beteiligung auch halb und halb zugesagt hatte, weigerte sich das Heleneli doch standhaft, mitzutun. Auch der Schulmeister, der sich gewichtigen Schrittes selber in den »Pfauen« begab, vermochte sie nicht zu gewinnen, obwohl er ihrer Mutter nicht nur das Beispiel der Jungfrau von Orleans und der tapfern Appenzellerinnen vorhielt, sondern auch eine lange Litanei von Märtyrerinnen aufführte. Es wollte alles nichts nützen; denn das Mädchen ließ sich überhaupt nicht sehen; es hatte sich bei seinem Eintritt in das Kämmerlein hinauf geflüchtet und eingeschlossen.

Die Pfauenwirtin aber schenkte dem eifernden Drillmeister ein Gläschen Kirschgeist ein und sagte: »Schulmeister, zwingen mag ich das Heleneli nicht. Will sie nicht gutwillig mittun, so müßt Ihr's eben ohne sie zu machen suchen. Die andern Jungfern brauchen dann den Ruhm mit ihr auch nicht zu teilen. Zudem erwarte ich von diesem Jungfernaufgebot keine Wunderdinge. Was wollten diese Mädchen gegen die wilden fränkischen Kriegsbanden 158 ausrichten? Das Kriegen und Dreinschlagen ist nun einmal Männersache, wie es ja das Regieren und Befehlen auch ist. Zwar hab' ich ja dem Kind auch zugeredet und ihr geraten, da man nun dies Aufgebot einmal erlassen habe, so solle sie nicht die Eigene spielen und etwa tun wie andere Leute; aber wie gesagt, ich habe diesmal umsonst geredet; ich weiß nicht, was sie hat.«

Der Alte schlürfte sein Gläschen hurtig aus und entgegnete dann mit hochernster Miene: »Ja, meine gute Pfauenwirtin, da seid Ihr aber unrecht berichtet, wenn Ihr meint, diese schwachen Jungfern vermöchten im Kriege nichts auszurichten. War es nicht eine jüdische Jungfer, die den Kopf des Holifernes im Sack heimbrachte? Das Weibervolk steht spät auf, das ist wahr; aber wenn es einmal aufsteht und den Besen in die Hand nimmt, so mögen sich die Mannsleut gewahren, daß sie nicht unter den Tisch gewischt werden. Das weiß ich von meiner Annakathri! Sowieso, es steht diesmal alles auf dem Spiel; es geht um Leib und Leben! Da hätte ich gemeint, gerade Euer Töchterlein flöge uns dasmal wie der Sturmwind zu. Es ist doch sonst in der Schule und allewege immer zuvorderst gewesen und hätte gewiß das Zeug zu einer kleinen Judith; denn von Euch hat sie sicher und heilig kein Hasenherz geerbt, Pfauenwirtin. Gottsnamen denn, so muß ich denn ohne Heleneli 159 abziehen; aber hoffentlich besinnt sich's noch anders. Der Kuckuck komm aus den Weibern, Christo santo abeinander!«

Kopfschüttelnd machte er sich zu seinen jüngferlichen Rekruten. Die aber schimpften nun erst recht über Helenelis Widerhaarigkeit. Dies Hochmutsnärrchen müsse doch immer die Besondere spielen und sich wichtig machen. Sie komme gewiß nur deswegen nicht, weil sie der Pfarrer nicht gleich zu ihrem Hauptmann ernannt habe. Sie bleiben nun aber erst recht unter den Waffen; dies mutlose Stolznäschen werde dann eines Tages noch sehen, wer sie seien, wenn sie hinter die Franken geraten.

Gegen Abend des andern Tages ging wie ein Feuer im Föhn das Gerücht im Walddorf um, die Schwyzer seien bei Wollerau und an der Bellenschanze ob dem Zürichsee nach verzweifeltem Widerstande geschlagen worden und ziehen sich auf den Engpaß an der Schindellegi zurück.

Die Klosterglocken stürmten wieder; die Weiber rannten in die Kirche, und der Landsturm, samt der Waldjungfernrotte, rüstete sich, und auf Leben und Tod ward drauflos exerziert. Noch heute wollte der Landsturm zur Verteidigung des nun unbeschirmten Taleinganges am Hohenetzel aufbrechen.

Um Mittag herum mochte es sein, als durch die gedeckte Brücke über den wilden Alpbach sich ein 160 kleiner Zug Soldaten schleppte. Es waren alle verstaubt, verschwitzt, blutig und zerfetzt. Sie stützten sich auf ihre Gewehre und kamen kaum vorwärts. Sie waren vom Zürichsee heraufgestiegen und befanden sich auf der Flucht vor den Welschen.

Zu Häupten des Zuges schritt ein junger Offizier, der den rechten Arm in einer verbluteten Binde trug und sorglich ein Pferd nachführte, auf dem ein bleicher Soldat, festgebunden, schwer atmend schlief. Dieser Offizier, der Gerbebattist, war von seinem Oberst nach dem Kampfe mit den leichtverwundeten Waldleuten heimgeschickt worden. Soeben hatte ein flinkfüßiges Büblein vom nahen Weiler Bennau die Kunde ins Dorf getragen.

Jetzt eilte das Pfauenheleneli, einen Krug in der Hand tragend, in atemloser Hast aus dem Dorfe herab, dem Zuge entgegen.

»Jesus Maria und Sankt Joseph!« schrie sie auf, als sie den Unterlieutenant erblickte, »du bist auch darunter, Battist; du bist auch verwundet?!«

Der Zug hielt an.

»Ja«, sagte er schier finster, »ich habe auch etwas abbekommen; sonst stände ich gewiß nicht hier!«

Fassungslos starrte sie auf seinen verbluteten Arm.

»Ach Gott, ach Gott!« machte sie, leise jammernd. »Sag, red!« Sie schaute ihn mit angstvollen Augen an. »Hast du Schmerzen?«

161 »Nein!« machte er, ohne sie anzusehen; »es tut nicht weh!«

»Aber du blutest, Battist!«

»Es kommt nur von einem Schrammen, den ich auf den Arm abkriegte!«

»Battist, Battist!« Es schüttelte sie. Rasch hob sie den Krug an seinen Mund und flüsterte: »Trink, Lieber, Lieber!«

Zögernd, schier unwillig trank er.

Aber als er ihr den Krug wieder übergab und sie etwas zu ihm sagen wollte, wies er auf den auf dem Pferd sich unruhig hin und her wälzenden Schlafenden und sagte kurz: »Gib dem zu trinken!«

Jedoch eine jammernde Frau kam ihr zuvor; denn mittlerweile gab es einen großen Auflauf. Aus allen Häusern eilten schreckensbleich die Waldleute, um zu sehen, ob sich im Zuge der Verwundeten Angehörige befinden. Wer aber einen Verwandten fand, wollte ihn gleich nach Hause bringen. Aber der Unterlieutenant verwehrte es ihnen. Er habe den Befehl, einer allfälligen weitergehenden Flucht wegen, die Verwundeten beieinander zu halten, und daher werde er alle im Rathaus auf der Gemeindetanzdiele unterbringen, sagte er. Sie täten besser, statt herumzujammern, sich zu Hause nach Bettzeug und Kleidern für die Bresthaften umsehen. Man könne nicht wissen, ob nicht bald auch Schwerverwundete und Tote in die Waldstatt gebracht würden.

162 Entsetzt schaute Heleneli den Offizier an.

»Hat es denn auch Tote gegeben?!«

Battist nickte. Bebend ergriff sie seine Hand.

»Du bist so bleich, Lieber!« flüsterte sie. »Erst jetzt sehe ich, wie bleich und krank du aussiehst. Du bist schwerer verwundet worden als du tust, Battist; du verheimlichst mir's. Komm, komm! Du und alle müssen in unser Haus. Wir haben für euch alle Betten genug. Die Mutter will es haben. Und zu dir will ich schauen!« machte sie ganz leise; »ich allein, Liebster! Eil dich, eil dich!«

»Es sprengt nicht so!« sagte er düster, ihr die Hand langsam entziehend. »Ich kann noch lange wie ein alter Großvater hinterm Ofen hocken. Es ist geschämig genug für mich, daß ich jetzt den bloßen Krankenhüter machen soll, obschon mein linker Arm noch gesund ist, und ich diesmal nicht ohne Säbel«, er rüttelte wild den Degen an seiner Seite, »heimkomme. Tausendmal lieber möchte ich mit den andern an der Schindellegi den Welschen noch einmal stehen; denn jede Faust ist jetzt bitter notwendig!«

Er ergriff das Pferd wieder an der Halfter und schritt dem Zuge langsam voran, ins Dorf hinein.

Bedrückt, mit unglücklichen Augen, ging das Heleneli ein Weilchen neben ihm her. Wohl schaute sie hie und da schüchtern, verstohlen zu ihm auf; aber er sah trübe vor sich hin und blieb stumm.

163 »Battist«, sagte sie endlich kaum hörbar; »ich habe große Angst um dich ausgestanden!«

»Du?!« machte er seltsam, schier erstaunt.

»Ja, Lieber!« antwortete sie, dunkelrot werdend. »Ich habe den Wächter alle die Nächte jede Stunde rufen hören und glaube es jetzt meiner Großmutter selig, daß man in einer schlaflosen Nacht die Ewigkeit kennen lernt!«

»Da hast du dich unnötig geängstigt!« gab er ihr zurück. »Du hast mir ja eine geweihte Waffe mitgegeben; so war ich doch wohl gefeit. Denn als ich deinen Säbel das erstemal in der Faust spürte«, seine Augen blickten grimmig, und in seiner Stimme war ein heimliches Knirschen, »verzehrte ich mich darnach, ihn nun auch mit Blut einzuweihen. Und als ich an der Bellenschanze stand und die Kugeln mich umpfiffen, kam es über mich; ich rannte in die welschen Herrgottssiechen, und nun schau her, Maitli!« Er riß den blutbefleckten Säbel aus der Scheide. »Und nun kannst du ihn wieder haben; er ist wohleingeweiht!«

Tränenüberströmt schaute sie zu ihm auf.

»Battist, Liebster, wie will ich Gott und all seinen Heiligen danken zeitlebens, daß sie dein Leben gnädig bewahrt haben. Gewiß hat dich das Agnus Dei der guten fränkischen Pilgerin in dieser fürchterlichen Stunde beschützt!«

»Ich wollte schier, ich hätte es nicht getragen!«

164 »Lieber, Lieber, wie kannst du mir so weh tun!«

»Ich weiß eine«, machte er finster, »sie hat mir nicht einmal die Hand drücken mögen, als ich gegen den leibhaftigen Tod ausrückte; nicht einmal ein armseliges Lächeln hatte sie für mich zum Abschied!«

Heleneli ließ den Kopf sinken und sagte mit leiser, zitternder Stimme: »Meine Mutter sagte wohl, ich solle dir doch zulächeln; aber ich konnte es nicht, so gerne ich's doch gewollt hätte. Es war mir, als ob mir ein Berg auf der Brust läge, und wenn mich einer hätte töten wollen, ich würde doch nicht um Hilfe haben rufen können. Aber meine Augen, Battist, sind wie zwei junge Hündlein hinter dir hergelaufen!«

Glückstrahlend schaute er einen Augenblick auf ihren demütigen Scheitel herab; aber ein Schatten ging gleich wieder über sein Gesicht.

»Wenn ich's doch herzhaft glauben dürfte, Heleneli! Hättest du mich nur nicht so fortziehen lassen!«

Jetzt läuteten die Klosterglocken, und wie der Zug um den »Ochsen« auf den Dorfplatz vor dem Kloster einbog, kam die Pfauenwirtin eiligen Schrittes mit Knechten und Mägden dahergegangen.

»Gottlob, da sind sie ja, unsere tapfern jungen Waldleute! Ach, wie sehen sie aus!« klagte sie. »Es ist doch ein Jammer mit diesem Krieg. Aber hurtig jetzt!« machte sie aufgeregt. »Hinauf in 165 unser Haus; es ist, so gut wir's zu erhasten vermochten, alles bereit!« Nun erkannte sie im Unterlieutenant den Gerbebattist. »Wie?« machte sie erschrocken; »du bist auch verwundet, Battist?!«

»Ja, ich bin's auch!« machte er kurz.

Einen Augenblick schaute sie verwirrt, schier befangen bald auf den Offizier, bald auf ihr bedrückt und verweint aussehendes Kind; aber rasch ermannte sie sich und befahl: »Marie, Sepperose, Karlifranz, Sebi, greift zu und helft den Leuten in unser Haus hinauf!«

»Nein!« sagte jetzt der Gerbebattist; »ich will die Verwundeten auf der Tanzdiele im Rathaus unterbringen!«

Überrascht, verwundert sah ihn die Wirtin an. Der eben hinzukommende Waldstattschreiber jedoch belehrte, die Tanzdiele habe sich ja, wie er doch wissen müsse, in ein Zeughaus verwandelt und sei voll Waffen.

Verdutzt schaute Battist den Waldstattschreiber an. Dann aber sagte er mit etwas unsicherer Stimme: »Ich kann sie in unserm Gerbehaus unterbringen; am Ende finden sie auch dort Platz genug!«

Aber die Pfauenwirtin hatte das Roß, das den entkräftigten Waldmann trug, eigenhändig an die Vortreppe ihres Hauses geführt. »Kommt!« rief sie den Mägden zu, »helft mir den Mann hinauftragen. Und du, Heleneli, führ den Offizier und 166 seine Leute in die Wirtsstube. Es ist gedeckt; wir wollen ihnen gleich eine warme Suppe auftragen. Du nimmst dann den Gaul, Sebi, und führst ihn in die Stallung!«

Als aber die Soldaten zögerten und verlegen auf den Unterlieutenant blickten, trat die Wirtin mit entschlossener Miene unter sie und schob einen um den andern die Vortreppe hinauf. »Jetzt will ich den Landeshauptmann machen!« sagte sie; »denn nun seid ihr krank, und die Kranken müssen den Frauen gehorsamen. Marsch, hinauf mit euch, ihr Burschen! Ihr fallt mir sonst noch auf der Straße um!«

Nun stiegen die Soldaten, ermuntert und geführt von ihren mit Gewand und Decken herbeieilenden Angehörigen, willig ins Gasthaus hinauf. Eine bäumige Magd und ein Knecht trugen ihnen den stöhnenden Schwerverwundeten nach. Die Pfauenwirtin aber, die neben ihm lief und seine herabhängende Hand ergriffen hatte, machte schier Miene, wieder herunterzusteigen; denn befremdet sah sie, wie ihre Tochter sich vergeblich abmühte, den Unterlieutenant die Treppe heraufzuziehen. Doch ein strenger, fast harter Zug kam um ihren Mund; sie wurde zündrot und trat ins Haus.

»Wie kannst du mir's nur so schwer machen!« sagte trostlos das Heleneli zu dem widerstrebenden Battist. »Die Leute sehen ja nach uns; der tausend Gotteswillen komm doch hinauf!«

167 »Wenn ich auch wollte«, machte er schweratmend; »ich kann nicht. Als ich mitten im Kampfe stand, lebende Wilde vor mir, Tote unter mir, stand mein ganzes Leben vor mir, so hell wie nachts das Tal im Wetterleuchten. Und du standest mitten in diesem Leben, und ich schaute zu dir auf als zu meiner Nothelferin. Aber du reichtest mir die Hand nicht; nicht einmal ein Lächeln von dir kam mir zu Hilfe. Da ging mir wie der Blitz der Schwur durch den Kopf, nie mehr euer Haus zu betreten, es sei denn, daß du mich als deinen Verlobten vor aller Welt hinaufführest. Und den Schwur habe ich mit deinem geweihten Säbel einem Franken auf den Schädel geschrieben!«

»Jesus Gott!«

Erschrocken ließ sie ihn los.

»Meinen Soldaten kann ich's nicht verwehren!« fuhr er fort; »sie sind bei euch am besten aufgehoben, und ich sage euch Vergeltsgott! Aber morgen werde ich sie in ein anderes Quartier abrufen. Jetzt muß ich gehen. Siehst du, dort unten in der Haustüre des Sonnengasthauses, beim Paten, steht meine Mutter und winkt mir. Leb wohl, Heleneli!«

Sie umklammerte seine Hand.

»So könntest du von mir gehen, Battist?!«

»Bin ich dem Kaiser aus dem Fahneneid gelaufen, so habe ich's gebüßt. Nun will ich künftig meine Schwüre halten!«

168 Da fielen ihre Tränen auf seine Hand. »Ja, ich hab's verdient, daß es mir so ergeht«, sagte sie, schaute zu ihm auf und erschrak.

Mit schwermütigem, müdem Blick sah er sie an; es war, als wollten ihm die Augen zufallen.

»Jesus, Jesus, was bin ich für ein Mensch!« schrie sie auf, »daß ich das übersehen konnte. Du bist ja todmüde, du Armer; die Augen fallen dir ja zu. So komm rasch, komm in Gottesnamen zu deiner Mutter! Ich will mit dir gehen. Du mußt schlafen, Lieber, wo es auch sei. Komm, komm!«

Sie wollte ihn fortziehen.

»Laß mich!« machte er schier heftig. »Ich mag nicht schlafen. Ich habe den Kopf immer noch voll Trommelwirbel, sehe Fahnen schwingen, und da auf der Treppe steht eine mit gläsernen Augen und kennt mich nicht. Ich kann es halt nicht mehr glauben, daß sie mich kennt; denn jenesmal beim Abschied kannte sie mich gewiß nicht; ich kann es nicht mehr anders glauben!«

»Heleneli!« rief's aus dem Hause herab. »Wo bleibst du denn so lang!«

»Ich komme, Mutter!« tönte es müde zurück.

Jetzt ging ein Seitentor der Klosterkirche auf; eine Schar mit Vogelflinten und Hellebarden bewaffneter Jungfern, angeführt vom Schulmeister Plazi, drängte heraus. Ordnungslos, plaudernd und schreiend stiegen sie zum Frauenbrunnen 169 herunter, wo sie ab allen vierzehn Röhren tranken.

Verwundert schaute der Unterlieutenant auf das waldstättische Amazonenkorps.

»Ja«, machte er wie traumbefangen, »was ist da los! Wer hat denn unsere Maitli bewaffnet? Ist etwa der Schwyzer Kapuziner hier; sollen die Waldweiber auch auf den Etzelpaß ausrücken?!«

»Unser Pfarrer hat sie aufgeboten«, sagte über und über rot das Heleneli. »Aber sie sollen nur als Reserve dienen für den äußersten Notfall, meint der Schulmeister.«

»Für den äußersten Notfall«, machte er; »ja, der wäre jetzt freilich da. Doch die Jungfern da werden das Unwetter kaum mehr von unsern Dächern abhalten. Gleichwohl, Ehr und Respekt dem ledigen Weibervolk, daß es dem Aufgebote so mutig folgte. Aber, aber«, er schaute auf einmal mit großen Augen auf Heleneli, »warum bist denn du nicht unter ihnen?«

»Ich konnte es nicht tun, Battist!«

»Warum denn nicht?« fragte er verwundert. »Ich sehe doch die Töchter des ganzen Dorfes, die Kinder der angesehensten Waldleute darunter!«

»Ja«, sagte sie leise, auf den Boden sehend; »ich bin die einzige, die nicht dabei ist!«

»Die einzige?!«

170 Er sah sie sprachlos an und schwieg ein Weilchen. Dann ergriff er ihre Hand und flüsterte ihr zu: »Warst nicht du's, Heleneli, die mich feig nannte, als ich vor Sehnsucht sterbenskrank aus dem fremden Kriegsdienst heimkam; warst nicht du's, die mir ihres Vaters Säbel zuschickte? Und nun solltest du die einzige unter allen Waldtöchtern sein, die's nicht wagt mit der Hellebarde fürs Vaterland auszurücken, das dir doch bei meiner Heimkehr über die Liebe ging. Kann das sein, Heleneli?!«

»So gib mir nur den Säbel wieder!« sagte sie blutrot. »Ich will gegen die Welschen ausrücken; ich will überall hinstehen, wo du mich hinstellst; aber da auf dem Dorfplatz vor allen Leuten herumexerzieren und bajazzeln, nein Battist, das kann ich nicht!«

Etwas wie ein leiser Spott spielte um seinen Mund.

»Aha«, sagte er seltsamen Tones, »es kommt wieder auf ein kleines, auch ein bißchen feiges Hochmutsnärrchen heraus!«

Erbleichend, unverwandt starrte sie ihn an, und in ihren Augen war ein Moment etwas wie ein blaues Hitzleuchten vor dem Gewitter.

Da erschrak er und wollte den Arm um ihre Schulter legen. Aber sie entzog sich ihm. »Die Mutter!« sagte sie leise.

»Battist; Büblein, Büblein!«

Die Gerbealte, die unbemerkt auf ihren Krücken herangehumpelt war, schloß ihn in die Arme. Doch 171 er erwiderte ihre Zärtlichkeiten nicht. Verwirrt, wie betäubt, schaute er immer wieder auf das still vor sich hinstaunende Mägdlein.

»Ach Jesus, Jesus; du bist gewiß todmüde, Battist!« klagmarterte die Alte.

»Ja, ja, Base!« sagte rasch, mit bebender Stimme das Heleneli; »er muß schlafen, lang, lang schlafen. Wir wollen schnell mit ihm heimgehen. Kommt, Base, ich will Euch führen!«

Sie faßte die übelzeitige Frau, die ihren Sohn um den Hals nahm, unterm Arm, und so machten sie sich vom »Pfauen« weg.

Eben zogen die bewaffneten Waldjungfern mit bösen Blicken an ihnen vorbei, und ein großes sommersprossiges Maitli sagte ganz laut: »Nun wird das Stolznäschen dann wohl auch ausrücken und zwar selbzweit, denke ich. Und da sie und der Gerbebattist ein Herz und eine Seele sind, werden sie ja wohl an einem Säbel genug haben!« – »Ja«, redete eine Rothaarige, »so ist's keine große Buße in den Krieg zu gehen, wenn einem ein so strammer Drillmeister den Säbel trägt!« Ein tolles Gelächter schallte über den Dorfplatz. »Gebt Ruhe!« schimpfte der Schulmeister. »Wie könnt ihr leichten Tücher in solch traurigen Zeiten so lachen! Laßt ihr das Heleneli nur machen; wenn's drauf und dran kommt, wird sie ihren Mann schon stellen!« – »Ja, den stellt sie!« 172 sagte die Rothaarige. Da lachten die Jungfern erst recht.

»Behüt Euch Gott, Base!« wünschte die Pfauentochter, als sie mit Battists Mutter an der Vorstiege des Gerbehauses anlangten; »ich muß jetzt heim!«.

»Ja, kommst du denn nicht einen Augenblick mit hinauf, Kind?« fragte schier verwundert die Alte.

»Nein, Base; jetzt nicht. Ich muß heimpressieren. Die Mutter hat schon lange nach mir gerufen; es gibt ja so viel zu tun. Ich muß geschwind gehen. Behüt euch Gott beieinander!«

»Heleneli«, machte Battist mit krankhaft brennenden Augen, »tu mir den Gefallen und komm noch ein wenig hinauf!«

»Ein andermal gern!« sagte sie leise, sah ihn einen Augenblick warm an, wie ein Wildrosenbusch den Wanderer in rauher Bergweid, und dann war sie weg.

Battist blickte ihr nach, bis sie in den Häusern verschwand; dann folgte er seiner Mutter, die von Babeli, der alten Magd, die Stiege hinaufgeführt wurde, müden Schrittes nach.

Gegen Abend rückte dann ein Teil des Landsturmes ohne Sang und Klang über den düsteren Waldweg zur Bewachung des nahen Etzelpasses aus. Uralte Waldmänner und halbfertige Buben waren auch darunter. Aber sie alle hatten nicht den rechten Kampfesmut, da sie nicht mehr 173 herzhaft an einen Sieg glaubten; sie hatten die jungen Männer unterliegen sehen.

Der Nachtwächter rief schon die erste Morgenstunde, als das Heleneli endlich in ihr Kämmerlein kam.

Sie war zum Hinsinken müde. Doch bevor sie sich zu Bette legte, zwängte sie eine Truhe der mächtigen wurmstichigen Kommode, die neben dem Bette stand, auf. Wie die nun offen war, leuchtete sie mit ihrem rauchenden Öllämpchen darüber hin. Ein flüchtiges, schier freudiges Lächeln kam in ihre Augen. Vor ihr lag, schön geordnet, ihr Heiligtaggewand. Zuoberst das schwarze gestickte Kammkäpplein mit dem blumenbesetzten Güevlieinsatz und darunter das feine mit Gold bestickte Halstuch, das ihre Mutter für sie durch die Waldschwestern in der Au hatte herstellen lassen; dann folgte ein Mieder mit Ketten und feinen filigranenen Blumen. Sorgfältig hob sie ein Stück nach dem andern heraus und legte alles auf einen wackeligen, abgerutschten Polsterstuhl. Den zuunterst liegenden schwarzseidenen Rock, das Hochzeitskleid ihrer seligen Großmutter, breitete sie über die Kommode aus, nachdem sie mit vollen Backen darüber geblasen hatte, und stellte darauf ein zierlich geschnitztes Kästchen. Mit hastigen Fingern öffnete sie's und guckte, errötend vor Vergnügen, auf eine mit leuchtenden Granaten besetzte Halskette mit vergoldetem Schloß. Sie legte sich den Schmuck um und besah sich in einem 174 Butzenscheiblein. Es wollte sie bedünken, die Kette stehe ihr nicht minder gut als der seligen Großmutter auf dem kleinen zarten Wachsbildnis in der mütterlichen Schlafkammer. Dann entnahm sie dem Kästchen ein Paar mit größeren Granaten besetzte filigranene Armbänder, mit denen sie sich ebenfalls schmückte, und zuletzt hob sie das von einem mit Granatkügelchen besetzten Rosenkranz umwickelte silberbeschlagene Gebetbuch heraus, das zuunterst im Kästchen auf ein paar blauseidenen, rotbetupften Nastüchern lag. Es war das Kommunionsgeschenk ihrer Patin.

Ein Weilchen beschaute und befühlte sie die glitzernden Sachen und spielte damit wie ein Kind; doch als sie die Mutter in ihrer Schlafkammer flüstern hörte, packte sie alles wieder sorgfältig ein. Dann schob sie den Riegel an der Türe, nahm den Fensterladen zu und zog, mit zitternden Händen ihr Mieder öffnend, ein kleines rotes Herzchen heraus, streifte es vom Hals und hielt es hinter das Lämpchen. Die Einfassung glänzte wie Silber; aber goldhell schimmerten die feinen blonden Härchen, die als ein zierliches Kreuzchen das kleine Herz umwanden. Weltvergessen schaute sie's an, bis ihre Tränen darübergingen. Dann betupften es ihre Lippen, also wie ein Falter auf eine Blume sich niederläßt, und schwer aufatmend legte sie das Agnus Dei zuoberst auf den Schrank ins Kästchen. 175 »Morgen, wenn die Welschen kommen sollten, will ich dich vergraben«, flüsterte sie; »niemand außer mir soll dich haben!«

Sie blies das Licht aus, öffnete den Fensterladen wieder und schlüpfte dann auf ihr Lager. Durch die Butzenscheiblein schien der Mond, und im offenen Schmuckkästchen war ein geheimnisvolles Leuchten.

Vor dem Hause gingen schleppende, schwere Schritte.

»Loset, was will ich sagen!
Die Glocke hat zwei Uhr geschlagen,
Zwei Uhr geschlago–go!
Vor Mord und Brand und schwarzem Tod
Behüte uns der alte Gott
Durch Jesus und Maria.
Zwei Uhr geschlago–go! 176

 


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