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Maler und Dichter. Antwort auf eine Rundfrage.

»Berliner Tageblatt«, 1913

Während meiner Schulzeit las ich nur – was ich lesen mußte. Freude an der Lektüre empfand ich erst, als ich, zwanzigjährig, nach Weimar auf die Kunstschule kam; selbstverständlich, daß ich enragierter Goetheaner wurde. Wohnte ich doch gegenüber dem Goethehause, das damals noch nicht Nationalmuseum war, sondern von Goethes Enkeln Wolf und Walter – kränklichen Herren, deren einer Legationsrat tituliert wurde – bewohnt war, und sich genau in demselben Zustande befand, in dem es Goethe bei seinem Tode zurückgelassen hatte. Aus übermäßiger Pietät für ihren Großvater bewohnten sie die Mansardenstübchen, und nur, wenn ihre Mutter Ottilie – ich glaube aus Wien – zum Besuche kam, öffnete sich der große, grüne Salon in der ersten Etage, in dem Goethe empfangen hatte.

Manchmal, wenn ich am Fenster in einem Band Goethe las und vom Buche auf mein Gegenüber blickte, glaubte ich Goethe leibhaftig vor mir zu sehen, aber nicht nur ihn, sondern auch alle seine Gestalten. Wie in einem guten Porträt nicht nur der Dargestellte, sondern ebenso stark sich der Maler zeigt.

»Dein Bestreben, deine unablenkbare Richtung ist, dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben; die andern suchen das sogenannte Poetische, das Imaginative zu verwirklichen, und das gibt nichts als dummes Zeug.« Mit diesem Wort charakterisiert Merck in »Wahrheit und Dichtung« Goethen, und ob man im Weimarer Park oder nach Tiefurt, nach Belvedere oder Ettersburg geht, überall erkennt man die Wirklichkeit, der der Dichter poetische Gestalt gegeben hat. Und ob ich Madame Bovary oder Balzac, Niels Lyhne oder Dostojewski las, immer bewahrheitete sich Goethes Ausspruch, »daß der Geist des Wirklichen das wahre Ideelle ist.«

Über Goethe vergaß ich Schiller, dessen »Wallenstein« und »Braut von Messina« mir auf dem Gymnasium schwer verleidet war, und erst vor zehn oder zwölf Jahren wurde ich auf ihn zurückgeführt. Zufällig fand ich auf dem Arbeitstisch meiner Tochter einen Band Schiller; ich fing an, »Kabale und Liebe« zu lesen, und wurde so gepackt, daß ich nicht nur das Stück zu Ende las, sondern »Fiesko« und »Die Räuber« in einem Tage hinterher. Dann las ich seine wundervollen ästhetischen Abhandlungen und »ihre naive und sentimentale Richtung« scheint mir ebenso köstlich wie Lessings Schriften.

Aber ich habe noch die kindliche Auffassung, daß der wahre Dichter der Lyriker ist, der seine Gefühle in Versen – und die liebsten Verse sind mir die gereimten – ausspricht.

Natürlich interessiere ich mich lebhaft für die zeitgenössische Dichtung: ich habe den ersten Vorstellungen der freien Bühnen beigewohnt, und war an der Redaktion des »Pan« beteiligt. Aber in der Kunst ist es wie im Leben: on revient toujours à ses premiers amours.


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