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Wilhelm Bode

Bodes neuestes Buch »Rembrandt und seine Zeitgenossen«, das vor einigen Wochen erschienen ist – oder sollte inzwischen noch ein neueres erschienen sein, was bei seiner schier unglaublichen Produktivität nicht unmöglich wäre? – ist ein ganz persönliches Buch; nur Bode konnte es schreiben. Es liegt die Leidenschaft für die Kunst, die den jungen Assessor die Juristerei an den Nagel hängen ließ und die fast vierzigjährige Erfahrung des jetzigen Generaldirektors der Museen darin.

Bode ist vor allem leidenschaftlicher Sammler. Er kennt alle alten Bilder in den Museen Europas und Amerikas und womöglich besser noch kennt er die alte Kunst, die noch im Handel ist. Er weiß, wo jedes Bild sich befindet, wo es früher war und – wer es kaufen wird. Er beherrscht den Bildermarkt und er disponiert nicht nur über die Mittel, die der preußische Staat für den Ankauf alter Kunst aussetzt, sondern er gebietet auch über das Heer von Amateuren, das auf ihn schwört; und mit Recht auf ihn schwört, denn kein Mensch auf der Welt hat wie Bode eine auch nur annähernd große »Warenkenntnis«, wie der verstorbene Lippmann vom Kupferstichkabinet zu sagen pflegte.

Es ist klar, daß ein Buch Bodes über holländische Kunst, die seine Jugendliebe war und seine Vorliebe geblieben ist, in der Sach- und Fachkenntnis seinen Hauptreiz hat; es ist nicht geschrieben, sondern erlebt. Mit der Passion, womit der Jäger ein Stück Wild aufspürt, jagt er dem Bilde nach und verfolgt dessen Schicksal vom Tage, wo es aus der Werkstatt des Meisters hervorgegangen, bis zur heutigen Stunde. Er kennt aber nicht nur das Bild, sondern auch die Quellen, woraus der Meister geschöpft hat und über manch einen, wie zum Beispiel über Hercules Segers, hat Bode uns ein ganz neues Licht aufgesteckt. Andere Kunsthistoriker mögen gleichgroße Kenntnis des urkundlichen Materials besitzen: was aber Bode vor seinen Kollegen auszeichnet, ist, daß das tote Material unter seinen Händen lebendig wird.

Die gelehrte Kleinarbeit, die nicht sowohl den Kopf als einen andern Körperteil erfordert, überläßt er andern: seiner impulsiven und eruptiven Natur fehlt die Geduld. Daher auch die gelegentlichen Schnitzer, die ihm seine »guten Freunde«, die berufsmäßigen Kritiker, mit um so größerem Behagen aufmutzen, je weniger sie an die Größe des Mannes und an den Wert dessen, was er tut und schreibt, heranreichen.

Bode weiß, daß, wie Kant sagt, die Lust am Schönen einem durch keine Beweisgründe aufgeschwatzt werden kann. Er treibt praktische Kunstgeschichte: die Kunstkenntnis soll Kunstliebe erwecken. Das Museum soll nicht eine Oase in der Wüste sein, sondern es soll das ganze Land befruchten. Daher regt er die Amateure zum Sammeln von Kunst an, daher gründete er den Kaiser Friedrich-Museums-Verein.

Aber was Bode erst zum unvergleichlichen Museumsdirektor macht, ruht in seinem unfehlbaren Instinkt, der ihn nie verläßt und der das Wunder bewirkt, daß Bode – wie mancher Künstler, der durch seine Werke seine falschen Theorien Lügen straft – auch da zu richtigen Resultaten gelangt, wo seine ästhetische Beweisführung irrig sein sollte. Und, was heutzutage besonders hervorgehoben zu werden verdient: Bode verschont den Leser mit der gerade bei Kunstschriftstellern so verbreiteten »Wonnebrunst« und um seine eignen Worte zu gebrauchen, mit »den ästhetischen Gespinsten, die einer richtigen Würdigung des Künstlers nur hinderlich sein müssen«. Bode geht stets von der Betrachtung des Kunstwerkes aus; daher bleibt er objektiv, soweit ein temperamentvoller Schriftsteller überhaupt objektiv sein kann. Wie der Künstler – nach Schillers schönem Wort – sein Gesetz vom Objekt, das heißt von der Natur empfängt, so soll der Kunstschriftsteller sein Gesetz vom Kunstwerk erhalten. Er muß beim Schreiben das Kunstwerk vor Augen haben und nicht nur das eine Werk, über das er gerade schreibt, sondern – da alle Kritik auf Vergleich beruht – das ganze Kunstgebäude, worin das einzelne Werk nur einen der Steine, Pfeiler oder Türme des ganzen Baues bildet. Natürlich muß die beinahe unermeßliche Kenntnis des Materials, über das der Sammler gebietet, dem Schriftsteller ungemein zugute kommen, daher Bode, neben der Einordnung des Meisters in die Epoche, die Gruppierung und Klassifizierung der Werke des einzelnen Malers besonders gelingt. Durch ihn haben wir erst die sogenannten grünen Bilder des jungen Rembrandt kennen gelernt; wie Hercules Segers auf Rembrandt, wie Ruysdael auf Hobbema befruchtend eingewirkt hat, erfahren wir erst durch ihn.

Aber ebenso natürlich, daß das Kunstästhetische neben dem Kunsthistorischen in Bodes Buch zurücktritt. Ästhetisch folgt Bode zumeist Koloff und Fromentin und er beweist auch darin wieder den sicheren Blick, denn, was auch über Rembrandt und die holländische Malerei geschrieben ist: Tieferes über sie als von diesen Beiden ist von niemand geschrieben worden.

Bode verehrt in Rembrandt den Gipfel holländischer Kunst; und Ausnahmen wie Böcklin, der Rembrandt gering schätzte, bestätigen wohl nur die Richtigkeit des jetzt allgemeinen Urteils. Wenn er aber an Rembrandt das germanische Element besonders hervorhebt, so geschieht es wohl nach dem Grundsatze: post hoc, ergo propter hoc. Goethe hat ganz recht, wenn er sagt, daß das Genie der Welt gehöre. Weil Rembrandt ein Holländer war, der in Amsterdam lebte, hat er sich so entwickelt, wie wir ihn aus seinem Werke kennen, aber die Rasse hat wohl nichts oder nur wenig damit zu tun. Überhaupt bleibt es immer mißlich, mit Worten, worunter jeder etwas anderes versteht, in der schon so vagen Terminologie der Ästhetik zu operieren. Könnte man nicht in dem Franzosen Millet zum Beispiel viel eher das germanische Element sehn, als in dem berolinisierten Breslauer Menzel, den man ohne Schwierigkeit für einen Landsmann Voltaires ansprechen dürfte. Noch mißlicher aber, in Rembrandts Kunst das Christentum hervorzuheben. Noch Koloff nahm Rembrandt gegen den »Vorwurf« in Schutz, ein Jude gewesen zu sein. Nicht nur lebte Rembrandt im Judenviertel, nicht nur entnahm er ausschließlich seine Modelle dem Ghetto, seine architektonischen Hintergründe der Synagoge, nicht nur wählte er seine Sujets mit größerer Vorliebe aus dem alten als dem neuen Testamente. Die Kunst hat mit dem Dogma nichts zu tun, denn die Kunst ist nicht Dogma, sondern Religion. Rembrandts Kunst ist der Ausdruck höchster Menschlichkeit.

Ich pflichte Bredius bei, wenn er in einer Kritik des Bodeschen Buches meint, daß der Autor dem Frans Hals nicht ganz gerecht geworden wäre: sowohl räumlich – er widmet ihm nur drei Seiten – wie auch (was ausschlaggebender ist) sachlich. »In der Komposition hat Frans Hals eine volle künstlerische Abrundung nicht einmal angestrebt und seine Malweise, so genial sie ist, hat häufig die erdige Schwere und Körperlichkeit, die der Farbe als Stoff anhaften, nicht ganz überwunden. Er hat es nicht immer verstanden, der Farbe selbst ihre vollen Reize zu entlocken, da er den Ton zu stark vorherrschen läßt; eine Eigenschaft, die er mit der modernen Malerei gemein hat und die ihn vielleicht unsern Künstlern so nahe gebracht hat.« Vor dem schweren Vorwurfe, künstlerische Vollendung nicht einmal angestrebt zu haben, schützt glücklicherweise Frans Hals die Galerie in Haarlem. In einer Vollständigkeit, wie sie kein anderes Museum aufzuweisen hat – die Galerie des Prado kenne ich nicht –, können wir dort seine Entwicklung verfolgen, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, bis zu seinen zwei letzten Stücken – die Vorsteher und die Vorsteherinnen von Armenhäusern –, denen nur die Staalmeesters ebenbürtig an die Seite gesetzt werden können.

Hiermit wäre eigentlich auch schon der Ausfall gegen die modernen Künstler pariert, wenn nicht Bode auch an anderen – passenden und unpassenden – Stellen seines Buches versuchte, ihnen eins auszuwischen; was um so verwunderlicher ist, als der jetzige Generaldirektor vor nun bald einem Menschenalter mit Bayersdorfer der Erste war, der sich der modernen Richtung in der deutschen Kunst auf das energischste angenommen hat.

Die täglichen Schimpfereien gegen die moderne Kunst lassen mich kalt; »der Hunde Gebell beweist nur, daß wir reiten«. Ein anderes, wenn ein kunstverständiger und vor allem ein kunstliebender Mann wie Bode sich gegen sie erklärt. Möglich, daß ihm (wie mir selbst) manches an der modernen Kunst nicht gefällt. Aber dürfen wir einen Baum nach seinen Auswüchsen beurteilen? Als Rembrandt die Nachtwache gemalt hatte, wandten sich seine Landsleute, die bis dahin das größte Genie in ihm verehrt hatten, von ihm ab; bis zur Nachtwache war er in der Tradition der holländischen Schule geblieben. Mir will scheinen, als ob in Beurteilung der modernen Kunst Bode in den Fehler der Zeitgenossen Rembrandts verfällt: er sieht – wahrscheinlich durch die allzugroße Beschäftigung mit der alten Kunst – alle Kunst zu sehr als ein Gewordenes an. Und ist nicht alle Kunst vielmehr ein Werdendes?

Nicht etwa, daß ich mir einbilde, daß Rembrandts oder Frans Hals' unter uns leben (wäre überhaupt Raum für sie in unsrem »photographischen« Zeitalter?); aber was hat denn Bode vor dreißig Jahren an der eben aufstrebenden modernen Richtung interessiert? Genau dasselbe, was ihn an der alten Kunst interessiert hatte. Mit andern Worten: Bode fühlte, daß die moderne Richtung im Zusammenhange mit der alten Kunst steht und deshalb trat er für sie ein.

Was heißt überhaupt alte Kunst oder neue Kunst? Es gibt nur eine Kunst: was an der alten Kunst das Moderne, was ewig modern, das heißt bleibend sein wird. Ich pfeife auf Rembrandts Clair-obscur oder auf Frans Hals' Virtuosität. Das Unsterbliche ist die Seele. Hinter dem Clair-obscur und der Virtuosität der Pinselführung müssen wir das Leben fühlen, das Blut, das unter der Haut pulsiert, den Geist, den der Meister seinen Figuren einzuhauchen verstanden hat.

Das weiß niemand besser als Bode. Hätte er sonst seine Galerie – und die Berliner kann man füglich Bodes Galerie nennen –, so wie er es getan, vervollständigen können? Hätte er vor allem Sammlungen ganzer Zweige der Kunst, die bis dahin vernachlässigt waren, neu schaffen können? Ich erinnere nur an die Abteilung für italienische Klein-Plastik, die, obgleich sich in ihr das Genie der italienischen Bildhauer vielleicht noch deutlicher zeigt als in ihren großen Werken, erst durch Bode galeriereif geworden ist.

In Bode ergänzt der Schriftsteller den Museumsdirektor, und umgekehrt bildet die Tätigkeit an seinem Museum den eigentlichen Inhalt seiner Bücher. Daher ist Wickhoffs Wunsch, daß Bode uns seine Memoiren schreiben möge, eigentlich schon erfüllt: seine kunsthistorischen Schriften sind seine Memoiren. Auch lesen sie sich so in ihrem frischen, ungezwungenen, manchmal sogar burschikosen Ton, der an den ehemaligen Corpsstudenten erinnert. Nicht ohne Behagen spricht er von den »Pistaveernen« und den »Bordeelkens« Adrian Brouwers, und es ist vielleicht kein Zufall, daß er diesem Meister die längste und eingehendste Studie des ganzen Bandes widmet. Denn Bode hat Humor. Nicht etwa, daß er versucht, durch Wiederholung der Anekdoten und Klatschgeschichten, die seit mehr als zweihundert Jahren in allen Kunstgeschichten erzählt werden, sein Buch zu würzen, daß Frans Hals immer besoffen war – bei der Arbeit war er jedenfalls immer nüchtern – oder daß Rembrandt sittlich verkommen war. Als ob uns bei einem Künstler nicht allein seine künstlerische Moral interessierte, und nach der Richtung hin war Rembrandt wohl der moralischste Künstler, der je gelebt hat. Nein! ich verstehe hier unter Humor jene Geistesanlage, die sich beeilt, wie Figaro sagt, über Dinge zu lachen, um nicht gezwungen zu sein, über sie zu weinen. Ohne diesen Humor hätte Bode weder die Widerwärtigkeiten, die auch die erfolgreichste öffentliche Tätigkeit mit sich bringt, noch die Krankheit, die ihn fast jahrelang ans Bett fesselte, am wenigsten aber die massenhaften Ehren, die sich jetzt auf ihn häufen, ungestraft ertragen können. Dieser Humor durchweht alles, was er tut und treibt und – schreibt; ja er versöhnt uns sogar mit gewissen Rücksichtslosigkeiten, womit er seine Ziele verfolgt.

Überhaupt liegt Sentimentalität seinem Wesen fern: sein Gefühl regt sich höchstens bei dem traurigen Gedanken, daß irgend ein schönes Stück, wie etwa neuerdings die Venus von Velazquez oder der famose Frans Hals, den die Pinakothek in München kürzlich erwarb, seiner Sammlung entgangen ist. Er übt an allen und allem seinen Witz, aber vor der Kunst macht er Halt: vor ihr hat er einen heiligen Respekt. Die langjährige Beschäftigung mit der Kunst hat die Freude an ihr in Bode nicht vermindert und – was das seltenste an dem seltenen Manne ist: der Kunstgelehrte hat den Kunstfreund in ihm nicht ertötet. Daß er es versteht, seine Liebe für die Kunst auch auf den Leser zu übertragen, bildet den Hauptreiz und das Hauptverdienst seiner Bücher.


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