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Ein Beitrag zur Arbeitsweise Manets

»Kunst und Künstler«, 1910

Ich führte neulich eine Dame aus Hamburg, deren Porträt ich malte, vor Manets Erschießung des Kaisers Maximilian. Sofort rief sie aus; meine Mutter muß Ihnen ihre Photos aus Mexiko schicken, die Porträts des Kaisers und seiner treuen Generale, vor allem aber die Photographien von der Stelle, wo die Erschießung stattfand, und des Pelotons Soldaten, das zur Exekution kommandiert war. Meine Eltern, so fuhr sie dann fort, lebten damals in Queretaro, als das Drama, das Manet dargestellt hat, sich abspielte, und noch auf seinem letzten Gang hat der unglückliche Kaiser mit meiner Mutter gesprochen, Worte, die sich auf das Wohl seiner noch unglücklicheren Gemahlin Charlotte bezogen. Und noch ein höchst charakteristisches Detail; die einzige Vergünstigung, die Maximilian von Diaz, der seine Erschießung befohlen, erbeten hatte, bestand darin, nicht vor seinen Generalen, sondern im selben Augenblicke mit seinen Getreuen erschossen zu werden und nicht in der gelben Bluse, die er der großen Hitze wegen trug, sondern in einem eines Kaisers würdigen Rocke.

Wenige Tage später, als ich mich kaum noch des Gespräches vor dem Bilde erinnerte, erhielt ich aus Hamburg die Photos gesandt, und sie erschienen mir so interessant und für das Verständnis des Bildes und der Kunst Manets so wichtig, daß ich von der Besitzerin die Erlaubnis zu ihrer Veröffentlichung erbat.

Schon von Duret wußte ich – ich glaube, es steht auch in seinem Manet-Buche –, daß Manet für die Erschießung Photographien benutzt hat; jetzt wissen wir, welche Photos er benutzt hat. Natürlich ist es für den Wert eines Kunstwerkes ganz gleichgültig, ob und welche Photographien der Künstler zuhilfe genommen hat: nur das Resultat ist entscheidend für seinen Wert. Aber über den Werdegang des Kunstwerkes, über seinen Zeugungsprozeß erhalten wir vielleicht durch sie näheren Aufschluß.

Ich bin überzeugt, daß Tausende von Malern die Photos gesehn haben würden, ohne auch nur das Geringste in ihnen zu sehen. Mit dem unfehlbaren Instinkte seines Wirklichkeitssinnes, der die Grundlage seines Genies bildet, wählte Manet die Photographie nach der Richtstätte für die Basis seines Bildes aus, während derselbe Wirklichkeitssinn – übrigens der gesündeste und reellste für jeden Künstler – in der Photo nach dem Peloton Soldaten die Modelle für die Erschießenden erblicken ließ. Die Erschießung ist wohl das einzige Bild oder gehört jedenfalls zu den ganz wenigen, die Manet gemalt und die er nicht in der Natur gesehn hat; und seine Gegner – und daß er deren immer noch hat, beweisen die wütenden Artikel, die der alte L. P. erst jüngst über Manet geschrieben hat – werden einen neuen Beweis für seine Phantasielosigkeit darin finden, daß er sich von Photographien anregen ließ, statt aus der Tiefe seines Gemüts zu schöpfen. Aber die Leser dieses Buches wissen, daß die Phantasie eines Künstlers nicht in der Erfindung des Stoffes beruht (hat etwa Goethe den Stoff zu seinem Faust nicht den alten Puppenspielen oder Shakespeare den Stoff zu vielen seiner Dramen nicht dem Boccaccio entnommen?), sondern einzig und allein in der Erfindung der Form für den Stoff, das heißt in der Erfindung der Ausführung. Der Stoff für die bildende Kunst liegt, im wahren Sinne des Wortes, auf der Straße; nicht den Stoff zu finden – auch das blinde Huhn kann eine Perle finden –, sondern die Umgestaltung des Stoffes zum Kunstwerk macht den Künstler.

Was Manet aus den Photos machte, also das Kunstwerk, das wir in der Erschießung des Kaiser Maximilian bewundern, ist ganz das Werk seines Genies. Er hat sich nicht die Photographien angeeignet, sondern aus den Photos Eignes gemacht; die Photographien waren die Ursache, nicht die Wirkung für sein ihm innewohnendes Genie, das Bild, wie wir es sehn, zu malen. An ihnen entzündete sich der elektrische Funke, seine Phantasie, sie sind die zufällige Ursache, während das Bild der gesetzmäßige Ausdruck von Manets Talent ist, was vielleicht aus den Fehlern des Bildes leichter ersichtlich ist als aus seinen Vorzügen.

Die naseweise Kritik – naseweis, weil sie nicht weiter als ihre Nase reicht – hat unsrem Bilde besonders einen Fehler aufgemutzt: daß die Soldaten an dem Kaiser vorbeischießen. Allerdings würden die Kugeln ihre unglücklichen Opfer kaum getroffen haben, weil die Soldaten falsch visieren, wenigstens vom militärtechnischen Standpunkt aus betrachtet. Aber in der Kunst gibt es doch höchstens den richtigen Schein und ihm opferte Manet ganz bewußt die Richtigkeit, gerade so wie auf dem Bilde! »Die Bar des Folies Bergères«, wo er zwei verschiedene Standpunkte einnahm, um die Verkäuferin auch im Spiegel zeigen zu können (wodurch er den Hintergrund des Bildes reicher machte). Die für seine Komposition notwendigen Horizontalen der Gewehrläufe wären abgeschwächt, wenn die Soldaten militärisch korrekt auf den Kaiser visierten, denn die Gewehrläufe hätten sich nur stark in der Verkürzung zeigen können. Oder aber er hätte den Kaiser mit seinen zwei Generalen viel weiter von den Soldaten abrücken müssen und es wäre ein Loch im Bilde entstanden, das es ganz auseinander gerissen hätte. Die Korrektheit hätte das Bild zerstört.

Der krasse Naturalist, für den Manet immer noch gilt, war der feinste Komponist. Allerdings komponiert er nicht mit den billigen Versatzstücken des Theaters, mit Vorder-, Mittel- und Hintergrund: er macht kein sogenanntes Historienbild, wo jedes Detail richtig ist, aber das Ganze ein »lebendes Bild« statt eines lebendigen Bildes. Sondern er komponiert mit den Ausdrucksmitteln seiner Kunst, mit dem Raum ebenso wie mit der Linie und Farbe. Was scheinbar zufällig, ist künstlerisches Taktgefühl, ist Geschmack.

Es ist noch nicht lange her, als einer meiner Kollegen, eine Berliner Berühmtheit, vor den Manets, die ich zu besitzen stolz bin, sagte: »Ja! malen konnte der Kerl, aber er hatte keinen Geschmack.« Man kann nichts Verkehrteres behaupten; denn malen – was man so malen nennt, »die Malfaust« – kann heutzutage fast jeder Malklassenschüler; aber Manet besaß höchsten malerischen Geschmack wie die Frans Hals oder Velazquez. Doch er malte trotzdem nicht wie Frans Hals oder Velazquez, sondern wie Manet.

Malenkönnen genügt noch lange nicht, um ein Kunstwerk zu schaffen. Zum Können muß sich als viel Wichtigeres gesellen: das Vermögen, die Natur künstlerisch aufzufassen. Beides zusammen macht erst aus einem gut gemalten Bilde ein gutes Bild. Und nun sehe man sich die Soldaten an, nicht nur auf die Qualität der Farbe, die sich in dieser Schönheit nur bei Velazquez wieder findet, sondern darauf hin, wie sie aufgefaßt sind. Man sieht sie nur von hinten, die Köpfe im ganz überschnittenen Profil: nicht der Mensch soll dargestellt werden, sondern das willenlose Werkzeug der militärischen Disziplin. Die sechs Soldaten bilden eine Masse, in der der einzelne verschwindet. Und um das noch stärker zum Ausdruck zu bringen: abgesondert von der Mannschaft einen Korporal, der die Büchse spannt und er, im Gegensatz zu dem Trupp Soldaten, ganz von vorn.

Unser Bild existiert in vier Fassungen, von denen für uns allerdings nur zwei in Betracht kommen, da Manet selbst die zweite Fassung zerschnitten hat (die Stücke sind im Besitz von Degas), die vierte aber nur eine verkleinerte Wiederholung des Mannheimer Bildes ist. Es ist nun höchst interessant zu sehen, wie die dritte Fassung sich von der ersten gerade dadurch unterscheidet, daß der Korporal sich von der Mannschaft trennt, während er sie auf der ersten Fassung überschneidet: dadurch kommt, neben der größeren Wirkung der Soldaten als kompakte Masse, eine Gliederung, fast möchte ich sagen, eine Zäsur in das Bild. Wir erleben das ebenso seltene wie schöne Ereignis, daß die letzte Fassung die bei weitem vollendeste ist, während gewöhnlich unter den Mühen der Arbeit das Werk nicht nur leidet, sondern oft seinen Charakter ganz verliert.

Auch Goyas Bild »die Erschießung der Spanier«, das Manet im Prado gesehn hatte, hat zur Entstehung von Manets Bild beigetragen. Aber gerade die Ähnlichkeit im Stoff der Bilder beweist meine Behauptung, daß die Erfindung nur in der Ausführung beruht, denn bei gleichartigem Stoffe sind die Bilder so ungleich wie möglich. Bei Goya alles leidenschaftliche Bewegung in den armen Opfern, in den Erschießenden, in den Zuschauern, während bei Manet keine Spur von Pathos oder theatralischer Gebärde ist. Bis in den Hintergrund kann man den Unterschied in den beiden malerischen Genies verfolgen: während bei Goya eine ganze Stadt sichtbar wird, ich möchte fast sagen in bengalischer Beleuchtung, ist bei Manet eine einfache, fast nüchterne Mauer mit einigen Köpfen von Neugierigen, die drüber gucken. Goya wirkt mit allen Mitteln der Dekoration, der Beleuchtung; Manet malt einfach und sachgemäß, fast – wenn ich mich so ausdrücken darf – als wäre er unbeteiligt an dem Vorgange, den er darstellte. Manet empfängt sein Gesetz nur vom Objekt. Nicht vom sogenannten Malerischen; sein Bestreben ist, die Wirklichkeit so restlos wie möglich in malerische Werte umzusetzen. Er will nicht nebenbei noch Dichter oder Musiker sein. Er hat das Genie für das Handwerkszeug seiner Kunst: er erfindet nicht aus dem Handgelenk, wie's im Atelierjargon heißt – wobei das Handgelenk oft genug mit dem Maler durchgeht –, sondern für das Handgelenk. Als hätte Goethe Manet vorausgeahnt, da er ein paar Jahre vor Manets Geburt zu Eckermann sagte: »Es muß ein großes Talent kommen, welches sich alles Gute der Zeit sogleich aneignet und dadurch alles übertrifft.«


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