Johann Anton Leisewitz
Julius von Tarent
Johann Anton Leisewitz

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Zweiter Akt

Erste Szene

Das Sprachzimmer im Kloster der heiligen Justina.

Eine Nonne ist gegenwärtig.

Julius (tritt herein). Ruft die Abtissin! (Nonne geht ab.) – Ich muß sie sehen, und wenn ein Engel mit einem feurigen Schwerte vor ihrer Zelle stünde.

(Abtissin tritt auf.)

Ich will die Schwester Blanca sprechen.

Abtissin. Gnädiger Herr, Sie wissen das Verbot Ihres Vaters.

Julius. Frau Abtissin, mein Vater ist heute sechsundsiebzig Jahr alt, und ich bin sein Erbprinz.

Die Abtissin. Ich verstehe Sie – alsdenn weiß ich meine Pflichten, und ich werde Ihrem Sohne unter ähnlichen Umständen dasselbe antworten.

Julius. Sie sollen mir für sie haften. Nonne oder nicht Nonne – Was ist älter, die Regel der Natur oder die Regel des Augustinus? – In meine Kammer will ich sie führen, und wenn sie eine Heilige geworden wäre und einen Nimbus statt des Brautkranzes hineinbrächte, und wenn der Priester statt des Segens den Bannfluch über uns bis ins tausendste Glied ausspräche. In diesem Saale will ich ihren Schleier zerreißen, das schwöre ich Ihnen bei meiner fürstlichen Ehre.

Die Abtissin. Ich darf nichts als Sie bedauren.

Julius. Wie ich sage, Sie sollen mir haften. Und finde ich zu der Zeit, die Sie wissen, daß der Verdruß nur einen ihrer Züge tiefer gemacht hat – ich werde schon unterscheiden, was die Traurigkeit tat –, so zerstöre ich – merken Sie sich das, Frau Abtissin, so zerstöre ich Ihr Kloster bis auf den Altar, und Ihre Schutzheilige wird dazu lächeln, wenn sie eine Heilige ist.

Die Abtissin. Gnädiger Herr, wir sind nur Schafe, aber wir haben einen Hirten.

Julius (geht einige Male auf und ab). Wie lange sind Sie im Kloster?

Die Abtissin. Neunzehn Jahr.

Julius. Was schied Sie von der Welt, die Andacht oder diese Mauern? Haben Sie nie geliebt? Waren Sie eh'r Nonne als Weib?

Die Abtissin. Ach Prinz, lassen Sie mich! (Sie weint.) – Neunzehn Jahre habe ich geweint, und noch Tränen!

Julius. Nicht wahr, an diesem Gitter hat er gewimmert, und er ist tot – nicht?

Die Abtissin. Ach mein Ricardo! – (Nach einer Pause.) Sie sollen Blancan sehen. (Verschließt die äußre Tür und geht ab.)

Zweite Szene

Julius. Nachher Blanca und Abtissin.

Julius. Was kann die Liebe nicht – und so viel vermag über das Weib ein Andenken, der Schatten der Liebe, was muß nicht Hoffnung, ihre Seele, bei mir tun! O, wer kann diesen Monat ausdauern. Ein Fürstentum für dich verlieren, Blanca, das ist kein Opfer – Das heißt ja bloß sich in Freiheit setzen – Und deinetwegen wollte ich ja jahrelang mein Leben in dem tiefsten Kerker hinziehn, in den von dem erfreulichen Lichte nur so viel Strahlen fielen, als hinreichten, dein Gesicht zu erleuchten.

Blancan sehen – in diesem Augenblick sehen – freilich kostet mir dieses Sehen meine ganze Ruhe; – hm, das ist mir ein elender Rest, und ein Blick von ihr wäre der tiefsten Ruhe des größten Weisen wert.

(Blanca nebst der Abtissin tritt auf, Julius fliegt auf sie zu.)

Julius. O meine Blanca!

Blanca (tritt einige Schritte zurück). Keinen Kirchenraub, Prinz.

Julius. Keinen Meineid, Blanca.

Blanca. Nein – denn ich hoffe dem Himmel mein Wort zu halten.

Julius. Deine Gelübde sind Meineid; kann der zweite Schwur, wenn er auch dem Himmel geschworen wurde, den ersten entkräften? Was ist denn beschworne Treue – ein verschloßner Schatz, zu dem jeder Dieb den Schlüssel hat – Aber du hast dem Himmel nichts gelobet. Deine Gelübde sind nicht bis zu ihm gedrungen. Der Schutzgeist unsrer Verbindung hat sie noch in Verwahrung, und der wird sie dir am Tage unsrer Hochzeit zum Brautgeschenk wiedergeben.

Blanca. Ich habe vor jenem Altar Ihnen und der Welt auf ewig entsagt, meinen Kranz zu den Füßen des Altars gelegt, mich selbst oder vielmehr meine Liebe dem Himmel geopfert. – Ach, sie durchdrang mich so ganz, war so mein Alles – hätte ich mich ohne diese dem Himmel geopfert, so hätte ich ihm nichts, höchstens Spott dargebracht. Dieser Schleier ward an jenem feierlichen Tage eine Scheidewand zwischen mir und der Welt; kein Seufzer, kein Wunsch darf zurück. Will ich fröhliche Vorstellungen, so muß ich an die Ewigkeit denken, will ich mit Leidenschaft reden, so muß ich beten. Ich habe ein enges Herz, Liebe zu Ihnen und dem Himmel kann es nicht zugleich fassen. – Ich bin eine Braut des Himmels, und, Julius, Sie wissen es zu gut, ich kann nicht halb lieben.

Julius. Ich weiß es so gewiß, als ich weiß, daß du damals den Himmel belogest – unschuldig belogest.

Blanca. Nun, ich entsage Ihnen jetzt nochmals, – in Ihrer Gegenwart, und bloß deswegen nahm ich Ihren Besuch an.

Julius. Du würdest mich töten, wenn du nicht Unwahrheiten redetest. Die Liebe hat uns zu einem einfachen Wesen zusammengeschmolzen, vernichtet können wir zusammen werden, aber nicht getrennt. Mädchen, Mädchen, dein ganzes Wesen war ja Liebe für mich!

Blanca. Es war es, aber ich habe dies Wesen in Gebeten und Seufzern ausgehaucht – itzt habe ich ein andres Wesen. (Zieht Julius' Bildnis hervor.) Da nehmen Sie Ihr Bildnis zurück – es ist das einzige, was mir von unsrer Liebe noch übrig ist – Nehmen Sie, ich darf das Bildnis eines Mannes nicht haben.

Julius. Nimmermehr! Nimmermehr! und wenn du mir mein Herz und meine Ruhe wiedergeben könntest, so möchte ich sie nicht.

(Blanca gibt das Bild der Abtissin.)

Blanca. Und wenn Sie mein Bildnis ansehn, so vergessen Sie nicht, daß das Original nicht mehr da ist, daß itzt eine andre Blanca weint. Leben Sie ewig wohl. Ich kenne Ihr Herz, Prinz, machen Sie bald ein andres Mädchen dadurch glücklich – ich will für Sie und Ihre Gattin beten.

Julius. So bete für dich selbst – Der Mensch wird nur einmal geboren und liebt nur einmal.

Blanca. Für mich will ich um Vergessenheit beten. Leben Sie wohl.

Julius (hält sie zurück). Blanca, erinnerst du dich der unschuldigen Tage unsrer Jugend? An alles, was uns damals die Liebe gab, Schmerzen und Freuden, Wirklichkeit und Träume, Leben und Othem; wie sie uns ihre schwersten Pflichten so leicht machte und Gewicht auf ihre leichtesten legte? Aber du kannst dir das nicht erinnern, einer solchen Empfindung kann keine Erinnerung nachkommen. Mitten in unsrer Glückseligkeit glaubten wir gestern, unsre Freuden könnten nicht steigen, und heute, unsre gestrige Leidenschaft sei Kälte. Allein ein schwaches Bild ist doch noch immer ein Bild. O Blanca, denk' an unsre Zusammenkünfte im Zitronenwalde – an die Tränen bei der Ankunft, an die Tränen beim Abschiede.

Blanca (in tiefen Gedanken). Wunderbar! auch ihnen hat das geträumt – mir träumte dasselbe.

Julius. Und ich schwöre dir, diese Tage sollen wiederkommen – entweder unter unsren Zitronenbäumen oder den Palmen Asiens oder den nordischen Tannen – wo, das weiß ich nicht, und es ist mir eins! – Aber ich will zu dir, und wenn der Weg zu deiner Zelle rauher wäre als der Weg zum Ruhme, und in Gebüschen zur Seite hagre Tiger für Hunger und Durst winselten! – Nur mein Tod kann diese Unternehmung verhindern, aber ich kann nicht sterben – itzt fühle ich meine ganze Stärke, in meinen Gebeinen ist Mark für Jahrhunderte.

Blanca. Ich bitte Sie, lassen Sie mich.

Julius. Es soll eine Zeit kommen, in der dir von deinen itzigen Leiden nichts mehr übrig sein soll als ein wehmütiges Andenken – nichts mehr, als hinreicht, um ein Abendgespräch über vergangne Zeiten interessant zu machen. Auf diesen meinen Armen will ich dich aus diesem Kerker tragen, und deine Empfindung soll die Freude des Erwachenden sein, daß der fürchterliche Traum nur ein Traum war.

Blanca. Lassen Sie mich – hören Sie, die Glocke zur Hora läutet.

Julius. Aber ein Andenken deines itzigen Standes mußt du mir geben. (Er nimmt ihr den Rosenkranz von der Seite.) Pfand der klösterlichen Liebe, wie will ich dich schätzen! – Mir für nichts feil als für deinen ersten Morgenkuß an unserm Hochzeitstage; dafür kannst du ihn einlösen, und alsdann soll er dein bestes Hochzeitsgeschmeide sein.

Blanca. Mein Hochzeitstag ist schon gewesen.

Julius. Zerreiß deinen Schleier, Blanca – ich will den großen Streit mit dem Himmel wagen! – Ich weiß, du liebst mich, aber ich muß es jetzt aus deinem Munde hören – ich beschwöre dich bei den Tagen der Freude, die vorbei sind und die kommen sollen, versichre es mir noch einmal. (Er küßt sie.)

Blanca. Abtissin – helfen Sie mir – (Sie wird ohnmächtig.)

Julius. Sie liebt mich. Sehen Sie, Abtissin, das ist eine Versicherung, unsrer Liebe würdig, sie liebt mich wahrhaftig! – und wenn ein Engel seinen Finger auf das Buch des Schicksals legte und schwöre: Blanca liebt Julius, so wäre es für mich nicht wahrhaftiger.

Abtissin. Ich bitte Sie, verlassen Sie uns.

Julius. Erst will ich diese göttlichen Augen wieder offen sehen – (Blanca schlägt die Augen auf.) Es ist genug – Abtissin, ich danke Ihnen – winselnd sehen Sie mich nicht wieder. (Ab.)

Dritte Szene

Blanca. Abtissin.

(Blanca erholt sich vollends.)

Abtissin. Er ist weg.

Blanca. Ach, hätte ich ihn nicht gesehen, er hat meine Andacht getötet und meine Gebete vergiftet.

Abtissin. Liebste Tochter!

Blanca. Ich bin nicht Ihre Tochter – ich bin eine Buhlschwester im Nonnenkleide. Sehen Sie, das Samenkörnchen der Hoffnung, das er aussäte, ist schon aufgeschossen, Wünsche sind seine Blüte, und – wahrscheinlich Verzweifelung seine Frucht. Pflicht und Gelübde, habt ihr denn nicht ein einziges Wort der Stärkung für die arme Blanca? – ach, sie sind stumm!

Abtissin. Oder du bist taub, Blanca.

Blanca. Nicht doch, höre ich es doch, wenn die Liebe nur eben »Julius« lispelt – Abtissin, sagte er nicht, die Tage der Freude sollten wiederkommen, in einem entfernten Winkel der Erde wiederkommen? Er hält, was er verspricht. Ha, ich sehe schon die Fackeln im Kloster und höre die Tritte der Pferde und das Geräusch der Segel – ha, jetzt sind wir da – in dem entferntesten Winkel der Erde – diese Hütte ist klein – Raum genug zu einer Umarmung – das Feldchen ist enge – Raum genug für Küchenkräuter und zwei Gräber – und dann, Julius, die Ewigkeit – Raum genug für die Liebe.

Abtissin. Du schwärmst – Entferne dich von hier. Komm mit in den Garten, komm, Blanca.

Blanca. Wohin! Wohin! unter die asiatischen Palmen oder die nordischen Tannen?

(Gehn ab.)

Vierte Szene

Die Galerie im Palaste.

Cäcilia (den ganzen Auftritt über sehr tiefsinnig). Porzia, eine Hofdame.

Cäcilia. Der Prinz bleibt lange aus.

Porzia. Sei'n Sie nicht ungeduldig; Ihre seltsame Grille, der Liebe und dem Ehestande auf ewig zu entsagen, erfährt er noch früh genug. (Pause, in der sie Cäciliens Antwort erwartet.) Armes Mädchen, glauben Sie, daß das Ihnen die verschmähten Freuden der Liebe ersetzen kann, wenn die Welt Ihre glänzenden Talente und diese Überwindung bewundert? Glauben Sie es, Bewunderung ist eine kitzelnde Speise, aber ich versichre Sie, nichts in der Welt sättigt auch so leicht. – Und sich immer räuchern zu lassen, dazu gehört die göttliche Nase eines Gottes oder vielmehr die hölzerne seiner Bildsäule.

Cäcilia. Ich habe überlegt – jetzt bin ich entschlossen. Wie oft habe ich es dir gesagt; zuviel und zuwenig überlegen, beides macht gleich viel unzufrieden.

Porzia. Seltsam – O Cäcilie, Sie sehen die Zukunft der Liebe nicht mit dem Auge eines Mädchens – diese rosenfarbne Zukunft, wo jede Stunde ihr Füllhorn von Freuden ausgießt und verdrängt wird, ehe es leer ist! Da ist kein andrer Wechsel als sanftere Freuden für lebhaftere, der das Leben zu einem Blumenbeete macht, das hier durch die prächtige Rose, dort durch das bescheidne Veilchen reizt! Aber Sie – ich habe Sie neulich am Traualtare Ihres Bruders ausgespäht! – War doch in ihrem Auge so gar nichts von dem, was ich in jedem andern sahe – Andenken oder Ahndung der Liebe.

Cäcilia. Wer dich so predigen hörte, gute Porzia, sollte schwören, du wärest nie verheiratet gewesen.

Porzia. Und glauben Sie denn auf immer für der Liebe sicher zu sein? Man kann sie wie das Gewissen mit Mühe auf eine Zeitlang einschläfern, aber beide erwachen zuletzt, – und was das schlimmste ist, gemeiniglich zu spät.

Cäcilia. Der Prinz verweilt mir zu lange, komm mit mir auf mein Zimmer.

Porzia. O daß die Starrköpfe durch Gegengründe nur noch starrer werden.

(Gehn ab.)


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