Johann Anton Leisewitz
Julius von Tarent
Johann Anton Leisewitz

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Vierte Szene

Erzbischof. Guido.

Erzbischof. Guido, Guido, schon wieder in Flammen!

Guido. Wie konnte ich anders, wie konnte ich anders. Er brachte mich durch angenommene Kälte aufs Äußerste, sagte mir die brennendsten Beleidigungen mit einem so einfältigen Gesichte, als wenn er auch für die Erbsünde zu dumm wäre.

Erzbischof. Ich kenne dich, du reizest sie immer zuerst.

Guido. Wer reizet zuerst, der ein hitzig Wort ausspricht, oder der, der ihn durch tausend Torheiten und stumme Beleidigungen dazu bringt? Wer möchte nicht bersten, wenn er die untätigen Knaben in ihren Sesseln von Weisheit triefen sieht. – Da schwatzen sie von Unsterblichkeit und Freiheit und von dem höchsten Gute, sehen ernsthafter aus als Marcus Porcius Cato, wenn er Bauchgrimmen hatte. Und doch hat alles das Geschwätz noch nichts gewirkt als eine sanfte Leibesbewegung des Schwätzers.

Erzbischof. Aber ich bitte dich, Guido, wenn das auch so wäre, was geht es dich an?

Guido. Und alles das wird mit Beispielen großer Männer erläutert. Aber beim Himmel, wer ein Held sein kann, wird kein Geschichtkundiger. – Allein da steht der müßige Julius im Tempel des Nachruhms, bläst den Staub von der Bildsäule Alexanders, setzt einen neuen Firnis über die Nase des Cäsars und gafft nach der Erbse des Cicero. So viel glänzende Beispiele weiß er – lägen große Keime in ihm, er wäre selbst ein Held geworden – oder er hätte sich wenigstens gehenket. – Wahrhaftig, er kann den ganzen Abend Leben und Taten lesen und doch die Nacht ruhig schlafen.

Erzbischof. So höre doch endlich auf, Guido!

Guido. Aber das sind die Früchte der gepriesenen Ruhe, in der jede Tugend rostet – O, ich fühle es selbst! Warum rief mich itz mein Vater aus dem Kriege wider die Ungläubigen? – Da sitze ich nun und muß mir die Zähne stohren, wenn ich die Nachrichten höre, wie meine Freunde berühmt werden, und (stampft mit dem Fuße) – da Te Deum singen, wenn Schlachten ohne mich gewonnen werden – Sei'n Sie nicht unwillig, Herr Oheim – lassen Sie mich wenigstens in die Stangen meines Käfigs beißen.

Erzbischof. Gut – aber warum verlangst du, daß jedermann so chimärisch denken soll als du?

Guido. Wenn das Chimären sind, so gebe ich nicht diesen Degenkopf für den ganzen Wert des Menschengeschlechts. Aber ich fühle es hier (indem er sich an die Brust schlägt), daß ich Wirklichkeiten denke.

Erzbischof. Laß das gut sein! Aber warum soll denn jedermann so denken als du, wozu die ewigen Parallelen zwischen dir und Julius?

Guido. Macht er nicht diese Parallelen selbst, steht allerorten in meinem Wege, schwatzt, wo ich handle, wimmert, wo ich liebe.

Erzbischof. Über den Punkt konntet ihr längst ruhig sein – Blanca ist eine Nonne.

Guido. Herr Oheim, Guidos Entwürfe können alle zerstört werden, aber er gibt keinen einzigen auf. Ich wette gern mit dem Schicksale. Laß es die Ausführung meines Entschlusses setzen, ich setze mein Leben – mir deucht, das Spiel ist nicht ungleich. Da ist meine Hand; schlagen Sie im Namen des Schicksals ein!

Erzbischof. Bedenke, was du schwatzest; Blanca steht unter der Gewalt und dem Schutze der Kirche.

Guido. Ich weiß, was Sie sagen; ich weiß, eine Schlacht ist gegen einen Streit mit der Kirche nur eine Fechtübung gegen eine Schlacht. Aber –

Erzbischof. Halt, Guido, ich habe schon vieles gehört, was der Oheim nicht hören sollte; du willst jetzt etwas sagen, was der Bischof nicht hören darf – (Ab.)

Fünfte Szene

Guido. Hm – (Pause) ich bin nicht so leicht, als ich nach einem Zweikampfe sein sollte, war es doch nur ein halber, und noch dazu lassen sie mich alle dastehen wie einen Wahnwitzigen, dem man nicht durch den Sinn fahren darf, damit er nicht rasend werde – was tut's, daß andre meine Grundsätze hassen – Gott sei Dank, daß ich welche habe, und daß ich sie behalten kann, wenn mich auch ein Weib streichelt und ein Teufel mir dräuet. Was wäre Guido ohne diese Stetigkeit – Macht, Stärke, Leben, lauter Schalen, die das Schicksal abschälet, wenn es will – aber mein eigentliches Selbst sind meine festen Entschließungen – und da bricht sich seine Kraft. Und warum sollte ich meine Entwürfe nicht ausführen? Gehorsam beugt sich die leblose Natur unter die Hand des Helden, und seine Plane können nur an den Planen eines andern Helden zerschellen, und ist das hier der Fall? – ein Mädchen aus den Armen eines Weichlings reißen, dessen ganze Stärke meine Tugend und das brüderliche Band ist. Sie seie mir heilig, aber beim Himmel, meine verpfändete Ehre will ich einlösen, – zwar bekomme ich durch diese Unternehmung kein Lorbeerblättchen mehr, als ich versetzte; denn ein Sieger kann aus einem Siege nicht mehr Ehre holen, als der Besiegte hat – und was hat Julius? – Doch das Erworbne erhalten ist auch Gewinn – O sie sollen es erfahren, was ein Entschluß ist! (Ab.)

Sechste Szene

Fürst. Erzbischof.

Fürst. Das sieht Guidon nur zu ähnlich. – Aufrichtig, Bruder! glaubst du, daß ich noch einmal ein glücklicher Vater werde?

Erzbischof. Ich glaube es in der Tat.

Fürst. Itzt bin ich es nicht; ach, diese Zwistigkeiten beugen mich – wenn nur nicht wahre Disharmonie ihrer Charaktere der Grund davon ist!

Erzbischof. Ich hoffe nicht.

Fürst. Ich auch nicht, aber ich habe früh Bemerkungen über den Punkt gemacht. Als Guido noch ein Knabe war, immer im Spiel König sein wollte und für die Bewunderung seiner Gespielen so gefährlich auf Bäume und Felsen kletterte, daß sie ihn für schwindelnder Angst kaum bewundern konnten, so dachte ich oft, hilf Himmel, wenn die Leidenschaften des Knaben erst aufwachen! – Sie sind aufgewacht, und siehe, er ist so geizig nach Ruhm, daß es ihn verdrießt, daß es gleichgültige Dinge gibt, die nicht schänden und nicht ehren. Er wünschte entweder, daß essen Ruhm wäre, oder daß er gar nicht äße. Was nicht Ehre bringt, glaubt er, bringt Schande, das ist sein Unglück.

Erzbischof. In der Tat ein unruhiger, gefährlicher Charakter!

Fürst. Noch gefährlicher, weil er neben Julius steht – Ehe der als ein Kind wußte, was Liebe ist, hatte er schon ihren schmachtenden Blick. Als Knabe war es sein größtes Vergnügen, in der Einsamkeit zu träumen. In ein so vorbereitetes Herz kam die Liebe früh, aber ebensowenig unerwartet als ein Hausvater in seine Wohnung. Nun stelle diese Charaktere nebeneinander.

Erzbischof. Bruder, das, was du eben da schilderst und für den besondern Charakter deiner Söhne hältst, ist der allgemeine der Jugend. Es gibt keinen Jüngling von Hoffnung, der nicht einem deiner Söhne gliche. Laß nur erst das wilde Feuer der Jugend verlodern –

Fürst. Ehe das geschieht, kann vieles verderben. Als wenn dies Feuer so stille verlodern würde, ohne etwas zu ergreifen! Wie fürchte ich die romanhaften langsamen Entschlüsse des einen und das Unüberlegte des andern. Seitdem ich Blancan ins Kloster bringen ließ, gefällt mir Julius noch weniger als sonst. Und mußte ich nicht diesen Schritt tun – war sie nicht zu tief unter seinem Stande – Erstickte nicht diese Leidenschaft jeden Trieb in ihm zu dem, was groß und wichtig ist?

Erzbischof. Verschlimmert ist doch dadurch auch nichts –

Fürst. Gefällt dir denn das nächtliche Irren im Garten? und das Verschließen bei Tage? Hast du nicht gesehn, wie er alles anstarret, zu allem lächelt und wie einer antwortet, dessen Seele weit weg ist?

Erzbischof. Wenn aber die Sache auch nicht so stünde, so verlohnte es der Mühe nicht, daß man davon spräche. – Das, wodurch sie am gefährlichsten scheint, ist, daß sie beide ebendasselbe Mädchen lieben. Aber glaube mir, Bruder, Guidos Liebe ist keine wahre Liebe – bloß eine Geburt seines Ehrgeizes, und sie hat keinen Zug, der nicht ihren Vater verriete.

Fürst. Richtig – aber das macht die Sache nicht besser. Ich weiß, er verachtet die Weiber, und seine Liebe mag an sich ein sehr unbedeutendes Ding sein, und wenn bloß sie auf Julius' Liebe träfe, dann, Bruder, könnten wir sicher schlafen; das hieße ein Kind gegen einen Riesen gestellt, und die werden nicht kämpfen. Aber darin liegt das Schlimme, daß sein Ehrgeiz mit Julius' Liebe zusammenstößt. – Riese gegen Riese, von denen keiner ein Quentin Kraft mehr oder weniger hat als der andre; und das gibt hartnäckige, gefährliche Gefechte.

Erzbischof. Was meinst du denn, was bei der Sache zu tun sei?

Fürst. Mein Plan ist dieser – Guido liebt Blancan bloß aus ehrgeiziger Eifersucht, weil sie Julius liebt. Es käme also nur darauf an, diesen auf einen andren Gegenstand zu lenken – Guido hörte denn von selbst auf.

Erzbischof. Und wer soll dieser andre Gegenstand sein?

Fürst. Cäcilia – ich habe sie deswegen eben zu mir rufen lassen, und ich habe, wie mir deucht, nicht übel gewählt. Ich muß mich wundern, daß der Jüngling nicht schon längst diesen Plan selbst gemacht hat. Eine solche Schönheit täglich zu sehen –

Erzbischof. Wenn er erst das täte! – Weißt du denn nicht, daß es Verliebten Meineid ist, eine fremde Schönheit zu sehen? Wenn ein andres lebhaftes Bild nur in ihrem Gehirne aufsteigt, so glauben sie schon, ihr Herz sei entweiht.

Und nimm dich in acht, daß er nicht merke, daß jemand einen solchen Plan hat, viel weniger, daß du ihn hast! Sein Vertrauen in Absicht der Liebe hast du verloren, und wenn man das einmal verloren hat, gewinnt man's nie wieder.

Fürst. Cäciliens jungfräuliche Bescheidenheit ist mir für das alles Bürge. Glaubst du wirklich, Bruder, daß ich auf diesem Wege die väterlichen Freuden wiederfinden werde?

Erzbischof. So gewiß, als ich etwas glaube.

Fürst. Und wie sehr würden sie erhöhet werden, wenn Cäcilia meine Tochter würde. – Zu den häuslichen Freuden eines Greises gehören durchaus Weiber; ihr sanfter Ton schickt sich so gut zu seinem gedämpften, und rasche Jünglinge und Männer sind doch in seiner Einsamkeit nie zu Hause.

Erzbischof. Sieh, da kommt Cäcilia – ich will euch allein lassen – Sie wird schon ohne mich rot werden. (Geht ab.)

Siebente Szene

Fürst. Cäcilia.

Fürst. Guten Morgen, Cäcilia – setz dich zu mir!

Cäcilia. Erlauben Sie, lieber Vater und Oheim, daß ich Ihnen erst zu Ihrem Feste Glück wünsche. (Küßt ihm die Hand.)

Fürst. Ich danke dir, liebe Tochter – Setze dich – Aber bedenkst du es, daß du mir zu einem neuen Grade meiner Schwachheit Glück wünschest? Ich fühle es, Cäcilia, ich fühle es, daß ich alt werde. Der rosenfarbne Glanz, in dem du noch alle Dinge siehst, ist für mich verbleicht. – Ich lebe nicht mehr, ich atme nur, und das bloße Dasein ohne die Reize des Lebens ist das einzige Band zwischen mir und der Welt.

Cäcilia. Sie halten sich auch für schwächer, als Sie sind.

Fürst. Ich fühle mich. Unmittelbar empfinde ich nichts mehr. Nur ein Kanal ist noch übrig, durch den sich Süßes und Bittres in mein Herz ergießen kann, das sind meine Kinder.

Cäcilia. Und Sie sagten, Sie empfänden nichts mehr? Warum stellen sich doch die Reichen so gern arm! Was haben Sie nicht schon für eine reiche Quelle von Vergnügen, das aus der Betrachtung eines schönen Charakters fließt. Ihre Kinder zusammengenommen sind beinahe ein Ideal der männlichen Vollkommenheit. Das Sanfte Ihres Julius –

Fürst. Meinst du das wirklich, Cäcilia? – Aber auf die Art gewährt mir die weibliche Vollkommenheit dasselbe Vergnügen – Auch du bist meine Tochter –

Cäcilia. Wenn Sie nicht scherzen, so zeigen Sie, in Absicht meiner, wie die väterliche Liebe auch die väterliche Eitelkeit.

Fürst. Wenn nun meine Kinder der einzige Kanal sind, durch den mir Freuden zufließen können, ist es denn Wunder, wenn ich alle in denselben zu leiten suche? Und ist die Liebe nicht die größte Wonne des Lebens? – Nicht wie Ruhm und Reichtum eine Gabe aus den oft schmutzigen Händen der Menschen, nein, ein Geschenk, das die Natur nicht ihnen in Verwahrung gab, das sie jedem mit eigner Hand erteilt. Die Liebe des Paars, das heute am Altar steht, ist wie die Liebe unsrer ersten Eltern im Paradiese. – Siehe, Cäcilia, an seinem sechsundsiebzigsten Geburtstage redet ein Greis mit Entzücken von der Liebe.

Cäcilia. Ein Zeichen, daß er tugendhaft liebte.

Fürst. Aber ich verliere meinen Faden. – Der Strahl der Liebe selbst ist für mein schwaches Herz zu stark, bloß sein Widerschein von meinen Kindern ist für mich. – Mädchen, Julius hat ein Herz – nicht seine glänzenden Handlungen, seine Verirrungen sollen zeugen.

Cäcilia. Ich weiß es zu schätzen.

Fürst. Weißt du, weißt du wirklich? – Wäre er durch Liebe glücklich! Gäbe er mir durch seine Geliebte eine Tochter! – Was ist einem Greise lieber als die weibliche Sorgfalt einer Tochter! Hätte Julius eine Gattin –

Cäcilia. Sie sollte meine erste Freundin sein.

Fürst. Was für einen Wert könnte sie diesem Reste des Lebens geben, an dessen Ende ich aus ihren Armen unvermerkt in die Arme eines andern Engeln gleiten würde, – und dieses Weib mußt du sein, Cäcilia.

Cäcilia. Ich bitte Sie, Herr Oheim. –

Fürst. Jetzt noch keine Erklärung, Mädchen – ich weiß, was mir deine jungfräuliche Bescheidenheit für eine geben müßte, und mit der Zeit – Verstehst du, keine Erklärung.

Cäcilia. Bin ich nicht schon Ihre Tochter? – und ich will es bleiben, Sie nie verlassen, alles, was Ihnen Vergnügen machen kann, schon von ferne ausspähen, immer um Sie sein, wenn mich nicht Ihr Vergnügen selbst abruft, aber –

Fürst. Jetzt keine Erklärung – allein, wenn du mir an meinem künftigen Geburtstage Glück wünschest, und mir vielleicht im Namen eines Enkels Glück wünschest, so denke an diese Unterredung, hörst du, Cäcilia, du sollst an diese Unterredung denken. – Komm, das Frühstück wartet auf uns – deine Hand. (Er führt sie ab.)


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