Johann Anton Leisewitz
Julius von Tarent
Johann Anton Leisewitz

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Erster Akt

Erste Szene

Eine Galerie im fürstlichen Palaste.

Julius, Aspermonte spazieren herein.

Aspermonte. Unbegreiflich – Sie waren ja schon von Ihrer Liebe bis zur Melancholie genesen, diesen ganzen Monat durch so ruhig.

Julius. Ach, mein Freund, die Liebe hat sich für diesen Monat gerächet; alles das Bittre, was auf seine einzelnen Tage verteilt sein sollte, goß sie über diese einzige Nacht aus. Eben deswegen bricht die Wolke, weil es nicht zu rechter Zeit regnete.

Aspermonte. Ich verstehe noch nichts – noch gestern abend waren Sie so ruhig, was machte diese plötzliche Veränderung?

Julius. Ein wachender Traum, also noch weniger als ein Traum. Wie ich abends auf mein Zimmer trete, schießt der Mond nur eben ein paar Strahlen hinein, und die fallen just auf Blancas Bildnis. Ich sehe es an, mir deucht, das Gesicht verzieht sich zum Weinen, und nach einem Augenblick sah ich helle Perlen über seine Wangen rollen. Es war Phantasei; aber Phantasei, die mir alle Wirklichkeit verdächtig machen könnte.

Diese Tränen schwemmten meine ganze Standhaftigkeit weg. Ich hatte eine Nacht – eine Nacht – Glauben Sie es, Freund, unsre Seele ist ein einfaches Wesen – hätte die Last, die diese Nacht auf der meinigen lag, ein zusammengesetztes gedrückt, die Fugen der Teile hätten nachgelassen, und der Staub hätte sich zum Staube versammlet.

Aspermonte. Ach, ich kenne diesen Zustand zu gut.

Julius. Was wollten Sie kennen – Nennen Sie mir eine Empfindung, ich habe sie gehabt. Immer ward ich von einem Ende der menschlichen Natur zum andern gewirbelt, oft durch einen Sprung von entgegengesetzter Empfindung zu entgegengesetzter, oft durch alle, die zwischen ihnen liegen, geschleift.

Alle Möglichkeiten gingen vor mir vorüber, und notwendig muß ich in einer von ihnen mein Schicksal gesehen haben – Einmal hatte ich schon das Kloster erbrochen und führte sie in meine Kammer, – wie ich schon an das Brautbette trat, sah mein Vater mit der Miene der väterlichen Wehmut herein – sogleich ließ ich ihre Hand fahren.

Aspermonte. Nutzten Sie das nicht, kamen Sie da Ihrer Vernunft nicht zu Hülfe?

Julius. In der Tat, diese Idee schien die Vernunft zu erwecken; ich rief: »Julius, Julius, sei ein Mann!« – Ja, ich sprach das »Julius! Julius!« als wenn es die Standhaftigkeit spräche, aber das »sei ein Mann!« zerschmolz wieder in einen Seufzer der Liebe.

Aspermonte. Gießen Sie aus, gießen Sie aus, edler Jüngling, mein Herz ist Ihres Schmerzes würdig.

Julius. Und ihr göttliches Bild – ich sehe es immer in tausend Auftritten, in tausend Gestalten, wie sie jedem Alter seine Reize abborgte, freimütige Unschuld von der Kindheit, Interesse von der Jugend, und wie ihr die Liebe durch meinen ersten Kuß Schüchternheit gab. Und die heilige Miene ihres itzigen Standes – sonst kann er ihr nichts geben. Die Flamme der Religion hat schon ihr ganzes Wesen geläutert. Und wir kommen hier nur bis auf einen gewissen Strich – jenseits desselben werden Menschen Schwärmer, aber nicht Engel.

Aspermonte, denken Sie sich einmal die betende Blanca – Was, Sie stehen stille – die Idee haben Sie gewiß zum ersten Male, und Sie springen nicht auf wie ein Rasender?

Aspermonte. Sie sind mir überlegen, Prinz – so stark war nie eine Liebe. Sie haben recht, ich kenne nichts.

Julius. Sie wissen das Ärgste noch nicht – ich sahe noch einmal auf ihr Bildnis und dachte, was sie in dieser Nacht machte. Wie sie vielleicht über meine Untreue weinte und der Mond durch ihr kleines Fenster auf ihr Kruzifix und Breviarium schiene, ein Strahl fiele etwa auf mein Bildnis, und anstatt daß ich auf dem ihrigen Tränen sahe, sähe sie auf dem meinigen spöttisches Lachen. Die Hölle käme ihrer Einbildung zu Hülfe, und das Gewölbe des Kreuzganges schallte vom höllischen Hohngelächter wider –

Aspermonte. Die Vorstellung schickte Ihnen die Hölle.

Julius. Auch konnte die einfache unsterbliche Seele diese Vorstellung nicht tragen – ich verlor eine Zeitlang alle Empfindung, wie ich wieder dachte, war der erste Sturm der Leidenschaft vor diesmal vorbei. Die Periode der Entwürfe nahm schon ihren Anfang.

Wie ich im Vorsaale herumschwankte, hörte ich, daß meine Wache vor der Tür schnarchte. Ich habe nie einen Menschen so beneidet als diesen Trabanten. Wenn er auch liebt, so kann er doch schnarchen, dachte ich.

Ich habe ein Herz und bin ein Fürst – das ist mein Unglück – wie soll ich meinen Hunger nach Empfindungen stillen – mein Mädchen nimmt man mir – und kein Fürst hatte ja jemals einen Freund; ach, wer an der Brust eines Freundes lieget, vergesse doch im Glücke der Elenden nicht und weihe guten Fürsten zuweilen eine Zähre.

Diese Betrachtungen führten mich auf einen Entwurf: was hält dich ab, fiel mir bei, entführe sie und verbirg dich mit ihr in einem Winkel der Erde. Wirf deinen Purpur ab und laß ihn den ersten Narren aufnehmen, der ihn findet.

Nur über die Zeit, wenn dieses geschehen sollte, war ich nicht eins – zuweilen dachte ich, um meinem Vater Gram zu ersparen, bis auf eine gewisse Periode zu warten – Sie verstehen mich – aber meistens deuchte es mir bis morgen schon zu lange.

Die Morgenröte brach eben an, als ich so träumte, ich ging in den Garten und träumte noch so süß, als Sie mich antrafen.

Aspermonte. So bedaure ich es in der Tat, daß ich Sie störte.

Julius. Freund, so sehr ich von der Liebe taumle, so weiß ich doch noch so viel, daß ich taumle. Sie müssen mich leiten, Aspermonte. Raten Sie mir in Absicht meines Entwurfes – Aber lieben Sie mich auch wirklich?

Aspermonte. Die Frage, und was Sie vorhin sagten, beleidigt mich; haben Sie denn alles vergessen, daß ich mich Ihnen ganz widmete, weil ich Ihr Herz kannte und wußte, wie selten Fürsten Freunde haben, daß mir selbst der Zweifel aufstieß, ich schätzte vielleicht in Ihnen den Fürsten und nicht den Menschen – wissen Sie es denn nicht mehr, wie wir da ausmachten, ich sollte ganz unabhängig sein – Ihnen sogar insgeheim meinen Unterhalt an Ihrem Hofe bezahlen?

Julius (umarmt ihn). Verzeihen Sie dem Affekte; auch im Taumel der Liebe fragte mich Blanca: »Julius, liebst du mich?«

Aspermonte. Doch ich gebe Ihnen eine entscheidende Probe. Wenn Sie Ihren Entschluß ausführen und kein Fürst mehr sind, so folge ich Ihnen.

Julius. Also soll ich ihn ausführen?

Aspermonte. Prinz, bedenken Sie; Sie sind die Hoffnung eines Landes – die Pflicht für das Ganze –

Julius. Verschonen Sie mich mit Ihrer Philosophie – Philosophie für die Leidenschaften, Harmonie für den Tauben.

Aspermonte. So sei'n Sie doch wenigstens erst versichert, daß Ihr Entschluß ein Entschluß ist. Ein Traum warf Ihr voriges System um, ein neuer Traum kann Ihr itziges umwerfen; warten Sie wenigstens einen Monat.

Julius (umarmt ihn). Ich will warten, aber unterstützen Sie mich in dem Monat, unterstützen Sie mich.

Zweite Szene

Julius. Aspermonte. Guido.

Guido. Du läßt mich lange nach dir aussehen, und ich habe doch wichtige Dinge mit dir zu reden.

Julius. Um Verzeihung.

Guido. Bruder, der Ton, der unter uns herrscht, gefällt mir nicht. – Ich kann hassen; hassen wie ein Mann – Aber es gibt einen gewissen dumpfen Haß, da man nicht gestehn will, daß man sich nicht mehr liebt, den verabscheue ich – da machen sie denn ohne den Geist der Vertraulichkeit noch immer ihre Gebräuche und begegnen dem Körper der verstorbenen Freundschaft, als wenn sie noch lebte, führen ihn zu Tisch und zu Bette. Wahrhaftig, diese Freunde sind ein liebliches Bild, oben die Augen voll Groll und unten den Mund in einer so natürlich freundlichen Miene, als wenn hölzerne Muskeln am Draht gezogen wurden.

Julius. Laß uns davon aufhören!

Guido. Da triffst du einen neuen Charakter – Sie fürchten immer, im Gespräche zusammen auf den streitigen Punkt zu kommen, gehen immer hundert Meilen um ihn herum, reden eh'r von ostindischen Wundertieren als von sich. Aber ich will lieber einen frischen Schnitt durch das Geschwür, als daß es unter sich eitere.

Julius. Wenn nun aber kein Geschwür da wäre.

Guido. Bruder, du willst mir antworten. Gut, so laß mich erst reden. Du weißt meine Rechte auf Blancan – das vermindert sie nicht, daß mich mein Vater wegen unsers Streites über sie vor fünf Monaten in den candischen Krieg und sie ins Kloster schickte. Ich gebe meine Rechte nicht auf, das mußte ich dir nach meiner Rückkunft von neuem sagen.

Julius. Deine Rechte – –

Guido. Laß mich ausreden! Ich habe ihr eh'r als du meine Liebe angetragen, für einer großen Versammlung angetragen, in diesem ganzen Feldzuge selbst bei königlichen Mahlen sie meine Geliebte genannt – oft habe ich bei Turnieren die Weiber zischeln hören – »Guido von Tarent – und sie heißt Blanca«.

Wie ich im Sturme von Candia die Mauren erstieg, rief ich ihren Namen laut aus, und das ganze Heer rief ihn nach. Sieh, meine Ehre steht zum Pfande, aber ich will sie lösen.

Julius. Aber Blanca selbst –

Guido. Schweig davon, Bruder! Schönheit ist der natürliche Preis der Tapferkeit – und dabei haben die Weiber keine Stimme. Fragt man die Rose, ob sie dem, der Geruch hat, duften will? – Und wodurch hast du sie verdient? Glaube mir, wenn man dich wie ein liebekrankes Mädchen im Pomeranzenwalde irren sieht, man sollte dich eh'r für den Preis als den Kämpfer halten!

Julius. Bruder, du wirst unausstehlich beleidigend.

Guido. Gut, laß mir meine Rechte auf Blancan – und dann mache, was dir gefällt. Sei die Puppe eines erwachsenen Mädchens, komm wie eine zahme Wachtel, wenn sie pfeift, wehre ihr die Fliegen ab, wenn sie schläft – Sei empfindsam, pflücke Violen, freue dich, wenn die Sonne aufgeht, und wenn sie untergeht; laß deinen Aspermonte da unterdessen die Tarentiner regieren – was geht's dich an, ob sie glücklich sind oder nicht – Genug, du weißt dein Mädchen zu lieben, und Trotz sei jedem Sperling geboten!

Julius. Bruder, halt ein und laß dir sagen!

Guido. Und wenn du in ihrem Schoße stirbst, so laß dir dein Grabmal neben den Trophäen unsers tapfern Ahnherrn Theodorichs aufrichten – Laß es den Bildhauer mit Rosen und Weinreben zieren, ein paar schnäbelnde Tauben daraufsetzen, unten einen weinenden Amor und eine schlafende Geschichte – Aber vor allen Dingen laß ja darauf hauen: »Hie liegt ein Fürst von Tarent«; das kann seinen Nutzen haben, und wenn das Grabmal auch mitten in unserm Erbbegräbnisse stünde. Freilich –

Julius. Bruder, ich höre, du willst, ich soll gehen – ich gehe schon. (Ab.)

Dritte Szene

Guido. Aspermonte.

Guido (höhnisch). Der wird die Operation männlich aushalten! Kann er doch nicht einmal vertragen, daß man den Schaden sondiert. Die Wahrheit nicht hören wollen – hat der Weichling deswegen den Plato gelesen? Ich lobe mir meinen schlichten Menschenverstand. Handeln, Aspermonte, macht den Mann, und wenn es auf den Punkt kommt, so ist Ihre Philosophie tot, freilich mit hohen Sentenzen einbalsamiert, aber doch tot. (Aspermonte will gehen.) Bleiben Sie; diese Liebe zur Spekulation hat er von Ihnen. Und ob ich gleich nie in Ihren Fechtschulen mit Syllogismen gefochten habe, so will ich es Ihnen erweisen, erweisen will ich es Ihnen, Spekulation tötet den Mut. Hm! Sagten Sie eben etwas?

Aspermonte (kalt). Nein.

Guido. Weil ich doch eben im Zorne bin – und darin hat noch niemand wissend gelogen – was hat denn der Schmetterling für ein Recht, mein Nebenbuhler zu sein, woher wissen wir es, daß er Herz hat? hat er je ein Feldlager gesehn? Und wie ich es ihm sagte: Männliche Tapferkeit verdient allein die weibliche Schönheit! Warum hat sonst das Weib das tiefe Gefühl seiner Schwachheit und der Mann den Mut? Schon in der Natur des Weibes sehen wir so das Verdienst des Mannes bestimmt, und alle andre Verdienste, Resultate menschlicher Einrichtungen, können dies Gesetz der Natur nicht aufheben. Und er ist ein Weichling – Können Sie etwas zu meiner Widerlegung vorbringen?

Aspermonte (kalt). Nichts, gnädiger Herr.

Guido. Nichts? – Ich will Ihnen noch mehr sagen. Julius hat die Weichlichkeit zuerst in unser Haus eingeführt, aber er wird ein Herkules gegen seine Nachkommen sein; Weichlichkeit ist das einzige, worin es natürlicherweise der Schüler weiter bringt wie der Meister, und der letzte sinkt immer am tiefsten, wie der, der auf einen sumpfigen Boden zuletzt tritt; und auch das kommt mittelbar von Ihnen – von Ihnen, Aspermonte – Sind Sie stumm? Diese bloß angenommene Kälte verdrießt mich; verdiene ich nicht, daß Sie mit mir reden?

Aspermonte. Ich kann reden, Prinz, ich kann reden, aber Sie können itzt nicht hören.

Guido. Ha, Witzling, ich fühle die ganze Schwere dieser Beschimpfung. – Genugtuung! (Er zieht.) Ich bin als Fürst über Ihre Beleidigungen; aber ich will hier lieber Beleidigter als Fürst sein – ziehen Sie!

Aspermonte (kalt). Ich werde mich in Ihres Vaters Palast nie mit seinem Sohne schlagen.

Guido. Ziehen Sie, oder ich stoße Sie nieder!

Aspermonte (zieht, sie fechten, Aspermonte verteidigt sich nur). Sehen Sie, Prinz, ich schone Sie.

Guido. Mich schonen, mich schonen, entsetzlich! – das fordert meine ganze Rache. (Er ficht hitziger.)

(Der Erzbischof tritt auf und zwischen sie.)

Erzbischof. Guido, Guido, willst du deinen Vater zu seinem Geburtsfeste mit Degengeklirre wecken? (Zu Aspermonte.) Und Sie ziehen gegen Ihres Herrn Bruder?

Guido (zu Aspermonte). Es muß für diesmal genug sein – aber vergessen Sie nicht, nur für diesmal! (Zum Erzbischof.) Ich zwang ihn.

Aspermonte. Sie haben es gesehen, ich bin kein Weichling; – aber ein Beweis ist genug, ich werde Ihnen nie einen zweiten geben. (Ab.)


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