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VIII

Das Geheimnis des weißen Mannes – Die Mausefalle – Opfer des Goldes

 

Eine kleine Gruppe Diamantsucher hatte beschlossen, noch tiefer in die Wildnis einzudringen, um das Glück dort zu erproben, wo es noch niemand erprobte. Am nächsten Morgen in der Frühe wollten sie die fünf Mulas mit dem Gepäck beladen und einer hinter dem anderen auf seinem Reittier den schmalen Pfad entlangziehen, bis die letzte Hütte der Diamantsucher hinter ihnen blieb und sie sich den Weg durch die Wildnis bahnen mußten.

Tage und Tage würden sie so reiten, bis das auf der Karte nur mit einem weißen Fleck bezeichnete Gebiet, in das einige mutmaßliche Flüsse als dunkle Schlangenlinien eingezeichnet waren, erreicht war, unerforschtes Land, das noch keines Weißen Fuß betrat, der wieder zurückkehrte zu seinesgleichen …:

Die halbe Nacht bei hellem Mondschein wurde unter Lachen und Scherzen das nötige Gepäck gerichtet, eine gehobene Stimmung hatte sich aller bemächtigt, denn wenn sie auch mit den Tücken der Wildnis vertraute Männer waren, so waren sie sich doch des Wagnisses vollauf bewußt, das sie im Begriff standen, zu unternehmen.

Es waren außer Hans Mahr, dem Deutschen, ein Russe und drei Farbige. Jeder von ihnen besaß ein Trag- und ein Reittier, so daß sie insgesamt eine kleine Karawane bildeten. Lange vor Sonnenaufgang lagen die Packsättel bereit und für jedes Tragtier zwei Koffer aus ungegerbtem Leder, die zu beiden Seiten des Sattels befestigt werden sollten. Sie hatten ihren Besitz zusammengetan, so daß Arbeitsgeräte, Proviant und Munition jedes einzelnen nicht getrennt, sondern nach ihrer Eigenart zusammen verpackt worden waren. Dann wurden die Tiere gesattelt und erst im letzten Augenblick vor dem Abmarsch die geduldig wartenden Mulas mit dem schweren Gepäck beladen, denn das Tragtier ermüdet unter der Last beim Stehen viel stärker als im gleichmäßigen Dahinschreiten. Die Lasten durch Rinderhäute vor etwa fallendem Regen geschützt, machten sie sich auf ins Ungewisse …

Bald hatte der schmale, durch die Hufe der Pferde eingetretene Pfad ein Ende, und sie waren nur auf die kleine Nadel des Kompasses angewiesen, die ihnen die Richtung durch das spärlich bewaldete Gebiet weisen sollte.

Zwei Wochen vergingen im nimmermüden Reiten, tagsüber unter der glühenden Sonne und nachts in dem silberweißen Licht des Mondes, sich und den Tieren nur kurze Rast gönnend. Gelegentliche Jagdstreifen boten reichlich Nahrung, so daß sie die mitgeführten Vorräte wenig in Anspruch zu nehmen brauchten. Der Rio das Mortes, der Fluß des Todes, lag schon weit hinter ihnen, und in der Ferne sah man den Rio Culisehu. Eine starke Bewaldung zu ihrer Linken zeigte seinen Verlauf. Die Indianerstämme, die sie trafen, waren nicht bösartig, und auch unter Schlangen und Jaguaren hatten sie nicht sonderlich zu leiden.

So gelangten sie eines Mittags in eine Indianersiedlung. Es waren gutgewachsene Gestalten, die sich von Jagd und Fischfang, von Mais- und Mandiocabau ernährten. Neugierig umringten sie die kleine Karawane, all die seltsamen Sachen bestaunend und betastend, und die Ankömmlinge hatten alle Hände voll zu tun, ihre Habe vor den diebischen Griffen der Wilden zu schützen.

Mit Hilfe eines der Mestizen, der ihre Sprache ein wenig kannte, gelang es, sich mit ihnen zu verständigen. Das Gepäck wurde in den aufgeschlagenen Zelten untergebracht und einige Geschenke unter sie verteilt, was sie vollends zutraulich machte. Frauen und Kinder balgten sich im Sande um die ihnen zugeworfenen Glasperlen, und Hans Mahr und seine Gefährten erfreuten sich an dem geschmeidigen Spiel ihrer vollendeten Körper.

Als die Lagerfeuer lohten, hockte sich einer nach dem anderen der braunen Gestalten um sie. Die Unterhaltung kam jedoch nur langsam in Gang. Die Verständigung war nicht leicht, und die Reisenden waren müde, aber keiner dachte an Schlaf.

Hier, weitab jeglicher Zivilisation, inmitten von Menschen, deren Leben so unverständlich und fremd erschien, wie die ganze, unbegreifliche Wildnis ringsum, war es Hans Mahr, als träume er einen längst vergessenen Knabentraum von Indianern und seltsamen, fernen Ländern …:

Er sah die dunklen Gestalten unbeweglich im Kreise kauern oder zweifelnd die Köpfe wiegen, als Amilcar, der Mestize, ihnen jetzt von den großen Städten der Küste sprach und von dem Wasser, in dem die Sonne sich spiegelt, soweit das Auge reicht …: Ganze Häuser schwimmen auf ihm …: Und sie neigten wie in Beschämung das Haupt, als er von den schnellen Kanus sprach, die Vögeln gleich durch die Luft fliegen, von den Maschinen, die die Menschen für sich arbeiten lassen und den merkwürdigen Apparaten, die es ermöglichen, eine Stimme auf weitere Entfernung hin zu hören, als das Auge über den Kamp reicht, oder gar die eines längst Verstorbenen wieder aufleben zu lassen …: War es Beschämung über die Unwahrheiten, die diese Fremden, die reich waren an seltsamen Dingen aller Art, sprachen, oder fühlten sie in diesem Augenblick die engen Grenzen ihres Wissens und Könnens? …:

Als Amilcar geendet hatte, nahm der älteste von ihnen das Wort. Sonne und Regen hatten sein Haar gebleicht, doch das Auge war noch scharf und voll Spannkraft sein sehniger Körper.

»Du hast vieles erzählt …: Aber warum, o Fremder, brachtet ihr das Ding, aus dem die Stimme der Toten schallt, nicht mit euch? …«

So sprach der Alte, und die Gesichter ringsum schienen dunkler zu werden. Unbeweglich starrten die Indianer ins Feuer.

»Warum brachtet ihr auch nicht den Pfeil und Bogen mit, der wie der Himmel donnert und blitzt, wenn er sich mit Wolken bezieht und zornig ist? Ihr habt nur den Stock, aus dem Feuer springt, den alle hatten, die den Fluß hinab zu uns kamen …:«

Wer mochte diesen Menschen hier in der Wildnis von Kanonen erzählt haben? Es war schwer, ihnen zu erklären, daß das Gewicht dieser Waffen ihren Transport bis hierher unmöglich mache und es auch zwecklos wäre, sie mit sich zu führen. Sie blieben abwartend und verschlossen, und erst als Amilcar ihnen ein Fernglas zeigte und versprach, am nächsten Morgen Gegenstände, die in weiter Entfernung lagen, herbeizuziehen, daß sie deutlich erkennbar seien, wurden sie wieder freundlicher, und der Alte begann seinerseits zu erzählen.

»Schon viele Regenzeiten sind vergangen, daß ein weißer Mann zu uns kam. Kopf und Antlitz waren mit langen Haaren bedeckt, von der gleichen Farbe wie die Steine, die er mit sich führte, gelb und leuchtend. Sein Körper war von Wunden zerrissen, und seine Augen blickten, wie wir es nie gesehen hatten. Auch deine sind hell«, wandte er sich an Hans Mahr, der gleich den übrigen dem eintönigen Sprechen des Alten lauschte. Denen, die seine Rede nicht verstanden, floß sie mit den Stimmen der tropischen Nacht in ein Lied zusammen.

»… Auch deine sind hell, aber in denen des Mannes lag ein anderer Glanz. So blickst du nicht, und Orko nicht, der Häuptling, und niemand …:

Und er wußte, wie wir das Feuer nennen und den Wind und das Wasser im Fluß und konnte in unserer Sprache mit uns reden. Und als er sah, daß es ans Sterben ging, rief er Karía herbei, der damals Häuptling war, Orko, seinen Sohn, und mich und sagte, daß weit von hier, gen Mitternacht, dort, wo der Rio Xingú das vierte Mal seine Wasser in die Tiefe stürzen läßt und sie dann in großem Bogen nach rechts treibt, man ihn verlassen und nach links wandern müsse, immer geradeaus. Gewässer würden den Weg kreuzen, aber nicht ihrem Lauf solle man folgen, bis ein großes Wasser käme, jedoch kleiner als der Rio Xingú. Dem gehe man nach, solange der Blick geradeaus frei wäre. Später werden Berge ihn hemmen. Dann sei das Ziel auch nicht mehr weit …: Es ist ein langer Weg bis dahin, mehr als einmal wechselt der Mond. Wenig Wild ist in der Gegend, und der Tod lacht zwischen den Zweigen der Bäume. Aber wer es erreicht hat, das Ziel, wird Sand und Steine finden von der Farbe der Sonne, wie die Weißen sie suchen …:«

Er zog ein Stück Golderz hervor, es auf der flachen Hand in das Licht des Feuers haltend: »Eine große Menge Sand und Steine, aber um sie lauern Furcht und Verderben. Mit einer Anzahl seinesgleichen war der Fremde ausgezogen, nun kam er allein und als ein Sterbender zurück …: Wir sollten es den Weißen erzählen, die zu uns kämen …:

siehe Bildunterschrift

Indianer-Typen

siehe Bildunterschrift

Urwald-Philosoph

Viele Regenzeiten sind seither vergangen, Wolken verhüllten den Himmel, es war naß und kalt, bis wieder die Strahlende über uns war, die leuchtende Sonne. Karîa, der Häuptling, starb, und Orko, sein Sohn, ist alt. Meine Hand verlor an Sicherheit, und meine Augen blicken nicht mehr so scharf, tiefe Furchen gruben sich in mein Antlitz seit dem Tage, da der Fremde zu uns kam und – starb …:«

Amilcar hatte ihnen die Worte des Alten wiedergegeben. Nachdenklich betrachteten sie das Stück Golderz.

Wenn es Wahrheit war, was der Indianer erzählte, so hatten sie das Ziel ihrer Reise gefunden. Daß jene Fremden von der Wildnis bezwungen waren, schreckte sie nicht, fühlten sie sich doch jung und stark, um den Kampf mit jeglicher Gefahr zu bestehen.

*

Und so gaben sie ihre ursprüngliche Absicht, in der Indianersiedlung einige Tage zu verweilen, um den Tragtieren eine längere Rast zu gönnen, auf und setzten schon am nächsten Morgen ihren Marsch fort. Auch die Pferde waren jetzt mit Mandioca- und Maissäcken beladen, so daß sie alle hinter und neben den Tieren herschreiten mußten. Aber trotzdem kamen sie gut vorwärts. Die langen Märsche kann man ja nur im Schritt zurücklegen, und wer das Wandern gewohnt ist, wird nicht hinter den Tragtieren zurückbleiben.

Den waldigen Flußlauf des Rio Kuluene zur Rechten lassend, schritten sie dahin. Die Nächte, in denen stets einer von ihnen Wache hielt, verliefen ohne Störung, die Tiere, die jeden Tag ihre Portion Mais erhielten und sich nachts das Futter selbst suchen mußten, entfernten sich nicht weit vom Lager, und so erreichten sie nach Tagen ohne sonderliche Zwischenfälle den Rio Xingú.

Es war nicht leicht, das breite Wasser zu durchqueren, dessen flachste Stelle noch so tief war, daß es über die Rücken der Pferde hinwegging. Das Gepäck mußte abgeladen und auf den Schultern hinübergetragen werden, und sie wußten nicht, ob nicht giftiges Getier in den Fluten auf sie wartete …: Aber unversehrt kamen sie hinüber und konnten ihren Weg an seinem Ufer entlang fortsetzen.

Das war der größte Fluß, dem sie nach der Erzählung des Alten begegnen würden.

Und wieder vergingen Tage. Sie hatten aufgehört, sie zu zählen, und Hans Mahr schien es, als ob er immer so in der Wildnis gewandert wäre, hinter den unter ihrer Last schwer schreitenden Pferden her.

Immer einsamer wurde es um sie, immer weniger wurden die Stimmen der Tiere und seltener ihre Spuren in Sand und Geröll oder in den Sümpfen der Niederung. Die Sonne kam und ging, Tag wechselte mit Nacht, und immer war noch der erste Wasserfall nicht erreicht, von dem der Fremde den Indianern berichtet hatte.

Aber dann, eines Tages, hörten sie ein Rauschen und Brausen, und schäumend sprang der Fluß über die Steine …: War diese Stromschnelle jener Ort, wo der Fluß »seine Wasser zum ersten Mal in die Tiefe stürzen läßt«?

Voll Erwartung zogen sie weiter, und abends, als die Feuer ihre Zelte in rotes Licht tauchten und Menschen und Tiere sich zur Ruhe gelagert hatten, hörten sie in weiter Ferne abermals die Wasser rauschen.

Am nächsten Tage war die zweite Stromschnelle erreicht und wenige Stunden darauf die dritte.

Da wußten sie, daß sie auf dem richtigen Wege waren, aber wiederum vergingen Tage, und nichts störte die eintönige Stille des unter den glühenden Sonnenstrahlen ächzenden, spärlich bewaldeten Landes, Tage, einer wie der andere, eine drückende Folge, die kein Ende zu haben schien …: Nachts sahen sie die Scheibe des Mondes immer schmaler werden und schmaler und schlossen daraus, daß bald wieder ein Monat vergangen sein müsse, seit sie ihren Weg in die Wildnis nahmen.

Endlich hörten sie das Brüllen der Wasser, und ein herrliches Bild bot sich ihren entzückten Blicken.

Dort, wo die ruhig dahinziehende Breite des Flusses eine abschüssige Ebene bildete, gurgelten und quirlten die Fluten, bäumten sich auf, tanzten und sprangen, in allen Farben des Regenbogens im Sonnenlicht flimmernd und gleißend, um, wieder gebändigt, nur noch im leisen Drängen und Schieben ihren alten Lauf fortzusetzen.

Zum vierten Mal hatte der Fluß seine Wasser in die Tiefe stürzen lassen, das Ziel ihrer Wanderung konnte nicht mehr fern sein.

Schneller schritten sie fürbaß, ja Amilcar versuchte sogar die Strophe eines Liedes; sie verklang allerdings gleich wieder im mühseligen Dahinwandern in Hitze, Sand und Geröll.

Am dritten Tage hiernach erreichten sie einen Hügel, von dem aus man das Land weithin überschauen konnte, und sahen den Fluß in großem Bogen südöstlich wandern, statt seinen Weg gen Norden fortzusetzen. So weit das Auge reichte – nichts als Einöde und wolkenloser Himmel.

Am nächsten Morgen bogen sie vom Flusse nach links ab, wie der Indianer es ihnen gesagt hatte, und setzten ihren Marsch fort.

Man spricht davon, daß der Rio Xingú erforscht sei. Wohl mag K. von der Steinen zu Ende des vorigen Jahrhunderts dem Fluß und seiner nächsten Umgebung seine Geheimnisse entrissen haben, aber was die heiße, trockene Erde dahinter birgt, das blieb noch jedem Forscherauge verschlossen.

So war denn auch ihrer aller Erwartung aufs höchste gespannt.

Nach Überschreitung mehrerer kleiner Gewässer näherten sie sich jetzt einigen Hügeln.

Sollten sie dennoch eine falsche Richtung eingeschlagen haben, denn unmöglich konnte dies die erwähnte Bergkette sein. Die geringste Nichteinhaltung der vom Kompaß gewiesenen Richtung bedeutet ja schon nach Tagen des Marsches eine ungeheure Abweichung vom ursprünglichen Wege.

Aber sie brauchten keine Furcht vor dem Verirrtsein zu haben. Was spielen in der Wildnis, wo die Zeit nicht nach Stunden zergliedert wird, Wochen für eine Rolle?

Wie alltäglich wurde das Lager aufgeschlagen, und vier von ihnen begaben sich auf die Jagd. Als es Abend wurde und sich alle wieder zusammenfanden, hatte jedoch niemand etwas erlegt, jeder kehrte mit leeren Händen zurück, die meisten waren nicht einmal einem Lebewesen begegnet.

So aßen sie von den mitgeführten Vorräten und machten sich an die Untersuchung des sie umgebenden Gerölls, das schon reiche Spuren von Gold aufwies. Aber keinem von ihnen kam der Gedanke, hierzubleiben, das Geheimnis des »weißen Mannes« lockte und rief aus der Ferne.

In ungeheuren Mengen birgt die Erde dieser Welt das gelbe Metall in sich, das arm und reich in seinen starken Händen hält. Ein Edelmetall, dessen Preiswert nicht durch das Edle in ihm bestimmt wird, sondern durch die Mühen und Gefahren, die mit seiner Gewinnung verbunden sind. Viele ziehen hinaus auf seine Suche, aber nur wenige sind es, die wiederkehren. Die Schicksale der Kühnen, die erliegen, bleiben immer verborgen, von der Wildnis behütet.

*

Und wieder trafen sie auf einen Fluß, der auf keiner Karte zu finden war. Träge wälzte er seine Wasser dahin, im immer gleichbleibenden Wechsel von Tag und Nacht. Auch in seinem Bett war Gold in reicher Fülle vorhanden.

Fünf Tage am Ufer entlangwandernd, überquerten sie ihn am sechsten, immer geradeaus in der eingeschlagenen Richtung vorwärtsschreitend, bis sie endlich am Horizont eine Kette wild zerklüfteter Berge emporwachsen sahen. Vom ebenen Land, das, so weit das Auge reichte, sich im flimmernden Sonnenschein dehnte, hoben sie sich fast unwirklich ab, als hätte eine mutwillige Gigantenhand eine Anzahl Steine auf ein Sandfeld geworfen.

Schon waren sie bis auf weniges an sie herangekommen, nirgends jedoch war eine Spur zu entdecken, daß vor ihnen schon eines Menschen Fuß diese Gegend betrat. War es der Fall, wurde sie längst vom Regen verwaschen, von der Sonne zerstört.

An einer Stelle floß ein gelblich-graues Wasser, das schäumend über die Steine sprang, in jahrtausendealter Arbeit ihre scharfen Kanten polierend. Hier wurde das Lager errichtet, jedoch ein wenig von ihm entfernt, damit sein Rauschen nicht das Gehör betäube und sie den etwaigen Gefahren wehrlos ausliefere.

Es stellte sich aber bald heraus, daß das Wasser, das sie mittels der Leinwandeimer geholt hatten, seiner alkalischen Salze wegen ungenießbar war. So sahen sie sich nur auf den Fluß angewiesen, der einen Tagesritt entfernt lag. Das würde das Arbeiten ungemein erschweren, brauchte man doch zum Transport des Wassers zwei ganze Tage. Auch rochen die aus ungegerbtem Leder genähten Säcke, die sie zu diesem Zweck anfertigten, übel, und das Wasser war nur nach Überwindung eines heftigen Widerwillens zu genießen.

Die Erforschung des Gebirges sagte ihnen aber, daß sie nun wirklich am Ziele ihrer Wanderung angelangt seien, entdeckten sie doch die vermoderten Überreste einer Hütte, die vollends zusammenstürzten, als sie sie berührten.

Nicht weit davon gähnte in den zerklüfteten Felsen ein Spalt, der in das Innere der Berge zu führen schien.

Es war gefährlich, den Gang zu betreten, von dessen Wänden Steine prasselnd und polternd in das gelbbraune Wasser klatschten, das in handbreiter, trüb schillernder Schicht über dem Boden stand.

Bis über die Knöchel wateten sie langsam und vorsichtig den dunklen, schmalen Pfad entlang. Er war so eng, daß sie sich an vielen Stellen nur mit Mühe hindurchwinden konnten, und seine vielen Biegungen und überhängenden Felsblöcke ließen nur auf zwei bis drei Schritte erkennen, was vor ihnen lag. Doch dann standen sie in einer Art Talkessel, dessen steile, nach innen geneigten Wände senkrecht zum blauen, wolkenlosen Himmel emporragten.

Die Luft in diesem großen, grottenartigen Raum, dessen Boden mit feinem, rötlich-gelbem Sand, Geröll und Steinhaufen bedeckt war, roch nach Moder, aber seine Kühle wirkte erfrischend nach der übergroßen Hitze der monatelangen Reise. Was sie jedoch am meisten beglückte, war ein feiner Wasserstrahl, der aus einer dunklen Höhle rann und keine kaustischen Alkalien enthielt. Somit war die Frage der Wasserversorgung auch gelöst.

Die Untersuchung der Höhle sollte am nächsten Tage erfolgen, mittlerweile war die Zeit des Sonnenunterganges herangerückt.

So wurde das Gepäck hierher geschafft und das Lager in der Nähe des Wassers aufgeschlagen. Hier würden sie vor wilden Tieren geschützt sein, auch Schlangen hatten sie nirgends entdecken können.

Aber noch einen Fund machten sie: zwei menschliche Skelette, deren Knochen vom Wasser eine graugelbe Färbung angenommen hatten, auch einige verrostete Schnallen, Schaufeln und Hacken, ein Gewehr, ein Messer ohne Griff und andere zerbrochene Gegenstände, von Rost zerfressen, ein beredtes Zeugnis, daß vor ihnen schon Menschen hier tätig waren. Auch ihnen mochte dieser Talkessel als Lagerplatz geeignet erschienen sein, auch sie haben hier gearbeitet, haben gehofft und – sind gestorben. Was hatte ihren Tod verursacht? Die Knochen wiesen keinerlei gewaltsame Verletzungen auf, weder waren sie von wilden Tieren zerbrochen, noch von herabstürzenden Gesteinsmassen zerdrückt worden. Doch halt! An einem der Schädel – das kleine runde Loch. War das nicht der Einschuß einer Revolverkugel?

Welches Geheimnis war hier für immer zum Schweigen gekommen?

Doch fort mit dem Grübeln um Vergangenes, längst Totes! Heute herrschen die Lebenden.

Gleißte es dort nicht zwischen den Steinen, über die ihr Fuß achtlos geschritten war?

Sie scharrten und gruben, und dann lag es vor ihnen: Gold, Goldsand und Erze, viele Kilo, ein Reichtum, wie sie ihn nie zu finden erwartet hatten. Die Ausbeute jener, deren fleißige Hände diese Schätze gehäuft hatten, und an denen sie nun niemals mehr Anteil haben werden.

Keines Wortes mächtig, standen die fünf und starrten das gelbe Metall an, das hier, fern allem menschlichen Hasten und Treiben, lag und leuchtete. Ihre Augen glänzten, ihre Pulse flogen, es war wie ein Rausch über sie gekommen.

In gehobener Stimmung, nach den langen Wochen der Ungewißheit und Strapazen fast in Ekstase, wurden die Lasten untergebracht, das Lager errichtet und die Hängematten mit Stricken an Feldblöcken befestigt. Und wieder ging es durch den engen Gang ins Freie, um Feuerholz zu sammeln, das unweit des Lagers an erhöhter Stelle übereinandergeschichtet wurde, stets aufs neue aber kehrte ihr Blick zu jener Vertiefung zurück, darin sie den Schatz wußten.

Gold …:, Gold und Gold!

Es lockte und gleißte und gaukelte ihnen die schönsten Bilder vor die vom Flimmern des unbarmherzigen Sonnenlichtes ermüdeten Augen, verschloß ihr Denken und Fühlen vor dem warnenden Mahner, den Zeichen des Todes ringsum. Das Goldfieber, dieses gefährlichste aller Fieber, hatte sie gepackt und ließ sie nicht mehr …:

Bald loderte das Feuer, und aus den Vorräten wurde das Mahl gerichtet. Die Tragtiere, die am Eingang zum Talkessel im Freien belassen werden mußten, zeigten weder Unruhe noch Furcht, so daß anzunehmen war, daß ihnen keinerlei Gefahr drohte. Selbst wenn eines in dieser ersten Nacht vom Jaguar geschlagen werden sollte, würden sie seinen Verlust verschmerzen können und für die anderen dann die notwendigen Vorsichtsmaßregeln treffen.

Die Nacht verlief ruhig. Kein Todesschrei oder sonstwie verdächtiges Geräusch war zu hören. Vom tiefschwarzen Himmel sahen sie die Sterne zu ihnen in den finsteren Schacht hinabschauen. Er mochte vor Zeiten eine Felsengrotte gewesen sein, dessen gewölbte Decke den Witterungseinflüssen nicht hatte trotzen können und eingestürzt war, Luft und Licht Zutritt in die unterirdische Welt gestattend. Das Feuer brannte still und gleichmäßig, leise knisternd, wenn sie ihm neue Nahrung gaben, kein Laut störte die nächtliche Stille, außer dem entfernt und dumpf klingenden Schnauben der Pferde oder dem gelegentlichen Poltern eines herabfallenden Steines.

*

Am nächsten Tage machten sie sich an die weitere Erforschung ihres neuen Aufenthaltsortes.

In die Höhle eindringend, befanden sie sich in einer halbdunklen, kleinen Grotte, die durch einen schmalen, senkrechten Spalt nur spärlich erleuchtet wurde. Hier trug alles die Zeichen menschlicher Arbeit: verrostete Werkzeuge, die der Zahn der Zeit noch nicht ganz zu zerstören vermocht hatte, bedeckten den feuchten, mit großen Pfützen durchsetzten Boden.

Sie begannen sofort mit der Arbeit.

In der Nähe des Lagers wurde eine etwa sechzig Quadratmeter tiefe Grube gegraben und das Wasser dahin umgeleitet, um auf diese Weise ein Bassin zum Waschen des Goldes zu erhalten. Hierauf schritten sie an das Brechen des Gesteins.

Es war dies eine schwere und gefahrvolle Arbeit mit den unzulänglichen Werkzeugen und in der ständigen Gefahr, von den herabstürzenden Gesteinsmassen erschlagen zu werden. Aber die Ausbeute an Gold war sehr groß. Tagtäglich konnten sie neue Schätze zu dem kostbaren Funde häufen, der ihrer wartend hier gelegen hatte.

So arbeiteten sie, nichts anderem hingegeben als dem Herrn dieses Berges, dem Gold, bis sie eines Tages entdeckten, daß sämtliches Fleisch ihrer Vorräte verzehrt war.

Nur widerstrebend unterbrachen zwei von ihnen die Arbeit und verließen den Talkessel, um sich auf die Jagd zu begeben. Aber mit leeren Händen kehrten sie zurück. Einsam, ohne das Zeichen eines Lebens, hatte die weite Ebene im glühenden Sonnenlicht vor ihnen gelegen, verbrannt und verdorrt.

Wozu jedoch brauchten sie die vielen Tragtiere, deren Fütterung bei der spärlichen Vegetation ohnehin immer schwieriger werden mußte? Es würden ihrer noch genug übrigbleiben, um den Goldvorrat zum Leben und zu den Menschen zurückzutragen. Sie brauchten ja das Arbeitsgerät nicht mitzunehmen, auch der Proviant, der jetzt in vielen stattlichen Säcken und Ballen einen Teil des Lagers füllte, würde dann erheblich zusammengeschmolzen sein.

So schlachteten sie eines der Pferde und arbeiteten weiter.

Nach dem ersten folgte das zweite. Jetzt versuchten sie es gar nicht mehr, einen ganzen Tag durch die Jagdstreife zu riskieren; sie arbeiteten, häuften das kostbare Metall, eingesponnen in einen eigenartigen Zustand des Rausches, der jede klare Überlegung trübte, der alles, was nicht Gold war, unwichtig und nebensächlich erscheinen ließ.

Wie viele Tage waren vergangen, seit sie in diese unterirdische Welt eingedrungen waren, darin nur das Edelmetall Daseinsberechtigung zu haben schien? Oder zogen schon Monate ins Land? …: Sie wußten es nicht. Sie wußten nur, daß hier ungeheure Schätze ihrer im dunklen Schoß der Erde harrten.

Das dritte Pferd war schon zur Hälfte verzehrt worden, als es eines Tages zu regnen begann.

Lachend schlugen sie das Zelt, von dessen spitzem Dach das Wasser in Strömen rann, an einer geschützteren Stelle auf und bedeckten Proviant, Feuerholz und Munition mit Rinderhäuten. In ihrer Arbeit wollten sie sich nicht stören lassen!

Aber es kam anders.

Im Zustand des Goldfiebers, der sie längst alle Zeitrechnung verlieren ließ und gleichgültig den sie umgebenden Dingen gegenüber machte, mit Ausnahme des Einen, alles und alle Beherrschenden, hatten sie nicht bedacht, daß es die Regenzeit war, die hereinbrach. Nur selten, in den Morgenstunden, drang ein Sonnenstrahl in ihre unwirtliche Behausung, und schon stürzten wieder Wassermassen von dem grau verhängten Himmel.

Und eines Abends gewahrten sie etwas, das sie vor Schreck erstarren ließ.

Aus einer Felsenspalte brach mit donnerähnlichem Getöse ein Wasserstrahl hervor und wälzte sich, ein graugelber, schmutziger Strom, durch den schmalen Gang, der ihre einzige Verbindung mit der Außenwelt darstellte, Steine und Geröll im Wirbel mit sich führend.

Entsetzt stürzten sie dem Ausgang zu. Aber das Wasser war schon zu hoch und zu reißend, als daß sie es wagen konnten, noch hindurchzudringen.

Gefangen waren sie wie die Mäuse im Loch, um elend in den Fluten zu ersaufen oder dem bleichen Gespenst des Hungers zum Opfer zu fallen.

Aber noch war es nicht so weit, noch besaßen sie Vorräte in Mengen, denn das Lager, das auf einem erhöhten Felsblock stand, war von den Wassermassen nicht berührt worden. Und einmal werden sie ja auch wieder fallen, der Regen wird aufhören und die Sonne abermals scheinen.

Aber das Wasser stieg und stieg.

Nun war es nur noch wenige Meter von ihnen entfernt. Sie hörten es um sich plätschern, und große Steine stürzten unter der Wucht des Regens polternd in die Tiefe, daß es wild nach allen Seiten hin aufspritzte.

Unbarmherzig, stumm und grausam ragten die steilen Felswände um das Häuflein der Eingeschlossenen, die tatenlos im stumpfen Dahinbrüten nichts anderes tun konnten als warten auf der kleinen von Wasser umgebenen Insel.

Und wie die Tage einer nach dem anderen verstrichen, verschwanden die Säcke und Ballen an Proviant, der ihnen anfangs schier unerschöpflich erschienen war. Schon längst hatten sie begonnen, die noch verbliebenen Nahrungsmittel in Rationen einzuteilen, und mit Besorgnis sahen sie den Vorrat an Brennmaterial immer kleiner und kleiner werden. Was sollten sie trinken, wenn das alkalisch durchsetzte Regenwasser, das in rohem Zustande ungenießbar war, nicht mehr abgekocht werden konnte? Nachts machten sie kein Feuer mehr, im Finstern die langen Stunden dahinschleichen lassend, um das ausgebrannte Lagerfeuer sitzend, auf das Strömen des Regens und die wirbelnden Wassermassen lauschend. Am Morgen kochten sie einige Töpfe Bohnen und Reis, die ersteren mit Steinen zerstoßen, um das kostbare Brennmaterial zu sparen. So verbrachten sie einen Tag wie den anderen, eine Nacht wie die andere, und nur das Gold um sie glitzerte und lachte und quälte sie mit seiner Schönheit …:

Und wieder war es Abend geworden. Über der ausgebrannten Feuerstelle hingen die geleerten Töpfe. Hin und wieder bröckelte ein Stein von den Wänden und rollte ins Wasser. Der Regen hatte aufgehört, er peitschte nicht mehr die gurgelnden Fluten, klatschte nicht mehr auf die Steinplatten ringsum.

Stunde um Stunde verging. Keiner dachte an Schlaf, voll banger Hoffnung in die Nacht lauschend. War der Regen vorüber? Nahte endlich Rettung?

Und als der Morgen kam, sahen sie voll unbeschreiblichen Entzückens einen wolkenlosen Himmel über sich blauen, von den Strahlen der aufgehenden Sonne purpurn und leuchtend durchzogen.

Trunken von Freude tanzten sie und sprangen, frohe Schreie ausstoßend, ergriffen Hände voll Gold, küßten es, jauchzten und lachten.

Wohl hatte der Regen aufgehört, das Wasser jedoch, das ihr Gefängnis und dessen Zugang füllte, ging nicht zurück. Immer wieder würgte der Spalt neue Fluten hervor, die quirlend gegen ihre Insel brandeten. Wer weiß, aus welchen geheimnisvollen Tiefen er sie emporschleuderte ans Tageslicht? Und als gar in der vierten Nacht die Sterne abermals verschwanden und große Tropfen von neuem zu fallen begannen, stürzte sich João, der Mulatte, mit lautem Schrei in die wirbelnde Flut.

Entsetzt waren die vier, die in stumpfer Ergebenheit auf ihrem Lager gekauert hatten, aufgesprungen, voll Grauen ins Dunkel starrend, aus dem das Brausen der Wasser schallte.

Am nächsten Tage war ihr Vorrat an Brennmaterial zu Ende. Die ungekochten Bohnen konnten sie nicht genießen, aber den Reis aßen sie und das gesalzene Pferdefleisch. Schmutzig, verwahrlost, von Durst und Hunger geplagt, hockten sie um die ausgebrannte Feuerstelle und starrten stumpf vor sich hin, wie wilde, seltsame Tiere im Dämmern der Höhle.

Und dann hatten sie nichts mehr zu essen.

Stöhnend wälzten sich die Farbigen auf den nassen Steinen, das Gold und ihr Schicksal verwünschend.

»Du edles Metall,« höhnte Amilcar, »edel, weil du von denen, die dir dienen, das Leben forderst. Und doch bist du ein Nichts. Ein Reiskorn ist mehr wert als hier der faustgroße Brocken.«

Er lag, das Gesicht an das gleißende Metall gepreßt, den flimmernden Staub unter irrem Lachen sich auf Kopf und Hände streuend.

»Verflucht sollst du sein! Verflucht mit deinem Glanz und deiner leuchtenden Schönheit, die den Tod birgt …:!«

Der Russe saß zusammengesunken und schien weit fort zu sein, in den Wäldern seiner Heimat. Dann hob er langsam den Kopf und fragte: »Wie lange werden wir noch die Qual dieses Lebens tragen müssen?«, und als Hans Mahr müde aufschaute, mit einem Blick auf die jammernden zwei: »Wir dürfen nicht als erste gehen …«

Und wieder starrten sie vor sich hin, sannen der Frage nach und hörten wie aus weiter Ferne das Fluchen und Stöhnen ihrer farbigen Gefährten.

Als es Abend wurde, fand auch Amilcar seinen Tod in den Wellen.

Winselnd kam der zweite Mestize, ein Jüngling von neunzehn Jahren, zu den beiden Europäern gekrochen: »Erschießt mich,« flehte er, »nur macht ein Ende der Qual …:«

Unaufhaltsam und eintönig rauschte der Regen, gurgelte das Wasser und plätscherte, wenn es an ihrem kleinen Felseneiland zerschellte, von Finsternis umhüllt.

Als es Morgen wurde, waren die beiden Weißen allein.

*

Und abermals kam eine Nacht.

»Hans, lebst du noch?« kaum hörbar flüsterte es der Russe. »Laß auch uns fortgehen aus dieser Hölle …«

»Bleibe!« wollte Hans Mahr rufen und röchelte nur … Groß war ihre Not, aber schlimmer noch würde es sein, die Einsamkeit zu ertragen.

Und aus dem Grauen der finsteren Nacht, des langsamen, qualvollen Sterbens, hörte er die Stimme seines Kameraden in Verzweiflung und Todesnot: »… Hans, ach Hans …: ich kann nicht mehr …: Verzeihe mir, daß ich dich allein lasse, aber schon spüre ich die Fänge des Wahnsinns, sie krallen sich ins Fleisch, ins Gehirn …: Laß mich fliehen, fliehen, ehe es zu spät ist …:«

Ein Schuß, hundertfach donnernd zurückgeworfen von den Felswänden ringsum, zerriß mit seinem Feuerstrahl für eine Sekunde das Dunkel und verstummte.

Wieder war nur das Murmeln der Wasser in der sternenlosen Nacht …:

»Nun bin ich der Letzte«, dachte Hans Mahr, doch das Gehirn konnte den Gedanken nicht recht fassen. »Muß nicht einer der Letzte sein …:?« Die Erwartung des Todes schreckte ihn nicht mehr.

*

In dieser Nacht hatte der Regen aufgehört, und der Tag brachte leuchtenden Sonnenschein, in dessen frohem Licht er die Leiche seines Freundes neben sich auf dem Golde liegen sah. Und dann, in dieser Hölle, in der von den steilen Wänden eingeschlossen das dunkle Wasser quirlte und brauste und sich verzweifelt den Ausgang zu erkämpfen suchte, um sich blickend, begriff er mit einem Male das ganze furchtbare Entsetzen seiner Einsamkeit, und Grauen stürzte sich hohnlachend über ihn. Ihm war, als tanzten die Wände um ihn, als wüchsen sie, würden höher, immer höher, würden ihn erdrücken, ersticken. Da schrie er wild, wie ein Tier, unter Aufbietung der letzten Kraft, ohne Sinn und Verstand, in den Krallen einer entsetzlichen Furcht.

Auf den feuchten Steinen, die Hände in das Gold verkrallt, lag er, und sein irrer Blick traf den leuchtenden Ausschnitt des Himmels, von dem es in hellem Blau herniederstrahlte in sein düsteres Grab. Winkte nicht dort oben im Lichte unendliche Freiheit, Losgelöstsein von aller irdischen Qual des Grauens und der Nacht? Nur ein Weniges noch, und auch er hat alles Elend überwunden, wird frei sein von allem, was ihn peinigt …: Und eine tiefe Ruhe rann wohltuend durch seine Glieder, bequemer streckte er sich auf dem harten Lager aus, und bleierner, Bewußtlosigkeit ähnlicher Schlaf senkte sich barmherzig über ihn.

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Er wußte nicht, wie lange er in diesem Zustand gelegen hatte, beim Erwachen jedoch sah er, daß das Wasser einen Meter gefallen war. Und als der Tag älter wurde, konnte er, sich an den Steinwänden entlangtastend, in ständiger Gefahr, von dem noch immer wild strudelnden Wasser zu Boden gerissen zu werden, den Gang passieren.

siehe Bildunterschrift

Der Verfasser mit einer erbeuteten Schlange

Er war der Hölle des Grabes entronnen!

Gierig sich über das junge Gras stürzend, verzehrte er die spärlichen Halme, die am Felseneingang sproßten. Dann gelang es ihm, eines der halb verwilderten Tragtiere zu schießen. Aber sein der Nahrung entwöhnter Magen weigerte sich unter Krämpfen, die schwere Kost aufzunehmen. Drei Tage aß er nur in kleinsten Mengen, kaute stundenlang, in kleinen Schlucken das gekochte Wasser trinkend, bis er sich wieder soweit gekräftigt fühlte, daß er ohne Stütze gehen konnte. Er kochte von den Bohnen und machte sich nach einigen weiteren Tagen daran, alles Nötige für den Abmarsch vorzubereiten.

Es war schwer, die verwilderten Tragtiere zu fangen, aber schließlich gelang es doch, dreier von ihnen habhaft zu werden. Eins belud er mit Gold. Wenn es auch lange nicht alles war, was hier an Schätzen aufgehäuft lag, so suchte er wenigstens die kostbarsten Stücke heraus, sie sorgsam zu beiden Seiten des Packsattels in Bündel verschnürend. Das zweite sollte den Proviant tragen, den Rest der noch übriggebliebenen Bohnen und die dünnen, gesalzenen Streifen des Pferdefleisches, das er in der Sonne gedörrt hatte. Auch Munition vergaß er nicht.

So ritt er eines Morgens, von den zwei Tragtieren begleitet, den Weg zurück, den er vor Monaten mit den vier Gefährten gekommen war.

Nun war er ohne sie. Aber die Wildnis schreckte ihn nicht. Was bedeuteten ihre Gefahren nach den entsetzlichen Wochen des Lebendig-Begrabenseins im dunklen Reiche des Todes? Nachts schlief er in seiner Hängematte, unbekümmert, ob das Feuer erloschen war oder nicht, und tagsüber ritt er, gleichmäßig und müde, den Tieren nur wenig Erholung gönnend, vorwärtsgetrieben von dem einen Wunsche, dem Instinkt des Lebenwollens.

Aber dann war der Proviant zu Ende. Wild sah er keines, auch besaß er nur wenige Patronen. So mußte er sich schweren Herzens dazu entschließen, eines der Tragtiere zu schlachten. Die ganze Bitterkeit eines solchen Entschlusses, seinen treuen Kameraden in Not und Gefahr zu opfern, mag nur derjenige ermessen, der eine Reise durch die Wildnis mit ihrer Einsamkeit und unerbittlichen Strenge kennt. Der Lebenswille jedoch siegte über das Herz. –

Nun blieben nur noch zwei Tiere übrig, und dann …: nur das eine.

Es fühlte, daß der Mensch als unbarmherziger Gebieter über sein Leben verfügte, und seine scheuen Blicke schnitten Hans Mahr ins Herz.

Längst schon hatte er das meiste des Goldes abgeworfen. Einen Sack nur lud er neben dem Fleisch auf das eine ihm verbliebene Pferd, selbst zu Fuß hinter ihm herschreitend. Nur langsam und stolpernd kam das Tier unter der schweren Last vorwärts. Es mochte auch durch die Strapazen und Entbehrungen krank sein. Hans Mahr fand es eines Morgens verendet im Busch, wohin es sich vor den Schwärmen der Fliegen und Moskitos zurückgezogen hatte.

Jetzt war er ganz allein, das letzte Lebewesen, das ihn noch mit der Welt der Menschen verbunden hatte, war von ihm gegangen.

Den Proviant, die Hängematte und die notwendigsten Waffen und Patronen lud er auf seine Schultern, nahm eine Handvoll Gold in die Tasche und wanderte müde und gleichgültig weiter, gen Süden, bis er eines Tages auf Indianer stieß.

Er durfte leben bleiben, die Wildnis und der Geist des Goldes hatten seinen Tod nicht gewollt. –

So kehrte er als ein Kranker zurück zu den Menschen, zurück nach Europa, das ihm einst zu eng geworden war, ein an Leib und Seele gebrochener Mann, der von dem Geschehenen nicht sprechen mag. Nur selten zeigt er die Handvoll Gold denen, die ihm nahe sind. Aber ihrer sind wenige. –

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Im Frühjahr 1929 wird ein weiteres Buch vom Verfasser des vorliegenden Werkes erscheinen. Darinnen wird er über seine Beobachtungen und Erlebnisse auf der neuen Brasilienreise berichten.

 


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