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VI

Der Kreis des Todes – Von den Fluten verschlungen – Unter Kannibalen

 

Alles war vernichtet, alles verloren. Das Garimpo instandzusetzen, würde Monate harter Arbeit kosten; auch die Geräte und Werkzeuge fielen der Rache Antonios zum Opfer. Und da er nicht mehr genügend Geldmittel besaß, um andere zu beschaffen, beschloß Hans Mahr, sich abermals einer Gruppe Diamantsucher anzuschließen, die für einen arbeiteten, der glücklicher gewesen war als sie, bis er soviel erspart haben würde, um von neuem selbständig werden zu können. Die Schätze des verlassenen Garimpos gaben ihm keine Ruhe.

Wohl war es nicht leicht, wieder von vorn zu beginnen, sich damit abfinden zu müssen, daß der Traum von Selbständigkeit und Reichtum zerrann, aber der Wille zu siegen und der Wunsch, ihn einmal dennoch verwirklicht zu sehen, erlangten die Oberhand und ließen ihn mit neuen Hoffnungen an die Arbeit gehen.

Wie vielen hatte das Schicksal alles zerstört, sie immer wieder zurückwerfend, wenn sie wähnten, das Glück binnen kurzem in den Händen zu halten! Diejenigen, die zu schwach waren und nicht immer wieder den Mut zu neuer Hoffnung aufbringen konnten, wurden unbarmherzig zermalmt, und nur die Starken siegten früher oder später oder konnten doch wenigstens ihr Dasein fristen …:

Eines Tages, sie saßen beim Mittagsmahl, erzählte einer, daß im benachbarten Garimpo ein Mann eingetroffen wäre, der von merkwürdigen Dingen rede und krank sei. Nur mit Mühe hätte er sich dahergeschleppt, nackt und mit Schwielen und Narben bedeckt. Langes, ergrautes Haar hänge ihm in Strähnen in das aschfahle Gesicht, aus dem die eingesunkenen Augen im Fieber brennen. Vieles wisse er zu berichten, was noch niemand gehört habe.

Dies war es, was Hans Mahr bewogen hatte, die nassen Lumpen der Arbeitskleidung für den Nachmittag in die Sonne zu breiten und auf seinem »Braunen« in der Richtung des benachbarten Garimpos hinzusprengen.

Es war Abend, als er daselbst eintraf.

Schon von weitem sah er die Garimpeiros um einen hochgewachsenen, breitschultrigen Mann versammelt; Fieber schüttelte ihn, und die Augen glänzten in eigentümlichem Feuer, fast dünkte es Hans Mahr dasjenige des Irrsinns zu sein.

»… Die weißen Kreideküsten Irlands sind meine Heimat. Es ist lange her, daß ich sie zum letzten Male sah. Weit bin ich gewandert, habe viel gesehen, viel gehört. Es mögen fünf Jahre her sein, es mögen auch zehn sein, daß ich mit einer Anzahl Gleichgesinnter den Weg den Amazonasstrom hinauf nahm. Längst gab ich es auf, die Jahre zu zählen …:«

Seine große, hagere Figur schwankte beim Sprechen im Takt mit den eintönigen Worten. Sein Mund mit den dünnen Lippen über den breiten, gelben Zähnen ähnelte demjenigen eines Affen. Der lange Aufenthalt in der Wildnis hatte ihm etwas Tierhaftes verliehen, er war vertraut mit ihr, als ob er in ihr geboren und aufgewachsen wäre. Durch die Lumpen, mit denen die Garimpeiros seine Blöße bedeckt hatten, schimmerte die braune Haut. Sie war hart wie Leder, daß er gleich den Indianern durch die stachligen Büsche kriechen konnte, ohne sich an ihren Dornen zu verletzen. Auch die lästigen Moskitos schienen ihm nichts anhaben zu können. Die Bißstellen schwollen bei ihm nicht mehr an, und seine Füße mit den stark ausgebildeten, großen Zehen waren rauh und hart wie bei einem Tier. Schon lange mochten sie keine Schuhe getragen haben.

»… Viele Jahre sind es her, daß ich mich einer Expedition anschloß, die den Amazonas hinauffuhr. Ich bin Mechaniker, und sie nahmen mich gern mit …:«

Er verstummte wieder. Es war, als ob er sich sammeln wollte, sich besinnen müsse.

Jetzt, wo Hunger und Durst gestillt waren, brannte nur noch das Fieber und trieb ihn, daß er reden mußte. Und immer von neuem überflutete ihn die Freude, unter Menschen zu sein, sich gerettet zu wissen, daß seine zitternden Hände in heißer Dankbarkeit nach den Nachbarn griffen.

Mit ernsten, harten Gesichtern saß der Kreis der Garimpeiros um ihn.

»… Lange irrte ich durch die Wildnis, selbst ein Teil von ihr, ein wildes Tier …: Ach, Menschen sind jetzt um mich! Lebende Menschen und nicht Ausgeburten meines Hirns, wie sie so oft neben mir herschritten im feuchten Dämmern des Waldes, wo, Sendboten der Hölle gleich, Orchideen und Lianen im Laubwerk flammten und fremdartige, buntschillernde Falter wie Irrlichter flatterten im grünen Gewirr, darin Fieber brauten und Tod lauerte …:«

Er griff sich an die Stirn, die Augen wurden groß und starr.

»… Ich habe ihn gesehen! …: Ich sah …: Nie glaubte ich früher, daß so etwas möglich wäre …: Vielgestaltig ist alles an den geheimnisvollen Wassern, leuchtend, schön und giftig, grauenvoll und wie Feuer brennend wie das Glas Cachaça, das ihr mir reichtet, Freunde. Du trinkst es, neuer Lebensmut durchströmt dich, um dich später desto tiefer hinabzuschleudern ins Nichts …:«

Erschöpft sank er zurück. Große Schweißtropfen perlten ihm auf der Stirn, und sein Gesicht wurde fahl, wie das eines Toten. Sie schoben ihm ein Kissen unter den Kopf. Unter den rauhen Decken flog sein Körper, von Fieberschauern geschüttelt.

Aber bald ließ der Anfall wieder nach. Der Frost, der ihn beben gemacht hatte, war Hitze gewichen, und mit hektisch-roten Flecken auf den eingefallenen Wangen begann er von neuem zu reden, schnell und sich überstürzend, als fürchte er, das Ende seiner Erzählung nicht mehr zu erleben.

»Ich war ein junger Bursche von fünfundzwanzig Jahren. Matrosen, die in unser Städtchen kamen, wußten von fernen Ländern Märchenhaftes zu berichten. Von Brasilien sprachen sie, das noch unerforschte Geheimnisse berge, wo Diamanten und Gold scheffelweise in der Erde lägen …: Ja, die Erde birgt hier wohl ungeheuere Schätze, aber sie behütet sie geizig in ihrem dunklen Schoß, und es ist schwer, sie ihr zu entreißen. Davon sprachen sie nicht …: Sie spotteten im Gegenteil der Gefahren und lachten, ihrer Kraft bewußt, des Sieges sicher. Die Gefahren, mit denen man kämpfen kann, von Mann zu Mann, sie sind auch nicht unsere ärgsten Feinde. Die Krankheiten sind es, die schleichenden Gifte, der Regen, die Hitze und die im Pesthauche des tropischen Waldes atmenden Insekten und das Gewürm. Sie müssen wir fürchten.

So zog ich denn aus über das Wasser …:

Wir waren unser sechs. Mit Waffen, Munition und derbem Schuhwerk gut ausgerüstet, glaubten wir wohlgemut der Zukunft entgegengehen zu können und trugen doch schon den Keim des Unterganges zu Beginn unserer Wanderung mit uns. An Hängematten und die unentbehrlichen Moskitonetze hatten wir nicht gedacht, auch Chinin gegen das Fieber führten wir in viel zu kleiner Menge mit uns.

Unter der Last der Munition keuchend, dessen großes Quantum hier, wo es keine Kämpfe zu bestehen gab, vollkommen unnütz war, schritten wir fürbaß. Unser Ziel war das Amazonasgebiet, wo, wie man erzählte, große Schätze an Gold zu finden sein sollten.

Wir erreichten es auch ohne Schwierigkeiten.

Majestätisch wälzt der Strom der Ströme seine Fluten durch ausgedehnte Landstrecken, bis das alles verschlingende Meer auch ihn aufnimmt. Auf seinen Wassern ihn hinabschwimmend, sieht man die Ufer immer weiter zurücktreten, bis sie ganz in der Ferne verdämmern, daß der Strom selbst wie ein Meer erscheint, und man steht erstaunt, die Erde hier, soweit das Auge reicht, durchschnitten zu sehen, geteilt in zwei Hälften. Nähert man sich aber den Ufern, bietet sich den entzückten Blicken ein seltenes Bild üppigster, tropischer Vegetation. Seltsam geformte Blüten hängen gleich fremdartigen Fabelwesen, den leuchtenden Riesenfaltern gleich, die selbst wie vom Winde bewegte Blumen, schwer und träge, in der von Wünschen und Lebensgier schwangeren Luft einhergaukeln. Tief, bis in das dunkle Wasser lassen die Schlingpflanzen ihre suchenden Arme hängen, und Orchideen brennen im Grün des Waldes.

Wir hatten uns zwei Boote gebaut und ruderten die Strömung aufwärts. Unsere, dieser Arbeit ungewohnten Hände bedeckten sich bald mit Blasen, die uns stark behinderten. Ihr werdet lachen: Blasen! Und doch sind es lauter Kleinigkeiten, die in Europa lächerlich erscheinen, die aber hier oft das Leben fordern.

Unter Schlangen hatten wir nicht zu leiden, wenn wir ihrer auch viele ansichtig wurden. Wir waren durch unsere derbe Kleidung gut geschützt, auch greifen sie die Menschen, falls sie in Ruhe gelassen und nicht erschreckt werden, nur selten an. Ebenso waren es nicht die Krokodile, die wir faul und träge im Uferschlamm liegen oder deren Schuppenpanzer wir bei Annäherung der Boote im Wasser auftauchen und verschwinden sahen, die uns bedrohten. Nein, aber ganz kleine Mücken, die uns stachen und uns den erbittertsten Feind jener Gebiete bescherten, das Malariafieber, daß wir, von Frost und Hitze geschüttelt, schwach und matt wurden an Körper und Geist. Mich selbst hatte damals die tückische Krankheit merkwürdigerweise verschont, aber auch die anderen dachten nicht daran, die Fahrt zu unterbrechen oder gar umzukehren.

So waren wir in eines der vielen in den Amazonasstrom einmündenden Wasser gebogen, das nach unserer Berechnung der Rio ›Tapajos‹ sein mußte. Auch er teilte sich, und wir ruderten nun einen Fluß aufwärts, dessen Namen wir nicht kannten, und der auf keiner Karte zu finden war.

Schon waren Monate vergangen, daß wir uns auf der Reise befanden. Viel Neues und Interessantes hatten wir gesehen und erlebt, aber immer heftiger wütete das Fieber, hatten wir doch längst kein Chinin mehr, es zu bekämpfen. Dann begann es zu regnen, und über Nacht schwoll der Fluß zum reißenden Strome an, dessen gurgelnde Wasser große, entwurzelte Bäume in rasender Fahrt mit sich führten.

Unmöglich, gegen die Strömung zu kämpfen! Wir mußten den Gedanken, noch weiter vorzudringen, aufgeben, und hatten alle Hände voll zu tun, unsere Boote vor dem Kentern zu bewahren. Mit dem reißenden Wasser treibend, von Baumstämmen bedroht, jagten sie in rasender Fahrt den wild schäumenden Fluß hinab.

siehe Bildunterschrift

Ein Mischling

Da …: eine Biegung: eine bewaldete Landzunge ragte in den Strom.

Trotzdem das Wasser rechts von ihr frei und ungehindert dahinströmen konnte, schien es unwiderstehlich von ihr angezogen zu werden. Baumstämme, wild verflochtene Äste und mitten darin unsere beiden Boote trieben wir unaufhaltsam auf die malenden, kreisenden Wasser zu. Mit aller Kraft, verzweifelt, versuchten wir die Boote in die offene Fahrtrinne zu bringen, sie von den andrängenden Baumstämmen abzustoßen. Es war alles umsonst. Zu fest waren sie im Wirrwarr der sie umgebenden Urwaldriesen verstrickt, unwiderstehlich trieben wir der Hölle der Naturkräfte entgegen.

Voll Schrecken sahen wir jetzt einen großen Baum sich zwischen die beiden Boote drängen, immer weiter sie voneinander trennend. Jeden Augenblick konnte das eine, das sich in seine Krone verfangen hatte, umschlagen … Aber …: es drehte sich langsam im Strudel der Wassermassen, immer weiter von den Zweigen nach rechts gedrängt, bis es die Mitte des Flusses erreichte und im freien Fahrwasser, gerettet, pfeilschnell stromabwärts schoß. Das andere jedoch, in dem auch ich mich befand, trieb unaufhaltsam weiter, dem verderbenbringenden Strudel zu. Nur noch weniges trennte uns von ihm. In der Ferne sahen wir das andere Boot mit seinen Insassen verschwinden. Ob sie sich retten konnten oder in den Fluten umkamen …:? Ich habe es nie erfahren …:

Um unsere Verzweiflung noch zu erhöhen, gewahrten wir, daß der Baumriese, der uns getrennt hatte und aus dessen gefährlichem Bereich uns zu befreien wir mit allen Kräften bemüht gewesen waren, sich ebenfalls mit einem Male drehte und der Mitte des Flusses zusegelte. Hätten wir uns doch an seine Zweige geklammert und uns von ihm mitziehen lassen! Zu spät erkannten wir es. Alle Bemühungen, ihn wieder zu erreichen, waren umsonst, das Boot, schon von den strudelnden Fluten erfaßt, begann einen großen Kreis zu ziehen, der immer enger wurde.

Ich schrie den anderen zu, sich ins Wasser zu werfen, um, bevor die Gewalt des Elements im letzten, alles zermalmenden Wirbel unüberwindlich geworden war, schwimmend zu versuchen, einen der Bäume des Ufers zu erreichen, die von dem aus seinem Bett getretenen Fluß umspült wurden. Und schon sprang ich in die wogende Flut, die mit ihrer Gewalt alle Bewegung lähmte. Wie es mir gelang, mich dennoch zu befreien und einen Ast zu erfassen, mit dessen Hilfe ich mich auf den Baum emporzog, weiß ich nicht mehr.

Da saß ich nun auf dem schwankenden Ast, von den gierigen Fluten umbrüllt und umwirbelt, und schaute zu meinen Kameraden im Boot hinüber, das immer noch seine Kreise zog, langsam, ganz langsam, als ob es sich überlegte, welche Richtung es zur letzten, entscheidenden Fahrt einschlagen sollte. Die zwei in ihm standen und beobachteten gespannt dieses ruhige Schwimmen. Sie mochten sich schon gerettet wähnen, glauben im sicheren Strom zu sein. Und doch standen sie vor dem Ende, aus dem es für sie keine Rettung gab.

Ich schrie aus Leibeskräften, daß sie meinem Beispiel folgen sollten, aber das Krachen der splitternden Baumstämme übertönte die Worte. Und jetzt begann das Boot schneller zu gleiten, immer schneller. Immer enger wurde der Kreis und enger, bis es in rasender Geschwindigkeit dem Zentrum des Strudels zuwirbelte.

Ein gräßlicher Schrei hallte zu mir herüber. Er war lauter als alles Tosen ringsum, und entsetzt sah ich das Boot in einem wüsten Durcheinander von Baumstämmen, Ästen und Holzstücken verschwinden. In seiner ganzen Länge sich aufrichtend, ragte es noch einmal für den Bruchteil einer Sekunde empor, um für immer hinabgezogen zu werden, zerschellt, zerdrückt, niedergestampft von einem der Urwaldriesen, der, von den anderen gestoßen, sich plump um die eigene Achse drehend, unnütze, verzweifelte Anstrengungen machte, den Fluten zu entrinnen.

Wie gebannt stierte ich auf die Stelle, wo das Boot verschwunden war, mich und die Gefahr ringsum vergessend.

Erst viel später gewahrte ich meine eigene Lage, zwischen Himmel und Wasser, auf dem schwankenden, von den Fluten umspülten Baum, der erzitterte, wenn einer seinesgleichen, den die Wassermassen entwurzelt hatten, ihn streifte und mit sich zu reißen drohte.

Mich wieder hinunter in die schwarzen Fluten zu wagen, in denen Krokodile mich erwarten konnten, in denen der Tod auf jedem dahersegelnden Stamme ritt, dazu fehlte mir der Mut. So saß ich, alle Nerven gespannt, wenn sich einer der Urwaldriesen meinem Sitze näherte und atmete erleichtert auf, wenn er vorüberschwamm, ohne meinen Zufluchtsort mit sich zu reißen.

Es wurde Nacht.

Ich band mich mit dem Leibriemen an einen der stärksten Zweige, um bei etwaigem Einschlafen nicht hinabzufallen, und lauschte auf das Gurgeln des Wassers und das dumpfhallende Aneinanderprallen und helle Splittern der Stämme, bis ich, halb sitzend, halb hängend, vor übergroßer Müdigkeit einschlief.

Es war ein unruhiges Schlummern, und ihr könnt euch denken, mit welcher Erleichterung ich das Morgenlicht begrüßte, das mir wieder erlaubte zu sehen.

Das Bild, das sich meinen Augen bot, war unverändert. Nur die Anzahl der treibenden Stämme mochte sich verringert haben. Ich war auf meinem Baum gefangen, ohne Nahrung, ohne die Gewißheit, trotz des Kampfes mit dem Tode ihm dennoch entrinnen zu können.

Den ganzen Tag saß ich dort und die ganze Nacht. Sie war viel schwerer zu überstehen, als die erste, obgleich die Kleidung getrocknet war, und ich nicht mehr fror. Aber der Hunger quälte, und die Kräfte ließen immer mehr nach.

Am Morgen sah ich am Fuße meines Baumes den Boden aus den Fluten tauchen.

Als ich, zitternd vor Schwäche, mich auf die Erde hinunterlassen wollte, mußte ich zu meinem Schrecken feststellen, daß es nicht möglich war. Es war überhaupt kein Boden zu spüren. Die Füße versanken in Schlamm, und ich mußte froh sein, daß ich den schützenden Baum noch nicht ganz verlassen hatte und mich wieder in seinen Bereich flüchten konnte, wollte ich nicht eines nicht weniger schrecklichen Todes sterben.

Im Laufe des Tages, unter der Einwirkung der Sonne, begann der Schlamm sich mit einer Kruste zu bedecken. Immer häufiger, immer tiefer wurden die Risse, die sie in ihn grub. Und wiederum nach einer Nacht, von der ich nichts weiß, als daß Wasser und Himmel, der Baum, in dessen Zweigen ich hing, und das Rauschen der Fluten zu einem einzigen, wogenden, tosenden Feinde wurden, dessen gierig aufgesperrter Rachen gleich dem Höllentor ewiger Verdammnis mich jede Minute zu verschlingen drohte, konnte ich es wagen, mein Gefängnis zu verlassen.

Wohl schwankte der Boden noch unter meinen vorsichtigen Schritten, aber ich erreichte doch die feste Erde.

Nun galt es, etwas Eßbares zu finden. Nie hatte ich früher gedacht, daß dies so schwierig wäre. Die Patronen waren infolge der Nässe teilweise unbrauchbar geworden, und ich war so schwach, daß ich mich nur mit Anstrengung auf den Füßen halten konnte. Statt der eßbaren Früchte oder des Wildes, das es zu erlegen galt, sah ich nur Feuerräder sich vor meinen Augen drehen, und in meinen Ohren sauste es so laut, daß selbst das Rauschen des Flusses davon übertönt wurde. Aber endlich entdeckte ich auf einem Baum einige Vögel. Mit zitternder Hand zielte ich lange, bevor ich abdrückte.

Werde ich essen können, oder wird mir der Braten vor dem Munde davonfliegen? In diesem Augenblick gab es nichts anderes für mich auf der Welt als diese eine bange Frage.

Der Schuß krachte. Schwer, mit den Flügeln schlagend, stürzte einer der Vögel zu Boden.

Bald war ein Feuer entfacht, das ich mit Hilfe von Brennglas und Pulver rasch trockenem Holz entlockte.

Die Nacht verlief still und ruhig. Ich hatte auch keine Furcht, wollte nur schlafen.

Am nächsten Morgen konnte ich gestärkt meinen Weg fortsetzen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand, besaß keinen Kompaß, war nur auf den Stand der Sonne angewiesen, so daß ich wenigstens nicht im Kreise umher zu irren brauchte.

So wanderte ich tage-, wochenlang, ohne Zeitrechnung, noch anderes Maß, als den Wechsel von Tag und Nacht. Meine Nahrung waren in der Hauptsache Schlangen, die ich am Feuer briet. Nur das erste Mal hatte ich einen Ekel zu überwinden. Ich erschlug sie mit dem Stock, sobald ich ihrer ansichtig wurde, da ich die wenigen Patronen sparen mußte. Sie haben weißes, wohlschmeckendes Fleisch, ähnlich dem der Hühner. Aber nicht alle Schlangen darf man essen, es gibt auch solche, deren Genuß schädlich ist.

Am meisten hatte ich unter dem Regen zu leiden. Das ewige Wandern in der Nässe wurde schließlich so unerträglich, daß ich mir am Ufer eines Baches eine Hütte baute und beschloß, hier die Regenzeit zu überdauern. Aus Dornen und Baumfasern verfertigte ich Angelgerät. Aber man konnte mit ihm nur kleine Fische fangen, ja, oft wurde es von den großen in die Tiefe fortgerissen.

So kämpfte ich mit Hunger, Nässe und Einsamkeit und nicht zuletzt mit dem Fieber, das nun auch mich mit seiner ganzen Heftigkeit gepackt hatte.

Die Regenzeit verging, und ich brach wieder auf, um weiter ins Ungewisse zu wandern …:«

Die Augen des Kranken wurden mit einem Male groß in stierem Entsetzen. Sich jäh aufrichtend, starrte er in die unbeweglichen Gesichter seiner Zuhörer.

»Wer seid ihr? …: Wollt ihr mich auch zu Tode quälen, mich martern, wie jene …:?«

Er versuchte, aufzuspringen, wild um sich schlagend, von Angst gepackt, sank aber sogleich wieder ermattet zurück. Die Flamme des Irrsinns, die soeben noch in seinen Augen gelodert hatte, erlosch, sein Blick wurde stumpf, und er murmelte: »Ihr werdet euch wundern, aber die Wildnis hat mir alle Kraft geraubt, nur schlafen will ich, schlafen …:«

Es war spät geworden. Sie alle waren müde, und bald herrschte tiefe Stille um das Feuer, über dem die Töpfe mit den Bohnen hingen, und das leise knisterte und flackerte, wenn der Wind darüberstrich …:

*

Am nächsten Morgen konnte der Kranke sich nicht mehr erheben, schwieg auf alle Fragen und verweigerte die Nahrung. Wie leblos lag er da oder phantasierte, schrie und tobte, von Dingen redend, die niemand verstand oder in einer Sprache, die keiner kannte.

Hans Mahr, den das Schicksal des Fremden interessierte, hatte sein Arbeitsfeld in dieses Garimpo verlegt, und er war es auch, der sich am häufigsten des Kranken annahm. Es war jedoch unmöglich, aus den wirren Reden irgendwelche Schlüsse zu ziehen.

Von Tag zu Tag verschlimmerte sich der Zustand. Immer seltener, immer kürzer wurden die Augenblicke, in denen der Unbekannte das Bewußtsein wiedergewann.

Eines Abends jedoch richtete er sich auf seinem Lager auf und alle, die um ihn waren, herbeirufend, sprach er langsam und mit Mühe, doch anscheinend bei vollem Bewußtsein: »Es ist vorbei mit mir. Ich spüre es. Wenn auch meine Gedanken heute klarer sind, werde ich die morgige Sonne nicht mehr erleben. So hört alle, was ich zu sagen habe …

 …: Lange führte ich in der Wildnis das Leben eines Tieres. Ich war listiger als dieses und stark, so daß ich die paar Dutzend Patronen, die ich noch besaß, nicht verbrauchte. Immer weiter wanderte ich, ohne zu wissen, welche Richtung ich einschlagen sollte, dem Zufall ergeben, mit der brennenden Sehnsucht nach Menschen im Herzen und dem Fieber, das durch meine Adern rann.

Eine zweite Regenzeit war gekommen und gegangen. Ich hatte Bäume gefunden, deren Rinde wie Chinin schmeckte und wohl auch solches sein mochte. Ich kaute sie in großen Mengen, was mir einige Erleichterung verschaffte. Und eines Tages, als ich so dahinwanderte, und die Sonne sich neigte, tönte aus weiter Ferne ein Laut an mein Ohr, der sich anhörte, als würde Holz auf Holz geschlagen.

Menschen! …:

Siedendheiß durchschoß mich die Hoffnung. Ich hätte aufheulen mögen vor Glück, schreiend in die Richtung, aus der diese köstlichen Klänge drangen, vorwärtsstürzen, aber eine innere Stimme warnte mich und zwang mich, zu schweigen. Leise schlich ich den Tönen nach. Es mußte sehr weit sein, denn nach einer Stunde erschien es mir, als wäre ich noch genau so entfernt wie vordem. Und erst nach einem tüchtigen Marsche näherte ich mich jenem Geheimnisvollen, das seine unbekannte Melodie durch die Wildnis schallen ließ für unbekannte Ziele und Zwecke.

Die Nacht war hereingebrochen. Aber ich dachte gar nicht daran, ein Lager aufzuschlagen. Nur schneller vorwärts, dorthin, wo es Menschen gab.

Schon sah man in der Ferne die gelben Feuer zum nachtschwarzen Himmel lodern und kleine, dunkle Gestalten sie umspringen.

Das Herz pochte mir in freudiger Erwartung, und immer schneller ging ich. Jetzt werde ich wieder Menschen sehen, ihre Stimmen hören, werde erfahren, wo ich bin, und den Weg finden, der aus dieser Einöde hinausführt …:

Die vielen Gefahren der Wildnis jedoch hatten mich gelehrt, ihr nicht zu trauen, und so schlich ich, Deckung hinter jedem Busch suchend, langsam und vorsichtig näher. Immer deutlicher konnte man die Gestalten sehen, die in wirbelndem Taumel um das Feuer sprangen zu dem Takt einiger primitiver Holztrommeln. Es mochte ein Fest sein, das sie feierten. Und dem dumpfen Lied der Trommeln war es zu danken, daß ich den Weg bis hierher gefunden hatte.

Eine heiße Freude wallte in mir auf, ich wollte aus meinem Versteck hinaustreten, aber etwas Unerklärliches zwang mich, vorerst noch abwartend, diese Menschen näher zu beobachten. Es waren alles Männer, auf deren dunkelbraunen, nackten Leibern das Feuer sich golden spiegelte. In den tollsten Gliederverrenkungen sprangen und hüpften sie einher, seltsame Figuren schwingend, Fetische aus Lehm und Federn. Kein Ton war zu hören als das dumpfe, weit hallende Grollen der Trommeln und das Klatschen der nackten Füße auf dem Erdreich. So kreisten sie stumm ums Feuer, im Dunkel des Waldes, bis ein gellendes, markerschütterndes Kreischen aus einigen Dutzend Kehlen urplötzlich die Stille zerriß und in ein langgezogenes, heulendes Klagen überging. Und weiter sprangen sie, grotesk und wild, durch das Geheul, das sie ausstießen, angespornt, bis sie alle auf einmal in wilden Sprüngen zu den Hütten rannten, deren dunkle Umrisse ich in der Ferne gewahrte.

Aus der größten wurde etwa ein Dutzend Männer, Frauen und Kinder hervorgezerrt. Sie alle waren gefesselt und standen schweigend, gesenkten Hauptes. Um sie wimmelte es von Gestalten. Der ganze Stamm schien jetzt versammelt zu sein, die Weiber in einiger Entfernung, voll gespannter Erwartung. Alle aber wurden überragt von einem Manne, den ich anfangs nicht bemerkt hatte. Weiß und rot bemalt, mit Vogelbälgen und Federn geschmückt, schien er der Häuptling dieser wilden Menschen zu sein. Er hielt eine schwere Holzkeule in den Händen und – was mir das Blut in den Adern gerinnen machte –, die Gefesselten unter lautem Schreien umtanzend, schlug er die Unglücklichen wuchtig über den Kopf, daß sie bewußtlos niederstürzten. Wie die Wölfe auf den Raub, warfen sich die Männer über sie. Ich sah, wie die leblosen Körper zum Feuer geschleift und dort so geschickt an Stäben darüber befestigt wurden, daß sie wie das Wild am Spieß schmorten.

Im Nu war Scheiterhaufen an Scheiterhaufen entstanden, über jedem aber sah ich voll Schauder die Menschenbeute, von den gierigen Flammenzungen umleckt. Ich wollte meinen Augen nicht trauen, glaubte, das Fieber narre mich mit diesem Bild der Hölle. Ich rieb sie, starrte und starrte, aber das Gräßliche war Wirklichkeit. An großen Stäben befestigt, sah ich die Körper über dem Feuer hängen und von den braunen Teufeln gedreht werden, sah das Haar brennen, eine leuchtende, jäh verpuffende Flammengarbe, Nase und Mund verkohlen, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt werden. So brieten an den Spießen Männer, Frauen und Kinder …:

Und jetzt …:, was war das? Wieder hatten die Henker ein Opfer herbeigeschleppt. Gierig faßten die Flammen nach der neuen Beute, da öffnete der Ohnmächtige die Augen. Der Hieb hatte ihn nur für wenige Minuten betäubt. Verzweifelt an den Fesseln zerrend, wand sich der Unglückliche in schrecklichen Qualen, und sein Schreien mischte sich mit den frohen Ausrufen seiner Peiniger, die voll Entzücken dem entsetzlichen Schauspiel folgten.

Später erfuhr ich, daß, wenn einer der vom wuchtigen Hiebe Betäubten auf dem Feuer aus der Ohnmacht erwacht, sein Fleisch ›Medizin‹ ist und wundertätige Kräfte in sich bergen soll. Es ist Eigentum des Häuptlings, der es in kleinen Mengen gegen Geschenke und große Stücke anderen Fleisches eintauscht, und sein Besitz eines der Machtmittel, das ihn über seine Stammesgenossen herrschen läßt. Somit erwacht auch immer eines der Opfer und muß den grauenvollen Tod des Gebratenwerdens bei lebendigem Leibe erdulden.

Damals wußte ich all dies noch nicht. Voll Entsetzen und Grauen starrte ich aus dem Dunkel meines Versteckes auf die infernalische Gruppe vor mir, und mein krankes, fieberndes Hirn machte mich glauben, daß ich bereits gestorben und in der Hölle sei.

Nach einiger Zeit wurden die Körper von den Spießen genommen und zerteilt. Wie Tiere stürzten sich die Wilden über sie, gierig schlingend, jeder über sein Stück gebeugt, laut und zufrieden schmatzend, immer wieder sich neue Brocken aus dem gräßlichen ›Braten‹ reißend. Jeder war bemüht, so schnell und so viel als möglich zu verzehren. Mitten unter ihnen saß der Häuptling. Die Federn und Tierschwänze, die ihn zierten, nickten und wippten, bunt und phantastisch im glänzenden Braun der nackten Leiber ringsum aufleuchtend, wenn der Feuerschein über sie huschte. Er hatte den Körper desjenigen, dessen grauenvolles Sterben mir noch mit eisigen Schauern durch Blut und Hirn raste, vor sich, die besten Stücke aus ihm reißend. Dann, als er satt war, verteilte er den Rest unter die begehrlich Wartenden, bis nichts mehr von dem Toten übrigblieb und an der Stelle, wo er gelegen hatte, sich die Geschenke häuften, die er für ihn erhielt: Keulen, Bogen und Pfeile, Vogelbälge, Schlangen und anderes mehr, auch große Stücke Fleisches …:

Und wieder begann das Dröhnen der Trommeln, wieder begann das Kreisen und Wirbeln und Stampfen, stundenlang, bis sie erschöpft, einer nach dem anderen, mit Schaum vor dem Munde und unartikulierte Laute ausstoßend, zu Boden sanken.

In der Stille aber, in der nur das Feuer prasselte und knisterte, schlich ich leise davon, wühlenden Hunger in den Eingeweiden und Grauen im Herzen.

Die ersten Menschen, die ich nach so langem Umherirren getroffen hatte, sie waren schlimmer als die wilden Tiere, so daß ich es vorzog, zu diesen zurückzukehren.

Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen. Die Gesichter der zu Tode Gemarterten verfolgten mich, ihre verkohlten Fratzen schienen meiner Feigheit zu spotten, Rache zu fordern. Ich war dem Wahnsinn nahe, und als die Sonne kam, sah sie mich den Hütten der Unmenschen entgegenschreiten.

Meine Kleidung bestand nur noch aus wenigen Lumpen, die von dem Ledergurt, an dem die Waffe und die Patronen hingen, gehalten wurden. So schritt ich hochaufgerichtet, und die Sonne lag auf meinem gelben Haar und der hellen Haut.

Sie hatten mich bemerkt, und Unruhe ergriff das Lager. Ich sah sie erregt durcheinander rennen, bis der Häuptling sich von den übrigen löste und mir furchtlos entgegenging.

Als er mich erreicht hatte, warf er sich mit allen Anzeichen der Ehrfurcht zur Erde nieder, unverständliche Worte murmelnd. Da kamen auch die anderen herbei. Ich war von ihnen umringt, deren Kreis immer dichter und enger wurde, und Furcht ergriff mich. Um ihnen die Macht meiner Waffe zu zeigen, schoß ich einen auf einem hohen Baum sitzenden Affen. Aber nicht das Tier allein fiel zu Boden, nein, alle, die um mich standen, warfen sich blitzschnell auf die Erde, leise, wimmernde Töne ausstoßend. So lagen sie, als der Schuß schon längst verhallt war, und wagten vor Angst sich nicht zu rühren. Nur der Häuptling hatte sich wieder erhoben.

Es dauerte lange, bis einer nach dem anderen, ängstlich rückwärts schauend, vorsichtig in die Hütten und Büsche kroch …:

Wie lange ich bei ihnen blieb, ich weiß es nicht. Es waren alles kleine, krummbeinige Gestalten mit scheuem Blick, die mit ihrer geduckten, nach vorn geneigten Haltung mehr Affen als Menschen glichen. Ausgezeichnete Jäger, erlegten sie ihre Beute aber nicht im offenen Kampf, sondern auf Schleichwegen und durch List, und nie griffen sie den Jaguar an, den sie von einem bösen Geist besessen glaubten.

Ich lebte in einer eigens für mich errichteten Hütte und hatte es bald gelernt, mit ihnen in ihrer Sprache zu reden. Ich lehrte sie, Fallen zu stellen und mit Netzen Fische zu fangen, holte ihnen, wenn die Sonne schien, das Feuer mittels meines Brennglases vom Himmel, daß sie es nicht mehr durch mühevolles Reiben zweier Holzstücke zu gewinnen brauchten. Mein Messer erleichterte ihnen das Zerlegen der getöteten Tiere und das Schneiden der Stäbe zum Bau der Hütten. Sie schnitzten ihre Pfeile mit ihm und glaubten, daß ihnen dann eine besondere Kraft innewohne. Wenn ihnen ein Unglück zugestoßen war, half ich ihnen und heilte ihre Wunden, die oft durch Unsauberkeit zu eitern begonnen hatten. Aber nicht alle ihre Leiden konnte ich heilen. Es gab viele Krankheiten, die mir unbekannt waren, und ich hatte ja auch keine Desinfektionsmittel und Medikamente.

Wieder zu Kräften gekommen, fiel es mir immer schwerer, das Leben unter diesen Menschen, die Tieren glichen, zu ertragen. Ich sehnte mich fort von ihnen, fort aus der Wildnis, nach Wesen, die mich verstanden, die meinesgleichen waren. Aber wenn ich den Häuptling fragte, wo die nächsten Menschen hausen, erhielt ich stets die von einem schlauen Augenblinzeln begleitete Antwort, daß alle anderen Stämme in der Umgegend böse seien und mich gewiß töten würden, falls sie mich träfen. Auf meine Frage, ob es hier noch andere weiße Männer gäbe, schüttelte er verständnislos den Kopf: ›Es gibt nirgends deinesgleichen. Der Wald dehnt sich in unendliche Fernen, und viele Menschen leben in ihm, aber solche, wie du bist, gibt es nicht …:‹

Und eines Tages kam er zu mir in die Hütte.

›Du hast uns Glück gebracht, o Yue. Schon seit vielen Regenzeiten wußten wir, daß du zu uns kommen würdest. Immer wieder haben es die Alten den Jungen erzählt, daß nach einer Ubofeier Yue, der große Geist, kommen und Überfluß und Zufriedenheit seit diesem Tage bei uns wohnen werden. Wir würden die Noe hinter dem Fluß nicht mehr fürchten und ihr Fleisch nicht begehren, bis wieder die Zeit der Ubofeier kommt. Aber der Tag ist nahe, wo Yue, der Geist, von uns gehen wird, und dann werden die Noe über uns herfallen. Sie werden uns vernichten und uns und unsere Frauen über dem Feuer braten und alles zu Asche verbrennen. Alles muß sterben, sobald Yue geht. Aber Yue ist klug, und er weiß alles, und ich frage ihn, was er tun wird.‹

So sprach der Häuptling und blickte scheu aus seinen mißtrauischen Augen zu mir hinüber.

›Ich will nicht fortgehen,‹ sagte ich, ›aber du hast recht, es wäre an der Zeit, daß ich ginge.‹

Gebückt schlich er davon.

Es war Abend geworden. Ich sah die Männer sich in der Hütte des Häuptlings versammeln und wartete, daß man auch mich rufen würde, wie es sonst immer zu sein pflegte, wenn sie Rat hielten. Doch dieses Mal geschah es nicht. So kroch ich vorsichtig, auf dem Bauche liegend, im Schutz der Dunkelheit, bis ich die Außenwand der Hütte erreicht hatte. Ihr loses Gefüge gestattete mir, jedes Wort, das gesprochen wurde, zu hören, wenngleich sie in gedämpftem Tone redeten.

›Yue ist zu uns gekommen, wie die Alten es sagten‹, die Stimme des Häuptlings klang kummervoll. ›Er hat uns reich gemacht, stark und zufrieden, er darf nicht fortgehen von hier. Seine Medizin ist stärker als alles, was wir bisher kannten. Aber er wird gehen …: Deshalb laßt uns ihn töten und essen, daß wir ebenso klug werden wie er. Heute nacht, wenn er schläft, laßt uns in seine Hütte dringen. Wir wollen ihn mit den Netzen fesseln, die er uns anzufertigen gelehrt hat, und ihm die feuernde Kraft aus den Händen winden, daß er schwach wird wie ein Kind …: Und wenn wir es gegessen haben, das Fleisch, und stark sind und klug, wollen wir über den Fluß zu den Noe ziehen. Die Zeit der Ubofeier ist nahe. Bald werden die Feuer lodern, wir werden tanzen und essen …:‹

Ich hatte genug gehört, um zu wissen, daß ich dem Tode geweiht war. Nur rasche Flucht konnte mich noch retten. Geräuschlos in meine Hütte zurückgekehrt, tauchte ich alsbald in das Dunkel des Waldes unter, das das Lager umgab.

Die Nacht, die mich den Blicken der Wilden verbarg, verbarg auch den Weg vor mir, so daß ich oft über Wurzeln stolperte und über gestürzte Bäume fiel. Da ich barfuß war, mußte ich jeden Augenblick darauf gefaßt sein, auf giftiges Getier zu treten. Aber ich hatte Glück, und als der Tag anbrach, befand ich mich wohlbehalten weit vom Dorf entfernt. Ich wußte, daß die Wilden, sobald sie meine Flucht bemerkt hatten, mir gefolgt waren. Die geringsten, noch so unmerklichen Spuren gaben ihnen genügend Anhaltspunkte, den Weg, den ich nahm, zu erkennen, und es galt deshalb, mit möglichster Geschwindigkeit vorwärtszukommen. Mir kaum Rast gönnend, aß ich von dem Fleisch und Fisch, die ich zu mir gesteckt hatte, und weiter ging es.

Ich hatte die Richtung eingeschlagen, wo nach den Erzählungen der Wilden die ›Noe‹ hausen sollten, aber die Tage wurden zu Wochen, und noch immer war ich keinem menschlichen Wesen begegnet, noch hatte ich Spuren gesehen, die mich auf ihre Nähe hätten schließen lassen. Nur Tiere kreuzten meinen Pfad, und der Wald rauschte um mich sein urewiges Lied von Werden und Vergehen.

Monate kamen und gingen, ich aber wanderte, lernte die Sprache der Tiere und die Lieder von Regen, Sonne und Wind, die ich sang in den Nächten, wo alles Lebende in den unruhigen Schlaf versank und nur das Raubwild auf Beute zog. So ward ich selbst ein Teil der Wildnis, die mich hielt, nährte und schirmte …: Und dennoch wanderte ich …: Das Blut schrie in mir nach meinesgleichen und trieb mich vorwärts …:«

Er hatte immer langsamer gesprochen. Der Glanz der Augen erlosch. Schwer fiel er auf das Lager zurück. Sein stoßweises Atmen ging in Röcheln über und verstummte. Er hatte ausgelitten.

Schweigend standen die Garimpeiros um den Toten. Baptista, der »Pater«, wie sie ihn nannten, schlug das Zeichen des Kreuzes über ihn, und sie gingen wieder an ihre Arbeit. Nur Hans Mahr blieb zurück.

siehe Bildunterschrift

Besiegt …:

siehe Bildunterschrift

Autostraße

Lange schaute er auf die eingefallenen, von Fieber und Entbehrung entstellten Züge vor ihm, die in der starren Ruhe des Todes etwas Majestätisches hatten.

Was mochte der Tote erlebt, durchkämpft und erschaut haben? Was war Wahrheit, und wo begannen die Phantasien seines kranken Hirns …:? Nie wird er es erfahren. Für immer war der Mund dort vor ihm verstummt.

*


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