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2. Kapitel.
Kaffeekränzchen

Was niemand von Fräulein »Marchesa« erwartet hätte – Warum es Karola vor ihrem eigenen Bilde grausen könnte – Ilse Sternberg soll eine Lücke ausfüllen – Wer von Ännes Untüchtigkeit am meisten überzeugt ist.

 

Am nächsten Vormittag half Rola beim Kochen. Diese Beschäftigung machte ihr Spaß, was eigentlich niemand von Fräulein »Marchesa« erwartet hätte und worüber sich namentlich Frau Burgstetten freute.

Frau Häberlein, Köchin und Faktotum des Hauses, kannte kein größeres Vergnügen, als die Tochter ihrer Herrschaft in die edlen Wirtschaftskünste einzuweihen. Nie wurde sie müde, ihrer Schülerin immer neue »Kniffe« beizubringen.

Es ging heute ziemlich heiß in der Küche her. Frau Häberlein wollte als Dessert eine Stachelbeertorte auf den Tisch bringen. Das Mittagessen mußte zubereitet werden, und nebenbei waren noch die frühen Stachelbeeren, die der Gärtner vorhin gepflückt, einzumachen. Mit heißen Wangen erschien Rola am Mittagstisch.

»Übertreibe nur auch deinen an sich gewiß löblichen Eifer nicht!« mahnte der Vater.

»Nein, habe nur keine Sorge; da achtet schon die gute Häberlein darauf. Im übrigen bin ich ja auch durchaus nicht schwächlich. Ich hoffe, ihr eßt die Torte mit besonderem Behagen. Die habe ich fast allein gebacken. Frau Häberlein schwebte nur wie ein guter Schutzengel über dem Ganzen.«

Herr Burgstetten lachte. »Das denke ich mir allerdings sehr drollig anzusehen, wie Frau Häberlein in ihrer respektablen Fülle über der Torte schwebte.«

Mutter und Tochter lachten gleichfalls heiter. »Laßt mir nur meine brave Häberlein zufrieden,« sagte erstere schließlich. »Sie ist wirklich eine Perle. Ich war bei meiner Heirat noch reichlich jung und unerfahren, aber überall, wo es mir fehlte, hat Frau Häberlein zugegriffen und mir mit Rat und Tat beigestanden. Niemals aber ist sie aufdringlich und unbescheiden geworden. Mit feinem Takt, den man bei mancher höhergestellten Person vermißt, hat sie stets die richtigen Grenzen einzuhalten gewußt. Als du dann geboren wurdest, Rola, übertrug sie alle Liebe und Sorgfalt auf dich, und ich glaube, die treue Seele hätte von jeher ihr Herzblut für dich hingegeben.«

»Ich habe sie aber auch lieb, sehr lieb sogar,« erwiderte Rola. »Sie erscheint mir nicht als Dienstbote, sondern als mütterliche Freundin und Beraterin.« – Das junge Mädchen sah einige Augenblicke nachdenklich vor sich hin. »Und doch sagen die Leute, ich sei stolz! Mir würde es doch nie einfallen, Frau Häberlein gegenüber einen törichten Hochmut zu zeigen?«

»Nun, das ist ja schließlich erklärlich,« antwortete Frau Burgstetten. »Du empfindest eben wirkliche Liebe für die einfache Frau, und traurig, wenn es anders wäre!«

»Daß du vielfach für stolz gehalten wirst, liegt vor allem in deinem Äußeren begründet,« fügte der Vater hinzu. »Du hast etwas in deiner ganzen Haltung, was eben als Stolz ausgelegt wird. Dafür kannst du nichts, es mag vielleicht ein Erbteil deiner spanischen Urgroßmutter sein. Aber sei einmal ehrlich, Rola! Unrecht haben die Leute trotz alledem nicht. Wenn du einem Menschen gegenüberstehst, der dir nicht paßt, an dem du Fehler entdeckst, so tritt in dein Gesicht gleich ein gewisses Etwas, ein überlegener frostiger Ausdruck, der dir selbst vielleicht unbewußt ist, aber mit Recht als Hochmut ausgelegt wird. Man kann dir deine Gedanken dann förmlich an der Stirn ablesen. »Ich, die Karola Burgstetten, würde ganz anders sein, ganz anders handeln, und dabei bedenkt unser stolzes Fräulein nicht, daß es selbst noch recht viele Fehler hat.«

»Oh, Vater, malst du mich unbarmherzig, mir könnte vor meinem eigenen Bilde grausen!« rief Karola in komischem Entsetzen. »Aber recht hast du wirklich, Vater. Es ist gerade, als wenn du mir einen Spiegel vor die Augen gehalten hättest. Ich bin wirklich ein gräßliches Wesen!«

»Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung,« sagte die Mutter lächelnd.

»Ach, wenn es danach ginge, wäre ich längst ein Engel an Vollkommenheit. Meine Fehler empfinde ich stets – wenn ich sie begangen habe, bereue sie aufrichtig – und mache bei Gelegenheit doch wieder dieselbe Dummheit.«

»Durch ständige strenge Selbsterziehung und ehrliche Selbstkritik erst gelingt es dem Menschen und wird es auch dir gelingen, Fehler und Schwächen abzulegen,« sagte der Kaufherr ernst. »Nur nicht den Mut verlieren, das ist die Hauptsache.«

An gutem Willen soll es mir gewiß nicht fehlen,« versprach Rola. Für den Rest der Mahlzeit blieb sie nachdenklich. Sie faßte immer die besten Vorsätze, aber es fehlte ihr häufig an der Kraft zur Ausführung. Eigentlich hatte sie schon als Kind ein außerordentliches Selbstbewußtsein gehabt, und vom Selbstbewußtsein bis zum Hochmut ist ja häufig nur ein Schritt.

Am Nachmittag ging Karola zu Ebersteins. Die beiden Freundinnen, sowie einige andere junge Mädchen besuchten sich einmal in der Woche gegenseitig, um Handarbeiten zu machen, gemeinsam Lektüre zu treiben und – zu plaudern. Anfangs war es ein regelrechtes Kränzchen gewesen. Die beiden Baronessen Rodenheim hatten vom »Flennkränzchen« erzählt, das ihre Mutter mit verschiedenen Honoratiorentöchtern gebildet hatte und seinen Namen brüderlicher Spottsucht verdankte. Durch dieses Beispiel angefeuert, hatte man sich zu einem Dienstagskränzchen zusammengeschlossen und es das »Lachkränzchen« getauft. Aber es wurde nichts Rechtes daraus. Bald konnte die eine, bald die andere nicht an dem festgesetzten Tage erscheinen; dann kam wieder der Sommer mit seinen Ferien- und Erholungsreisen, und so war man schließlich dahin gekommen, die Zusammenkünste nach Belieben und Zeit zu vereinbaren.

Der Kaffeetisch im Doktorsgarten war bereits gedeckt. Herta stellte gerade einen Strauß Maiblumen aus die gestickte Decke, als Rola durch das Seitenpförtchen des Gartens trat.

Herta ging der Ankommenden freudig strahlend entgegen.

»Siehst du, nun bin ich sogar noch die erste!« meinte Rola lächelnd.

»Das ist gerade schön. Aber denke nur, wie schade, Grete und Wilma Rodenheim haben abgesagt! Im Schloß ist unerwartet Besuch angekommen. Aber Änne kommt sicher.«

»Dann sind wir heute aber eine kleine Runde.«

»O nein. Ich habe in der Voraussetzung, daß es dir recht sein wird, noch ein junges Mädchen eingeladen. Ilse Sternberg heißt sie. Ihr Vater war Offizier. Du hast sie sicher schon mal auf der Straße getroffen – ein großes blondes Mädchen. Sie ist mit Mutter und Bruder vor gar nicht langer Zeit hierhergezogen. Vor einigen Tagen wurde Frau Sternberg von einem leichten Unwohlsein befallen und bat Vater zu sich. Bei dieser Gelegenheit stellte sich heraus, daß ihr verstorbener Gatte ein Jugendfreund meines Vaters war. Papa nahm mich nun vorgestern mit zu Sternbergs, damit ich Ilse kennen lernen sollte. Nebenbei gesagt, ist bei den Leuten alles ziemlich ärmlich. Der Hauptmann Sternberg scheint seine Angehörigen nicht in den besten Verhältnissen zurückgelassen zu haben. Und dabei sieht diese Ilse so impertinent stolz aus, kann ich dir sagen. Ich hatte ja eigentlich gar keine Lust, mit ihr nähere Bekanntschaft zu machen, aber Papa wünscht es nun einmal. Als gestern Grete und Wilma absagten, schickte ich unseren Hans mit einer Einladung für den heutigen Tag zu Ilse. Sie versprach auch zu kommen. Wir sind dann wenigstens wieder eine mehr.«

Rola mußte innerlich über die Freundin lachen. Das sah Herta wieder einmal so recht ähnlich. Erst wollte sie mit Ilse Sternberg nichts zu tun haben, dann aber, als einige Kaffeegäste absagten, lud sie das junge Mädchen gnädigst ein, um eine Lücke auszufüllen. Allerdings – eine Ilse Sternberg würde sich schwerlich für eine solche Rolle eignen, das fühlte Rola. Sie dachte an die schöne, hohe Mädchengestalt, die ihr schon mehrmals in den Straßen der kleinen Stadt begegnet und aufgefallen war. Und ihre Vermutung sollte sich durchaus bestätigen.

Kurz nachdem sich Änne Böhlau eingefunden hatte, kam Ilse Sternberg. Herta streckte ihr die Hand entgegen und machte sie mit den Freundinnen bekannt. Es sollte alles etwas herablassend aussehen. Aber Ilse Sternberg gegenüber war das absolut nicht möglich. Die klaren, blauen Augen blickten so seelenruhig auf die jungen Mädchen, sie neigte den Kopf mit einer so schlichten, vornehmen Würde, daß Hertas Herablassung wie eine lächerliche Komödie erschien. Sie empfand das auch selbst. Zornig biß sie sich auf die Lippen, und nicht ohne Neid musterte sie den neuen Gast, der sich soeben freundlich den anderen beiden jungen Mädchen zuwandte. Diese blickten mit aufrichtiger Bewunderung auf Ilse Sternberg, vom ersten Sehen an fühlten sie sich zu der schönen Fremden hingezogen. Die hohe, biegsame Gestalt mit dem frischen Gesicht und der blonden Flechtenkrone, vor allem das warme Leuchten in den blauen Augen – alles war dazu angetan, Wohlgefallen und Sympathie zu erwecken.

Harmlos und ungezwungen unterhielt sich Ilse mit den Freundinnen. Sie schien weder Hertas ärgerliches Verstummen, noch der beiden anderen offensichtliche Bewunderung zu bemerken. Schließlich blieb Herta nichts weiter übrig, als auch wieder eine freundliche Miene aufzusetzen und so befand man sich bald in angeregter, harmloser Unterhaltung.

Nach dem Kaffeetrinken erschien auch Frau Eberstein für einige Zeit bei den Mädchen. Sie war eine blasse, stille Frau, die anscheinend nicht viel Macht über ihre Tochter hatte, zumal diese der ausgesuchte Liebling des Vaters war. Hinter den Rockfalten der Mutter schauten etwas verlegen zwei blonde Bubenköpfe hervor. Es waren Hertas Brüder im Alter von sechs und acht Jahren. Mit Rola und Änne standen die beiden auf vertrautem Fuße, aber Ilse war ihnen fremd, und das schöne, ein wenig ernste Mädchen flößte ihnen im ersten Augenblick einige Scheu ein. Als sich Ilse aber liebreich zu ihnen herunterbeugte und sanft über die blonden Krausköpfe strich, verwandelte sich ihre anfängliche Zurückhaltung gar bald in laute Begeisterung. Kurt, der jüngere von beiden, ließ sich willig auf den Schoß der jungen Dame ziehen, während Hans in Anbetracht seiner achtjährigen Würde sich sittsam – welche Eigenschaft sonst allerdings weniger bei ihm hervortrat – einen Stuhl zwischen Rola und Ilse schob.

»Du bist aber schön,« sagte Kurt bewundernd, während er mit seinen kleinen, dicken Händen über das Gesicht des jungen Mädchens strich.

»Ja, so extrafein wie Rola, bloß ganz anders wieder!« fügte Hans hinzu, der nach einer bei den Gürberger Buben neueingeführten und sportmäßig betriebenen Mode alles, was ihm zusagte, mochte es sich um die unmöglichsten Dinge handeln, als »extrafein« bezeichnete.

Ilse lachte herzlich. »Schönen Dank auch für das Kompliment, nicht wahr, Fräulein Burgstetten? Wenn es uns von so netten, kleinen Herren gesagt wird, müssen wir es wohl glauben.«

Änne Böhlau setzte eine scherzend beleidigte Miene auf. »So, und meine Wenigkeit kriegt gar kein Lob zu hören? Gefällt euch denn eure alte Freundin nicht auch ein bißchen?«

Hans blickte mit seinem kecken Bubengesicht prüfend das junge Mädchen an. »Ja, Fräulein Änne, Sie sind doch immer so lustig und wild wie ein Junge – und Jungens findet man doch niemals hübsch!«

»Hans jetzt wirst du bereits wieder vorlaut!« rief Frau Eberstein warnend. »Entschuldigen Sie nur, Fräulein Änne!«

»Siehst du, das kommt davon, daß du dich mit den ungezogenen Rangen abgibst,« mischte sich Herta ins Gespräch. Sie war ärgerlich über die Brüder, die der »Neuen« so unverhohlen ihre Bewunderung aussprachen. Da bildete sich diese hochmütige Bettelprinzeß noch mehr ein, als sie es schon tat! Herta brachte es nicht fertig, harmlos scherzend wie die lustige Änne über die kleine Episode hinwegzugehen. Dazu war sie nicht neidlos genug. Sie konnte es schon nicht vertragen, wenn Rola, die sie doch als ihre beste Freundin betrachtete, mehr Beachtung fand als sie.

Frau Eberstein erhob sich jetzt. Wir wollen die jungen Damen nicht länger stören. Kommt, ihr Buben!

»Ach Mutter, noch ein bißchen! Wir sind gar nicht mehr vorlaut,« bettelten die Knaben. Aber Herta machte allen etwaigen Zweifeln durch ein energisches: »Nur fort mit euch Rangen, wir können euch nicht gebrauchen!« ein Ende.

Eine Grimasse ziehend, standen die beiden auf. Hans murmelte etwas, was unzweifelhaft wie »alberne Gans« klang und Herta in nicht geringen Zorn versetzte. Nur mit Mühe behielt sie äußerlich ihre Ruhe, schleuderte dem Bruder einen vernichtenden Blick zu und nahm sich vor, es am Abend »Papa zu sagen.« Fürs erste war sie froh, nunmehr mit den Freundinnen allein zu sein, um ungestört ihr Herz ausschütten zu können. Sie unterhielt die jungen Mädchen gern mit tausend nichtigen Kleinigkeiten, die für andere eigentlich recht langweilig sein mußten, für sie selbst aber, da sie ihre eigene Person betrafen, ein ungeheures Interesse hatten.

»Hast du dich nicht gewundert, mich gestern mit Dr. Scholz zu treffen?« fragte sie, zu Rola gewendet.

»Nun, ich wußte allerdings nicht, daß ihr schon derartig miteinander bekannt wäret.«

»Siehst du, das kam so: Dr. Scholz war gestern nachmittag längere Zeit bei Papa. Als ich später das Haus verließ, um einige Besorgungen zu machen, traf ich unten mit ihm zusammen. Er wollte ins Hotel zurückgehen. Nun, da machte es sich so, daß er mich begleitete. Wir haben uns auch sehr nett unterhalten.« Herta blickte mit leisem Triumph im Kreise herum. Eigentlich, wenn sie ganz ehrlich gewesen wäre, hätte die Sache doch ein etwas anderes Gesicht bekommen. Herta hatte es nämlich in ihrer Schwärmerei für den Doktor mit Bedacht so eingerichtet, daß sie, nachdem er des Vaters Studierzimmer verlassen, im Hausflur mit ihm zusammentraf. Der junge Arzt hatte dann gar nicht anders gekonnt, als Herta zu begleiten, da sie, wie sie bei der Begrüßung und dem Austausch der üblichen Höflichkeitsformeln unauffällig durchblicken ließ, ziemlich den gleichen Weg wie der Doktor hatte.

»Du bist ja puterrot dabei geworden?« fragte Änne interessiert. »Schließlich gibt's bald eine Verlobung7«

Die andere lachte. »Ach Änne, was du gleich wieder denkst! Man muß sich doch erst mal richtig kennen lernen. Wer kann überhaupt in die Zukunft schauen!« Mit diesen etwas dunklen Worten schloß Herta ihre Rede.

Ilse Sternberg hatte sich nicht an diesem Gespräche beteiligt. Sie arbeitete nur emsig an einer wundervollen Stickerei.

»Was haben Sie denn da für eine entzückende Arbeit?« fragte Rola, während sie sich nebst Änne bewundernd über das Kunstwerk beugte.

»Es wird ein Tischläufer,« antwortete Ilse.

Auch Herta betrachtete jetzt die Arbeit. »Wohl für den Hamsterkasten?«

»Nein, ich arbeite für ein Geschäft.«

Ganz ruhig und selbstverständlich hatten diese Worte geklungen, und doch wirkten sie wie ein Blitzstrahl. Bei Änne und Rola war es ehrliche, naive Verwunderung, die sich in ihren Mienen spiegelte. Sie beide waren wohlhabende Mädchen, die noch nie das bittere Muß kennen gelernt. Hier trat es ihnen entgegen. Aus Ilses Worten klang es mit einer rührenden Schlichtheit; nichts Bitteres, nichts Herbes lag darin. So einfach und natürlich, als sei es ein Kinderspiel, hörte es sich an: »Ich arbeite für ein Geschäft.« Vielleicht hätte Karola unter anderen Umständen etwas hochmütig die Nase gerümpft, es wäre ihr erniedrigend vorgekommen, daß die Tochter eines Offiziers für Geld stickte. Heute aber kamen solche häßlichen Gedanken gar nicht in ihr auf. Des Vaters Worte wirkten noch in ihr nach, und dann – was hätte bei einem Mädchen wie Ilse überhaupt erniedrigend aussehen können? Im Gegenteil, nur noch mehr bewundern mußte man sie jetzt!

Herta dagegen zeigte sich ganz so, wie man es von ihr gewöhnt war. »Ach, Sie arbeiten für Geld? Ist Ihnen das nicht recht schwer geworden? Mir wäre das gräßlich fatal!«

In Ilses Augen blitzte es für einen Augenblick unmutig auf; aber sie bezwang sich sofort. Sie hatte das hochmütige Mädchen ja schon längst erkannt. Sie war ihr deshalb auch nicht böse, sondern bemitleidete sie eher ihrer engherzigen, kleinlichen Anschauung wegen. »Ich habe noch nie gehört, daß man sich genieren müßte, wenn man arbeitet,« antwortete sie ruhig. »Mutter hat nur eine schmale Pension und wenig Zinsen. Wir sind drei Personen, und Ferdi will nächstes Jahr mit dem Studium beginnen. Das kostet viel Geld. Um wenigstens für meine Garderobe sorgen und Mutter auch sonst mal eine kleinere Erleichterung verschaffen zu können, bin ich aus den Gedanken gekommen, aus diese Weise etwas Geld zu verdienen, zumal ich schon immer gern gestickt habe. Und Gott sei Dank – es geht mir schnell von der Hand, sodaß ich mir sogar noch etwas zurücklegen kann.« – Ilse lachte verklärt in sich hinein. Sie dachte daran, daß sie Ferdi von ihrem Ersparten zum Geburtstag das schon lang ersehnte wissenschaftliche Werk schenken könnte. Wie würde sich der gute, bescheidene Junge freuen!

»Ich bewundere Sie aufrichtig, Fräulein Sternberg,« sagte Rola warm. »Ich wollte, ich hätte nur ein kleines bißchen von Ihrer Natur, Ihrem Herzen!«

Änne schlug in komischem Entsetzen die Hände über dem Kopfe zusammen. »Du liebe Zeit, wenn ich die Arbeit anschaue, so wird es mir ganz schwarz vor den Augen. Wenn wir nun mal nötig Geld brauchten, muß ich dann auch sticken?«

Ilse schüttelte lächelnd den Kopf. »Wenn Sie sich dafür nicht eignen, gibt es sicher für Sie ein anderes Feld. Gewiß haben Sie auch irgend eine Gabe, die Sie verwerten könnten?«

»Ach nein, ich habe gar keine! Fragen Sie nur meine Eltern. Ich kann nur Dummheiten machen, gewiß und wahrhaftig!« – Es klang so drollig verzweifelt aus dem Munde der lustigen Änne, daß die anderen amüsiert lachten.

»Möge Ihnen der liebe Gott ihr frohes Herz – und Ihr Glück erhalten, Fräulein Änne,« sagte Ilse warm. »Sie sind ein Menschenkind, das mit weisem Vorbedacht des Schöpfers auf die Sonnenseite des Lebens gepflanzt wurde+…«

»Ja, und dort den Schatten macht!« fiel Änne kläglich ein.

»Auf der Sonnenseite kann der Schatten oft zur Wohltat werden,« erwiderte Ilse lächelnd. »Doch wir sangen an zu philosophieren, und das ist wohl kaum der Zweck unserer Zusammenkunft!«

»Wie alt sind Sie eigentlich, Fräulein Sternberg, wenn ich fragen darf?«

»Schon ganz schrecklich alt – 21 Jahre, Fräulein Änne,« lautete die lustige Antwort.

»Oh, ich werde auch im August schon achtzehn!« rühmte sich Ännne stolz. »Die Herta ist es bereits im April geworden, und Rola, unser Nestkücken wird im Dezember achtzehn.«

»Da wäre ich also in diesem Kreise als Älteste zu respektieren,« lachte Ilse.

»Ach ja, das wollen wir gern tun! Vielleicht können Sie aus mir sogar noch ein einigermaßen verständiges Menschenkind machen?!« Wieder setzte Änne ihre drollig verzweifelte Miene auf. Sie hatte keine nennenswerten Talente und war mit ihren achtzehn Jahren noch ein echter, rechter Backfisch. Ihre Mutter hatte oft genug Grund, über Änne den Kopf zu schütteln, denn eine Dummheit machte diese fast bei jeder Arbeit, so ernsthaft und bereitwillig sie auch daran ging. Nur konnte man dem kleinen, lieben Ding nie so recht böse sein. Und schließlich war auch von Ännes Untüchtigkeit niemand aufrichtiger überzeugt als sie selbst. – –

»Was zieht ihr denn eigentlich zu der Rodenheimschen Gesellschaft an, Kinder?« Mit diesen Worten lenkte Herta aus ein anderes, ihr ungleich interessanteres Thema über.

»Ich ein Stickereikleid,« entgegnete Rola.

»Ich desgleichen!« schloß sich Änne an. »Es ist doch ein ungezwungenes Sommerfest, dazu brauchen wir jungen Mädchen nicht in großer Toilette zu erscheinen.«

»Ich wollte ja eigentlich Seide wählen,« meinte Herta. »Auf den Rodenheimschen Gesellschaften gibt es doch immer viel Staat, und man will dagegen nicht abstechen. Auch die Baronin und ihre Töchter kleiden sich stets hochelegant.«

»Aber immer vornehm schlicht! Frau von Rodenheim würde ja auch im einfachsten Kleide entzückend aussehen. Sie ist eine bildschöne Frau,« entgegnete Rola.

»Und wenn man bedenkt, daß sie nicht einmal von vornehmer Herkunft ist!« sagte Herta. »Sie ist doch die Tochter des verstorbenen Schloßverwalters. Der Baron war ihr Jugendgespiele. Er hat es bei seinen Eltern durchgesetzt, daß er Hilde Kersten – so ist der Geburtsname der Baronin – heiraten durfte.«

»Das weiß ich ja noch gar nicht!« Änne blickte ganz entzückt. »Das ist ja brennend interessant – wie in einem Roman. Rein, Kinder, es ist doch etwas Herrliches um solch treue Liebe!«

Die anderen lachten. »Wie sie spricht, unsere Änne, wie eine alte, erfahrene Dame!« Rola zupfte die Freundin neckend an dem rosigen Öhrchen.

»Immer, wenn ich mal denke, etwas Vernünftiges gesagt zu haben, werde ich ausgelacht,« erwiderte Änne. »Meine Brüder machen das auch immer, na überhaupt diese Brüder! Sie haben doch auch einen, Fräulein Sternberg?«

»Ja, siebzehn Jahre ist er alt.«

»Und schon in Prima?« wunderte sich Änne. »Meine Brüder haben mir wenigstens erzählt, daß kürzlich ein Ferdinand Sternberg in der Prima neu hinzugekommen ist. In einer Kleinstadt fällt doch jeder neue Ankömmling sofort auf.«

»Ja, Ferdi ist glücklicherweise fleißig und strebsam. Im nächsten Frühjahr hofft er sein Abiturium zu machen. Sonst würde Mutter auch nicht das viele Geld ans Studium wenden.«

»Vertragen Sie sich gut mit Ihrem Bruder?« erkundigte sich Änne teilnehmend.

»O ja, sehr gut; Ich könnte mir gar keinen besseren Bruder wünschen.«

»Und er sich gewiß keine bessere Schwester,« fügte Rola hinzu.

»Ich wollte, ich könnte das gleiche von meinen Brüdern und mir sagen!« seufzte Änne. »Mein Bruder Fritz ist sechzehn und Eduard fünfzehn Jahre. Wir haben uns gewiß auch herzlich lieb; aber trotzdem liegen wir uns meistens in den Haaren – wenigstens bildlich gesprochen. Die Jungens können weiter nichts als necken. Aber trotzdem – vermissen möchte ich sie doch nicht.«

»Nun sehen Sie, dann kann es ja gar nicht so schlimm sein; Geschwister necken sich gern!« tröstete Ilse. »Bei Ferdi und mir ist es auch etwas anderes. Wir haben so Schweres erlebt. Vor einigen Jahren starb unser heißgeliebter Vater, und zu dem Schmerz über diesen Verlust kamen gar bald die Sorgen um das tägliche Brot. Da wird man ernst und vernünftig über seine Jahre hinaus und schließt sich inniger aneinander an.«

»Ich hatte mir schon oft gewünscht, einen Bruder oder eine Schwester zu besitzen.« sagte Rola. »Ich denke mir das reizend.«

»Na, ich danke!« schalt Herta. »Ich fühle mich wirklich nicht beneidenswert als Schwester zweier solcher Rangen. Kannst sie ruhig alle beide bekommen, Rola!«

»Da würden deine Eltern wohl kaum mit einverstanden sein,« lachte diese. »Und dir würde es, glaube ich, doch auch leid tun.«

Herta bejahte das letztere nicht unbedingt. Sie war noch zu ärgerlich über die Brüder, besonders konnte sie Hans die »alberne Gans« nicht vergessen.

Gegen halb 7 Uhr lugte Ilse wiederholt durch den Zaun auf die wenig belebte Straße hinaus. »Ach, da geht Ferdi schon; er wollte mich um diese Zeit erwarten,« sagte sie schließlich. »Es ist auch die höchste Zeit, daß ich gehe. Wir essen um sieben Abendbrot.«

»Nun, so eilig wird es doch nicht sein?« meinte Herta; jedoch auch die anderen erklärten fortgehen zu müssen.

Flink wurden die Handarbeiten in das weiche Seidenpapier gewickelt und der Frau Medizinalrat sowie Herta Lebewohl gesagt. Ilse, die mit Rola und Änne aus die Straße trat, stellte den beiden den hübschen, schlanken Primaner mit der roten Mütze vor. Ferdi Sternberg machte eine tadellose Verbeugung und legte dann seinen Arm in den der Schwester.

»Wenn es Ihnen recht ist, bringen wir Sie nach Hause. Die Luft ist so herrlich, und in einer Kleinstadt gibt es ja kaum große Umwege,« sagte Ilse zu den Freundinnen, und diese nahmen mit Dank an. Man plauderte recht vergnügt. Ilse war durchaus keine schweigsame Natur, wie die Freundinnen schon im Laufe des Nachmittags erfahren hatten; sie wußte sogar sehr angenehm zu unterhalten. Aber auch Ferdi erwies sich nicht im geringsten als blöder junger Mann; freimütig stand er Rede und Antwort. Als erste war Änne am Ziele angelangt. Aus dem Balkon des hübschen Hauses am Marktplatz stand schon die Frau Rechtsanwalt und hielt nach ihrem Töchterchen Ausschau.

Die jungen Leute verabschiedeten sich. »Na, wenn vorher nicht, so sehen wir uns doch am Freitag bei Rodenheims,« sagte Änne zu Rola. »Mit dem Kränzchen bin ich ja jetzt dran. Ich darf Sie doch auch dazu einladen, Fräulein Sternberg? Ich werde Ihnen noch näheren Bescheid geben.«

»Gewiß, ich komme gern.« Ilse nickte freundlich.

»Dann also auf baldiges Wiedersehen!« Änne verschwand, noch einmal freundlich zurückwinkend, in der Haustür.

»Werden Sie auch bei Rodenheims Besuch machen?« erkundigte sich Rola im Weitergehen.

Ilse schüttelte den Kopf. »Nein, wir machen überhaupt keine offiziellen Besuche. Man wird dadurch gleich in den Strudel der Geselligkeit hineingezogen. Und so gern es Mutter schließlich meinetwegen möchte, würde sich ein derartiges Leben für uns zu kostspielig gestalten. Wir müßten uns revanchieren und, sei es auch im kleinsten Maßstabe, selbst Gesellschaften geben. Und gerade um sparen zu können, sind wir doch in die Kleinstadt gezogen. Ich kann auch recht gut ohne diese Vergnügen auskommen; bis zu meinem neunzehnten Jahre habe ich mich nach Herzenslust, austanzen können.«

Wieder klangen Ilses Worte ruhig und gelassen, wie überhaupt in ihrem ganzen Wesen etwas Köstliches, Stilles, Abgeklärtes lag. Und doch ärgerte sich Rola, daß sie eine derartige Frage gestellt hatte. Sie wußte jetzt nicht recht, was sie aus die Worte des jungen Mädchens erwidern sollte, und fühlte sich befangen. Aber dieses Gefühl konnte den beiden Geschwistern gegenüber gar nicht lange vorhalten. In fröhlichem Geplauder legten die drei den Rest ihres Weges zurück, und mit herzlichem Händedruck wurde Abschied genommen.

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