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1. Kapitel.
Eine alte Tyrolienne

Warum sich Karola von ihrer bezauberndsten Seite zeigen will – Herr Burgstetten wundert sich über seine kratzbürstige Tochter – Herta kramt Neuigkeiten aus – Der neue Assistenzarzt.

 

»Gibt es denn gar keinen anderen Ausweg, Mutter? Nichts ist mir schrecklicher, als dem unangenehmen Fräulein Roderich zum Geburtstage zu gratulieren.« Halb bittend, halb unwillig sprach der hübsche Mädchenmund.

»Karola, wann wirst du endlich lernen, auch das einmal gern zu tun, was dir unliebsam erscheint! Die Dame mag ihre Eigenheiten haben – welcher Mensch hat die nicht mehr oder weniger? Jedenfalls ist sie deine Lehrerin gewesen, und ich kenne sie außerdem von früher her. Darum ist es selbstverständlich, daß wir ihr zum Geburtstage eine kleine Aufmerksamkeit erweisen.«

»Wir können ja die Blumen hinschicken,« beharrte Karola.

»Das macht einen kalten, wenig freundlichen Eindruck.«

»Weshalb denn soviel Geschichten wegen einer alten Jungfer?«

Frau Burgstetten schalt selten, eigentlich nie. Sie war eine äußerst sanfte, nachgiebige Natur, aber gerade deshalb hatte ein ernstes, verweisendes Wort aus ihrem Munde den meisten Einfluß auf Karola.

»Es ist gut,« sagte sie jetzt. »Ich werde Fräulein Roderich selbst gratulieren. Im übrigen möchte ich dich ernstlich bitten, nicht so verächtlich von der »alten Jungfer« zu sprechen. Abgesehen davon, daß dieser Ausdruck recht häßlich ist, kommt deiner Jugend ein derartiges Urteil überhaupt nicht zu. Glaube mir, Fräulein Roderich ist nicht umsonst so still und ernst – griesgrämig und verbittert, wie du es nennst. Sie hat viel Schweres durchgemacht und doch immer wieder tapfer und fleißig den Kampf mit dem Leben ausgenommen. Du weißt auch nicht, was das Leben dir noch einmal bringen kann.«

Bei den letzten Worten der Mutter schüttelte Karola etwas ungläubig den Kopf. Was sollte das Leben ihr, der reichen, verwöhnten Karola Burgstetten, wohl Schlechtes bringen? Ihr stand doch die Welt offen! – Im übrigen war ihr das eben Gehörte aber doch zu Herzen gegangen.

»Nein, Mutter, ich will nicht schlechter erscheinen, als ich bin. Das mit der »alten Jungfer« war ungezogen von mir und ist mir eben wieder mal so herausgerutscht. Ich will mir ein Beispiel an deiner Güte und Sanftmut nehmen. Morgen gratuliere ich Fräulein Roderich und werde mich ihr von meiner bezauberndsten Seite zeigen.«

»Das ist mir lieb zu hören. Ich müßte doch auch meine Rola nicht kennen. Immer gleich oben auf mit dem Burgstettenschen Brausekopf, immer die Zunge locker – und dabei sieht's doch gar nicht so schlimm im Herzen aus. Du wirst noch viel lernen müssen, mein Kind. Es geht im Leben nicht immer alles so glatt nach deinem Willen ab, wie du jetzt denkst. – Doch komm, im Freien wird es kühl. Wir wollen sehen, ob der Vater nicht auch für heute Schluß machen will.«

Mutter und Tochter verließen den lauschigen Garten und schritten dem Hause zu. –

Herr Burgstetten, der einer Offiziersfamilie entstammte, hatte, sehr zur Unzufriedenheit seines Vaters, nicht die militärische Laufbahn eingeschlagen, sondern sich dem Kaufmannstande zugewendet, für den er Lust und Neigung hatte. Und das Glück war ihm auf dem selbstgewählten Lebenswege hold gewesen. Mit Hilfe seines mütterlichen Erbteils hatte er in Gürberg ein Handelshaus gegründet, das sich des größten Ansehens erfreute.

Der Chef der Firma saß gegenwärtig eifrig schreibend in seinem Privatkontor, das sich wie die übrigen Geschäftsräume in einem besonderen Gebäude hinter dem hübschen Wohnhause befand. Bis jetzt hatte der Schreibende den Blick nicht von der Arbeit gewendet; nun aber hob er den Kopf. Er vernahm leichte Schritte auf dem Hofe. Freundlich nickte er hinaus und legte gleich darauf aufatmend die Feder hin. Man konnte es ihm nicht verdenken, wenn sein Blick wohlgefällig auf den beiden anmutigen Gestalten ruhte, die dem Kontor zuschritten.

Frau Burgstetten, die in der zweiten Hälfte der Dreißig stand, war eine schöne Frau mit ihrem braunen Haar und den tiefblauen Augen. Und diese Augen blickten aus einem noch so blühenden, jugendlichen Gesicht, daß die allseitige Bewunderung, die man Frau Burgstetten in Gürberg entgegenbrachte, durchaus gerechtfertigt war.

Karola war nicht nur innerlich, sondern auch in ihrem Aeußeren anders geartet als die Mutter, jedoch gerade in ihrer Eigenart ungemein anziehend. Mit ihrem schwarzen, welligen Haar und den dunklen, strahlenden Augen glich sie einer Südländerin. Dazu trug sie den schmalen Kopf so stolz auf dem schlanken Hals, schritt so graziös einher, daß sie die Freundinnen oft scherzend »Marchesa« nannten.

Karola wußte, daß sie hübsch war. Das sagten ihr ja schon die bewundernden Blicke, die sie auf der Straße und im Ballsaal trafen. Und sie hätte kein siebzehnjähriges Mädchen sein müssen, wenn sie sich nicht darüber gefreut hätte.

Mutter und Tochter mußten, ehe sie in das Privatzimmer des Kaufherrn gelangten, das Hauptbüro durchschreiten. Die Herren, die teils an den Arbeitspulten standen, teils auf ihren hohen Schreibsesseln thronten, verbeugten sich höflich. Der Prokurist, ein kleiner, hagerer Mann von etwa 55 Jahren entfaltete einen besonderen Aufwand an Höflichkeit. Er lief den Damen untertänig entgegen und öffnete ihnen unter wiederholten Bücklingen die Tür zum Privatkontor.

»Danke, lieber Herr Hagemann!« nickte Frau Burgstetten freundlich, während Karola sich mit einem ziemlich hochmütigen Kopfnicken begnügte. »Widerlicher Schmarotzer!« murmelte sie zwischen den Zähnen. Ihrem geraden Sinn widerstrebte diese stets zur Schau getragene, übertriebene Höflichkeit. Sie traute dem kleinen, aalglatten Manne mit den unruhigen Augen nichts Gutes zu, während Herr Burgstetten erklärte, Herr Hagemann sei ihm eine treffliche Stütze im Geschäft, über seine kleinen Eigenheiten, die doch nicht einmal störender Natur seien, müsse man hinwegsehen. Karolas Mutter schloß sich diesem Urteil an, wie sie in ihrer Weichherzigkeit ja überhaupt an allen Menschen immer nur das Gute sah. Für Herrn Hagemann hatte sie insofern noch eine besondere Vorliebe, als dieser schon in ihrem väterlichen Geschäft vor einigen Jahrzehnten tätig gewesen war.

Karola eilte jetzt auf den Vater zu, der ihr lächelnd die Arme entgegenstreckte, und gab ihm einen herzhaften Kuß. »Vater,« sagte sie, »wir wollen dich von deiner Arbeit fortholen; es ist Abendbrotzeit.«

»Nun, dann bleibt mir schon weiter nichts übrig, als meinen lieben Mahnerinnen zu folgen. Ich will nur noch schnell die letzten Unterschriften erledigen.«

Nach 10 Minuten schritten die drei dem Wohnhause zu. Der Eßtisch war bereits gedeckt. »Hier ist's gut sein,« sagte Herr Burgstetten, sich behaglich die Hände reibend. »Jetzt soll's munden nach des Tages Arbeit.«

»Hast du denn dem Gärtner schon gesagt, daß er den Strauß für Fräulein Roderich binden soll, Mutter?« fragte Karola.

»Nein, noch nicht! Ich dachte, dazu brauchten wir den Gärtner nicht. Für ein junges Mädchen muß es doch eine hübsche Arbeit sein, Blumen zu binden.«

»Auch das noch?« Das Mädchen lachte. »Mutter, glaubst du wirklich, daß sich Fräulein Roderich darüber freut? Sie erscheint mir immer ziemlich prosaisch und trocken.«

»Kind, glaube mir – sie hat ein goldenes Herz. Du mußt nicht nach dem Schein urteilen. Es ist eben nicht jedermann gegeben, seine Gefühle zu zeigen.«

»Mein Töchterchen geht wohl morgen zur Geburtstagsvisite bei Fräulein Roderich?« fragte Herr Burgstetten. »Ist das ganz ohne Kampf gegangen?«

Karola errötete. »Wie gut kennst du deine kratzbürstige Tochter! Ich muß allerdings zu meiner Schande gestehen, daß ich mich anfänglich dagegen gesträubt habe. Ich habe mich jedoch durch Mutters Vorhaltungen auf mein besseres Ich besonnen.«

»Das ist hübsch von dir. Wir sind diese kleine Aufmerksamkeit Fräulein Roderich schuldig.«

»Glaubt ihr wohl, daß aus mir noch mal eine sanfte Taube werden kann?« fragte Karola kläglich.

Der Vater lachte. »Nein, Rola, das Zeug dazu ist dir wirklich nicht gegeben, aber unter deiner lieben Mutter Einfluß kann aus dem siebzehnjährigen Brausekopf mit der Zeit doch noch ein ganz erträgliches Menschenkind werden.«

»Danke für das Kompliment, mein Herr Papa!« Das junge Mädchen verbeugte sich schelmisch.

»Uebrigens ist von Rodenheims vorhin eine Einladung gekommen,« sagte Frau Burgstetten zu ihrem Gatten. »Freitag über acht Tage haben sie Gesellschaft. Werden wir zusagen?«

Lächelnd blinzelte der Kaufherr zu seiner Tochter hinüber. »Was sagen wir denn dazu?«

»Oh+… ich wäre gar nicht so abgeneigt, und Mutter, glaube ich, auch nicht!«

»Allerdings, ich gehe gern zu Rodenheims,« bestätigte die Mutter, die eine sehr lebensfrohe Natur und gern fröhlich mit fröhlichen Menschen war. »Es sind so prächtige Leute.«

»Nun dann bin ich natürlich überstimmt,« seufzte Herr Burgstetten drollig.

»Gestehe nur, Väterchen, dir macht es auch Freude. Du spielst gern eine Partie Whist mit dem Baron und einigen anderen Freunden. Ihr Herren zieht euch doch immer bald ins gemütliche Rauchzimmer zurück.« – –

Am nächsten Mittag trat Karola mit einem selbstgebundenen Prachtstrauße zur »Gratulationscour«, wie sie es scherzend nannte, bei Fräulein Roderich an. Die Mutter hatte ihr noch ein Päckchen mit Erfrischungen in die Hand gedrückt.

Das alte Fräulein hatte im Hause des Bürgerschullehrers eine kleine Wohnung inne. So gemütlich und sauber die beiden Stuben auch eingerichtet waren, Karola flößten sie immer ein gewisses Unbehagen ein. »Ueber dem Ganzen liegt so ein Altjungferndust, Mutter,« sagte sie förmlich zusammenschauernd. »Es riecht nach Lavendel und verwelkten Rosenblättern.«

»Vielleicht geht dir auch noch einmal der Sinn dafür auf,« hatte Frau Burgstetten erwidert. »Ich liebe gewiß auch die heitere Seite des Lebens, und doch fühle ich mich in dem »Altjungfernheim«, wie du es nennst, wohl. Eine wundervoll abgeklärte Ruhe herrscht in den kleinen Räumen. »Ueber der bescheidenen Einrichtung liegt eine zarte Poesie, eine Poesie, für die du mit deinen siebzehn Jahren eben noch nicht das richtige Verständnis hast. Sieh dich nur einmal genauer um, schaue sie an, die alten Sachen mit dem Duft nach verwelkten Rosenblättern – dann wird dich das Altjungfernstübchen vielleicht auch in seinen Bann ziehen.«

Mit dem Vorsatz, der Mutter Rat zu befolgen, trat Rola in die Wohnung der Lehrerin. Sie hatte zuvor an der Außentür geklopft, doch niemand öffnete. Ein Dienstmädchen hielt sich Fräulein Roderich aus Sparsamkeitsrücksichten nicht, und sie selbst schien das Klopfen nicht gehört zu haben. Nach einigem Zögern klingelte Rola die Tür auf. Sie durchschritt das kleine Schlafzimmer und öffnete die Tür, die in das Wohnstübchen führte. Betreten blieb sie jetzt stehen. Am Tisch, den Rücken der Tür zugewendet, saß Fräulein Roderich. Vor ihr stand eine kleine Spieluhr in Form eines Albums, der eine unendlich zarte Melodie entströmte. Die Weisen einer freundlichen Tyrolienne waren es; jetzt allerdings lag in den schon abgespielten Klängen eine leise zitternde Wehmut – die Erinnerung an vergangene Tage. Fräulein Roderich hob eben den obersten Deckel der Spieluhr empor, auf dessen Innenseite sich ein Männerbildnis befand. Beinahe ein wenig müde fuhr sie sich mit der Hand über die Augen, aus denen sich ein paar Tränen stahlen. Diese Bewegung brachte Karola zum Bewußtsein, daß ihr unbemerktes Verweilen an der Tür indiskret war. Sie räusperte sich leicht, und diese Laute weckten das alte Fräulein aus ihrer Versunkenheit. Sie wandte sich um.

»Ach, Fräulein Karola! Verzeihen Sie nur, daß ich Sie nicht gleich bemerkte. Aber heute ist so ein Tag, an dem alte Erinnerungen wieder wach werden und den Menschen in ihren Bann ziehen.«

Auf dem Antlitz der Sprecherin lag ein so milder Ausdruck, daß Karola ordentlich erstaunt in die sonst ein wenig grämlichen Züge blickte.

Fräulein Roderich war Lehrerin an der höheren Töchterschule in Gürberg und erteilte nebenbei den schulentlassenen Töchtern der Honoratioren zu deren Vervollkommnung Literatur- und Sprachunterricht. Sie war nicht sehr beliebt bei ihren Schülerinnen. In ihrer ganzen Art erschien sie ein wenig kurz angebunden. Daß in ihrem Inneren ein reicher Schatz an Liebe aufgespeichert war, ahnten die jungen Mädchen nicht, sie gaben sich auch nicht die Mühe, um die Liebe des alten Fräuleins zu werben. Mit ihrem jugendlichen Unverstand, ihren sorglosen Herzen, die Kummer und Enttäuschungen noch nie verspürt, bildeten sie sich allzuschnell ein abfälliges Urteil über die Lehrerin.

Heute indessen erschien alles Herbe in des alten Fräuleins Wesen wie fortgewischt, und deshalb fiel es Karola auch leichter, so freundlich zu der ehemaligen Lehrerin zu sein, wie sie es den Eltern versprochen. In wärmerem Tone als gewöhnlich brachte sie ihre Gratulation vor. Das schien auch Fräulein Roderich zu empfinden. Sichtlich angenehm berührt, roch sie an dem duftenden Flieder und öffnete das Paket. Die Delikatessen, die da zum Vorschein kamen, waren für sie seltene Genüsse. Trotzdem sie eine ganz gute Einnahme in dem Privatinstitut hatte, lebte sie sehr sparsam, da sie für ihr Alter sorgen mußte. Und dann hatte sie auch bis vor einigen Jahren allmonatlich regelmäßig eine gewisse Summe auf dem Postamt des Städtchens eingezahlt. Hanna Benders, die für ihren Bruder, den Studenten, öfter Geld zur Post brachte, hatte die Lehrerin häufig dort getroffen. Natürlich hätten die Schulgenossinnen für ihr Leben gern den Namen des Adressaten erfahren, doch war es Hanna trotz eifrigen Halsreckens niemals gelungen, den Namen des Empfängers auf der Postanweisung zu erspähen. –

Während sich Fräulein Roderich noch gerührt für die Geburtstagsgabe bei Rola bedankte, trat eine neue Gratulantin ins Zimmer. Es war Herta Eberstein, die Tochter des Gürberger Arztes und Rolas Schulfreundin.

Das junge Mädchen brachte unter einem ziemlichen Wortschwall gleichfalls ihre Gratulation vor. Inzwischen hatte Karola Muße, sich in dem bescheidenen Raume umzublicken. Sie wollte doch einmal sehen, ob sie etwas von der Poesie bemerkte, von der die Mutter gesprochen. Einen recht altmodischen, aber unstreitig anheimelnden Eindruck machte alles – und peinlich sauber war es in dem einfachen Zimmer.

An der Längswand stand das Sofa im behaglichen Biedermeierstil, davor ein ovaler Tisch mit geblümter Decke, um ihn im Halbkreise vier Stühle mit hochgewölbten Lehnen. Den weißen Kachelofen verdeckte teilweise ein perlengestickter Schirm – gleichfalls ein Stück aus Großmutters Zeiten. An der dem Sofa gegenüberliegenden Wand stand ein Tafelklavier, und zwischen den beiden Fenstern mit den blendendweißen Mullgardinen der Nähtisch und ein rohrgeflochtener Sessel. Auf einer Etagere sah man altmodische Nippes – zierliche Schäfer und Schäferinnen aus Meißener Porzellan. Auf einem geschnitzten Brett über dem Sofa stand unter einer spinnwebenfeinen Glasglocke eine vergoldete und reichverschnörkelte Uhr. Einige Bilder – teils Photographien, teils Schattenrisse – bildeten die weitere Ausschmückung des Zimmers. Ein gewisser Zauber lag über diesem Altjungfernstübchen, das mußte auch Karola bei näherer Betrachtung zugeben, zumal es heute nicht nach Lavendel und verwelkten Rosenblättern roch, sondern der lebensfrische Duft der Geburtstagsblumen vorherrschte. Und aus jeder kleinen Nippes, aus jedem Bilde schien Rola die alte Tyrolienne entgegenzuklingen.

Das junge Mädchen wurde jetzt in seinen Betrachtungen unterbrochen. Fräulein Roderich setzte ihren Gästen selbstgebackenen Kuchen und ein Glas Wein vor. Mit Appetit griffen die Mädchen zu. »Sie können aber ausgezeichnet backen!« sagte Karola in ehrlicher Anerkennung, während Herta Eberstein sich in übertriebenen Lobpreisungen erging, wie sie sich überhaupt bei allen Leuten beliebt zu machen suchte. Karola, die sich sonst ganz gut mit der Freundin stand, war in dieser Beziehung schon oft mit ihr zusammengeraten. Sie haßte das ewige Schöntun und Schmeicheln, zumal wenn es, was bei Herta meistens zutraf, nur eine leere Formel bedeutete und den Zweck hatte, sich angenehm zu machen.

»Ueberhaupt,« fuhr Herta fort, »ist es ganz reizend bei Ihnen, liebes Fräulein Roderich.«

Die Gerühmte, die Hertas wahre Natur schon lange erkannt hatte, nahm das Lob etwas zurückhaltend auf. Sie war überhaupt durch trübe Erfahrungen mißtrauisch geworden und hatte auch meistens Grund dazu. Ihre Schülerinnen hatten ihr nach Art halbwüchsiger, unverständiger Menschenkinder manchen Aerger bereitet. Fast immer war Fräulein Roderich das Opfer ihrer ausgelassenen und oft recht lieblosen Neckereien gewesen. Wegwerfend wurde sie eine alte Jungfer genannt. Die Backfische dachten nicht daran, daß Fräulein Roderich auch einmal so jung und froh wie sie ins Leben geschaut, daß unerwartete Maienstürme all die verheißungsvollen Lenzesblüten zerstört hatten, ebenso wie es ihnen selbst einmal gehen konnte. –

Nach Verlauf einer knappen Viertelstunde verabschiedeten sich die jungen Mädchen. Draußen legte Herta ihren Arm in den der Freundin. »Wie bin ich froh,« sagte sie lachend, »daß ich das wieder mal hinter mir habe. Gräßlich ist so eine Visite bei einer alten Jungfer. Ich finde, sie wird immer schrulliger. Und wie lächerlich einfach, um nicht zu sagen gewöhnlich, ist ihre Kemenate!«

Ihrem ersten Impulse folgend, wollte Karola sich vom Arm der Freundin losmachen, aber sie besann sich errötend. Hatte sie gestern nicht selbst häßliche Worte zur Mutter über das alte Fräulein gesprochen? Jetzt, da sie ähnliche Reden aus einem anderen Munde vernahm und somit sich selbst gleichsam in einem Spiegel sah, schämte sie sich ihrer Herzlosigkeit, zumal der Mutter liebevolles Zureden und nicht zuletzt jene anschmiegende, zu Herzen gehende Tyrolienne auf der alten Spieluhr ihr das Herz weich gemacht hatten.

»Ich begreife nur nicht,« sagte Rola jetzt, »daß du Fräulein Roderich eine Schmeichelei nach der anderen ins Gesicht zu sagen vermagst und wenige Minuten später hinter ihrem Rücken abfällig und spöttisch über sie urteilst.«

»Man muß doch ein bißchen so tun,« antwortete Herta achselzuckend. »Uebrigens stelle dich nur nicht so, du kannst sie doch selbst nicht leiden.«

»Ich habe sie dann aber auch niemals angehimmelt; im übrigen bedauere ich jetzt sehr, nicht besser zu ihr gewesen zu sein. Ich habe sie heute von einer ganz anderen Seite kennen gelernt.«

»Na, ich nicht!« warf Herta leicht hin. »Aber das ist Geschmacksache, mein liebes Herz.« Sie schwieg einen Augenblick und begann dann vergnügt zu lachen. »Weißt du, köstlich waren unsere Streiche doch! Erinnerst du dich noch, wie wir Fräulein Roderich, wenn sie langsam und bedächtig durch die Bankreihen schritt, das Taschentuch aus der Tasche zogen, wie sie es dann in hilfloser Verlegenheit schließlich vergeblich zu suchen begann? Nachdem wir uns genügend an ihrer Verlegenheit geweidet hatten, stand eine von uns in größter Harmlosigkeit auf: »Fräulein Roderich, ist das vielleicht Ihr Taschentuch? Es lag neben meiner Bank.« Wie mißtrauisch sie dann ihre scharfen Blicke über uns armen Sünder gleiten ließ!«+… Herta machte Miene, weitere Streiche auszukramen, aber Karola unterbrach sie ungeduldig. »Höre doch auf davon! Schlimm genug, daß wir damals Gefallen fanden. Ich schäme mich tatsächlich, wenn ich daran zurückdenke.« Sie versank in Schweigen. Wieder hörte sie im Geiste die abgespielten, wie zartes Silber tönenden Klänge der Tyrolienne aus vergangenen Tagen, sah Fräulein Roderich vor sich, wie sie in stillem Lauschen die Tränen aus den Augen wischte. Das hatte eine ganz neue Saite in ihrem Herzen angeschlagen, hatte ihr gezeigt, daß ein warmfühlendes Herz in Fräulein Roderichs Brust schlug.

Karola war froh, als Herta jetzt ein anderes Thema begann. »Du darfst mir übrigens Glück wünschen, Rola! Papa hat gestern die Ernennung zum Medizinalrat erhalten.«

»Da gratuliere ich herzlich. Das ist gewiß eine große Freude für euch?«

»Na, das kannst du dir denken. Ich bitte, mich jetzt in Zukunft genügend zu respektieren!«

»Ach, den Titel hast du dir wohl persönlich erworben?« spöttelte Rola.

Die andere lachte. »Das gerade nicht, du Spötterin. Aber es ist doch schließlich eine Ehre für die ganze Familie. – Ich habe übrigens noch eine Neuigkeit. Du weißt, Papa konnte seine große Praxis schon längst nicht mehr allein schaffen, heute morgen hat er nun endlich die ersehnte Hilfskraft bekommen. Dr. Scholz heißt er. Der Name ist ja ein bißchen alltäglich, aber im übrigen ist er – nämlich der Doktor – ein sehr hübscher Mensch, wenigstens nach meinem Geschmack. Er logiert vorläufig im Gasthause. Jedenfalls wird er das hübsche Besitztum vom alten Medizinalrat kaufen. Frau Neuberger, die es bis vor kurzem bewohnte, ist zu ihrer Tochter nach Frankfurt gezogen. Dr. Scholz gefällt das Haus sehr. Seine Mutter wird ihm dann den Haushalt führen. Vielleicht heiratet er auch bald. Er ist nämlich schon 32 Jahre.«

»Das ist ja hochinteressant!« sagte Karola wieder ein wenig ironisch. Aber die andere hörte den feinen Spott nicht heraus. »Nicht wahr? Ich finde es auch riesig nett, daß wieder mal ein neuer sogenannter junger Herr hier auftaucht. Man begegnet in einer Kleinstadt auf Bällen und Gesellschaften doch immer denselben Herren+… Aber dabei fällt mir eben die Gesellschaft bei Rodenheims ein. Ihr geht doch auch hin?«

Karola bejahte, und Herta fuhr fort: »Wir kommen natürlich auch, obwohl sich Mama am liebsten wieder drücken möchte. Sie geht zu ungern unter Menschen. Papa will Dr. Scholz in den nächsten Tagen beim Baron vorstellen; er ist doch dort Hausarzt. Vielleicht laden Rodenheims den Doktor auch ein, denn an jungen Herren ist doch immer Mangel. Ob er überhaupt tanzen kann? Er sieht sehr ernst und würdig aus.«

Karola lachte. »Der neue Doktor scheint es dir doch angetan zu haben, Herta. Das muß ja ein Musterexemplar sein! Mir ist's jedenfalls recht, wenn er kein fader Schwätzer ist wie manche unserer jungen Herren.«

Die Freundinnen waren jetzt an Karolas Elternhaus angelangt. »Du vergißt doch nicht, daß morgen bei mir Kaffee ist?« fragte Herta.

»Nein, ich habe schon daran gedacht.«

»Aber nicht später als vier Uhr!«

»Auf mich kannst du dich verlassen. Sonst muß ich ja essen, was übrig bleibt!« Rola lachte.

»Na ja, bon! Also auf Wiedersehen, Liebling!«

»Guten Tag, Herta!« – Wenige Sekunden später war Karola im Hausgang verschwunden.

Beim Mittagessen sprach sie mit den Eltern über ihren heutigen Besuch.

»Nun war es denn so schlimm?« fragte Frau Burgstetten lächelnd.

»O nein, Mutter! Ich habe sogar bei eifrigem Herumspähen ein Zipfelchen Poesie entdeckt,« gab Rola heiter zurück; aber gleich darauf wurde sie ernst.

»Weißt du eigentlich nichts Näheres aus Fräulein Roderichs Leben, Mutter? Du sagtest, sie habe viel Schweres durchgemacht+…«

»Ja, Kind, das Leben hat ihr nicht viel Sonnenschein gebracht. Sie stammt aus der gleichen Stadt, in der ich meine erste Jugend verlebt habe. Warum aber alte, traurige Geschichten aufrühren!« Ueber Frau Burgstettens Antlitz glitt ein wehmütiger Zug. Rola merkte wohl, daß die Mutter nicht weiter gefragt zu werden wünschte. –

Am Nachmittag machte Karola mit der Mutter einen Spaziergang. In der Hauptstraße des Stäbchens begegnete ihnen Herta Eberstein an der Seite eines großen, schlanken Herrn. Das junge Mädchen grüßte mit strahlendem Lächeln, während ihr Begleiter tief den Hut zog.

»Das war doch ein Fremder?« fragte Frau Burgstetten.

»Sicher der neue Assistenzarzt,« meinte Rola. »Mich wundert nur, daß man Herta schon mit ihm zusammen sieht. Er ist heute morgen erst gekommen.«

»Er macht einen sehr guten Eindruck, wenigstens soviel man aus den ersten Blick beurteilen kann,« sagte Frau Burgstetten.

»Ja, Herta scheint das auch zu finden. Sie schwärmte schon heute morgen von ihm,« erzählte Rola lächelnd, während sie mit der Mutter weiterschritt.

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