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Der Mäßigkeitsverein

 

I.

 

»Du willst nicht beitreten, Vetter!« fragte Herr van Huysum.

»Nein, Ohm,« antwortete Hendrik. »Erlaßt mir das, es ist gegen meine Grundsätze.«

Ein junges Mädchen, das im Zimmer saß und die Füße über einem blanken Kohlenbecken hielt, sprang wie ärgerlich von ihrem Stuhle auf und legte den Kopf an die Fensterscheiben, auf die der Frost die schönsten Blumen gemalt hatte. Draußen stürmte und schneite es, daß man sich desto behaglicher in der festen, warmen Stube befand.

»Und Deine Ursachen, junger Herr?« fragte der Alte und blies immer dickere Wolken aus seiner irdenen Pfeife.

»Die Ursachen?« antwortete der junge Mann, betrübt nach dem Mädchen hinschauend, das ihm unwillig den Rücken kehrte und die Achseln zuckte. »Schenkt sie mir, Ohm. Wenn Euch das Ding Spaß macht, ich gönne es Euch, aber laßt jedem seine Ansichten darüber.«

»Das heißt,« antwortete der Alte immer böser, »Ihr haltet Euch für klüger, wie der Ohm, und meint, den könne schon noch ein Steckenpferd reiten, über das ein Studirter, wie Ihr, lange erhaben seyd. Das junge Volk weiß ja jetzt Alles besser, und ist so verdorben, daß es gar nicht einmal leiden will, daß die Welt sich bessere.«

»Und glaubt Ihr es damit zu erreichen?«

»Jawohl, myn Heer! In der Sittenlosigkeit des Volkes liegt der Kern des Uebels, von dem alles Unglück über die Welt ausgeht. Wäre das Volk moralischer, so wären alle die Gräuel nicht vorgefallen, die alle Staaten betroffen haben. Hier steht es,« auf ein großes Papier schlagend, »die Moral ist die Stütze des allgemeinen Wohles, die Moral aber wird durch die Ausschweifung untergraben.«

»Wer läugnet das?« erwiederte der Neffe. »Ich meine nur, daß die Mittel dazu verkehrt angegriffen werden. Ich bin so gut, als einer, überzeugt, daß nichts von Bestand seyn kann, was nicht auf ein moralisches Prinzip begründet ist, und daß allen Verwirrungen und Umwälzungen der Staaten für immer vorgebeugt würde, wenn es möglich wäre, durch alle Klassen eine gesunde Moral zu verbreiten. Wo überall gleich hohe Sittlichkeit herrscht, kann kein Sturm entstehen, der eben nur eine Folge der Verrückung der Elemente, ein Kampf zwischen feindlichen Bestandtheilen ist, und der nicht bloß faule, sondern auch gesunde Stämme entwurzelt, ehe es zur Ruhe kommt. Ich bin so gut, wie einer, ein Feind aller solcher Organe und wünschte nichts sehnlicher, als daß sich die höchste Vollkommenheit durch ein ruhiges Fortschreiten erreichen ließe.«

»Also!«

»Nur zweifle ich, daß das bloß auf diesem Wege zu erlangen sey, vielmehr glaube ich, daß man dieses mit Unrecht als ein Hauptmittel betrachtet und überhaupt das Kind mit dem Bade ausschüttet.«

»Ich sehe schon, er gönnt mir nicht, daß ich auch etwas geworden bin. Es ärgert ihn, daß der schlichte Ohm auch etwas bedeutet. Nun ja, ich halte etwas darauf, daß ich auch Mitglied eines Vereins bin, der mich im ganzen Dorfe allein zum Protektor und Bekehrer gemacht hat, und ich will dafür thun, was ich kann, und wer nicht mit mir ist, ist gegen mich.«

»Ihr seyd Mitglied des Mäßigkeitsvereins von Alkmar geworden, und sollt Theilnehmer dafür auch in unserm Dorfe Heilo anwerben. Wenn es Euch Freude macht, warum soll es mir nicht auch lieb seyn? Nur verargt es mir nicht, daß ich nicht solchen Werth darauf lege, wie Ihr, rechnet es mir nicht übel an, daß Eure Versuche bei mir gescheitert sind. Ich kann mich nun einmal nicht von dem Nutzen überzeugen. Wenn die Gesellschaft bloß bei dem Buchstaben ihres Namens stehen bliebe, so ließ ich es mir gefallen, und ich glaube selbst, daß sie dann Gutes stiften könnte. Aber sie ist unmäßig in ihrer Mäßigkeit. Sie will nicht beschränken, sondern gleich Alles nehmen. Und das ist nicht gut. Ich halte Trunkenheit, das heißt nicht einen gelegentlichen zufälligen Rausch, sondern das Laster des fortgesetzten übertriebenen Trinkens für kein geringeres Laster, als Ihr, das nicht bloß für den Augenblick zu leidenschaftlichen Ausbrüchen führen kann, sondern das den ganzen Menschen verdirbt, das Wohl seiner ganzen Umgebung untergräbt und so immer weiter wirkt. Denn ein Laster ist kein Oelfleck auf einem Blatt Papier, es greift immer weiter um sich und es ist kein Mittel, als schnell ein Stück abzureißen, um den Rest zu retten. Aber zwischen trunken seyn und trinken, ist ein Unterschied. Warum wollt ihr dem armen Mann das einzige Labsal und Erfrischungsmittel, das er hat, ganz rauben? Der Schnitter, der in der Hitze des Sommers seine schwere Arbeit verrichtet, der Fischer, der im kalten Wasser watet, warum ihm diese einzige Erquickung entziehen? Ich ließe mir gefallen, wenn man einen Preis auf Mäßigkeit setzte, auf irgend eine Weise den Trunkenbold zu isoliren suchte. Dann freilich müßten denn die vornehmen Klassen mit gutem Beispiele vorangehen. Wie kann man sonst auf das Volk wirken? Der gemeine Mann wird immer antworten, ihr habt gut den Branntwein in die Acht zu erklären, ihr trinkt Wein, wir tauschten auch gern, könnten wir es nur bezahlen. Verbreitet mehr Bildung und Religion unter das Volk und das Uebrige wird sich von selbst finden. In den Beiden liegt der eigentliche Lebenskeim für das Wohl der Menschheit; Unmäßigkeiten sind nur die Hitzblattern der Verzweiflung, des Elends, der Gleichgültigkeit gegen unsere Pflichten; sie vergehen schon, wenn der Mensch zum Bewußtseyn seines Berufes kömmt. Gute Schulen, gute Kirchen sind besser, als alle solche Vereine.«

»Katharina, bring das Frühstück,« sagte Herr van Huysum und rückte seinen Stuhl ärgerlich von dem Vetter weg.

Das Mädchen eilte hinaus und warf im Vorausgehen dem Cousin Hendrik einen strafenden Blick zu. Der Vetter ließ betrübt den Kopf sinken. Der Alte stopfte sich die Pfeife und hielt sie über das neben ihm stehende Gefäß mit glühenden Torfkohlen. In seinem Aerger blies er die Backen so auf, daß die Asche umherflog und die Pfeife nicht brennen wollte. Er murmelte ein Gott verdamm! vor sich hin, und nahm den brennenden Fidibus an, den ihm Hendrik währenddeß im Ofen angezündet hatte. Er bedankte sich aber nicht, sondern kehrte ihm gleich wieder den Rücken.

Katharina kam indeß mit dem Kaffee herein, legte das glänzendweiße Tischzeug auf und stellte die Tassen in Ordnung. Aus einem Schränkchen holte sie eine Flasche Genever und Gläser herbei.

»Alle das ist doch nicht verpönt?« sagte Hendrik lächelnd, schenkte sich ein Glas voll und wollte auch das des Oheims füllen.

»Ich will Euch zeigen, daß ich mit gutem Beispiel vorangehen kann,« antwortete der Alte stolz und schob die Flasche zurück. Ein leiser Seufzer folgte jedoch der heroischen Entsagung.

»Nehmt doch nur, es sieht es ja keiner. Ihr seyd es gewohnt, und wißt, daß es bei unserm Klima beinah unentbehrlich ist.«

»Und wenn es keiner sieht, Herr Naseweis, ich thu es doch nicht. Ein für allemal, ich mag die superklugen Leute nicht, die andere immer über die Achseln ansehen. Ich brauche keinen Rath und keine Belehrung, und weiß schon selber, was mir recht ist. Ich lasse mich von niemanden hofmeistern und will nun einmal meinen Kopf aufsetzen. Der Mäßigkeitsverein soll sehen, was er an mir für ein Mitglied hat, und das ganze Dorf muß mir beitreten. Ich kann Ihn schon entbehren.«

»Das Dorf wird Ihnen zu Liebe beitreten, weil es viel an Ihnen verdient, aber außerdem sich doch darüber lustig machen.«

»Das wollen wir sehen. Gott befohlen! Ich brauche keinen Rechthaber in meinem Hause.«

Hendrik nahm ärgerlich seinen Hut und verließ das Zimmer. Katharina begleitete ihn hinaus.

»Schickst Du mich auch fort?« sagte er, sich an der Thüre umwendend und ihr betrübt in die dunkeln Augen blickend.

»Ich kann auch keinen Rechthaber brauchen!« antwortete sie schnippisch.

Er hielt ihr bittend die Hand hin. Aber sie nahm sie nicht.

»Was!« sagte sie hastig. »Ist das Liebe? Der Vater ist die beste Seele von der Welt und meint es so gut mit Dir und mit uns, und Du kannst ihm nicht die kleine Freude lassen? Wenn er sich etwas auf das dumme Zeug einbildet, mußt Du ihn denn lächerlich machen und Deine Weisheit auskramen. Was hätte es Dir geschadet, wenn Du Dich hättest von ihm anwerben lassen. Aber so seyd Ihr Alle. Eure Eitelkeit geht Euch über Alles, und wenn Ihr etwas besser wißt, so müßt Ihr es auch durchfechten, und wenn Ihr dabei auch mit dem Kopfe anrennt. Bei aller Klugheit sind sie doch nicht so klug, um Alles zu denken, und hernach bereuen sie es. Ich mag keinen Liebhaber, der so leicht seine Liebe vergißt.«

»Katharina!« seufzte der Vetter.

»Ich bin des Vaters gehorsame Tochter und der ist eigensinnig genug, mich jetzt dem ersten beßten Mäßigkeits-Kandidaten zu versprechen. Und wer weiß, ob nicht ein nüchterner Mann besser ist, als einer, der kein Maaß halten und nicht einmal seine Zunge beherrschen kann.«

Hendrik wendete sich verletzt um und öffnete die Thüre.

»Lebe wohl!« sagte er mit erstickter Stimme.

»Lebe wohl!« sagte sie. Aber wie er ihr den Rücken wandte, umfaßte sie ihn von hinten, drehte ihm den Kopf herum, drückte einen Kuß auf seinen Mund, stieß ihn zum Hause hinaus und warf die Thür in's Schloß.

Hendrik ging glücklich nach Hause.

 

II.

 

Hendrik wohnte bei seiner Mutter, einer Halbschwester des gleichen Herrn van Huysum, die aber nicht in den glänzendsten Umständen lebte. Van Huysum hatte sich, ohne je sein Dorf verlassen zu haben, theils durch Erbschaften, theils durch einige glückliche Spekulationen ein Vermögen erworben, das ihn nicht allein zum einflußreichsten Manne von Heilo machte, sondern ihn selbst in jeder Stadt für einen reichen Mann hätte gelten lassen. Seine Frau war ihm früh gestorben, und hatte ihm nur die eine Tochter hinterlassen, die er zärtlich liebte. Er war von Herzen gut, aber von schwachem Karakter, der sich leicht leiten ließ, aber auch, wie gewöhnlich, zu Zeiten in Eigensinn ausarten konnte, wenn man ihn die fremde Ueberlegenheit sehr empfinden ließ. Gegen seine Schwester, die Mutter Hendriks, war er aufmerksam, ohne daß das Verhältniß irgend eine Innigkeit angenommen hätte. Sie hatte zu viel Schärfe des Verstandes, als daß ihm der Umgang mit ihr willkommen gewesen wäre. Doch war es selbst sein Wunsch gewesen, seine Tochter mit ihrem Sohne zu verbinden, wenn sich sonst eine Neigung zwischen den beiden jungen Leuten entwicklen sollte.

Zwischen Hendrik und Katharina hatte sich aber von Kindheit an ein inniges Verhältniß angesponnen, das mit Jahren nur noch an Kraft zunahm. Hendrik hatte die Schule von Alkmar, später die Universität von Gröningen bezogen und erwartete mit jedem Tage seine Anstellung als Prediger, nach welcher er seine Cousine zum Altar zu führen dachte. Aber währenddeß hatte er den Karakter seines Oheims aus den Augen verloren, zum Theil auch selbst etwas Einbildung auf sein eigenes Urtheil angenommen, so daß er bei seinem letzten Besuche im Dorfe den Vater seiner Geliebten noch mehr verletzt hatte. Der Streit wegen des Mäßigkeitsvereins war nicht der erste, aber er genügte, das Maaß voll zu machen. Herr van Huysum war ernstlich aufgebracht über seinen Neffen und wollte die begütigenden Worte, welche Katharina versuchte, nicht anhören.

»Nichts da!« antwortete er in einem fort, »ich will nichts mehr von ihm wissen. Wenn er Geld von mir haben will, so werde ich es ihm nicht abschlagen; aber mein Schwiegersohn wird er nicht.« Katharina schüttelte mit dem Kopf und lächelte verstohlen. »Lache Du nur,« fuhr er immer erhitzter fort. »Es wird auch nichts daraus. Wenn er schon als Liebhaber so mit mir umgeht, wie wird er mich erst behandeln, wenn ich ihm Alles geben habe, was ich ihm geben kann. Und was hast Du denn für ein Loos bei einem solchen Trotzkopf zu erwarten? Ich will jemand haben, der mich in meinen alten Tagen respektirt, der mir nicht durch Aerger mein Leben verkürzt.«

»Er wird es wieder gut machen.«

»Der? Nimmermehr. Laß ihn nur erst Pastor seyn, dann weiß er gar nicht mehr, wie er den Kopf tragen soll und sieht uns Alle über die Schultern an. Ich suche mir einen Eidam, der es redlich mit mir meint und Dich glücklich machen wird.«

»Doch nicht wider meinem Willen!« sagte Katharina und küßte ihren Vater. »Das kannst Du ja gar nicht.«

Hendrik war seit seinem Zanke mit dem Oheim nicht mehr in dessen Haus erschienen. Doch hatten sich die beiden Liebenden mehrmals bei seiner Mutter gesehen, wo es nie ohne Zank und Versöhnung abgegangen war. Katharina machte dem Vetter Vorwürfe darüber, daß er sich so unklug gegen ihren Vater benommen. Er nahm ruhig ihren Tadel hin und antwortete nur, er könne nicht gegen seine Ueberzeugung sprechen. Er hatte keine Ahnung gehabt, daß ein so geringfügiger Gegenstand ihm das Herz des Verwandten abwendig machen könne. Er war zugleich zu stolz, bei seinem Oheim wieder einzulenken, und zu niedergeschlagen, die Sache leicht aufzunehmen. Wenn Katharina ihn gehörig ausgezankt hatte, mußte sie am Ende ihm wieder Muth einsprechen und sich heiterer stellen, als sie zuweilen selbst war.

Eines Tages war sie nicht gekommen. Hendrik war wie ohne Kopf herumgegangen und dachte sich das Schlimmste. Bald fürchtete er, sie sey krank, bald, sie liebe ihn nicht mehr. Den andern Morgen duldete es ihn nicht mehr in seinem Zimmer. Er ließ seine Scheu fahren und lief spornstreichs nach dem Hause des Oheims. Unten war niemand, den er fragen konnte. Er sah im Geiste Katharina auf dem Krankenbette und stürmte in die Wohnstube. Herr van Huysum stand vor dem Wandschrank und ließ vor Schreck eine Flasche fallen, die er in der Hand hielt. Der Inhalt ergoß sich über den Fußboden und verbreitete einen starken Wachholdergeruch.

»Was gibt es?« fuhr der alte Herr auf.

»Ich – ich glaubte,« stotterte Hendrik, der selbst erschrocken war, »genirt Euch nicht.«

»Ich wollte die Flasche aus dem Hause schaffen,« sagte van Huysum, der sich auch gefaßt hatte, »denn es soll mir kein Tropfen Spiritus mehr in meine vier Pfähle kommen.«

»Was braucht Ihr Euch zu entschuldigen? Und wenn Ihr auch ein Glas hättet trinken wollen!«

»Was soll das heißen?« fragte der Alte, indem er sich abwendete, weil er fühlte, daß er roth wurde.

»Ihr habt ja das Glas noch in der Hand.«

»Das Glas!« antwortete der Oheim verlegen. »Das Glas – das – das sollte auch fort. Aber was wollt Ihr?«

Katharina war über den Lärm hereingekommen. Hendrik warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. Sie ging an ihm vorüber, um die Glasscherben aufzuheben und flüsterte ihm bloß zu: »Ich konnte nicht.«

»Jetzt nichts mehr,« erwiederte der junge Mann und empfahl sich.

Katharina begleitete ihn bis zur Thüre und sagte: »Adieu, Vetter, wir fahren heut auf ein Paar Tage nach Alkmar.« Leise, ohne daß der Vater es hören konnte, fügte sie hinzu: »komm nach!«

 

III.

 

Alkmar ist trotz seines Alters eine sehr freundliche Stadt, voll interessanter Gebäude. Aber an dem Tage, wo Hendrik die Hauptstraße auf und ab ging, schien er keinen Sinn für alle Herrlichkeiten zu haben, die sich seinem Blicke darboten. Selbst die alte Laurentiuskirche mit ihren zierlichen Colonnaden vermochte seine Aufmerksamkeit nicht auf sich zu ziehen, und er verwandte das Auge nicht von einem gewöhnlichen Hause, bei dem nichts weiter war, als der Gasthof zur Doele, der aber eine eigene Anziehungskraft auf ihn auszuüben schien.

Er starrte eben nach einem Fenster des ersten Stockwerkes hin, als ihn plötzlich jemand auf die Schultern schlug, daß er erschrocken zusammenfuhr und ein Paar Schritte zurücksprang.

»Träumer!« sagte lächelnd ein junger Mann, der ihm, ohne daß er es merkte, so nahe gekommen war und reichte ihm die Hand.

»Dujvel!« rief Hendrik verwundert aus und drückte dem Andern die Hand. »Wo kommst Du hieher?«

»Ganz natürlich. Ich bin hier wohlbestallter Medikus, aber Du? Und mit dem Gesicht? Mensch, was ist mir Dir vorgegangen? Ich erkenne den fröhlichen Studenten nicht mehr. Was ist aus Dir geworden?«

Hendrik seufzte.

»Also Du bist verliebt! Wie! Bist Du Deiner kleinen Braut, von der Du sonst so viel schwärmtest, treulos geworden? Hat Dich eine andere in ihr Netz gezogen und läßt Dich zappeln.«

»Ach nein,« antwortete Hendrik. »Wir lieben uns noch und sie wohnt dort, hinter jenem Fenster, aber der Vater will mir nicht sehr wohl und hat die Grausamkeit und die Schwäche gehabt, sie gestern einem Menschen zur Frau zu versprechen, der ihn auf unbegreifliche Weise in ein Paar Tage mit seinen Schmeicheleien so umsponnen hat, daß er gar keinen eigenen Willen mehr hat. Nur wenn Beide zusammen ausgehen, kann ich meine Katharina auf einen Augenblick sprechen, und jetzt eben warte ich auf diesen glücklichen Moment, denn der Oheim geht zu einem Festmahle, das der Mäßigkeitsverein veranstaltet hat. Der verdammte Verein! Er ist an all meinem Unglück schuld. Mein Nebenbuhler ist Präsident der Gesellschaft. Tritt etwas zurück, die Thür geht auf.«

Aus dem Gasthofe kam wirklich eben jetzt der alte van Huysum heraus und hatte einen Mann am Arme, der schon seine besten Jahre, die für die Liebe nicht mehr die besten sind, erreicht hatte. Es war eine kleine, etwas untersetzte Figur und das stark geröthete Gesicht schien allerdings, wenn auch nicht Mäßigkeit zu verrathen, doch sie für sein eigenes Wohl anzurathen.

»Der?« fragte Dujvel, als die Beiden vorüber waren, ohne sie bemerkt zu haben.

Hendrik nickte.

»Der bankerotte Weinhändler, das schlechte Subjekt? Das geht nicht. Verlaß Dich auf mich, ich helfe Dir. Geh jetzt zu Deiner Muhme, tröste sie und versichere ihr, aus der verhaßten Verbindung würde nichts, oder ich müßte nicht mehr ich seyn. Ich werde den Alten noch heut zu bearbeiten anfangen, denn ich bin auch bei dem Diner als kräftiges Mitglied des Vereins. Du siehst mich an, als ob das so etwas Wunderbares wäre. Bin ich nicht immer ein Freund der Mäßigkeit bei Andern gewesen, obgleich sie als Doktor mir nichts einbringt? Habe ich nicht immer zu trinken aufgehört, wenn ich genug hatte und mir je den Magen verdorben mit schlechten Sachen? Und dann ist es Mode, und ich darf mich nicht ausschließen. Verlaß Dich auf mich, ich sprenge den Onkel und seinen neuen Freund auseinander, und müßte es auch mit Champagnerpfropfen geschehen.«

 

IV.

 

Im Gasthofe zur Burg war große Tafel. Der Mäßigkeitsverein der guten Stadt Alkmar hatte schnell um sich gegriffen und viele Anhänger gewonnen. Der lange Tisch, der beinahe die beiden Enden des geräumigen Saales berührte, war an jeder Seite ganz besetzt. In der Mitte hatte der Präsident einen etwas erhöhten Platz, ihm zur Seite befand sich Herr van Huysum. Der Doktor hatte sich ihnen gerade gegenüber gesetzt.

Als die Suppe vorüber war, erhob sich der Präsident und sagte: »Verehrte Versammlung! Wir feiern heut einen wichtigen Tag. Es ist der Einweihungstag einer Gesellschaft, die, aus den Edelsten unserer Stadt zusammengesetzt, sich das schöne Ziel vorgesteckt hat, ihr Scherflein zur Besserung des Menschengeschlechtes beizutragen. Und wahrlich, es ist kein reiner Zweck, den sie vor Augen hat. Sie will das Laster ausrotten, die Gemeinheit vertilgen, das schlechte Prinzip vernichten und der Tugend eine breite Straße ebnen. Und wodurch kann sie das alles erreichen, als indem sie der Unmoralität die Mittel raubt, sich zu entwickeln? Wir alle wissen, welchen verderblichen Einfluß die geistigen Getränke ausüben, indem sie den Körper nicht bloß zerrütten, sondern auch noch das Geistige im Menschen verderben, und durch Abtödtung aller edlern Bestandtheile zu jedem Unfuge die Hand bieten. Der gemeine Mann namentlich wird das erste Opfer. Er verschwendet seine geringe Habe, bekömmt einen Abscheu gegen die Arbeit, bringt sich und die Seinigen ins Elend und legt so den Grund zu allen Verbrechen, die uns täglich betrüben. Diesem Unglück entgegen zu arbeiten, sey unser Ziel, mit dem besten Beispiel voranzugehen, unser Bestreben. Wir schwören hiermit feierlich, allem Geistigen zu entsagen, und niemanden mehr zu beschäftigen, in unsere Dienste zu nehmen, oder Arbeit zu geben, der nicht denselben Grundsätzen folgt. Wenn wir streng darauf sehen, so wird binnen Kurzem der Branntwein aus unserer Stadt verschwunden seyn und die Moralität ihren unvergänglichen Sitz bei uns aufschlagen. Alkmar wird ganz Niederland als Stern voranleuchten und das Vaterland mit mir in den Ruf einstimmen: »Es lebe der Mäßigkeitsverein!«

Die ganze Gesellschaft stieß mit den Gläsern an und stimmte in das Hoch! ein.

»Was trinken denn die Herren?« fragte van Huysum schüchtern, »sie haben ja lauter Weinflaschen vor sich.«

»O,« antwortete der Präsident verlegen, »es ist ungefärbtes Wasser. Sie können sich noch nicht an die neue Ordnung gewöhnen und müssen wenigstens den Schein ihrer früheren Lieblinge vor sich haben, bis sie sich hinlänglich im Glauben gestärkt fühlen, daß auch das Auge entbehren kann, was der Magen bereits Verzicht geleistet hat.«

»Nicht jeder,« bemerkte der Doktor, »ist ein solcher Heiliger wie Sie, myn Heer, daß er mit gleichen Füßen in einen solchen neuen Zustand der Verläugnung eingewurzelter Gewohnheiten hineinspringen kann. Wir sind schwache Geschöpfe, myn Heer, und es ist gut, wenn wir uns an einem so glänzenden Beispiele, wie Sie es uns geben, stärken dürfen.«

Huysum verbeugte sich und fragte freudestrahlend den Präsidenten nach dem Namen des feinen Herrn, der ihm das Kompliment gemacht.

Der Präsident machte beide miteinander bekannt, die sogleich in ein lebhaftes Gespräch miteinander geriethen. Der Doktor ließ es sich besonders angelegen seyn, Herrn van Huysum von jeder Speise vorzulegen, und ihm vor allem die fettesten Bissen herauszusuchen, die er ihm mit unwiderstehlicher Beredsamkeit aufnöthigte. Gericht folgte sich auf Gericht, Fleisch- und Fischspeisen, alles tüchtig mit Butter und Saucen getränkt, und der gute Huysum stöhnte bereits vor Erschöpfung. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt, die Zunge klebte ihm fast am Gaumen.

»Nur brav getrunken!« sagte der Doktor. »Nichts befördert so die Verdauung, als helles klares Wasser.«

Herr van Huysum setzte das Glas mehrmals an die Lippen, aber es wurde ihm schwer, etwas mehr als wenige Tropfen über die Lippen zu bringen, so fade schmeckte es ihm. Er hatte einem Magen eine zu große Aufgabe zu verarbeiten gegeben und er sehnte sich nach einem Reizmittel, ihm das Geschäft zu erleichtern. Der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn, die Augen kamen immer weiter aus ihren Höhlen hervor, er starrte wie stumpfsinnig um sich her.

»Wollte Gott,« sagte der Doktor, »ich hätte es auch schon so weit gebracht, wie Sie, Herr van Huysum. Aber ich bin ein gebrechliches Geschöpf, myn Heer, und muß mir noch immer den rothen Wein wenigstens malen, den ich in Wirklichkeit abgeschworen. Darf ich Euch etwas von meinem bunten Wasser anbieten, lieber Roos?« fügte er hinzu, sich zu dem Präsidenten wendend.

Dieser nickte und der Doktor füllte ihm aus seiner Flasche das große Wasserglas an, welches er vor sich stehen hatte, und das er, wie um sich von einer langen Entbehrung zu erholen, mit einem Zuge leerte. Ein tiefer Seufzer schien die Behaglichkeit zu verrathen, in die ihn der Trunk versetzt hatte.

Der Arzt winkte dem Kellner, ließ sich noch mehrere Flaschen bringen und füllte das Glas des Präsidenten sogleich aufs Neue, das schnell wieder geleert, immer wieder eben so voll geschenkt wurde. Herr Roos war im besten Zuge.

»Meine Herren,« sagte er, sich erhebend, mit etwas schwerer Zunge, »ich habe noch einen Toast auszubringen. Unsere Wirksamkeit beschränkt sich schon nicht mehr auf die Orte, deren Bürger wir sind. Auch das Land wird der Segnung unserer trefflichen Lehre theilhaftig. In allen Dörfern bilden sich Filialvereine, um vereint mit uns an dem allgemeinen Wohle des Menschengeschlechtes zu arbeiten. Allen aber geht das reizende Heilo voran und das allein durch die rühmlichen Bestrebungen des wackern Herrn van Huysum, der Krone des schönen Dorfes, meines verehrten Nachbars, den ich schon bald mit einem noch zärtlicheren Namen begrüßen werde. Thun Sie, wie ich, meine Herren, und trinken Sie dieses Glas Wein, Wasser wollte ich sagen, auf die Gesundheit unseres theuren Herrn van Huysum. Er lebe hoch!«

Alle standen auf. Huysum mußte sich erheben und mit jedem der Herren anstoßen. »Ausgetrunken!« rief der Präsident, indem er seinen Kelch leerte. Huysum warf ihm einen flehenden Blick zu, aber die Andern wiederholten den Ruf, und Huysum mußte sein Glas wieder an den Mund setzen. Der Arm zitterte, aber es war kein Widerstand möglich. Roos hielt ihm selbst das Glas, er machte den Mund weit auf und ließ das Wasser hinunter laufen. Alle Muskeln des Gesichtes arbeiteten. Man sah jeden Tropfen sich mühsam durch die Kehle durcharbeiten, er schluckte krampfhaft, ein Schauder schien seinen ganzen Körper zu schütteln, er sank wie ohnmächtig auf seinen Stuhl zurück und keuchte furchtbar. Er wollte sich wieder erheben, um einige Dankworte auszusprechen, aber es war unmöglich. Er öffnete die Lippen, aber nur um nach Luft zu schnappen. Er blickte jammernd auf Roos, aber der lachte. Er wandte sich zu dem Doktor, der sogleich aufstand.

»Meine Herren,« sagte er, »die Rührung hat unsern wackeren Gast so übermannt, daß er keine Worte finden kann, ihnen seinen tiefgefühlten Dank auszusprechen. Sie sehen selbst, wie er da sitzt, ergriffen von allem Guten, das er heut genossen, stumm und gewissermaßen einer Ohnmacht nahe. Er ist so bewegt, daß er nicht stehen kann, obwohl vielleicht noch mehr Bewegung ihm sehr erwünscht und ersprießlich wäre. Man hat Beispiele, meine Herren, daß ein zu mächtiger Eindruck Schlagflüsse und den Tod herbeigeführt hat. So fürchte ich auch, daß auf ihn der Druck nicht gut einwirken könne. Dringen Sie daher nicht mehr auf ihn ein mit Ihrer Zärtlichkeit, die ihm bereits so schwer fällt. Meine Herren, wir sind hier gegenwärtig, um den Triumph des Wassers zu feiern. Wo sehen wir aber ein leuchtenderes Beispiel davon, als hier an unserem braven Gaste? Nicht allein hat er mit seltenem Heldenmuthe mehr davon in sich aufgenommen, als einer von uns, sondern selbst auf der Stirn, in den Augen sammeln sich einzelne Tropfen, als ob er sich auch äußerlich zum Aushängeschilde dieses trefflichen Nasses machen wollte. Er will zeigen, daß man ganz zu Wasser werden müsse, wenn man ein rechtes Mitglied unseres Vereins seyn wolle, und wahrlich er ist bereits der Auflösung nahe. Zwar sehe ich auch die Augen unseres verehrten Präsidenten verschwimmen, aber ich weiß nicht, ob diese Tropfen so rein sind, und ob die Röthe, in der sie schimmern, bloß der Wiederschein seines feurigen Gesichtes oder der Feuchtigkeit ist, die ich in sein Glas geschüttet. Ich will den Ruhm unseres trefflichen Präsidenten nicht schmälern. Ist sein Verdienst nicht um so größer, als er von Natur aus eigentlich eine wahre Antipathie gegen unser Streben haben muß? Wem kann das Wasser mehr zuwider seyn, als dem Weinhändler? Ich meine nicht das Wasser an und für sich, denn wir wissen Alle, welche Vortheile der verständige Weinhändler daraus zu ziehen weiß, sondern der Vorsatz, seinen Kunden nur klares Wasser zu empfehlen, ohne Vermischung mit dem Safte der Reben. Gab es eine größere, edlere, übermenschlichere Aufopferung, als die, welche wir ihm nachrühmen müssen, daß er nämlich absichtlich mit seinem einst so blühenden Weingeschäfte Bankrott gemacht hat, bloß um sich unserm Vereine anschließen zu können, und durch die Vernichtung seiner Firma den Verbrauch des Ports, Bordeaux und anderer teuflischen Erfindungen zu schmälern? Kann Jemand von Ihnen, meine Herren, sich eines ähnlichen Opfers rühmen?«

Herr Roos fing an zu schluchzen und bog sich über Tisch, um den Redner zu küssen.

»Gewiß nicht,« fuhr der Letztere fort, »und es ist erhebend für den menschlichen Geist, daß diese Entsagung sobald ihren Lohn zu finden hat. Ich weiß nicht, ob Sie die Anspielung unseres Präsidenten verstanden haben. Es ist nichts anderes, als das unser Herr van Huysum ihm seine Tochter zugesagt hat; sein einziges Kind, und damit auch die Anwartschaft auf sein großes Vermögen, das die gänzlich zerrütteten Umstände unseres Präsidenten noch zur rechten Zeit wieder erheben wird. So wird die Tugend schon hienieden belohnt! Würdiger van Huysum, nimm Dein Glas und stoß nochmals an mit mir, denn ich trinke auf Dein Wohl, Du Zierde und Blume unserer Gesellschaft.«

Herr van Huysum sah bald den Doktor, bald seinen Nachbarn an, und man sah, wie er sich bemühte, die Stirn zu runzeln, aber es fehlte ihm offenbar an Kraft dazu. Der Doktor schenkte Herrn Roos ununterbrochen ein.

»Ich sehe,« fuhr er fort, »daß Sie bereits Alle mehr oder weniger von dem Geiste unserer Statuten durchdrungen sind, und kann mich daher kurz fassen und brauche Ihnen nicht nochmals vor unserm Scheiden deren Wohlthätigkeit auseinanderzusetzen. Und doch wie viel könnte ich sagen? Wer weiß besser, als ich, welcher Nutzen aus dem Wasser zu ziehen ist, den schon sein Hippocrates auf dessen segensreiche Folgen aufmerksam gemacht hat? Ja, meine Herren, in dem Wasser liegt eine unendlich belebende Kraft. Es ist das wahre Agens, das allen erschlafften Nerven unseres Körpers wieder ihre ursprüngliche Spannkraft ertheilt, das unser Blut von allen Schlacken reinigt, das den verdorbenen Menschen in uns wegspühlt und neu ersetzt. Viele wollen sich mit dem äußerlichen Gebrauche begnügen. Aber wie wenig reicht dieses aus? Könnten wir leben ohne Wasser? Gewiß nicht. Um wie viel länger würden wir also leben, wenn wir blos Wasser zu uns nähmen und sonst gar nichts! Allerdings sollen auch Menschen ein hohes Alter erreichen, die sich mit so schnödem Getränke wie Thee, Kaffee, Wein oder gar Branntwein ihr Inneres abbrühen. Aber vergessen wir denn, daß auch darin zum großen Theil Wasser enthalten ist, das nur mit etwas fremden Ingredienzen versetzt ist? Und hat nicht die Homöopathie eben ihre wunderbarsten Kuren bloß durch Wasser hervorgebracht, dem sie nur menschlichen Schwächen und Vorurtheilen zu Liebe einige Anklänge von verschiedenen Geschmäcken und Gerüchen beigegeben hat, damit es wie Arznei aussehe? Aber nicht bloß das Nützliche, auch das Schöne verbindet sich auf das Herrlichste mit dem Wasser. Es befördert nicht bloß die Verdauung, wie wir hier so deutlich sehen, trotz der Fülle an Speisen, die wir zu uns genommen (Herr van Huysum stöhnte), sondern es belebt auch den Geist, ja es kann, in gehöriger Quantität und Auswahl getrunken, sogar den Zustand hervorbringen, den wir einen Rausch nennen, aber einen Rausch, den wir keinesweges verdammen dürfen. Nur gegen die Trunkenheit haben wir zu Felde zu ziehen, obgleich auch selbst diese Vertheidiger finden möchte. Denn entnehmen wir diesem Begriffe nicht gerade unsere edelsten Bezeichnungen? Sind wir nicht trunken vor Liebe, sind wir nicht trunken von Begeisterung, ja sprechen wir nicht auch vom Geiste des Weins, so daß wir das Höchste, was der Mensch besitzt, was ihn vom Thiere unterscheidet, auf dies Mittel zur Trunkenheit übertragen? Aber wenn wir auch diese Trunkenheit, dieses Betrinken verurtheilen, den Rausch, meine Herren, tasten wir nicht an. Ich sehe wie Ihre Augen mir Beifall winken. Welch sinniges Wort: Alle Sorgen und Leiden des irdischen Daseyns rauschen in diesem Zustande an uns vorüber und wir merken sie nicht, die Sphärenharmonie rauscht und klingt um uns her, und wir blicken mit Seligkeit in den Himmel, wir sehen ihn, wie der gemeine Mann sagt, der von der Musik und dem Unterschied der Instrumente keine Ahnung hat, voller Geigen hängen. Sie selbst, meine Herren, horchen jetzt auf, und es scheint Ihnen diese Melodie vorzuschweben. Unser Präses vor Allen ist ganz Ohr und Verzückung, und er muß sich fest an den Tisch halten, um dem hohen Genusse nicht zu erliegen und anbetend niederzufallen auf den platten Boden. Und wie billig haben Sie diese frohe Stimmung erkauft! Mit nichts als Wasser, dem Sie nur, weil Ihr Schönheitssinn sich gegen die Monotonie der weißen Farbe empört, ein bunteres Kolorit verleihen, roth, gelb, oder die dunkle Farbe, die ich hier vor mir habe, und von der ich unserm geliebten Herrn Roos mitgetheilt und der einigermaßen an den herrlichen Port erinnert, den er selbst sonst in seinem Keller führte, wie Ihre Gläser an Bordeaux, Sauterne und den Rhein mahnen, daß ein Uneingeweihter, Böswilliger leicht den Schein für die Sache nehmen könnte. Nur unser würdiger Gast hat alle diese Umschreibungen verschmäht, und die nackte Wahrheit, die Farbe der Unschuld, vorgezogen und die Natur in ihrer Reinheit in sich aufgefaßt. Eine Seelenstärke, der wir, fast schaudernd vor Bewunderung, in tiefer Demuth nachblicken, ohne uns zu ihr erheben zu können. Weine nicht, theurer Präses, Du kannst nicht für Deine Natur. Du hast Dich so lange dem Färben gewidmet, und so viele Versuche damit an Deinen Fässern und Deinem Gesichte angestellt, daß Du die Gewohnheit nicht so schnell wirst aufgeben können. Aber was wir uns selbst nicht versagen können, gönnen wir auch Andern. Lassen wir jeden seinen Weg gehen und die ganze Welt leben.«

»Die ganze Welt soll leben!« rief Alles im Chor und Herr Roos fiel dem Doktor um den Hals und schluchzte: »Du sollst leben!«

 

V.

 

Herr van Huysum war so erschöpft, daß er sich noch immer nicht bewegen konnte, und sah nur immer bald den Präses, bald den Arzt verwundert und mit großen und starrenden Augen an. Er schüttelte den Kopf, sprach aber nicht.

»Soll ich Sie nach Hause begleiten?« fragte ihn Herr Dujvel, »mein Wagen hält unten.«

»Ich danke Ihnen,« antwortete Herr van Huysum. »Mir ist sehr übel.«

»Aller Anfang ist schwer,« erwiederte der Doktor lächelnd, »und ich denke, Sie sind heute um manche Erfahrung reicher geworden.«

»Ich fahre auch mit,« schrie Herr Roos, »ich fahre auch mit. Ich will zu meiner Braut.«

Herr van Huysum wendete sich unwillig ab. »In dem Zustande?« fragte er.

»In was für einem Zustande?« eiferte er. »Glauben Sie, ich bin betrunken? Ich bin nicht betrunken. Ich habe Wasser getrunken! Es lebe das Wasser und die Mäßigkeit! Es sah zwar aus wie Portwein und schmeckte auch wie Portwein, gerade wie mein alter Portwein, der mit versteigert worden, aber es war doch nur Wasser. Ich will zu meiner Braut.«

»Ich habe keinen Platz für zwei,« bedeutete der Doktor.

»Keinen Platz! Es muß Platz da seyn. Ich bin Präsident und habe zu kommandiren.«

Er faßte Herrn van Huysum unter den einen und den Doktor unter den andern Arm und zerrte sie fort, obgleich er mit den Beinen nicht fest auftreten und von den Andern fast getragen werden mußte.

Der Doktor ließ seinen Bedienten hinten aufstellen, hob die Beiden in den Wagen und setzte sich selbst auf den Bock.

Nach wenigen Minuten hielt man vor der Doele. Der Doktor sprang vom Bock, gab seinem Bedienten die Zügel und machte den Kutschenschlag auf.

»Helfen Sie mir hinaus!« rief Herr van Huysum, »befreien Sie mich von dem widerwärtigen Menschen. Mir ist zum Sterben.«

Aber Roos hatte den Rockschoß des Alten so fest ergriffen, daß es nicht möglich war, Einen ohne den Andern herauszulassen.

Der Doktor warf einen Blick in das Innere des Wagens und befahl seinem Diener, denselben nach Hause zu fahren, da er ihn doch für heute nicht mehr brauchen konnte.

Alle drei begaben sich in die Wohnung des Herrn van Huysum hinauf, Roos immer an dessen Arm und von ihm nachgeschleppt wie ein Fahrzeug ohne Mast.

Im Zimmer befand sich Katharina und Hendrik, der letztere schüchtern in eine Ecke gedrückt. Es war klar, die beiden Liebenden hatten sich überraschen lassen und der Cousin keine Zeit mehr gehabt, sich zu flüchten. Der Doktor lächelte ihm Muth zu.

»Schönste der Schönen!« deklamirte Roos und ließ Herrn van Huysum los, um auf das Mädchen zuzustürzen. Aber schon unterwegs verlor er das Gleichgewicht; einen Augenblick blieb er auf den Knien liegen und schien den Fall auf diese Art in Absicht verkehren zu wollen, aber bald verlor er auch dazu die Kraft und fiel in seiner ganzen Länge auf den Fußboden, ohne sich wieder erheben zu können.

Katharina fuhr erschrocken zurück.

»Und ist das Kathrinens Bräutigam, Oheim?« fragte Hendrik hervortretend.

»Was ist geschehen?« fragte das Mädchen, besorgt zu ihrem Vater eilend, der matt auf einen Stuhl sank. »Du wirst ganz blaß, Vater.«

Der Doktor trat zu Herrn van Huysum hin und sagte: »nur ruhig, es ist nichts. Der Eine ist aus Unmäßigkeit, der Andere aus zu großer Mäßigkeit etwas hinfällig geworden. Ein Glas Genever wird dem Papa wieder aufhelfen.«

Hendrik sprang die Treppe hinunter und kam mit einem großen Glase Genever zurück, das er dem Onkel hinhielt.

Der Alte blinzelte mit halbgeöffneten Augen nach seiner Tochter und dem Neffen hin, die Blässe hatte einer plötzlichen Röthe Platz gemacht, endlich griff er nach dem Glase, nippte erst daran, stürzte es aber dann mit einem Zuge hinunter.

»Brr!« sagte er, sich schüttelnd.

»Ist Ihnen besser?« fragte Herr Dujvel.

»Ich möchte wohl noch eins,« antwortete Huysum kleinlaut.

»Kann nichts schaden,« antwortete der Doktor lachend und zog die Klingelschnur. Ein Kellner erschien. »Zuerst aber den dort zur Ruhe gebracht.«

Der Doktor nahm den Betrunkenen beim Kopfe, der Aufwärter bei den Füßen und so trugen sie ihn hinaus, um ihn in einem Bette den Rausch verschlafen zu lassen.

»Sehen Sie wohl, mein lieber Herr van Huysum,« sagte der Arzt, »das sind die Folgen allen Uebermaßes auf der einen, wie auf der andern Seite. Die wirkliche Mäßigkeit ist allerdings eine schöne Sache und würde, wenn sie durchweg als Norm gälte, vieles Gute hervorbringen, obgleich sie auch, wenn sie gar nie überschritten werden dürfe, das Leben langweilig und nüchtern machen würde. Aber jedenfalls muß man sie nicht auch übertreiben und sie bis zur Entbehrung forciren. Sie wollen die Welt reformiren? Gut, aber ehe Sie ihr die Krücken entzweischlagen, heilen sie erst das Bein. Lehren Sie die Menschen erst, in etwas Anderm, Edlerem, Freude und Trost finden. Nehmen Sie ihnen nicht das, was mäßig genossen zu ihrer Stärkung nöthig ist. Vor Allem aber lassen Sie sich nicht nachsagen, daß Sie dem armen Manne den Branntwein abgewöhnen wollen, weil Sie selbst keinen trinken und sich statt dessen in Wein etwas zu Gute thun. Glauben Sie, die Diener dort werden es nicht weiter erzählen, daß die ganzes Gesellschaft heute mehr als zu viel Wein getrunken, was man Ihnen für gefärbtes Wasser ausgegeben und wird der gemeine Mann nicht mit Verachtung auf einen solchen Mäßigkeitsverein blicken? Der Prediger, der über Geduld und Ergebung predigte und dabei voll Aerger über die offengelassene Kirchthüre, durch welche die Kälte hereinzog, seinen hintenstehenden Zuhörern zurief: »Zum Donnerwetter, so macht doch zu!« wird schwerlich viele zu der angerühmten Tugend bekehrt haben. Suchen Sie das Volk zu erziehen, zu unterrichten, geben Sie ihm Arbeit, daß es sich ernähren kann, so wird es sich nicht dem Trunke ergeben. Der Unverbesserliche gehört in das Zuchthaus, die Flasche sey verbannt, aber der Tropfen ist keine Sünde. Trinken Sie nicht zu viel Wein, aber auch nicht zu viel Wasser; seyen Sie billig in Allem und vor Allem auch gegen die beiden jungen Leutchen hier, die schon lange auf ein freundliches und versöhnliches Wort warten und –«

»Lieber Oheim!« sagte Hendrik, ihm die Hand hinhaltend.

»Vater!« sagte Katharina, auf der andern Seite ihm die Wange streichelnd.

Der Kellner brachte das zweite bestellte Glas Genever. Der Doktor nahm es ihm ab und hielt es mit einem komischen Gesichte dem Herrn van Huysum hin.

»Verlobung sollte heute einmal seyn,« sagte dieser lächelnd; »da der eine Kandidat die Braut verschläft, so muß ich wohl den andern nehmen.«

Tochter und Neffe fielen ihm um den Hals.

»So laßt mich los,« rief er, »mir ist ja noch gar nicht wohl. Doktor, so halten Sie mir doch das Glas nicht so verdammt weit vom Leibe und lassen Sie mich nicht danach verschmachten. – Das thut gut. – Und nun laßt anspannen. Der Doktor muß mit nach Hause. Heute Abend noch feiern wir die Verlobung.«

»Aber ohne Wasser!« lachte der Doktor.

Den Alten überlief es eiskalt. »Gott bewahre! In vier Wochen kein Tropfen!«

Hendrik drückte seinem Freunde dankbar die Hand.


 


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