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Die Eisenbahn

Eine Novelle.


I.

»Da wäre ich denn in unserm gepriesenen Brüssel.«

Mit diesen Worten fängt der Brief eines gar lieben Freundes an, der mich vor Kurzem verlassen hatte, und zwar nicht in der angenehmsten Stimmung, da ihn ein nicht sehr erfreuliches Geschäft nach Belgien führte. Es sind noch kaum acht Tage her, daß ich ihm eine glückliche Reise und baldige Wiederkehr gewünscht hatte.

»Ich ginge lieber nach dem Nordpol,« hatte er verdrießlich geantwortet.

Diese mürrische Stimmung war ich nicht gewohnt an ihm, der sonst von Laune übersprudelte und sich nicht leicht von einem Unfalle etwas anfechten ließ. Aber die Paar Jahre, in denen wir auseinander gekommen waren, können freilich einen Menschen ändern.

»Glückliche Reise!« wiederholte er kopfschüttelnd. »Dazu gehört ein leichter Kopf, ein leichtes Herz, leichte Füße und freier Wille. Ich bin eine plombirte Waare, die zum Verkaufe geschickt wird, und je mehr sie gefällt, desto schlimmer ist's. Das ist eben mein Unglück.«

Ich sah ihn verwundert an.

»Was hast Du?« fragte ich ihn endlich. Er schüttelte aber wieder mit dem Kopfe.

»Ist es geschehen, wird's auch zur Rede kommen,« antwortete er aufstehend und mich zum Abschiede umarmend.

Als er schon zur Thüre hinaus war, kam er noch einmal hastig zurück, stellte sich dicht vor mich hin, sah mich starr an und sagte: »Noch eins, aber gerade heraus: bin ich liebenswürdig?«

»Der liebenswürdigste Mensch von der Welt,« antwortete ich lachend.

»Hol' Dich der Teufel,« schrie er voll Zorn und rannte wild fort.

Eine Woche später erhielt ich den erwähnten Brief.

»Du weißt,« fährt er darin fort, »wie ich von frühern Zeiten her über Brüssel denke. Es war immer für mich ein widerwärtiger Ort und meine jetzige Laune ist nicht der Art, daß ich mehr Geschmack daran finden könnte. Wenn man sich einmal von der geringen Verwunderung erholt hat, daß die Leute um einem herum nicht mehr Deutsch, sondern fast so geläufig Französisch sprechen, wie unser alter Professor auf der Schule, so erscheint einem hernach die Nüchternheit, die sich überall bemerklich macht, in noch düstererem Lichte. Da will Alles Paris nachäffen und es fehlt doch in Allem an dem dortigen Leben und Geschmack. Die Menschen machen wohl Lärm genug, aber es ist Alles so plump und schwerfällig, die Worte rollen sich so dumpf heraus, wie mit Hammerschlägen getrieben. In Paris flattert das Geschwätz wie ein Bienenschwarm herüber und hinüber und es klingt mir, weil es so viele sind. Das fliegt und schwirrt und flimmert, leicht, lose, bunt und lustig. Dazu tänzeln die Beine, es läuft Alles so keck und munter durch das Leben wie Champagnerschaum, der auf und ab steigt und fällt. Hier wälzen sich die breiten Gestalten wie ihre Bierfässer fort und es schäumt wohl zuweilen, aber der Schaum ist dick und klebrig, und ist er einmal aufgestiegen, so steht er fest, bis er abgetrunken ist. Was übrig bleibt, ist schaal. Die Leute haben auch ihre Revolution gemacht. Nun ja doch. Es ist genug gerüttelt worden an der Masse, um sie zum Gähren zu bringen. Aber was ist dabei herausgekommen? Geist? Sieh Dich nur um danach. Lies nur ihre Journale. Gewinn um vaterländische Literatur? Alle Tage entsteht eine neue Nachdruckergesellschaft. Alles ist Nachdruck hier, das öffentliche wie das private Leben. Eine wohlfeile Ausgabe auf schlechtem Papier und mit vielen Druckfehlern. Du wirst sagen, ich sey verdrießlich. Nun ja denn, zum Henker! ich bin verdrießlich und werde es mit jeder Stunde mehr. Wo ich hinkomme und ich sehe zwei Menschen zusammensitzen: wovon sprechen sie? Von Aktien. Es ist um verrückt zu werden. Die Industrie verschlingt alle andere Interessen. Kohlen, Hochöfen, Eisenminen, darum dreht sich Alles. Das Paradies der Leute ist ihnen nicht mehr über, sondern unter ihren Füßen. Je tiefer sie in die Erde hineingraben, je überirdischer wird ihnen zu Muthe. Die langen Schornsteine der Dampfkessel sind eben so viele Meilensteine, die in's Himmelreich führen und ihr Losungswort ist Exploitation. Und damit das unterwühlte Gebäude nicht eines Tages zusammenbreche, legen sie ihm eine Schnürbrust von Eisenbahnen an, ein Wort, bei dessen bloßem Klange schon Alles in Verzückung geräth. Mir ekelt schon, wenn ich es von Weitem höre. Ach Freund, ich bin krank, sehr krank. Es liegt eine Last auf mir, die herunter muß, bald, recht bald. Ich sitze hier und muß doch fort, denn hier entscheidet sich mein Schicksal nicht. Und doch graut mir, fortzugehen. Ich verschiebe es von einem Tage zum andern, wie jemand, der aus Angst vor dem Arzte sich wochenlang von seinen Zahnschmerzen peinigen läßt, obgleich er weiß, daß es doch am Ende zum Herausreißen kommen muß. Aber wie viele haben den Muth, das Unangenehme schnell abzumachen? Man verschiebt und glaubt immer, der Zufall werde auf eine gelindere Weise die Mühe des Arztes übernehmen. Er kömmt aber nicht mehr, dieser Maschinen-Gott, außer wo wir ihn nicht brauchen. Es war eine bessere Zeit, als die Menschen noch selbstständiger waren und sich etwas auf eigene Hand verschaffen konnten. Als die Heerstraßen noch nicht so ausgetreten und langweilig eben waren, als die Vordersten noch nicht so hart von den Hintersten fortgeschoben wurden, ohne stillstehen und umblicken zu können, da durfte Mancher noch hier und dort, sich seitwärts einen Weg zu machen suchen, und wenn er fest saß und nicht weiter konnte, so half ihm wohl eine freundliche Nymphe oder eine andere Göttin. Es geschah doch noch etwas. Aber heut zu Tage! Nichts, nirgends, Alles die alte Leier.«

»Die ganze Welt ist ein großes Räderwerk; die Nationen sind die Räder, wir armseligen Geschöpfe kleine Stückchen von den Speichen. Was können wir uns sperren, wenn das Hauptrad im Schwung ist? Wehre Dich einmal, will einmal nicht mit fort. Du mußt, Unglücklicher. Weil die andern sich drehen, mußt Du mit, daß Dir der Kopf schwindelt. Und laß das Treiben nur noch eine Weile so fortgehen, so schleift sich das Ganze immer platter ab, die Knorren verschwinden immer mehr und es gibt ein ewig Einerlei. Der Ansatz dazu ist schon da. Noch vor ein zwanzig Jahren begegnete man doch einmal einem Originale. Du kannst schon jetzt lange danach suchen, ehe Du eins findest, und man zeigt mit Fingern darauf. Das alles geht, kleidet sich, ißt, handelt, eins wie das andere. Selbst die Sachen werden mit glatt geschoren, damit ja das Auge nirgends etwas Apartes sehe. Wo noch ein altes Haus steht, das in seiner besonderlichen Gestalt etwas bedeutet, gleich fort damit und ein hübsch geschniegeltes Ding an die Stelle, das sich sauber zwischen dem Nachbar links und dem Nachbar rechts verliert. Wenn sie nicht die Kosten des Einreißens scheuten oder daß ihnen einer von den schweren Steinen auf den leichten Schädel fiele, sie rissen auch die alten Kirchen ein. Heilig ist ihnen doch nichts. In zwanzig Jahren wird eine Stadt aussehen wie die andere, und alle zusammen werden, wie falsche egale Perlen an Einer Schnur, an dem steifen Bande der Eisenbahnen zusammenhängen. Begreifst Du denn nicht die ganze Trostlosigkeit dieser Idee, in der der Ruin aller Poesie, aller Phantasie liegt? Du mein Gott, wenn uns nicht noch der Mond bliebe, mit wem sollten wir denn noch schwärmen? Welcher Narr wird denn noch seine Sehnsucht aussingen nach dem Lande der Goldorangen oder nach der Heimath des stolzen Cid, wenn ihn der Dampfwagen für wenige Thaler in wenigen Tagen hinwirft? Das Idyll liegt begraben, die Romanze ist im Verscheiden, das Materielle, diese Materia peccans, schleicht durch alle Adern. Von dem Briefsteller für Liebende ist die letzte Auflage erschienen, denn für das Porto kann ich mein eigener Briefträger seyn, und statt des einzelnen Blattes gleich den ganzen Stamm mit Wurzel und Krone überbringen. Du aber danke Gott, das ich Dir noch schreiben kann. Es ist mir wüst im Kopfe. Ich muß mich zerstreuen. Ich werde in's Theater gehen....

Ich bin drin gewesen, aber nicht lang. Das geht auch schon mit der neuen Mode. Nicht Fisch, nicht Fleisch, aber drüber ein Kleid, das blitzt und flittert. Ist es denn besser bei uns? Wer gibt denn noch was auf ein gut Gedicht und auf gutes Spiel? Wenn nur hübsch Lärm gemacht wird im Orchester, wenn nur alle Augenblick eine neue Dekoration vorgeführt wird, wenn nur die Tänzerinnen die Beine recht hoch aufheben, wenn nur die äußeren Sinne gekitzelt werden. Wer will fühlen, denken, sich ergreifen lassen? Müde vom Strudel des Tageslebens will man mit verschränkten Füßen sich Abends behaglich einwiegen lassen. Ihr kauft euch das Opium an der Kasse. Ich war neulich mit einem dicken Herrn im Theater. Man gab den Romeo. Es waren so wenig Zuschauer da, daß ich es niemand hätte rathen wollen, einen der Schauspieler auszuzischen, so sehr hatten diese die Uebermacht. Mitten im zweiten Akt ging der Herr hinaus. Warum?« fragte ich.

»Es greift mir die Nerven an,« antwortete er gähnend.

Aber wenn die Pauken und Trommeln dreimal besetzt sind, da sperrt er die Ohren auf, und wenn die Elßler ihm mit der Fußspitze Kußhände zuwarf, treten ihm die Augen vor Wonne aus dem Kopfe und er greift nach der Perspektive, wie nach einem Schwerte, aber nicht um defensiv, sondern offensiv zu Felde zu ziehen. Und so sind sie Alle, denn heut zu Tage ist nichts mehr vereinzelt, es ist alles gemeinschaftlich, alles in Gesellschaften und die Hauptfrage ist: wie viel Prozent? »Haben Sie eine gute Sängerin? – Sie bekömmt 5000 Thlr. – Tausend Thaler mehr als unsere, aber Ihr Theater kann auch 20 Prozent mehr liefern.« – Und hier singen sie noch schlecht obenein. – Sie gaben das eherne Pferd, dieses hölzerne Mährchen mit der steifleinenen Musik. Es war nicht anzusehen. Aber wie waren die Statisten auch angezogen, wie haben sie getanzt – alles ächt Chinesisch.

Und doch bin ich der amüsabelste Mensch von der Welt. Du hast Dich oft gewundert, wie leicht ich mich in Alles finde, wie gut ich mich überall zu unterhalten weiß. Ja man hat mir schon nachgerühmt, ich verstünde eine Gesellschaft zu beleben und aufzuheitern, wenn sie auch eben noch so dumm und stumm da gesessen hätte. Und hier bin ich melancholisch, ärgere mich über Alles, finde Alles einfältig und abgeschmackt, und mich am allermeisten. Ich könnte mich ohrfeigen, wenn ich nicht schon ohnehin ein so geschlagener Mensch wäre. Und das alles warum? Ich soll heirathen. Aber das ist das ärgste nicht. Ich kann nicht. Da hast Du das ganze Elend, und nun beklage mich. Ich wollte, es wäre Schlafenszeit und Alles wäre vorbei. Fallstaff war der größte Philosoph, den die Erde getragen hat.

Ich gehe fort, denn ich halte es doch nicht länger hier aus. Es ist, als ob sich Alles über mich lustig machte, und selbst die Häuser sehen mich so dumm an, daß ich aus der Haut fahren möchte. Es ist beschlossen, ich lasse mir den Zahn herausziehen, ich gehe nach Antwerpen, wo sich Alles entscheiden soll. Ich muß aus dieser Qual heraus, in der ich mich müde zappele. Jeder Tag, den ich länger hier bleibe, macht mich nur unglücklicher und am Ende muß der Schritt ja doch gethan werden. Also eingepackt und fort. Adieu.

 

II.

 

»Antwerpen.

Da wäre ich: in Antwerpen nämlich. Ich weiß nicht, wie es zugeht; kaum war der Koffer gepackt und der Weg nach dem Platze vor dem Thore angetreten, wo die Eisenbahn beginnt, als ich mich schon frischer, muthiger fühlte. Man zittert nur vor dem Anfange. Wer eine Batterie stürmen soll, bangt wohl, wenn er den Befehl erhält, wird aber einmal Marsch kommandirt, so packt er sein Gewehr fester an und fordert sein Schicksal heraus. Mir war verhältnißmäßig leicht zu Muthe. Dazu das neue Schauspiel der Eisenbahn, die Reihe der Wagen, die von der Locomotive im Sturme fortgezogen werden sollten, die Omnibus, die im Galopp heranrollten, um ihren Inhalt noch zur rechten Zeit auszuladen, die hunderte von Menschen, die sich drängten und lärmten, um schnell noch einen guten Platz zu erhalten, das Zischen des Dampfes, das Alles brachte mein stockendes Blut in eine recht erfreuliche Bewegung. Ich hatte meinen Platz in einer Diligence genommen, einer großen Maschine, die in den Abtheilungen, glaube ich, einige zwanzig Personen faßte, und betrachtete mir eben meine Umgebung, als es plötzlich einen Stoß setzte und gleich darauf der ganze Zug, erst langsam, dann immer schneller in Bewegung gerieth. Die Bäume am Wege flogen an uns vorüber, die Leute, welche die Bahn zu unterhalten haben, verschwanden unsern Blicken, als ob sie aus einem Mörser fortgeschossen würden, dabei sitzt sich's so bequem, daß es einem ganz behaglich wurde. Den übrigen Passagieren mochte die Sache nichts Neues seyn, denn sie unterhielten sich ruhig über Fonds und Marktpreise und ehe man zur Besinnung kam, waren wir in Mecheln, wo einige Augenblicke gehalten und dann sogleich weiter geflogen wurde. Es war mir nicht möglich, zum ruhigen Nachdenken zu kommen. Ich hatte unterwegs mir eigentlich meinen Schlachtplan entwerfen wollen, aber ich war zu zerstreut, und als ich die Augen zumachte, um mich etwas zu sammeln, waren wir in Antwerpen. Vogue la galère! dachte ich. Du siehst, mein Leichtsinn fängt schon wieder an, etwas weniges aufzutauchen, und ich ertappe mich eben auf der Hoffnung, daß am Ende doch der Zufall, dem ich neulich alle Existenz abgeschnitten habe, mir den Faden zu dem Labyrinthe in die Hände spielen werde. Als ich ausstieg, traf mein erster Blick gleich auf einen Bekannten.

»Guten Morgen, Dunoyer,« sagte ich, ihm auf die Schultern schlagend. Er drehte sich herum und fiel, schnell mich erkennend, mir um den Hals.

»Wo kömmst Du her? – Und Du?« fragten wir uns gegenseitig.

»Ich bin bei der Eisenbahn-Direktion angestellt,« antwortete er.

»Und mich will man auch in eine eiserne Bahn spannen,« fügte ich hinzu. »Aber wenn Du kannst, begleite mich in meinen Gasthof, damit wir ungestört plaudern können.« Er nahm mich unter den Arm und führte mich nach der Stadt. Sprecht mir nicht von Brüssel, dieser karakterlosesten aller Städte, das, buntscheckig wie ein Harlequin, oben anders wie unten angezogen ist, das sich unten beschämt zusammenklemmt, während es oben nicht recht weiß, wie es sich in der neuen Eleganz zu benehmen hat. Sprecht mir von Antwerpen! Das ist Eine Stadt, Ein Karakter, Ein Ganzes und was für eins? Da weht noch der alte Geist und Hauch einer ruhmvollen Zeit durch, da ruht noch der alte Genius auf den stolzen Thürmen und breitet belebend seine Hände aus über Ort und Strom.

Ich fand ein gutes Zimmer im Hotel St. Antoine, der wunderbaren Kathedrale gegenüber, bestellte eine Flasche Wein und setzte mich mit meinem Freunde an das Fenster, durch das man den ganzen Marktplatz überblickte.

»Du scheinest mir ernster geworden zu seyn,« sagte Dunoyer endlich, nachdem wir uns eine Zeitlang stumm angesehen hatten.

Wenn man sich nach langer Trennung wiedersieht, wird es einem immer schwer, ein regelmäßiges Gespräch in Gang zu bringen. Man studirt lieber einer des andern Gesicht, und sucht aus den veränderten Zügen die Geschichte der Zwischenzeit heraus zu lesen.

»Man wird älter,« antwortete ich lächelnd. »Als wir freilich noch unsere große Reise zusammenmachten, Du, um die industriellen Anstalten Deutschlands kennen zu lernen, ich, um mich von meinen Studien zu erholen, die, wie ich meinem Vater bewiesen, meine Gesundheit angegriffen hätten, da war wohl eine andere Zeit. Damals waren wir junges, sorgenloses Blut, und die Zukunft lag voll Rosen und Musik. Aber Saiten reißen und Blumen verwelken. Und Du selbst siehst aus, als ob ein ganzer Wolkenzug von Sorgen sich um Dein Haupt gelagert hätte.«

»Ach!« seufzte er aus tiefer Brust und stützte den Kopf auf die Hand.

»Ach!« seufzte ich ihm nach und trommelte mit den Fingern auf die Scheiben.

Neue Pause.

»Nein,« sagte ich nach einigen Minuten, »das geht nicht. Ich brauche allen meinen Muth für mich selber und Du machst mich noch melancholischer, als ich ohnehin bin. Sprich Dich aus, Freund; Du bist unglücklich, ich bin unglücklich, so haben wir wenigstens das bekannte, egoistische Solamen miseris. Und am Ende hilft vielleicht einer dem andern.«

»Mir hilft niemand,« klagte er.

»Pah,« rief ich, »was wird's denn weiter seyn? Du bist verliebt?« Er nickte. »Du lieber Gott, die alte Geschichte. Ich liebe auch. Heirathe, so hat die Noth ein Ende.«

»Ich kann nicht!« rief er schmerzlich, indem er von seinem Stuhle aufsprang.

»Ich kann auch nicht!« wiederholte ich, ebenfalls vom Stuhle springend, und lief ärgerlich die Stube von dem einen Winkel zum andern auf und ab, während Dunoyer denselben Marsch zwischen den beiden andern Winkeln unternahm. Aber schon nach einigen Sekunden stießen wir in der Diagonale gegen einander, daß wir beide beinahe umgefallen wären. Es war lächerlich. »Was steht Dir im Wege?« fragte ich.

»Ihr Vater,« antwortete er.

»Und mir mein Vater,« rief ich. »Liebt sie Dich?«

»Ja, aber denke Dir,« sagte er und faßte mich dabei bei der Brust, indem er mit jedem Worte heftiger wurde, »denke Dir, der Vater will sie mir nicht geben, weil ich bei der Eisenbahn angestellt bin.«

»Er ist ein Narr,« bemerkte ich.

»Und weil er,« fuhr er fort, »seine Tochter schon einem andern versprochen hat.«

»Wenn das Mädchen Dich nur liebt,« tröstete ich, »das ist doch die Hauptsache. Zum Wetter, ein Junge, wie Du, der nicht auf den Kopf gefallen ist und dazu weibliche List als Hülfskorps: wie kann man da verzweifeln.«

»Du kennst den Alten nicht,« meinte er. »Es gibt keinen phlegmatischern Menschen auf der Welt. Sein Gott heißt Ruhe. Wer ihn darin stört, ist sein Todfeind. Wer ihm in die Rede fällt, wer ihn besonders hindert, mit Andacht seine Tischpflichten zu erfüllen, der ist ihm ein Gräuel. Sonst ist er der beste Mensch von der Welt, und läßt eben aus Apathie alles gehen, wie es gehen will. Nur wo es auf ein gegebenes Wort ankömmt, da ist er starr, wie Eisen, und nicht zu biegen. Und gerade da liegt das Unglück.«

»Wie so?« fragte ich.

»Sein Haß gegen die Eisenbahnen wäre noch zu überwinden, aber er hat einem ehemaligen Handelsfreunde sein Wort gegeben, daß seine einzige Tochter dessen einzigen Sohn heirathen solle und der wird jetzt stündlich erwartet.«

»So!« sagte ich gedehnt.

»Er kommt,« fuhr er fort, wieder heftiger werdend, »Felicie wird gezwungen, ihn zu heirathen, sie ist unglücklich, ich bin unglücklich, wir sind beide unglücklich.«

»Du, das mag seyn; aber sie, das ist noch eine Frage.«

»Noch eine Frage?« fuhr er auf. »Kann sie glücklich seyn mit so einem hergelaufenen Laffen, der sich von seinem Herrn Papa mit einer Anweisung fortschicken läßt, drei Tage nach Sicht ein Mädchen wegzuführen, wie ein Pack Waare? Meine arme Felicie und so ein vertrockneter, nichtssagender Mensch.«

»Nur weiter,« sagte ich.

»Er soll nur kommen, das versichere ich ihm, nur über meine Leiche geht der Weg zu ihr.«

»Und wenn Dir dann,« fragte ich, »der alte Hakeren, seine Tochter doch nicht gibt?« Dunoyer fuhr zurück und starrte mich an, sein Gesicht war bleich, seine Hände zitterten.

»Hakeren?« wiederholte er schwer athmend. »Du weißt? Du weißt den Namen? Du – Du – –« Plötzlich fuhr er auf mich zu, faßte mich bei den Schultern, biß die Zähne zusammen und sagte: »Bist Du der Erwartete?«

»Der ausgetrocknete Laffe? Nein, der nicht. Der Bräutigam in spe aber – allerdings.«

»Der Wechsel wäre auch da,« fuhr ich fort, auf eine Brieftasche zeigend, »präsentirt wird er auch, aber sey unbesorgt, ich nehme die Valuta nicht an.« – Dunoyer war erschöpft auf einen Stuhl gesunken.

»Ich kann sie nicht aufgeben. Das Glück meines ganzen Lebens hängt an ihrem Besitze. Sie ist mein, sie hat sich mir zugeschworen und ich würde ihren Verlust nicht tragen. Du bist mein Freund, aber selbst Dir würde ich sie nur im Tode überlassen. Wir schießen uns,« sagte er aufspringend.

»Du hast schon einen Schuß,« antwortete ich ärgerlich. »Ich sage Dir ja, ich will Deine Felicie nicht, ich will nicht, ich kann nicht heirathen.«

»Ach, Du kennst sie nicht. Was nützen alle diese Versprechungen? Du meinst es gut mit mir, aber Du hast sie noch nicht gesehen, diesen Engel an Güte, Schönheit und Geist.«

»Ach Gott, Engel sind sie alle, nur dauert es nicht lange. Geh und verlaß Dich auf mich; ich schaffe sie Dir. Aber jetzt leb wohl; ich will mich anziehen und zu unserm Schwiegervater gehen.« Ich gab ihm die Hand, die er stumm drückte. Aber als er an der Thür war, kehrte er noch einmal um und fiel mir weinend um den Hals.

»Bruder, hab Mitleid mit mir. Ich kann sie Dir nicht lassen. Besser eine Kugel durch den Kopf, als sich vor Gram zu Tode quälen.« – Fort ist er; wenn er nicht bald gegangen wäre, hätte ich ihm einen Revers ausgestellt, daß ich ihm meine Braut abtrete. Du lieber Gott, ich gäbe gern noch Geld zu, wenn ich sie schon unter der Haube wüßte. Was sind doch verliebte Leute für närrisches Volk? Wir gesetzten Leute können wohl darüber sprechen. Gute und schlechte Eigenschaften kochen in dem Dampfkessel der Liebe zu einem Grade der Hitze, daß jeden Augenblick zu befürchten steht, das Apparat zerspringt in tausend Stücken. Ein Glück, daß das Heirathen als Sicherheitsventil erfunden worden ist. Aber die Väter sind doch auch mitunter curiose Herren. Versprechen sie da ihre Kinder fast noch in der Wiege. Und die Tochter will nicht und der Sohn kann nicht das Wort der Eltern einlösen. Es ist aber doch gut, daß ich nicht kann. Am Ende hätte mir die schöne Felicie gefallen, und wer weiß, was für Mord und Todschlag daraus erfolgt wäre. Ich soll blind hinein heirathen, weil ein Vater vor zehn Jahren es mit einem andern ausgemacht. Und dabei ist mein alter Herr noch der beste Mann von der Welt, und ich weiß, er gönnte mir mein Glück, wo ich es finde, nur muß es nicht seinem einmal gegebenen Worte in die Quere kommen. Aber ich denke, ich habe ihm den Streich vergolten, und verzeihen muß er am Ende doch. Ich ziehe mich an, um zu Hakeren zu gehen.

 

III.

 

Mein Vater stand in früherer Zeit in den freundschaftlichsten Verhältnissen zu Hakeren und noch jetzt korrespondiren sie fleißig mit einander. Hakeren hatte sich lange in Deutschland aufgehalten, war aber in seine Vaterstadt zurückgekehrt, wo er die Messagerie übernahm. Kurz vor der Trennung hatten die beiden Väter sich das unselige Wort gegeben, daß ihre Kinder durch ein noch engeres Bündniß die Familien miteinander verknüpfen sollten. Die Väter glauben, daß ihre Rechnung immer gerade aufgehe, und vergessen den Bruch der Liebe. Es ist gut, daß Felicie schon versorgt ist. Am Ende hätte sie sich in mich verliebt und das Loskommen wäre desto schwerer gewesen. Jetzt laß ich sie eigentlich nicht sitzen, sondern wir lassen uns beide fahren. Ein schönes Haus hat der Herr Hakeren und sein Eidam wird einmal gut bedacht werden. Ich schellte. Ein alter Bedienter öffnete und wies mich in das Wohnzimmer. Zwei schon ziemlich bejahrte Herren saßen darin und rauchten bei einem Glase Bier. An der gravitätischen Ruhe, mit welcher der Eine bloß den Kopf umwendete und sich nach dem Eintretenden umsah, erkannte ich den Hausherrn. Ich ging auf ihn zu und hielt ihm den Empfehlungsbrief meines Vaters hin. Kaum hatte er die Unterschrift gesehen, als er schon aufstand und mir eine Verbeugung machte, so weit dies seine Corpulenz zuließ. Darauf schlug er das Schreiben vollends auseinander und als er erfuhr, daß ich der leibhafte, der ächte Sohn seines Freundes sey, reichte er mir die kleine, fleischige Hand und sagte mir Willkommen. Darauf rief er: »Joseph!«. Der Diener trat ein. »Einen Stuhl für Mynheer.« Ich setzte mich und lehnte die mir angebotene Pfeife ab. Hakeren machte mich darauf mit dem andern Herrn, wie er sagte, seinem besten Freunde, bekannt, der, wie ich später erfuhr, ein Pferdehändler war und sich zur Ruhe gesetzt hatte. Als dieser meinen Namen erfuhr, verzog sich sein rothes Gesicht in alle möglichen Falten und er sah mich dabei aus seinen kleinen, feurigen Augen so kurios an, daß ich nicht wußte, ob ich mich darüber ärgern oder lachen sollte.

»Nochmals willkommen,« sagte Herr Hakeren. »Ich habe Sie zwar schon seit einigen Tagen erwartet, aber –«

»Ich,« unterbrach ich ihn verlegen, da ich nicht recht wußte, womit ich mein Ausbleiben entschuldigen sollte.

»Ich wollte sagen,« fuhr er fort, indem er die Stirne etwas runzelte.

»Herr Hakeren hat gern, daß man ihn ausreden läßt,« schaltete der Andere hier ein.

»Ich wollte sagen,« fing Herr Hakeren noch ärgerlicher an. »Ja, was wollte ich nur sagen? Ja, daß es mir lieb ist, daß Sie erst jetzt kommen. Das Haus ist in Ordnung gebracht worden und da wird ein Fremder nicht gern gesehen. Jetzt sind Sie da; Ihr Aeußeres gefällt mir; Ihr Vater sagt, Sie wären ein tüchtiger Musiker; meine Felicie wird Ihnen auch gefallen; versprochen sind Sie schon, übermorgen kann Hochzeit seyn. Die Zeit zwischen Verlobung und Hochzeit ist immer unruhig und stört das Hauswesen. Ich liebe die Ruhe. Je schneller also das abgemacht ist, desto besser. Joseph!«

Der alte Diener erschien wieder.

»Ruf' meine Tochter herunter, sag' ihr, der Bräutigam wäre da.«

Der Pferdehändler hustete. Mir wurde jetzt doch auch etwas unwohl zu Muthe. Der Mann setzte mir das Messer an die Kehle. So mit der Hetzpeitsche in die Ehe getrieben zu werden, dachte ich nicht. Ich hoffte, er würde mir Zeit gelassen haben, das Terrain näher kennen zu lernen und meinen Operationsplan zu entwerfen, um die Sache auf die schicklichste Art in's Geleise zu bringen. Aber der Mann ist, wie es scheint, kein Freund von Sehnen und Schmachten und hat Angst, die Suppe möchte ihm darüber versalzen werden. Das könnte doch am Ende geschehen.

»Wo haben Sie Ihre Koffer?« frug mich der Alte.

»Im Hotel St. Antoine.«

»Joseph! laß die Koffer des Herrn holen und bring sie in die grüne Stube. Warum sind Sie nicht sogleich bei mir abgestiegen? Geh und komm....«

»Ich muß sehr bitten, sich nicht zu bemühen.«

»So lassen Sie mich doch enden ... und komm schnell wieder.«

Ich hatte keine Wahl mehr.

»Jetzt,« fuhr er fort, nachdem der Diener sich entfernt hatte, »jetzt erzählen Sie mir etwas von Ihrem Vater, von Ihrer Reise.«

Die Ueberrumpelung hatte mir einen wahren Haß gegen den Alten eingeflößt und hätte ich nicht den Zorn meines Vaters zu fürchten gehabt, ich wäre auf der Stelle davon gelaufen und nimmer wiedergekehrt. Ich war wieder aufgelebt in dem Gedanken, daß sich Alles schon machen, daß der Knoten durch behutsames Ziehen von selbst auseinander gehen würde und nun fühlte ich die Schlinge schon am Halse. Ich sah ein, daß ich einen raschen Entschluß fassen müsse und das machte mich verdrießlich. Ich erzählte, vermuthlich sehr verworren und trocken, denn der Freund des Herrn Hakeren lächelte wieder sehr höhnisch.

»Sie sind mit der Eisenbahn gekommen?« frug er mich.

Ich sah wieder die Falten auf der Stirn des Schwiegervaters sich zusammenziehen und erinnerte mich an Dunoyer's Erklärungen und dankte Gott, daß ich ein Kapitel wußte, womit ich meinen Feind – denn das war der Alte ja – ärgern konnte. Es blieb mir sonst nichts übrig.

»Natürlich auf der Eisenbahn,« antwortete ich. »Hat doch Belgien jetzt nichts Interessanteres aufzuweisen und verdient es um so größere Anerkennung, da es dem ganzen Kontinente mit so schönem Beispiele vorangegangen.«

Hakeren ließ die Pfeife aus der Hand fallen und machte den Mund auf, in dessen Oeffnung sich noch eine dichte Tabakswolke gelagert hatte. Ich sah's ihm an, er wollte sprechen, ich ließ ihn aber nicht dazu kommen, sondern fuhr schnell fort.

»Kein Jahrhundert kann sich rühmen, so Ungeheures erfunden und hervorgebracht zu haben, als nur das erste Drittel des jetzigen. Aber von allen Neuerungen stelle ich doch nichts Höheres, als die Eisenbahnen. Denken Sie sich nur, wenn einmal ganz Europa mit solchen Bahnreifen umzogen, die ganze Menschheit wie Eine Familie mit ihren unzerreißbaren Banden umwunden ist, können Sie das Glück ermessen, die Zukunft nur träumen, die der Welt bevorsteht? Ich spreche gar nicht vom ewigen Frieden, obwohl auch der für Leute, die nicht Lieferanten und Zeitungsschreiber sind, die beide von Schlachten leben, seinen Werth hat, denn würde nicht das Kriegsspiel bloß ein Spiel wie etwa Kämmerchen vermiethen seyn, da, wenn die eine Armee in wenigen Stunden nach der fremden Hauptstadt rückt, die Besatzung der letztern währenddeß einen Ausflug nach der Kapitale des Feindes machen kann? Aber überhaupt wird das eiserne Zeitalter eigentlich das goldene werden und die paradiesische Unschuld auf die Erde zurückkehren. Das Laster des Schuldenmachens verschwindet, denn es wird niemand mehr borgen. Wer wollte das auch, da der Schuldner am selben Tage schon zwanzig Meilen weiter seyn und man ihm keinen Huissier nachschicken kann? Kein Mann kann mehr treulos werden, denn muß er nicht befürchten, daß jeden Augenblick, wenn er eben zum Rendezvous sich begeben will, seine Frau, die er wer weiß wie weit glaubt, zu ihm in's Zimmer tritt? Sänger und Sängerinnen werden sich mit der geringsten Gage begnügen; denn können sie nicht z. B in Brüssel, während in den Zwischenakten irgend eine schwierige Dekoration aufgebaut wird, in einem Konzerte zu Mecheln oder Löwen oder Antwerpen eine Arie vom Stapel lassen

⇒ Die Seiten 22 und 23 fehlen in der PDF-Datei mit dem Originaltext: https://books.google.de/books/about/Bilder_aus_den_Niederlanden.html?id=oNcBAAAAYAAJ&redir_esc=y

ben an der Scholle und begreifen nicht, was Cosmopolitismus ist. Sie sehen nur sich im Raume, nur ihr Ich, das ihnen das Centrum der Welt dünkt und kümmern sich nicht um die Pole. – Natürlich, sie wollen nur den kleinen Kreis ausfüllen, den sie sich mühsam abgesteckt haben und schaufeln daran Tag und Nacht. Das Allgemeine ist ihnen nichts, die Verbreitung der Bildung, die Mittheilung höherer und höchster Begriffe nichts. Aber was nutzt ihnen ihre Ohnmacht? Was nutzt es ihnen, daß sie in den rollenden Wagen der Zeit eingreifen wollen, auf den die Jugend im Sturme dahinfliegt? Sie werden ergriffen, unter die Räder geworfen, zerquetscht, zermalmt –«

»Aber, Herr –« unterbrach Herr Hakeren.

»Lassen Sie mich ausreden –«

»Herr, Sie verderben mir den Appetit.«

»Nun?« fragte Remie. »Hätte Dunoyer seine Bahn schöner vertheidigen können?«

»Der ist nicht einmal so erpicht darauf,« sagte Hakeren, »und fällt doch wenigstens nicht so aus.«

»Der arme Junge!« sagte Remie, der, wie ich merkte, die Sache meines Freundes hier im Hause führte.

Hakeren stand verdrießlich auf. Zu seiner größten Freude ging eben die Thüre auf und hereintrat Felicie, langsam, verlegen und mit verweinten Augen. Der Vater ging auf sie zu, nahm sie bei der Hand und stellte mich ihr vor, aber schon auf weit weniger freundliche Weise, als er mich empfangen hatte. Ich war nicht bös darüber. Doch hatte ich mir die Tochter schöner vorgestellt, wenn ich gleich schon in Gedanken von den Schilderungen des verliebten Dunoyer den nöthigen Rabatt im Voraus abgezogen hatte. Es war allerdings Vieles im Gesicht, Wuchs und sonst vorhanden, woran sich nichts tadeln ließ, aber das Ganze machte keinen angenehmen Eindruck. Es fehlte jener Anhauch der Anmuth, der oft ganz häßlichen Erscheinungen einen Firniß verleiht, der uns anzieht, einnimmt. Wenn Felicie auch nicht zurückstieß, so zog sie doch gewiß nicht an. Dabei brachte ein gewisses linkisches, unsicheres Benehmen mich auf die Vermuthung, als ob es dem Körper an Geist und Seele fehle. Ich ergriff ihre Hand, die sie Anfangs Miene machte, zurückziehen zu wollen, die sie mir aber doch am Ende ließ. und führte sie nach einem Stuhle am Fenster.

»Meine theure Felicie,« sagte ich; sie rückte mit dem Stuhle zurück. »Sie haben Recht,« fuhr ich fort; »noch bin ich nicht berechtigt, Sie so zu nennen, denn der väterliche Befehl ist eine schlechte Empfehlung an das Herz eines schönen Mädchens. Die Frauen machen zwar die Liebe zum Geschäft ihres Lebens, aber sie haben auch ihren eigenen Geschäftsgang. Da es ihre einzige Industrie ist, so handeln sie gern selbst damit, um einen guten Preis zu erhalten. Nur Bankerutte dulden, daß eine fremde Authorität sich hineinmischt. Und wer einen solchen Schatz von Liebenswürdigkeiten besitzt, hat wohl Recht, daß man sich um seinen Besitz etwas bemühe. Aber wer kann dafür, meine Freundin? Unsere Väter sind eigensinnig und dringen auf Einlösung des gegenseitigen Versprechens. Und seit ich Sie gesehen, fühle ich erst, welches Glück mir dadurch vorbereitet worden.«

»Aber –,« antwortete sie leise und mit zitternder Stimme. Sie stockte und schlug die Augen wieder nieder.

»Aber?« wiederholte ich lächelnd; denn ein wenig durfte ich ihr doch zusehen, da ich so gute Vorsätze für ihr Glück hatte.

»Aber,« sagte sie, »wie kann ein Mann, dem seine Verhältnisse und seine Persönlichkeit – ich verbeugte mich – es möglich machen, seine Hand nach dem Besten auszustrecken, sein Geschick an ein armes Geschöpf binden, das er nicht kennt, das vielleicht, ja ganz gewiß nicht im Stande ist, seinen Erwartungen Genüge zu leisten. Sie würden sich getäuscht finden in Ihren Hoffnungen, würden unglücklich seyn und ich –«

»Und Sie?«

»Und ich noch mehr. Ich bin nur ein armes Mädchen, das gehorchen muß, – aber Sie sind ein Mann, ich beschwöre Sie –« Sie stockte wieder und wurde plötzlich wie von einer Feuerröthe übergossen.

»Aber meine Freundin,« erwiederte ich, »ich bin auch ein gehorsamer Sohn und warum sollte ich es hier nicht seyn, wo der Gehorsam so schönen Lohn trägt. Ich finde, daß ich Sie jetzt schon liebe, gewiß, ich bin schon jetzt ganz in Ihren Banden und ich schmeichele mir, daß ich einen exemplarischen Ehemann abzugeben im Stande bin. Ich bin gut, Sie sind es auch, unsere Verhältnisse sind sich gleich, was könnte so einer glücklichen Verbindung im Wege stehen? Erlauben Sie mir, diese schöne Hand, die mich durch das Leben führen soll –«

»Ach!« rief sie, mit der Hand nach der Brust fahrend, als ob sie einen Stich durch das Herz erhalten hätte. Ihr Gesicht, das sie von mir abgewendet hatte, war ganz bleich geworden. Ich folgte der Richtung ihres Blickes und bemerkte Dunoyer, der draußen auf der Straße stand und dessen Augen Blitze nach uns herüberschleuderten.

»So! so!« sagte ich kalt und verließ meine Braut, um zu den beiden Herren zu treten, die ruhig ihre Pfeife fortgeraucht hatten.

»Nun?« fragte Herr Hakeren.

»Alles nach Wunsch,« antwortete ich und sah Herrn Remie spöttisch an, der in meinem Gesichte lesen zu wollen schien. Ich schützte einen nothwendigen Gang vor, den ich noch in der Stadt zu thun hätte, und versprach, bald wieder zu kommen. Ich beurlaubte mich von Allen, und küßte Felicien, die vor Angst zitterte, die Hand.

»Schonung!« flüsterte sie, »Erbarmen!«

Ich verließ sie, ohne ein Wort zu sagen, denn wenn mir auch ein Korb schon recht war, so verlangte doch die verletzte Eitelkeit immer etwas Rache.

Kaum war ich zur Hausthüre hinaus, so stürzte auch Dunoyer schon auf mich zu.

»Nur Ruhe!« sagte ich. »Felicie sitzt am Fenster und wenn sie Deine Wildheit sieht, so wird ihre Ahnung, daß wir uns jetzt gleich die Hälse brechen werden, zur Gewißheit.«

»Das soll auch geschehen,« schrie er. »Glaubst Du, ich habe nicht gesehen, wie Du ihr so zärtlich die Hand geküßt hast? Tödte mich, Treuloser, aber lebend will ich wenigstens nicht Zeuge Deines Verrathes seyn.«

»So erschießen Sie sich gefälligst allein,« sagte ich, ihn fortziehend. »Gesetzt den Fall, Sie schießen mir den Arm oder das Bein entzwei, glauben Sie nicht, daß ich dadurch noch interessanter werden dürfte, und daß es Felicie sich zur Pflicht machen würde, statt der fehlenden Hand mir die ihrige als Ersatz zu leihen? Denken Sie sich, wenn ich blutend in das Haus gebracht würde, wird sie nicht Tage, Nächte lang an meinem Bette wachen, mich pflegen und gar aus purem Mitleid mich zuletzt lieben müssen? Ihre Kugel wäre dann eine wahre Freikugel, mit der ich bei ihr in's Schwarze traf. Sie haben gut sich schlagen, denn Sie sind schon ein geschlagener Mensch und verlieren nichts dabei, aber warum ich für meine Unwiderstehlichkeit, ein Artikel, der ganz zollfrei ist, erst eine Duellsteuer zahlen soll, sehe ich nicht ab.«

»Ihr Spaß kommt sehr zu unrechter Zeit,« sagte er. »Ich lasse Sie nicht von der Stelle, ehe Sie mir Rede und Antwort gegeben haben und nur Feigheit kann dem bitter Gekränkten Genugthuung versagen. Wie weit sind Sie gekommen?«

»Mein Lieber, wenn Sie nicht mein Freund wären und wenn ich nicht Rücksicht darauf nähme, daß Liebe blind macht, Blindheit aber leicht anstößig wird, so würde ich Ihnen jetzt gar nichts antworten und meinetwegen etwas Pulver zu Ehren Feliciens verknallen. So aber will ich Ihnen gestehen, daß die Hochzeit auf übermorgen angesetzt ist.«

»Also fort, vor die Stadt!«

»Nein, erst in's Kaffehaus, da bekommen Sie ein Glas Wasser und wenn Sie abgekühlt sind, erzähle ich Ihnen auch etwas. Zum Henker, wer hat Dir denn gesagt, daß meine Hochzeit seyn soll. Sieh mich nur groß an. Deine Geliebte gefällt mir gar nicht. Fährt er nicht schon wieder auf mich zu, als ob er mich wieder herausfordern wollte. Erst soll ich mich schlagen, weil mir seine Felicie gefällt, und nun am Ende wieder, weil sie mir nicht gefällt.«

Ich hatte meine Noth, ehe ich Ruhe in diesen brennenden Kopf bringen konnte. Dafür fiel er mir aber auch, als ich ihm meine Absicht auseinandergesetzt hatte, um den Hals und dankte mir mit thränenden Augen für meine Großmuth, wie er es nannte. Er wußte freilich nicht, daß ich so handelte, weil mir selber die Hände gebunden waren. Doch mußte er mir geloben, von unserm Einverständnisse niemanden, auch Felicien nicht, etwas zu verrathen.

Es war schon spät, als ich mich von ihm trennte. Bei meiner Rückkehr sagte mir der alte Joseph, daß sein Herr bis jetzt mit dem Abendessen auf mich gewartet habe und gewaltig in Zorn sey, daß ich ihn um seine bestimmte Stunde, denn bei ihm ging Alles nach der Uhr, gebracht habe. Je ärgerlicher er aber über mich geworden, je lieber war es mir. Ich sagte schnell, er möge mich entschuldigen, ich sey so müde, daß ich nur eine schlechte Rolle bei Tische spielen würde und ließ mir mein Zimmer zeigen, wo ich mich sogleich zur Ruhe begab. Felicie hatte sich, wie ich erfuhr, schon früher zurückgezogen und sich mit heftigem Unwohlseyn entschuldigt.

Am andern Morgen wurde ich sehr kühl empfangen; ich glaube, der Alte hätte mir, wenn ihm nicht sein Wort so heilig gewesen wäre, gern schon jetzt den Abschied gegeben. Er sagte mir bloß, bei ihm äße man Punkt ein Uhr und er hoffe, ich würde diesmal zur rechten Zeit erscheinen. Ich bat um die Erlaubniß, einen Freund mitbringen zu dürfen, den ich gestern getroffen habe, wogegen er nicht das Geringste hatte. Ich erkundigte mich nach Felicien. Sie lag noch zu Bett und klagte über Kopfweh. Der Vater sah finster dabei aus. Es schien mir doch, als ob er den Kummer seiner Tochter bemerkt habe und als ob ihm dieser zu Herzen ginge. Ich verließ das Haus, um mich ein wenig in der Stadt umzusehen. Mein erster Gang war nach dem wunderbaren Dom, der in seiner, wie es mir scheint, unerreichten Vollendung seinen gewaltigen Eindruck auf mich nicht verfehlte. Die Kirche war fast ganz leer. Es gibt aber nichts Ueberwältigenderes, als in diesen weiten Räumen allein zu seyn. Ein scharfer Sonnenstrahl fiel durch das hohe Fenster auf die Kreuzesabnahme von Rubens. Eine solche Wölbung über und ein solches Bild vor einem und man wird mit Gewalt niedergerissen auf die Kniee. Ich blieb lang dort und kam erst sehr spät zu Dunoyer, der mich, die Uhr in der Hand, bereits mit Ungeduld erwartete.

»Es ist halb eins,« rief er mir entgegen.

»So komm,« sagte ich.

Arm in Arm wanderten wir nach meiner Wohnung. Ich fühlte, wie mein Gefährte, je näher wir kamen, immer mehr zu zittern anfing. An der Hausthüre blieb er stehen, als ob ihm die Kräfte versagten. Ich mußte ihn fast hineinstoßen. In dem Zimmer waren Hakeren, Remie und einige andere Personen, Verwandte des Hauses. Der Erstere sprang trotz seinem Phlegma beinahe vom Stuhle auf, als er Dunoyer erblickte.

»Aber –« sagte er.

»Mein Freund Dunoyer, von dem ich Ihnen heute gesprochen,« sagte ich.

»Ich habe schon das Vergnügen,« erwiederte er und ließ den Kopf sinken. »Ein schönes Zusammentreffen,« murmelte er für sich hin. »Ich wasche meine Hände.« Remie drückte meinem Freunde die Hand.

»Ruf meine Tochter herab,« sagte Hakeren zum Diener.

Als Felicie eintrat, blieb sie in der Thüre stehen und konnte einen leisen Ruf der Ueberraschung nicht unterdrücken. Ich ging schnell auf sie zu, küßte ihr die Hand und führte sie zu Tisch. Ich saß zwischen ihr und dem Vater. Dunoyer wollte an ihrer andern Seite Platz nehmen, ich wies ihm jedoch seine Stelle neben Herrn Hakeren an. So schwer es ihm scheinen mochte, mußte er doch gehorchen. Felicie und Dunoyer konnten sich auf diese Art nicht einmal einen Blick zuwerfen, was meine Braut in nicht geringe Verlegenheit setzte, da sie nicht recht wußte, was sie von seiner Gegenwart zu halten hatte. Sie hielt uns für Todfeinde und wußte es sich nicht zu erklären, wie wir beide so verträglich an Einem Tische vereinigt seyn könnten, sie wurde bald blaß, bald roth. Der alte Hakeren liebte es, nur wenige Schüsseln auf seiner Tafel zu haben, aber diese mußten gut seyn und er sprach ihnen gewöhnlich tüchtig zu. Aus der Eile, mit der er die Suppe austheilte, schloß ich, daß er Hunger habe. Aber eben, als er fertig war und den Löffel zum Munde führen wollte, kam Joseph herein und sagte ihm, eine Dame wollte ihn sprechen.

»Weißt Du nicht,« fuhr er ihn verdrießlich an, »daß ich bei Tisch nicht gestört seyn will.«

»Sie ließ sich nicht abweisen,« entschuldigte sich der Diener.

»Eine Dame!« sagte ich verweisend. Und gern oder nicht gern, er mußte hinaus. Es dauerte wohl zehn Minuten, eh er zurückkam. Und mit welchem Gesichte! Es zuckte darauf, als wenn lauter Blitze darüber hinführen.

»Verdammte Bettelei!« brummte er vor sich hin und setzte sich, um das Versäumte nachzuholen. »Kalt, eiskalt,« stöhnte er und ließ den Löffel wieder fallen; »nicht zu essen.« Er seufzte schwer und befahl, die Suppe fortzunehmen.

Joseph brachte einen herrlichen Hammelsbraten, der der Küche Ehre zu machen schien. Ich sah, wie dem Alten das Wasser im Munde zusammen lief, als beim Transchiren der Saft aus dem Fleische quoll. Ich bekam ein herrliches Stück, über das ich mich hermachte. Ich war schon fertig mit Essen, als die Reihe dazu erst an den Papa kam.

»Prächtig Fleisch!« sagte Remie.

Hakeren schüttete sich eben etwas Sauce über seinen Theil.

»Wie geht es nur zu,« sagte ich, meine Hand auf seinen rechten Arm legend, »daß man bei Ihnen noch so sehr in der Kultur des Viehes zurück ist? Ihr Fleisch ist eßbar, aber wie sehr steht es gegen das anderer Länder zurück?«

»Erlauben Sie –« sagte der Alte.

»Nein, nein,« unterbrach ich ihn, »Sie können das nicht vertheidigen. Bei Ihren Triften müßte das ganz anders aussehen.«

»Aber –« sagte er.

»Ich weiß, was Sie sagen wollen. Ihre Hämmel aus den Ardennen? Aber du lieber Gott, was will das sagen gegen die von England, mit dem Handbreiten Fett, das so weich und schmackhaft ist, wie gar kein anderes.«

»Aber, Herr,« fuhr mein Nachbar auf, »wenn Sie mich nicht wollen ausreden lassen, so lassen Sie mich wenigstens essen.«

»Wie gern,« erwiederte ich, »nur hatten Sie Unrecht, so lange zu warten. Ihre Sauce ist schon ganz erstarrt und dann ist sie nicht zu genießen und der Gesundheit höchst schädlich. Ich bitte, lassen Sie sie stehen und machen Sie es mit dem folgenden Gerichte wieder gut. Joseph, frische Teller.«

Der Bediente nahm schnell Teller und Schüssel fort und der Papa lehnte sich mit einem Armensündergesicht in seinen Stuhl zurück, den fortgehenden Braten mit schmerzlichen Blicken verfolgend. Dunoyer und Felicie sprachen kein Wort, ich wandte mich zum Pferdehändler, um nicht allein die Kosten der Unterhaltung tragen zu müssen. Die Pause war jedoch nur kurz und wurde bald durch den Einzug von einigen schönen Kapaunen unterbrochen, über die Hakeren mit wahrer Wuth herfiel, um nur schnell zu seinem Theile zu gelangen. Aber das Tranchiren schien ihm diesmal etwas Mühe zu machen und in der Zeit hatten bereits Mehre, denen vielleicht die Verzweiflung des Wirthes Spaß machen mochte, ihre Teller geleert, ehe dieser zum Essen kommen konnte. Er schnitt sich dann ein Stück ab, das er mit wahrer Liebe hin und her wendete, um sich im Voraus daran zu erquicken, wie er sich wegen der langen Entbehrung schadlos halten wollte, als ich schnell meinen Teller hinschob.

»Ganz vortrefflich,« sagte ich, »ich bitte wirklich noch um das Stückchen.«

Seufzend legte er es mir auf den Teller und gab sich von Neuem an das Schneiden.

»Darf ich wohl auch noch bitten?« sagte der boshafte Remie und ein Paar Andere folgten diesem Beispiele.

Mit zitternder Hand wurden auch sie versorgt.

»Herrlich,« sagten Alle.

»Nichts mehr davon,« flüsterte der Alte vor sich hin, indem er die Gerippe hin und her wendete und sich umsonst bemühete, noch einige Reste davon für sich loszuarbeiten. Verzweifelt ließ er Messer und Gabel sinken und griff nach einem Stück Brod, das vor ihm lag, und wollte es schon zum Munde bringen, um wenigstens damit die schreiende Stimme seines Innersten zu beschwichtigen, als ich mein Glas erhob und es gegen das seinige anstieß. Er mußte nothgedrungen das Brod wieder hinlegen und zum Glase greifen.

»Auf die Gesundheit unseres freundlichen Wirthes,« sagte ich, »möge er noch viele Tage in dem Kreise seiner Lieben verleben wie heute!«

Alle stimmten in das Lebehoch ein und leerten ihre Gläser.

»Aber Sie trinken ja nicht?« fragte ich ihn.

»Soll ich auf mein baldiges Ende trinken?« schrie er zornig.

Die Andern sahen ihn verwundert an, nur Remie lächelte in sich hinein.

»Ich danke, danke,« sagte er, seine Aufwallung bereuend, »aber der Wein bekömmt mir nicht,« und leiser setzte er hinzu, »wenn ich vor Hunger sterbe.«

Zum Glück für ihn kam die Mehlspeise, von der er sich versteckt durch ein geschicktes Manöver zuerst ein großes Stück auf einen Teller legte und dann den Rest unter die Uebrigen vertheilte.

»Das kann mir doch nicht mehr genommen werden,« dachte er.

»Zu sauer!« rief ich, als ich den ersten Bissen verspeist hatte, »ohne Zucker nicht zu essen.« Ich griff nach der Zuckerbüchse. »Darf ich Ihnen auch etwas geben?« fragte ich meinen Nachbar.

Er nickte und zog den Löffel zurück, mit dem er eben ein Stück Boudin von allen Seiten in der Sauce herumgedreht hatte. Kaum hatte ich meine Hand zurückgezogen, als der so schön getränkte Bissen schnell zum Munde gebracht wurde, aber noch schneller fuhr er zurück.

»Herr, Sie sind des Teufels,« sagte er, krampfhaft in die Tischdecke greifend.

»Nicht wahr?« erwiederte ich, »jetzt hat die Sache erst ihren wahren Geschmack. Ja, was die Küche betrifft, bin ich leider etwas verwöhnt. Ein wenig zu viel Essig, etwas zu viel Salz kann mir den ganzen Appetit rauben. Und Sie werden gestehen –«

»Aber, Herr –«

»Sie werden gestehen, daß hier nothwendig etwas Zucker hinzugefügt werden mußte.«

»Ich glaube ja, aber –«

»Aber ich habe Ihnen vielleicht noch zu wenig gegeben. Das ist schnell verbessert. Erlauben Sie mir –«

»Zum Henker, erst nehmen Sie mir das Essen und nun wollen Sie mir noch das Wort vom Munde wegnehmen.«

»Wie,« sagte ich, »ich hoffe doch nicht, daß der Zucker –«

»Es war ja kein Zucker,« schrie er, »es war Pfeffer und ich habe mir die Zunge verbrannt.«

Remie lachte laut auf.

»Wer satt ist,« brummte Hakeren vor sich hin, »kann gut lachen.«

Vor Tisch war ausgemacht worden, daß gleich nach aufgehobener Tafel ein Spaziergang gemacht werden sollte. Ich erinnerte daran und stand auf. Die übrige Gesellschaft folgte meinem Beispiele. Die Verwandten entschuldigten sich und nahmen ihren Abschied. Ich gab Felicien, die Hut und Schawl genommen hatte, meinen Arm und verließ, von Dunoyer gefolgt, das Zimmer. Hinter her hörte ich den Papa mit matter Stimme sagen:

»Ich kann nicht fort.«

»Aber,« erwiederte Remie, »Ihr könnt doch die jungen Leute nicht allein laufen lassen.«

Als ich mich auf der Straße umsah, kamen richtig die beiden alten Herren nach, und ich hörte deutlich, wie der Herr Schwiegervater sagte:

»An das Mittagessen werde ich denken. O der satanische Schwiegersohn! Er will mich morden, er will an die Erbschaft, aber wart'!«

Während der aber hinter mir zankte und schalt, sprach Felicie desto weniger. Sie wußte eben nicht, woran sie war, da Dunoyer, dem ich verboten hatte, meine Absicht zu verrathen, ebenfalls keine Silbe sprach. So schwankte sie zwischen Furcht und Hoffnung und überließ sich dabei so ihren Gedanken und Träumen, daß ich allein das Wort behielt.

So kamen wir vor das Thor, bis zu dem Platze, wo die Eisenbahn anfängt. Ich hatte den alten Hakeren zwar mich rufen hören, that aber, als ob ich nichts merkte, obgleich ich wußte, daß er mich abhalten wollte, den Weg nach dieser ihm verhaßten Richtung zu nehmen.

»Hast Du die Plätze?« frug ich Dunoyer leise.

Er antwortete ja. Unbekümmert um das Rufen des Vaters, der noch weit zurück war, ging ich auf eine der Diligencen zu, die an den Dampfwagen angekettet waren und ungeduldig nur des Signals zu erwarten schienen, um ihren Lauf anzutreten.

»Wollen Sie nicht näher treten,« fragte ich Felicie, »und sich einmal die Einrichtung ansehen?«

Als wir an der Diligence angekommen waren, näherte sich der Kondukteur, der in Herrn Dunoyer einen seiner Vorgesetzten erkannte, faßte Felicie, in der Meinung, daß sie mitfahren wolle, unter den Arm und half ihr einsteigen. Wir folgten ihr, nachdem Dunoyer dem Kondukteur für uns und die beiden nachfolgenden Herren die voraus genommenen Karten übergeben hatte. Während ich und Dunoyer mit Felicien in den Hintergrund des Wagens gingen und ihr durch das dort angebrachte Fenster die Reihe der Wagen und die Menschenmenge zeigten, die sich zum Mitfahren drängte, kam ihr Vater mit Remie an. Der Erstere war in wirklichem Zorne. Der leere Magen und die Eisenbahn, das war zu viel für seinen Gleichmuth.

»Was zu bunt ist, ist zu bunt,« polterte er. »Da bleibe ein Anderer ruhig, und höflich. Herr, sind Sie denn vom Teufel besessen? Mich hieher zu schleppen nach der Eisenbahn, nachdem ich Ihnen gesagt habe, daß –«

»Aber, Verehrtester,« erwiederte ich ruhig, »ist es denn eine Sünde, diese Einrichtungen anzusehen?«

»Nicht einmal ausreden läßt er einen,« schrie der Alte. »Aber wart', Felicie! Felicie! Willst Du gleich aussteigen!«

»Erlauben Sie mir,« sagte ich, »ganz gehorsamst zu bemerken, daß Sie sich hier zum Schauspiel hergeben. Felicie sitzt dort hinten neben Herrn Dunoyer und wird gleich von selbst kommen. Aber wenn Sie Aller Augen auf sie richten, bringen Sie sie ja in die peinlichste Verlegenheit.«

»Was Verlegenheit, was peinlich! Sie soll heraus oder sie ist mein Kind nicht mehr. Neben Herrn Dunoyer! Es ist zum Schlagtreffen. Felicie, kommst Du oder nicht?«

Aber Felicie kam nicht. Dunoyer, der in der hinteren Abtheilung allein mit ihr saß, beschwor sie, wie es schien auf das Zärtlichste, dem Rufe nicht Folge zu leisten, und sie vermochte nicht zu widerstehen.

»Soll ich Dich erst holen?« schrie der Vater endlich ganz ergrimmt und stürzte die Wagenstufen hinauf.

Aber in demselben Augenblicke blies der Kondukteur in's Horn, die Lokomotive zog an; die übrigen Wagen gaben einen Ruck. Herr Hakeren wollte schnell wieder die Stufen hinunter, aber Herr Remie, der seinem Freunde nachgefolgt war, wollte mit noch größerer Eile hinauf, rannte seinen Vordermann über den Haufen und fiel mit ihm zusammen in den Wagen hinein. Ich bemühte mich, sie aufzurichten. Hakeren dankte mir keineswegs, sondern wollte, nun wieder auf den Beinen, sogleich zum Wagen hinaus, aber der Zug hatte sich schon in Bewegung gesetzt und flog mit solcher Schnelligkeit vorwärts, daß er doch die Unmöglichkeit einsah. Einen Blick der Verzweiflung warf er noch hinaus und fiel dann erschöpft auf den Sitz hinter ihm.

»Muß ich das erleben?« seufzte er.

»Was ist's denn weiter?« fragte ich. »Daß Sie auch einmal auf einer Eisenbahn fahren? Sie sollten es danken, daß Ihnen der Zufall dazu verholfen, was Ihr Vorurtheil Ihnen sonst vielleicht immer versagt hätte. Sie haben eine Erfahrung mehr.«

»Die habe ich freilich gemacht,« antwortete er, mir einen grimmigen Blick zuwerfend.

»Und Sie sehen,« fuhr ich unbekümmert fort, »so arg fährt sich's doch nicht. Ich habe zwar den tiefsten Respekt für Ihre Diligencen, aber vergleichen Sie es mit diesem Fluge. Sehen Sie, wie die Bäume und Häuser an uns vorüberschießen, wie bequem hier einige hundert Menschen in einem Augenblicke von einem Orte zum andern geschafft werden.«

»Ja wohl, und wenn mich hier der Schlag trifft, so fährt das Ding doch immer zu und kein Mensch bekümmert sich um mich und hält still, während bei meiner Entreprise, wenn einer nur über Kolik klagte, der Kondukteur anhielt und dem Patienten einen Schluck Absynth zukommen ließ. Bequem! Ja wohl bequem für Vagabunden und Narren, die an das Welt-Ende wollen und die Fliege nicht sehen, die auf ihrer Nasenspitze sitzt.«

»Alter Herr, Sie ereifern sich. Diligencen waren gut genug für die alte korpulente Welt, die die ganze Welt für ihre Schlafstube hielt und sich bei jedem Plan und Gedanken erst auf's Ohr legte, um sich von der geruhsamen Nacht Raths zu erholen. Aber bei uns jungen Leuten heißt es, gedacht gethan.«

»Es könnte Euch doch auch was in die Queere kommen,« sagte Hakeren spöttisch.

»Nun bitte ich Euch,« beschwichtigte Remie, »laßt doch das Zanken, hier wenigstens.«

Aber der Papa hätte sich noch lange nicht zur Ruhe gegeben. Zum Glück hielt plötzlich der Wagen still. Wir waren in Mecheln. Hakeren stand auf.

»Felicie,« rief er, »jetzt komm', auf der Stelle. Keine Minute bleibe ich mehr in dem verwünschten Kasten. Wir nehmen uns einen Wagen und fahren nach Hause. Wer nicht Lust hat, uns zu begleiten, kann ja hier bleiben.«

»Wie, Verehrtester,« sagte ich, »so weit sind Sie gefahren und wollten nun nicht vollends nach Brüssel? Das geht nicht, Sie müssen jetzt weiter.«

»Ich muß gar nicht,« antwortete er, »und ich will heraus.«

Ich suchte ihn auf seinem Platze festzuhalten, aber er stieß mich zurück, um zu seiner Tochter zu gehen, die noch immer keine Anstalten zu treffen schien, sich von der Seite Dunoyers zu trennen. Als er sich von mir losgemacht, stieg ich schnell aus. Die wenigen Minuten, die für den Aufenthalt in Mecheln angesetzt sind, waren indessen, wie ich vorausgedacht, verflossen und als der Papa mit seiner Tochter an der Thüre der Diligence sichtbar wurde, setzte sich der Zug richtig schon wieder in Bewegung. Ich sah, wie der Alte von der Erschütterung auf seinen Sitz zurückfiel und wie sein Gesicht vor Zorn in allen Farben spielte. Ich schrie halt! halt! und that, als ob ich dem Wagen nachlaufen wollte. Der Mund Hakeren's verzog sich darüber zum grimmigen Lächeln.

»Es ist keine Diligence,« schrie er mir zu, sich aus dem Wagen herauslehnend. »Schöne Erfindung, die Eisenbahnen.«

Den nächsten Moment war der Zug mir aus den Augen. Ich stand still, lachte herzlich auf, drehte mich gelassen um und ging in ein Kaffehaus in der Nähe der Bahn, um dort die Rückkehr des Dampfwagens abzuwarten.

Er kam wirklich, aber kein Hakeren, kein Dunoyer drinnen. Desto besser, dachte ich, fuhr allein nach Antwerpen zurück und ging, kaum angekommen, in das prächtige Theater. Es war 11 Uhr, als ich in meine Wohnung zurückkehrte. Die Familie war erst vor einer Stunde angelangt, aber bereits zu Bett. Als ich am andern Morgen in der Wohnstube erschien, fand ich schon Herrn Dunoyer bei den Andern. Ein gutes Zeichen, dachte ich. Felicie wurde roth, als sie mich erblickte und der Vater drehte den einen Daumen um den andern, ohne aufzusehen. Dunoyer stürzte auf mich zu und fiel mir um den Hals.

»Du hast mich zum glücklichsten aller Menschen gemacht,« sagte er.

»Wie denn so?« fragte ich.

»Felicie und ich verdanken Dir das Glück unseres Lebens.«

»Wie denn so?« fragte ich noch einmal, alle der Reihe nach mit der Miene der Verwunderung ansehend.

»Ja, sehen Sie,« stotterte der Alte, »ich kann nichts dafür – mein Wort – Ihr Benehmen – mein Aerger – Ihre Eisenbahn – mein Hunger –«

»Das ist nicht sehr klar,« unterbrach ich ihn.

»So unterbrechen Sie mich doch nicht schon wieder. Ich war eben im Zuge. Herr Dunoyer liebt Felicien und Felicie liebt Herrn Dunoyer.«

»Und ich?«

»Ja, Sie.«

»Und Sie?«

»Ja, warum haben Sie mich geärgert, mich nicht reden, mich nicht essen lassen und dann mich noch auf den Dampfwagen geschleppt. Herr Dunoyer führte mich in Brüssel zu Dubost, ich habe dort vortrefflich gespeist, was mir sehr Noth that, und bei der letzten Flasche haben sie mich so mürbe gemacht durch Bitten und Thränen und Wünsche, daß ich nicht mehr wußte, woaus noch woein. Remie dort hat mit auf mich losgearbeitet, die Eisenbahn hatte ich einmal befahren, gegen Herrn Dunoyer konnte ich nichts mehr einreden –«

»Aber Ihr Wort?«

»Ja, mein Wort,« antwortete Herr Hakeren und ließ den Kopf hängen. »Aber wollen Sie denn das Glück der armen Leutchen stören?«

»Können Sie es mir schriftlich geben,« sagte ich, »daß Sie mir die Hand Ihrer Tochter verweigern?«

Der Alte sah groß auf. »Sie wollen mich doch nicht auf den Protest verklagen?«

Ich schüttelte lachend den Kopf. Dunoyer schob ihm schnell Papier und Feder hin und nach einigen Augenblicken händigte er mir einen Zettel ein, worin er bedauerte, daß er mir seine Tochter nicht geben könne, da sie einen andern liebe, dem er sie nicht mehr nehmen könne. Ich faltete ruhig den Schein zusammen und legte ihn in meine Brieftasche. Der Alte machte ein Gesicht, als ob er mich für verrückt hielt.

»Es thut mir unendlich leid,« sagte er, »aber –«

Ich hielt ihm schweigend ein anderes Papier hin. Er machte es auf und that einen Blick hinein.

»Das Wetter!« rief er. »Sie sind schon verheirathet?«

Ich nickte.

»So haben Sie blos Ihr Spiel mit uns getrieben?«

Dunoyer, der mich von Neuem umarmte, enthob mich der Antwort. Seine Braut näherte sich jetzt auch und ich ergriff ihre Hand und küßte sie, ohne daß es ihr einfiel, sie zurückzuziehen. Ihr Blick dankte mir mehr, als ihr Mund es konnte. Ich wendete mich zu dem Papa und sagte:

»Verzeihen Sie, daß ich Sie hintergangen. Aber die Noth trieb mich. Mein Vater hält streng auf sein gegebenes Wort und versagte mir deshalb die Hand eines Mädchens, das ich innig liebte und das er selbst unter andern Verhältnissen gern als seine Schwiegertochter angenommen hätte. Wir verbanden uns heimlich und ich ging hieher, um den Knoten, den das elterliche Versprechen geschürzt hatte, auf die eine oder die andere Weise zu lösen. Das Zusammentreffen mit meinem Freude Dunoyer, der mir seine Verhältnisse zur schönen Felicie berichtete, erleichterte mir meinen Entschluß. Es gelang mir, mich Ihnen verhaßt zu machen und Sie für die armen Verliebten günstiger zu stimmen. Sie entbinden mich und meinen Vater seines Wortes und so steht auch meinem Glücke nichts mehr im Wege. Mein Vater wird mir verzeihen, so wie Sie es auch thun werden. Denn im Grunde bin ich doch nicht so schlimm, als Sie mich gehalten haben. Ich lasse jeden gern reden und essen und mit der Eisenbahn oder Diligence fahren.«

»Aber –« sagte der Alte.

»Aber,« unterbrach ich ihn, »Sie wollten sagen, es ist gut, daß sich Alles so schnell gemacht hat. Gewiß und ich hoffe, Sie werden das Glück der beiden jungen Leute recht bald unauflöslich machen.«

»Nein,« sagte der Alte, »und unterbrechen Sie mich nicht ewig, ich wollte sagen, es thut mir doch leid, daß Sie nicht mein Schwiegersohn geworden sind.«

 


 

Brüssel.

»So wäre ich denn wieder hier; aber wie anders erscheint mir jetzt Alles, nachdem mir die trübe Brille, die vor wenigen Tagen mir alle Gegenstände getrübt hatte, von den Augen gefallen. Ich athme wieder freier und wage es, in die Zukunft zu blicken. Ich darf jetzt einer bessern Zeit entgegensehen. Ich habe Antwerpen verlassen, von Feliciens und Dunoyers Segnungen geleitet, und es wäre schlimm, wenn sie mir nicht glückliche Zinsen tragen sollten. Ich bin jetzt mit Eisenbahnen versöhnt, ich finde sogar Brüssel schön, nicht blos architektonisch, sondern selbst poetisch. Was nicht ein frohes, von einem erhebenden Gefühle erfülltes Herz thut! In drei Tagen bin ich bei Dir und dann wollen wir noch einige schöne Stunden feiern, ehe ich zu meinem Vater eile und mir seine Verzeihung hole. Ich weiß, er schlägt sie mir nicht ab. Es leben die Dampfwagen! Ich bin gut mit ihnen gefahren. Der Himmel gebe, daß sie bald unser ganzes Vaterland nach allen Richtungen hin durchrollen. Kein Bündniß wird mehr durch die längste Entfernung sich auflockern. Jede Sehnsucht kann befriedigt werden und der Freund zu allen Zeiten an Freundes Brust liegen. Keine Woche wird vergehen, wo wir uns nicht die Hand drücken können. Erkennst Du es auch, dieses Glück? Wie möchte ich jetzt zu Dir fliegen. Aber leider braucht die langsame Kutsche noch ihre vier und zwanzig Stunden, um mit mir nach Aachen zu schleichen. Rüste Dich mit Geduld, meine wahrhafte Heirathsgeschichte – denn die jetzige war nur Nachdruck – des Weitern und Breitern anzuhören. Wenn Du hübsch aufmerksam bist, verspreche ich Dir auch die Ehre der ersten Pathenstelle. Wünsche Dir nur im Voraus Glück dazu und schaff Dir den nöthigen Respekt an für den nun so ehrbaren Ehemann und Vater, der bald in Deinen Armen seyn wird. Bis dahin, Adieu.«

 


 


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