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Fünfter Abschnitt.
Die volkstümliche Sitte

Unter einer Sitte verstehen wir eine sich selbst gleichbleibende Handlung, die von allen Gliedern des Volkes oder wenigstens von allen denen, die unter gleichen Lebensbedingungen leben, bei gleichem Anlaß immer wieder aus den gleichen Anschauungen heraus in der gleichen Weise betätigt wird. Die Gesamtheit der volkstümlichen Sitte schlingt sich wie ein festes einigendes Band um alle, die dem gleichen Volkstum angehören. Sie erwächst auf dem Boden des gleichen volkstümlichen Glaubens, der gleichen Sprache und Dichtung, der gleichen Stammesart und der gleichen äußeren Daseinsformen. Sie zeigt, lediglich durch die Art von äußeren, oft ganz unbedeutenden und nebensächlichen Handlungen, daß einer dem andern seinem innersten Wesen nach vertraut ist, daß man zu Hause ist, daß man von den weichen Armen der Heimat umfangen ist. Sittengeschichte ist Handlungsgeschichte; Sittenbewußtsein und Sittengefühl ist Heimatsbewußtsein und Heimatsgefühl.

Volkstümliche Sitte begleitet den Menschen von der Wiege bis zum Grabe, sie zieht sich durch das Leben der Familie und durch alle Stände, sie umschlingt die Tage der Arbeit und die Tage des Festes und der Lust, sie begleitet den Wandel der Jahreszeiten, das wirtschaftliche Leben und den Kreis des kirchlichen Jahres. Sittengeschichte ist Lebensgeschichte, nicht in bezug auf das, was dem Einzelnen an besonderen persönlichen Ereignissen im Laufe seines Lebens zustößt, sondern in bezug auf das, was alle Glieder eines Volkstums in ihrem Einzelleben in gleicher Weise betrifft.

Schon wenn der Mensch ins Leben eintritt, nimmt die Sitte ihn in ihre Arme. Da erzählt man den Geschwistern, die Seele des Kindleins habe vor der Geburt ihren Aufenthalt im Wasser, in Teichen oder Brunnen gehabt, von dort habe der Storch das Kind in das Haus getragen. Da kommen alle Nachbarskinder herbei und lassen sich die Geschichte vom Storch, vom Adebar, vom »Glücksbringer« aufs neue erzählen, und die sich selbst noch ein Kindlein in das Haus wünschen, rufen dem Storch, wenn sie ihn fliegen sehen, nach:

»Eber in Nester,
Bring mi en lüttje Swester.
Eber, oder
Bring mi en lütten Broder«

(Hamburg)

So läßt Jung und Alt auch künftig dem Storch eine besondere Schonung und Pflege angedeihen. Für ihn wird auf dem First des Hauses ein Wagenrad als Niststätte befestigt. Sein Eintreffen im Frühjahr wird alljährlich mit besonderer Freude begrüßt, und aus seinem und seiner Jungen Ergehen glaubt der Bauer auf das Schicksal der eigenen Familie Rückschlüsse machen zu können.

Daß – wenigstens früher – das Kind gewöhnlich schon am ersten oder dritten Tage getauft wurde, um es durch die Taufe möglichst bald den ihm nachstellenden bösen Geistern zu entziehen, sahen wir bereits. Der Taufanzug des Kindes wurde noch bis in den Ausgang des vorigen Jahrhunderts an manchen Orten von der Kirche geliehen. Die Hebamme trägt das Kind zur Taufe, was früher vielfach unter mancher Ausgelassenheit zu geschehen pflegte. Die Paten oder »Gevattern« wurden durch einen besonderen, kunstvoll ausgestatteten Patenbrief geladen. Früher gab es meist nur einen Paten, später mehrere, aber nur dreien von ihnen wurde das Kind bei der Taufe auf die Hände gelegt. Die übrigen sind die sogenannten »Stertpaen« oder, wie man in Westfalen sagt, »Steerdvaddern«. Der Zahl der Paten entsprechend, bekam das Kind früher meist nur einen Namen. Bei den nachgeborenen Kindern wurde es damit in besonderer Weise gehalten. So erzählt Thom. Kantzow nach dem 1531 erfolgten Tode des Herzogs Georg von Pommern: »Sein Gemahel aber, die Marggrafin, was schwanger; die gepur darnach auf'n Winter eine Tochter, die wurt Georgia geheißen nach der Art der Pommern, die die Tochter, so nach dem Vater geporn werden, nach dem Vater nennen pflegen.«

Bei der Taufe steckt der Pate dem Täufling das »Angebinde« in das Taufkissen, und von nun ab begleiten die Fürsorge des Paten und die Patengeschenke das Kind durch sein Leben bis zur Hochzeit. Häufig Pate zu stehen ist daher manchem reichlich kostspielig geworden. Den Ausgleich bringen erst die fremden Patengeschenke an die eigenen Kinder. Wo diese fehlen, da begegnet die uns merkwürdig erscheinende Sitte der »güsten Kindelbiere«, von denen Justus Möser im Jahre 1769 in den »Patriotischen Phantasien« berichtet: »In vielen westfälischen Dörfern gibt es noch güste Kindelbiere. Das ist, Eheleute, die keine Kinder haben, können ein Mal in ihrem Leben auch ein Kindelbier halten, damit sie sich wegen dessen, was sie andern geopfert haben, erholen können. Wahrlich eine gutherzige Erfindung. »Güst« wird von Kühen gebraucht, die nicht kalben.«

Bei den Kindelbieren ging es meist sehr hoch her, so daß die Obrigkeit vielerorten in Luxus- und Taufordnungen dagegen eingeschritten ist. Die Taufgäste pflegten dann zum Dank die Mutter bei ihrem ersten Kirchgang zu begleiten, der sogenannten »Brümmige«, das ist der erste Gang zur Kirche, den eine Kindbetterin nach ihrer Entbindung und der Taufe des Kindes macht, um sich daselbst segnen zu lassen.

Der Kinderreichtum war früher meist ein sehr großer, und er ist es ja glücklicherweise auch heute noch, so daß selbst jetzt der alte Spruch noch gilt: »Ein Kind kein Kind, twei Kind Spelkind, drei Kind recht Kind.« Von dem »Sebenpüster« ist schon die Rede gewesen. Auch er ist heute aus dem Lande durchaus noch keine Seltenheit.

Wenn die Zeit der Wiegenlieder und der Kniereiterlieder, von der wir früher gesprochen haben, vorüber ist, so werden die Kinder schon früh zu kleinen Verrichtungen herangezogen. Schon in ganz frühen Jahren müssen sie die jüngeren Geschwister hüten oder sich mit leichten Arbeiten in Haus und Hof beschäftigen, und schon vor der Schulzeit geht manches Kind im Sommer mit auf die Weide, um dort mit den anderen beim Zusammenhalten des Viehs behilflich zu sein.

Zeit genug zum Spiel ist auch bei diesen Kinderbeschäftigungen immer vorhanden. Da wird der Ball gefangen, oder es wird am Bach gespielt und die »Wasserjungfer« geworfen.

»Nu smit he int Water mit platten Steenken un grieflacht,
wenn et so wiedhen hüppt,«

sagt Voß in »De Geldhabers« und fügt hinzu: »Dies Spiel nennen die Kinder in Holstein »scheifern«, in Bremen »schirken«, allgemein »en Botterbrod smeren«. Oder es werden die Fingerspiele gemacht, z. B. wird ein Kaufladen dargestellt, wobei die gegeneinander gelegten Mittel- und Goldfinger der beiden Hände das Haus, die beiden Zeigefinger wagerecht davorgelegt die Tonbank, die Daumen die Käufer und ein kleiner Finger den Kaufmann bilden. In kleinen Reimen wird dann ein Zwiegespräch zwischen Kaufmann und Käufer unter Bewegung der entsprechenden Finger vorgestellt, z. B. sagt man im Amt Ritzebüttel:

»Gon Dag, min Jung!«
»Förn Groschen Rum!«
»Ick heff ken Rum.
Adjüs, min Jung!«

oder wenn es sich um ein kleines Mädchen handelt:

»Gon Dag, min Deern!«
»Förn Groschen Tweern!«
»Ick Heff ken Tweern.
Adjüs, min Deern!«

Die Kinder spielen Kriegen oder sonstige Laufspiele, teilweise mit zugehörenden Versen wie:

»Pape, ek sta up diner Bân,
Lât mek nich sau lange stân;
Ek stâ up kalen Steinen,
Mek früst an minen Beinen.«

Ein ähnliches Laufspiel ist oder war das Rûripsken-Spiel, das sich vielleicht irgendwie mit einem Märchen berührt. Dabei setzt sich ein Kind hin und stellt sich tot, dann springen die anderen Kinder zu ihm heran und singen die Worte: »Rûripsken, lêwest de noch?« Mit einem Male springt das still dasitzende Kind auf und sucht ein anderes zu haschen, welches sich dann wieder tot stellen muß.

Auf der Weide und in den Gräben werden Blumen zum Kranze gepflückt oder Kräuter gesucht. Auch dabei gibt es besondere Liedlein, so wird beim Ausgraben der Wurzeln des Baldrian gesungen: »Balderjân! Most upestân, Most hengân, Most helpen Allen Minschenkindern Un allen Nawersrindern.«

Mit besonderer Ehrfurcht werden die »Donnerkeile«, die sich etwa auf der Weide finden, betrachtet, denn nach dem Volksglauben kommen sie mit dem einschlagenden Blitz herab, schlagen tief in den Boden ein und steigen allmählich wieder zur Oberfläche empor, die sie nach sieben Jahren erreichen.

Das Leben im Freien bringt die Kinder schon früh in ein inniges gemütvolles Verhältnis zur Natur. Besonders sind neben den Blumen die Schmetterlinge, die Käfer und die Vögel die Lieblinge der Kinder. Ihnen singen sie ihre kleinen Lieder zu wie z. B. in der Gegend von Hamburg dem Kiebitz:

»Kiwitt, wo bliv ick?
In'n Brommelbeerbusch!
Dor danz ick, dor spring ick,
Dor hev ick min Lust.«

oder in der Gegend von Lüneburg dem Marienkäfer:

Sonn'nkind fleeg up, fleeg up!
Fleeg toom hoogen Himmel,
Haol mi en Korf vull Kringel!
Mi een, di een,
Annern Maienkind ook een!«

Ähnlich beginnt im Südhannoverschen das weit bekannte Maikäferlied:

»Maikaebel, flüg up,
Dau dine alle veer Fitchen up!«

Der Bachstelze, dem »Ackermaenneken« ruft man dort zu:

»Ackermaennecken,
Ploig min Laennecken,
Sast ak en blanken Döaelerken hebben!«

Wenn der Kuckuk ruft, fragt Jung und Alt:

»Kuckuk up der Wien,
Wonner sal ek frîen?«

dann zählt man die darauf folgenden Kuckuksrufe und glaubt in ihrer Zahl die Antwort zu finden.

Die Menge solcher Tierreime ist sehr groß. Sie erklärt sich nur aus der tief empfundenen Liebe zu den Tieren, und um diese recht deutlich hervortreten zu lassen, schließen wir hier noch ein paar ähnliche Lieder aus der Gegend von Hamburg an. So ruft man der Katze zu:

»Muse-, Muse-Kätzchen, wo wullt du denn hen?
Achter den Barge, nach 'n Bruthuse hen!
Door slacht se 'n Steer,
Door drinkt se Beer,
Door slacht se 'n Swien,
Door drinkt se Wien,
Door sall mien lütt Anna ehre Hochtiedt sien!«

Oder man spielt mit dem Schneckenhause und singt dazu:

»Sniggenhuus, komm herut!
Steek dien veer, fief Hörn herut!
Wullst se nich herutsteeken,
Will ick di dien Huus twei breeken!«

Von dem Geschnatter der Enten heißt es:

»Onten int Woder,
Wat förn Jesnoder,
Onten in'n Diek,
Wat förn Musik,
Onten in't Strou,
Wat förn Hallou!«

und wenn die kleinen Jungen die Mädchen nicht in Ruhe lassen wollen, so ruft man ihnen unter Bezugnahme auf die Gänse zu:

»Gös op de Deel,
De Ganner dorbi!
Jung, lot de Deern tofreden,
Mudder sleit di!«

Sehr weit verbreitet ist das Lied von dem Hühnchen, das sich in den Blumengarten verlaufen hat:

»Tick, tick, tick, mien Hoineken,
Was deist' op minen Hoff?
Du plückst mick aff mien Bloimeken,
Du moakst et veel tau groff.

Papa ward mit dick kiemen,
Mama, de ward dick sloan.
Tick, tick, tick, mien Hoineken,
Loat du mien Bloimeken stoan!«

Von der weiteren Auszählung anderer Spiele und Kinderlieber müssen wir hier absehen, auch z. B. von den bekannten Schnellsprechsätzen, deren Wortlaut so gefaßt ist, daß man sich bei ihrem schnellen Sprechen in einer Weise versprechen muß, die den Sprecher in Verlegenheit bringt.

Zwischen Spiel und Arbeit vergeht dem heranwachsenden Kinde auch die Schulzeit, die auf dem Lande gewöhnlich bis zum 14. Lebensjahre dauert. Sie findet mit der Schulentlassung und der Konfirmation ihren Abschluß, und damit nimmt zugleich auch die Zeit der Kindheit ihr Ende. Es beginnt die Jugendzeit, die die Jünglinge in ihren Beruf, die Mädchen in nunmehr uneingeschränktem Maße in die Arbeit des Hauses einführt.

Arbeit den lieben langen Tag, das ist das Los des Menschen von Jugend an. Aber auf die Arbeit des Tages folgt die Gastlichkeit des Abends, und der Kreis der sauren Wochen wird von frohen Festen wohltätig unterbrochen. Da schließt sich die Jugendschaft des Dorfes gegen die Kinder und gegen die Verheirateten in mehr oder weniger engen Verbänden ab. Burschenschaft und Mädchenschaft nehmen den Einzelnen in ihren Kreis auf. Gemeinsam veranstalten sie ihre Zusammenkünfte und Festlichkeiten. Sie sind die Hüter der Sitte, und sie wachen darüber, daß die einzelnen Mitglieder ihren Lebenswandel in dem von der Sitte vorgeschriebenen Rahmen halten.

Unter den Gelegenheiten, die die Burschen und Mädchen zusammenführen, ist wohl die am meisten genannte die in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr abgekommene Spinnstube. Da fanden sich die Mädchen an den Winterabenden abwechselnd in dem Hause einer Freundin zusammen und ließen die Spinnräder laufen oder banden den Flachs neu auf. Da wurden die alten Spinnregeln von Mund zu Mund weiter gegeben: »De Flas mot up'n Wocken sitten up der Lûer, de Hêe âwer as 'ne Mûer« oder »Det Flas ût der Slüeren, de Hêe ut der Müeren.«

Der Zwang der Mutter und alte Gewohnheiten sorgen gemeinsam dafür, daß jedes Mädchen sich bemüht, an einem Abend möglichst viel beim Spinnen fertig zu bringen, und wenn die eine oder die andere doch das Spinnrad nur ungern in die Hand nehmen sollte, so wird sie mit kleinen Neckliedern dazu angefeuert, wie man z. B. in der Nähe von Hamburg singt:

»Heß Trienken Flickersch eer Spinnrad nich sehn?
Et stunn in de Eck, in de Eck op den Böhn.
In de Eck op den Böhn, op 'n Böhn in de Eck
Is Trienken Flickersch ehr Spinnrad nu weg!«

Zu den spinnenden Mädchen kommen dann die Burschen auf Besuch. Sie sehen bei der Arbeit zu, rauchen und erzählen Geschichten, geben Rätsel auf, oder singen gemeinsam mit den Mädchen ein Lied. Wenn genug gearbeitet ist, werden die Räder zur Seite gestellt, und Burschen und Mädchen vereinigen sich zum Spiel. Pfänderspiele aller Art entwickeln immer aufs neue ihren Reiz, z. B. »Lütje Funke lêwet noch!« Da wird ein nach dem Ausblasen der Flamme noch glimmendes Hölzchen von Hand zu Hand gegeben, bis es erlischt, wobei ein jeder im Weiterreichen sagt: »Lütje Funke lêwet noch!« Derjenige, in dessen Hand das Hölzchen erlischt, muß ein Pfand geben.

Beim Auslösen der Pfänder wiederholen sich dann ebenfalls immer wieder die alten Aufgaben und Späße. Daß der Ruß dabei eine große Rolle spielt, ist harmlos und selbstverständlich. Weit bekannt ist die Aufgabe des Ofenanbetens, wobei das Mädchen vor dem Ofen niederkniet und spricht:

»Leiwe Owe, ek bêe dek an,
Beschêre mek en'n gauen Man!
Beschêrst de mek kenen gauen Man,
Sau bê' ek dek min Lêwe nich wêer an.«

Allerhand Orakelspiele werden gepflegt, besonders solche, die aus die künftige Heirat Bezug haben. Da setzen die Burschen und Mädchen jeder ein Blatt des Wintergrüns, des »Perwinkels«, auf das Wasser, und diejenigen, deren Blätter zusammenschwimmen, und sich so vereinigen, haben dann daraus zu entnehmen, daß sie sich künftig heiraten werden.

Eine besondere Art von Spielen sind die Bilderrätsel. Da wird z. B. mit Kreide auf den Tisch gemalt: »'ne Sichel un 'ne Soage, Kanne un 'ne Waage, un de Moan un en Ledder, 'n Fenster un en Maeken.« Die Auflösung dazu heißt:

»Sicherlich sag ich's,
Kann ich's, so wag ich's,
Des Abends beim Mondenschein
Nehm ich das Leiterlein,
Steige in's Fenster rein
Zu des dicken Bauern sein Töchterlein.«

Gerade dieses Rätsel ist ein deutliches Hänselrätsel. Wenn der Gehänselte es nicht riet, mußte er eine Kanne Bier zur Strafe zahlen. Wenn er es aber riet, dann zahlte er natürlich ebenfalls. Auch diese Art Rätsel, deren manche noch erheblich derber sind, brauchten das nicht immer sehr helle Licht der Spinnstuben nicht zu scheuen, aber es muß auch hier wieder hervorgehoben werden, daß man sich nicht gerade sehr Schlimmes dabei dachte.

Über ein Vermummungsspiel, »dat Niphaun«, das nickende Huhn, berichtet Schambach: »Es hat damit diese Bewandtnis. In einer Spinnstube wird ein Mädchen mittelst zweier auf den Rücken gebundener Stöcke, die über den Kopf und das Gesäß hinausstehen, so eingebunden und mit Tüchern verhängt, daß die Figur einem Huhn einigermaßen ähnelt und nichts als den Kopf bewegen kann. Dann wird das »Niphuhn« über jedes der anwesenden Mädchen befragt, wen sie zum »Schatz« habe, wobei verschiedene Namen genannt werden. Wird der rechte Name genannt, so nikt (nipt) es. Daher der Name Niphaun«.

Ein ähnliches Spiel, die »Stoppegâs« beschreibt derselbe Gewährsmann im Jahre 1858 folgendermaßen: »Stoppegâs«, die Stopfgans. So heißt ein Mädchen, welches in der Spinnstube in Gestalt einer Gans eingebunden und dann in ein andere Spinnstube getragen wird. Das Mädchen, welches sich so vermummt, wird nämlich in einen Kittel gesteckt, und dieser mit Kissen ausgestopft; indem dabei die Arme so viel als möglich an die Beine gelegt werden, sieht die Figur einer Gans einigermaßen ähnlich. Diese Sitte wurde früher in der Woche vor Fastnachten häufig geübt, hin und wieder kommt sie auch jetzt noch vor. An einigen Orten soll dieses Spiel überhaupt im Frühling üblich gewesen sein.«

Eine große Rolle spielte bei diesem geselligen Teile der Spinnstube schließlich auch der Tanz. Da wurden die jetzt meist vergessenen alten Bauerntänze gepflegt, die in ihrer Eigenart einen Abschnitt volkskundlicher Forschung für sich bilden. Sie leben heute nur in dem Gedächtnis weniger alter Leute fort, und ihre planmäßige Sammlung sollte daher so bald wie möglich dringend in Angriff genommen werden, wir wollen einen solchen Dielentanz aus Tostedt in der Lüneburger Heide, wo er bis etwa 1860 noch üblich war, beschreiben. Er wurde getanzt nach dem Liede:

»Bauer, steh auf und füttre Deinen Schimmel,
Liebst Du Deine Frau, so kommst Du in 'n Himmel.
Schimmel, Schimmel, Schimmel, Schimmel!«

Zum Anfang reichten sich die tanzenden Paare die Hände und bildeten einen großen Kreis. Bei den Worten: »Bauer, steh auf und füttre Deinen Schimmel« gingen sie im Kreise rechts herum, bei den folgenden Worten links herum, um dann bei »Schimmel, Schimmel usw.« sich alle nach der Mitte des Kreises zu drängen und wieder zurückzugehen. Nun löste sich der Kreis in einzelne Paare auf, und es wurde ein Rundtanz getanzt. Darauf wurde wieder der Kreis gebildet, und der Tanz begann von neuem. Löste sich der Kreis nun zum zweiten Male auf, so tanzte jeder Tänzer nicht mit seiner Dame, sondern mit der links von ihm stehenden den Rundtanz, und so wechselte er nach jeder Kreisbildung die Tänzerin so lange der Reihe nach, bis er wieder zu seiner eigenen Dame zurückgekehrt war.

Joh. Heinr. Voß gibt in »De Geldhapers« ebenfalls den Text zu einem Tanzlied, von dem er angibt, daß er nach einem Vierländer »Swier«, einem Reigenliede, gemacht sei.

Mit alledem fanden Burschen und Mädchen also reichlich Gelegenheit, sich nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im geselligen Verkehr genau kennen zu lernen. Leicht knüpften sich so die Beziehungen der einzelnen Paare untereinander. Der Bursche umwarb sein Mädchen, und dies gab ihm seine Zuneigung zu erkennen, etwa mit ähnlichen Worten wie sie ein Hamburger Kinderlied wiedergibt:

»Magst mi liden?
Kannst mi krigen.
Wullt mi hebben?
Kannst man seggen.«

Oder die eine und andere konnte wohl auch die Zeit nicht abwarten, und es ging ihr so, wie ebenfalls ein Hamburger Kinderlied sagt:

»Sät 'n lütje Deern op 'n roden Steen,
Harr sick de Ogen so hoch verweent:
All de lütten Deerns de kregen 'n Mann,
Un ick mutt sitten, un kiek mi dat an.«

Mit der gegenseitigen Wahl der beiden zunächst Beteiligten war es aber allein durchaus noch nicht getan. Die Anschauungen des sächsischen Rechts, nach dem die heimlichen Verlöbnisse strafbar waren, haben sich in den Meinungen des Volkes bis in die neueste Zeit lebendig gehalten. Zu einem Verlöbnis, wie es alte Sitte und Herkommen vorschreibt, ist mindestens ebenso sehr wie der Wunsch von Burschen und Mädchen die Einwilligung der Eltern erforderlich, und zwar ebenso der Eltern des Burschen wie derjenigen des Mädchens.

Am liebsten suchte man sich die Braut in dem eigenen Dorfe und in den Kreisen der Nachbarschaft: »Köaep Nâwers Rind, frîe Nâwers Kind, sau werst de nich bedrogen.« Mit großen Umständlichkeiten und in hergebrachten Formen wird die Verlobung durch den Brautwerber eingeleitet, und wenn sie glücklich zustande gekommen ist, von den beiderseitigen Eltern vollzogen. Die Verlobung ist der eigentliche Ehevertrag, in festen Formen abgeschlossen. Alte Verlobungssprüche wie: »Min Hatt un bin Hatt is een Hatt!« sind dabei noch lange in Gebrauch gewesen. Von der Verlobung an betrachten sich Braut und Bräutigam vielerorts auch heute noch als fest Vermählte, und dementsprechend gestaltet sich auch ihre Lebensführung. Die Kirche hat dagegen seit Jahrhunderten geeifert, aber die alten Sitten sind doch immer in Kraft geblieben, und wenn man ein Urteil darüber fällen will, so soll man es jedenfalls nicht einseitig tun.

Ist der Hochzeitstag angesetzt, so geht der Hochzeitsbitter, im Braunschweigischen heißt er »Ummabitter«, in den Vierlanden »Köstenbidder«, von Haus zu Haus. Er trägt einen Rosmarinstrauß am Hut und im Knopfloch. In der Hand hält er einen bändergeschmückten Stab oder Spieß. So bringt er in wohlgesetzter Rede, meist noch in altüberkommenem Hochzeitsbitterspruch seine Einladung vor. Als Hochzeitstag wurde mit Vorliebe der Dienstag gewählt, wie es auch A. v. Droste-Hülshoff in dem Gedicht-Zyklus »Des alten Pfarrers Woche«, den westfälischen Verhältnissen entsprechend, richtig zum Ausdruck bringt.

Am Tage vor der Hochzeit ist der Polterabend. Da werden Tür und Diele des Brauthauses von den Kindern der Nachbarschaft mit Scherben beworfen, denn Scherben bringen Glück und »Je mer Pötte, je mer Glücke!«

Eine Unzahl alter Bräuche und Meinungen sind mit dem Kirchgang verbunden. Da sieht man, ob es auch der Braut in den Kranz regnet, denn das bringt Glück, und Burschen und Mädchen wachen mit Eifersucht darüber, daß nur die den Kranz trägt, der er nach ihrem früheren Lebenswandel zukommt. Den Mädchen, bei denen dies zweifelhaft war, wurde früher vielfach in der Nacht vor der Hochzeit von ihrem Wohnhause bis zur Kirche Häcksel gestreut. Sorgfältig wird während der Trauung darauf geachtet, wer von beiden Teilen die Hand oben hält, denn der wird die Herrschaft im Hause führen. Auf dem Heimwege von der Trauung pflegte sich eine in ihrem Wesen längst nicht mehr verstandene Erinnerung an die Raubehe ältester Zeit, das Einfangen der Braut durch den Bräutigam, abzuspielen. Hat er sie gefangen, so trägt er sie auf dem Arme dreimal um den Herd, an dem die junge Frau hinfort schalten und walten soll. An anderen Stellen empfängt die Mutter des Bräutigams die junge Frau am Herde, führt sie um diesen herum, läßt sie den Kesselhaken aufschürzen oder überreicht ihr den Kochlöffel als Zeichen der neuen hausmütterlichen Würde.

Abb. 17. Hannoversche Bauerntracht (Amt Gifhorn) um 1870. Nach Kretschmer, Deutsche Volkstrachten. Taf. 29.

Der Wechsel der Eheringe ist erst verhältnismäßig spät aufgekommen und selbst heute noch nicht allgemein üblich. Auch in den Städten schenkte noch im 16. Jahrhundert der Bräutigam wohl der Braut einen Ring oder ein sonstiges Geschmeide, die Braut gab ihm dagegen ein Prunktaschentuch. In den Vierlanden gab im 17.Iahrhundert der Bräutigam zwei Traupfennige oder ein bis zwei Reichstaler, die Braut dagegen ein Taschentuch oder das »Brüdegamshemde«. In letzter Zeit waren die üblichen Geschenke von Seiten des Bräutigams Spange und Kette, zwei Ringe und zwei Gesangbücher, von seiten der Braut eine Uhrkette.

Abb. 15. Westfälische Bauerntracht um 1870. Nach Kretschmer, Deutsche Volkstrachten. Taf. 31.

Bei dem Festmahl, bei dem auf dem Tische zwei Wachskerzen als »Lebenslichter« des jungen Paares brannten, ging es hoch her. In großen Schüsseln wurde ein Gericht nach dem anderen aufgetragen. Die Speisefolge war durch alte Sitte genau vorgeschrieben, und wie sehr auch in dieser Beziehung das Althergebrachte zäh festgehalten wurde, dafür hat Jostes in dem Westfälischen Trachtenbuche ein besonders lehrreiches Beispiel aus Freienhagen in der Grafschaft Schaumburg angeführt. Dort bestand das übliche Hochzeitsessen aus Suppe, Rindfleisch, Milchreis mit Buttersauce, Backobst mit Rosinen. In der Zusammensetzung ist das auffallend einfach. Es handelt sich hier aber um eine Jahrhunderte alte Speisefolge, in die die Kartoffeln, die doch sonst den bäuerlichen Tisch heute so sehr beherrschen, noch nicht haben eindringen können. Das altertümliche Wesen des Mahles wird außerdem noch besonders dadurch erhöht, daß nicht von Zinn, Steingut oder Porzellan, sondern von Holztellern gegessen wird.

In Tostedt in der Lüneburger Heide wurden noch in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts zwei Butterkugeln auf die Hochzeitstafel vor die Braut gestellt, und zwar waren sie um so größer, je reicher das Brautpaar war. Sie waren mit ebenfalls aus Butter gekneteten Hühnern mit roten Tuchkämmen geziert, die über die ganze Kugel verteilt waren und dem Ganzen einen sehr festlichen Eindruck gaben. Diese Hühnerbilder waren wohl ursprünglich die Hauptsache bei der ganzen Sitte, denn das Huhn begegnet auch sonst bei den Hochzeitsgebräuchen als glückverheißendes Zeichen für die Braut. Ein weiteres Beispiel dafür werden wir noch kennen lernen.

Im ganzen sind die Bauernhochzeiten wegen des großen Aufwandes, der dabei getrieben wird, auch heute noch berühmt. Viele obrigkeitliche Ordnungen sind dagegen vorgegangen, aber das Maß der Feier, das im 17. Jahrhundert in den Städten drei Tage und drei Nächte umfaßte, wird auch heute noch vielfach innegehalten. Der Kreis der Einladungen wird dabei oft erstaunlich weit gezogen, und zum Schluß nehmen die Hochzeitsgäste von den überreichlich bereitgestellten Speisen auch noch die Reste, die »Prömen« oder »Pröwen« mit nach Hause.

Am Abend des ersten Tages wird der Brautkranz abgetanzt. Der Braut wird von den anwesenden Frauen die Haube aufgesetzt, seltener auch, wie in den Vierlanden, werden ihr die Haare abgeschnitten.

Aus den Vierlanden sind uns aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts auch sonst noch ein paar Hochzeitsgebräuche bezeugt. Da gingen am Tage nach der Hochzeit die Knechte, die zu den Familien des neuvermählten Paares gehörten, in das Haus der jungen Eheleute, holten sich jeder ein lebendiges Huhn und verfügten sich damit, indem sie es auf der Hand trugen, nach dem Hochzeitshause. Hier tanzten sie mit den Hühnern eine Zeitlang herum und schlugen sich dann mit ihnen so lange, bis die Tiere alle tot waren. Diese wurden dann gekocht und von der Tanzgesellschaft verzehrt.

Auch die Art, wie die Vierländer Morgengabe abgehalten wurde, ist in der topographischen, politischen und historischen Beschreibung von Hamburg aus dem Jahre 1811 von J. L. v. Heß ausführlich geschildert: »Den Tag nach einer Hochzeit versammeln sich die Gäste bei den neuen Eheleuten in zwei Parteien. Die junge Frau sitzt an der einen Seite des Herdes, der Mann an der andern, nicht weit von dem Boden der Luke entfernt. Die Frau hält einen Kohlstrunk in der Hand, den sie hinter ihrem Rücken zu verbergen sucht. Nun treten von den Führern ein paar auf jede Seite des Herdes, und nachdem einer von ihnen mit dem Besenstiel geklopft, sagt er: »Will ju hören, gude Fründe, hier schall ene Morgengafe geschehen, von denen, da uns Ehr und Gud von geschehen ist, und noch geschehen soll.« Hierauf antwortet des jungen Ehemanns Wortführer, nachdem auch er geklopft: »Mag man der Gunst wohl geneten?« Der Brautführer: »Jawohl.« Hierauf sagt des Ehemanns Wortführer: »So steit hier de Brödigam mit allen sinen guden Fründen und ick von sinetwegen, und let de Brud up Half un Half, gewunnen und ungewunnen, in Wische un Wäldern, in Water un Feldern, und alle sinen reden Geldern, und all wat em anarven und anstarven kann, als im Lande Ordeel und Recht von Olders her gewesen is.« Nachdem der Braut Wortführer das nemliche wiederholt, frägt er: »Nu war gi guden Fründe von bederseits verstahn hebben, wat hier verafredet iß.« Woraus alle mit »Ja« antworten. Hierauf frägt er weiter: »Womit schall de Brud den Brödjam ehren?« Des jungen Ehemanns Wortführer erwidert: »Mit eenen grünen Strunk, darup da folgt een Sprunk, darna een guden Trunk, den Kleenen half, den Grooten heel, also kriegt jeder sin bescheeden Deel, nehmt disse Reden in Acht, so bliven beede uter verdacht, Gott geve uns all eene gude Nacht.« Hierauf reicht die Braut dem Bräutigam den Kohlstrunk, der denselben nach dem Boden durch die Luke werfen muß, zum Zeichen, daß ihre beiderseitigen Güter gemein sind.«

Einige Tage nach der Hochzeit, in anderen Gegenden auch schon vorher, wird die Ausstattung der Braut auf dem »Kammerwagen« – im Braunschweigischen sagt man »Kästewagen« – in das Haus des Bräutigams gefahren. In Südhannover nannte man das Ganze »de Infûr«, und auch damit waren wieder besondere Festlichkeiten verbunden. Mit Neugierde wurde sie von den Nachbarn betrachtet, und mit Staunen sah man des reichen Mädchens Habe an Kleidern, Hausrat und Vieh in das Haus des Mannes einziehen, an dem sich das Sprüchwort bewahrheitete: »Det frîen het wol Moie, Et bringet âwer Bedde un Koie.«

Natürlich gibt es auch Ehen, bei denen die böse Welt an dem einen oder anderen Teile etwas auszusetzen findet, und bei denen die dem Niederdeutschen nun einmal im Blute liegende Lust am Necken einsetzen kann. Ist die Braut nicht schön genug, so bekommt der Bräutigam in den Vierlanden von den Kindern den Reim zu hören:

»Harr ick man Liebe,
Harr ick man een
Mit scheiwe Been!
Harr ick man Liebe,
Harr ick man n' Brut,
Harr ick man een
Mit n' scheiwe Snut«!

Hat ein Mädchen einen häßlichen Mann genommen, so sagt man in Südhannover: »Det Harte mot en'n Fründ hem, un wenn et âk mant en Tûnstâke is.« Oder wenn der Bräutigam zu alt ist, dann sagt ein Spottlied aus Bremen:

»Ruse de Buse, de Winter is kaamen,
Harr de ole Mann dat junge Mäken nahmen,
Se kaakt em den Kohl, se röhrt em de Grütte,
Wat weer dem olen Mann dat junge Mäken nich nütte!«

Die Stellung der Frau im Hause ist im allgemeinen eine sehr gute. Zwar singen in Hamburg die Kinder:

Brut, Brut, kam rut,
De besten Dag sünd ut,
Nu geiht din Elend an,
Nu krigst du enen Mann!«

aber die im allgemeinen der Frau eingeräumte Stellung und die durchschnittliche Behandlung, die sie von seiten des Mannes erfährt, darf darnach nicht beurteilt werden. Es gibt natürlich Ehen, in denen es der Frau nicht besonders gut geht, aber umgekehrt hat sich auch manches Mal der Ehemann zu beklagen, und dann paßt auf ihn im Ernst das, was Joh. Heinr. Voß in dem früher schon erwähnten »Swier« halb im Scherz sagt:

»En Deerensding
Hüppt um den Ring,
Un deit so leef un aarig;
Man as se friet,
Du leewe Tied!
Wo ward se kettelhaarig!
Den ersten Morgen heet et: Fix!
Nim du de Schört, gif mi de Büx!
Sunst jag' ik 'ut den Plümen
Di up den Hönerwiemen!«

Mancher Mann muß sich dann mit dem Sprüchwort trösten: »Me Frûe, dei nich schelt, en Hund, dei nich belt, 'ne Katte, dei nich mûset, dögt nich!«

Das freilich ist richtig, daß wenn die Frau stirbt, der Mann gewöhnlich rasch wieder zu einer neuen Ehe schreitet, wozu ihn übrigens die wirtschaftlichen Verhältnisse des Hauses oft geradezu zwingen. Nimmt der Mann dann mehrere Male hintereinander ein reiches Mädchen zur Frau, dann heißt es im Volksmunde: »Wenn de Pere gaud stat, un de Fruen gaud gat, denn kan men wol en Man weren,« das heißt, wenn es den Pferden gut geht und die Frauen rasch aufeinander sterben, dann kann der Mann wohl reich werden.

Wenn die Frauen mehrere Male schon wenig Jahre nach der Verheiratung sterben, so raunt man sich, wie Schambach sagt, in die Ohren, der Mann habe eine weiße Leber, und man glaubt infolgedessen, daß seine Manneskraft zu groß sei. Solche Männer sind dem Volke unheimliche Gestalten.

Die Stellung des Gesindes ist im niederdeutschen Hause meist eine sehr gute. Der Bauer zählt seine Leute durchaus zur Familie, wozu die einsame Lage vieler Höfe nicht wenig beigetragen hat. Mit den Knechten und Mägden zusammen nimmt die bäuerliche Familie ihre Mahlzeiten ein, und es kommt verhältnismäßig selten vor, daß der Bauer sich einmal in die scherzhafterweise sogenannte »Woststowe«, die Wurststube zurückzieht, um sich ohne das Gesinde eine Wurst oder sonst etwas Besseres für sich allein zu leisten.

Einen Wechsel der Dienstboten nimmt man möglichst selten vor, auch wenn man nicht immer ganz mit ihnen zufrieden ist, schon weil man leicht noch schlechtere dafür wieder bekommt. Das Sprüchwort sagt: »Zipeln jögt men weg, un Knuflâk (= Knoblauch) krigt men wêer.«

Für die Art, wie das Gesinde im Hause gehalten wird, ist es schon bezeichnend, daß die Magd bei ihrem Diensteintritt in den sächsischen Landen feierlich am Herde empfangen wird. Als »Mejegeld«, als Handgeld, welches beim Mieten der Dienstboten gegeben wird, ist bei den Bauern in der Regel ein Taler üblich. Die Dienstverpflichtungen ergeben sich aus den Ansprüchen des Hauses und der Wirtschaft. Besondere Vereinbarungen wurden mit den Mägden früher wegen des Spinnens getroffen. Aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts berichtet darüber Schambach: »Tal ist die Anzahl von »Löpen«, welche die Magd für ihre Herrschaft in einer Woche spinnen muß; was sie darüber spinnt, wird ihr besonders bezahlt, wobei bald 8, bald 12 Pfennige für den »Lop« berechnet werden. Gewöhnlich muß eine solche Spinnerin bis zum Freitag Abend 12, an anderen Orten 13 Löpe gesponnen haben, in Edesheim bis zum Sonnabend Mittag 15. Dabei muß sie noch täglich ausfegen und die Betten machen.«

Das Verhältnis des Bauern zu Verwandten und Nachbarn wie überhaupt zu den übrigen Mitgliedern der Gemeinde ist in der Regel ein freundschaftliches und enges, vor allem werden die Bande der Blutsverwandtschaft heilig gehalten. Diese Anhänglichkeit gilt auch den entfernteren Verwandten, das Sprüchwort sagt: »Frünneblaud dat quillt, un wenn et âk mant ein Droppen is,« das Verwandtschaftsblut regt sich, und wenn es auch noch so wenig ist. Etwaige Zwistigkeiten zwischen Verwandten werden daher gewöhnlich leicht wieder beigelegt: »Blaud werd wêer gaud!«

Fremden Eingriffen oder Schädigungen gegenüber hält die Verwandtschaft auch heute noch fest zusammen. Daß dieser Zusammenhalt früher auch in Niederdeutschland noch im Mittelalter im Notfalle bis zur Blutrache ging, ist bekannt. Großfamilien, sogenannte »Klüfte«, wie bei den Friesen lassen sich im sächsischen Volkstum nicht nachweisen. Zwar finden sich z. B. in den Vierlanden einmal im Jahre 1422 »Klüfte« erwähnt, aber es sind nicht, wie Lappenberg meinte, Großfamilien, sondern Kirchspiels-Teile darunter verstanden.

Mit den Nachbarn fühlt man sich auf dem Lande viel enger verbunden als in der Stadt. In vieler Hinsicht ist hier einer auf den anderen angewiesen. Man hilft sich gegenseitig mit Kleinigkeiten aus. Man unterstützt sich aber auch in großen Dingen; so helfen sich die Nachbarn gegenseitig beim Neubau oder beim Dachdecken. Es ist auch noch gar nicht so lange her, daß man, wenn das Feuer auf dem Herde ausgegangen war, aus dem Hause des Nachbarn neues Feuer herbeiholte.

Es gab früher auch besondere Nachbarschaftsverbände, die sich ursprünglich wohl durch gemeinsame Anlage und Unterhaltung eines Brunnens oder ähnlich gebildet hatten. Die Erinnerung daran hat sich noch bis in das 19. Jahrhundert hinein in besonderen Festen dieser Nachbarschaften erhalten. So berichtet Schambach über die »Nâwerschop«: »In Einbeck wird mit diesem Namen auch ein eigentümliches Volksfest benannt, welches im Jahre 1838 zuletzt gefeiert wurde. Zu dem Ende war die ganze Stadt in 12 Nachbarschaften eingeteilt, und in jeder dauerten die Festlichkeiten drei Tage. Dabei wurde dieser Vers gesprochen:

»Dat is mal wat! Wer Einbeck noch nich kennt,
Da hebbet se en Fest, dat Nawerschaft sek nennt,
Da gelt nich Vedder un Fru Wase;
Wer da nich Nawer segt, mot in de Büssen blasen.«

Die gemeinsamen bäuerlichen Festlichkeiten wie Schützenfest, Kirmis und Knechtebier, von denen wir später noch zu reden haben werden, fanden in der Regel auf der »Tie« statt, dem Gemeindeplatz im Dorfe. Derselbe ist gewöhnlich erhöht, ummauert und mit Linden besetzt, an den Seiten befinden sich große Steine, die als Bänke dienen. (Vgl. Abb. 12.)

Abb. 12. Tie (Hajen, Hannover). Nach Mielke, Das Dorf. Abb. 247.

Vor allem aber diente der Tie als Versammlungsstelle für die Dorfgemeinde zur Beratung der Gemeindeangelegenheiten und zur Anhörung der eingegangenen obrigkeitlichen Bekanntmachungen, die vom Bauermeister vorgelesen wurden. Hier wurde über die Anstellung des Schulmeisters beraten, der dann alljährlich zu gewissen Zeiten mit zwei Mägden mit Tragkörben in der Gemeinde umherging, um sich »den Umgang, den Ümmegang, zu holen«, das heißt um seine Einnahmen in Naturalien oder barem Gelde einzusammeln. Auf dem Tie wurde über die Wahl von Weidevorsteher, dem »Mëhëre«, von Hirten und Hütejungen Beschluß gefaßt. Hier wurde wohl auch gelegentlich über ein gemeinsames Vorgehen gegen ein widerspenstiges Gemeindemitglied beraten. So erzählt E. H. Meyer in seiner Deutschen Volkskunde, daß die Gemeinde Wendhagen einem ungehorsamen Bauer den Gebrauch des Feuers, des Wassers, der Weide und der Hirten verbot, ihm das Tor zupfählte, einen Graben davor aufwarf, den Eimer über dem Brunnen abhieb und den Backofen dicht machte, bis er nachgab.

Die soziale Stellung der Bauern den übrigen Ständen gegenüber ist im Laufe des 19. Jahrhunderts rechtlich ausgeglichen, aber man muß sich doch der früheren Verhältnisse wenigstens erinnern, wenn man die eine oder andere Erscheinung auch im volkstümlichen Leben der Gegenwart richtig verstehen will. So gibt uns wieder der Verfasser der Pommerania einen guten Einblick in die Zustände des 16. Jahrhunderts, wenn er schreibt: »Der Pauren Wesend ist nicht durchaus gleich. Etzliche haben ihre Erbe an den Höfen, darauf sie wohnen. Dieselben geben ihre bescheidene Zinsen und haben auch bestimmten Dienst. Dieselben stehen wohl und seint reich, und wann einem nicht geliebet, auf dem Hofe länger zu wohnen, oder seine Kinder darauf wohnen zu lassen, so verkaufet ers mit seiner Herrschaft Willen, und gibt der Herrschaft den Zehenden vom Kaufgelde. Und der wieder auf den Hof zeucht, gibt der Herrschaft auch Gelt, und also zeucht der ander mit seinen Kindern und Gütern frei weg, dahin er will. – Aber mit den andern ists nicht so; die haben an den Höfen kein Erbe, und müssen der Herrschaft so viel dienen, als sie ummer von ihnen haben wollen, und können oft über solchen Dienst ihr eigen Werk selbst nicht tun, und müssen derohalben verarmen und entlaufen. Und ist von denselben Pauren ein Sprüchwort, daß sie nur sechs Tage in der Wochen dienen, den siebenten müssen sie Briefe tragen. Demnach eint dieselben Pauren nicht viel anders als leibeigen, dann die Herrschaft verjaget sie, wann sie wollen, wann aber die Pauren anders wollen wohin ziehen, oder ihre Kinder an andere Orte begeben, und es nicht mit Willen der Herrschaft tun, obgleich ihre Höfe zu guter Wehre gepracht, so holet sie doch die Herrschaft wieder als ihre eigen Leute. Und müssen derselben Pauren Kinder, es sei Sohn oder Tochter, nicht aus ihrer Herrschaft Güter ziehen, er gebe es denn sonderlich nach; denn es ist nicht genug, daß ihres Vaters Hof besetzet ist, sondern sie müssen auch andere wüste Höfe, wo die Herrschaft will, annehmen und bauen. Doch entlaufen ihrer viele, oder entziehen heimlich, daß ofte die Höfe wüste werden. Alsdann muß die Herrschaft sehen, daß er einen andern Pauren darauf kriege; hat denn der abläufige nichts beim Hofe gelassen, damit er möge erhalten werden, so muß die Herrschaft demjenigen, der wieder darauf ziehet, Pferde, Kühe, Schweine, Pflug, Wagen, Samen und anderes dazu geben, damit er den Acker und Hof begaten kann, und bisweilen noch etzliche Jahr wol zinsfrei dazu. Und derselbige wird dann sampt seinen Kindern so eigen als die andern pauren. wenn er aber oder seine Kinder mit Willen der Herrschaft wieder davon ziehen, so lassen sie dasselbige, was sie im Hofe empfangen, oder anderes so gut dabei. Und diese lassen sich aus leichten Ursachen vertreiben, und entlaufen sunst. Aber die andern Pauren, die ihr Erbe an dem Hofe haben, wenn man sie gerne bisweilen wegtriebe, so wollen sie nicht weg, und die seint so eigen nicht, sondern ziehen, wohin sie wollen.«

Nun sind ja die herrschaftlichen Verhältnisse in den einzelnen Teilen Niederdeutschlands verschieden schwer gewesen, aber gerade diese Verschiedenheit ist es wieder, die aus die Ausbildung der Geistesart des Volkstums nicht ohne Einfluß geblieben ist. Im ganzen kann man sagen, daß nicht so sehr die verschiedene Art der Lebensweise und der wirtschaftlichen Verhältnisse als vor allem die rechtliche und soziale Schichtung der »Stände« den Anlaß dazu gegeben hat, daß das Bauerntum sich mit einer gewissen Scheu, gelegentlich kann man sogar sagen, mit einem deutlichen Mißtrauen in sich selbst verschließt.

Der Gegensatz zwischen Stadt und Land, der unser Volkstum gespalten und in vieler Hinsicht lange Zeit so schwer geschädigt hat, ist auch heute noch nicht völlig überbrückt. Der Bauer sieht in dem Städter nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich nur zu oft noch den Fremden, und häufig genug glaubt er an einen Gegensatz zu ihm, selbst da, wo er gar nicht vorhanden ist. In einem nicht nur scherzhaft, sondern zur Hälfte auch ernst gemeinten angeblichen Zwiegespräch zwischen einer Städterin und einer Bäuerin kommt dieser Gegensatz in bezeichnender Weise zum Ausdruck, wenn es heißt:

»Jî, Alke Aleke, Alke ist die Dohle, dann auch das schwatzhafte Frauenzimmer. von 'n Dörpe,
Wô dûer jûe Gâs?« –
»Jî, Börgersche ût der Stad,
Licket der Alken dat Gat.
Twölf Gröschen gelt 'ne Gâs.«

*

Verfolgen wir nun das Leben des Bauern im Wandel der Jahreszeiten, so sehen wir ihn zunächst am Alltag und bei der Arbeit. Viehhaltung und Ackerbestellung, Saat und Ernte nehmen da Tag aus Tag ein seine ganze Kraft in Anspruch. Aber auch in diesen rein wirtschaftlichen, praktischen Dingen hält man es nicht so, wie es jedem gerade einfällt, oder wie es für die eigenen Wünsche am zweckmäßigsten zu sein scheint, sondern auch hier schreibt die Sitte in hundert Einzelfragen das Gesetz vor, dem sich ein jeder ohne Besinnen, oft auch ohne überhaupt darüber nachzudenken, völlig beugt.

Selbst die Viehhaltung hat ihre eigenen Gebräuche. So wird in Westfalen dem Rindvieh am 1. Mai mit besonderer Feierlichkeit einem jeden sein Name gegeben. So streicht dort beim Austrieb zur Weide der Hirt die junge Kuh dreimal über Kreuz, Hüfte und Euter, indem er mit der Namengebung zugleich den Fruchtbarkeitssegen verbindet:

»Quick, quick, quick,
Miälk in dinen Strick!
De Sap es in den Biärken,
En Namen kritt de Stiärken,
Den Namen sast du genaiten:
Bunte Leewe sast du haiten!«

Die Namen der Tiere werden häufig nach ihren äußeren Merkmalen gewählt, außerdem erhalten sie vielfach Menschennamen, oft in der Koseform, wie z. B. die Katze fast immer Mieze, das ist Mariechen, heißt. Unter den Hundenamen erwähnt E. H. Meyer als besonders seltsam »Strom«, »Wasser«, sogar »Donau«. Die Erklärung dafür gibt J. G. Kohl in seinen Nordwestdeutschen Skizzen, indem er sagt: »Eine unter dem Volke verbreitete abergläubische Meinung soll die Veranlassung zur Einführung des Hundenamens »Strom« gegeben haben. Sie glauben, daß die Diebe und Hexenmeister alles in der Welt besprechen können, nur nicht die unwiderstehliche Naturgewalt der Ebbe und Flut, die sie auch »den Strom« nennen, und daß daher der Name »Strom« die Hunde gegen eine solche Besprechung von seiten der Diebe sicherstellen und sie kräftigen könne. In anderen Marschgegenden soll aus derselben Ursache der Name »Fluth« oder »Floot« für Hunde ebenso gemein sein.« Demnach ist wahrscheinlich, daß auch die Namen »Wasser« und »Donau« aus der gleichen Rücksicht gewählt sind.

Der Bauer liebt seine Tiere, die ja auch mit ihm in einem Hause aufwachsen, sehr. Er läßt sie sogar, wie wir später noch an einem sehr bezeichnenden Beispiel sehen werden, an den Ereignissen seines Familienlebens teilnehmen, und er sucht sie durch Segen und Schutzformeln gegen Schädigungen durch Hexen und böse Geister zu sichern.

Wie bei der Viehzucht, so fehlt es bei dem Ackerbau, bei Saat und Ernte nicht an bestimmten Förmlichkeiten. Das Pflügen beginnt am Gertrudentage, am 17. März. Eine Bauernregel sagt: »Gertrud flügt de Swöalke ût, dâ mot de Bûere med den Plauge rût«. Dann schneidet in Westfalen die Bäuerin ein Brot auf der Mitte des Pfluges durch und gibt die eine Hälfte dem Knecht, die andere den Zugtieren.

Bei der Saat muß das Säetuch neu sein. In Brandenburg und Pommern wird es während der ganzen Saatzeit gebraucht. Der Knoten darf nicht früher aufgelöst werden. Fruchtbarkeitszauber aller Art leiten die Arbeit ein und begleiten sie. In Holstein warf man früher drei Hände voll Korn durch die drei Löcher an dem Handgriff eines Erbschlüssels und steckte dann drei vorher in den Mund genommene Körner hindurch. Bei dem Aussäen des Flachses war dort ein eigener Segen gebräuchlich:

»Flaß, ick streu dy in den Sant.
Du must wassen as en Arrm dick un as en Kaerl lank!«

Beim Flachs unterscheidet man, wie Schambach berichtet, nach der Zeit des Aussäens drei Arten: Froiflas, Middelflas und lâte Flas. Der Frühflachs wird gesät zwischen dem 10. und 23. April, der Mittelflachs im Mai, gewöhnlich »up Maidag«, der Spätflachs erst kurz vor Johannis. Im übrigen sagt das Sprichwort: »Flas is 'ne Ape: wer et dermêe drept, is Mester,« das heißt: der Flachs äfft die Menschen, indem er bald gerät, bald mißrät.

Der »Maidag«, der 1. Mai, spielte im landwirtschaftlichen Leben eine große Rolle. Nach diesem Tage wurde gewöhnlich bei Verpachtungen gerechnet, und man sagte: »De Maidag is dat vor'n Summer, wat de Tûn is vor'n Acker!« Wenn das Wachstum der Saaten schon vor Anfang Mai einsetzte, so sah man das mit starkem Mißvergnügen an: »Wat vor Maidag wasset, dat mot med îsernen Kûlen in de Eren eslân weren!«

Beim Heumachen hat es früher eigene Arbeitslieder, »Heulieder« gegeben:

»Singe du selbst dein neugelernetes Heulied! ...
Konrad sang mir die Weis' und versicherte, wenn du den Mähern
Sängst das Lied, dann regt in der Hand sich die Sense von selber,«

läßt J. H. Voß in der »Heumad« das Mädchen bitten, und der Bursche sagt:

»Nimm auch, Mädchen, die Sens', und schlage den Takt mit dem Schlüssel.
Sensengeklirr erst macht dir ein Heulied wirklich zum Heulied.«

Voß läßt dann ein von ihm gedichtetes Heulied folgen. Er schildert auch in dem 1785 entstandenen »Heureigen« in ein paar Versen die Sitten der Heuernte, das Einfahren des Wagens und das abschließende Heufest mit folgenden Worten:

»Bepackt wird dann der Wagen ganz,
Daß Achs' und Leiter knackt;
Die schönste Dirn' im Blumenkranz
Wird oben drauf gepackt,
Hell kreischt sie dalderaldei!
Gewiegt von duftendem Heu! Juchei!

Zuletzt bei Schmaus und Reigen tönt
Schalmein- und Fiedelklang:
Da tanzt man, daß der Boden dröhnt,
Den ganzen Abend lang
Und schläft dann, dalderaldei!
Wir Bursche schlafen im Heu! Juchhei!«

Bei der Heumaad wie bei der Kornernte arbeiten die Schnitter um die Wette. Wer zuletzt fertig wird, der wird gehänselt und verspottet, vielfach wird er ganz in Kornähren eingehüllt und auf dem Felde herumgetragen, dabei aber außerdem noch von den Mädchen mit den Harken bearbeitet. An manchen Orten hatten, wie Schambach berichtet, die Tagelöhner das Recht, beim Schneiden des Getreides mittags und abends einen »Top«, einen Büschel Getreidehalme, soviel man mit beiden Händen umfassen kann, für sich vom Acker mitzunehmen.

Die letzte Garbe bleibt wie fast überall in deutschen Gebieten so auch in Niederdeutschland auf dem Felde stehen. Sie führt hier, besonders in der Mark, den Namen »Vergodendeels Strûß«, und sie wird mit Bändern und Blumen geschmückt und von den Schnittern mit Gesang umtanzt. Wir kennen diese Sitte schon aus dem 16. Jahrhundert, wo Nicolaus Gryse sie für Niederdeutschland bezeugt. Er sagt, die Schnitter hätten die Garbe dem Abgott Wodan geweiht, indem sie zum Tanz gesungen hätten:

»Wode, hale dynem Rosse nu Voder,
Nu Distel unde Dorn,
Thom andren Jhar beter Korn.«

Die erste Garbe wird in vielen Teilen Niederdeutschlands dem Gutsherrn mit besonderer Feierlichkeit überreicht. Dabei wird der Herrschaft alles Gute gewünscht:

»So manches Ahr,
So manches Jahr,
So manche Rispe,
So manche tausend Taler in des Herrn Geldkiste!
Ich will nun wünschen, daß die Pferde gut gehn
Und die Schwein' gut gedeihn
Und die Kinder reich frei'n.«

Zum Schluß wird dann um »Bier und Wein« zum Erntefest gebeten. Solche Sprüche gibt es in vielen landschaftlich verschiedenen Formen. Einer von ihnen, aus Vierlanden, scheint an den oben erwähnten Spruch beim Tanz um den Vergodendeels-Strûß zu erinnern, wenn er unter anderm sagt: »Wir hebben gebunden Disteln in's Korn, Nächstes Jahr wollen wir binden reines Korn.«

Ihr eigentliches Gepräge hatten die Erntezüge vor allem früher, solange die Dorftrachten noch lebendig waren. Sie gaben dem Ganzen ihren besonderen farbigen und heimatlichen Reiz. An sie müssen wir in erster Linie mit denken, wenn wir bei Voß in »Die Erleichterten« die folgende lebendige Schilderung eines Erntezuges lesen:

»Froh ist der Anblick,
Wenn nach langem Geschäft sich erlustigen Männer und Weiber,
Stattlich im Feiergewand' und jeglicher Sorge vergessend;
wann mit prunkendem Kranze der Segensernte daherziehn,
Sens' und Hark' in der Hand, lautjubelnde Mäher und Jungfraun,
Hüfener samt dem Gesind', und ältliche Leute des Taglohns ...
Wunder! Da kommt mein Pfarrer, mit Frau und lieblichen Töchtern,
Dicht an dem Kranz in das Tor; und der Schule verständiger Lehrer;
Auch, ihr Blatt in der Hand, tonkundige Knaben und Mägdlein;
Wohl ein besonderes Lied ehrt heute die gnädige Herrschaft!
Braut und Bräutigam vorn mit dem Kranz, wie geputzt für die Trauung!
hinten im dörflichen Prunk ein unabsehbarer Aufzug,
Schlagend die Sens' und die Harke, zum kräftigen Marsche der Bläser!
Schau wie die Sonne die Flitter bestrahlt, wie die Bänder umherwehn!
Noch kein End! Eindringen, wie schwärmende Bienen, die Kindlein!«

Wieviel Poesie, wieviel Augenfreude und wieviel Heimatsglück ist dahingegangen, seitdem die Erntefeste in dieser Form aufgehört haben! Man sollte von ihnen wieder erwecken, soviel wie möglich ist. –

Wenn nun so die Erntezeit abgeschlossen ist, so erwächst dem Bauern aus dem Segen des Sommers die Arbeit des Winters. Auch hier gibt es wieder gewisse Höhepunkte. Einer der hervorragendsten unter ihnen ist der Tag des Schweineschlachtens. Da werden die Verwandten ins Haus geladen, »de Frünne gât hen taur Wostsuppe«, und nachdem sie beim Wurstmachen geholfen haben, wird von dem Frischgeschlachteten gleich gekostet. Weit verbreitet ist auch die Sitte, daß die Familien sich nach dem Schlachtfest gegenseitig Würste ins Haus schicken. Das bekannte Sprichwort: »Wost wêer Wost« findet hierin seine Erklärung.

Daß die Erträge der Flachsernte vor allem im Winter versponnen wurden, haben wir schon erwähnt. Besonders stark schnurrten die Spinnräder in der ersten vollen Woche nach dem Neuen Jahre, der sogenannten »Raumweke«, der Ruhmwoche der Spinnerinnen. Da wurde auf den Dörfern von den Mädchen um die Wette gesponnen. Das Ergebnis dieses Wettspinnens war der »Raumtal«. So nannte man die Anzahl von »Löpen«, die von einer Spinnerin gesponnen wurden, und es ist dabei vorgekommen, daß ein Mädchen in dieser Woche 30 ja 32 Löpe, also fast das Dreifache der gewöhnlichen Wochenleistung gesponnen hat.

Während so auf dem Flett die Frauen und Mädchen spannen, erklang von der Diele der gleichmäßige Schlag der Drescher. Dabei wurden dem Takt der Dreschflegel auch hier bestimmte Schlagworte untergelegt. Wenn die letzten Garben gedroschen sind, gibt es eine besondere kleine Festlichkeit. In Südhannover nannte man sie »Sleitenspoilige« oder »Sleitenweschelsche«. Sleiten sind die büchenen Querhölzer, die über die Balken der Scheuer gelegt sind, und auf denen das Stroh aufgeschichtet wird. Bei der »Sleitenweschelsche« wie bei allen ähnlichen Festlichkeiten ist natürlich das Essen und das Trinken die Hauptsache.

*

Wenn nun so schon das Arbeitsjahr die Veranlassung zur Ausbildung von allerhand Sitten und Gebräuchen gegeben hat, wie viel mehr tut es das festliche Jahr. Um seine einzelnen Tage windet sich ein Kranz von Vorstellungen und Glaubensmeinungen aller Art, und der Glauben ist eben der beste Nährboden für die Sitte. So haben die einzelnen Feste des Jahres ihre ganz bestimmten Gebräuche, die sich einer von dem anderen abheben, und die dem volkstümlichen Leben erst seine ganze Vielseitigkeit, seinen Reichtum und seine höchsten Freuden verleihen.

Den Beginn des Kirchenjahres bildet die Andreasnacht (30. November). Da werden wie in der Neujahrsnacht allerhand Schicksalsfragen gestellt. Es wird Blei gegossen, und die Zukunft wird nach dem ersehnten Bräutigam gefragt. Nackt kehrt das Mädchen rückwärts das Zimmer aus, oder sie stellt sich vor den Spiegel und hofft, daß ihr der Liebste in demselben erscheinen werde. Auf dieses Liebesorakel bezieht es sich, wenn es in einem Rummelpott-Liede aus den Vierlanden heißt:

»Ick weet woll, watt de lütten Deerns doht,
Wenn se morrns freuh uppstoaht.
Denn goath see för deänn Speigel hennstoahn
Und würd denn wieder gar nicks doahn.
Seu kiekt darin, seu kiekt daruht,
Seu kiekt upp öahren sneewitten Buk.
Heppt se Geld, so tellt seu Geld,
Heppt seu nicks, so tellt seu nicks.«

Die Andreasnacht bildet die Einleitung für eine längere Festeszeit, die Adventszeit und die Weihnachtszeit. Der 6. Dezember ist der Tag des Hl. Nikolaus, des Kinderfreundes, der auch im protestantischen Lande noch als Vorläufer des Weihnachtsfestes lebendig geblieben ist, und dessen nächtlicher Umgang den Kindern am anderen Morgen durch hingelegte Näschereien oder Geschenke erkenntlich wird.

Der Nikolaustag und daneben der Neujahrstag, diese beiden sind früher die eigentlichen Schenketage gewesen. Erst in den letzten Jahrhunderten hat sich, wie es scheint zuerst in protestantischen Landen, die Sitte der Weihnachtsgeschenke entwickelt. Alter germanischer Brauch, christliche Anschauung und neu entstandene Sitte haben sich auf das Weihnachtsfest zusammengedrängt. Reste heidnischer Umzüge haben sich erhalten, obwohl sie schon seit dem frühen Mittelalter durch geistliche und weltliche Obrigkeiten immer wieder unterdrückt sind. Dahin gehört der in Niederdeutschland wiederholt begegnende Schimmelreiter, oder der pommersche Klapperbock, der die Kinder beten läßt, die faulen bestraft und bedroht, die fleißigen aber mit Lob und Geschenken belohnt.

Wenn die Weihnachtszeit zugleich die Zeit des guten Lebens ist, so daß in Niederdeutschland der heilige Abend noch heute vielfach in scherzhafter weise als »Vullbuuksabend« bezeichnet wird, so knüpft auch das wahrscheinlich an uralte Sitte einer Art Erntedankfestes an. Verhältnismäßig jung ist dagegen der Weihnachtsbaum. Er ist erst seit dem Anfänge des 17. Jahrhunderts bezeugt, und zur allgemeinen deutschen Sitte ist sein Gebrauch erst im Laufe des 19. Jahrhunderts geworden. Sein Vorgänger in Niederdeutschland ist die Weihnachtspyramide, ein mit Tannenzweigen umwundenes Holzgestell, mit Backwerk behängt und mit Lichtern besteckt. In Hamburgischen Familien ist sie neben dem Tannenbaum noch heute gelegentlich in Gebrauch.

Mit all seinen freundlichen Sitten bildet das Weihnachtsfest für das deutsche Gemüt den Höhepunkt des festlichen Jahres. Sein Glanz erfüllt die Seelen von Kindern und Erwachsenen. Es ist der schönste Ausdruck des deutschen Familienlebens geworden. In Liedern und Reimen wird das Weihnachtsfest besungen, und wir sehen seine ganze Festesfreude widerstrahlen, wenn z. B. in den Hamburgischen Dörfern die Kinder singen

»To Wiehnachtenobend, Denn geiht dat von boben;
Denn kümmt dat Kind Jees Un bringt uns veel Nees.
Denn klingt de Klocken, Venn speelt de Poppen,
Denn piept de Muus In Großvaders Huus.«

In der Zeit zwischen Weihnachten und den heiligen drei Königen, in den »zwölf Nächten«, ruht die Arbeit möglichst. In Mecklenburg nimmt man dafür die zwölf ersten Tage des neuen Jahres. Wer in dieser Zeit mehr als das unbedingt Nötige tut, den straft der wilde Jäger. Der Spinnrocken muß jetzt ruhen, sonst zersausen ihn Frau Holle oder der Wode, die obendrein noch Spinnerin und Spinnrocken mit Pferdemist verunreinigen.

Von den Orakeln der Neujahrsnacht ist schon mehrfach die Rede gewesen. Das vielfach übliche Neujahrschießen gilt offenbar dem Vertreiben der bösen Geister. Besondere Festgebäcke werden hergestellt. Auf Rügen sagt man, daß man zu Sylvester die Hände in Mehl haben müsse, sonst essen die Zwerge im nächsten Jahre mit. Der »Klöben«, das auf Neujahr gebackene Weizenmehlbrot, hat seinen Namen von dem Einschnitt, der oben in den geformten Teig gemacht wird, denn »klöben« heißt soviel wie spalten, zerteilen.

Am Dreikönigsabend (6. Januar) zogen früher drei Knaben mit dem Stern, als heilige Drei Könige verkleidet, Gaben heischend von Haus zu Haus. Dabei sangen sie ihre Sternsingerlieder, die in den einzelnen Landschaften verschieden waren, heute aber meist schon vergessen sind. In der Gegend von Hamburg lautete ein solches Lied:

»Hier treten wir her ohn allen Spott,
Einen schönen guten Abend den gebe Sie Gott,
Einen schönen guten Abend und ein fröhlich Neujahr,
Auf daß Sie kein Unglück widerfahr.
Wir zogen wohl durch Herod sein Land,
Herod der war uns sehr unbekannt.
Herod der sprach durch seinen Schatz Mißverstanden, wohl an Stelle eines älteren »Tratz«, also: in seinem Trotz!
»Warum ist denn dieser kleine König so schwarz?«
Er ist nicht so schwarz und unbekannt,
Das ist der schwarze König aus Mohrenland,
Aus Mohrenland, aus Davids Stadt,
Wo Christus der Heiland geboren ward.
Der Stern stand stille über das Haus,
Alles Unglück das fahre zum Giebel hinaus,
Und ist denn kein Giebel auf dieses Haus,
So fahr es zu Türen und Fenster hinaus!

(Jetzt steht der Stern still)

Ach Stern, du mußt ja nicht stille stehn,
Du mußt ja heut Abend nach Bethlehem gehn.
Ach Bethlehem, die schöne Stadt,
Wo Marie mit ihrem kleinen Kinde lag!

(Jetzt sammeln sie ein)

Wir heiligen drei Könige wir tragen die Kron,
Wir meinen, wir wollen das Beste tun.
Wir wünschen dem Herrn einen vergüldeten Tisch,
Auf alle vier Ecken ein gebratenen Fisch.
Wir wünschen die Madam eine vergüldete Kron,
Auf lustiges Neujahr einen jungen Sohn.
Wir wünschen die Junggesellen ein fröhlich Neujahr,
Ein hübsch junges Mädchen von l8 Jahr,
wir wünschen die Jungfern ein fröhlich Neujahr,
Einen hübschen Kavalier mit schwarzbraunem Haar.
Wir wünschen die Köchin wohl hübsch und schier,
Daß sie uns bringen den Braten herfür.
Sie haben uns eine Verehrung gegeben.
Der liebe Gott lasse in Freude Sie leben,
In Freude leben immerdar,
Das wünschen wir alle zum neuen Jahr!« –

Von der Feier der Fastnacht, der wir uns jetzt zuwenden, ist in dem protestantischen Niederdeutschland im allgemeinen nicht viel übrig geblieben. Reste davon sind aber im 19. Jahrhundert noch ganz lebendig gewesen. Die Fastnachtsfestlichkeiten dauerten meist drei Tage. Am dritten Tage wurde ein Strohmann, »de Fastâbend«, unter lautem Jubel vor dem Dorfe verbrannt oder begraben, wobei auch wohl in das Grab geschossen wurde. Das Sprüchwort: »De eine Weke hâlt se den Fastlâmd, de andere begrâwet se 'ne« findet in jener Sitte seine Erklärung. Zu Fastnacht schlug man sich mit dem »Vûebusch«, einem Wacholderbusch oder, wenn dieser nicht zu haben war, mit Zweigen der Stechpalme oder der Fichte oder auch mit Heuhecheln. Besonders wurde das »Vûen« von den Knechten, Mägden und Kindern ausgeübt, und wenn die Geschlagenen aus höheren Ständen waren, mußten sie sich auch wohl durch ein kleines Geschenk loskaufen. Diese ganze Sitte geht auf einen alten Fruchtbarkeitszauber zurück.

Wie am Hochzeitsabend, so wurden auch am Fastnachtsabend bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts Nachbarn und Bekannten Scherben vor die Tür geworfen. Da wurden und werden heute noch an vielen Orten besondere Weizenbrötchen, die Heißwecken, »Heideweken«, gebacken. Zu Fastnacht wie an den heiligen drei Königen zogen die Kinder, Gaben sammelnd, von Haus zu Haus. Jedes Kind hatte dabei einen sogenannten »Rummelpott«, einen irdenen Topf, über dessen Öffnung eine Schweinsblase gebunden war. In der Mitte der Blase war ein Rohr befestigt, und durch das Drehen des Rohres und durch Auf- und Niederziehen der Blase wurde ein dumpfer Ton, ein »Rummeln« hervorgebracht. Dazu gab es besondere »Rummelpottlieder«. So sang man unter anderen in Hamburg:

»Rummel, rummel reuten,
Geeft mi wat in't Peuten,
Loat mi nich to lange stahn,
Denn ick mott noch wiedergahn.«

Neben diesem kurzen Liede gibt es noch eine ganze Reihe erheblich längerer, in die das vorstehende zum Teil wieder eingefügt ist. Ein etwaiges Durchschnittsmaß zeigt ein Lied aus Glückstadt in Holstein:

»Ohl Vader Bargmann
Het en roden Rock an.
All wat he verdenen kann,
Steckt he in den Strohsack rin.
Appel und Birnen smeckt ook goot.
Do gung he en lütt Stück wieder
Un hen na den Snider,
Hau de Katt den Swanz aff,
Hau em nich so kort aff,
Lat en lütten Stummel dran,
Dat he wedder wassen kann!«

Wir haben hier zugleich ein sehr bezeichnendes Beispiel dafür, wie diese Lieder zersungen und in den Übergangsgedanken, gelegentlich sogar bis zur Reimlosigkeit, verkürzt werden. Waren auf diese Sammellieder die gewünschten Gaben erfolgt, so bedankten sich die Kinder mit einem Lobspruch, bekamen sie nichts, so zogen sie mit einem Spottrufe wie »Stripp, strapp, strull, Dat ohle Wief is dull!« von dannen.

Wie man auch in Niederdeutschland vor der Reformation die Fastenzeiten innegehalten hat, dafür gibt Thom. Kantzow folgenden Bericht: »So nur ein geringe Fest gewest, so haben sie es fest gefastet, auch die Kinder zu Fasten gewehnet und sie mit Schrecken darzu gereizet. Dann auf die heilige Nacht haben die Kinder müssen ihre Schuch etwar an einen Ort setzen. So legten dann die Eltern Geld, Apfel, Birn, Nüsse oder sunst wes darin. Des Morgens, wann die Kinder aufstunden und das selbig funden, sagten die Eltern, der Heilige, des Abend sie gefastet, hätte es gegeben; bisweilen legten sie ihnen nichts in die Schuch und sagten, sie hätten nicht recht gefastet. Von deswegen wurden dann die Kinder traurig und beflissen sich darnach mehr zu fasten.«

Von den alten Festgebräuchen der Osterzeit hat der Protestantismus manches verdrängt. Der Umzug des Palmesels am Palmsonntag findet zum Beispiel wohl nirgends mehr statt. Nur in Kirchen und Museen halten die alten Figuren des eselreitenden Christus die Erinnerung daran fest. Außerdem hat der protestantische Norden allerlei Bräuche – wie auf das früher schon besprochene Weihnachtsfest – so nun auch auf das Osterfest zusammengelegt. Dieses ist zum Träger von ehemals verschieden gelagerten Fastnachts- und Frühlingsgebräuchen geworden.

Am Gründonnerstag ißt man »Grünes«, junges Gemüse. Früher mußte es die »Sêbensterke« sein, ein aus sieben wild wachsenden Pflanzen, Braunem Kohl, Spinat, Tauber Nessel, Geschel, Hopfen, Kümmel und Scharbock zusammengekochtes Gemüse, oder die aus Tauber Nessel, Spinat, Körbel, Pimpinelle, Geschel, Sauerampfer, Braunem Kohl, Kuhblume und Porree zusammengesetzte »Nêgensterke«. Eine deutliche Frühlingssitte, ein Fruchtbarkeitszeichen, sind auch die Ostereier, die die Kinder sich bei den Paten oder bei sonstigen Freunden und Nachbarn einsammelten, zum Teil unter Absingen von Sammelliedern, wie z. B. im Amt Ritzebüttel:

»Gon Dag, gon Dag, gon Didellumdei,
Hebbt se nich en lütt Osterei?
Lot mi nich mehr to lang stohn,
Denn ick müch noch en lütt Hus wieder gohn!«

Auch das Osterfest wird als eins der hohen Feste vor allem mit gutem Essen und Trinken gefeiert, und auch davon haben die Kinder im Amte Ritzebüttel ein eigenes kleines Freudenlied:

»Wenn't Ostern is, wenn't Ostern is,
Denn slacht min Voller den Buck,
Denn danzt min Moler, denn danzt min Moler,
Denn kriegt wie frische Supp!«

Ganz verloren sind in Niederdeutschland die bis in das 16. Jahrhundert auch hier um die Osterzeit üblichen Passionsspiele. Über ein solches pommersches Spiel gibt der Verfasser der Pommerania einen merkwürdigen Bericht: »Umb des alten Sprüchworts willen, das man saget vom Spiel zu Banen, welches alle man nicht versteht, muß ich ihrer gedenken. Do diese Stadt in guten Flor gewest, da hat man alle Jahr die Paszion daselbst gespielet, und ist derohalben viel Volks, fremd und inländisch, dahin kommen. Wie man es aber einmal spielen wollen, begab sichs, daß derjenige, der Jesus sein sollte, und der, so Longinus sollte sein, Totfeinde wären. Und wie Longinus Jesum sollte mit dem Speer auf die Blase vul Bluts, so nach Art des Spiels bei ihme zugerichtet was, sollte stechen, stach er Jesum das Speer durchweg ins Herze hinein, daß er von Stund an tot pleib, und herab stürzet, und Marien, die unter dem Kreutz stund, fort auch tot fiel; das denn Johannes, der Jesu und Marien Freund was, sähe und von Stund an Longinum wieder erwürgte. Und do man Johannem wollte ergreifen, entfloch er und sprang von einer Mauer, und fiel einen Schenkel entzwey, da man ihne denn erhaschete und als Mörder aufs Rad stieß. Und nach dem Tage wurt keine Paszion mehr zu Banen gespielet. Darumb wenn man von einem fröhlichen Dinge, das ein jämmerlich Ende hat, will sagen, spricht man: es gehet zu wie das Spiel zu Banen.«

In dem größten Teile Niederdeutschlands werden auch heute noch zu Ostern die Frühjahrsfeuer angebrannt. Ihre Asche wird auf die Felder gestreut, denen sie Fruchtbarkeit verleiht. In das Viehfutter gemischt gilt sie für heilsam. Ein angebranntes Stück Holz vom Osterfeuer nimmt der Bauer als Schutz gegen das Einschlagen des Blitzes mit nach Hause, vielfach ist auch mit diesen Feuern eine symbolische Darstellung der Vernichtung des Winters verbunden, wie wir sie ähnlich schon bei den Fastnachtsitten kennen gelernt haben. Allerhand Frühlingsfeiern, die in alter Zeit in dem Nerthuskult ihren Mittelpunkt hatten, haben sich auch sonst vielfach erhalten. Einiges davon ist aus Fastnacht, manches auf Ostern und manches aus Pfingsten verlegt.

Eine ausgesprochene Frühlingssitte ist das Pflanzen der Maibäume, die den Mädchen, die ihren Ruf makellos erhalten haben, nachts vor die Tür gesetzt werden, und mit denen die Burschen vor allem ihre Liebste zu erfreuen pflegten. Früher waren die Bäume noch besonders geschmückt, wie J. H. Voß in dem um 1794 entstandenen Gedicht »Die Näherin« das Mädchen erzählen läßt:

»Am Morgen sah ich prangen
Den Maienstrauch,
Mit Blumen rund behangen,
Mit Bändern auch!«

Ursprünglich auf den 1. Mai, später auf den pfingsttag fiel in den Dörfern das Fest der in der Knabenschaft vereinigten jungen Burschen, an dem der Maikönig gewählt wurde. Auch in die niederdeutschen Städte ist dieses Fest weithin eingedrungen und hat hier Jahrhunderte lang eines der meist gefeierten Jahresfeste gebildet. Dann zogen die Gilden hinaus ins Freie und wählten dort den Maigrafen, den sie festlich geschmückt in die Stadt einführten. Mit Schmaus und Trank, mit Schützenschießen und allerhand Lustbarkeiten ward dann das Maigrafenfest begangen, das später wegen mancher damit verbundener Ausschweifungen obrigkeitlich unterdrückt wurde und nur zum Teil in den heutigen Schützenfesten noch einen gewissen Nachklang gefunden hat.

Ist die Wahl des Maikönigs nur eine Angelegenheit der Burschen, so wird sie dann durch das sogenannte Mailehen auch auf die Mädchenschaft mit ausgedehnt. Der Maikönig selbst wählt sich aus der Schaar der Mädchen die Maikönigin, die gleich ihm die Würde bis zum nächsten Maifest bekleidet. Die übrigen Mädchen werden in einer besonderen Wahlsitzung an die einzelnen Burschen vergeben, und die so zusammengekommenen Paare gehören nun für das nächste Jahr zusammen.

Auch bei diesen Festlichkeiten ist wie bei allen von den Burschenschaften und Mädchenschaften veranstalteten Unternehmungen bezeichnend, daß zur Teilnahme nur makellose Burschen und Mädchen zugelassen wurden. Als Nachklang des Maikönigfestes ist wohl das bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts üblich gebliebene »Knechtebêr« anzusehen, das von den Burschen eines Dorfes auf eigene Kosten veranstaltet oder auch mit Tanz und Schmaus den Knechten und Mägden eines Gutes von der Gutsherrschaft gegeben und dann gewöhnlich auf die Zeit nach der Ernte verlegt wurde.

Zu den Frühlingsbelustigungen gehört in Niederdeutschland das noch heute vielfach geübte und teilweise auf Pfingsten verlegte Ringreiten, das den oberdeutschen bäuerlichen Reiterfesten entspricht, daneben aber eine ganz besondere Gewandtheit erfordert.

Zu Pfingsten ziehen die Knaben im Braunschweigischen und Lüneburgischen mit dem »Fischermeier« oder »Füstjemeier« herum, einem in grüne Zweige ganz eingehüllten Burschen, der eine Blumenkrone auf dem Haupte trägt. Dabei werden wie meist bei diesen Umzügen Gaben eingesammelt.

In Hanstedt bei Jesteburg in der Heide ziehen noch jetzt die Kinder am Pfingstsonntag Gaben heischend durch das Dorf. Jungen und Mädchen – jede für sich – gehen dabei in Gruppen von neun bis zwölf Kindern von Haus zu Haus. Jede Gruppe führt einen kleinen Wagen mit sich, der so mit Birkengrün geschmückt ist, daß der insitzende »Pingstvoß« nur wenig oder überhaupt nicht zu erkennen ist. Mit viel Kraftaufwand wird dabei der nachfolgende Vers abgesungen:

»Pingstvoß,
Haberstroh, Bookweitenstroh!
Bin mit 'n Aors ut de Luk rut schoaten,
hef mi Arm un Bein afbroken.
Eier in 'n Hoot,
Dat let good.
Geld in ne Mütz,
Dat let hübsch.«

Dem angesagten Wunsche entsprechend bekommen die Binder durchweg ein Ei oder Geld, und indem sie den Vers noch einmal absingen, ziehen sie dann vor das nächste Haus. Das währt so fort bis in die Nachmittagsstunden.

Zu Pfingsten wurden im Südhannoverschen auf dem »Pinkestanger«, einem nahe bei dem Dorfe liegenden Anger, auf welchem die Bauernjungen die Pferde hüteten, alle darüber gehenden Fremden mit vorgehaltenen Stricken »gehemmt«. Sie mußten sich den Durchgang mit einer Gabe erkaufen, die von den Burschen dann in Branntwein vertrunken wurde. Am Nachmittage des ersten Pfingsttages nach Beendigung des Gottesdienstes, oder auch am zweiten Pfingsttage vor der Kirche fand das »Ümmeklappen« statt. Dabei gingen vier oder wohl auch sechs junge Burschen miteinander durch das Dorf und klappten mit der Peitsche im Takte vor jeder Tür. Dafür mußte ihnen ein jeder Hausbesitzer eine Gabe an Eiern geben, welche von zwei anderen Burschen, die man z. B. in der Gegend von Einbeck als »Stinkefîst« bezeichnete, mit Tragkörben in Empfang genommen wurden. Als besondere Speise wurde zu Pfingsten allgemein das »Astlâk«, der Aschlauch, gegessen.

Zur Zeit der Sommersonnenwende ist besonders in Niederdeutschland die Sitte der »Notfeuer« lebendig geblieben. Dabei wurde vor Sonnenaufgang von einem Jüngling neues Feuer durch Reibung erzeugt und damit der Holzstoß entflammt, dessen Feuer man für Menschen und Vieh reinigende Kraft gegen Krankheit und Zauberschaden zuschrieb. Durch das Feuer wurden deshalb, nachdem man vorher die zu diesem Zwecke gelöschten Herdfeuer der Wohnstätten neu an ihm entzündet hatte, die Viehherden hindurch getrieben.

Dieses Notfeuer, »dat Nâtfüer« oder »dat wille Füer« genannt, wurde übrigens bei vorkommendem Bedarf auch sonst entzündet. Schambach berichtet im Jahre 1858 darüber folgendermaßen: »War in einem Dorfe unter den Schweinen eine Seuche ausgebrochen, so wurde noch vor wenigen Jahren das Notfeuer entzündet. Zu dem Ende wurde in einem Hohlwege oder in einer von Hecken eingeschlossenen schmalen Gasse ein Haufe von Stroh, zu dem einige Holzstücke hinzugetan waren, angezündet und Getreidekörner in das brennende Stroh hineingeworfen. Das Feuer aber, womit der Haufe Stroh angesteckt wurde, war durch starke Reibung eines Holzes auf der Drechselbank hervorgebracht. Sobald nun das Feuer lustig brannte, wurden die Schweine hindurchgetrieben, nachher mußten sie auch noch die Körner, welche im Feuer gelegen hatten, fressen. Zum Schluß nahm jeder Besitzer von Schweinen einen noch glimmenden Brand mit nach Hause, steckte ihn in die Spülichttonne und löschte ihn darin. Von dem Wasser aus der Spülichttonne mußten dann die Schweine saufen.«

Hat sich nun der Sommer zum Ende geneigt, so fällt in die Herbstzeit als besonderes Fest die Kirchweih, die »Kirmes« oder »Kermisse«. Zusammen mit dem Schützenhof und dem »Knechtebêr« macht sie außer den hohen Festen des Kirchenjahres die bedeutendsten bäuerlichen Volksfeste aus. Sie wird mit Schmaus und Lustbarkeiten aller Art gefeiert. Bei ihr handelt es sich vermutlich um eine alte Herbstfeier, deren sich die Kirche bemächtigt hat. Wie uralter Brauch mutet es auch an, wenn ähnlich, wie wir es schon bei der Fastnacht gesehen haben, die Kirmes am Schluß der Feier in Gestalt eines Pferdekopfes mit allerhand Beigaben begraben wird.

Eine deutliche Herbstfeier ist schließlich noch das Martinsfest, das den Ausgang des Festjahres bildet. Es schließt sich auch im protestantischen Niederdeutschland noch heute an den Tag des heiligen Martin an, und zu Ehren dieses Schutzpatrons der Herden und des Geflügels wird da überall die Martinsgans gegessen. Da ziehen die Kinder, Gaben heischend, von Haus zu Haus und lassen, vielfach in Verkleidungen, ihre Martinslieder erklingen.

So singen sie in der Gegend von Hamburg:

»Matten, Matten, Kögeling
Mit sien vergüldten Flögeling,
Matten woir en gooden Mann,
De ook veel vertellen kann!
Appel un de Beern,
Nött smeckt ook all good,
Smiet se man in 'n Strohhoot!«

Die Hausfrau antwortet darauf:

»Marie, Marie, moak op de Döhr,
Dor sitt'n poar arme Schölers vör,
Giff jüm wat, Lat jüm gähn,
't Himmelrick is oppedoahn
Allen gooden Gästen.
Giff jüm ook von 'n Besten!«

Für die also gespendeten Gaben bedanken sich die Kinder dann mit dem Liede:

»Hier in de Stuuw
Dor sitt 'ne Duuw,
De geew uns wat,
Geef droig, geef natt,
Geef Rieck, geef Arm.
Herr (Name des Hausherrn) nimm de Duww in 'n Arm
Un danz de Dehl wol op un dahl!
Wie dankt em ook veel dusendmoal.«

Erhalten sie aber nichts, so singen sie lachend:

»Matten, Matten, strull,
De olle Kirl (dat olle Wief) is dull!«

Ein zu Martini gesungener Kinderreim aus Peine lautet:

»Marten, Marten, Heeren,
Appel un de Beeren,
Nötte mag ick geern.
Gebet üsch wat,
Latet üsch wat.
Latet üsch nich tau lange stahn,
Wie möt noch 'n Hus bet wieer gähn!«

Wenn die Kinder nichts darauf erhalten, so gibt es zum Lohn dafür auch dort einen Trutzreim:

»Witten Tweern, swatten Tweern,
Dat olle Wief dat gift nich geern!«

*

Wie in einer festgeschmiedeten Kette die Glieder schließen sich im Kreislauf des Jahres die Feste eins an das andere. Jedes von ihnen hat seine besonderen Eigentümlichkeiten. Alle aber führen in Haus und Gemeinde die Festteilnehmer zu gemeinsamer Lust zusammen. Küche und Keller müssen dabei hergeben, was sie zu leisten vermögen. Von den besonderen Gerichten, die an den einzelnen Festen auf den Tisch kommen, war schon wiederholt die Rede. Aber auch darüber hinaus müssen die Feste nach deutscher Art nun einmal mit gutem Essen und Trinken gefeiert werden. Daß es dabei oft gar zu reichlich hergeht und von je hergegangen ist, wissen wir zu genau. An vielen Stellen ist oft genug dagegen gewettert, und so schreibt auch Kantzow nicht ohne Kopfschütteln von den Pommern: »Das Volk aber ist durchaus sehr fressig und zehrisch, und mag ihnen eine leichte Ursach furfallen, das sie große Unkosten tun. Dann wird ein Kind geporn, so haben die Weiber ihren Praß; wirds getauft, so pittet man die Gevattern und nehisten Freund darzu. Gehet die Frau wieder zur Kirchen, tut man gleicher Gestalt. Wann ein Hochzeit wird, da pittet man Freund und Frombd zu, prasset drei, vier, funff und bisweilen mehr Tag aus und aus und schenkt dem Präutigam und Praut nichts; schenket jemand etwas, mag die Freundschaft tun, und das ist etwar ein zinnen Schüssel oder Kanne oder ein Tunne Bier, und wird ofter der ganze Brautschatz verprasset, wann etwas darvon erobert. Stirbt einer, so ist an etlichen Orten gewöhnlich, daß man die jennen, so bei der Begräbnus gewest, zu Gaste lädt und ihnen flucks aufschuppet. Ist der Tote etwas gewest, so läßt man ihme ein Seelbad nachtun, da sich die armen Leute baden und man ihnen Bier und Brot gibt. Darnach bestellt man vor sich und die Freundschaft auch ein Bad, und baden auch und halten einen guten Praß. Item es ist kein hoch Fest im Jahr, als Ostern, Pfingsten, Weihnachten, Fastnacht, man hot in den Städten und Dorfern Bruderschafte und Gilde bei acht und mehr Tagen, welches alles mit Fressen und Saufen ausgerichtet wird. Also es komm einer zur Welt, und wann er in der Welt ist und wieder von der Welt scheidet, so muß geslemmet und gedemmet sein.«

Mehr als zu vieles Essen hat von je her zu vieles Trinken als Erbübel der Deutschen gegolten. In letzter Zeit mag es etwas besser geworden sein, aber Feste feiern, ohne zu trinken, ist dem Deutschen auch heute noch etwas fast undenkbares. Rus früherer Zeit haben wir manche Strafpredigt darüber, aus der wir zugleich die beim Trinken geübten Trinksitten kennen lernen. Auch hier führen wir an, was bezüglich der pommerschen Verhältnisse Thom. Kantzow sagt: »Es ist von je heraus eine schändliche Gewohnheit im Land zu Pommern gewest mit dem Vullentrinken, und je mehr einer des hat pflegen können, je besser er bei den Leuten ist angesehen gewest; daher mannigerlei Art und grobe Pussen des Vullentrinkens seint hergekommen, als: ein Kleeblättlein, das seint drei Gläser, ein iglichs im Trunke; will einer dann ein Stänglin darzu tun, das ist das vierte Glas; item den Fuchs sleffen, das ist, daß man eine große Kanne nimmt und umbher trinket. So muß der Letzt, wann auch weinig daraus getrunken, das ander gar austrinken und dann ein frisch wieder anheben. So krigt dann sein Naehister wieder das Letzte und so fortan die ganze Rege durch, weil sie trinken konnen. Item die Parlenke trinken, das ist einem die große Schale zuzutrinken, und wann's schier aus ist, das Übrige in die Augen und die Schale auf den Kopf geslagen, und darum muß keiner nicht zornen. Item einen zu Wasser reiten, das ist: man setzt einem fern eine Schale mit Trinken, so muß sich derjenig, der trinken soll, auf Hände und Knie niederlegen, und einer, der ihme zugetrunken hat, sitzt ihme aufm Rucken, den muß er tragen und so hinkriechen, bis daß er zur Schale kumpt, und muß so niedergekniet die Schale austrinken und der ander sitzt oben ihme, als der ein Pferd zu Wasser reitet. Item zutrinken Kurlemurlepuff, eine blanke Hase, ein Stänglin und der Unart so viel, daß es Schande ist.«

So sind es besonders die Feste, die unter den Vorräten von Küche und Keller ausräumen. Den Überfluß des Herbstes verzehrt der lange Winter. In diesem Sinne sagt man: »Michelsdag smücket un Petersdag drücket,« das heißt um Michaelis (29. September) hat man Vorräte in Hülle und Fülle, am Peterstag (22. Februar) ist alles aufgezehrt, und bekannt ist auch der Spruch, der der Schwalbe in den Mund gelegt wird: »As ek weggung, as ek weggung, Was düt Fak vul, was dat Fak vul; As ek wêer kam, as ek wêer kam, Was alles verslickert un verslüert.«

Trotz alledem würden wir aber doch von der Art, wie man bei uns Feste feierte und größtenteils noch heute feiert, einen ganz falschen Begriff geben, wenn wir dabei nur von Essen und Trinken sprechen wollten. Gerade die Feste sind es ja, in denen die deutsche Sitte ihre schönsten und reichsten Blüten treibt. Da schieben sich die Bräuche und Vorstellungen in buntem Wechsel durcheinander, und all die einzelnen Lebensformen, die wir in diesem Buche fein säuberlich geschieden und eine gegen die andere abgesondert haben, fügen sich da erst zu den geschlossenen Bildern zusammen, wie sie das Leben selbst aus seiner reichen Fülle täglich in immer neuer Gestalt und mit immer neuem Reiz zu geben pflegt. In diesem buntschimmernden Spiel der durcheinander schwingenden Lebensformen liegt der eigentliche Glanz und die eigentliche Schönheit unserer Feste. Davon muß man vor allen Dingen reden, wenn man von deutschen Festen reden will, und davon hat auch der für sein niederdeutsches Volkstum so feinfühlige Joh. Heinr. Voß gesprochen, wenn er in dem 1789 gedichteten »Allegro« die folgende farben- und gestaltenreiche Schilderung von einem deutschen Volksfeste gibt:

»Oft sammelt auch ein Feiertag
Das ganze Dorf zum Lustgelag,
Wo Wams und Halstuch festlich prunkt,
Und goldgeblümt die Mütze funkt,
Wo weiße Füßchen, blank geschnallt,
Ein schön gesäumter Rock umwallt:
Wann zur Fiedel bald Trompete
Lärmt, bald Dudelsack und Flöte,
Und, wie Bräutigam und Braut,
Bursch und Jungfer sich vertraut
Im gefleckten Schatten schwingen,
Und ein weltlich Stückchen singen,
Und Jung und Alt sich draußen freun
Am Feiertag im Sonnenschein,
Bis hell der Abendstern nun schimmert
Und Tau an jedem Gläschen flimmert.
Dann zechend aus bemaltem Glas
Braun Doppelbier, erzählt man was:
Wie oft ein unterirdscher Zwerg
Ein Kind entführt in seinen Berg,
Den Wechselbalg dann unterschiebt,
Der weder Gott noch Menschen liebt.
Die klagt, wie manche liebe Nacht
Ein schwerer Alp sie stöhnen macht,
Wenn rückwärts nicht gestellet war
Mit Kreuzen ihr Pantoffelpaar.
Der meldet, wie er dort und da
Des Tückebolds Irrlichtchen sah,
Der, als ein Mönch in haarnem Tuch
Am Moor die Blendlaterne trug;
Wie blau ein Schatz am Fuchsberg glomm,
Und schaufelnd rief der Schwarze: Komm!
Dann brüllend mit Gestank verschwand,
Und sein Beschwörer Kohlen fand;
Wie treu der Kobold dient als Sklav,
Der hingesetzt den Milchnapf traf,
Die Stuben fegt, die Schüsseln wäscht,
Und Korn mit dunklem Flegel dröscht,
Was zehn Arbeiter nicht vollendet;
Doch sonst die Leute neckt und schändet,
Mit Klötzen wirft, und schnarcht und knurrt,
Und an der Wanduhr stellt und purrt,
Drauf, wann die Glut in Asche sank,
Die ihm gewärmt den Balg entlang,
Den Mädchen oft die Decke zupft,
Oft kalt und rauch ins Bette schlupft,
Bis Hahngeschrei und Morgenlicht
Durchs Schlüsselloch verscheucht den Wicht.
So geht die graue Mähr herum,
Und näher rückend, lauscht man stumm.
Noch plaudert man und schäkert viel,
Spielt Blindekuh und Pfänderspiel,
Erfreut mit manchem neuen Liedlein
Und Jugendschwank sein junges Mütlein,
Und führt einander heim, und lacht,
Und wünscht sich lachend gute Nacht.«

*

Tage und Wochen, Monate und Jahre gehen so über das einzelne Menschenleben dahin. Es schwindet die Kindheit mit ihren Spielen, die Jugend mit ihrer Lust. Mann und Weib vereint sehen kommende neue Geschlechter heranwachsen. So währet das Leben siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahre, und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen. Das Ende alles Lebens aber ist der Tod.

Man kann nicht eigentlich sagen, daß unser Volk den Tod fürchtet. Wohl haben wir gesehen, daß aus der Vorstellung des Todes dem Volke sein Gespensterglaube erwachsen ist, aber da handelt es sich doch immer nur um die Seelen solcher Verstorbener, die wegen ihres sträflichen Lebenswandels im Tode keine Ruhe finden. Im allgemeinen gilt der Tod als der »Feierabend« des Lebens. In der Natur sieht das Volk alljährlich aufs neue Wachsen, Blühen und Vergehen, und so nimmt es auch im eigenen Leben den Tod als etwas Natürliches und Unausbleibliches mit Ruhe hin.

Wohl möchte gar mancher gern wissen, wie lang ihm das Maß seines Lebens noch zugemessen sei, und wenn im Frühling der Kuckuck ruft, so spricht er: »Kuckuck up der Dannen, Wonnêr mot ek starwen?« und zählt die darauf folgenden Kuckucksrufe und schließt aus ihrer Zahl auf die Zahl der ihm noch beschiedenen Lebensjahre. Ebenso gibt es auch nach dem Volksglauben eine ganze Menge von Vorzeichen, die auf das Nahen des Todes schließen lassen. Von dem Rufe des Käuzchens als Vorzeichen des Todes haben wir schon gesprochen. Wenn man zu dreizehn bei Tische sitzt, wenn die Bäume im Herbst zum zweiten Male blühen, und vieles andere mehr ist dem abergläubischen Gemüt ein Vorzeichen, ein »Dorspauk« des kommenden Todes.

Ist nun der Tod eines Familienmitgliedes wirklich eingetreten, so werden noch heute vielfach die Fenster geöffnet, um der entwichenen Seele den Ausgang ins Freie zu gestatten. Nach der volkstümlichen Anschauung kehren die Seelen der Abgeschiedenen erst noch einmal im Wirtshaus ein, ehe sie ins Jenseits gehen. Die in Niederdeutschland sehr oft vorkommenden Nobiskrüge erinnern an diese Vorstellung. Fast immer sind es Wirtshäuser, die am Ausgange des Ortes liegen, und die in den Städten, wie z. B. in Hamburg, den dabei gelegenen Toren den Namen »Nobistor« verschafft haben.

Wenn die Leiche ein freundliches Gesicht hatte, so glaubte man, daß sie bald ein anderes Mitglied der Familie nach sich ziehen würde. Die Furcht vor dem Nachgezogenwerden ist zum guten Teil auch der Grund dafür, daß man von den Toten nur Gutes sprechen soll. Der Volksglaube sagt, daß der Tote einen Lebenden, weil dieser schlecht von ihm gesprochen oder sich sonstwie an ihm vergangen hat, bei Gott »anebrawwelt«, ihn anzeigt oder anklagt, um seine Bestrafung zu erwirken. Der bald nachher erfolgende Tod eines Angehörigen wird als die von Gott erbetene Strafe und als die Rache des Toten angesehen. Daher wird dem, der sich an einem Toten vergeht, zugerufen: »Nüm dek in Acht, hei könne dek anbrawweln!«

Nach dem Tode eines Angehörigen läßt man die Uhr still Pehen und verhängt den Spiegel, und wenn es der Hausherr selbst gewesen ist, so rüttelt man sein Vieh auf und klopft an die Bienenstöcke, wozu man in Westfalen spricht:

»Imme, Imme, din Heer is dood,
Nu bliw bi mi in mîne Nood!«

In den Vierlanden geschah das Todansagen noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch den Großknecht. Der ritt von Hof zu Hof und verkündete, sein Herr habe »Fierabend maakt«.

Bald nach dem Tode wurde die Leiche eingesargt. Dabei gab in Südhannover der Erbe der zu begrabenden Leiche einen Pfennig mit in den Sarg und sprach dabei die Worte: »Ek gewe dek dat Dînige, blîf mek von den Mînigen!« Grabbeigaben wie Kamm und Schwamm, Nadel und Faden oder bei den Kindern Spielzeug kamen auch sonst gelegentlich vor. Den Männern wurde früher im Sarge eine Zipfelmütze, den Frauen ihre Haube aufgesetzt. Die unverheiratet Gestorbenen, besonders die Mädchen, wurden, wenn sie einen makellosen Lebenswandel geführt hatten, mit dem jungfräulichen Zeichen des Kranzes geschmückt. In den Vierlanden war in diesen Kranz eine Puppe eingebunden, offenbar als symbolischer Ersatz für den Kindersegen, dessen sich die Verstorbenen im Leben nicht hatten erfreuen dürfen.

Die Aufbahrung der Leiche erfolgte auf der Diele, indem der Sarg mit einem großen Laken überdeckt wurde. Freunde und Nachbarn hielten die Totenwache dabei, früher oft nicht ohne große Gelage, die nach unserem heutigen Empfinden allerdings dem Ernst des Augenblicks wenig entsprachen. Das Begräbnis, zu dem der Leichenbitter Nachbarn, Freunde und Bekannte eingeladen, erfolgt am dritten Tage. Auch bei dem Austragen der Leiche zum Grabe gibt es die verschiedensten Gebräuche, der Sarg wird dreimal niedergesetzt, oder er wird um die Kirche getragen, und ähnliches. Nach der Rückkehr vom Kirchhofe begeben sich die Teilnehmer an der Beerdigung in das Wirtshaus, um »das Fell zu versaufen«. Es handelt sich dabei um einen etwas verrohten Rest alter germanischer Sitte, deren eigentlicher Kern in einem Gedächtnistrunk für den Toten besteht. In gleicher Weise sind als Veranstaltungen zum Gedächtnis des Toten auch die im Trauerhause abgehaltenen Leichenschmäuse anzusehen, bei denen meist für den Toten selbst ein leerer Platz gelassen wurde. Auch sie sind vielfach ausgeartet. Früh sind deshalb die Luxusordnungen gegen sie vorgegangen, und schon seit dem 16. Jahrhundert hat man sich vergeblich bemüht, sie ganz zu unterdrücken.

Einige Besonderheiten bei den Begräbnissen sind noch ausdrücklich zu erwähnen. Aus den Kränzen, die den Unverehelichten im Sarge aus das Haupt gelegt wurden, haben sich die Totenkronen entwickelt, die aus Blumen, Flittern und farbigen Schleifen gefertigt den Burschen und Mädchen von ihren Gespielen oder von dem Paten als Zeichen ihrer Jungfräulichkeit auf den Sarg gestiftet und dann entweder auf dem Grabe aufgestellt oder zur Erinnerung in der Kirche ausgehängt wurden. Um den auch hierbei hervorgetretenen übergroßen Aufwand zu unterdrücken, sind an ihre Stelle oder neben sie in späterer Zeit Kronen aus Metall, teilweise sogar aus Silber getreten, die im Besitz der Kirche waren und von dieser jedesmal gegen ein kleines Entgelt für die Jungfernleichen entliehen wurden.

Ganz in der Stille, ohne Geistlichen und ohne Trauergefolge, wurden die Leichen der Selbstmörder beerdigt. Abseits an der Kirchhofsmauer oder in den Städten aus den Armsünderkirchhöfen fanden sie, wer weiß oft nach welcher Lebensqual und Seelennot, ihre Ruhestätte. Unbekannte Leichen, Ertrunkene und ähnliche wurden noch im Anfang des 19. Jahrhunderts vielfach an der Stelle beerdigt, wo man sie aufgefunden hatte. Andererseits wurde für die Ertrunkenen auf See, wenn man ihre Leichen nicht gesunden hatte, dennoch nach einiger Zeit an manchen Orten ein förmliches Leichenbegängnis abgehalten, wie uns das z. B. für Blankenese ausdrücklich bezeugt ist.

Allzu sehr darf der Tote nicht betrauert und beweint werden, weil er sonst keine Ruhe im Grabe findet, oder weil sonst jede um ihn vergossene Träne für ihn zur Qual im Jenseits wird. Das ist eine weitverbreitete Anschauung, die auch in Niederdeutschland durchaus heimisch ist. Aus den Erinnerungen an die in der Dithmarschener Heimat verbrachte Jugendzeit hat Friedr. Hebbel dieser Anschauung in der 1833 entstandenen »Romanze« einen schönen Ausdruck gegeben:

»Mädchen, Mädchen, weine nicht! –
Viele Thränen bleichen deine Wangen –
Deine Schönheit ist dann bald vergangen;
Reizlos und entstellt,
Ein zertretnes Blumenfeld,
Ist dein Angesicht!«
»»Aus meinem Leben
Die Rose ist hin –
Was sollte der Blätter
Betrügliches Grün?««
»Mädchen, Mädchen, weine nicht!
Muß doch in des Heißgeliebten Krone,
Die ihm Gott im Himmel gab zum Lohne,
Jede Thräne dein
Eine scharfe Dorne sein,
Die ihn gräßlich sticht!«
Da hemmte sie eilig
Der Thränen Lauf
Und blickte freundlich
Zum Himmel hinauf.

Auch nach dem Tode noch siegt in wahrhaft rührender Weise die Liebe zu dem Verstorbenen über die Trauer um den Verlust!

Das ist das Schöne an aller volkskundlichen Forschung, daß sie uns erzählt von der gegenseitigen Liebe derer, die unser eigen Fleisch und Blut sind, und daß sie auch für den, der sie mit Kopf und Herzen betreibt, immerdar nichts anderes sein kann als ein Ausfluß der eigenen Liebe zur Heimat. – Wer ein Buch von deutscher Volkskunde schreibt, der schreibt ein Buch der Liebe!


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