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Dritter Abschnitt.
Die Sprache und die volkstümliche Dichtung

Haus und Tracht sind der Spiegel der äußeren Lebensführung eines Volkes. Der Spiegel seines Geistes ist die Sprache. Wie nun das niederdeutsche Volkstum sich durch eine eigenartige Hausform von dem mittel- und oberdeutschen abhebt, wie es eine große und bunte Fülle von Dorftrachten aus eigener Geschichte und aus eigenem Geschmack heraus gestaltet hat, so unterscheidet es sich auch in der Sprache von den übrigen deutschen Volksgenossen.

Die Gruppe der niederdeutschen Mundarten, die wir als »plattdeutsche« zu bezeichnen pflegen, hat sich von den ober- und mitteldeutschen Mundarten, mit denen sie ursprünglich gleichartig war, dadurch getrennt, daß sie sich der sogenannten althochdeutschen Lautverschiebung nicht unterworfen hat. Es handelt sich dabei um Lautveränderungen, die sich um die Mitte des ersten Jahrtausends nach Christi Geburt vollzogen, die im oberdeutschen Sprachgebiet ausgebildet wurden und dann in weiterer Ausstrahlung nach Norden vordrangen und sich so auch die mitteldeutschen Mundarten eroberten.

An der sächsischen Stammesgrenze fand die Ausdehnung der Lautverschiebung ihr Ende, und so verläuft die Sprachgrenze auf den alten linkselbischen Stammesgebieten auch heute noch auf einer scharf gezogenen Linie, die sich mit der sächsischen Stammesgrenze, so wie sie um das Jahr 500 in Gültigkeit war, durchaus deckt. (Vgl. die angehängte Karte.)

Demgemäß verläuft die Südgrenze der niedersächsischen Mundarten auf einer Linie von Siegen über Kassel, Witzenhausen, Nordhausen, von hier über den Harz zur Saalemündung. Im Westen reicht ihr Sprachgebiet bis nahe an den Rhein. Die Grenze verläuft hier von Südosten nach Nordwesten, indem sie in der Gegend von Olpe beginnt und über Barmen, Mülheim, Essen, Wesel, Bocholt, Zütphen verläuft, um an der Zuidersee zu endigen. Westlich dieser Linie herrscht die niederfränkische Mundart, die übrigens ebenfalls einen Teil des niederdeutschen Sprachgebietes bildet.

Auch im ostelbischen Kolonisationsgebiete hat sich entsprechend der Herkunft der Ansiedler eine verhältnismäßig scharfe Sprachgrenze entwickelt. Im östlichen Holstein, in Mecklenburg und Vorpommern herrscht das Plattdeutsche. Die südlich daran angrenzenden Gegenden sind sprachliche Mischgebiete, von denen Pommern und der Netzedistrikt noch überwiegend niedersächsische Spracheigentümlichkeiten zeigen, während im südlichen Teile der Mark Brandenburg, im Oderbruch und an der Weichsel der niederfränkische Sprachcharakter vorherrscht.

In den altsächsischen Kernlanden ist die Mundart nun auch nicht durchweg die gleiche. Sie gliedert sich wieder in mehrere Unterabteilungen. Wenn wir dieselben kurz ins Auge fassen, so erinnern wir uns zunächst, daß die Entstehung aller deutschen Mundarten in erster Linie zurückgeht auf die ursprüngliche Gliederung des deutschen Volkes in Stämme und auf deren Unterscheidung untereinander, auf ihre Abgeschlossenheit gegeneinander. Die innere Teilung der einzelnen Stämme in sich hat dann auch in den mundartlichen Erscheinungen wieder zu weiteren Unterschieden geführt.

Diese allgemeine Regel trifft auch für das Niederdeutsche zu. Wie die Niedersachsen stammesmäßig in Nordalbingier, Westfalen, Engern und Ostfalen zerfielen, so zeigt auch die Mundart die gleiche Vierteilung, und zwar so, daß die westfälische, engrische und ostfälische Mundart noch heute auf den alten Stammesgrenzen zusammenstoßen. Nur das nördliche Gebiet zeigt im Vergleich zu der ehemaligen Stammesgliederung heute eine erhebliche Erweiterung.

Die in den Nordseemarschen sitzenden Friesen hatten noch im 13. Jahrhundert auf dem ganzen Gebiet von der Zuidersee bis zur Weser ihre Sprache in voller Lebenskraft bewahrt. Dann aber beginnt seit dem 14. Jahrhundert das Niedersächsische allmählich als Schriftsprache einzudringen, und es setzt sich im Laufe des folgenden Jahrhunderts durchaus als solche fest. Die eigene Sprache der Friesen blieb daneben natürlich noch für Jahrhunderte als Umgangssprache bestehen. Sie hat in dieser Zeit aber doch an Lebenskraft mehr und mehr verloren, und so ist sie im Laufe des 18. Jahrhunderts in weiten Gebieten, besonders in Ostfriesland und an der Wesermündung zugunsten des Plattdeutschen untergegangen.

Auch in Nordfriesland hat seit dem 17. Jahrhundert das Plattdeutsche gegenüber dem Friesischen dauernd Fortschritte gemacht. Es hat sich im 17. Jahrhundert Eiderstedt, im 18. Jahrhundert Nordstrand und Pelworm erobert und ist seitdem in der Gegend von Husum und auf Föhr weiter vorgedrungen.

So ist dem Friesischen heute in Deutschland nur noch ein sehr kleines Ausdehnungsgebiet übergeblieben: auf Wangeroog, wo es schon stark im Aussterben ist, und im Saterlande, wo es sich noch durchaus lebendig erhalten hat. Daneben ist das Nordfriesische noch in Übung bei den festländischen Nordfriesen zwischen Tondern und Husum und außerdem auf den nordfriesischen Inseln und den Halligen.

So hat das Plattdeutsche auch nach der friesischen Seite hin einen erheblichen Raumgewinn zu verzeichnen, ebenso wie es im Osten die wendische Sprache bezwungen hat, von der in der Altmark noch bis in das 15. Jahrhundert, im hannoverschen Wendlande bei Lüneburg sogar bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts sich lebendig geübte Reste erhalten hatten.

Wenn die plattdeutsche Sprache trotz dieser deutlich bezeugten Kraftentfaltung heute mehr und mehr in die Verteidigungsstellung gedrängt ist, so liegt das vor allen Dingen daran, daß ihre Ausdehnungsgebiete sich dem Eindringen der hochdeutschen Schriftsprache nicht verschlossen haben. Für das Plattdeutsche selbst bedeutete diese Herübernahme an und für sich ein Opfer. Sie hat seine dauernde weitere Einschränkung zur unmittelbaren Folge gehabt. Nicht nur hat das Plattdeutsche seitdem angefangen, rein geographisch betrachtet an den Grenzen seines Gebietes abzubröckeln, sondern seine Lebenskraft ist auch im Inneren seines Geltungsbereiches in dauernd zunehmender Weise durch die Einwirkung des Hochdeutschen geschwächt worden. In den Städten ist die Umgangssprache heute schon fast ganz vom Hochdeutschen beherrscht. Die niederdeutschen Landgebiete aber sind nicht nur bereits ganz zweisprachig, sondern sie werden auch von den Städten noch weiter dauernd zugunsten des Hochdeutschen beeinflußt. So muß mit einem, wenn auch sehr langsamen, so doch unausbleiblichen Absterben des Plattdeutschen im Laufe der kommenden Jahrhunderte gerechnet werden.

Trotz dieses offenbaren und bedauerlichen Verlustes ist aber dennoch die Herübernahme der hochdeutschen Schriftsprache in das niederdeutsche Volkstum im ganzen genommen als ein ganz großer Gewinn im nationalen Sinne einzuschätzen. Das drohende äußere Auseinanderfallen von Niederdeutschland und Oberdeutschland in zwei scharf getrennte Volkstumsgruppen ist dadurch verhindert worden. Die niederdeutschen Gebiete des heutigen Deutschland sind dadurch, daß sie neben der als Umgangssprache gepflegten eigenen plattdeutschen Mundart die Übernahme der einigenden hochdeutschen Schriftsprache vollzogen haben, dem Gesamtbereich des deutschen Volkstums im engeren Sinne erhalten geblieben.

Das Gegenbeispiel dazu sieht man deutlich genug an den im heutigen Belgien und in Holland vereinigten niederfränkischen und niedersächsischen Gebietsteilen. Sie sind vor allem dadurch zu einem eigenen abgetrennten Volkstum zusammengeschmolzen und der großen deutsch-volkstümlichen Einheit verloren gegangen, daß der Besitz einer umfänglichen und in mancher Hinsicht auch bedeutungsvollen Literatur sie gehindert hat, neben der eigenen Mundart noch das Hochdeutsche als Schriftsprache zu übernehmen.

Fassen wir nun das gegenseitige Verhältnis ins Auge, das sich auf Grund der geschilderten Kräfteverteilung zwischen plattdeutscher Umgangssprache und hochdeutscher Schriftsprache entwickelt hat und auch heute noch in Gültigkeit steht, so können wir dabei auf ein älteres Urteil zurückgreifen. Ernst Moritz Arndt sagt darüber in seinem Versuch einer vergleichenden Völkergeschichte das folgende: »Das Hochdeutsche hat den einen mächtigen Vorsprung gewonnen, welcher dem Schwaben, Hessen und Thüringer leicht etwas einbilden kann, daß nämlich seine Mundart in der deutschen Literatur das Übergewicht erlangt hat – das heißt die deutsche Schriftsprache, welche aus allen deutschen Mundarten sammeln und wählen darf und gesammelt und gewählt hat, steht mehr auf der hochdeutschen als auf der niederdeutschen Seite. Das Plattdeutsche und die demselben verwandtesten Mundarten sind seit dem dreizehnten, vierzehnten Jahrhundert man möchte sagen mehr körperlich als geistig fortgepflanzt, sie sind von den besseren deutschen Köpfen nicht bis an die geistigen Spitzen der Literatur fortgeführt und fortgebaut; und auf diese Weise hat das Hochdeutsche als Schriftsprache allerdings die höhere Ehre und eine tiefere geistige Veredelung und Erhebung gewonnen, während das Niederdeutsche gleichsam in den unteren Regionen des Geistes und Lebens so still fortvegetiert hat.«

Allerdings ist ja von verschiedenen Seiten der Versuch gemacht worden, dem Plattdeutschen auch über den engeren Kreis hinaus in dem Gesamtbereich der deutschen Literatur einen Platz zu erringen. Im sprachlichen Sinne am höchsten hat sich dabei wohl Joh. Heinr. Voß seine Ziele gesetzt, der in seinen Idyllen »De Winterawend« und »De Geldhapers« geradezu darauf ausging, eine Art niederdeutsche Kunstsprache auf breiterer als nur landschaftlicher Grundlage zu schaffen. In den Anmerkungen dazu hat er sich selbst über seine Absichten ausgesprochen: »Ich habe versucht, die reiche und wohllautende Sassensprache nach den Regeln, wie sie bis zu unseren Eltervätern vor Gericht, auf der Kanzel und in gebildetem Umgange gehört, und in geistlichen und weltlichen Büchern gelesen ward, richtig und mit Auswahl zu behandeln. Man erwarte also kein verwahrlosetes Plattdeutsch, aus dem niedrigen Leben aufgerafft, noch weniger ein Plattdeutsch der besonderen Mundart in Holstein, in Mecklenburg, in Westfalen, oder wo sonst unsere Sprache zu eigentümlicher Sprechung ausartete. Denn wer würde dem Hochdeutschen verstatten, für Luthers altmeißnische, aber von allen geistvollen Deutschen fortgebildete Sprache, die Mundart des heutigen Meißners, oder eine andere, und diese noch mit den Sprachfehlern der Unwissenheit, zu schreiben? Mein Wunsch war, mit Vermeidung zu alter Worte und Fügungen, einen schüchternen Nachhall der sassischen Buchsprache zu wagen, die von allen Niederdeutschen zum öffentlichen Vortrag gebraucht wurde, und neben der hochdeutschen, als sanftere Schwester, fortzublühen verdient hätte. Gelungen wäre der Versuch, wenn sowohl der Pommer als der Bremer das Vorgelesene bis auf weniges verstände, und auch der Holsteiner sich einbildete, daß man einige Meilen entfernt so spräche.«

Voß hat sein Ziel nicht erreicht, und die Art, wie er eine plattdeutsche Schriftsprache künstlich zu schaffen suchte, hat zur Folge gehabt, daß seine Idyllen auch nicht einmal der engeren mundartlichen Dichtung zugute gekommen sind. Nach dieser Richtung haben der Holsteiner Klaus Groth und der Mecklenburger Fritz Reuter, die sich mit Bewußtsein in den Grenzen ihrer heimischen Mundart hielten, ungleich größere Erfolge erzielt. Sie haben in der Tat für die plattdeutsche Dichtung auch über den engeren Kreis Niederdeutschlands hinaus die gewünschte Teilnahme gefunden.

Aber so große Volkstümlichkeit die Werke von Groth und Reuter auch besitzen, als Ganzes genommen gehören sie doch nicht in den Bereich der volkskundlichen Forschung. Sie sind in ihrem innersten Westen ein Teil der Kunstpoesie, und sie fallen demnach dem Arbeitsgebiet der Literaturgeschichte zu. Volkstümlichkeit im Sinne einer weitreichenden Anteilnahme bedeutet noch nicht die Zugehörigkeit zur volkstümlichen Dichtung. Nach dieser Richtung sind andere Vorbedingungen entscheidend.

Zur volkstümlichen Dichtung können wir vom Standpunkt der Volkskunde nur das rechnen, was der allgemeingültigen Geistesverfassung, nicht des Einzelnen, sondern des ganzen Volkes entspricht, was aus seiner Anschauungsweise, seinem Glauben und seinen Lebensgewohnheiten hervorgegangen, meist aus dem Volke selbst heraus geschaffen und in lebendiger Übung von Mund zu Mund oder geschrieben und gedruckt von Hand zu Hand weitergegeben wird. Volkstümliche Sprache und Ausdrucksweise bilden dabei das äußere Kleid, und es leuchtet ohne weiteres ein, wie eng gerade hier die Wechselwirkungen zwischen Form und Inhalt sein müssen.

Am deutlichsten tritt das in die Erscheinung, wenn man den Stufenbau der Volksdichtung nicht von oben nach unten, von den entwickelten Formen zu den einfachen, sondern in umgekehrter Richtung betrachtet, wenn man von den bildmäßigen Redensarten, den Sprüchwörtern und den Rätseln ausgeht und dann erst die Bewegungs- und Arbeitslieder ins Auge faßt, um schließlich bei den reinen Stimmungsliedern, den Liebes- und den Gesellschaftsliedern und den Balladen zu enden.

Die Grenzen, wo landläufige Rede und Volksdichtung ineinander überfließen, liegen auf dem Gebiet der bildmäßigen Redensarten. Da sieht man, wie durch die Umschreibung das an sich nur Gedankliche zu größerer Anschaulichkeit gebracht wird. Will man z. B. sagen, daß jemand sich in seinen Lebensverhältnissen verschlechtert, so spricht man von »sek von'n Pere up den Esel setten«. »Sek 'ne Raue binnen« sagt man von einem, der sich selbst ein Übel bereitet, und man denkt dabei an das Kind, das gestraft werden soll und sich zu diesem Zwecke selbst die Rute binden muß. Oder endlich, wenn man von einem Manne sagen will, daß er sich nach langem Sträuben doch endlich noch zur Ehe entschlossen hat, so sagt man: »hei het sek det Sel ümme de Hören smiten laten« und man denkt dabei an den Stier, dem das Seil über die Hörner geworfen, und der so eingefangen ist.

Besonders häufig haben diese bildmäßigen Umschreibungen zugleich eine Wendung ins Scherzhafte. Die Spaßigkeit der Stammesveranlagung äußert sich nach dieser Richtung auf Schritt und Tritt. Wenn jemand etwas auf plumpe Weise zu verstehen gibt, so sagen die, die es anhören mit Lächeln: »hörst'ne wol gan? hei het Holschen an.« Mit dem harten Auftreten des Holzschuhes ist hier alles ausgedrückt.

So füllt sich die volkstümliche Redeweise mit bildmäßigen und scherzhaften Anspielungen aller Art. »Da hebbe we de Hilgen Dage und kene Kauken«, da haben wir den Festtag und keinen Kuchen dazu, sagt man, und man meint damit: jetzt wäre es Zeit, dies oder jenes zu gebrauchen, und nun hat man es nicht. Oder wenn man sagen will, daß auch kluge Leute Mißgriffe tun und sich dadurch zu Schaden bringen, so heißt es: »De klauken Hoiner legget ok in de Neteln.« Lediglich ins Spaßige gewandt ist es, wenn man von einem, der sich nur für krank ausgibt, um der Arbeit zu entgehen, sagt: »Hei is sau krank as en Haun, hei mag wat eten un nits daun.« Will man einen aufgeregten Menschen beruhigen, so sagt man in den Vierlanden: »Reg di man nich upp, din Mudder ward ken Soldat mehr.«

Reich ist die Zahl der eigentlichen Sprüchwörter, in denen eine allgemeine Lebenserfahrung in einen kurzen Satz zusammengefaßt wird. »En volle Hof is en guden Lackvagel« sagt man in Holstein und denkt dabei an den »goldenen Hintergrund« eines jungen Mädchens. »Wer lang het, let lang hangen« sagt man, wenn ein reicher Mann etwas draufgehen lassen kann, und man denkt dabei wohl ursprünglich an die langen Haubenbänder der reichen Bäuerinnen. »As de Mann is, wart em de Wust brat« sagt die alte Wahrheit, daß jedermann seines Glückes Schmied ist.

Böse Erfahrungen des Einzelnen sind, auch wenn sie nicht überall verallgemeinert werden können, doch für passenden Gebrauch in das Sprüchwort umgesetzt. So sagt man in Holstein: »Mennig Man lüde singet, wenn man em de Brut bringet. Wußte he, wat man em bröchte, he vel lewer wenen möchte.« Und die vielgeschmähte böse Schwiegermutter muß auch in Niederdeutschland herhalten: »Manns Moder, Düwels Unnerfoder« sagt man in Holstein, und in Westfalen heißt es: »Manns Mo'er is Frauen Düwel, Frauen Mo'er is Mannes Satan.«

Die ganze Fülle des volkstümlichen Sprüchwortschatzes auch nur annähernd anzudeuten, ist hier ganz unmöglich. Haus und Wirtschaft, Leben und Sterben, Geselligkeit und Verkehr, Arbeit und Ruhe, Gott und Welt, kurz der ganze Umkreis der äußeren und inneren Lebensbeziehungen des Einzelnen und der Gesamtheit werden vom Sprüchwort betroffen, und wenn irgendwo so kommt hier die volkstümliche Lebensanschauung und Denkweise am deutlichsten zum Ausdruck.

Eine besondere Art der Verwendung des Sprüchworts ist nun vor allen Dingen dem Niederdeutschen eigen und für seine Art bezeichnend. Ein Beispiel möge das zeigen: »Wat'n Hoaken war'n sall, bögt sik bi Tiden« sagt man, wie auch sonst vielerorts, in Mecklenburg. Dann aber fügt man noch eine drollige Nutzanwendung auf einen Einzelfall hinzu. Die ernste welterfahrene Gelassenheit des Sprichworts wird ins Lächerliche gedreht, und so heißt es nun: »Wat'n Hoaken war'n sall, bögt sik bi Tiden, säd den Spitzbowen sin Jung, dor stohl he sinen Vader de Büx von'n Liw.«

Diese sogenannten Beispielssprüchworte sind in allen niederdeutschen Gauen ungeheuer zahlreich, und es offenbart sich in ihnen eine Art des Humors, die dem Oberdeutschen fremd und in ihrem innersten Wesen unverständlich ist. Nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Tiere werden die Sprüchworte in dieser Weise angewandt, und so erhält in diesem letzteren Falle das Komische noch einen besonderen Beigeschmack. Ein paar weitere Beispiele mögen das belegen: »Alls mit Maten, sae de Snider, do slooch he sin Fro mitte Ael,« oder »Alls mit Maten, sae de Bur, do sopp he en Kann Branntwien ut.« »Dat kost nix, sae de Bur, do prügelt he sin Jung.« »Wi kunn as Bröders tohopen leben, sae de Jung to sin Vader, wenn du blot dat verdammte Sla'en nalaten wullst.« »Junge, de Welt is lustig, sae de ole Fro, do weer ehr dat Kind ut de Weeg hüppt.« »Dat mußt gewohnt warn, sae de Bäcker, do wischt he mit de Katt de Backaben ut.« »Dat wöllt wi wull kriegen, sae de Avkat, do meent he dat Geld.« »Wat wi nüdlich sünd, wenn wi jung sünd, sae de Jung, do foder he de Farken.« »Wat sünd ji vör Minschen, sae Westphal to sien Swien, as se den Kaben umstött harrn.« »Verfeer di nich, sä de Voß, do sprung he op'n Hahn.« »Nimm't nich öwel, sä de Voß, do harr he en Goos bi'n Wickel.« »Nich mientwegen, sä de Wulf, awer so'n Schaap smeckt doch gut.« »Dat is'n swar Stück, sä de Mulwarp, do sull he Waterpedden lehrn.«

Ebenso wie diese meist durchaus harmlosen Scherze steckt dem Niederdeutschen auch von Alters her – und zwar sehr viel mehr als dem Oberdeutschen – das Raten von Rätseln im Blut. Das eigentliche Rätsel gibt einfach eine Beschreibung der betreffenden Sache, die geraten werden soll. Sehr oft ist diese Beschreibung allerdings so allgemein und unbestimmt gehalten, daß ein Erraten kaum möglich ist. Aber das ist gerade die Absicht dabei. Der das Rätsel aufgibt, will gerade sein harmloses Vergnügen daran haben, wie die Ratenden sich quälen und schließlich doch meist nicht das Richtige treffen. Äußerlich sehr bezeichnend für das niederdeutsche Rätsel ist, wie das gesuchte Wort oft durch ein tonmalendes Reimwort wie »Hölderdebölder«, »Klengerdeklus«, »Hebbelken tebbelken«, »Drubbelkendrei« und ähnlich umschrieben wird.

Auch hier mögen ein paar Beispiele zur Erläuterung dienen. Das Rätselwort »Nase« wird in folgender Weise umschrieben: »Ick heww 'ne Brill un kann nich seihn, Ick heww en Bein un kann nich stahn, Ick heww en Rüggen un kann nich liggen.« Von dem »Stiefel« heißt es: »Dat is bald kort, bald lang, un is doch ümmer man en Faut lang,« während der »Holzschuh« von sich sagen läßt: »Hauler di Bauler, Löpt öwer den Auler, Het dat Muel vull Minschenfleesch.« Zu der Auflösung »Schatten« führt das Rätsel »A – a – a –, Wer löpt mi ümmer nah? 'T is en lütten swarten Mann, De nich lesen un beden kann.« Der »Sarg« wird schon etwas umfänglicher behandelt: »Dei dat makt, dei will dat nich; Dei dat dregt, behölt dat nich; Dei dat köfft, dei brukt dat nich; Dei dat brukt, dei weit dat nich.« Dagegen dürfte die Schilderung der »Windmühle« kaum ausreichend sein: »Veer lüttje Deerns löppt achter'nanner her, Hebbt all en witten Plaaten vör, un kriegt seck nich to faaten.«

Andere Rätsel führen in das Reich der Naturerscheinungen, und sie geben damit zugleich in gewissem Sinne einen Beitrag zur Geschichte der volkstümlichen Naturbeobachtung. Zu der Auflösung »Wind« führt die Aufgabe: »Dor kümmt wat in de Welt tau bullern, Hett nich Knaken odder Schullern, Hett nich Hut noch Hor Un brüllt doch as en Bor.« Ein anderes spricht vom »Schnee« mit den Worten: »Klengerdeklus Lag ochter dem Hus, Wi de Sonn' mi 'er scheen, Wi Klengerdeklus mi 'er green.« Der »Storch« wird beschrieben: »Policker, polacker Güng öwer den Acker, Half witt, half swart, het rode Been, So'n Ding heff'k min Lewdag nich sehn,« und von der »Gans« heißt es nur kurz: »Witschel Watschel geit oewer de Brücken, Hett den König sin Bett up'n Rücken.«

Schließlich mögen die Rätsel, die sich mit den Pflanzen beschäftigen, hier noch durch zwei Beispiele vertreten sein. Den »Flachs« behandelt die Aufgabe: »Als ick wer jung un schön, Dräug ick 'ne blage Krön', Als ick wer alt un stief, Bün'n se mi 'n Bant ümt Lief, Se kloppen mi, se sleugen mi, Herrn und Fürsten dreugen mi.« Eine besonders gute Beobachtung bezeugt das Rätsel vom »Grünkohl«, der bei zunehmend kaltem Winde immer krauser wird: »Krickel, Krackel, Kruse! Hinder usen Huse, Steit 'n Krickel – Krackel – Kruse. Je mehr dat de Wind weiht, Je mehr seck use Krickel – Krackel – Kruse dreiht.«

Manchesmal kommen auch Rätsel vor, bei denen es sich nicht nur um ein, sondern gleich um zwei Rätselworte handelt. Eine richtige Lösung ist dabei meist kaum möglich, wie man zum Beispiel an dem aus der Gegend von Hamburg stammenden Rätsel vom Frosch und vom Maulwurf erkennen wird: »Hüppop un Wüppop Lopt all beid en Stück op. Acht Been un een Steert, Raat mol, wat is dat förn Deert?«

Neben den eigentlichen Rätseln sind in gleichem Maße auch die Rätselfragen beliebt, die mit dem Fragewort wer, was, warum usw. anfangen. Meist sind es Scherzfragen wie z. B.: »Wer hett de sworste Kopparbeit?« Antwort: Der Ochse!

Neben dieser Freude am Spaßigen tritt gerade auf dem Gebiet der volkstümlichen Redensarten, der Scherzfragen und Rätsel oft auch eine starke Derbheit zutage, wie sie jedem in gesunder Natürlichkeit wurzelnden Volkstum zu eigen ist. Die Fassung der Rätselfragen ist sehr oft in beabsichtigter derber Zweideutigkeit gehalten. Die Auflösung ist dabei aber eigentlich immer harmlos, der Witz liegt in der Art, mit der die Möglichkeit der Auflösung nach zwei Seiten herausgearbeitet wird, allerdings so, daß die derbe Seite dem Ratenden zuerst aufleuchten muß und ihn zum Vergnügen des Rätselstellers in Verlegenheit bringt. Die eindeutige Zote ist verhältnismäßig selten.

Alle diese Dinge muß man nehmen wie sie sind, und man soll sie nicht zu hart beurteilen. Sie gehören zu einem gesunden Volkstum nun einmal dazu, und sie erscheinen ihm, das der Natur und allem natürlichen Wesen so nahe steht, meist in einem recht harmlosen Lichte. Im übrigen kann man hier getrost mit Jakob Grimm sagen: »Wer an nackten Bildsäulen ein Ärgernis nimmt, oder an den nichts auslassenden Wachspräparaten der Anatomie, gehe auch in diesem Saal den mißfälligen Wörtern vorüber.«

Wenn uns nun unter den Rätseln schon wiederholt solche in gebundener, teilweise in gereimter Form begegnet sind, so ist von da aus nur noch ein Schritt zu einer großen Reihe anderer Reime, wie sie im geselligen Leben, besonders beim Spiele der Kinder verwandt werden. Ich rede hier zunächst noch nicht von den gesungenen Liedern, sondern nur von gesprochenen, gelegentlich auch mehr gerufenen Reimen, denen keinerlei musikalische Bedeutung zukommt.

Dahin gehören z. B. die Abzählreime, mit denen die Kinder beim Spielen, unter besonderem Absetzen der einzelnen Silben oder Worte, so lange herumzählen, bis einer nach dem anderen ausgeschieden ist und der letzte das Spiel beginnen muß. So heißt es z. B. in Hamburg: »Ele, mele, Zuckerseele, Königskind, golden Ring, Du sast lehren, Bookstaberen. Adel, madel, piff, paff, Du bist heraf« oder in einer anderen Form: »Ele, mele, menk, Ticke, tacke, tenk, Udel, dudel, droß, Veer, fief, soß, Up de Ladder, up de Lien, Du sast Peter Brummer sien!« Die tonmalenden Worte, die sich auch hier in großer Menge finden, haben wir schon bei den Rätseln ähnlich kennen gelernt. Von der durch immer wiederholtes gedankenloses Sprechen herbeigeführten Zersetzung eines ehemals wohl vorhandenen Sinnes dieser Abzählreime werden wir bei späterer Gelegenheit noch sprechen.

Ihrem Sinne nach sehr viel reiner geblieben sind die kleinen Scherzerzählungen, die sich in die Form der Predigt kleiden und unter dem Namen der Kinderpredigt weit verbreitet sind. Auch sie sind immer gereimt. Als Beispiel führe ich das folgende an:

»Da wer en Mal en Mann:
Nu fangt mien Vertelling an.
De Mann de harr en Koh:
Nu hör man flietig to!
De Koh de kreeg en Kalf:
Nu is mien Vertelling half.
Dat Kalf dat kreeg en witte Schnut:
Nu is mien Vertelling rein ut.«

Diese Kinderpredigten sind, wie man sieht, durchaus spaßig gedacht. Noch schärfer nach dieser Richtung ausgeprägt und lediglich zur Befriedigung der Necklust entstanden, sind die Hänselreime, deren es eine große Menge gibt. Sie richten sich entweder gegen einzelne Personen, oder gegen die Vertreter einzelner Stände oder gegen die Mitglieder anderer Gemeinden, gelegentlich auch anderer Stämme und anderer Nationen.

Die Spottreime gegen einzelne Personen knüpfen meist an den Namen an: »Jehann, spann an! Dree Katten voran, dree Müse vorop, na'n Blocksberg rop!« – »Marieken, Maraken, springt öwer den Staken, Mit söben Soldaten, Kannt Lachen nich laten.« – »Fritze, Fratze, Friederich De sloch sin Fro so liederlich, Mit den Remen op dat Lief, O wat hul dat böse Wief!« Besonders kurz und neckisch ist der Vers: »Fritz – kêk dör de Ritz, De Buer, de mên, dat blitz!«

Wie diese Namenreime zum Ärger des Namenträgers nachgerufen werden, so auch die Spottreime auf die Mitglieder der einzelnen Stände: »Schosteinfeger, Swatten Neger, Sitt up Dack, Flick sin Jack, Hätt keen Nodel un keen Twern, Hätt keen lütt söte Deern.« Vom Schlachter heißt es: »Links, rechts, Stewelknecht, De Schlachter gift sien Dochter weg, Mit de Leber, mit de Lunge, Mit de poln'sche Ossentunge!« Weit verbreitet ist ein Spottlied auf die Schuster, dessen Fassung z. B. in Schönebeck lautet:

»En Mondach iß 'n Sonndach sien Bruder,
Dienstach liet 'n in't Luder,
Middewochen geht he noa Ledder,
Dunderschtach kimmt he wedder,
Friedach schnitt he tau,
Sunnoab'nt moakt he de Schau.«

Selbst vor Küster und Pastor machen diese Verse nicht halt. So sagt man in den Vierlanden: »A–B–Bock! De Köster nimmt'n Sluck. De Pastor nimmt twee. Dat makt tosammen dree!«

Von den Gegensätzlichkeiten zwischen den einzelnen Gemeinden wurde früher schon gesprochen, ebenso von den zahlreichen Spottreimen, mit denen sie sich gegenseitig bedenken. Als Beispiel dafür geben wir einen Reim aus Wulfen bei Burg auf Fehmarn: »Weißt Du auch, wo Wulfen liegt? Wulfen liegt am Sunde. Hübsche Mädchen gibts da nicht, Kerle wie die Hunde!« Eine ganze Dörferschau über die Ortschaften des Hamburgischen Amtes Ritzebüttel gibt der Spruch: »Olnwohl is de Kron, Holt un Spangen willt noch wull don, Solnborg is unveracht, Stiekenbüttel is de Tebenjagd, Dös is de Windmöhl, Newark is de Woterpool, Dunen is de Sandstohl!«

Daß man bei diesen Reimen selbst über den engeren Kreis der einzelnen Ortschaften hinausgeht, zeigt ein Spruch, der offenbar zum Spott gegen die Dänen in Lunden umgeht:

»Hannemann keem vun Jütland an,
Hannemann harr man Holtschoh an,
Hannemann mutt sick Steweln kopen,
Denn kann Hannemann beter lopen!«

Alle diese Reime werden, wie gesagt, nur gesprochen oder gerufen. Sie sind keine Lieder. Zum Liede wird ein Spruch oder Reim erst, wenn er gesungen wird. Wortlaut und Melodie zusammen machen das Lied aus. Nun gibt es allerdings bis zum Auftreten der vollen Melodie gewisse Übergangsformen. Wir haben schon bei den Abzählreimen gesehen, daß sie unter gleichmäßigem Absetzen gesprochen werden. Die Worte werden in einem gewissen Takt gesprochen. So gibt es auch unter den Liedern noch eine Reihe verschiedener Arten, bei denen der Takt, der Rhythmus ursprünglich das Entscheidende, das Formbildende gewesen ist. Die Melodie hat sich bei ihnen später meist dazu entwickelt, aber sie ist durchaus nicht immer vorhanden, sie ist nur der musikalische Schmuck, auf den Takt allein kommt es an. Der Takt folgt dabei gewissen Körperbewegungen der Sänger. Er gibt ihnen Regel und Gleichmaß.

Wir können demgemäß die Lieder, die hier in Betracht kommen, als Bewegungslieder bezeichnen. Zu ihnen gehören vor allem die Wiegenlieder, die Kniereiterlieder, die Spiellieder, die Tanzlieder und die Arbeitslieder.

Bei den Wiegenliedern ist ursprünglich das Entscheidende das gleichmäßige Schaukeln des Kindes auf dem Arme oder das Bewegen der Wiege. Diesen Bewegungen folgt der Wortlaut, er deutet sie sogar in der Einleitung oft tonmalend an. So geschieht es in dem aus Calbe bezeugten Liede:

»Rumpel de Pumpel, datt Kinnek'n schlöppt,
Rumpel de Pumpel, Franzose de löppt,
Loat'n doch man loop'n,
Hei woar in unse Schoot'n
Der Miwemmesenschwarm!

Rumpel de Pumpel, dat Kinneken 'woakt,
Rumpel de Pumpel, Franzose sich packt,
Hei mutt ohne Loatschen
Bes noa Frankreich patschen
Der Miwemmesenschwarm!«

Der Text dieses Liedes reicht, wie der Wortlaut deutlich erkennen läßt, in die Zeit nach den Freiheitskriegen zurück. Erheblich älter dürfte ein anderes weitverbreitetes Lied sein, das mir selber aus dem Munde meiner Mutter noch in den Ohren klingt:

»Eije, Polleije, Polleste!
Der Eddelmann harre frömde Gäste,
Harre wol ein Putthoinekn slacht
Un harre de Kaldünekns nich rein jemacht.
Ei du olle Matzepumpe,
Kaldünekns smeckt sau stumpe.
Wörrst du olle Matzepumpe nich,
Denn smecken de Kaldünekns sau stumpe nich.«

Zu welch liebenswürdigen Formen das Wiegenlied gelegentlich entwickelt ist, das möge ein in der Gegend von Hamburg gesungenes Wiegenlied bezeugen:

»Eia, wie wie, mien Pöppe slöppt bi mie,
Och nee, wie wöllt dat anners moaken,
Pöppe sall in 'n Weegen sloapen.
Eia, wie wie, mien Pöppe slöppt bi mie.
Eia, sloap soit! Ick weeg di mit de Foit.
Ick weeg di mit 'n paar weeke Schoh,
Sloap soit un moak dien Ogen to.
Eia, sloap soit! Ick weeg di mit de Foit!«

Ebenso groß wie die Zahl der Wiegenlieder ist die der Kniereiterlieder, bei denen der Erwachsene das Kind auf dem Knie reiten läßt und z. B. dazu singt:

»Hopp, dilopp, min Geld is all,
Wann krieg ick wat wedder?
Hau den oll'n Schauster dod
Un verkeup sin Ledder,
Denn krigst du wat wedder!«

Auch hier läßt der Eingang ohne weiteres die Bestimmung und den Takt des Liedes erkennen. Der Takt, das Tempo, der Rhythmus bleiben auch das Bestimmende bei den überaus zahlreichen Spiel-, Reigen- und Tanzliedern, die von Kindern und Erwachsenen gebraucht sich wohl im Wortlaut mit dem verschiedensten Inhalt füllen, aber doch immer ganz an die Melodie gebunden bleiben. Aus der übergroßen Zahl dieser Lieder hebe ich nur zwei der meist verbreiteten hervor. Das eine heißt in der aus Lunden bezeugten Fassung:

»Wenn daar en Putt mit Bohnen steiht
Un uk en Putt mit Brie,
Un daar en Buddel Brandewien
Un uk mien söt Merie,
Denn lat ick Putt mit Bohnen stahn
Un uk de Putt mit Brie
Un nehm de Buddel Brandewien
Un uk mien söt Merie.«

Das andere gewiß ebenso bekannte, von dem es auch plattdeutsche Lesarten gibt, sang man in meiner Göttinger Heimat in folgender Form:

»Stiewel, mußt sterben,
Bist noch so jung, jung, jung,
Stiewel, mußt sterben,
Bist noch so jung.
Wenn das der Absatz wüßt,
Daß der Stiewel sterben müßt,
Er würd sich grämen
Bis in den Tod.«

Manchmal gehen die Tanzlieder ganz in die Formen des Liebesliedes, des reinen Stimmungsliedes über und befreien sich damit mehr und mehr von ihrem ursprünglichen Wesen. Anders ist das bei den Arbeitsliedern. Sie bleiben immer an den Takt der Arbeit, die sie begleiten, gebunden, und sie nehmen auch in ihrem Wortlaut meist Bezug daraus. Das gilt schon von den Bastlösereimen der Kinder, die zu dem gleichmäßigen Schlage auf den Bast der Weidenhölzer bei der Herrichtung der Weidenpfeifchen gesungen werden. Vor allem aber bleibt der Takt das Entscheidende bei den Liedern, die zu gemeinsamer Arbeit der Erwachsenen gesungen werden, und die die Gleichmäßigkeit der Arbeit regeln sollen. So gibt es Drescherlieder, Flachsbrechlieder und Rammerlieder, so singen die Küpergesellen zu dem gleichmäßigen Schlag auf die Faßreifen ihr Lied, das in Hamburg folgenden Wortlaut hat, und das in diesem Wortlaut ohne weiteres den Takt der Arbeit erkennen läßt:

»Krieg ick den Küper, den Küper sin vochter nich,
Krieg ick den Küper, den Küper sin Fro,
Sla ick den Küper, den Küper de Fenster in,
Argert de Küper, de Küper sick dot.«

Frei im Text und zu gleicher Zeit frei in der Wahl von Rhythmus und Melodie ist nur das eigentliche Stimmungslied. Nicht ist dabei das eine von beiden, Form oder Inhalt, das Entscheidende. Die Stimmung gibt den Ausschlag, und ihr haben sich Form und Inhalt anzuschmiegen. Und wo Wortlaut und Melodie die gleiche Stimmung rein und schön zur Entfaltung kommen lassen, da ergibt sich eine äußere Geschlossenheit und eine zu Herzen gehende innere Wärme, die das Lied auf die höchste Höhe seiner Wirkungen führen. Wohl hat sich auch unter den Bewegungsliedern, den Wiegenliedern und Tanzliedern das eine oder andere zum Stimmungsliede erhoben, aber auch in diesem Falle ist bei ihnen die Stimmung doch immer durch den Zweck der betreffenden Lieder in gewisser Hinsicht gebunden.

Besonders vielseitig ist die Schattierung und der Wechsel in den Stimmungen bei den Liebesliedern. Jubelnder Übermut spricht aus dem einen:

»Ick un min Hänschen wull'n Sommerfeld gahn,
Harken un binnen, wat anner Lüd dahn.

Anner Lüd harket un binnet dat Koorn,
Ick un min Hänschen fitt achter de Doorn.

Achter de Doorn dar waßt ok gut Krut,
dar bind wi uns beid en Kränzlin ut.«

Stiller und heimlicher, sehnsuchtsvoller und tiefer ist das andere:

»Dat du min Schätzel büst,
Dat du wul weetst,
Kumm bi Dag, kumm bi Nach,
Segg mi, wo du heetst.

Kummst du um Mitternach,
Kummst du Klock een,
Vaader schlöppt, Mooder schlöppt,
Ick schlaap alleen.

Kummst du an'e Kamerdör,
Kummst du an'e Klink,
Vaader meent, Mooder meeitt,
Dat deit de Wind.«

Zu einer merkwürdig einheitlichen Stimmung sind Liebessehnsucht und Naturgefühl verwoben in dem Liede:

»Dar steit ein Lindboem an jennen Dal,
Is bawen breid und nedden schmal,
van Gold dre Rosen.

Gott gröte di, fruw Nachtigall, hübsch und fien!
Wilt du der Leveken Bade nicht sien?
van Gold dre Rosen.

Des Leveken Rade kann ick nicht sien,
Ick sien so ein klein Waldvögelin.
van Gold dre Rosen.«

Sehr auffallend ist dabei das wiederkehrende »van Gold dre Rosen«. Früher hat es vielleicht einmal irgendwie zu dem Inhalt des Liedes gehört. Dann ist diese Zugehörigkeit innerlich verloren gegangen, indem das Lied in die denkbar knappste Form zusammengefaßt wurde. Nur der Kehrreim ist äußerlich übrig geblieben, aber er trägt die Stimmung, er wirkt, wie die gleichmäßig verteilten Perlen aus einer goldenen Kette wirken, und so möchte man ihn um alles nicht missen.

Derartige Fälle finden wir öfter. Sie beruhen wohl auf dem allmählichen Zersingen der Lieder. Das Volk schaltet und waltet mit seinem Liederschätze frei nach eigenem Gutdünken. An dem Hauptgedanken und an der Hauptstimmung hält es fest. Im übrigen kürzt es oder streckt es nach Belieben, es läßt nebensächliche Zwischengedanken fallen oder fügt neue ein. Es verpflanzt ganze Gedankenreihen aus einem Liede in das andere, es verschmilzt zwei Lieder zu einem, ja es trägt sogar Unverstandenes und sinnlos Gewordenes – ähnlich wie wir es schon bei den Abzählreimen fanden – in seinen Liedern im Anschluß an Melodie und Stimmung weiter fort.

Das gilt von den Liebesliedern. Das gilt aber auch ebenso sehr von den übrigen Stimmungsliedern, von den Gesellschafts- und Trinkliedern, von den Handwerker-, Wander-, Jäger- und Soldatenliedern. Der gesamte Schatz dieser Lieder ist vielleicht von Anfang an nicht so groß gewesen wie in Ober- und Mitteldeutschland, denn der Niederdeutsche steht im Durchschnitt an musikalischer Begabung hinter dem Oberdeutschen zurück. Aber doch haben sich auch bei ihm, wie man sieht, köstliche Perlen alter Volkslieder erhalten, und es ist wahrlich der Schweißes der Edeln wert, sie zu sammeln und aufzubewahren.

Wohl am wenigsten lebendig sind die eigentlichen historischen Lieder geblieben. Meist sind sie von vornherein als Kunstlieder für das Volk entstanden. Oft reichlich trocken, weitschweifig oder auch geradezu langweilig in der Einzelausführung, sind sie zugrunde gegangen, als das Volk aufhörte, sich für die in ihnen besungene geschichtliche Tatsache oder Persönlichkeit zu erwärmen. Das eine oder das andere ist aber auch unter ihnen lange lebendig und weiter in Übung geblieben. So ist z. B. ein Lied, das den Sieg der Hamburger über den Seeräuber Störtebeker und seine Genossen feierte, viel gesungen, und von dem im 17. und 18. Jahrhundert beliebten Liede vom Knecht Henneke wird berichtet: Es ist das Henneke-Knechts-Lied vor Jahren so bekannt gewesen, daß es fast bey allen Zusammenkünften gesungen worden ist.«

Inhaltlich oft sehr stark von außen beeinflußt sind die volkstümlichen Balladen. Uralte Geschichten zweier Liebender, deren Treue durch die Not bewährt oder, wenn es nötig ist, durch den Tod besiegelt wird, sind auf weiten Wanderungen auch in das deutsche Volkslied gedrungen und hier neu verarbeitet. Neue Gedanken haben diese Stoffe ausgestaltet, neue Figuren sind dazugekommen von Rittern, Prinzen und Königssöhnen, die die Müllerin oder des Goldschmieds oder der Frau Wirtin Töchterlein lieben.

In diese Reihe der Balladen gehört das Lied, das vielleicht das weitestverbreitete aller germanischen Volkslieder ist, in dem die alte griechische Sage von Hero und Leander verarbeitet ist, und das in Flandern ebenso wie in Litauen, in Dänemark und Schweden gesungen wird. In Niederdeutschland gibt es von ihm eine ganze Unzahl verschiedener Fassungen. Eine der knappsten und darum eindrucksvollsten hat folgenden Wortlaut:

»Dor wiren twee Königskinner,
Dee hadden eenander so leef,
Bi eenander kunn'se nich kamen,
Dat Water was väl to deep.

Lew Harte, kannst du nich swemmen,
Leew Harte, so swemme to mi.
Ick will di en Lücht upstäken
In See, to lüchten för di.

Dor wier ok en falsche Nonne,
De sleek sik ganz sacht na de Städ,
Un ded em de Lücht utpuusten,
De Königssaehn bleef in de See.

Ach Fischer, leeweste Fischer,
wullt du verdienen groot Lohn,
So smiet du dien Netten to Water
Un fisch mi den Königssaehn.

He smeet sine Netten to Water,
De Lod dee sunken to Grund,
He fischde un fischede lange,
De Königssaehn was sien Fund.

Se nehm em in ehre Arme,
Dat Harte, dat ded ehr so weh,
Se sprung mit em in de Wellen,
Leew Vader, leew Moder ade!«

Wie weit bei diesem Liede und bei ähnlichen anderen das alte Vorbild nachgewirkt hat, wie weit es verändert ist, und auf welchen Wegen es zugewandert ist, das zu untersuchen, bleibt in jedem besonderen Falle die Aufgabe der Einzelforschung. Für uns ist hier das wichtigste die Tatsache des ehemaligen Besitzes.

Leider muß man ja auch hier sagen, daß der Besitzstand an plattdeutschen Volksliedern schon heute nur noch gering ist. Das Vordringen der hochdeutschen Sprache und des hochdeutschen Liederschatzes bedroht auch das plattdeutsche Volkslied mit dem Untergange. Daß er sich auf die Dauer ganz wird abwenden lassen, kann man leider nicht glauben. Uber noch ist es nicht so weit. Darum wollen wir den versinkenden Schatz festhalten, solange wir können, und seine Strahlen leuchten lassen in alle niederdeutschen Herzen, und wo immer ein gleichgestimmtes Gemüt sich für sie empfänglich zeigen mag.


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