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Einleitung.
Das Niederdeutsche im Rahmen der deutschen Volkskunde

Nun heben wir an, zu singen von niederdeutscher Art. Volkskunde will ein Spiegel des Volkslebens sein. Sie will das Leben des Volkes schildern, wie es ist. Sie will feststellen, seit wann es so ist, und sie will zu ergründen suchen, warum es so ist.

Das Volk, dessen Leben dargestellt werden soll, umfaßt die Gesamtheit aller Volksgenossen, Arm und Reich, Gelehrte und Ungelehrte, Mann und Weib, Jung und Alt. Wenn dabei das Leben des sogenannten niederen Volkes gelegentlich mehr in den Vordergrund der Betrachtung rückt, so geschieht es nur deshalb, weil bei ihm in verkehrsfernen Gegenden sich altväterischer Glaube und Brauch oft reiner und unverfälschter erhalten haben, als es in dem vielbewegten Leben des Großstadtmenschen unserer Tage möglich ist.

Geographische und politische Grenzen sind durchaus nicht immer zugleich auch die Grenzen für die Einzelgebiete der volkstümlichen Forschung. Die Volkskunde gruppiert nach anderen Rücksichten. Für sie ist das Entscheidende die Gleichheit in Sitte und Art, die sich ergibt aus gleicher stammesmäßiger Veranlagung, aus gleichen geschichtlichen Grundlagen und aus gleichen landschaftlichen Lebensbedingungen, die sich in denselben oder verwandten äußeren Daseinsformen kund gibt, und die durch das einigende Band derselben Sprache zusammengehalten wird.

Eine umfassende deutsche Volkskunde muß demgemäß von viel allgemeineren Grundlagen ausgehen, als es bei der volkskundlichen Betrachtung eines einzelnen deutschen Volksteiles nötig und angebracht ist. Je mehr die Forschung zur Beobachtung kleiner Volksgruppen übergeht, umsomehr wächst die Ähnlichkeit der einzelnen Glieder, umsomehr kann man vom Allgemeinen zum Besonderen vordringen. Das Besondere führt zur näheren Kenntnis; das Allgemeine, das Vergleichende, führt zu besserem Verständnis.

Wenn also in diesem Buche im besonderen von niederdeutscher Volkskunde die Rede sein soll, so wird es wiederholt nötig sein, auch die ähnlichen Erscheinungen der benachbarten deutschen Volkstumsgruppen zum Vergleich und zur Erklärung heranzuziehen. Zu weiteren Ausschweifen, die zum Teil bis auf völkerkundliche Gebiete führen würden, liegt hier kein Anlaß vor.

Selbst der Begriff des »Niederdeutschen«, so wie er im folgenden innegehalten werden soll, bedarf noch der näheren Erklärung und – im Vergleich zu sonstiger Sprachgewohnheit – einer gewissen Einschränkung. Für uns handelt es sich hier nur um die Volkskunde der niedersächsischen Landesteile. Sie sind durch Stammesgleichheit und durch Sprachgemeinschaft zu einem gleichartigen Volkstum zusammengehalten. Die Niederfranken und die Friesen unterscheiden sich darin von ihnen. Beide müssen daher von der folgenden Zusammenstellung ausgeschlossen bleiben. Ihre dem Niedersächsischen in mancher Hinsicht verwandten Lebensformen werden nur gelegentlich berührt werden.

So gewinnen wir den Vorteil, ein im großen und ganzen recht einheitliches Bild des niedersächsischen Volkstums zeichnen zu dürfen. Aber auch so können wir dieses Bild hier leider nicht bis in alle einzelnen Linien ausführen. Daran hindert die Beschränkung des verfügbaren Raumes. Wir werden uns daher auf manchen Gebieten nur mit der Heraushebung einzelner besonders bezeichnender Proben begnügen, dafür aber nach Möglichkeit, so oft es geht, das Volk selbst oder ältere Schriftquellen sprechen lassen. Auf diese Weise werden sich dem Leser die Geheimnisse des Volkslebens auch in ihren Einzelheiten am besten enthüllen.

Nur wer in den Tiefen der Volksseele zu lesen gelernt hat, wird sein Volk ganz verstehen und lieben können, und zur Liebe gegen die niederdeutschen Volksgenossen möchte dieses Buch den Leser vor allen Dingen führen.


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