Joseph von Lauff
Die Sauhatz
Joseph von Lauff

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Das elfte Horrido

                      Da stand nun Wieprecht, lichtumwoben,
Mit merklich angekrülltem Haar,
Und seine Augenbrauen hoben
Sich unterm blanken Gläserpaar.
Er dachte nach. – Das Uhrwerk tackte
Bedachtsam ohne Rast und Ruh;
Das Kienholz summelte und knackte
Die passende Musik dazu.
Ein Heer von silberhellen Spuren
Fiel knisternd aus dem Feuerbrand
Und malte zierliche Figuren
Feinglitzernd in den Stubensand.
Doch Wieprecht meditierte gründlich,
Er trennte Weizen von den Spreu'n,
Um das Erwogene dann mündlich
Als goldne Körner auszustreun.
Er sichtete mit weisen Händen
Die milchige Nomenklatur
Und kam den sahnigen Legenden
Durch scharfes Denken auf die Spur.
Er trennte, was man trennen mußte,
Und einte, was sich einen ließ,
Und formte so in fetter Kruste
Die Atzung, die man Käse hieß.
Nachdem er so in seiner Weise
Genug gesonnen und gedacht
Und die mit Recht beliebte Speise
Mit kluger Hand zurechtgemacht,
Da griff er nach der Schildpattdose,
Die eingelegt mit Elfenbein,
Und warf die tabakliche Schose
Ins zarte Riechorgan hinein.
Und als auch dieser Fall erledigt,
Das Nasenopfer war geschehn,
Ließ er die schönste Käsepredigt
Als Vogel Phönix auferstehn.
Doch nicht aus grauen Aschenwolken
Erstand das Tier, das keinem glich,
Vielmehr aus Kasein und Molken
Hob dieser Wundervogel sich.
Und Meister Wieprecht sah ihn fliegen,
Sah ihm verklärten Blickes nach,
Und dann wie immer, sehr gediegen,
Hob er sein Glas und trank und sprach:
»O Käse, Käse, himmlisch Essen!
Es schwelgt der Mund, der Gaumen lacht!
Doch nur die Nase kann ermessen,
Wie weit du's in der Welt gebracht!
Gleichviel, ob du dich eingeschworen
Als Chester und Fromage de Brie,
Ob du als Camembert geboren
Weit drüben in der Normandie,
Gleichviel, ob du zu Backsteinformen,
Zur Kloßgestaltung mehr dich neigst,
Ob du in Rädern, ganz enormen,
Als Emmentaler Käs dich zeigst,
Ob du im Winter, ob im Maien
Gehst in die weite Welt hinaus,
Ob du in Hollands Molkereien,
Im schönen Algäu bist zu Haus –
Dein Hauch verdunkelt alle Kräuter
In Wald und Hain, in Feld und Flur;
Denn du entsprangst dem vollen Euter
Als größtes Wunder der Natur.
Du bist der König der Arome,
Der Großsultan im Duftrevier;
Der Weihrauch selbst im hohen Dome
Ist ledern im Vergleich zu dir.
Wo Schmauserei – du darfst nicht fehlen,
Wo Spiel und Tanz – du bist dabei,
Und wo zwei gleichverwandte Seelen,
Dein Ruch beseligt alle zwei.
Jedoch der größte Duftverschwender,
Ein Partner unsers Moselweins,
Das ist, bekannt als Lebensspender,
Der Käs von Limburg und von Mainz.
Schon in den frühsten Morgenröten,
Er war berühmt, als Adam grub
Und Absalom in schweren Nöten
Den Kelch mit faulem Schierling hub.
Die Alten wußten schon zu leben;
Sie aßen nur, was fett und rar,
Und mußten dann dem Magen geben,
Was gut für die Verdauung war.
Zum Beispiel schon nach Morchelsuppe,
Nach Gänseklein mit Petersill,
Nach Schmalzkartoffeln, die mir schnuppe,
Und fettem Moselaal in Dill,
Nach Kopfsalat und Schweinebraten
Und ähnlich üppigem Gefräß,
Kurzum, nach allen Schlemmertaten –
Sie nahmen immer Mainzer Käs.
Und solch ein Käse . . . Kinder, Kinder!
Ich rieche den Ambrosia!
Jetzt schwenkt den Hut, schwenkt den Zylinder,
Denn solch ein Götterschmaus ist da!«

Da gab's Hallo. Die Stühle krachten,
Man sang und jauchzte, schrie und pfiff;
Der Jubel ließ sich kaum verfrachten
Auf ein geleertes Moselschiff.
Und Ürzigs Maid, das goldne Tröpfchen,
Sie hob sich auf den Stöckelschuhn
Und ließ das semmelblonde Köpfchen
Am Herzen Meister Wieprechts ruhn.
Und wonnig, sonnig, stillzufrieden,
Durch ihn beseligt ganz und gar,
Die Äpfelchen der Hesperiden
Bot sie ihm schier verlockend dar.
»O du mein Schatz, du ganz famoser,«
So sprach sie ihm geheim ins Ohr,
»Du lieber Unterhosenloser,
Wie kommst du mir so herrlich vor!
Die Rede war ein Prachtartikel;
Drum setz' dich nieder aufs Gesäß
Und iß, du herziges Karnickel,
Von diesem delikaten Käs!«

»Nein!« fuhr er auf und hob die Hände,
»Das heil'ge Feuer bleibt geschürt.
Bevor die Rede nicht zu Ende,
Wird dieser Käse nicht berührt.
O Käse, Käse! – Heldentaten,
Sie werden stets durch dich gemacht;
Den Mut entmutigter Soldaten,
Den stärkst du wieder in der Schlacht.
Aß Herkules nicht Schweizer Käse,
Als er bei Ariadne schlief?!
Ihn aß Colombo, der Anglaise,
Als donnernd dreimal Land! er rief.
Die alten amtlichen Berichte,
Sie haben vieles uns enthüllt;
Die ganze römische Geschichte
Ist rings von diesem Stoff erfüllt.
Noch jedem klingt es in die Ohren
Von Cond und Cochem bis nach Wien,
Wie einst die heidnischen Amphoren
Nach »Panem und nach Käse« schrien.
Ach! so ein Käs, so'n wohlverspeister,
Er schafft mit Artigkeit und List;
Er macht den Mann zum Orgelmeister,
Das Weib zum zärtlichen Flötist.
Er wirkt im Lauten, wirkt im Stillen,
Er weiß, was fromm und selig macht;
Jedoch die Kraft, den höchsten Willen
Entfaltet er im Reich der Jagd.
Er macht das Herz dem Mut verbündet,
Er putzt die Augen hell und rein,
Auf daß, wie Peter Zenz verkündet,
Die wilden Sauen gröber sein.
Er läßt die Hähne muntrer knacken,
Schiebt flott aufs Ohr den Jägerhut;
Er reißt die Flinten an die Backen,
Und wo er ist, da trifft man gut.
Und so bei mir! – Ihr sollt es hören,
Ihr insgesamt, aus diesem Mund:
Ich aß den Käs – ich kann's beschwören –
Und lediglich aus diesem Grund
Ist gute Witterung mir gekommen,
Hab' ich ins Lager mich gedrückt,
Hat mich die Wildsau angenommen,
Ist mir der Meisterschuß geglückt.
Und wenn die Sau auch fortgewechselt
Mit Kopf und Schwarte, Stiel und Sterz –
Den Meisterschuß hab' ich gedrechselt,
Denn ich, ja ich traf sie ins Herz!«

»Ins Zündloch hast du sie geschossen!«
Schrie Zenz, ganz außer Rand und Band.
»Mir gleich!« rief Wieprecht unverdrossen
Und nahm sein Mädel bei der Hand.
Er brannte wie 'ne lichte Scheuer,
Voll jagdlicher Begeisterung.
In seinem Herzen, welch ein Feuer!
In seinen Beinen, welch ein Schwung!
Er machte Sätze, ganz vertrackte,
Er fühlte sich so frei, so frei,
Und munter ging's im flotten Takte
An der Frau, an der Magd, an der Bank vorbei.

Da jäh, als just es sieben brummte,
Verstummte alles ganz und gar,
Wie Zacharias einst verstummte
An Gottes hehrem Rauchaltar.
Still war's wie einst beim Königsmahle,
Als eine geisterbleiche Hand
Das Menetekel schrieb im Saale
An eine frischgekalkte Wand.
Auch hier ein Zagen, ein Erblassen;
Man wurde warm, man wurde kalt,
Denn rings aus den verschneiten Gassen
Kam es mit Donnerallgewalt.
Herr Peter Zenz stand wie 'ne Säule,
Und Hubaleck, von Schreck zerzaust,
Hielt eine abgenagte Keule
Des Bronzeputers in der Faust.
Die frohe Stimmung kam abhanden;
Kassandrarufe fern und nah!
Und alle, die den Tisch umstanden,
Sie waren einer Ohnmacht nah.
Die bravsten Herzen – sie verzagten,
Die Tafel – sie war freudeleer;
Die Hunde belferten und klagten
Und winselten verstört umher.
Gefährlich ist's, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn . . .
Was aber will denn – ums Verrecken! –
Sich unserm Schüsseltreiben nahn?!
Will jetzt die Tragik auf die Bretter?!
Habt acht! – mit Mord und Feurio,
Umblitzt vom Himmeldonnerwetter,
Ertönt das letzte Horrido.


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