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XII.

Es waren mehrere harte Winterwochen vergangen, Fanny hatte einige Tage heftig gelitten, und Clärchen mit ihr.

Jener Ruf im Theater war durch nichts bestätigt worden, aber freilich, Georges war auch nicht wieder erschienen. Das Auffallende der Sache sprach sich in einigen Tagen durch, wurde noch einmal stürmisch aufgeweckt, als Fanny zum ersten Male wieder spielen mußte, und verlor sich dann unter die übrigen Tageswellen. Niemand hält sich für unersetzlicher als Künstler – und sie haben wirklich das meiste Recht dazu, denn ihre Vorzüge lassen sich nicht bloß erlernen – unter den Künstlern aber besonders der Schauspieler, ach, und sein Wirkungsplatz, die bunten, abwechselnden Bretter, spielen dieser Eitelkeit so arge Streiche. Wenn Georges im Stillen abwartete, was sein Verschwinden für eine Wirkung thun werde, so hätte er mäßig große Veranlassung erlebt, in der That und Wahrheit abzutreten von einem Schauplatze, welcher sich so undankbar bewies.

Die Undankbarkeit ist ein Salz der Geschichte, welche vor Fäulniß bewahrt, besonders in Kunstbestrebungen. Es ist aber zu bezweifeln, daß Georges dieser Ansicht gewesen sey.

Fanny also mußte wieder auftreten – hierin liegt auch eine wohlthätige Grausamkeit der Theaterverhältnisse. Sie gestatten keine Zeit zur Pietät, zum Nachempfinden eines Schmerzes, sie heilen summarisch. So befördern sie auf der einen Seite die Fähigkeit, ganz und völlig und plötzlich zu empfinden, die Fähigkeit für einen intensiven despotischen Schmerz, auf der andern Seite zerreißen sie die feinen Fäden der Anknüpfung, des Uebergangs, oder erzeugen gar die Oberflächlichkeit.

Die Frau, welche den Gatten, die Mutter, welche das Kind verloren hat, muß vom Kirchhofe in's Putzzimmer treten, und mit den salzigen Thränen, die noch in ihrem Auge stehen, so lange lachen, bis die Zuschauer lachen helfen. –

Fanny war nach den ersten Tagen jenes Schreckens mehr stumpf als traurig. Gieb Acht, Clärchen, sagte sie, als der Theaterwagen vorfuhr, um sie zum ersten Male wieder abzuholen, gieb Acht, Georges kommt eines Abends wieder.

Sie ließ sich gedankenlos ankleiden, sie trat gedankenlos vor das Publikum. Dies empfing sie mit allgemeinem Applaus, zum Zeichen, und zwar zum ungeschickten Zeichen, daß man sich freue, sie wiederzuhaben. Die Masse hat in gewissen Ausbrüchen immer etwas bestialisches.

Dieser Beifall schreckte sie im ersten Augenblicke auf, drang ihr schmerzhaft in's Herz – sie sah sich zu zwei Personen dastehn, als Schauspielerin und als Fanny, eine Trennung, an welche sie nie vorher gedacht hatte und die auch für die Folge nachtheilig wirkte. Bisher gab sie in kindlicher Illusion sich selbst ganz und gar hin, nahm den Beifall ohne Prüfung für ihre ganze Individualität in Empfang. Nach diesem Momente wurde es anders. Ihr wollt nichts da unten auf Euren Bänken, flüsterte ganz tief in Fanny's Busen eine leise Stimme, Ihr wollt nichts, als die Komödiantin.

Sie war enttäuscht, ohne daß vor der Enttäuschung eine eigentliche klare Idee von solchen Verhältnissen in ihr gewesen war. Die Unschuld erfuhr, was Unschuld sey.

Wie mit einem einzigen schmerzhaften Ruck streifte sie in jenem Augenblicke ihre Theaterjugend ab, und jene flüsternde Stimme sprach nicht ohne Zorn: wohl denn, so will ich Euch Komödie spielen.

Fanny spielte zu Aller Verwunderung mit größter Besonnenheit; von diesem Abende datirte ein ganz anderes, in vieler Rücksicht vollkommneres Spiel dieser Frau. Als sie nach Hause kam, sagte sie zu Clärchen: heut Abend bin ich eine Schauspielerin geworden.

Worin bestand der Wechsel? Es sind nur einige Symptome anzugeben, und man wird leicht erachten, daß sie auch für ihr sonstiges Leben von außerordentlicher Wichtigkeit wurden. Sie war nicht mehr so unbefangen kindlich, aber es kam in das Ganze mehr künstlerisches Maaß, ihre Leidenschaft war nicht mehr so jung und wirbelnd, aber sie wurde heftiger, gewaltiger, fortreißender.

Mit jenem Auftreten schied sie auch von der schmerzlichen Stumpfheit, sie richtete sich auf, sie bat Gesellschaft zu sich, trat Ludwig entschiedner, mit größerer Leidenschaft nahe, ermunterte den Adjutanten des italienischen Fürsten zu häufigeren Besuchen, verkehrte weniger mit Clärchen. Nur Paul ward gänzlich von ihrer Gesellschaft ausgeschlossen, ich weiß es nicht – sagte sie – ich kann es nicht behaupten, aber jener Ton, der Georges in's Wasser stürzte, klang so abscheulich bekannt, klang mir wie Paul's Stimme in das Herz.

Paul und Ludwig sahen sich gar nicht mehr, und mit Betrübniß hörte dieser oft erzählen, welch eine zügellose Gesellschaft sich unter den Auspicien der Frau von Weiden etablirt habe, und wie Paul die wildeste Hauptrolle dabei spiele.

Ludwig selbst kam seltener zu Fanny als früher, und sprach oft nur im Parterrezimmer ein. Sie machte ihm lebhafte Vorwürfe über seine seltne Erscheinung, es geschah dies indessen immer mit freundlicher Zärtlichkeit, und ihr zauberhafter Einfluß bewahrte sich darin auch nach wie vor, daß sie all seine Aufmerksamkeit und Theilnahme fesselte, so bald er in ihre Nähe kam.

Wunderbar genug war sein Gemüth ruhig, die Wünsche peinigten ihn nicht, er ließ das Leben kommen, erwartete das Beste, ohne selbst zu wissen was.

So lagen die Sachen, als er an einem Märzabende in Fanny's Zimmer trat. Der Winter war bereits gebrochen, die wieder mächtig gewordene Sonne, welche sich eben zum Untergang rüstete, hatte die Luft durchwärmt, die letzten besiegten Winterreste tropften von den Dächern, die Fenster des Gemachs waren geöffnet, Clärchen stellte Blumentöpfe an die Luft, Fanny verabschiedete eben den Adjutanten.

Man bewillkommnete ihn sehr herzlich, sogar Clärchen reichte ihm gegen Gewohnheit eine Hand und eine knospende Frühlingszärtlichkeit sah aus ihrem Auge, aus ihren Zügen, welche von der untergehenden Sonne seitwärts beleuchtet wurden.

Es siedelte sich bei der hereinbrechenden Dämmerung die süßeste Vertraulichkeit, das heimlichste Herzenserschließen unter ihnen an. – Ludwig erzählte, wie ihn sein Vater einmal wieder zu sehen wünsche, und ihm deshalb wohl eine Reise bevorstehe –

Nicht doch! rief Fanny, und griff nach seiner Hand –

Ach, wer doch einen Vater hätte! sagte Clärchen leise –

Ludwig faßte unwillkührlich nach ihrer Hand und führte sie an seine Lippen – »Clärchen, wollen Sie mit mir reisen?«

Alles schwieg, Clärchens Finger zitterten – »Ich will Sie zu einem guten Vater bringen – Clärchen!«

Er fühlte ihre Hand fest und warm werden in der seinigen, er sah in der halben Dunkelheit, daß sie ihre Augen zu ihm aufschlug mit einem unnennbar süßen Ausdrucke. Er sprang auf, Fannys Hand entglitt ihm, er wußte selbst nicht wie, die Frauen sprangen ebenfalls in die Höhe – »Clärchen!« rief er noch einmal –

Ludwig, o Ludwig! rief diese plötzlich, und sie lag weinend in seinen Armen.

Als sie wieder zu sich kam, vermißte sie Fanny; es war ganz dunkel geworden. Eine lange Weile standen sie stumm einander gegenüber, sich gegenseitig bei den Händen haltend.

Vom äußersten Fensterwinkel des Zimmers kam Fanny hergeschritten, sie trat zwischen sie und drückte sie beide an ihr Herz, dann umarmte und küßte sie Ludwig, er fühlte, daß ihr Gesicht in Thränen gebadet war, dann wendete sie sich zu Clärchen, überschüttete sie mit Liebkosungen, und verließ auf der einen Seite das Gemach, während der Bediente von der andern mit Licht eintrat.

»Bleib, bis ich wiederkomme,« bat Clärchen und ging der Schwester nach.

Als sie wiederkam, lächelte sie wie ein Engel, und sagte: Es ist alles gut. –

Am andern Morgen war Fanny abgereist. Ludwig erhielt den liebenswürdigsten Brief, worin sie ihm sagte, daß sie eine längst beschlossene Kunstreise angetreten habe, daß sie ihn liebe nach wie vor, daß er auch im Verrath liebenswerth geblieben sey, und sie ja bald mit Clärchen besuchen möge.

Ludwig reiste mit Clärchen in seine Heimath, und die Welt war ihm erfüllt – denn in der Liebe ruht die ganze Welt – und er konnte nicht begreifen, wie er so lang habe im Dunkeln tappen können.

Von Georges hat er nie wieder etwas vernommen; auch Paul ist nicht mehr in die Heimath zurückgekehrt.

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