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I.

Ein junger Reisender kam in Wien an. Es war ein milder, üppiger Sommerabend, wo die Brust und das Herz aufgeht in weicher Lebenslust; auf dem glatten Pflaster der Stadt lag ein feiner Staubregen, alle Fenster der engen Straßen, durch welche der Postillon mit lautem Klatschen hinfuhr, waren geöffnet, schöne Mädchenköpfe kuckten überall heraus, frische, zierliche Herren glitten Arm in Arm vorüber, und lachten und schwatzten, es war ein buntes, lockendes Durcheinander, ein zärtliches Gesumm. Der junge Reisende wußte nicht, wie ihm geschah: es war ihm, als müßte jeden Augenblick aus der geräuschvollen Menge eine glänzende Freude emporspringen, ihm an den Hals fliegen.

Aber was für eine Freude?

Ludwig, hatte der Vater gesagt, geh in die weite Welt, um dich zu sammeln –

Lieber Papa, wie soll ich in der weiten Welt mich sammeln! Mein Uebel, oder mein Glück wird immer größer werden –

Das wird es nicht, mein Sohn, nur im Ueberflusse finden Leute deiner Art die Beschränkung, nur wenn sie sehen, daß die Welt in ihrer Mannigfaltigkeit für das Menschenherze zu groß ist und zu reich, daß es eines Gottes bedarf, um allen Genuß in sich aufzunehmen, nur dann bilden sie sich. Nur dann sehen sie ein, daß die Grenzen unser Glück machen.

Ludwigs Unglück war nämlich zu viel Glück, was sein Herz bestürmte; er wußte nicht, wohin er mit allen seinen Empfängnißorganen sollte, er schmachtete im Ueberfluße, und wollte sich den herkömmlichen Formen nicht fügen, weil er sie für einen Diebstahl am Reichthume der Welt hielt. So mochte er sich nicht zu einer bestimmten Stellung entschließen, er mochte nicht heurathen, mochte nicht still sitzen, das dünkte ihm Alles zu ausschließend.

Der Vater war ein kluger Mann, und schob ihn in den Postwagen, und gab ihm einen Neffen zur Begleitung, mit dem Ludwig aufgewachsen war, und den er gern hatte, ohne ihn zu lieben. Paul, dieser Neffe, war ein derber, trockner Bursche mit viel Kenntniß und gleichmäßiger, guter Laune, einer von den wohlberathenen Menschen, welche das Leben nicht suchen, sich aber überall von dem Leben finden lassen. Du machst gar zu viel Umstände, pflegte er zu sagen, mit dem Bischen Welt, wozu sie in Ordnung bringen und regieren? Sie regiert sich selbst, sie ist von Anbeginn in Ordnung. Die Welt geschieht, wir machen sie nicht, und wenn man so viel zu thun hat, wie Du, dann hört alles Lachen, alle Bequemlichkeit auf. Lachen und Bequemlichkeit sind ja Leben. –

Er saß mit verschränkten Armen im Wagen, die Behaglichkeit ruhte mit halb geschlossenen Augen auf seinem runden, feisten Gesichte, und blinzte aus den verlässigen treuen Augen. Wenn ein besonders muntres Kind mit flatternden Locken am langsam rollenden Fuhrwerk vorüberglitt, da hob er seine Reisemütze vom blonden Lockenkopf und grüßte schelmisch lächelnd.

Ludwig dagegen war erregt und unruhig. – Paul, rief er aus, wie erträgst Du mit so viel Gleichmuth eine Welt von solchem Reichthume, wie sich uns eben öffnet! Wo blick' ich zuerst hin, wo faß' ich, wo ergreif ich die Lust, die durch die Straßen schweift, in der sanften, üppigen Luft um meine Schläfe spielt, aus neuen, immer schöneren Augen leuchtet – Paul!

Laß sie nur kommen! erwiederte dieser –

Du bist ein Türke! –

Allah ist groß, Ludwig, und hier ist unser Gasthof – halt, Schwager – die Welt läuft nicht davon, und sie kommt am ersten zu uns, wenn man ihr nicht nachläuft. Sie ist gleich Mädchen und Liebe.

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