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VII.

Es waren Wochen und Monden vergangen, während Ludwig die Donaustraße hinabgefahren, durch die Berge gestiegen, in mancher Hütte auf längere Zeit eingekehrt war. Sein Gemüth schwoll auf und ab in jenen romantischen Stimmungen, wo wir tief und halb mit Schmerz, halb mit Lust empfinden, daß ein bestimmtes, entschiedenes Wollen und Fühlen unseren Reiz, unsre Wesenheit zerstören würde. Der Mund floß ihm über von wunderlichen Poesien, die aus Trauer und fröhlicher Sehnsucht erwuchsen, und das Ansehn des Raphaelschen Engels hatten, welchem der Maler in das weinende Gesicht ein Lächeln zauberte. Im Grunde lebte und webte er noch in seiner alten Krankheit: aus einem glücklich gefügten Naturell, die Welt in unbestimmten, ungesonderten Massen in sich aufzunehmen, im Allgemeinen sich zu verlieren. Aber ein leises Etwas, die Frucht seiner letzten Erfahrungen, schien ihm bereits zuzuflüstern, daß sich ein einzelner, schöner, lichter Ausgangspunkt aus diesen üppigen, verworrenen Wäldern finden lasse, daß Fanny dieser Ausgangspunkt nicht sey, wenn auch noch so viel Licht und Glanz von demselben erhalte.

Diese Seelenstimmung drängte ihn, sich auf eine Zeitlang in kleinen Verhältnissen anzusiedeln, sein Wesen zu läutern, oder wie er es nannte: zu ökonomisiren.

Auf einem grünen Berge an der Donau fand er denn auch eines Tags ein einsames Gehöft, die Bewohner nahmen ihn freundlich auf, ein frisches, blondes Mädchen bereitete ihm eine saubere Mahlzeit, und wies ihm ein bescheidenes, friedliches Stübchen, von dem er den unten fließenden, dunklen Strom und die reichen Thaleinschnitte an seinen Ufern übersehen konnte. Da blieb er; von dieser beschränkten Stille, von Kathi's kleinen Wünschen wollte er die Befriedigung in engen Grenzen erlernen, mit seinen letzten Ausgangspunkten aus der Welt aber wollte er nun in diesem sichern Hafen wieder in Verbindung treten, um all der Kontraste sich zu bemächtigen, und auf diese Weise ein festgegliedertes, gesetzgebendes Daseynsbild in sein Inneres einzuprägen. Er schrieb an Paul, an Georges, an Fanny. Die Antworten, welche bald eintrafen, waren gegen alle Erwartung. Paul, der Ruhige, Kühle, den die Welt nirgends zu befangen, zu stören pflegte, dieser blonde, wohl eingerichtete Mann schrieb wenig Worte, aber sie pulsirten wie schweres, unruhiges Blut, sie sprangen zerstreut von einem Stoffe zum andern, sie enthielten nichts von Aeußerlichkeiten, von Rechnungen und dergleichen, wie es sonst immer seine Art gewesen, sie bestürzten Ludwig wegen des Kameraden. Jeder Brief hat wie jeder Mensch eine Physiognomie, und er kann eben so überraschen, wie der Anblick eines blassen, verstörten Gesichts, was wir immer roth und in Ordnung gesehen haben. Das unerhörte Wort »Leidenschaft« sprach aus der Physiognomie des Paulschen Briefes, und es war dies ein Wort, worüber Paul stets lächelte.

Georges, von dem ein glücklicher, gesättigter Ehemannsbrief zu gewärtigen stand, schrieb schwermüthig, in unruhigen, trüben Phantasien schillerte das Auge dieses Briefes.

Und Fanny verbarg es kaum, was sie nicht zu wissen schien, daß sie ennuyirt sey, obwohl sie lachte und scherzte und hüpfte und sprang; ihre Worte klangen ungefähr nach der Weise: Ach, die Welt ist ganz artig, und ich befinde mich sehr munter und wohl darin, aber ein wenig leer ist sie doch, und in meinen Jahren möchte ich sie reicher, mannigfaltiger haben – daß Sie fortgereis't sind, ist jedenfalls abscheulich, denn Sie waren liebenswürdiger als die Meisten, und wir hätten uns so lieb haben können. Clärchen ließ herzlich grüßen.

Ludwig bedurfte mehrerer seiner stillen ländlichen Tage, um alle die störsamen Eindrücke dieser Korrespondenz zu verwinden. Die Rübe und Gleichmäßigkeit eines einfachen Lebens ist allerdings wie eine strenge Diät in der Medizin: sie verarbeitet allmählig alles Turbirende, aber es will uns doch oft bedünken, als sey sie für eigentliche Heilung zu matt und unkräftig. Unsre Persönlichkeiten und tief persönlichen Affektionen können im Grunde nur beschwichtigt, geleitet, gebildet, nicht aber verändert oder gar aufgehoben und zerstört werden.

Es ging eine Zeitlang recht artig, daß Ludwig mit den blonden Zöpfen Kathi's spielte, ihre luftharten Wangen streichelte, die Naivetät ihrer Unkenntniß belächelte, daß er von nichts reden hörte und redete als von der muthmaaßlichen Witterung, vom Gedeihen des Korns und Weins, von den prophetischen Gaben des Rindvieh's, des Kettenhundes und des Nachtwindes. Aber sein Wesen war doch gar zu anders angelegt, um darin auf die Länge ein Genüge zu finden; er mochte sich's noch so sehr verbergen wollen: der unbestechliche Generaladvokat des eigensten unverfälschten Ichs, der in jedem Menschen lebt, ward von Tage zu Tage unruhiger. Er sagte mit immer lauterer Stimme: Ist denn das Oekonomie, wenn Du den Reichthum Deiner Gedanken und Empfindungen unter ein stilles Gehöfte vergräbst, damit er Dir keine Sorge mache?

Die ersten Eindrücke jener Briefe aus Wien stumpften sich also wohl ab, aber neu aufgeregte Lebenswellen flutheten beweglich hin und her und drängten zu neuen Entschlüssen. Da kam wieder ein Brief von Fanny, ein Brief voll Sehnsucht und Liebenswürdigkeit – er sattelte seinen Klepper und ritt nach der nächsten Poststation und reklamirte seinen Wagen und frische Pferde nach Wien zu.

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