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Prinzessin Jaja!

(1892)

 

Es war einmal eine Prinzessin, die hieß Jaja; aber leider hatte es mit ihr einen Haken, und deshalb haben wir unsere Geschichte falsch angefangen. Eigentlich können wir gar nicht beginnen, denn der Haken war eben, daß die Prinzessin nicht wußte, ob sie war. Also fangen wir noch einmal von vorn an.

Es war also einmal eine Prinzessin, und die war nicht. Das ist aber auch noch nicht der richtige Anfang. Denn solange die Philosophen noch nicht klar darüber sind, was das wirkliche Sein wirklich sei und wie es mit dem Erkennen zusammenhänge, fragt es sich doch, ob die Prinzessin-wirklich nicht war, oder ob sie bloß nicht wirklich war. Und da in den Märchen immer alle Dinge dreimal vorkommen und erst das dritte Mal die Sache gelingt, so sehen wir nicht ein, warum es nicht gleich mit dem Anfange auch- so sein solle und erst der dritte Anfang der richtige werde. Und nun kommt er. –

Es war einmal ein Königreich, das hieß Drüberunddrunter, und dazu gehörte auch ein König, Namens Hähäh. Dieser König besaß eine einzige Tochter, die reizende Prinzessin Jaja, mit der es leider den Haken hatte. Und das war so gekommen.

Die Prinzessin hatte eine Patin, natürlich eine Fee, und zwar eine echte, die noch von den alten heidnischen Göttern stammte. Das sind nämlich die vornehmsten, und von diesen sind wieder diejenigen die gebildetsten, die ihren Stammbaum auf den Olymp zurückführen können. Mit der Mythologie aber stand die Prinzessin wie die meisten jungen Damen von siebzehn Jahren auf schlechtem Fuße wegen der vielen schwierigen Namen, und darum konnte auch Jaja die Fee Dysthymos Kräkeleia – so hieß die Patin – nicht gut leiden.

Als die Prinzessin nun ihren achtzehnten Geburtstag feierte, kam auch Dysthymos Kräkeleia als Gratulantin und brachte ihr zum Geschenk einen Abreißkalender vom vergangenen Jahre, den sie in einem Schnittwarengeschäft zubekommen hatte. Denn die Fee hielt viel auf Geschenke, die nichts kosteten, außer wenn sie für sie selbst bestimmt waren. Das ärgerte nun wieder die Prinzessin, und als sie mit Kräkeleia bei der Schokolade saß, sagte sie ganz trübselig:

»Ach, liebe Patin, mein Mythologielehrer versteht doch gar nichts. Neulich wußte er nicht einmal, wie Ihre werte Frau Mama hieß.«

Das war aber ein Stich, denn die Fee hatte keine Mama, sondern bloß einen Papa, und das war eben das Feine an ihr. Die Fee sagte also etwas gereizt:

»Nun, du solltest doch wissen, liebe Jaja, daß ich wie meine Schwester Pallas Athene keine Mutter habe. Wir beide rühmen uns, unmittelbar aus dem Götterkönig Zeus entsprungen zu sein.«

»So, so«, sagte Jaja, »Sie sind auch aus dem Haupte des Zeus entsprungen?«

»Das gerade nicht, aber aus einem Auge des Zeus.«

»Und wo befand sich denn dieses Auge?«

»Naseweises Ding!« rief die Fee aufgebracht. »Ein Hühnerauge war's, aus dem ich entsprungen bin, unter der kleinen Zehe saß es. Sehr übler Laune war der Götterfürst, denn er hatte damals gerade vergeblich der schönen Freya nachgestellt, die droben hinter Grönland im eisigen Norden haust. Da hatte er sich Schneeschuhe untergebunden, und davon war das Hühnerauge gekommen. Als nun Pallas Athene aus seinem Haupte sprang, da ernannte er sie zur Göttin des Wissens und Forschens, zur Herrin aller berechtigten Fragen, welche die Menschen stellen dürfen. Mich aber, als ich aus dem Hühnerauge sprang, ernannte er zur Göttin aller überflüssigen Fragen, zur Herrin der Rätselmacher, Steuerabschätzer, Polizisten und Metaphysiker. Und weil du so überflüssige Fragen gestellt hast, so verwünsche ich dich hiermit zur Strafe für deine Neugier. Und du sollst nicht eher einen Mann bekommen, bis du die unnützeste Frage der Welt gefunden und gelöst hast.«

Und damit verschwand Dysthymos Kräkeleia in Gestalt eines langen Fragezeichens.

Mit diesem Augenblicke kam ein großes Unglück über das Königreich Drüberunddrunter, es brach nämlich die Fragepest aus und gleich hinterdrein die Rätselseuche.

Daran war freilich Seine Majestät der König Hähäh selber schuld. Denn als er von der Verwünschung der Prinzessin hörte, war er gar nicht empört, sondern lächelte so allerhuldvollst daß dem Großvezier zwei Westenknöpfe vor Wonne absprangen und sagte:

»Wozu habe ich denn meine Professoren, meine Oberbrahminen, meine Veziere und Oberhofchargen, wenn nicht wenigstens einer darunter so dumm sein sollte, auf die allerunnützeste Frage zu verfallen? Und im Notfalle bin ich selber noch da.«

»Euer Majestät«, sagte der Großvezier, »bemerkten soeben allerhöchst scharfsinnig, daß Ihre königliche Hoheit die Prinzessin nicht nur die Frage, sondern auch die Lösung derselben muß finden können.«

»Sehr richtig«, entgegnete der König, indem er den Würdenträger allerhöchsteigenfüßig auf den Rock klopfte, »dazu wird meine Tochter, die Prinzessin, schon klug genug sein. Aber die Frage, die Frage! Dazu gehört Dummheit, und die kann ich von meinen Beamten verlangen.«

Nun ließ der König eine Konkurrenz ausschreiben. Wer die überflüssigste Frage in der Welt stellte, der sollte soviel goldene Erbsen bekommen, daß er darauf spazieren gehen könnte; wenn aber die Prinzessin die Lösung der Frage nicht herausbekäme, so müßte er die Goldstückchen in den Stiefeln tragen.

Da zerbrach man sich in Drüberunddrunter die Köpfe, daß es drunter und drüber ging.

Der Oberhofwolkengucker, welcher das Wetter anzusagen hatte, ob die Prinzessin den Sonnenschirm, den En-tous-cas oder den Regenschirm nehmen sollte, stellte die erste Frage.

»Warum geht die Sonne immer rechts herum und nicht links herum?«

Die Frage wurde für genügend überflüssig befunden, doch die Prinzessin konnte sie nicht lösen, und so bekam der Oberhofwolkengucker die goldenen Erbsen, aber inwendig.

»Was ist eher, der Tag oder die Nacht?« fragte der Obernachtwächter. Da mußte er auch die goldverengten Stiefel anziehen.

Der Oberbrahmine fragte, warum die Welt geschaffen sei; aber er hatte gleichfalls kein Glück damit. Und da er nun Urlaub nehmen mußte, so fragte der Unterbrahmine, ob er nun Oberunterbrahmine oder Unteroberbrahmine wäre. Das wußte die Prinzessin erst recht nicht. Nun jagten sich die Fragen wie die Flocken im Dezemberwind. Ist es besser, zuerst den rechten oder den linken Strumpf anzuziehen? Ist die Tugend grün oder karmesingestreift? Was ist das Ding an sich? Wer hat den Heringssalat erfunden? Was ist ein Matschakerl? Warum nennt man die Kartoffeln nicht Haifisch? Aber keine Frage erhielt den Preis, entweder waren sie nicht überflüssig genug, oder die Prinzessin konnte sie nicht lösen. Da gab es in Folge der Goldstiefel bald soviel Hühneraugen in Drüberund- drunter, daß Kräkeleia ihre Freude daran hatte.

Endlich kam der Oberhofgrundsatzfabrikant auf die feine Idee, die Sache müsse viel besser gehen, wenn man sie umkehre und nicht mit der Frage beginne, sondern mit der Antwort. Und wenn man die hätte, nachher könne man ja die Frage danach einrichten. Eine solche Einrichtung aber nennt man ein Rätsel.

Da ging den Leuten in Drüberunddrunter auf einmal ein Licht auf und sie fingen an Rätsel zu machen nach Herzenslust. Und damit die Prinzessin die Rätsel auch rate, so hielten sie es für das Beste, sie alle auf den Namen der Prinzessin zuzuspitzen. Denn den müßte sie doch kennen, und wenn sie nur »Ja ja« sagte, so wäre das Rätsel schon geraten. Und dann wäre es immerhin eine erfreulich unnötige Frage, nach dem Namen der Prinzessin zu forschen, weil ihn doch jedermann schon wisse. Mit dieser Philosophie stieg die Rätselseuche auf ihren Höhepunkt. Der Oberhofhurrahschreier schrie zuerst:

»Kommt Silbe Eins vor Silbe Zwei,
So schreit vor Freude man Juchhei!
Doch kommt die Zweite vor der Ersten,
So möchte man vor Freude bersten.«

Das fand der König sehr gut.

Der Oberhofzoolog ließ sich ebenfalls hören und sprach:

»Drehst du es um, so ist's das faulste Wesen,
Von vorn kann es sogar ein Esel lesen.«

Er meinte nämlich, daß man jaja auch J-a-J-a aussprechen könne, und dann gibt es umgekehrt das Faultier Ay-Ay.

Hierin erblickte jedoch der Staatsanwalt eine tendenziöse Zerstückelung und Körperverletzung des Namens der Prinzessin, und der unglückliche Oberhofzoolog wurde mit einer auf drei Jahre herabgemilderten Todesstrafe belegt.

Dies hielt die Bewohner von Drüberunddrunter indessen nicht ab, immer neue Rätsel zu machen. Die Kinder in der Schule, die Bettler vor den Türen, die Minister im Staatsrat und die Liebenden im Mondschein schmiedeten Rätsel. Die Geschäfte stockten, die Straßen verödeten, selbst die Eisenbahnzüge blieben stehen, weil die Lokomotiven anfingen, Rätsel zu fabrizieren. Das Königreich drohte zu verhungern, die Rätselseuche raffte Tausende dahin. Sechsunddreißig Millionen Rätsel waren eingeliefert und der König ließ sich eine neue Perücke machen, nur um sich vor Verzweiflung die Haare ausreißen zu können. Denn er wußte nicht, welches Rätsel das beste sei. Die arme Prinzessin aber mußte Tag und Nacht die Rätsel vorlesen und auf jedes »Jaja« sagen.

Das wurde ihr denn doch zu bunt. Deshalb ging sie zu ihrem Herrn Vater und sprach:

»Euer Majestät wollen geruhen zu bedenken, daß doch alle diese Rätsel eigentlich nur einunddieselbe Frage sind. Aber es ist gar nicht bewiesen, daß diese Frage auch die überflüssigste ist, denn sonst hätte mir die Fee Kräkeleia sicher schon ihr Zeichen gegeben.«

»Potz Blitz«, sagte Hähäh, und schlug sich vor seinen allerhöchsten Schädel, »da hast du Recht, meine Tochter.«

»Sehr wahr«, bemerkte der Großvezier. »Dies kann unmöglich die unnützeste Frage sein.«

»Das hab' ich mir gleich gedacht«, meinte der Unteroberhof- brahmine, »ich wollte es nur nicht sagen; aber wir waren offenbar auf dem Holzwege.«

Und nun sahen alle ein, daß sie einen kolossalen Unsinn ausgebrütet hatten. Der Staatsrat erließ ein Gesetz, daß bei Todesstrafe alles Rätselmachen von jetzt ab verboten sei. Die Sechsunddreißig Millionen Rätsel wurden in einem großen Freudenfeuer verbrannt, und der Staatsanwalt fuhr im ganzen Lande umher und fahndete überall auf Rätsel. Aber natürlich fand er keines mehr. Der Oberhofgrundsatzmacher jedoch, welcher die ganze Sache angestiftet hatte, bekam die engsten Stiefel, die aufzutreiben waren, mit Gold gefüllt und mußte darin die Landesgrenze überschreiten.

Die Prinzessin war nun zwar die Rätsel los, aber im Übrigen war ihr nicht geholfen. Da ihr niemand im ganzen Königreiche die überflüssigste Frage der Welt zu sagen wußte, so fing sie an, selbst darüber nachzugrübeln. Oft schickte sie ihre Hofdamen fort und ging allein in dem großen, weiten Parke spazieren, der von einer unübersteigbaren Mauer umschlossen war.

Mitten in diesem Parke befand sich ein Hügel, darauf stand ein uralter Turm. Rings umher blühten die wilden Rosen und bunte Falter spielten um ihre Kelche. Hier wandelte die Prinzessin am liebsten, und ihre traurigen Augen glitten oft an dem grauen Gemäuer vorüber und an der seltsamen Gestalt, die vor der Tür des Turmes saß und mit weltfernem Blick in die Weite sah. Wenn aber die Prinzessin sich ab wandte, so folgten ihr die Augen des Wächters, und es glänzte darin geheimnisvoll, wie wenn der Nachthimmel sich im dunklen Bergsee spiegelt.

In dem Turme hauste einsam und abgeschieden von der ganzen, Welt der Oberhofkrondiamantenzerklopfer. Es lag nämlich unter dem Turm in einem festen Gewölbe der größte Schatz des Königreichs, wie es keinen zweiten gab auf der Erde. Das war ein funkelnder Diamant, rein und weiß, und so groß wie ein Menschenherz. Niemand durfte ihn sehen und niemand hatte ihn gesehen, auch der König nicht. Niemand auch konnte in das Gewölbe dringen, vor welchem ein Zauberschloß befestigt hing, und außerdem war es jedermann verboten, den Turm zu betreten oder mit dem Oberhofkrondiamantenzerklopfer zu sprechen. Und dieser durfte nichts wissen von dem, was in der Welt vorging. Denn wenn von den Stimmen der Menschen oder dem Geräusch des Tages etwas bis zu dem Stein gedrungen wäre, so hätte der Stein blind werden müssen.

In einer schlaflosen Nacht war nun aber dem König eingefallen, daß einmal der Feind eindringen und sich des Schatzes bemächtigen könne. Und da der König bei Nacht ein sehr kluger Mann war, so fiel ihm noch weiter ein, daß es das Sicherste sei, jemand anzustellen, der nichts weiter zu tun habe, als darauf zu warten, daß einmal der Feind käme. Dann sollte er mit dem Zauberschlüssel, der an der Wand hing, das Gewölbe aufschließen und mit dem großen Hammer daneben den Stein in Stücke schlagen. Denn der Feind sollte auch seinen Ärger haben. Und deswegen hatte er das Amt des Oberhofkrondia- mantenzerklopfers geschaffen.

Da aber niemand Oberhofkrondiamantenzerklopfer werden wollte, so ernannte er dazu seinen jüngsten Hirtenbuben. Der saß nun schon zehn Jahre in oder vor dem Turme und wartete. Weil er gar nichts zu tun hatte, so ging seine Seele in der weiten Welt spazieren, und weil er mit niemand sprechen durfte, so sprach er mit den Rosen am Hügel und mit den Wolken, die vorüberzogen, und in der Nacht mit den lichten Himmelssternen. Der Stein im Gewölbe aber durchstrahlte ihn mit einem unsichtbaren Lichte, und er wußte es nicht.

Als nun die Prinzessin eines Tages von dem Turm fortging, wandte sie sich einmal plötzlich um und sah, daß die Augen des Oberhofkrondiamantenzerklopfers auf ihr ruhten, und es war, als läge eine tiefe Frage in ihnen. Da dachte Jaja, daß es doch ihre Pflicht sei, auf alle Fragen zu achten, die sich ihr darböten, ob nicht etwa die überflüssigste dabei sei. So ging sie denn noch einmal am Turm vorüber; da sie aber den Jüngling nicht anreden durfte, so konnte sie ihn nur mit ihren Augen fragen; und der Jüngling sah sie wieder an, aber er sagte nichts.

Das ging nun so viele Tage lang. Immer häufiger wandelte die Prinzessin am Diamantenturm, und immer häufiger begegneten ihre fragenden Blicke den fragenden Augen des Oberhofkrondiamantenzerklopfers, und wenn sie beide wieder allein waren, zerbrachen sie sich den Kopf, was wohl die fragenden Blicke zu bedeuten hätten. Von dem vielen Gehen aber bekam die Prinzessin einen zarten Anflug von einem ganz, ganz kleinen Hühnerauge, und darüber war sie sehr glücklich. Denn erstens mußte sie dabei merkwürdigerweise immer an den Jüngling mit den dunkeln Augen denken, und zweitens hatte ihr die Fee Kräkeleia sagen lassen, wenn sie auf dem richtigen Wege nach der unnützen Frage sei, so werde sie es an ihren Zehen spüren. Endlich faßte sich Jaja ein Herz, und in der Meinung, daß es ihr, als der Prinzessin, doch nicht gleich an den Kopf gehen würde, wenn sie das Gebot überträte, fragte sie den Ober- krondiamantenzerklopfer äußerst gnädig: »Warum siehst- du mir nach, wenn ich vorübergehe?« Der Jüngling schwieg eine Weile ganz erschrocken; denn seit zehn Jahren hatte ihn niemand angeredet, und nun gar eine so schöne junge Dame; dann sagte er mit leiser, wohllautender Stimme:

»Ich blicke dir nach, du Süße,
Und tausend, tausend Grüße
Send' ich dir zu von fern;
Und danke betend wieder,
Daß du uns stiegst hernieder
Zu wandeln auf diesem Stern.«

Die Prinzessin errötete ein wenig. Aber da auf einmal eine zweite Zehe sie zu schmerzen anfing, blieb sie stehen und fragte:

»Weißt du denn nicht, wer ich bin?«

»Nein«, erwiderte der Jüngling.

»Willst du mich etwas fragen?« fuhr sie fort. Und da der Jüngling schwieg, setzte sie hinzu: »Ich bin die Prinzessin Jaja.«

»Woher weißt du das?« fragte der Jüngling.

Nun schwieg die Prinzessin höchlichst überrascht. Alles hatte sie schon im Stillen in Frage gestellt, Sonne und Mond und den König Hähäh und sogar ihr Schoßhündchen Fiffi. Aber ob sie selber sei, das war ihr noch nicht eingefallen zu bezweifeln.

»Alle Menschen sagen es«, erwiderte sie endlich.

»Mir sagt es niemand«, sprach der Jüngling. »Ich weiß nichts von einer Prinzessin Jaja. Ich weiß nur, daß ich etwas Liebliches sehe und höre, und daß mir jetzt wohler ist, als wenn ich mit den Blumen und Wolken und Sternen rede. Warum muß es außerdem noch eine Prinzessin Jaja geben? Hier ist'mein Glück und sonst weiß ich nichts.«

»Aber ich bin doch da!« rief die Prinzessin und trat mit dem Fuße auf. Ach, das tat weh! Und nun war sie böse, daß der Oberhofkrondiamantenzerklopfer an ihrer Existenz zweifelte. Sie drehte ihm den Rücken, ging mühsam nach Hause und zog sich Schlafschuhe an.

Aber schlafen konnte sie nicht. War sie vielleicht wirklich nicht da? Fast wollte es ihr so scheinen – es war alles ganz anders als sonst. So fern und fremd, als wenn es nicht zu ihr gehöre, als gehöre sie sich selbst nicht mehr. Und es war auch alles so gleichgültig, mit Ausnahme – ja mit Ausnahme – Wenn sie nur morgen wieder ausgehen könnte!

Was klang so leise vor ihrem Ohr wie ein Sang aus weiter, weiter Ferne?

»Der Tag entschwand, die Dämmerschatten schleichen,
Und immer muß ich fern und einsam sein?
Nur meine Träume können dich erreichen –
Ich bin allein.

Zum Rosenhügel sah ich einst dich schreiten,
Mein Glück entglomm aus deiner Augen Schein –
Warum entfloh es in verlor'ne Weiten,
Und war doch mein?

Mit deinem Herzen brich die Raumesschranke,
Laß mich in meinem Dunkel nicht allein!
Tritt frei zu mir, du holder Lichtgedanke,
Und bleibe mein!« –

Das matte Ampellicht und der weiße Mondstrahl, der sich durch die Vorhänge schlich, schienen ein Zwiegespräch zu flüstern.

»Siehst du die Prinzessin Jaja?« fragte die Ampel.

»Nein«, sprach der Mond, »ich sehe nur den Jüngling am Diamantenturm, der zu mir herauf starrt.«

»Im Vertrauen«, sagte die Ampel, »ich sehe sie auch nicht mehr. Es liegt da zwar so etwas, das so aussieht; aber ich blicke in ihre Seele, die ist nicht mehr da, sie ist auf deinen Strahlen zum Diamantturm gezogen.«

Die Prinzessin fuhr in die Höhe und klingelte.

»Der Oberhofbibliothekar!« herrschte sie die Kammerzofe an. »Er soll mir sofort den Gothaischen Hofkalender bringen!« Da half nun nichts, der Oberhofbibliothekar, der glücklicherweise noch im Kasino saß, mußte heraus und auf die Bibliothek laufen. Zum Glück konnte er das Buch ausnahmsweise finden, denn es war das einzige Buch, welches die Bibliothek besaß, und so konnte er sich nicht irren.

Jaja riß ihm den Kalender aus der Hand und schickte ihn fort. Sie schickte alle fort.

»Ich will wissen«, rief sie aus, als sie allein war, »ob ich existiere oder nicht! Hier muß es stehen, oder ich kann es nicht beweisen.«

Sie suchte und blätterte die ganze Nacht. Die Sonne stieg empor, da war sie mit dem Buche zu Ende, aber das Königreich Drüberunddrunter, den König Hähäh und die Prinzessin Jaja hatte sie nicht gefunden. Eine schöne Redaktion!

Sie stand nicht im Gothaischen Hofkalender!

»Man kann es nicht beweisen«, rief sie unter Tränen, »daß ich wirklich bin. O Kräkeleia, existiere ich?«

Die Decke öffnete sich, Dysthymos Kräkeleia erschien und überreichte Jaja zwei große Filzschuhe.

»Die Frage hast du gefunden!« rief Kräkeleia hämisch lachend. »Nun magst du diese Schuhe tragen, bis dir auch die Frage gelöst ist, ob du. existierst.«

Der König, welcher über diese Frage höchst entsetzt war, die Minister und sämtliche Gelehrten des Königreiches bemühten sich zu beweisen, daß die Prinzessin existiere – aber sie konnten sie nicht überzeugen. Die Schmerzen an den Füßen verschwanden nicht. Alle Mittel waren vergebens. Die Prinzessin wurde bleich und trübsinnig. Nur wenn sie sich in die Nähe des Turmes tragen ließ und dann ein paar Schritte zwischen den Rosen machte, atmete sie wieder auf und vergaß ihren Kummer. Aber sie wagte den Jüngling nicht mehr anzureden, nur ganz von der Ferne warf sie einen Blick auf ihn. Auch er sah so traurig aus!

»Was machen wir?« sagte der König zum Großvezier.

»Euer Majestät«, erwiderte dieser, »geruhten soeben allerhöchst richtig zu bemerken, daß Ihre königliche Hoheit die Prinzessin – heiraten müsse.«

»Sehr wahr«, sagte der König, »da habe ich wieder etwas sehr Gutes bemerkt.« »Aber«, fuhr der Großvezier fort. »Ew. Majestät geruhten zu wissen, daß die Prinzessin keinen Gemahl bekommt, ehe nicht die bewußte Frage gelöst ist.«

»Sehr gut! Was sagte ich doch gleich weiter?«

»Daß es demnach in allen Königreichen auszuschreiben sei: Wem es gelinge, der Prinzessin Jaja von Drüberunddrunter zu beweisen, daß sie existiere, der solle die Prinzessin haben und das halbe Königreich dazu.«

»Das halbe?« fragte der König. »Sagte ich nicht ein Drittel?«

»Das halbe ist das Gewöhnliche«, meinte der Großvezier, »und wir können uns nicht lumpen lassen – sagten Ew. Majestät.«

»Nun gut denn!«

Alsbald drängten sich die Prinzen der benachbarten Königreiche am Hofe von Drüberunddrunter.

Der Prinz von Sensualien führte seinen Beweis mit großem Aufwande an Pracht und Schaukunst. Ein Orchester und ein Chor von tausend Stimmen brachten der Prinzessin ein Morgenkonzert; er meinte, wenn sie das höre, so werde sie doch wohl merken, daß sie da sei. Die Prinzessin aber sagte nur zu ihrer Dame: »Auf welchem Ohr klingt es mir?« Er sandte ihr drei Kubikmeter Rosen, aber die Prinzessin sagte nur: »Es riecht nach dem Demantturm.« Er ließ ihr zu Ehren ein Feuerwerk abbrennen, das fünf Millionen Thaler kostete. Aber sie sagte nur: »Ich habe Funken vor den Augen.«

Da rief der Prinz:

»Nun sehen Sie doch, daß Sie existieren! Wie könnten Sie sonst Ohrensausen und Funkensehen haben?«

»Das beweist nichts«, entgegnete die Prinzessin. »Soviel weiß ich längst, es ist hier etwas, das hört, das riecht, das sieht. Ich rede sogar und kann kratzen, und mir tun die Zehen weh. Aber daß ich es bin, daß ich existiere, das ist ganz etwas anderes. Ich nehme mich nur wahr, wie ich mir erscheine, nicht wie ich bin. Es fehlt mir etwas, ich weiß nur nicht was. Früher war ich Jaja, jetzt bin ich nicht mehr Jaja – ich bin zerflossen, zerstreut, zergangen in alle Dinge – ich bin nicht Ich und wer mich wiederbringt, der soll mich haben.«

Da kam der Prinz von Intellektel und bat um eine Unterredung.

»Prinzessin«, sagte der Prinz, » denken Sie?«

»Ich weiß nicht«, sagte Jaja.

»Wenn Sie nicht wissen, so denken Sie doch. Und wenn Sie denken, so sind Sie. Und wenn Sie sind, so sind Sie die Meine!«

»Fehlgeschossen«, entgegnete die Prinzessin. »Ich habe auch Philosophie gelernt. Wenn ich denke, so bin ich darum noch keine Substanz. Sie können nur sagen, es denkt in mir. Und es denkt in mir, daß Sie sehr langweilig sind.«

Hierauf kam der Prinz Willibald von Moralien.

»Prinzessin«, sagte der Prinz, »wollen Sie mich?«

»Nein«, entgegnete die Prinzessin.

»Also Sie wollen doch etwas?«

»Ja, mich selbst.«

»Also sind Sie doch ein wollendes Wesen?«

»Daß weiß ich nicht.«

»Sie können doch nicht wollen, wenn nicht ein Zentrum, eine Einheit vorausgesetzt ist, auf welche das Gewollte bezogen ist, als auf dasjenige, welches durch das Wollen in dieser Einheit zu realisieren ist? Denn dies heißt doch Wollen? Nicht wahr? Oder was verstehen Sie sonst unter Wollen? Wollen Sie mir dies definieren?«

»Das habe ich nicht nötig«, sagte die Prinzessin. »Sie sehen doch, ich will mich, und ich habe mich doch nicht. Also was wollen Sie?«

Da mußte der Prinz gehen.

Und so kamen der Prinzen noch viele und mußten wieder abziehen, wie sie gekommen waren, d. h. ohne die Prinzessin; und es war nur ein Glück, daß ihre Personen vor den Augen Jajas nicht mehr Gefallen fanden, als die Beweise für das Dasein der Prinzessin vor ihrem Verstande. Denn eine unglückliche Liebe können wir jetzt nicht mehr brauchen, oder unser Märchen müßte drei Schlüsse haben, wie es' drei Anfänge hatte. Zum Glück aber hat es nur einen. Und es hat wirklich einen!

Allmählich verliefen sich die Prinzen, und die Ärzte kamen. Das war noch viel schlimmer. Denn die Prinzessin wurde immer kränker und die Füße immer schmerzhafter; sie konnte die Filzschuhe nicht mehr ablegen. Der Oberhofsanitätsrat gedachte schließlich, die Sache sehr einfach zu erledigen. Wenn die Frage gelöst wäre, so würden die Filzschuhe verschwinden. Also umgekehrt, wenn man der Prinzessin die Füße abnähme, so wären die Schmerzen auch fort samt den Schuhen – und daß müßte demnach auf dasselbe herauskommen.

Die Prinzessin, der schon alles gleichgültig geworden war, erklärte sich mit der Operation einverstanden. Aber ehe sie ihre Füße darangab, wollte sie noch einmal Gebrauch davon machen. Und so ging sie in ihren Filzschuhen zum Demantturm.

Dort saß noch immer der Oberhofkrondiamantenzerklopfer und wußte nichts von der Welt und den Sorgen der Prinzessin. Nur daß er die Holde gar nicht mehr sah, die sonst hier wandelte, bekümmerte ihn. Er fragte sich, warum sie ihm wohl zürne, da ward er traurig. Dann dachte er wieder daran, wie schön sie sei, da ward er froh. Und in diesem Wechsel gingen seine Tage hin, und jeden Tag sprach er von Jaja zu den Rosen, die hier nie verblühten. Und gerade als die Prinzessin in ihren Filzschuhen ganz leise heraufstieg, sagte er:

»Im Dunkel meiner Seele quillt
Empor die wirre Flut der Fragen –
Doch klar und heiter naht dein Bild
Wie Sonnenglanz in Nebeltagen.

Laß deiner lieben Augen Licht
Dem fernen Träumer wieder scheinen,
Und meinem Glücke zürne nicht,
Daß es umschlossen in dem deinen!

O wüßtest du, wieviel du mir
In deinem Lächeln schon gegeben!
Nur meine Wünsche danken dir,
Die um dein Leben heimlich schweben.

Sei glücklich! Wie ein still Gebet
Klingt mir das Wort im Herzensgrunde,
So oft zu dir mein Denken geht,
Und also klingt es jede Stunde:
Sei glücklich!«

Die Prinzessin atmete tief, und zwei große Tränen traten in ihre Augen.

Der Jüngling erschrak, als er sie jetzt plötzlich erblickte, sie aber winkte ihm freundlich und setzte sich auf die Steinbank vor dem Turme.

»Wer soll glücklich sein?« fragte sie.

»Du«, sagte er und sah sie an, daß sie die Augen niederschlagen mußte.

»Aber ich bin ja nicht«, entgegnete sie traurig.

»Du bist nicht?« fragte er ganz erstaunt.

»Die Prinzessin Jaja ist nicht, sagtest du selbst.«

»Daß weiß ich nicht, ob sie ist. Aber du bist, hier bist du, bist hiergewesen jeden Tag und jede Stunde!«

»Hier war ich?« fragte sie mit bebender Stimme. »Ist das wahr?«

»So wahr, wie ich bin. Denn du bist die Luft, die ich atme, du bist der Lichtglanz, den ich schaue, du bist das Lied, das ich singe, und das Leben, das ich lebe – du bist alles in Einem, du bist mein Ich.«

Da sprang die Prinzessin in die Höhe, denn auf einmal waren die Filzschuhe verschwunden, und mit einem Jubelschrei rief sie:

»Ich bin! Ich bin!«

Der Oberhofkrondiamantenzerklopfer aber nahm die Prinzessin in die Arme und führte sie in den Turm. Und dort saßen sie und kümmerten sich nicht darum, wie es in Drüberunddrunter ging.

Als es aber herauskam, wohin die Prinzessin verschwunden war, und man sie mit Gewalt holen wollte, da trat der Oberhofkrondiamantenzerklopfer in das Gewölbe und pochte mit seinem Hammer an den Stein. Der sprang auf, und sie konnten hineingehen, und es war ein herrliches Schloß darin und ein blühender Zaubergarten, von dem wußte kein Mensch. Da waren sie nun und brauchten gar nichts zu beweisen. Und so lebten sie herrlich und in Freuden.

Als nun der König die Prinzessin im Turme suchte, fand er dort niemand als die Fee Kräkeleia, die sagte zu ihm:

»Eure Majestät geruhen zu bemerken, daß die Prinzessin jetzt einen Mann bekommen hat.« »Richtig, richtig«, erwiderte der König, »wie hieß doch gleich der Prinz?«

» Glaube!« sagte die Fee und verschwand.

»Sehr gut«, meinte der König. »Glaube? Glaube? Wo liegt doch gleich das Königreich? Nun es wird ja wohl ihm Hofkalender stehen.«

Damit ging er heim und freute sich, daß er das halbe Königreich erspart hatte.


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