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22. Kapitel
Auf die Veröffentlichung der Depesche Torms folgten heiße Tage für Isma. Glückwünsche, Anfragen und Besuche, teilnahmsvolle und neugierige, drängten sich. Einige Zeitungen schickten ihre Reporter, um ihren Lesern möglichst genau die Ansicht von Frau Torm über die Zustände auf dem Nordpol auseinanderzusetzen. Soweit Isma die Besuche nicht ablehnen konnte, beschränkte sie sich darauf zu sagen, sie teile die Vermutungen, welche Friedrich Ell sogleich am Tag nach dem Erscheinen des Telegramms in der Vossischen Zeitung ausgesprochen habe.
Über die Möglichkeit einer Besiedelung des Pols durch die Marsbewohner erhob sich ein heftiger Streit in den Tagesblättern. Ein großer Teil des Publikums fand die Aussicht höchst interessant, welche sich für einen Verkehr mit den Martiern eröffnete. Andere hätten am liebsten die ganze Depesche für Schwindel erklärt; da dies aber nicht anging, behaupteten sie, Torm müsse sich jedenfalls getäuscht haben. Es wäre ja möglich, daß es Bewohner des Mars gebe, sie könnten aber nicht auf die Erde gelangen. Und selbst wenn sie das könnten, so wäre nicht einzusehen, warum sie nicht nach Berlin oder Paris kämen, sondern sich das Vergnügen machten, eine Riesenerdkarte am Nordpol zu konstruieren. Ein berühmter Physiker erklärte es als absolut unmöglich, daß menschenähnliche Wesen jemals von einem Planeten nach dem andern durch den Weltraum hindurchdringen könnten. Darauf stellte ein Geologe eine höchst geistreiche Hypothese auf, derzufolge sich notwendigerweise am Pol ein Vulkan bilden müsse, aus welchem von Zeit zu Zeit ein Teil des Erdinnern herausquelle. Die Lavaablagerungen seien infolge einer zufälligen Ähnlichkeit von Torm für eine Karte gehalten worden. Endlich erklärte sich der Redakteur der Geographischen Mitteilungen dahin, daß es keinen Zweck habe, Vermutungen aufzustellen, weil man überhaupt erst weitere Nachrichten abwarten müsse. Der Mann hatte recht, fand aber am wenigsten Beifall.
Die Friedauer fühlten sich mehr wie je befriedigt. Die Beachtung, welche ihre Stadt in der ganzen Welt fand, gab eine erhabene Veranlassung, um Glossen über Frau Torm daran zu knüpfen, wenn sie ihr in der Nähe der Ellschen Besitzung begegneten oder Ell an ihrer Seite durch die Gänge des Parkes wandelte; das taten sie zwar schon seit Jahren, aber jetzt war es doppelt schön, noch dieses Privatwissen über das allgemeine hinaus zu haben. Isma selbst kümmerte sich darum nicht. Mehr wie je war ihr das Urteil der Menschen gleichgültig geworden, während ihr der tägliche Verkehr mit Ell allein einigermaßen Beruhigung gewähren konnte. Ell hatte sie schon geliebt und um sie geworben, als sie noch als Isma Hilgen bei ihrer früh verwitweten Mutter in Berlin lebte. Damals hatte sie seine Bewerbung zurückgewiesen. Die Neigung des seltsamen Mannes konnte sie zwar nicht unberührt lassen, aber von der Fremdartigkeit seines Wesens war sie immer wieder abgestoßen worden. Als sie mit Torm sich verlobte, war Ell in die Fremde gegangen. Nach seiner Rückkehr hatte er sich ihr in uneigennützigster Freundschaft genähert. Sie wußte, daß er sie liebte, und sie ahnte die Kämpfe, die er im stillen mit seiner Leidenschaft führte. Aber sie hing an ihrem Mann mit inniger Zuneigung, und sie hatte Ell bald im Anfang gesagt, daß daran eine Änderung niemals eintreten würde. Damals gab er ihr das Versprechen, daß sie niemals durch ihn eine Störung ihres Glückes, ja nur eine trübe Stunde erfahren solle. Und dies Versprechen hatte er die Jahre hindurch gehalten. Wohl hatte manche andere sein Interesse gewonnen, und obwohl Isma sein gutes Recht dazu anerkannte, hatte sie sich dann doch eines schmerzlichen Gefühls nicht erwehren können. Aber sie wollte sich über ihr Gefühl keine Rechenschaft geben. Sie wußte, daß er ihrer Nähe, ihrer Freundschaft und ihres Glückes bedurfte, und jene seltsame Abstraktionsgabe, das Erbteil der Martier, in seiner Vorstellung sein Gefühl zu trennen von den harten Pflichten der Wirklichkeit, ermöglichten es Ell, als ein treuer und aufopfernder Freund ihr zu dienen. So herrschte zwischen beiden ein unbedingtes Vertrauen, das Isma die volle Sicherheit gab, auch sein Freundschaftsverhältnis mit Torm könne unter ihrem Verkehr nicht leiden. Zum Glück waren alle in der Lage, über das Gerede derer, die sie nicht kannten, die Achseln zucken zu können.
Es war am achten September, am dritten Tag nach der Ankunft des Tormschen Telegramms. Gegen Abend hatte Ell seinen gewohnten Spaziergang mit Isma gemacht, die über das Ausbleiben jeder weiteren Nachricht lebhaft beunruhigt war. Auch Ell war es schwer geworden, ihr Mut zuzusprechen. Denn er sagte sich, daß man allerdings eine Nachricht hätte erwarten dürfen. Die Expedition hatte eine Anzahl Brieftauben mit, und man mußte annehmen, daß sie alsbald über die weitere Richtung ihrer Reise eine Depesche absenden würde. Doch die geflügelten Boten konnten auf dem weiten Wege leicht verunglücken. Es ließ sich zunächst gar nichts tun als geduldig warten.
Eine milde Spätsommernacht lag über der Stadt, alles in tiefe Dunkelheit begrabend. Der Mond war noch nicht aufgegangen, ein leichter Wolkenschleier verhüllte das Sternenlicht. Regungslos streckten die hohen Bäume ihre dichtbelaubten Zweige aus und deckten mit undurchdringlicher Finsternis die Rasenplätze, die sich zwischen ihnen auf dem Hügel hinbreiteten, wo Ell seine Warte erbaut hatte. Es war schon spät, und nur aus der hohen geöffneten Tür, die von Ells Arbeitszimmer nach der weinumlaubten Veranda führte, schimmerte noch Licht. Von dort ging eine Freitreppe in den Garten. Ell war an seinem Schreibtisch mit einer Arbeit beschäftigt, die er schon seit Jahren betrieb, einer Darstellung der Verhältnisse der Marsbewohner und einer Anleitung, ihre Sprache zu erlernen. Er wollte diese Bücher in dem Augenblick veröffentlichen, in welchem die ersten Martier mit den Menschen zusammenträfen.
In seine Arbeit vertieft, vernahm er nicht, daß langsame Schritte über den Kiesweg des Gartens sich nahten, daß jemand die Treppe der Veranda erstieg. Erst als der Tritt auf der Veranda selbst erklang, drehte er sich um. In der Tür stand die Gestalt eines Mannes.
»Wie kommen Sie in den verschlossenen Garten?« fuhr Ell auf, indem er nach der Waffe auf seinem Schreibtisch griff.
Seine vom Licht des Arbeitstisches geblendeten Augen konnten nicht sogleich erkennen, wen er vor sich habe.
»Ich bin es!« sagte eine ihm wohlbekannte Stimme.
Ell zuckte zusammen und sprang empor. Er faßte mit den Händen nach seinem Kopf.
»Eine Halluzination«, war sein Gedanke.
Die Gestalt trat näher. Ell wich zurück.
»Ich bin es wirklich, Herr Doktor, es ist Karl Grunthe.«
»Grunthe!« rief Ell. »Ist es möglich? Wo kommen Sie her?«
»Direkt vom Nordpol, den ich heute gegen Mittag verließ.«
Ell hatte ihm die Hände entgegengestreckt. Bei diesen Worten trat er wieder zurück.
»Ich will Ihnen etwas sagen, Grunthe«, begann er. »Ich bin bei der Arbeit eingeschlafen, ich träume Sie können es ja nicht sein. Das sehen Sie doch ein. Das Tor ist ja auch verschlossen, Sie können nicht über die Mauer klettern.«
Grunthe trat jetzt auf ihn zu. Er schüttelte ihm die Hände. »Glauben Sie's!« sagte er. »Sie träumen nicht, Sie wachen. Es ist, wie ich sage. Erlauben Sie mir ein Glas Wasser, richtiges, frisches Quellwasser, das habe ich vermißt. Hier, trinken Sie auch. Kommen Sie, setzen Sie sich. Ich will Ihnen alles erklären. Aber so schnell geht das nicht.«
Ell faßte Grunthe an den Schultern und schüttelte ihn. Er lachte. Dann setzte er sich und starrte Grunthe noch einmal an.
Grunthe zog seine Uhr und verglich sie mit dem Chronometer in Ells Zimmer.
»Keine Abweichung«, sagte er.
»Sie sind es doch, Grunthe!« rief Ell. »Jetzt glaube ich es. Verzeihen Sie, aber nun bin ich wieder klar. Um Gottes willen, sprechen Sie, schnell! Wo ist Torm?«
»Torm ist nicht zurückgekehrt«, sagte Grunthe langsam, indem sich die Falte zwischen seinen Augen vertiefte.
Ell sprang wieder auf.
»Er ist verunglückt?«
»Ja.«
»Tot?«
»Wahrscheinlich. Der Ballon wurde in die Höhe gerissen. Wir verloren das Bewußtsein. Als wir wieder zu uns kamen, war Torm verschwunden. Er ist bis jetzt nicht wiedergefunden worden.«
»Bis jetzt? Das heißt, Sie haben noch eine Hoffnung?«
»Auch der Fallschirm fehlte, es ist möglich, daß er sich damit gerettet hat aber sehr unwahrscheinlich. Wohin sollte er gekommen sein?«
Ell trat an die Tür und starrte in die Nacht, wortlos dann drehte er sich plötzlich um.
»Und Sie, Grunthe?« rief er. »Und Saltner?«
»Wir wurden von den Bewohnern der Polinsel gerettet. Mich brachten sie hierher in einem Luftschiff. Saltner ist noch am Pol, er reist morgen auf den Mars. Da sind seine Briefe, da sein Tagebuch.« Er legte zwei Päckchen auf den Tisch.
»So sind sie da?« fragte Ell fast jubelnd.
»Sie sind da. Wir haben Ihren Sprachführer gefunden. Und wenn Sie sich gefaßt haben, so kommen Sie mit mir. Ich bin nicht allein, meine Begleiter sind hier.«
»Wo? Wo?«
»Auf dem mittleren Rasenplatz neben dem Sommerhäuschen liegt das Luftschiff. Man erwartet Sie!«
Ell wollte hinausstürzen. Die Füße versagten ihm. Er setzte sich wieder.
»Ich kann noch nicht. Bitte, erzählen Sie mir erst noch etwas. Dort steht Wein, geben Sie mir ein Glas!«
Grunthe holte den Wein. Dann schilderte er kurz ihr Schicksal am Pol, die Aufnahme bei den Martiern, die Station des Ringes. Allmählich wurde Ell ruhiger.
Er holte eine Laterne.
»Gehen wir!« sagte er.
Grunthe nahm die Laterne. Sie durchschnitten die dunkeln Gänge des Gartens. An dem bezeichneten Rasenplatz angekommen, blieb Grunthe stehen und erhob die Laterne. Ein dunkler Körper zeigte sich undeutlich in der Mitte des Platzes. Grunthe gab die Losung: »Bate. Grunthe it Ell.«
Darauf setzte er in der Sprache der Martier hinzu: »Wir sind vollständig ungestört und sicher. Sie können Licht machen.«
Seit dem Tod seines Vaters hatte Ell kein martisches Wort mehr vernommen. Die Laute berührten ihn überwältigend. Jetzt sollte er den Numen, den Stammesgenossen des Vaters entgegentreten.
Ein mattes Licht durchglänzte den Bau des Luftschiffs und ließ eine Falltreppe erkennen, welche auf das Verdeck führte. Ell folgte dem vorankletternden Grunthe. Oben erwartete sie der wachhabende Steuermann und geleitete sie in das Innere des Schiffes hinab. »Warnen Sie den Herrn«, sagte er zu Grunthe, »wir haben Marsschwere.«
»Ich danke«, versetzte Ell, »ich passe auf.«
Der Steuermann sah den martisch redenden Menschen verwundert an, ging aber schweigend voran. Sie durchschnitten einen schmalen Gang, zu dessen beiden Seiten die Mannschaften in Hängematten nach ihrer anstrengenden Fahrt ausruhten, und befanden sich vor der Tür der Kajüte. Sie öffnete sich. Der Steuermann trat zurück; Grunthe und Ell standen in dem hellerleuchteten Raum.
Ell schrak zusammen und drohte das Gleichgewicht zu verlieren, da er seine Bewegungen der geringen Schwere noch nicht anzupassen vermochte. Von Grunthe gestützt, starrte er sprachlos mit weitgeöffneten Augen auf die hohe Gestalt, die ihm gegenüberstand.
»Vater«, wollte es sich auf seine Lippen drängen
»Mein Freund, Dr. Friedrich Ell«, sagte Grunthe vorstellend. »Der Herr Repräsentant der Marsstaaten, Ill.«
»Ill re Ktohr, am gel Schick Ill, Familie Ktohr aus dem Geschlechte Schick«, sagte Ill mit Betonung, indem er Ell scharf beobachtete. Auch ihm klopfte das Herz, er sah seine Vermutung bestätigt. »Ich bin«, setzte er hinzu, »der jüngste Bruder des Kapitän All, der im Jahre«
»Mein Vater!« rief Ell. »Er war mein Vater! Und so sah er aus, nur gebeugter vom Druck«
Ill schloß seinen Neffen in die Arme und ließ ihn dann sanft auf den Diwan gleiten.
»Ich dachte es mir«, sagte er, »als die erste Nachricht zu uns kam, daß ein Ell auf der Erde unsre Sprache kenne. Darum erbot ich mich freiwillig hierherzugehen, als einer von uns den Auftrag übernehmen sollte. Laß dich noch einmal ansehen! Welch ein Glück, dich zu finden! Und nicht bloß für uns. Nun habe ich die Hoffnung, daß sich die Planeten verstehen werden.«
*
Stunden vergingen, und noch immer saßen der Oheim und sein Neffe in der Kajüte des Raumschiffes in eifrige Besprechungen vertieft. Grunthe hatte sich sogleich nach der Erkennungsszene zurückgezogen. Er war nach Torms Arbeitszimmer gegangen. Das Bedürfnis nach Schlaf fühlte er nicht, denn fast während der ganzen Fahrt hatte er in Schlummer gelegen. Erst in der Abenddämmerung hatte man ihn geweckt. Er sah unter sich das Häusermeer von Berlin, welches das Luftschiff in weitem Bogen umkreiste. Man ließ sich jetzt Erklärungen von ihm über die Bedeutung der hervorragenden Gebäude geben und dann den Weg nach Friedau zeigen, das man von Berlin aus mit dem Luftschiff in 25Minuten erreichen konnte. Man hatte jedoch im Dunkeln zu der Fahrt absichtlich eine Stunde gebraucht. Längere Zeit nahm dann die Landung in Anspruch, weil diese ganz langsam und geräuschlos vor sich gehen sollte. Die Martier wollten dabei nicht bemerkt werden, um nicht während ihrer Anwesenheit im Land irgendwie die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Sie wußten ja nicht, ob man sie nicht bei der Abfahrt stören könnte, und wollten auf alle Fälle jeden Konflikt vermeiden. Ob sie dagegen bei ihrer freien Fahrt in der Luft zufällig einmal gesehen wurden, darauf kam es ihnen jetzt nicht mehr an. Nachdem sie Grunthe zurückgebracht, mußte es ja doch bekannt werden, daß sie da waren und mit ihren Luftschiffen über die Erde fuhren. Nur ihre volle Freiheit wollten sie nicht aufs Spiel setzen.
Grunthe hatte sich in Torms Zimmer die Zeitungen der letzten Wochen zusammengesucht. Es war ihm ein Bedürfnis, sich über die Vorgänge bei den Menschen während der Zeit seiner Abwesenheit zu unterrichten. Aber wie engherzig und beschränkt kam ihm jetzt alles vor! Und dennoch, er war entschlossen, das Mögliche zu tun, um den Einfluß der Martier abzuwehren.
Die ersten Spuren der Dämmerung zeigten sich im Osten, als Ell mit fieberhaft leuchtenden Augen wieder eintrat.
»Sind sie schon fort?« fragte Grunthe, sich erhebend.
»Noch nicht.«
»Aber es wird bald hell.«
»Ill bleibt noch bis zur Nacht. Ich soll ihn begleiten, er will über die Hauptstädte Europas einen Überblick gewinnen. Aber ich kann heute früh noch nicht fort. In der Sache ist es eigentlich nicht recht zu zögern, aber ich kann nicht.«
»Sie dürfen freilich jetzt nicht fort. Wir müssen die Resultate der Expedition bekanntmachen. Sie sind dabei unentbehrlich.«
»Wir haben uns schon geeinigt. Ich will nur eben Anordnung treffen, daß heute niemand im Garten zugelassen wird. Auf den alten Schmidt können wir vertrauen, er wird die Tür geschlossen halten und wie ein Cerberus wachen. Mein Oheim ist mit dem Ruhetag einverstanden, den die Mannschaft wie er selbst nötig hat. Jetzt will er mir nur einmal die Leistungsfähigkeit des Luftschiffs bei größter Geschwindigkeit zeigen. Die Luft ist ganz still. Wir wollen uns Wien betrachten. In einer Stunde, noch vor Sonnenaufgang, sind wir zurück. Wir fahren jetzt nach Osten, über Wien wird es schon hell genug sein. Kommen Sie mit, wir können die Zeit zum Erzählen benutzen. Nachher frühstücken wir zusammen.«
Er sprach in großer Aufregung und suchte dabei nach seinem Mantel.
»Sie brauchen weiter nichts mitzunehmen«, sagte Grunthe. »Pelze sind im Schiff. Instruieren Sie nur Schmidt, daß er niemand einläßt. Ich aber will lieber hierbleiben.«
Ell weckte den Kastellan. Es dürfe niemand in den Garten. Auch die Sternwarte bleibe heute geschlossen. In besonderen Fällen oder wenn Bekannte kämen, solle man ihn selbst rufen. Er verlasse sich auf sein unbedingtes Schweigen über alles, was er etwa Außergewöhnliches sehe.
Der alte Mann, der schon seinem Vater gedient hatte und mit Ell nach Deutschland gekommen war, versprach sein Bestes. Seine Frau, welche auch die häusliche Bedienung für Ell führte, kam niemals über ihr eigenes kleines Gemüsegärtchen, das außerhalb der Gartenmauer lag, hinaus. Von ihr war keine Störung zu befürchten.
Ell begab sich nach dem Rasenplatz. Das Luftschiff war zur Abfahrt bereit. Die Lichter wurden gelöscht. Geräuschlos hob es sich senkrecht in die Höhe. Die Stadt lag im Schlummer, niemand bemerkte den dunkeln Körper, der in wenigen Augenblicken in der Dämmerung entschwunden war.
Ell saß stumm in seinen Pelz gehüllt und blickte durch die Robscheiben dem schnell emporsteigenden Frührot entgegen.
»Ein neuer Tag«, sagte er leise, »wirklich ein Tag! Ich fliege! Oheiliger Nu!«
Aber sie, Isma, was würde sie sagen? Er vergaß seine Umgebung. Das Herz krampfte sich ihm schmerzhaft zusammen. Wie sollte er ihr das Schreckliche mitteilen? Da ihm alles geglückt, da seine höchste Sehnsucht erfüllt, seine Heimat wiedergefunden war, da sollte ihr das Lebensglück entrissen werden? Er suchte sich in ihre Seele zu versetzen und vermochte es nicht. Er trauerte um den Freund, und inniges Mitgefühl mit der Freundin drängte die Tränen in sein Auge. Er sah sie die schmalen Hände ringen, er sah, wie ihre großen dunkelblauen Augen starr wurden. Er hätte sein Leben dafür gegeben, diesen Schmerz ihr abzunehmen, ihr den Verlorenen zu retten und wiederzubringen. Es war aussichtslos. Was vermochte er für sie zu tun? Und in allem Schmerz konnte er es nicht hindern, daß es wie eine leise Hoffnung ihn durchzog, ob es ihm nicht möglich sei, ihr das entschwundene Glück zu ersetzen. Er drängte den Gedanken zurück. Er dachte an seine nahen, großen Aufgaben. Aber die nächste war ja doch sie zu benachrichtigen.
Eine Frage Ills riß ihn aus seinen Grübeleien.
Zur Rechten erglänzte die Kette der Alpen im Licht der aufgehenden Sonne. Das Luftschiff breitete seine Schwingen aus und umkreiste, sich tiefer senkend, in weitem Bogen die Kaiserstadt an der Donau. Drei-, viermal strich es bis dicht über den Spitzen der Türme hin, dann erhob es sich wieder und floh vor den Strahlen der Morgensonne nach Nordwesten. Es erreichte Friedau, noch bevor der erste Sonnenstrahl die Kuppel der Sternwarte, des höchsten Punktes der Umgebung, vergoldete, und ließ sich langsam auf den Rasenplatz nieder.
Einige Arbeiter, die aufs Feld gingen, liefen herzu, aber da sie das Schiff hinter den Bäumen des Gartens verschwinden sahen, setzten sie ihren Weg wieder fort. Sie waren gewohnt, die Übungsballons der Luftschiffer bei Friedau aufsteigen zu sehen, und wunderten sich daher nicht weiter, daß einmal ein so sonderbarer Ballon hier niederging.