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12. Kapitel

Die Raumschiffer

Grunthe beschäftigte sich auf der Oberfläche der Insel mit Messungen. Was ihn sowohl wie Saltner besonders wunderte, war der Umstand, daß die vom Ballon aus beobachtete Erdkarte auf dem Dach der Insel selbst durchaus nicht sichtbar war. Wie kamen die Martier überhaupt auf die Idee, eine solche Riesenkarte anzubringen, und auf welche erstaunliche Weise war sie hergestellt? Aber gerade darüber konnten die Forscher auf ihre Fragen keine Auskunft erhalten.

Grunthe liebte es, sich soviel als möglich im Freien aufzuhalten, um sowohl die technischen Einrichtungen der Insel als auch die Erscheinungen der Natur am Nordpol zu studieren, ja er hatte schon mit Unterstützung einiger Martier Bootfahrten auf dem Binnenmeer und ebenfalls bis zum gegenüberliegenden Ufer vorgenommen, ohne jedoch auf weitere Spuren von Torm zu treffen. Er hatte dabei bemerkt, daß die Polinsel infolge ihrer versteckten Lage zwischen den übrigen höheren Inseln von den Ufern des Bassins aus überhaupt nicht wahrnehmbar und somit gegen zufällige Entdeckung geschützt war. So ernsthaft ihn diese Studien beschäftigten, war es ihm doch nebenbei sehr angenehm, mit einem triftigen Vorwand sich von dem Konversationszimmer fernzuhalten. Denn hier waren einen großen Teil des Tages über Se oder La, manchmal auch eine oder die andre der übrigen auf der Insel wohnenden Frauen anwesend, und die Aufgabe der Höflichkeit, sich mit diesen zu unterhalten, überließ er gern Saltner, der sich derselben mit Vorliebe unterzog. Im Freien dagegen war er ziemlich sicher, keiner von den Damen zu begegnen. Außerhalb der Schutzvorrichtungen, die sie von einem Teil der Erdschwere befreiten, war ihnen der Aufenthalt zu lästig; und sie wußten wohl, daß der schwerfällige Schritt und die gebeugte Haltung, die ihnen dort die eigene Körperlast auferlegte, ihre Anmut keineswegs erhöhten. Insbesondere den Menschen gegenüber, die sich hier ungezwungen in ihrem Element fühlten, zeigten sie sich nicht gern in dem Zustand physischer Unfreiheit.

Da Saltner wußte, daß sich Grunthe in der Nähe aufhielt, konnte er ihn leicht benachrichtigen.

Die Zahl der auf der Insel befindlichen Martier war nicht unbedeutend, sie mochte gegen dreihundert Personen betragen, worunter sich ungefähr fünfundzwanzig Frauen, aber keine Kinder befanden. Die Lebensweise dieser Kolonie entsprach nicht den Gewohnheiten der Martier auf ihrem eigenen Planeten; es waren nicht Familien, die sich hier angesiedelt hatten, sondern die Kolonisten bildeten eine ausgewählte Truppe mit militärischer Organisation, wie sie von den Martiern zur Vornahme wichtiger öffentlicher Arbeiten ausgerüstet wurde. Aber auch hier war dem Bedürfnis der Nume nach möglichst großer individueller Unabhängigkeit Rechnung getragen. Die einzelnen hatten sich je nach ihrer persönlichen Neigung zu Gruppen zusammengefunden und danach ihre Wohnung auf der Insel gewählt. Jede dieser Gruppen wurde durch einen der älteren Beamten geleitet, der die Ordnung der Arbeiten verteilte. Ihm stand eine der Damen zur Seite, welche gewissermaßen die häusliche Wirtschaft der Gruppe führte, die Verteilung der Nahrungsmittel beaufsichtigte und die regelmäßige Funktion der Automaten kontrollierte, während jedes Mitglied einer Gruppe eine bestimmte Zeit der Bedienung dieser Automaten widmete.

Die Pflege der beiden Gäste hatten die Gruppen des Ingenieurs Fru und des Arztes Hil übernommen, denen als weibliche Assistenten La und Se angehörten. Es war natürlich, daß Saltner und Grunthe hauptsächlich mit den Mitgliedern dieser Gruppe verkehrten, wozu sich noch als täglicher Gast der Direktor der Kolonie, Ra, gesellte. Mit den übrigen Gruppen waren sie bisher nur gelegentlich in Berührung gekommen.

Die Martier, welche im Begriff standen, ihren Besuch bei den Gästen zu machen, gehörten der Gruppe des Ingenieurs Jo an, dessen Tätigkeit Grunthe und Saltner hauptsächlich ihre Rettung verdankten. Selbstverständlich hatten sie nicht versäumt, ihm alsbald nach ihrer Wiederherstellung ihren herzlichsten Dank abzustatten.

Mit ihnen zusammen erschien La. Sie trat zuerst Saltner entgegen und bot ihm mit einem reizenden Lächeln über den ›Strich‹ hinüber ihre Hand. Aber ehe noch Saltner in ein Gespräch mit ihr kam, wußte Se sie beiseite zu ziehen. Während Jo mit Saltner sprach, unterhielten sich die beiden Damen eifrig und leise, worauf Se das Zimmer verließ. Jo begrüßte Saltner in seiner offenen, nach martischen Begriffen etwas derben Weise und nannte die Namen seiner Begleiter. Jeder von ihnen grüßte nach martischer Sitte, indem er die linke Hand ein wenig erhob und die Finger derselben leicht öffnete und schloß. Saltner bewies die Fortschritte in seiner Bildung dadurch, daß er den Gruß in derselben Weise erwiderte. Die Martier wollten ihm jedoch an Höflichkeit nicht nachstehen und schüttelten ihm der Reihe nach auf deutsche Weise die rechte Hand, ohne sich merken zu lassen, wie sehr diese barbarische Zeremonie sie innerlich belustigte. Sie hüteten sich dabei sorglich, den Strich zu überschreiten, jenseits dessen die Erdschwere begann.

Auf Saltners Einladung nahmen sie an der breiten Tafel in der Mitte des Zimmers Platz. Man hatte dieses Zimmer in Rücksicht auf zahlreiche Versammlungen so eingerichtet, daß ein großer Tisch die Länge desselben erfüllte und mit dem einen Ende über den ›Strich‹ hinüberragte. Hier befanden sich die Plätze für die beiden Deutschen. In den Besuchsstunden, besonders aber am Abend, wenn die Arbeiten des Tages beendet waren, pflegte sich hier stets eine größere Gesellschaft zusammenzufinden. Dann wurde auch bei gemeinschaftlichen Gesprächen eine leichte Erfrischung in Form von Getränken eingenommen. Die Einhaltung dieser Plauderstunden war eine feststehende Sitte der Martier. Die Mahlzeiten dagegen, welche wirklich zur Sättigung dienten, fanden niemals gemeinschaftlich statt; dies galt bei den Martiern als unpassend. Beim Essen schloß sich ein jeder ab, und schon daß Saltner und Grunthe gemeinschaftlich zu speisen pflegten, erschien den Martiern als ein Zeichen der stark tierischen Natur der Menschen. Nach ihrer Ansicht war die Sättigung eine physische Verrichtung, welche nicht in die Gesellschaft gehörte; in dieser wurden nur ästhetische Genüsse gestattet. Zu solchen ästhetischen Genüssen gehörten Essen und Trinken allerdings auch, insofern sie dem reinen Wohlgefallen am Geschmack entsprachen und sich der Empfindungen der Zunge und des Gaumens nur zum freien Spiel bedienten, nicht aber insofern sie den Zweck der Ernährung und die Stillung des körperlichen Bedürfnisses zu erfüllen bestimmt waren.

Auf Las Aufforderung, welche jetzt die Stelle der Wirtin vertrat, öffneten die Martier die auf dem Tisch stehenden Kästchen und bedienten sich der darin befindlichen Piks.

Der Gebrauch dieser Piks ersetzte den Martiern in vollkommener Weise den Genuß, welchen die Menschen durch das Rauchen erreichen, ein leichtes, die Sinne mäßig beschäftigendes und die Nerven beruhigendes, damit den ganzen Gemütszustand behaglich hebendes Spiel, das aber dem Rauchen gegenüber den Vorteil hatte, daß es die Luft nicht verdarb und die übrigen Anwesenden nicht belästigte. Die Piks bestanden in Kapseln, etwa in der Größe und Gestalt einer kleinen Taschenuhr, die an leichte Aluminiumstäbe gesteckt und dadurch bequem hin und her bewegt wurden. Brachte man diese Kapsel, während man den Stiel in der Hand hielt, an die Stirn, so ging ein schwacher, angenehm erregender Wechselstrom durch den Körper, wodurch man sich wohltuend erfrischt fühlte. Die Bewegung der Hand und das Streichen der Stirn und Schläfen war ein sehr anmutiger Zeitvertreib. Dabei zeigte sich auf der Kapsel ein zartes Farbenspiel je nach der Größe des Widerstandes, den der Strom fand, und die Art der Berührung, die Wendungen des Piks boten eine reiche Abwechslung der Beschäftigung. Der Kenner wußte diese leichten Reize des Gefühls aufs feinste zu variieren. Wegen der Grazie und Zierlichkeit der Bewegungen, mit denen Se und La die Piks zu handhaben pflegten, hatte Saltner diesen Instrumenten den Namen Nervenfächer beigelegt.

»Freut mich sehr«, sagte Jo, mit seinem Pik an die Stirn klopfend, »den Herrn Bat wieder wohlzusehen. Hätt's nicht gedacht, als wir Sie unter dem Ballon hervorholten. Habe leider wenig Zeit gehabt, mit Ihnen zu plaudern, hätte gern etwas über Ihre Luftfahrt gehört.«

»Dazu ist hoffentlich noch Gelegenheit«, sagte Saltner.

»Fürchte nein«, erwiderte Jo. »Kommen nämlich, uns zu verabschieden. Morgen geht's heim.«

»Wie?« fragte Saltner erstaunt.

Jo deutete mit dem Pik nach einer Stelle des Fußbodens und sagte: »Nu.«

Saltner mußte sich erst besinnen, daß Jo mit seiner Bewegung die Richtung nach dem Mars bezeichne, denn unwillkürlich stellte er sich die Fahrt nach dem Mars immer als einen Aufstieg gegen den Himmel vor. Aber der Mars befand sich gegenwärtig unter dem Horizont, und dahin deutete Jo.

»Sie sollten mit uns kommen«, sagte Jo lächelnd. »Das ist doch noch ganz etwas anderes bei uns auf dem Mars wie hier auf der schweren Erde, wo man sich genieren muß, vor die Tür zu gehen.«

»Ich danke«, erwiderte Saltner, »ich fürchte, auf dem Mars Sprünge zu machen, die mir nicht gut bekommen würden. Interessant wäre es ja freilich, Ihre wunderbare Heimat kennenzulernen, aber glauben Sie denn, daß ein Mensch bei Ihnen existieren kann?«

»Gewiß könnte er das«, sagte einer der anwesenden Martier, »und zwar viel besser, als wir auf der Erde fortkommen. Ich bin überzeugt, daß Sie sich an die geringere Schwere bald gewöhnen würden und ebenso an die dünnere Luft. Beide Umstände kompensieren sich einigermaßen in der Wirkung auf den Organismus, und Sie müssen wissen, daß die Luft bei uns relativ reicher an Sauerstoff ist als hier. Wie wäre es auch sonst möglich, daß die Bewohner beider Planeten eine so große Ähnlichkeit besitzen?«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden für dieses Kompliment«, antwortete Saltner, »indessen ist unsere Expedition doch nicht auf einen so weiten Ausflug eingerichtet, und wir müssen zunächst daran denken, wieder nach Hause zu kommen.«

»Es wird Ihnen wohl etwas einsam hier werden« mischte sich La in das Gespräch.

»Wie«, fragte Saltner überrascht, »gehen Sie auch fort?«

»Morgen noch nicht, aber im Verlauf der nächsten – – ja, ich will es Ihnen lieber in Ihre Zeitrechnung nach Erdtagen übersetzen –, also in den nächsten vierzehn Tagen ungefähr werden wir fast alle die Erde verlassen haben.«

»Aber davon höre ich das erste Wort.«

»Weil wir überhaupt noch nicht von der Zukunft gesprochen haben –«

»Es ist wahr, die Gegenwart war zu schön und zu reich –«

»Nun, werden Sie nicht melancholisch! Und dann versteht es sich ja doch von selbst, daß wir im Winter nicht hierbleiben, ausgenommen die Wächter.«

»Was für Wächter?«

»Wir erwarten sie mit dem nächsten Fahrzeug vom Nu«, sagte Jo. »Sie sind unsre Ablösung – nur zwölf Mann, die hier überwintern und die Insel bewachen. Im Winter können wir unsre Arbeiten nicht fortsetzen, und die ganze Insel zu heizen, das wäre denn doch zu kostspielig.«

»Und kommen Sie im Sommer zurück?«

»Wir oder andere.«

»Und ich denke, Sie bringen die Polarnacht nicht hier auf der Insel zu, sondern bei uns. Dort, wo wir auf dem Mars wohnen, haben wir dann gerade unsern herrlichen Spätsommer. Und wenn die Sonne hier am Nordpol wieder aufgeht, reisen Sie vom Mars ab und kommen dann im Lauf Ihres Mai hier an. Das ist gerade die rechte Zeit für den Pol – und dann werden Sie, denke ich, Ihre Freunde vom Mars zu Ihren Landsleuten zu führen wissen. Sie brauchen aber nicht jetzt schon mit Jo zu reisen, wir verlassen die Erde erst mit dem letzten Schiff.«

La hatte dies zu Saltner gesagt. Und als sie ihn dabei so freundlich ansah, schien es ihm, als könne es gar nicht anders sein, er müsse mit nach dem Mars gehen. Aber was würde Grunthe dazu sagen?

Allerdings hatten weder Saltner noch Grunthe bisher mit den Martiern über ihre nächste Zukunft gesprochen. Das hatte verschiedene Ursachen in zufälligen Umständen. Der Hauptgrund war jedoch, wohl ohne daß die beiden Deutschen sich darüber klar wurden, daß die Martier bisher es absichtlich vermieden hatten, sich über diese Frage zu äußern. Sie hatten selbst noch keinen Entschluß gefaßt. Auf die erste Lichtdepesche nach dem Mars über die Auffindung der Menschen hatte die Zentralregierung der Marsstaaten geantwortet, daß man zunächst die Fremdlinge beobachten und ausforschen und dann über sie Bericht erstatten solle. Dieser Bericht war vor kurzem abgegangen, die Antwort jedoch noch nicht eingetroffen. Deshalb hatten die Martier jede Hindeutung auf das weitere Schicksal ihrer Gäste vermieden, und sobald Grunthe und Saltner eine Frage in dieser Hinsicht zu stellen oder einen Wunsch zu äußern versuchten, waren sie darüber mit einer ausweichenden Antwort hinweggegangen. Wenn aber die Martier auf irgendeine Frage nicht eingehen wollten, so war es für die Menschen ganz unmöglich, sie dahin zu bringen. Die Leichtigkeit, mit welcher sie die Gedanken lenkten, und die Überlegenheit ihres Willens waren so groß, daß die Menschen ihnen folgen mußten und dabei kaum merkten, daß sie geleitet wurden. Aber Grunthe wie Saltner waren in der Tat noch so erfüllt von den Aufgaben, die ihnen auf der Insel gestellt waren, daß sie die Pläne über die Fortsetzung ihrer Reise selbst in ihren Gesprächen untereinander nur vorübergehend berührt hatten. Sie hatten sich zwar vorgenommen, in den nächsten Tagen einen definitiven Entschluß zu fassen und zu gelegener Zeit mit den Martiern darüber zu reden, bis jetzt war es aber noch nicht dazu gekommen. Grunthe glaubte nämlich, daß sie, falls nur die Erlaubnis der Martier erlangt war, jederzeit die Insel ohne Schwierigkeit würden verlassen können, weil er nach einer allerdings nur vorläufigen Untersuchung sich für überzeugt hielt, daß der Ballon mit verhältnismäßig geringer Mühe sich wieder herstellen ließe. Mit dem größten Teil ihrer Ausrüstung waren auch einige Reservebehälter gerettet worden, die komprimierten Wasserstoff enthielten. Allerdings konnte derselbe zu einer vollständigen Füllung des Ballons nicht ausreichen. Doch hoffte Grunthe, von den Martiern die Mittel zur genügenden Entwicklung des Gases zu erhalten. Er hatte bei seinen Studien auf der Insel gesehen, daß die Martier über so gewaltige Mengen elektrischen Stromes verfügten, daß er dadurch den Wasserstoff leicht aus dem Wasser des Meeres erhalten konnte. Sollte ihm aber hierzu die Beihilfe verweigert werden, so war er entschlossen, den Ballon entsprechend zu verkleinern und mit dem Reservevorrat an Gas und nur dem notwendigsten Gepäck die Heimreise anzutreten. Er hatte in der Bibliothek der Martier die Witterungsbeobachtungen gefunden, welche Jahre hindurch von ihnen am Nordpol ausgeführt waren. Daraus hatte er entnommen, daß während des Novembers regelmäßig andauernd nach Europa hinwehende Winde einzutreten pflegten, daß er aber früher keine Aussicht hatte, günstige Windverhältnisse zu erwarten. Demnach mußte er sich entscheiden, ob er sich jetzt, kurz vor Beginn der Polarnacht, unbestimmten atmosphärischen Verhältnissen anvertrauen wollte, oder ob er mitten in der Polarnacht es wagen wollte, bei günstigem Wind aufzusteigen. Das letztere schien ihm das Empfehlenswertere zu sein, da er bei gutem Wind hoffen durfte, in wenigen Tagen bewohnte Gegenden zu erreichen.

Diese Überlegungen, welche Grunthe für sich angestellt hatte, waren von ihm zwar Saltner gegenüber beiläufig erwähnt worden, doch hatte sie dieser, eben weil sie die Zeit zur Ausführung noch nicht für gekommen hielten, zunächst nicht weiter erwogen. Ihm war vorläufig die Gegenwart alles, und jetzt erst stellten ihn Las Worte unmittelbar vor die Frage, was zu tun sei, wenn die Martier fast sämtlich die Insel verließen. Zugleich aber schien ihm im Augenblick eine so schnelle Trennung von seinen innig verehrten Gastfreunden und von La und Se insbesondere als etwas kaum Mögliches. Indem ihm Grunthes Pläne momentan durch den Kopf schossen, fühlte er doch, daß er nicht sofort eine Zusage geben dürfe, und in seiner Verwirrung zögerte er mit der Antwort, während die Martier mit allerlei verlockenden Schilderungen Las Einladung unterstützten.

Zum Glück trat Grunthe jetzt ein, und die Zeremonie der Begrüßung mit den Martiern wiederholte sich. Nur La, an welcher Grunthe nach Möglichkeit vorbeisah, mußte sich mit einem steif ausfallenden martischen Fingergruß begnügen. Sie lächelte zu Saltner hinüber, und ihr Blick schien sagen zu wollen: »Wir werden ihn doch mitnehmen.«

Grunthe hatte bereits auf dem Weg von Hil gehört, daß morgen ein Fahrzeug nach dem Mars abgehe.

»Wie viele Nume verlassen uns denn?« fragte er.

»Dreiundfünfzig, darunter fünf Damen«, antwortete Jo.

»Dann ist es wohl ein bedeutendes Fahrzeug? Wenn ich recht gehört habe, sind selbst Ihre größten Raumschiffe nicht auf viel mehr berechnet.«

»Das ist richtig. Auf mehr wie sechzig können wir unsere Schiffe nicht gut einrichten, das Verhältnis zu den Richt-Bomben wird sonst zu ungünstig. Aber der ›Komet‹ ist ein vorzügliches Fahrzeug und trägt gut seine sechzig Personen – Sie haben also noch bequem Platz, und ich würde mich sehr freuen, Sie mitzunehmen.«

»Sie sind selbst der Kommandant?« fragte Grunthe.

»Ich habe die Ehre, das Raumschiff ›Komet‹ zu führen, bestimmt nach der Südstation des Mars. Sie fahren darin sicherer durch den Weltraum als in Ihrem Ballon durch die Luft der Erde. Also abgemacht, kommen Sie mit?«

»Daran ist nicht zu denken«, sagte Grunthe lächelnd. »Aber es würde mich sehr interessieren, der Abfahrt beizuwohnen. Wann findet sie statt?«

»64,63«, erwiderte Jo.

Grunthe sah ihn fragend an.

»Mittlere Marslänge«, fügte Jo hinzu.

»Sie müssen schon«, begann La, »den Herren alle Maßangaben in ihre irdische Rechnungsweise umrechnen. In unsre Messungsmethode können sie sich nicht so schnell hineinfinden. Morgen um 1,6 ist die Abfahrt, das heißt nach Ihrer Stundenrechnung um drei Uhr. Sehen Sie sich nur die Sache einmal an, Grunthe, Sie werden Lust bekommen, bald selbst eine Fahrt mitzumachen. In der nächsten Zeit geht jeden dritten Tag ein Schiff ab!«

»Der Mars«, fiel Jo ein, »ging sechs Tage vor Ihrer Ankunft durch sein Perihel – ich meine den Punkt, wo er der Sonne am nächsten steht –, und da er sich gerade jetzt auch in der Erdnähe befindet – Sie wissen, daß die Opposition vor wenigen Tagen stattfand –, so gibt es keine günstigere Reisezeit. Aber ›piken‹ Sie denn nicht?«

»Ich danke, niemals«, sagte Grunthe, die angebotenen Piks zurückweisend. Dabei starrte er geradeaus und zog seine Lippen zusammen. Er rechnete in der Eile die augenblickliche Entfernung von Mars und Erde aus.

»Wie lange Zeit pflegen Sie denn zur Fahrt zu brauchen?« fragte Saltner.

»Das kommt ganz auf die Umstände an. Bei günstiger Stellung der Planeten läßt sich die Reise auf dreißig Ihrer Tage und weniger reduzieren, ja wenn wir tüchtige Bombenhilfe geben, was freilich sehr teuer wird, so könnte man bei so großer Planetennähe wie jetzt sogar auf acht oder neun Tage herabkommen. Aber ich muß freilich bemerken, daß man eine solche Geschwindigkeit von 90 bis 100 Kilometern in der Sekunde nur unter ganz besonderen Umständen benutzen würde.«

»Ich begreife überhaupt noch nicht«, sagte Grunthe, sich wieder am Gespräch beteiligend, »wie sie Ihre Geschwindigkeit und Richtung in verhältnismäßig so kurzer Zeit verändern können. Ich weiß, daß Sie Ihr Fahrzeug mehr oder weniger diabarisch machen, daß Sie also die Anziehung der Sonne schwächer oder auch gar nicht auf dasselbe einwirken lassen können. Bei der Abfahrt heben Sie die Gravitation ganz auf, um zunächst genügend weit aus dem Anziehungsbereich der Erde zu kommen, nicht wahr?«

»Ganz richtig. Aber sprechen Sie, bitte, weiter, damit ich sehe, wie weit Sie mit den Prinzipien unserer Raumreisen vertraut sind.«

»Wenn Sie abreisen, verlassen Sie also die Erde und die Erdbahn in der Richtung ihrer Tangente mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 Kilometern in der Sekunde, denn das ist die Geschwindigkeit der Erde in ihrer Bahn, die Sie nach dem Beharrungsgesetz beibehalten. Sie kommen dadurch in immer größere Entfernung von der Sonne. Wenn Sie nun die Gravitation wieder wirken lassen, vielleicht nur schwach, so wird das denselben Erfolg haben, als wenn Sie sich mit der Geschwindigkeit der Erde in sehr großer Entfernung von der Sonne, zum Beispiel in der Entfernung des Uranus befänden, und die Bahn müßte dann eine hyperbolische werden, Sie würden sich auf einer Hyperbel von der Sonne entfernen.«

Jo machte ein Zeichen der Zustimmung.

»Nun kann ich mir wohl denken«, fuhr Grunthe fort, »daß Sie durch geschickte Kombinierung solcher Bahnen, indem Sie die Gravitation schwächen oder verstärken, in das Anziehungsgebiet des Mars gelangen können. Aber ich verstehe nicht, wie dies in so kurzer Zeit möglich ist. Sie müssen jedenfalls einen sehr weiten Weg durchlaufen, und wenn Sie sich von der Sonne entfernen wollen, so wird doch unter dem Einfluß der Gravitation Ihre Geschwindigkeit immer kleiner, niemals aber größer.«

»Sie haben darin vollkommen recht«, erwiderte Jo. »Dies war der einzige Weg, der unsern Raumschiffern in der ersten Zeit unserer Weltraumfahrten zu Gebote stand. Sie hatten damals nur das Mittel der Gravitationsänderung, infolgedessen waren die Fahrten sehr zeitraubend, mühsam und gefährlich. Man konnte unter Umständen Jahre brauchen, um von der Erde bis in die Nähe des Mars zurückzugelangen, und ein kleiner Fehler in der Berechnung oder eine unvorhergesehene Störung konnte weitere Jahre kosten. Ja, wir haben damals noch manches Schiff verloren, von dem man nie wieder etwas gehört hat.«

»Und wieso ist das jetzt besser geworden?« fragte Grunthe.

»Sie scheinen noch nichts von der Speschen Erfindung der Richtschüsse zu wissen«, bemerkte Jo.

»Was ist das?«

»Das ist alles zugleich, was bei Ihren Schiffen Schraube, Steuer und Anker sind. Wir können dadurch unsere Geschwindigkeit vergrößern, verringern, vernichten und umkehren sowie in jede beliebige Richtung lenken. Da es sich dabei aber um kolossalen Energieaufwand handelt, wie Sie sich denken können – wir haben es ja mit Geschwindigkeiten von durchschnittlich 30 Kilometer zu tun, deren Quadrate hier in Ansatz kommen –, so benutzen wir sie nur mit Maß. Die Gravitation arbeitet billiger.«

Grunthe schwieg. Es war ihm unheimlich, sich dieser Macht gegenüber zu fühlen, welche selbst die Herrschaft der Sonne im Weltraum zu bändigen wußte.

»Wie in aller Welt ist das möglich?« fragte Saltner. »Sie haben ja im Raum keinerlei Widerstand, wie unsre Schiffe im Wasser. Können wir doch nicht einmal unsern Luftballon ohne Schleppseile lenken.«

»Es fehlen Ihnen nur die nötigen Energiequellen und allerdings auch der nötige Platz zum Losschießen, wie wir ihn im Weltraum zur Verfügung haben. Sehen Sie, ein solcher Schuß, man nennt ihn einen ›Spe‹, entwickelt eine Energiemenge von ungefähr 500 Billionen Meterkilogramm, wenn ich richtig umgerechnet habe –«

»Es trifft ziemlich zu«, sagte La, da Jo sie fragend ansah.

»Dadurch können wir also«, fuhr Jo fort, »einem Raumschiff, das eine Masse von etwa einer Million Kilogramm besitzt, eine Geschwindigkeit von einem Kilometer in der Sekunde erteilen – wenn wir somit dreißig Spes anwenden, so ist es möglich, die Geschwindigkeit, die unser Fahrzeug von der Erde mitnimmt, auf Null herunterzubringen. So ein Schuß wird ganz allmählich entladen, sonst könnte ja niemand den Ruck aushalten – immerhin bringen wir das Schiff binnen drei Stunden zum Stehen. Sie sehen also, daß wir auf diese Weise an jeder beliebigen Stelle des Weltraums einfach haltmachen können. Wir heben die Anziehung der Sonne auf und heben die planetarische Tangentialgeschwindigkeit auf, und damit stehen wir still, unverändert in unsrer Lage zu allen Körpern unsres Sonnensystems. Hier können wir warten, so lange wir Lust haben; wir stellen uns zum Beispiel auf die Marsbahn und lassen den Planeten einfach herankommen. Aber das würde immer noch viel zu lange dauern. Wenn wir noch etwas mehr Bomben in passender Richtung anwenden, so können wir uns sofort direkt auf den Planeten oder vielmehr auf den Punkt seiner Bahn hinbewegen, an welchem wir ihn am schnellsten antreffen. Natürlich nehmen wir dabei, so gut es sich machen läßt, die Gravitation mit in Anspruch, selbstverständlich immer, wenn wir uns der Sonne zu nähern haben, also wenn wir vom Mars hierherfahren.«

Grunthe verharrte noch immer in seinem Schweigen. Er rechnete jetzt aus, welche Geschwindigkeit wohl das Geschoß bekommen müsse, wenn durch den Rückschlag beim Abfeuern das ganze Raumschiff mit einer Geschwindigkeit von einem Kilometer pro Sekunde zurückgeschleudert werden solle. Schon begann das Gespräch der Martier sich anderen Gegenständen zuzuwenden, als er sagte:

»Ich kann natürlich in Ihre Worte keinen Zweifel setzen. Aber wenn Sie der Masse des Schiffs von einer Million Kilogramm eine Geschwindigkeit von 1000 Metern erteilen, so würde dies ja voraussetzen, daß das Geschoß selbst eine so ungeheure Geschwindigkeit erhielte, wie sie auf keine Weise sich erzeugen läßt.«

»Warum nicht?« fragte Jo.

»Und wenn auch«, unterbrach Saltner, »was nützt Ihnen denn das Abschießen? Dadurch kann doch Ihr Schiff nicht bewegt werden?«

»Das schon«, berichtigte ihn Grunthe, »nur der Schwerpunkt des ganzen Systems kann nicht verrückt werden. Der Schwerpunkt von Geschoß und Schiff behält seine Geschwindigkeit, aber dort befindet sich ja niemand, das Raumschiff entfernt sich von diesem Schwerpunkt infolge des Rückschlags, wie wir hören, um einen Kilometer in der Sekunde, das heißt, es bewegt sich dann nur noch mit einer Geschwindigkeit von 29 Kilometern vorwärts. Gleichzeitig aber muß das Geschoß nach der entgegengesetzten Seite mit einer solchen Geschwindigkeit fliegen, daß das Produkt aus dieser und der Masse des Geschosses gleich ist dem Produkt aus Masse und Geschwindigkeit des Schiffs (in bezug auf den Schwerpunkt), das gibt in unserm Fall die Zahl von tausend Millionen. Es fragt sich nun, welche Masse Ihre Geschosse besitzen –«

»Hundert Kilogramm«, sagte Jo.

»Dann würde ja«, sagte Grunthe kopfschüttelnd, »das Geschoß eine Geschwindigkeit von zehn Millionen Meter, das sind zehntausend Kilometer in der Sekunde bekommen – das ist mir undenkbar!«

»Und dennoch ist es so«, versicherte Jo. »Ja, es ist dies noch gar nicht die Grenze des Erreichbaren. Wir haben berechnet, daß sich die Geschwindigkeit bis über die Lichtgeschwindigkeit hinaus muß steigern lassen –«

»Sie wollen mich zum besten haben –«

»Nicht im geringsten.«

»Durch die Entwicklung von Explosionsgasen?«

»Wer behauptet das? Das ist natürlich nicht möglich. Aber durch die Explosion des Weltäthers selbst.«

Grunthe schüttelte nur den Kopf.

»Ich las in Ihren Büchern«, fuhr Jo fort, »daß Sie Ihre Geschosse durch die Entwicklung der Pulvergase mit Geschwindigkeiten schleudern, welche größer sind als die Geschwindigkeit, mit der sich der Schall in der Luft fortpflanzt. Nun – der Vergleich trifft zwar nicht vollständig zu, aber in der Hauptsache – warum sollen wir nicht durch Entwicklung großer Äthervolumina Geschwindigkeiten erzeugen, die größer sind als diejenige, mit welcher sich das Licht im Äther fortpflanzt? Es kommt nur darauf an, Apparate zu haben, die das leisten.«

»Und diese haben Sie?«

»Allerdings. Wir können Ätherspannungen erzeugen, die wir plötzlich entlasten. Der kondensierte Äther heißt ›Repulsit‹. Unsere Geschütze und Geschosse bestehen aus – ja, wie soll ich Ihnen das übersetzen? Übrigens kommt die Sache im Grunde darauf hinaus, große Elektrizitätsmengen unter kolossalen Spannungen zu halten – und die Entdeckung hängt wieder mit derjenigen der Diabarie zusammen.«

»Das ist uns freilich jetzt nicht möglich, so schnell zu fassen«, sagte Grunthe. »Und Sie wollen die Geschwindigkeiten noch steigern?«

»Wir hoffen bis auf fünf mal hunderttausend Kilometer zu kommen. Wir überholen dann das Licht. Und wer auf einem solchen Geschoß in den Weltraum reiste, der würde zurückblickend die Zeiten der Vergangenheit auftauchen sehen, denn er käme zu jenen Lichtwellen, die vor seiner Abreise den Planeten verlassen haben.«

»Ich danke Ihnen«, sagte Grunthe verstummend.

»Übrigens«, setzte Jo noch hinzu, »ist es für die Richtschüsse natürlich kein Vorteil, so große Geschwindigkeiten zu wählen, denn der Energieverbrauch wächst ja mit der Geschwindigkeit im Quadrat. Wir würden viel besser fortkommen, wenn wir kleinere Geschwindigkeiten anwendeten, aber dann würden die Massen der Geschosse so groß werden müssen, daß wir sie nicht mitnehmen können. Tausend Richtgeschosse zu je hundert Kilo Masse machen ohnehin schon zehn Prozent unsrer gesamten Schiffsmasse aus.«

Es traten jetzt neue Gäste ein, um sich ebenfalls die Menschen noch einmal anzusehen, ehe sie nach dem Mars abreisten. Denn sie wollten doch bei der Heimkehr auch etwas von den Eingeborenen der Erde zu erzählen haben. Ein Teil der Anwesenden erhob sich und verabschiedete sich. Auch Jo stand auf.

»Nun«, sagte er, »schade, daß Sie nicht mit mir kommen wollen, doch wir sehen uns morgen vor der Abreise.«

»Und auf dem Nu treffen wir uns alle bald wieder«, fügte La hinzu. »Wer weiß«, sprach sie neckend zu Jo, »ob wir Sie im ›Meteor‹ nicht noch überholen und eher zu Hause sind als Sie. Oß wird wahrscheinlich den ›Meteor‹ führen.«

»Da kennen Sie den alten Jo schlecht«, erwiderte Jo lachend. »Man fährt nicht fünfundzwanzig Jahre zwischen Mars und Erde, um sich von solch jungem Springinsfeld überholen zu lassen.«

»Sie sind eben ein zu guter Lehrer für Oß gewesen, da ist's kein Wunder, daß er jetzt auch seine Sache versteht.«

»Das tut er, gewiß, das tut er«, sagte Jo, indem er La freundschaftlich das Haar streichelte. »Aber was will das jetzt sagen – das heißt, Oß ist ein tüchtiger Techniker, brillanter Abariker, weiß es – doch um die Überfahrt zu machen, dazu gehört heute nicht mehr viel, das kann man lernen. Ja, liebe La, vor – nun, Sie lebten wohl noch nicht, als ich meine erste Fahrt als Lehrling machte, da war's etwas anderes; da gab's noch keine Außenstation auf der Erde, von der aus man den Mars jederzeit sehen und nach ihm telegraphieren konnte. Und wenn so ein Schiff zehn oder zwanzig Richtschüsse zum Anlegen mithatte, da galt es schon als besonders fein ausgerüstet. Da haben wir Dinge erlebt, wovon Ihr junges Volk keine Ahnung habt.«

»Erzählen Sie«, bat La, »bleiben Sie noch, Jo, Sie müssen uns etwas erzählen. Sie haben es eigentlich längst versprochen. Setzen Sie sich, die Bate müssen es auch hören.«


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