Langsdorff
Eine Reise um die Welt
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Die Audienz

Zu unserer Freude ließ uns am 27. März der Gouverneur in aller Form mitteilen, daß man in zwei Tagen die Ankunft eines hohen Staatsbeamten von Jedo mit der Antwort des Kaisers in Nagasaki erwarte. Endlich am 3. April war es soweit. Die Dolmetscher luden unseren Gesandten zu einer Audienz in das Haus des Gouverneurs ein und besprachen mit großer Wichtigkeit das Zeremoniell.

Am kommenden Morgen trafen Beamte und Dolmetscher ein, die unseren Gesandten mit seinem Gefolge, zu dem auch ich gehörte, abholten. Ein prächtiges Boot des Fürsten von Fisen, das mit Flaggen sowie baumwollenen und seidenen Vorhängen geschmückt war, nahm uns auf. Zahlreiche kleine Fahrzeuge, alle unter der Flagge des Fürsten, umschwärmten uns. An der breiten bequemen Treppe von Ochatto legten wir an und wurden von vielen vornehmen Japanern empfangen. Der Treppe gegenüber war eine starke kaiserliche Zivilwache mit vielen Ehrenzeichen aufgestellt. Die Offiziere knieten hier in mehreren Reihen hintereinander. Die Häuser nach der Wasserseite zu, wie auch rings um den Platz, waren alle mit übereinanderhängenden Reihen von Vorhängen bedeckt. So konnten wir nichts von den Baulichkeiten und dem Volke sehen. Nur hin und wieder bemerkten wir hinter den Vorhängen oder, wo diese nicht ausreichten, einige neugierige Köpfe. Im Grunde genommen wurden wir gleichsam mit verbundenen Augen durch einen weiten Teil der Stadt geführt, denn in allen Straßen, durch welche sich der Zug bewegte, waren die Häuser mit Vorhängen oder mit Strohmatten und Bambusgittem verdeckt. Als Grund dafür gaben die Dolmetscher an, daß das gewöhnliche Volk nicht würdig sei, einen so vornehmen Mann wie unseren Gesandten von Angesicht zu Angesicht zu schauen.

Unser Zug war folgendermaßen eingeteilt. An der Spitze gingen etwa 40 Personen verschiedenen Ranges mit ihren Bedienten. Dann folgten sechs kaiserliche Soldaten mit langen Stäben in den Händen. Darauf kam unser Gesandter, der von vier Personen in einer Sänfte getragen wurde. Unmittelbar hinter ihm trug ein russischer Soldat die kaiserlichrussische Standarte, ihm schlossen sich die russischen Gesandtschaftskavaliere in Begleitung japanischer Beamter und Dolmetscher an. Diesen folgte schließlich ein Kommando von 16-20 japanischen Soldaten unter Führung eines berittenen Offiziers mit einer Menge Staatsdiener und Unterbeamten.

In allen Straßen, die wir durchzogen, standen bald größere, bald kleinere Wachthäuser. Die Straßen selbst fanden wir breit und reinlich; zu beiden Seiten hatten sie breite Gossen zum Ablauf des Wassers. Eine Pflasterrinne fehlte, nur einige waren in der Mitte mit einzelnen kleinen Steinen, andere mit großen Quadern belegt. Von den Wohnhäusern konnten wir aus den obengenannten Gründen nichts oder nur wenig bemerken. Die meisten waren einstöckig, mit vielem Gitterwerk an Fenstern und Türen.

Vor der Haustür des Gouverneurs mußten wir alle, der Gesandte nicht ausgenommen, die Schuhe ausziehen, um den schön lackierten Fußboden und die Strohdecke nicht zu beschmutzen. Es ist eine allgemein übliche Sitte, die Schuhe beim Betreten des Hauses auszuziehen. Das fiel uns nicht weiter auf, weil auch die Beamten und Dolmetscher, die unser Haus in Megasaki betraten, stets ohne ihre Strohschuhe ins Zimmer kamen.

Wir wurden nun über einen langen, breiten, mit einem kostbar lackierten Fußboden versehenen Korridor in ein Zimmer geführt, das genau wie das unsrige in Megasaki mit feinen Strohmatten belegt war. Möbel, wie Tische, Stühle und Bänke, sah man nicht; die Wände schmückten Tapeten mit recht hübschen Landschaften. Alles Holzwerk an Türen und Wänden war fein poliert. Das Licht fiel durch den daranstoßenden Korridor in das Zimmer. In seiner Mitte stand schön gefirnißtes Tabaksgerät, wie Pfeifen, Spuckbecher, Kohlenpfannen und Tabaksbüchsen. In einer Ecke war noch eine große Spuckvase aus Porzellan, jedoch von schlechter Form und noch schlechterer Bemalung. Der Tee war auch nicht nach unserem Geschmack. Nach einer halbstündigen Wartezeit wurde unser Gesandter in den Audienzsaal gerufen; zwei unserer Offiziere begleiteten ihn.

Der Abgesandte aus Jedo und die beiden Gouverneure knieten fast in der Mitte des Saales, hinter jedem von ihnen hielten Diener den Degen ihrer Herren quer über deren Haupt. Der Gesandte und seine Offiziere grüßten nach europäischer Art und lagerten sich vor den Gouverneuren nieder. Die Dolmetscher knieten zu beiden Seiten; der übrige Saal war von Rittern und Vornehmen angefüllt. Gegen ein Uhr war die Audienz beendet, und wir zogen in der gleichen Ordnung wie am Morgen nach Megasaki zurück. Am Abend kamen Dolmetscher zu uns und teilten dem Gesandten mit, daß er, falls er es wünsche, am kommenden Morgen eine zweite Audienz haben könne. Der Vorschlag wurde angenommen.

Am anderen Morgen regnete es so stark, daß wir glaubten, die Audienz aufschieben zu müssen; doch klärte sich das Wetter bald auf, und es erschienen auch die Beamten und Dolmetscher, um uns wieder abzuholen. Unser Gesandter bedeutete jedoch, daß seine Offiziere nach dem Regen nicht zu Fuß durch die Straßen gehen könnten, da die Wohnung des Gouverneurs sehr weit entfernt wäre. Die Beamten fertigten sogleich Boten ab, um die notwendigen Sänften zu bestellen. Deshalb mußten wir nach der Landung an der großen Treppe noch geraume Zeit warten, ehe die Sänften für die Offiziere bereit waren.

Unter den Japanern bemerkten wir übrigens einen Mann, der sich hinter seinen Landsleuten versteckte und mit Zeichnen beschäftigt war. Wir baten ihn, ohne Scheu alles zu zeichnen, was ihm bedeutsam erscheine, und waren nicht wenig über seine Geschicklichkeit erstaunt. Er hatte in kurzer Zeit alles, was er an uns und um uns sah, zu Papier gebracht, z.B. einen dreieckigen Hut mit Federn, Stern und Ordensband des Gesandten, die verschiedenen Stickereien an den Offiziersuniformen, Säbel, Degen u.a.m. Die Geschwindigkeit und Fertigkeit, mit welcher er zeichnete, übertraf sicher die der meisten europäischen Künstler, denn er machte alle Umrisse mit Tusche auf feines chinesisches Seidenpapier. Und welche Sicherheit des Striches und Leichtigkeit der Pinselführung waren doch dabei notwendig, um mit dem ersten Strich feine Stickereien mit Ausdruck auf zartes Papier zu zeichnen! – Gegen Mittag konnte sich endlich der Zug in Bewegung setzen.

Kaum waren wir im Hause des Gouverneurs und hatten uns wieder um die Tabakgeräte gelagert, als auch der Gesandte zur Audienz abgeholt wurde. Er kam sehr bald wieder zurück. Man hatte ihm in feierlicher Weise eine große Schriftrolle mit der Bitte überreicht, sich diese von den Dolmetschern erklären zu lassen. Diese hoben das Dokument ehrfurchtsvoll und unter einer Verbeugung an die Stirn, öffneten es feierlich und machten uns daraus mit folgenden Hauptpunkten bekannt. In den ältesten Zeiten wäre es fremden Schiffen aller Nationen erlaubt gewesen, ungehindert die japanischen Inseln anzulaufen. Seinerzeit hätten auch Japaner fremde Länder besuchen dürfen. Seit etwa 150 Jahren hätten jedoch die damaligen Kaiser allen ihren Nachfolgern ein schweres Verbot auferlegt, daß kein Japaner das Reich verlassen dürfe, und hätten nur den Holländern, Chinesen und den Bewohnern der Riu-Kiu-Inseln sowie den Koreanern erlaubt, nach Japan zu kommen. Doch habe sich der Handel schon seit vielen Jahrein nur auf die beiden erstgenannten beschränkt. Mehrfach hätten fremde Mächte versucht, Handel und Freundschaft mit Japan anzuknüpfen, doch wären sie wegen des Verbotes abgewiesen worden, weil es sehr gefährlich sei, mit unbekannten und ungleichen Mächten eine Freundschaft zu schließen. Hier machten die Dolmetscher eine Pause. Freundschaft, so erklärten sie, sei wie eine Kette, die, für welchen Zweck sie auch bestimmt sein mag, aus gleich starken Gliedern bestehen müsse; sei aber eines dieser Glieder sehr stark, das andere dagegen unverhältnismäßig schwach, dann müsse beim Gebrauch die Kette zerreißen.

Vor 13 Jahren, so erklärten sie weiter, sei das erste Schiff aus Rußland mit Leutnant Laxmann und nun das zweite mit einem hohen Gesandten des russischen Zaren nach Japan gekommen. Daß man jenes gut aufgenommen, dieses freundschaftlich empfangen habe, sei erlaubt; auch wolle der Kaiser von Japan alles tun, was möglich und den Reichsgesetzen nicht entgegen sei. Deshalb habe er auch die Ankunft des zweiten russischen Schiffes als einen persönlichen Freundschaftsbeweis des russischen Zaren angesehen. Dieser reiche Monarch habe ihm durch seinen Gesandten viele kostbare Geschenke zugeschickt. Wenn er diese annähme, müßte er nach Landessitte einen Gesandten mit Gegengeschenken zum russischen Zaren schicken. Dies sei aber auf Grund des genannten Verbotes nicht möglich und so könne er weder den Gesandten noch die Geschenke annehmen. Japan habe keine großen Bedürfnisse und leide an nichts Mangel; es brauche nur sehr wenig fremde Produkte, und diese erhalte es schon von den Chinesen und Holländern. Luxus wolle man nicht einführen.

Unser Gesandter machte Einwendungen und versicherte, nicht gekommen zu sein, um Gegengeschenke zu verlangen. Als die Dolmetscher schließlich dem Gesandten eröffneten, daß der Kaiser Befehl erteilt habe, das Schiff für zwei Monate mit Proviant zu versorgen und dazu noch 2000 Säcke Salz (zu 30 Pfund), 100 Säcke Reis (zu 150 Pfund) und 2000 Gebund der feinsten japanischen Rohseide zu geben, verweigerte der Gesandte rundheraus die Annahme. Während der Unterhandlung hatte man uns Tabakpfeifen zum Rauchen, ungesüßten Tee sowie Süßigkeiten zur Erfrischung angeboten. Die letzteren lagen für jeden auf einem besonderen Bogen Papier und bestanden aus zwei Schnitten Zuckerkuchen, einigen kleinen runden Zuckerbrötchen, die durch ein Zuckerband verziert waren.

Die Audienz war nun zu Ende, und wir wurden gegen 4 Uhr nachmittags ohne großes Gefolge in den Sänften nach Ochatto getragen, um uns wieder nach Megasaki einzuschiffen. Der bewölkte Himmel und Regen vermehrten unsere niedergeschlagene Stimmung.

Am 6. kamen nochmals die Dolmetscher, um den Gesandten im Namen des Gouverneurs zur Annahme des Proviantes und der Seide zu bewegen; sie behaupteten, der Gouverneur könne in der Sache nichts entscheiden und müsse, falls der Gesandte die Annahme verweigere, einen Kurier nach Jedo abfertigen, was unsere Reise um weitere zwei Monate verzögern würde. So mußte der Gesandte einwilligen. Die Abschiedsaudienz wurde nunmehr für den kommenden Tag festgesetzt. So zogen wir mittags den 7. bei heftigem Regen durch die Straßen. Die Audienz bestand in gegenseitigen Komplimenten und freundschaftlichem Abschiednehmen. Vergeblich versuchten wir, die Erlaubnis zu erhalten, die Holländer in Desima und irgendeinen Tempel in der näheren Umgebung besuchen zu können; es war aber alles umsonst.


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