Selma Lagerlöf
Der Fuhrmann des Todes
Selma Lagerlöf

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X

»Wenn es mir möglich wäre, mich bei dem entsetzlichen Knirschen und Quietschen verständlich zu machen, würde ich Georg gern ein Wort des Dankes dafür sagen, daß er den beiden, Schwester Edith und meinem Bruder, in ihrem schwersten Augenblick geholfen hat,« denkt David Holm. »Ich würde mich zwar nicht dazu herbeilassen, ihn in seinem Amt abzulösen, aber ihm zeigen, daß ich wohl weiß, was er bei dieser Gelegenheit getan hat, möchte ich doch.«

Kaum hat David Holm dies gedacht, als der Fuhrmann am Leitseil zieht und das Pferd anhält, ganz als seien ihm Davids Gedanken bekannt geworden.

»Ich bin nur ein elender Stümper von einem Fuhrmann,« sagt er. »Ab und zu gelingt es mir ja wohl, jemand zu helfen, aber ebensooft mißlingt es. Diese beiden waren leicht über die Grenze zu befördern, weil sich die eine so innig nach dem Himmel sehnte und der andere so wenig hatte, was ihn an diese Welt fesselte. Weißt du, David,« fährt er fort und schlägt dabei rasch den alten kameradschaftlichen Ton an, »oft, wenn ich hier auf meinem Karren saß und hinausschaute, hab ich gedacht, wenn ich doch nur einen sicheren Boten hätte, durch den ich den Menschen Botschaft zukommen lassen könnte, dann würde ich ihnen einen Gruß schicken.«

»Ja, das kann ich mir wohl denken,« versetzt David Holm.

»Weißt du, David,« fährt der Fuhrmann fort, »wenn auf dem Acker reife Frucht prangt, dann ist es nicht schwer, Schnitter zu sein; wenn aber ein Erntearbeiter aufs Feld hinausgehen und arme Gewächse niedermähen müßte, die kaum zu ihrer halben Höhe herangewachsen sind, so würde ihn das eine grausame Arbeit dünken. Der Herr nun, dem ich diene, ist sich auch viel zu gut für solche Arbeit, und darum überläßt er das alles mir armen Fuhrmann.«

»Ich sehe ein, daß es so sein muß,« sagt David Holm.

»Ach, wenn die Menschen nur wüßten, wie leicht es ist, denen über die Grenze zu helfen, die ihre Arbeit getan, ihre Pflicht erfüllt und ihre Fesseln schon fast durchgescheuert haben, wie schwer aber dagegen der zu befreien ist, der nichts Abgeschlossenes, nichts Vollendetes aufweisen kann, der alle, die er lieb hat, hinter sich zurücklassen muß, dann würden sie sich vielleicht Mühe geben, die Arbeit des armen Fuhrknechts zu erleichtern.«

»Wie meinst du das, Georg?«

»Denk nur an eins, David! Seit du jetzt bei mir bist, hast du eigentlich immer nur von einer einzigen Krankheit reden hören, und ich kann dir versichern, daß dies bei mir das ganze Jahr hindurch so gewesen ist. Aber das kommt nur daher, weil sich diese Krankheit unter der unreifen Saat ausbreitet, und meine Aufgabe ist es, die Saat, die vor der Reife fallen muß, einzuheimsen. Ach, wenn doch nur diese Krankheit aus der Welt geschafft wäre, dann wäre meine Arbeit nicht so schwer.«

»Ist das die Botschaft, die du den Menschen schicken möchtest, Georg?«

»Nein, David. Jetzt weiß ich besser als früher, was die Menschen ausrichten können, und sie werden sich in absehbarer Zeit durch ihre Kenntnisse und ihre Ausdauer von dieser Krankheit befreien. Sie werden nicht ruhen, bis sie sich von dieser und von allen den anderen volksverheerenden Krankheiten frei gemacht haben. Nein, daran hängt die Sache nicht.«

»Wie könnten sie denn die Arbeit des Fuhrmanns erleichtern?«

»Die Menschen sind überaus mächtig,« antwortet Georg, »und deshalb glaube ich, daß der Tag kommen wird, wo man von Armut und Trunksucht oder allem dem Elend, das das Leben verkürzt, nichts mehr weiß. Aber es ist nicht gesagt, daß die Arbeit des Fuhrmanns dadurch weniger mühselig sein wird.«

»Aber wie lautet denn dann die Botschaft, die du den Menschen schicken möchtest, Georg?«

»Der Neujahrsmorgen bricht bald an, David, und wenn die Menschen nun erwachen, denken sie zuerst an das neue Jahr und an alles, was es ihnen an Wünschen und Hoffnungen erfüllen soll, und dann denken sie an die Zukunft. Aber da möchte ich ihnen sagen können, sie sollen sich nicht Liebesglück oder Erfolg oder Reichtum oder Macht oder ein langes Leben, ja nicht einmal Gesundheit wünschen; ich möchte, daß sie ihre Hände falteten und ihre Gedanken in dem einen Gebet vereinigten:

›Gott, großer Gott, laß meine Seele zur Reife kommen, ehe sie geerntet wird!‹«

 


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