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XI.
Klara an Klairant.

Hier bin ich, Klairant. Hier bin ich, bereit dir zu folgen. Ich habe lange geschwiegen, lange überlegt. Hundertmal nahm ich die Feder, dir zu schreiben, daß ich entschlossen wäre, dein zu seyn. Meine Hand zitterte vor Freude, mein Herz drängte meine Hand; und doch stand ich an. O, ist es denn so schwer, glüklich seyn zu wollen? rief ich. – Ich will dich nicht bereden, schreibst du. O mein edler, guter Klairant, bereden! Was bedarf es deiner Ueberredung? Mein Herz, mein eignes Herz, die Vorstellung meines Glükes, ach! diese süsse, diese reizende Vorstellung – Ich saß da, wollte an meine Eltern denken, und zwang meine Phantasie, mir das Gesicht meiner Mutter von Thränen bedekt, mir die stumme Trauer meines Vaters über die entflohene Tochter zu mahlen. Meine ungetreue Phantasie war mit meiner Liebe im Bunde. Ich sah meine Mutter, meinen Vater: aber wie! wie! O, daß ein Augenblik meines Lebens diesen himmlischen Traum erfüllte! Meine Mutter schlang den einen Arm um ihre glükliche Klara; und mit der andern – o Klairant! Klairant! drükte sie den Sohn unsrer Liebe an ihre Brust. Du lagst in den Armen meines Vaters, ich hörte ihn dich »mein Sohn!« nennen, und zitterte vor Freude. Seine Stimme war Zärtlichkeit, Liebe; nicht einmal die Stimme der Verzeihung.

Nein, ich konnte nichts andres denken, als unser Glük, mochte ich es auch anfangen, wie ich wollte. Ich dachte an die Minute, da ich entflohen war, da die Stimme meiner Mutter mich suchte, da die kummervolle Miene meines Vaters mich zurükwünschte. Zwischen dem Entzüken meiner Seele erhob sich eine leichte Unruhe; aber nur einen Augenblik. Alle diese Bilder entflohen schnell. Meine Seele flog über den Zeitraum von Jahren hinweg. Da saß ich mit dir, an deiner Seite, in dem schönsten Thale der Welt vor einer Hütte, an der sich Rosen und Weinreben hinaufschlangen, unter einem Laubdache. Ich lag an deiner Brust, spielte mit deinen Haarloken, und dein Auge voll Zärtlichkeit, ach: dein Auge voll heiterer Liebe, kündigte mir dein und mein Glük an. Vor uns in den Blumen spielten unsre Kinder; die himmlische Gegend in einem leichten Rosenlichte, war mit Lauben und kleinen Lustgehölzen bedekt: ein entzükender Anblik. Dann giengen wir Hand in Hand durch die liebliche Gegend. Da sah ich mich, wie ich die Blumen begoß, welche du aufbandest. Auf einmal war es Abend: die Sterne schimmerten durch das Laubdach, der Mond beleuchtete uns Beide, die Natur versank in eine Ruhe voll Glükes, nur unsre Herzen waren noch ruhiger, als sie. Ach, Klairant, gleich dem Engel des Paradieses, folgte ich uns Beiden auf jedem Schritte, und gleich dem Engel ward ich von unsrem Glüke bezaubert. Wir giengen, bei dem Lichte des Mondes, in stillen Gesprächen, und kehrten in die Hütte zurük, die jezt eine Laube schien; du schlummertest in meinen Armen, und ich bewachte deinen Schlaf, den nur der Mond beleuchtete.

Ich zeichne dir nur Eine von den Scenen, die immer wechselten und unsre Freude, unser Glük vervielfältigten. Der Mond verwandelte sich in die aufgehende Sonne, der Frühling in den Herbst; wir lasen Weintrauben unter Rosen, und brachen Obst zwischen der Baumblüthe. Nichts behielt einen Augenblik seine Gestalt; das Einzige, was unveränderlich blieb, war unsre Liebe und unser Glük. Was bedarf es bei diesen Bildern deiner Ueberredung! bei diesen Bildern, die eben so wahr als reizend sind! Wahr, Klairant; wahr, sage ich. Was meine Phantasie hinzusezte, das wechselte: Hütte, Thal, Gegend, Zeit; das Wahre blieb unverändert: unsre Liebe, unsre zärtliche Einigkeit. Und nun, Klairant, laß deine Phantasie die dunkelsten Farben zu ihren Bildern nehmen; stelle unsre Hütte zwischen schauderhafte Felsen, und bekleide sie, anstatt mit Rosen und Weinlaub, mit Nesseln und Heidekraut. Einsam, unfruchtbar sei die Gegend; kein Baum streke seine blühenden Zweige über uns aus, kein Vögelchen baue darin sein Nest, keine Stimme der Fröhlichkeit lasse sich hören: so bleiben wir Beide dennoch dieselben – Klairant und Klara. Unsre Liebe wird die Gegend verschönern, und die Felsen zu lieblichen Sizen machen; unsre Stimmen werden sie beleben. Das Echo in den Felsen wird uns antworten, oder das Gezirpe der Eidechse im Heidekraut Theil an unsrer Freude nehmen. Klairant, ich kenne kein anderes Elend, als deinen Kummer und die Trennung von dir. Mangel, Armuth, Verachtung? O, trag deine dunkeln Farben dreifach auf das Gemälde unsres Lebens; unsre Liebe wird dennoch durchschimmern, und sie alle überstrahlen. Was bedarf deine Klara? Nichts als ein Stük Leinwand, dich und mich zu bekleiden; und welcher Fels hätte nicht für die forschende Liebe ein Paar Blümchen zum Schmuke für meine Loken und meinen Busen? Wird uns eine Quelle fehlen, unsern Durst zu löschen? – Nahrung? Haben wir nicht Arme, welche die Liebe stärkt, und ist die gemeinschaftliche Arbeit nicht der Liebe ein leichtes Spiel? Nein, Klairant, meine Träume sind wahr, solange du mich liebst. Führe mich in das Elend; an deiner Hand sehe ich es nicht, und lächelnd werden wir Beide sagen können:

                   

Des destins la chaine redoutable
Nous entraine à d'éternels malheurs:
Mais l'éspoir à jamais secourable
De ses mains viendra sécher nos pleurs,
Dans nos maux il sera des délices,
Nous aurons de charmantes erreurs.
Nous serons au bord des précipices;
Mais l'amour les couvrira de fleurs
Des Schiksals Hand stieß uns in ein immerwährendes Elend; aber uns begleitet die stets helfende Hoffnung, und ihre sanfte Hand trocknet unsre Thränen. Unser Kummer kennt das Entzüken. Glükliche Träume ersezen Tage voll Thränen; und unsre Liebe bedekt mit Blumen den Abgrund, an dessen Rande wir leben..

Klairant, mein Busen ist voll großer, schöner Hoffnungen. Kein Vorwurf erhebt sich; auch nicht der leiseste Zweifel stört meinen Geist in seinem heitern, frohen Fluge zu dir. Ich bin Tochter, und habe Thränen für den Kummer meiner Eltern; aber diese Thränen fließen ohne Vorwurf, ohne Reue. Mit weinendem Auge blike ich zum Himmel, und mache ihn zum Zeugen meiner Trauer, doch auch meiner Unschuld. Ich beklage meines Vaters Vorurtheil; aber mehr kann ich nicht: denn ich bin Klairants Geliebte. Sieh, hier steh' ich, dein! dein! Das Schiksal eine Krone vor meine Füsse werfen, oder einen Abgrund; ich fliege hinüber in deine Arme. Dort find' ich meine Welt, meine Hoffnung, mein Glük, mein Alles! O Himmel! guter Himmel! soll Klairant noch eine Thräne weinen, die meine Hand nicht troknet? Freude geniessen, die Klara nicht mit ihm theilt? Du, gütige Vorsehung, gabst mir mein Herz; du gossest den lebendigen Strom der Liebe über die Erde. Ich fliehe zu Klairant, und folge nur deinen Gesezen. Komm! eile, mein Geliebter! Ich bin bereit; ein heiterer Blik voll Seelenruhe, voll des sanftesten Friedens, und das reine Herz deiner Klara sollen dich empfangen. Lebt wohl, meine Eltern, lebt wohl. Ich bin traurig, aber nicht lasterhaft. Lebt wohl, lebt wohl!

Klairant, ich bin fertig; alle meine Geschäfte mit der Welt, die mir nun fremd wird, habe ich abgethan. Einige Wäsche, eine niedliche Kleidung, wie sie sich für Klairants Frau schikt, ist eingepakt. Ich habe sie mir die Nächte durch genähet, und manche Freudenthräne hat sie schon für unser Glük geheiligt. O, ich genoß schöner, entzükender Stunden, als ich die Kleidung machte. Alles war still, und meine Jalousieen zugezogen, daß niemand meine frohen Nächte bemerken sollte. Nichts hatte ich bei mir, als den Schuzgeist unsrer Liebe. Der Morgen brach an, ehe ich es dachte, und die Arbeit, die ich mit vorgenommen hatte, war gethan. Dann löschte ich das Licht aus, und öffnete leise mein Fenster. Da stand ich, und athmete mit vollen Zügen die kühle, erfrischende Morgenluft. Unter meinem Fenster floß der Rhein langsam dahin. Ein grauer Nebel bedekte seine Fluth, oder ein Nachen ruderte still, einsam, hinab, und durchschnitt Welle und Nebel. Ueber dem Ehrenbreitstein, der meinem Fenster gegenüber liegt, leuchtete der Tag hervor, und verkündigte das Ende der nächtlichen Stille, und den Anfang meiner Ruhe. Sanft, mit dem Laufe des Rheins, schwammen dann meine Gedanken zu dir; meine Augen schauten, und sahen in dem flatternden Segel des Nachens dein Bild. Die Gegend verschwand nach und nach vor mir; deine Liebe umgab mich, bis einzelne Stimmen im Hafen, dann das Geschrei der Schiffer, mich störten, und der erste Strahl der Sonne mich endlich vom Fenster verjagte. O, was für einen süssen Schlummer genoß ich in den Morgenstunden; denn ich hatte vorher für unsere Liebe gewacht.

Ich war wie ein Kind, Klairant. Als ich mein Kleid fertig hatte, versuchte ich es, und zündete mehrere Lichter an, um mich im Spiegel zu sehen. Mit ausgebreiteten Armen lief ich meinem Bilde entgegen, als ob ich oder das Bild du wäre. Der Anzug paßte, und kleidete mich. Meine Mutter würde die Künstlerin bewundern, die, von der Liebe unterrichtet, wie eine Meisterin arbeitet.

Ich habe auch einen Strohhut, Klairant. Ach, ich mußte lachen, und doch wurde ich traurig, als ich ihn kaufte. Eben suchten ein Paar junge Französische Edelleute sich in demselben Laden grosse Säbel aus. »Sollte er groß genug seyn, um gegen die Sonne zu schüzen?« fragte ich das Mädchen, mit dem ich handelte. In dem Augenblike fragte einer der jungen Leute den andern in Scherz, und besah die Schneide des Säbels: »sollte er scharf genug seyn, mir meinen Adel wieder zu verschaffen?« Da standen wir neben einander. Deine Klara kauft den Hut einer Bäuerin, um das Andenken ihres unglüklichen Ranges gänzlich zu zerstören; und der kauft einen Säbel, um sich den Rang wieder zu erkämpfen. Man kannte mich nicht. Ich kam aus der Messe, und hatte eine grosse Levite an, die mich und meinen geliebten Hut verbarg.

Meine Mutter habe ich gebeten, meine Kleider meinem Mädchen zu geben, das ich liebe, herzlich liebe, seitdem es meinem Kummer sein Mitleiden schenkte. Ich habe meinen Eltern mit aller Ruhe eines schuldlosen Herzens geschrieben, und alle meine Lieblingsstellen noch einmal besucht. So war ich noch einmal oben auf dem Ehrenbreitstein, und freuete mich der erhabenen Aussicht. Ach, Klairant, ungern hab' ich Abschied von dieser herrlichen Höhe genommen. Sieh, da gehst du, wenn du über den Rhein gefahren bist, ganz sanft den Berg hinan, auf dem die Festung liegt. Terrassenweise hat man in den Felsen einen Gang gebrochen, der nur so breit ist, daß ein Wagen fahren kann. Der Weg geht immer an der Rheinseite des Felsens hin und zurük. Jezt bist du etwa hundert Schritt hoch über dem Punkte, auf dem du erst standest, und so kommst du weiter. Du gehst immer, bald rechts, bald links, am Felsen, steigst auf Treppen, die in ihn eingehauen sind, kommst durch ungeheure Thore, wendest dich, und steigst immer höher, so daß dein Gesichtskreis immer größer, die Tiefe, in welche du hinab siehst, immer schreklicher wird. Endlich bist du oben. Klairant, welch ein Anblik! Links zwischen den Felsen her dringt der breite, schöne Rhein, unter deinen Füssen hin! Es ist, als ob der Felsen mit dem, der darauf steht, von dem Strome fortgetragen würde: so steil sieht man hinab. Koblenz, das jenseits des Flusses liegt, hast du noch immer unter dir; es schien mir, als müßte ich mit einem Steine hinüber werfen können. Vor dir gießt die Mosel sich in den Rhein. An ihr blieb mein Auge haften: sie verfolgte ich, so weit mein Auge reichte, so weit sie zu sehen war; ich suchte noch ihren Lauf, wo Berge und Wälder sie verbergen: sie kommt ja von dir. Ich stand da, stüzte mich lange auf die Mauer, sah in die Gegend hin, die dich verbirgt, und ließ mir die Schluft zeigen, aus der du kommen mußt, um deine Klara zu holen. So traurig die Gegend nach Trier zu von dieser Höhe herab scheint – denn finstere Wälder, oben hin wie mit einer Scheere beschnitten, enden den Horizont –: ich konnte doch mein Auge nicht von ihr abziehen. Rechts und links ist die Gegend, so weit das Auge reicht, unbeschreiblich schön; reich an Dörfern, Städten und Menschen: ein Gemählde voll Lebens, voll Freude, Arbeitsamkeit und Ueberflusses.

Heute habe ich diesen Anblik zum leztenmale gehabt. Ich blieb lange oben. Bei dir, Klairant, bei dir, sah ich die Sonne untergehen. »Dorthin, da wo die Sonne sinkt, liegt Chatillon,« sagte mein Bruder. – Dahin liegt es, antwortete ich heftig; dort wohnt Er. – »Und hier,« antwortete er gerührt, auf die Stadt zeigend –: »hier wohnt dein Vater, Klara, den der Gram so schwach gemacht hat, daß ihn der kleinste Verlust, den er jezt erlitte, ins Grab stürzen würde.« Er sah mich dabei vielbedeutend an. Klang das nicht so, als ob er wüßte, was mein Vorsaz ist? »In's Grab!« Meine Flucht wird ihn niederbeugen; aber mein Glük soll ihn wieder aufrichten. Wenn er mich liebt – und er liebt mich, Klairant – so... Nein, er kann nicht traurig seyn, wenn seine Klara glüklich ist.

Ich bin fertig. Komm, eile! Wir wohnen am Rhein, dem Hafen gegenüber, bei dem Nachgänger Das scheint der Nahme eines Amtes zu seyn. Ein Wasserzolleinnehmer, vermuthlich. Herrn B***, vom Rheinthore das dritte Haus rechts. Mein Fenster ist das lezte des Hauses im ersten Stokwerke, nach dem Thore hin. Vor dem Fenster stehen ausserhalb zwei Töpfe mit Rosen. Jeden Abend mit dem Schlage Zehn, sobald meine Lucie mich verlassen hat, nehm' ich die Blumen herein; das ist dein Zeichen. Meine Eltern gehen früh zu Bett. Dann gieb mir ein Merkmal: singe, huste, o, ich werde dich schon an deinem Athemzuge erkennen. Ich gehe nicht vom Fenster weg, öffne meine Jalousie, und seze meine Blumentöpfe wieder hinaus: daran sollst du wissen, daß ich dich bemerkt habe. Dann mit dem Schlage Zwölf komme ich herunter. Das Haus, worin wir wohnen, wird wegen des Schiffszolles nicht verschlossen. Ich finde dich, Klairant, am Thor, und eile an deinem Arm durch die Stadt. Den Weg bis an das Moselthor kenn' ich genau. Da steigen wir in den Wagen, und fliegen nach Trier, oder wo du die Wege sicher glaubst. Dann, dann – o Klairant, die Feder entsinkt meiner zitternden Hand! – dann nach Chatillon. Dein Oheim legt unsre Hände in einander, und ich bin deine Gattin. Der gütige Himmel, die ewige Vorsehung begleiten uns!

Ach, Klairant, die Schwalbe! Da flattert sie, badet sich im Sonnenschein, und schlägt vor Entzüken die Flügelchen noch einmal so schnell. Sie ist frei, und schwingt sich dahin, ihrem Glük entgegen. Ihr Zwitschern ist der Ton der Freude, des Entzükens. – Klairant, ich versinke in dem Meere von Wonne. O, wenn ich erst an deiner Brust wieder erwache, um aufs neue in den Taumel der Freude, in den Rausch der Liebe zu versinken! Eile. In drei Tagen hast du meinen Brief, und den Donnerstag kannst du hier seyn. Klairant, wie zittere ich schon, daß kein Freudengeschrei, wenn ich dich sehe, deine glükliche Klara verrathen könnte! O, wird mein Herz das Glük tragen, ohne zu brechen?

Jezt ruft der Wächter zwölf Uhr. Man lacht darüber, daß in Deutschland Leute gehalten werden, welche des Nachts die Stunden abrufen. In Frankreich, sagte neulich ein Spötter, schläft man, ohne wissen zu wollen, wie lange man schläft. Mir ist diese Sitte nie lächerlich gewesen, so sonderbar es mir Anfangs auch vorkam, daß ein Mensch sich dahin stellt, und mit dem fürchterlichen Ton eines Hornes und mit einer noch fürchterlichen Stimme alle Menschen aufwekt, um ihnen zu erzählen, was es geschlagen hat. Ja, einem sorglosen Schläfer mag diese Gewohnheit widrig genug seyn. Ich selbst winke manchmal an dem Tischchen wo ich nähe, dem Manne Stillschweigen, weil ich fürchte, er wird meine Lucie aufweken, die so fest schläft, daß ihr Schnarchen bis in mein Zimmer herüber schalt. Aber mir ist der Mann lieb geworden. Ach, wenn alles um mich her still und todt war, wenn kein lebendiges Wesen mehr wachte als ich allein, wenn ich, in meinem Kummer versenkt, da saß, und der Wächter dann seine Stunde abrief; so kam es mir vor, als ob er um meinetwillen wachte, als ob er mitleidig mir sagen wollte: es ist wieder eine Stunde deines kummervollen Lebens dahin. Es war doch ein Mensch, der mit mir wachte – eine Gesellschaft, ein Trost. Er schien Theil zu nehmen an meinem Grame; ja, schon in der folgenden Nacht schien mir seine Stimme weniger rauh. Ein verlassener Kranker, den der Schlaf floh (so träume ich) oder ein kummervolles Herz, das den Schlaf haßte, weil er vergessen lehrt, muß diese Sitte erfunden haben.

Hüte dich ja vor dem Wächter! Mit dem Schlage Zwölf sei am Thore; dann komme ich. Eine Viertelstunde nachher singt er vor unserm Hause einen Psalm. Wenn er mich sähe – wie leicht könnte er mich verrathen! Um Zehn also bist du unter meinem Fenster, und um Zwölf am Thore. Klairant, mein Herz pocht bei dieser Vorstellung so heftig, als wollte es meine Brust zersprengen. – Ach, wenn du ausbliebest! – Wie komme ich auf den Gedanken? Nein, das ist nicht möglich; und doch hat mich der Gedanke so erschrekt, daß ich kalt geworden bin, wie eine Leiche. Klairant, wenn ich um zehn Uhr das Fenster öffnete, dich suchte, dich nicht sähe, deine Stimme nicht hörte, vergebens hoffte – es schlüge Zwölf, und du wärst nicht da – ach, wie würde mir dann seyn! sag, wie würde mir dann seyn! –

 

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