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IX.
Du Plessis an Klairant.

Du hast mir nicht geantwortet, lieber Klairant; ich hoffe nicht, daß die Verschiedenheit unsrer Meinungen über die Bedürfnisse unsres gemeinschaftlichen Vaterlandes einen Zwist unsrer Herzen verursachen kann. Unsre Freundschaft ist mehr als die leidige Uneinigkeit, in welche die tolle Ehrfucht einiger Rasenden unsre Begriffe und unser Vaterland gestürzt hat. Ich hange nicht an Vorurtheilen, das weißt du, das bezeugt mir meine Liebe zu dir und zu meiner Schwester; allein nach dem Schritte, zu dem nur die ausschweifendste Ehrsucht den Muth geben konnte, nach dem Schritte, sich der geheiligten Person unsres Königs zu bemächtigen, sind wir, hoffe ich, einerlei Meinung geworden. Ich bin der Freund und Gespiele deiner Kindheit gewesen, und es bis auf diesen Augenblik geblieben. Es thut mir weh, daß ich dir das erst versichern mußte, daß ich nicht ohne Umschweife mit dem anfangen konnte, was ich dir sagen wollte: Klairant, ich glaube, du thust Unrecht! Laß mich einmal wieder zu dir reden, wie einst der Knabe zu dem Knaben, mit der ganzen Freimüthigkeit eines liebenden Herzens, mit dem unbesorgten Vertrauen des Freundes.

Klairant, du thust Unrecht! Was hast du mit meiner Schwester vor? Du liebst sie, und sie liebt dich, mit allem Feuer eines jugendlichen Herzens. Nur Vorurtheile sezen sich deiner Liebe entgegen. Zugestanden! Aber auch Vorurtheile beschränken die Handlungen des Mannes von Ehre. Sie sind ein Unglük; doch das Unglük fordert Schonung. Was hast du mit meiner Schwester vor? Sie hat deine Briefe von mir bekommen. Ich glaube nicht, daß du mich als Mittel brauchen willst, meinen Vater zu betriegen. – Bei deinen ersten Briefen weinte sie, klagte, und wurde wieder ruhig. Diese Thränen waren ein Trost für ihr volles Herz. Deine Briefe gaben zwar ihrer Liebe Nahrung; aber sie waren auch die Freude ihres Lebens. Ich ließ das gehen, so oft auch meine Vernunft mir über meine zu schwache Liebe für euch Beide Vorwürfe machte. Meine Schwester sendet dir heimlich ihr Portrait. Ich freue mich darüber; denn dies Geschenk giebt meinem unglüklichen Freunde eine heitere Stunde. Sie bekommt einen Brief von dir; und nun ist ihr Zustand verändert: sie klagt nicht mehr; sie ist unglüklich. Als ich ihr den Brief gab, nahm sie ihn mit der gewöhnlichen Heftigkeit hin, und drükte ihren Mund auf die Züge deiner Hand. Ihr Auge glühte, ihre Wange brannte. Sie lief in den Garten, sezte sich in die Laube, und erbrach den Brief. Ich sah aus dem Fenster ihr zu. Sie vergoß im Lesen Thränen, las wieder, strekte die Arme gen Himmel, und versank dann in ein tiefes Nachsinnen. Seitdem geht sie mit schwankenden Schritten, zieht von Zeit zu Zeit den Brief hervor, und ihr Gesicht wird dabei immer finsterer, ihre Stirn ernster. Sie hört auf zu weinen, und wankt, wie im Traume, ganze Tage umher. In ihrem Gesichte liegt eine tiefe Trauer, in ihrer Seele eine unstäte, rasche Unruhe. Jezt ist nicht mehr ihr Geliebter der Gegenstand ihres Kummers; nein, ihr Vater und ihre Mutter sind es geworden. Sie wirft jezt die Blike voll Sehnsucht, mit denen sie sonst nur die Briefe ihres Geliebten betrachtete, auf ihre Eltern. Ihre Augen füllen sich mit Thränen, wenn ihre Mutter ihr mit Zärtlichkeit die Hand reicht. Sie zittert, wenn ihr Vater ihr mit Liebe die Wangen streichelt. Die Liebe ihrer Eltern ist ihr zur Last. Sie freuet sich, so oft der Vater ihr ein hartes Wort sagt, und stellt sich ihm, wenn er durch seine Lage erbittert ist, in den Weg, um der Gegenstand seines Unmuthes zu werden.

Ist sie allein auf ihrem Zimmer, so zieht sie die Briefe des Geliebten hervor, wie sonst; aber, sie benezt diese Briefe nicht mehr mit kummervollen Thränen. Nein; sie liest mit Entzüken, und nennt deinen Namen mit hoher Freude. Dann versinkt sie in ein tiefes Nachdenken, das mit Thränen anfängt, und sich mit einer frohen zärtlichen Miene endigt. Sie breitet die Arme aus, als ob sie dem Geliebten entgegen flöge. Noch mehr. Sie hat das Nothwendigste an Kleidern und Wäsche in ein Bündelchen gepakt; das verbirgt sie mit grosser Aengstlichkeit, und sieht alle Tage nach, ob es noch da ist. Sonst saß sie einsam in dem Gärtchen; jezt geht sie alle Abende – und am liebsten allein, so furchtsam sie auch ist – über die Moselbrüke den Weg hin, der nach Frankreich führt. Da steht sie auf der Höhe, starret mit brennenden Augen den Weg hinauf, zittert, und kommt voll Unruhe, mit Thränen in dem müden Blike, wieder.

Was ist das, Klairant? Meine Schwester erwartet dich. Sie will ihre Eltern verlassen, um mit dir nach Frankreich, dem Aufenthalte aller Verbrechen, zu fliehen. Dort findet sie Schuz, das weiß ich. Vergebens würde der Vater sie von dort mit bitteren Klagen zurükfordern, vergebens die Mutter dort den Schuz der Geseze anrufen, die nur Raub und Räuber begünstigen. – Ist es nicht so, dann verzeihe der brüderlichen Aufmerksamkeit, die zu weit gieng. Ist es aber so, Klairant, – dann antworte. Die Freundschaft und die Bruderliebe fordern deine Vertheidigung.

Du hast meine Schwester beredet, zu entfliehen, du! Hättest du ihr anzubieten, was sie durch die Flucht aus dem väterlichen Hause verliert, so wärest du weniger unedelmüthig. Du gewinnst, wenn sie flieht; sie verliert. Sie bringt das Opfer, und du beredest sie, es zu bringen. Ist das edelmüthig? – Es giebt Bedenklichkeiten, über die man sich nicht hinwegsezen darf, ohne den Verdacht des Eigennuzes auf sich zu laden; und eigennüzig scheinen wollen, ist beinahe eigennüzig seyn. Meine Schwester verliert durch eine Verbindung mit dir – einen elenden Rang, den ihre Liebe jezt nicht kennt; aber wird nie ein Zeitpunkt kommen, wo sie ihn für etwas rechnet? Und was wolltest du dann der unzufriedenen Miene antworten, mit der sie dir vorwürfe, du habest sie beredet, ein Opfer zu bringen, das sie darum brachte, weil sie es nicht kannte? Klairant, ich liebe dich, gewiß, ich liebe dich; und will es das Schiksal, so bin ich der Erste, der dir die Hand als Bruder bietet: aber mein Bruder muß die Geseze des Edelmuthes nie übertreten. Ich bitte dich, antworte mir eben so offen, wie ich fragte.

 

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