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Was verstehst du denn von Justiz? Ihr Herren vom Militair überhaupt, was wißt Ihr davon? fragte der Herr von Bärburg hitzig.

»Element!« antwortete der Rittmeister; »wir? wir? Daß du es nur weißt, ich leide deine Ausfälle gegen meinen Stand nicht länger. Jeder gute Mensch fühlt, was Justiz ist, ohne eure Gesetze und eure Akten. Und wir Soldaten wissen am Ende besser, was sie ist, als Ihr es wissen könnt. Denn, Bruder, ein Mensch, der ein Spielkamerad des Todes ist, faßt alles mehr vor Gott und mit Gott!«

Nun ja, wenn du willst. Aber – wirf die Tante in den Schloßgraben!

»Das ist so ein Stückchen von deiner Justiz. In den Schloßgraben! Hm, ja! sie macht mir das Leben zuweilen wohl sauer. Aber, Bruder, nimm Vernunft an. Was waren wir ohne die Tante? Antwort: ein Paar arme verlassene Jungen, die in der Welt keinen Menschen hatten, der sich ihrer annahm. Was ich bin, bin ich durch sie. In den Schloßgraben? Zum Element! sie gab mir Brot, und, noch mehr als das, Erziehung.«

Du wurdest Page, dann Cornet. Und die Erziehung? Bruder, das Schicksal hat dich erzogen. Aus ihren Händen wäre nur ein Katzenherz gekommen.

»Ich bitte dich, schweig! Ueber diesen Punkt will ich nun einmal nichts hören. Sie hat mir Gutes gethan. Wollte ich klügeln – was bliebe an der Welt!«

Sie säet Unkraut zwischen deinen Weizen; sie macht dein Haus zum Vorhofe der Hölle. In den Schloßgraben mit ihr!

»Laß sie säen! Mit Gottes Hülfe soll der Weizen nicht erstickt werden. Ohnedies ist es die Frage, ob sie nicht Recht hat. An Verstand fehlt es ihr nicht.«

Den hat sie – zu Klatschereien: eben genug, ihre Bosheit, ihren Hochmuth hinter der Maske der Weltkenntniß und des Ehrgefühls zu verbergen. Hat sie nicht zwischen Sonnenstein und dich einen ganzen Berg von Verdruß geworfen? Und Sonnenstein! Bruder, das thut weh! Er ist ein edler Mann! –

Der Rittmeister wendete sich unruhig hin und her. »Nun ja, edel. Wer das anders sagte, der müßte mir vor die Klinge. Aber mehr kannst du nicht fodern. Sieh, ich bin nun einmal ein Mann; was für einer, das kümmert Niemanden als mich, mein Gewissen und den barmherzigen Gott. Ich will mich nicht bevormundschaften lassen. Verstand hin, Verstand her! Zum Leben gehört am Ende mehr das Herz, mehr – wie soll ich sagen? – mehr so, wie ich es hier in der Brust fühle, wenn ich einen Unglücklichen sehe, oder einen lachenden Schurken; so ein frisches Attakiren des Feindes, mit dem Säbel in der Hand. Jener Gelehrte bauete ein Meisterstück von einer Mühle; aber sie ging doch nicht, weil es ihr an Wasser fehlte. So ist es mit euren Meisterstücken! – Ich war einmal verliebt, Bruder. Mein Compagnie-Chef, auch so ein weiser Herr, der auf dem Papiere alles konnte und auf dem Exercierplatze nichts, der setzte mir einen halben Tag lang aus einander, was die Liebe ist und nicht ist, und wie ich es anfangen müsse, um nicht verliebt zu seyn. Das war alles so viel wie nichts. Mein alter General, ein Ehrenmann, sagte mir: Bärburg, heirathen kann Er das Mädchen nicht; und nur ein Schurke macht ein ehrliches, keusches Mädchen zur Hure. Das schlug an. Sieh, da attakirte ich den Feind mit dem Säbel in der Hand. Versteh, Bruder: ich ließ mich nach Polen auf die Remonte schicken, und das Mädchen, dem ich so gut im Herzen steckte, wie sie mir, wurde unterdessen eine brave Hausfrau. Sieh, das meine ich. Dein Sonnenstein mag ein gescheidter Mann seyn; aber – denk an die Mühle!«

Du thust ihm Unrecht, und das kommt von der Tante Isabelle! sagte der Präsident ganz ruhig, und ritt davon. Er kannte seinen Bruder, und wußte, daß so etwas bei ihm nachwirkte – –

»Tralala!« sang der Rittmeister. »Schloßgraben! Was will ich denn? Mich nicht noch in meinen alten Tagen zureiten lassen.« – »Mein Bruder läßt sich empfehlen,« sagte er zu der Tante Isabelle, die in das Zimmer trat. Sie neigte vornehm den Kopf. Er könnte sich wohl selbst empfehlen. Aber nichts wird geschwinder vergessen als Wohlthaten. Als er jung war, hatte ich ihn lieb, ich nahm ihn bei seiner Hand, und leitete ihn, ich ließ ihn ein menschlich Joch ziehen, und in Seilen der Liebe gehen, und gab ihm Futter; aber wenn ich ihn jetzt rufe, so wendet er sich davon, und opfert dem Baal. So wie der Prophet, so kann auch ich sagen.

»Das können Sie nicht. Mein Bruder wird nie vergessen, daß Sie ihn in der Jugend unterstützten.«

Er hat es vergessen, rein vergessen; denn folgt er mir? ist er mir je gefolgt? Aber es wird ihm wehe werden, wie einer Gebärerin!

»Gott behüte und bewahre! . . . Höllen-Element! wenn Sie nicht eine Jungfer wären, die nicht weiß, wie die Noth in der Geburt thut, so . . . Steht nicht Segen genug in der Bibel? Gott mag so sprechen, vor dem wir Alle Sünder sind; aber ein armer hinfälliger Mensch, wie ich und Sie, Tante? Und wäre ich zehnmal ein Prophet, ich sagte so nicht. Gott bewahre! Er ist mein Bruder, und Ihrer Schwester Sohn.«

Wissen Sie denn schon, Rittmeister, daß Sonnenstein dem Förster die Klage gegen Hammern zugestanden hat?

Der Rittmeister machte ein gleichgültiges Gesicht, und sagte ganz kalt: »so?«

Wenn Sie noch nicht merken, wohin das zielt!

»Zielt, und immer zielt! Warum muß es denn zielen? warum auf mich? Sonnenstein ist ein Mann, wie es wenige giebt.«

Ein kluger Mann! wer leugnet das? Ein steinreicher Mann, gegen den Sie ein Bettler sind: das weiß die ganze Welt. Freilich, seinen Adel hat er in Wien gekauft; und das möchte er selbst gern vergessen, wenn es nur Andre vergessen wollten.

»Gott Lob, ich habe es vergessen, oder vielmehr, ich dächte nie mit einem Gedanken daran, wenn Sie nicht alle Tage davon sprächen.«

Nun ja, nun ja! In der Stadt ging es nicht; da wollte man das neugeborne Kindlein nicht gelten lassen. Natürlich, das hat ihm Haß gegen die alten Familien beigebracht. Nun kommt er hierher; und Sie müssen fühlen, daß er reich und Gerichtsherr ist. Ihren guten Freund Hammer! Was Freund! sagt er; ich bin Herr hier! Sie werden sehen, er bringt den Hammer noch vom Dienst.

»Das thut er nicht, sag' ich Ihnen. Hammer ist mein Freund, und Sonnenstein . . . Zum Teufel, Tante! wer war es denn, der so lange hetzte, und so viel Gift in die Nadelritze goß? Aber Sonnenstein ist mein Schwager.«

Ihr Schwager? Ihres Bruders Schwager! . . . Wer Schuld an dem allen ist? Ihr theurer Herr Bruder, der ihm das Gut verkaufte, und die Gerichtsbarkeit dazu. Nun geht es nach dem Sprichwort: wird der Bauer ein Edelmann ... –

»Tante,« fiel der Rittmeister schnell und hitzig ein: »er ist ein Ehrenmann, und Hammer kommt nicht vom Dienst.« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer, was er immer that, wenn Isabelle machte, daß ihm die Galle überlief.

Der Rittmeister sprengte im Galopp vom Hofe, und sah den Gerichtshalter Hammer. Er hielt den Fuchs an, und sagte unruhig: »Hammer, die Tante plaudert da allerlei von Ihnen und Sonnenstein; und Sie, Sie machen ein Gesicht dazu, wie ein armer Sünder.« (Der Gerichtshalter zuckte die Achseln.) »Nun was ist denn? was ist es?«

Was will es seyn! Ich war Gerichtshalter bei dem Freiherrn von Bärburg. Nun wurde hier ein Krämer, – oder Kaufmann, (verbesserte er, als er die ernste Miene des Rittmeisters bemerkte), oder ein Banquier, Gerichtsherr. Es ist nun doch einmal ein Unterschied zwischen Adel und Adel, ob ich gleich Anfangs das nicht begriff. Ich hielt mich an Ihr Haus, gnädiger Herr, und mochte wohl ein wenig zu dreist mit dem neuen Herrn geredet haben. Da ist nun die Sache mit Engelmanns, die vom Hofe mußten, mit Schobers wegen Schadenersatzes nach dem Hagelschlage, und wegen Dienstbefreiung nach dem Brande, auch die Geschichte mit dem Förster. Alles steckt sich jetzt hinter den neuen Herrn, Ihr Gnaden. Ein Speichellecker bin ich nun einmal nicht.

»Doch, Hammer! gegen die Tante! Ich fürchte aber, die will die Menschen nicht anders haben, als so.« (Hammer lächelte ein wenig, und nickte mit dem Kopfe.) »Aber,« fuhr der Rittmeister fort, »was können denn Engelmanns, was Schober und der Förster, ja was kann denn Sonnenstein selbst, wenn er auch wollte, woran ich doch zweifle? Die Sachen sind ja rechtskräftig geworden.«

O, das Geld! Ein Mann, wie der neue regierende Herr hier, der in seinem Schuldenbuche Minister und Präsidenten hat, kann alles, was er will. Sie wissen, gnädiger Herr Rittmeister, wie die Sachen damals standen. Wer dachte an eine Veränderung! Damit die Prozesse bald abgethan würden, befahlen Sie mir ja selbst wohl hundertmal, den Schneckengang der Gerichtsordnung zu beschleunigen.

»Das that ich; ja! Und nun? Ich sitze wie auf einem glühenden Sattel. Weiter, weiter!«

Auf Ihren Befehl umging ich damals hier eine Form, und dort wieder eine. Genug, Herr Rittmeister, es fehlt in den Akten an manchen Formalitäten.

Darum lassen Sie sich nicht bange seyn, Hammer! Und wenn Sonnenstein der lebendige Gott sey bei uns selbst wäre: da macht' ich einen Ritt in die Stadt. Mein Oheim, der Regierungspräsident, ist ein ehrlicher Mann. Und wollte der nicht hören: bei meiner Seele! für einen Freund ginge ich, so sauer es mir auch ankommen würde, gerade an des Königs Majestät. Aber Sonnenstein ist nicht der Mann dazu, sage ich Ihnen.

Ich bin es gar nicht, hob der Gerichtshalter mit Kopfschütteln an, den er treten will. Wäre ich es: o, Ehrlichkeit läßt Niemanden ganz sinken! Aber Sie, lieber, guter gnädiger Herr, Sie sind es.

»Element! ich glaube, Sie sind heute voll süßen Weins, wie die Tante sagt. Mich treten? Die Tante bläs't in das Horn, und Sie auch. Warum mich?«

Weil Sie ein Mann sind; weil Sie vor diesem klugen und mächtigen Herrn, vor dem sich wohl eher ein Minister gebeugt hat, gerade stehen; weil Sie sich nicht wollen von ihm bevogten, bevormundschaften lassen. Wer weiß, ob ihm nicht Ihr Gut ansteht. Hat er doch schon um die Waldbreite mit Ihnen unterhandelt!

Der Rittmeister runzelte die Stirn. »Aber mein Bruder,« sagte er, wie vor sich; »und Sonnenstein selbst! Nein, es ist nicht möglich.« – Er gab seinem Pferde die Sporen, und sprengte nach einer neuen Anlage hin, die Sonnenstein jetzt eben machen ließ, und bei der er gewöhnlich selbst zu seyn pflegte. Sobald er abgestiegen war, ging er rasch und fest auf Sonnenstein los. »Bei meiner Ehre!« sagte er im Gehen leise vor sich: »es ist eine ehrliche Seele, die aus den blauen Augen hervorsieht. Stolz mag er seyn, auch wohl herrschsüchtig; aber kein Menschenverderber.« – »Wir sind just eben nicht die besten Freunde, Herr von Sonnenstein,« hob er an: »aber Menschen sind wir Beide, denk' ich; und jetzt, da ich hier so vor Ihnen stehe, kommt es mir vor, als wären das Possen, was man mir erzählt hat.« (Sonnenstein sah ihn mit freundlichen Augen an, wie immer, wenn der Rittmeister mit seiner festen, männlichen, edlen Gestalt, seinem braunen Gesichte, seinen Zügen der gutherzigsten Ehrlichkeit, seinen funkelnden und doch so frommen Augen vor ihm stand.) »Ist es wahr, daß Engelmann unter Ihrem Schutze gegen Hammern klagen will? Und auch Schober und der Förster?«

Unter dem Schutze der Gesetze, Herr Rittmeister; und also unter dem Schutze aller guten Menschen, auch unter Ihrem Schutze.

»Wissen Sie, daß Hammer in den Sachen dieser Leute auf meinen bestimmten Befehl so gehandelt hat?«

Nein, Herr Rittmeister, sagte Sonnenstein freundlich; das konnten Sie nicht befehlen.

Der Rittmeister verstand ihn nicht. »Damals konnte ich befehlen. Er hat auf meinen Befehl so gehandelt. Warum zweifeln Sie an der Wahrheit meiner Versicherung?«

Sie werden heftig, Herr Rittmeister; und doch wiederhole ich noch einmal: was Hammer that, befahlen Sie gewiß nicht. Mit diesem Menschen haben Sie nichts gemein.

»Nichts? Ich bin sein Freund! Oder darf ich auch das nicht seyn? . . . Doch ja, ich werde heftig. Also ganz kalt: werden Sie Parthei gegen Hammern nehmen?«

Sonnenstein überlegte einige Augenblicke, was er dem Rittmeister, den er achtete, antworten sollte, damit es zu einer Erklärung käme. Das schadete ihm bei dem Rittmeister, der nie bei irgend einer Frage auch nur einen Augenblick mit seiner Antwort zögerte. »Ein ehrlicher Mann,« sagte der Rittmeister heftig, »hat nie nöthig, sich zu besinnen, was er auf eine so klare Frage antworten soll. Ich werde für Hammern mit Leib und Seele Parthei nehmen, sage ich Ihnen.«

Das werden Sie nicht, Herr Rittmeister.

Der Rittmeister rief nach seinem Pferde, und war im Sattel, ehe Sonnenstein noch ein Wort hervorbringen konnte. »Ich wollte,« sagte er unterweges, »mein Bruder hätte das alles gehört; dann würde er nicht mehr sagen: der vortreffliche Mann!«

An Hammers Redlichkeit zweifelte der Rittmeister nicht; denn er selbst war der zutraulichste Mann auf der Erde, und Hammer der niedrigste Heuchler.

Sonnenstein wohnte schon seit sechs Monaten in Grundleben, das er von seinem Schwager, dem Präsidenten von Bärburg, gekauft hatte. Die beiden Brüder Bärburg liebten einander mit inniger Zärtlichkeit, obgleich sehr oft Zwistigkeiten unter ihnen vorfielen, die bisweilen in offenbare Feindschaft ausarteten. Sie waren die Söhne einer heruntergekommenen Familie. Ihre Mutter hatte ihren Vater gegen den Willen ihrer Familie geheirathet. Beide lebten einige Jahre glücklich; doch endlich brachen ihre Herzen unter der Last des Elendes, und dem unversöhnlichen Hass der beleidigten Familie. Auf dem Sterbebette schrieb die Mutter ihrer Schwester, damaligen Oberhofmeisterin an einem kleinen fürstlichen Hofe, einen Brief, in welchem glühende und verzagende Mutterliebe aus jedem Worte sprach. Die Schwester brachte den einen Neffen erst als Pagen unter, und dann als Cornet; dem andern verschaffte sie eine Stelle auf einer Ritter-Akademie. Das war alles, was sie für die beiden Knaben that. Diese machten späterhin eine reiche Erbschaft von einem Agnaten ihres Vaters; und fast zu eben der Zeit fiel die Tante Isabelle in Ungnade, weil sie an einer Hof-Intrigue gegen den Fürsten Antheil genommen hatte. Sie zog nun mit dem ganzen Stolze ihres ehemaligen Ranges und mit ihrer natürlichen Intriguen-Sucht zu ihrem Neffen, dem Rittmeister, der kurz vorher seine Frau, bald nach ihrer Entbindung von einer Tochter, verloren hatte.

Der Rittmeister sah schon nach vier Wochen ein, daß Tante Isabelle nicht viel werth war; doch der Gedanke: sie hat mir in der Jugend wohlgethan, setzte ihn über alle Bedenklichkeiten hinweg, und sie verstand die Kunst, durch Nachgeben, wenn er einmal losbrechen wollte, durch ewiges Erinnern an ihre Verdienste um ihn, durch stetes Zurückkommen auf irgend einen Plan, den sie wider seinen Willen durchzusetzen suchte, ihn, dem Anscheine nach, völlig zu unterjochen. Es geschah am Ende, was sie wollte, weil der Rittmeister die Geduld verlor, ein ganzes Jahr hindurch jeden Tag zehnmal Nein zu eben der Sache zu sagen. Lächelnd sagte sie: wer etwas fest will, und immer will, und nie seinen Wunsch aus den Augen verliert, erreicht am Ende seine Absicht.

So war sie Herr auf seinem Gute, in seinem Hause, über seine Gesellschaften und über sein Vermögen; doch nur bis auf einen gewissen Punkt. Das wußten aber nur sie und er, nicht einmal sein Bruder, der ihm oft seine unmännliche Schwäche vorwarf.

»Schwäche!« sagte der Rittmeister dann mit funkelnden Augen, eben weil er sich ein wenig getroffen fühlte. »Du hast einen Widerwillen gegen die Tante, den ich nicht habe. Sie ist meiner Mutter Schwester, und war meine Wohlthäterin, als wir beinahe im Elende umgekommen wären. Nun ja, sie thut vielerlei, was ich nicht thun würde; aber warum soll ich sie ihr Wesen nicht treiben lassen, da es sie glücklich macht, und mich gar nicht unglücklich?«

Zu diesem Vielerlei gehörte, daß sie um zehn Uhr aufstand, und um vier Uhr aß, um zwei Uhr Nachts zu Bette ging, mit Einem Worte, daß sie, so gut als möglich, ihr ganzes Hofwesen mit allem Ceremoniel auf das Schloß des Rittmeisters verpflanzt hatte. Dessen einfaches Leben stach freilich gegen das ihrige seltsam ab. Er stand im Sommer um vier Uhr auf, frühstückte um neun, aß mit der Tante um vier Uhr zu Abend, und ging um neun Uhr zu Bette. Die Tante machte tausend vergebliche Versuche, ihn von seiner gemeinen bürgerlichen Lebensweise abzubringen. Als sie endlich einmal Gewalt brauchen wollte, sagte der Rittmeister mit flammenden Augen und donnernder Stimme: »Sie waren meine Wohlthäterin; darum mögen Sie hier leben, wie Sie selbst wollen. Aber, zu allen Höllenteufeln! Herr bin ich in meinem Hause, und will es bleiben! Morgen soll um zwölf Uhr gegessen werden; und wer nicht da ist, mag hungern!«

So weit kam es zwischen dem Rittmeister und der Tante einige Male; und in Einem Falle hielt er so fest Wort, daß sie mit allem ihrem Plagen ihn nicht von seinem Entschlusse abbringen konnte. Jetzt sah sie, daß die Reihe nachzugeben an ihr war. Sie that es, um nicht alles zu verlieren; nun half ihr aber dieses Nachgeben bei dem gutherzigen Rittmeister wieder zur Ausführung irgend eines andern Planes.

Besonders war die Erziehung seiner Tochter der Punkt, in welchem er unbesiegbar blieb. Er hatte seiner Gattin in der letzten Stunde ihres Lebens versprechen müssen, das Kind nie einem Andren als ihrer Freundin, der Witwe eines Predigers, anzuvertrauen; und diese, eine vortreffliche Frau, lebte nun in seinem Hause.

Die Tante Isabelle kam an. Der Rittmeister, der sie nur als Knabe, in dem Glanz ihres Standes und des Hofes, gesehen hatte, empfing sie mit der alten Ehrerbietung und der heißen Dankbarkeit eines schönen Herzens. Er führte sie in das Zimmer, das seine Frau bewohnt hatte, das schönste im Hause. Sie drehete auf dem unbeweglichen langen Halse den Kopf rings im Zimmer umher, und hob an: Mais, mon neveu . . . ja so! – Aber, mein Neffe, Sie werden erlauben, daß ich mir Möbel in einem bessern Geschmack kommen lasse. – »Bruder,« sagte der Rittmeister nachher: »es geht der Tante mit den Möbeln, wie mir mit den Pferden.«

In einem fremden Hause? erwiederte der Präsident, sanft lächelnd, doch ein wenig spöttisch.

»Fremd? mein Haus? Bruder Hans, ich hoffe, das ist nicht dein Ernst. Davor sey Gott, daß mein Haus je ein fremdes für einen Menschen seyn sollte, von dem ich nur einen Trunk Wasser bekommen habe! und nun gar für die Tante, die mich erzogen hat!« –

Die Möbel kamen an, und waren besser, als die Tante sie erwartete. – So? so.. sagte sie vor sich; hier läßt sich etwas machen. Sie wollte einen Bedienten wegjagen, der ihr nicht Respekt genug erwiesen hatte, und trug das dem Rittmeister vor. Er untersuchte, gab sich Mühe sie zu beruhigen, stellte ihr vor, daß der Mensch ganz unschuldig wäre, und sagte ihr endlich geradezu, er werde ihn behalten. Von jetzt an behandelten andre Bedienten sie nachlässig; doch es mußten ein Paar das Haus auf der Stelle verlassen.

So also? so? sagte die Tante wieder; und nun studierte sie den Rittmeister ordentlich, wie ein Schauspieler den Charakter, welchen er spielen soll. Sie brachte allmählich Jeden, der ihr nicht gefiel, aus dem Hause; denn sie legte es den Leuten so nahe, daß sie irgend eine Impertinenz gegen sie begingen. Die Predigerwitwe, Jakobinens Erzieherin, war ihr schon längst verhaßter, als jeder Andere, weil diese Frau, bei aller gefälligen Sanftmuth, in ihrem Wesen etwas Imponirendes hatte. Endlich wagte sie sich auch an diese, und hatte sich recht auf ihre Rolle vorbereitet. Aber nie war sie so übel weggekommen: die sanfte Frau sprach so nachdrücklich, und, als ihr die Oberhofmeisterin Grobheiten sagte, so derb, daß diese in heftigen Zorn gerieth. Sie lief hinunter zu dem Rittmeister. Das Predigerweib . . . hob sie an. Doch schnell sprang der Rittmeister von seinem Stuhle auf, und rief donnernd: »Predigerweib? Wen meinen Sie? Ich will doch nimmermehr hoffen, daß Sie die Freundin meiner verstorbenen Frau so nennen? Tod und Teufel! das will ich nicht hoffen!«

Die Tante war jetzt zu heftig, als daß sie sich ihrer Rolle und der Art, wie man den Rittmeister behandeln mußte, hätte erinnern können. Ja, rief sie: eben das Weib meine ich. Hatte denn Ihre Frau eine Freundin unter ihren Domestiken? Kurz, dieses Weib muß noch heute aus dem Hause; oder ich verlasse es.

»Sie! Sie!« rief der Rittmeister. Er riß das Fenster auf, und rief in den Hof: »spannt an! . . . Sie! da ist keine Wahl; Sie!«

O, Gott! dieser undankbare Mensch will die Schwester seiner Mutter, seine Wohlthäterin, einer Fremden aufopfern!

»Einer Fremden? aufopfern? Tante, Sie reden irre. Die Freundin meiner geliebten Frau, die Mutter meiner Tochter, eine Fremde? O, welch ein Herz haben Sie! Zum Teufel! gab es denn an Ihrem Hofe nicht Eine Mutter? nicht Einen Vater? Sonst müßten Sie doch wissen, was einem Vater die treue Erzieherin seines Kindes ist!«

Gut, Herr Rittmeister. Ich sehe, was Ihre nächste Verwandte Ihnen gilt. O, daß ich könnte ein Schloß an meinen Mund legen, und ein fest Siegel auf meine Lippen drücken! Aber ich werde es lernen, ich werde es lernen.

»Das gebe Gott, Tante!« – Er ließ sie stehen, und ging zu seiner Tochter. Die Witwe sagte nicht ein Wort über den Vorfall, und auch der Rittmeister schwieg.

So also? sagte die Tante ergrimmt. Nun denn! wie Sie wollen, Herr Rittmeister! Nach einem Jahre machte sie den Rittmeister einmal recht weich, da sie ihm sagte, wie lieb sie ihn und seinen Bruder gehabt hätte; und nun verlangte sie, daß er ihr die Erziehung seiner Tochter überlassen sollte. Die Frau ist gut, Herr Rittmeister, das ist wahr; aber Ihre Tochter, die Erbin eines so großen Vermögens, muß doch einmal Ihrem Nahmen Ehre machen. Sie glauben nicht, mon neveu, wie schwer es in späteren Jahren hält, den richtigen Französischen accent zu bekommen, so daß man einem den Deutschen nicht anhört.

»Den soll man einem Deutschen anhören! Wofür wäre er denn ein Deutscher?«

Aber, mein Gott, neveu, was ist denn Ihre Absicht mit dem Kinde? für welche Carriere bestimmen Sie es denn? Doch wohl für den Hof?

»Ganz und gar nicht. Sie soll lustig aufwachsen, einen Mann glücklich machen, und eine glückliche Mutter werden. Gott gebe, eine glücklichere, als ihre eigene!« Die Augen gingen dem Rittmeister über. Die Tante wiederholte ihr Verlangen, weil sie sich gar nicht auf sein Herz verstand. Er antwortete mit einer weichen Stimme, die sie für ein Zeichen der Nachgiebigkeit hielt; »ich habe meiner sterbenden Frau versprochen, das Kind sonst Niemanden als ihrer jetzigen Pflegemutter anzuvertrauen.«

Nun? was liegt denn daran, ob Sie das Versprechen halten, oder nicht?

Er sah sie mit starren Augen an; und dann zeigte sich ein Zug von tiefer Verachtung auf seinen Lippen. Seine Farbe erhöhete sich; sein Auge funkelte. Sie sah ängstlich dem Sturm entgegen, der so eben losbrechen wollte, und hob an: lieber Neffe, in der Bibel steht . . .

Er unterbrach sie: »in der Bibel? Ja, recht! da steht es auch. Ich habe es noch heute gelesen, und es hat mich erquickt; denn ich weiß, wie hitzig ich bin, und wie leicht ich meine besten Freunde beleidige. Aber Sie, Tante, Sie! Hier lesen Sie; hier steht es.« Er las, und man hörte seine tiefe Verachtung in dem kalten, halb grimmigen, halb spottenden Tone: »wenn du gleich ein Schwert zückst über deinen Freund, so machest du es nicht so sehr böse; denn ihr könnt wohl wieder versöhnt werden. Denn man kann alles versöhnen, ausgenommen Schmach, Verachtung und böse Tücke!« Nun ging er langsam hinaus, und ließ sie vor der Bibel sitzen, die sie so oft mißbrauchte.

An dem Tone seiner Stimme hörte sie, daß er sehr bitter beleidigt war; da es ihr aber an Takt für seine Empfindungen fehlte, so sann sie vergebens nach, was ihn denn wohl beleidigt haben könnte. Sie las die Stelle in dem Sirach mehrere Male, und konnte immer nicht begreifen, wie sie auf den gegenwärtigen Fall paßte.

Ihr Verstand reichte nicht hin, einzusehen, daß ihr Plan, Philippinen in ihre Gewalt zu bekommen, oder, worauf es eigentlich abgesehen war, die Predigerwitwe zu verdrängen, sich unmöglich ausführen ließ. Sie hob sooft wieder davon an, daß endlich der Rittmeister böse wurde und ihr alle Flüche seines Regimentes an den Kopf warf. Nun gab sie ihren Plan zwar auf, beschloß aber, der Witwe das Leben so sauer zu machen, daß sie von selbst gehen sollte; und dabei sang sie mit heller Stimme den Gesang: »o süßer Stand, o selig Leben, das aus der wahren Einfalt quillt, wenn sich ein Herz Gott so ergeben,« etc. was sie alle Mal that, wenn sie recht angenehme Dinge dachte, so wie sie jedes Mai Französische Opernarien sang, wenn sie ängstlich, betrübt, oder zornig war.

Die Witwe beklagte sich bei dem Rittmeister. Dieser bat die Tante, und machte ihr Vorstellungen. Als das nichts half, zog die Witwe mit Philippinen in ein Gartenhaus, und erhielt ihre eigene Bedienung, ihre eigene Küche. Die Tante war außer sich, und wollte nun auch dahin. Die Witwe ließ sie aber an der Thüre klingeln, so viel sie wollte; und der Rittmeister sagte ganz kalt: »ich habe den Leuten befohlen, nicht aufzumachen.«

Für den Rittmeister hatte die Tante Jesabel, wie er sie in seinen unmuthigen Stunden nannte, eine Art von Neigung; doch gegen seinen Bruder in der That eine Art von Haß, der sich schon aus früheren Zeiten herschrieb. Der Präsident hatte die Schwester des Herrn von Sonnenstein geheirathet, und obendrein, noch ehe dieser geadelt worden war. Anfangs schwor sie, nie einen Fuß über die Schwelle ihres Neffen zu setzen, der sich so weggeworfen, und die Tochter eines Krämers geheirathet habe; doch des Präsidenten Haus war eins der glänzendsten im ganzen Lande, und es wurden fürstliche Diners darin gegeben: deshalb versöhnte sie sich mit ihm und seiner reichen Frau. Sie versuchte es, auch ihn zu unterjochen, wie den Rittmeister; das mißlang aber, und der Präsident that, zum großen Aerger seines Bruders, selbst in den gleichgültigsten Dingen immer gerade das Gegentheil von dem, was die Tante wünschte. Nun stieß sie eine ganze Menge Flüche der Propheten gegen den Präsidenten aus, und noch mehr gegen seine Frau, die sich mit großem Ernst alle Einmischung in ihr Hauswesen verbeten hatte. Sie arbeitete lange daran, die beiden Brüder zu entzweien; es gelang ihr auch zuweilen, doch nur auf eine kurze Zeit. Drei Tage hielt der Rittmeister die Trennung von seinem Bruder wohl aus; dann aber ging er wieder zu ihm. Der Präsident hatte sich öfters vorgenommen, die Entfernung der Tante zum Preise der Versöhnung zu machen; doch er konnte der Betrübniß, womit sein Bruder ihm um den Hals fiel, nicht widerstehen, und Beide versöhnten sich ohne Bedingung.

Eines Morgens ging der Rittmeister zu seinem Bruder. Er sah auf dem Hofe einige bepackte Wagen, und fand seine Schwägerin in Thränen, seinen Bruder mit gekreuzten Armen und dem finstersten Gesichte. »Was ist denn, lieben Kinder?« fragte er; und der Präsident antwortete: wir reisen ab. Seine Frau schluchzte, und behandelte den Rittmeister mit großer Kälte, ohne ihm auf seine Fragen nach der Ursache dieses Auftrittes Antwort zu geben. Endlich fuhr der Reisewagen vor. Der Präsident umarmte seinen Bruder, und sagte: Gott segne dich! Du bist unschuldig. Aber die Tante, das glaube mir, ist ein höllischer Teufel! – Aerger als ein Teufel! sagte die Präsidentin mit der größten Erbitterung. Beide stiegen in den Wagen, und der Rittmeister sah ihnen mit Erstaunen nach, ohne erfahren zu haben, warum sie die Tante für einen höllischen Teufel erklärten. So oft er seinen Bruder nachher sah (was freilich nur selten der Fall war), bat er ihn um Auflösung des Räthsels. Der Präsident schüttelte nur den Kopf, und immer mit allen Zeichen des stärksten Unwillens. Die Präsidentin war seit jenem Tage wie gänzlich verwandelt. Anstatt ihrer sonst immer gleichen, sanften Stimmung hatte sie jetzt eine seltsame Unruhe. Sie liebte ihren Mann noch, so wie er sie; doch ihre Ehe war nicht glücklich. Oft hatte sie ganze Monate hindurch nicht Einen heitern Tag; sie litt durch eine immer stärker zunehmende Schwermuth, fiel ab, kränkelte, und erlag endlich ihrem langen Leiden. Der Präsident war außer sich vor Schmerz. Er führte den Rittmeister an den Sarg seiner Frau, und sagte ihm, wieder mit Erbitterung: sieh her, Ludwig! das ist das Werk unsrer Tante!

Der Rittmeister fragte, wie ein Verbrecher zitternd: doch mehr war aus dem Präsidenten nicht zu bringen; ja, er mußte diesem versprechen, daß er nie einem Menschen etwas von den Aeußerungen seines Schmerzes sagen wollte. Es währte lange, ehe der Präsident sich wieder erholte und etwas ruhiger wurde. Er blieb unverheirathet, nicht aus derselben Ursache, wie der Rittmeister, der nur Einmal in seinem Leben lieben konnte, sondern aus irgend einem andern Grunde, den Niemand zu errathen wußte. Wirklich riß er sich mit der größten Gewalt von zwei Frauenzimmern nach einander los, die er leidenschaftlich liebte, und deren Hand man ihm gewiß nicht versagt hätte. Er wendete nun seine ganze Liebe auf seinen Sohn, und gab ihm die sorgfältigste, dabei aber auch eine sehr glänzende Erziehung. Sein Haß gegen die Tante blieb immer unvermindert, und er sah sie nie anders, als wenn er nach Grundleben kam. Der Rittmeister konnte, wenn er das alles überdachte, die Tante zuweilen nicht ohne einen geheimen Schauder ansehen; doch – wie hatte sie den Tod seiner Schwägerin verursachen können? Er schüttelte ungläubig den Kopf; und in der That gerieth er in nicht geringen Unwillen gegen seinen Bruder, als einmal ein alter treuer Bedienter desselben, mit dem er über den Tod seiner Schwägerin redete, die bedenklichen Worte sagte: mein guter Herr hatte einmal eine schwache Stunde, und die gnädige Frau war eifersüchtig. So etwas kann viel Glück zerstören, Herr Rittmeister.

»Was Teufel! was Teufel!« sagte der Rittmeister, fast außer sich; »eine schwache Stunde? Behüte Gott! Die Jesabell? Das wäre ja allzu toll! Darum mußte er fort?«

Ach! sagte der Bediente betrübt; wer könnte mit dem Fräulein Isabelle eine schwache Stunde haben! Pfui!

»Nun so hol's der Henker! Die Tante soll auch an allem Schuld seyn, was der und der selbst verschuldet hat« –

Tante Isabelle füllte die Lücke, welche die Abreise des Präsidenten in ihrer Thätigkeit verursachte, sogleich durch den Umgang mit dem Gerichtshalter Hammer, der schon oft, doch immer vergebens, Versuche gemacht hatte, sich in das Vertrauen des Rittmeisters zu drängen. Durch gänzliche Unterwürfigkeit unter den Hochmuth und die Launen der Tante, erwarb er sich ihre Gunst, und durch ein zutrauliches Wesen, so wie durch Versicherungen seiner Redlichkeit, das Vertrauen des arglosen Rittmeisters. Hammer hatte viele gesellschaftliche Tugenden: er war immer heiter, machte, wenn der Rittmeister nicht wollte, den Wirth für die Gäste, und besorgte die Geschäfte des Gutes pünktlich, und ohne alle Partheilichkeit. »Hm!« sagte der Rittmeister; »da lerne ich wieder einen ehrlichen Menschen kennen, der unverdient durch den Argwohn meines Bruders leiden mußte.« Alle seine Geschäfte, alle seine Wohlthaten ließ er nun durch Hammers Hände gehen; denn daß jetzt nur Unwürdige seiner Wohlthätigkeit empfohlen wurden, merkte er nicht. Wendete sich ein Unglücklicher an ihn selbst, so stellte sich Hammer sehr geschäftig, dem Armen zu helfen; mit dem allen geschah aber nichts, oder doch nicht viel. Durch seine Heuchelei gelang es ihm übrigens in Kurzem, auf den Gütern allmächtig zu werden, wie die Tante es im Hause war.

Der Präsident trauete dem Gerichtshalter nicht, so sehr dieser sich auch das Ansehen eines ehrlichen Mannes zu geben suchte. Nun wurde bei dem Rittmeister nach und nach der Verdacht erregt, daß der Präsident seinen Hofmeister machen wollte. So war der gute Rittmeister bei seiner schwachen Seite gefaßt, und der Präsident gab Veranlassungen genug, ihn in seinem Verdachte zu bestärken. Auf diese Art gelang es Hammern, dem Präsidenten die klare Uebersicht der Geschäfte zu entziehen, und nun wurden unter dem Ansehen des Rittmeisters schreiende Ungerechtigkeiten begangen.

Endlich kaufte Sonnenstein von dem Präsidenten das Gut, auf welchem auch die Gerichtsbarkeit lag. Soit! sagte die Tante; aber er soll tanzen, wie wir pfeifen. Hammer schüttelte den Kopf, und seufzte: wenn nur erst zwei Jahre vorüber wären!

Sonnenstein besuchte den Rittmeister, der ihn noch nicht kannte, und dem er außerordentlich gefiel. Die Tante war nicht mit ihm zufrieden; denn er hatte sie mit unverkennbarer Verachtung behandelt. Hammer schürte das glimmende Feuer bei ihr fleißig an, weil er gleich bei der ersten Unterredung mit Sonnenstein gesehen hatte, daß dieser nicht der Mann dazu war, sich mißleiten zu lassen. Man suchte den Rittmeister gegen ihn einzunehmen, und dichtete ihm an, er und der Präsident hätten es gemeinschaftlich darauf angelegt, den Rittmeister zu unterjochen. Jede von Sonnensteins Handlungen wurde in ein falsches Licht gestellt. Da haben wir's! sagten die Tante und der Gerichtshalter bei jeder Gelegenheit. Gleich die ersten festen Schritte, die Sonnenstein that, um die Ordnung auf seinen Gütern und in seinen Dörfern wieder herzustellen, und die auch manche Veranstaltungen des Rittmeisters betrafen, wurden Herrschsucht, Hochmuth, Neid gegen den Geburtsadel des Rittmeisters genannt; und Sonnensteins Äußerungen über den Werth des Adels, welche nur die Tante treffen sollten, klangen fast so, als ob seine beiden Feinde Recht hätten.

Sonnenstein fand den Rittmeister ganz anders, als der Präsident ihn beschrieben hatte; denn der Rittmeister erregte ihm auch bei den nothwendigsten Veränderungen Hindernisse. Jener war so wenig wie dieser an Umwege gewöhnt, und ging immer den geraden Weg, doch schweigend, ruhig, kalt. Der Rittmeister hielt das für Verachtung; und nun wollte Sonnenstein sogar den ehrlichen Hammer, den Freund des Rittmeisters, stürzen!

»Tralala!« sang der Rittmeister, als er von Sonnenstein nach Hause kam. »Hammer ist ein ehrlicher Kerl, und ich setze mein ganzes Vermögen daran, daß er hier bleiben soll.«

Schäme dich nicht, hob die Tante an, deinen Freund zu schützen, und melde ihn nicht, sagt Jesus Sirach.

»Mir hat er das nicht gesagt, Tante, und keinem ehrlichen Manne. Denn wer seinen Freund im Unglück nur verlassen könnte, wäre ein ausgemachter Schurke.«

Aber – seyd klug, wie die Schlangen, und ohne Falsch wie die Tauben! – Mon neveu, das will mit feinen Fingern angegriffen werden.

»Das will es nicht! So mögen Sie Ihre Sachen angreifen! Ich reite zu meinem Oheim, dem Regierungs-Präsidenten; der wird wohl Rath wissen.« –

Ist denn Ihr Hammer auch gewiß ein ehrlicher Mann? fragte der Oheim, ein wenig bedenklich.

»Ich kann für meine eigne Ehrlichkeit nicht mehr stehen, als für die seinige.«

Nun, so seyn Sie ohne Sorgen, lieber Neffe, und lassen Sie Sonnenstein oder jeden Andern nur kommen. Was Ihr Gerichtshalter in der bloßen Form gefehlt hat, soll ihm nicht schaden.

Der Rittmeister kehrte triumphirend zurück, und hielt vor Hammers Fenster an. »Dieses Mal, läßt Ihnen der Präsident sagen, soll Ihnen das Umgehen der Form nicht schaden. Seyn Sie ohne Sorgen! Mein Onkel hat mich lieb, und er weiß, daß Sie mein Freund sind.«

Nach vier Wochen wurde Hammer aufgefodert, die Akten einzuschicken und sich zu verantworten. »Ohne Sorgen!« sagte der Rittmeister zu dem bestürzten Hammer; »ganz ohne Sorgen! Ich weiß ja, was ich weiß, zum Element! Oder halten Sie den Präsidenten für einen Schurken?«

Es fehlt an aller Form, Herr Rittmeister! sagte Hammer sehr ängstlich.

»Was Form! wenn nur die Materie echt ist.«

Auch in der Materie, lieber Herr Rittmeister, kann wohl hin und wieder gefehlt seyn.

»Wie! was! in der Materie? das heißt?« –, Er sah den Gerichtshalter mit gespannten Blicken an; und dieser seufzte.

Das heißt, sagte die Tante: Engelmann und Schober hatten so ganz Unrecht nicht, und der Förster dazu. Aber es sind unruhige Köpfe, schlechte Menschen, die man fortjagen muß.

»Was? sie hatten nicht ganz Unrecht? Ich habe ja mit meinen eignen Augen die Akten gelesen, und die Protokolle, die von Beiden unterschrieben sind.«

Mon neveu, das haben Sie. Auch war die Sache in so fern ganz richtig. Aber da eben hat der gute Hammer die Form umgangen. Die beiden Kerle hätten freilich gestehen sollen: denn es waren Zeugen da; aber sie wollten nun einmal nicht gestehen.

Das Zeugenverhör war angestellt, gnädiger Herr. Es fehlte nur noch an dem Geständniß der Schurken. Die Sache hätte sich Jahre lang hingezogen, und Sie selbst hatten mir wohl tausendmal befohlen, ich sollte die . . .

»Was, zum Teufel! falsche Protokolle zu schmieden? das hätte ich befohlen? ich? Hole mich der . . ., wenn ich je wieder ein Wort sage, und dauerte auch ein Prozeß um zwei Groschen, so lange die Welt steht! Untergeschobene Akten! Ihnen muß, bei meiner Seele! die Geschwindigkeit mehr am Herzen gelegen haben, als mir! . . . Uebrigens ist doch aber mit der Sache alles richtig? Antwort, Hammer!«

Richtig, so klar wie der Tag, gnädiger Herr Rittmeister.

»So muß ich denn noch einmal zu dem Präsidenten.« Er drohete Hammern mit dem Finger. »Wenn Sonnenstein das alles weiß, so könnte er wahrhaftig eben so zu mir sagen, wie mein Bruder: was verstehst denn du von Justiz! Und was sollte ich antworten! . . . Akten unterschieben oder unterschlagen! zum Teufel!« Er befahl zu satteln, steckte den Pallasch an, und nahm den Hut. Auf einmal blieb er stehen, runzelte die Stirn, und ging endlich unentschlossen. Auf dem Saale sagte ein alter treuer Bedienter, der bei der Unterredung zugegen gewesen war: wenn ich wie Sie wäre, Herr Rittmeister, ich spräche erst die Zeugen. Damals wurde im Dorfe viel darüber geredet.

Der Rittmeister stutzte. »Geredet? was denn? Der Hammer hat einen tüchtigen Ausputzer verdient, seh' ich wohl; aber ehrlich ist er. Doch hole die Zeugen, und bringe sie auf mein Zimmer.« –

Er vernahm die Leute. Sie waren verlegen, und wußten nicht, was sie sagen sollten. Nun, hob endlich der dreisteste von ihnen an; wir sind ja hier allein. Was sollen wir denn antworten, Ihr Gnaden?

»Was Ihr antworten sollt? Ihr dummen Teufel, die Wahrheit. Versteht Ihr denn kein Deutsch?«

Die Wahrheit? erwiederte jener lächelnd. Es hat ja dem Herrn Gerichtshalter Mühe genug gekostet, die Sache so zu drehen und zu wenden, wie sie jetzt steht.

»Zieh ich erst den Säbel,« rief der Rittmeister ungeduldig, »so fuchtle ich euch, daß Ihr Ach und Weh schreien sollt! Die Wahrheit will ich wissen, die reine klare Wahrheit!«

Die haben wir ja dem Herrn Gerichtshalter genug gesagt. Aber da sollten wir mit Gewalt immer etwas anderes gesagt haben; da drohete er uns mit des Herrn Rittmeisters Ungnade; da sollten wir die Hofdienste, die Sie uns erlassen hatten, nachthun; da rührte er ganz alte Sachen gegen uns auf, und drohete und versprach so lange, bis einer von uns sein Geschreibsel unterschrieb.

Der Rittmeister stand da, wie eine Bildsäule, und hob dann die beiden Hände gen Himmel. »Wie! ist das möglich! Er drohete, er versprach euch, und brauchte den Nahmen Bärburg zu einem Schurkenstreiche? Himmel und Hölle! meinen Nahmen? Nein, es ist nicht möglich! Redet! und wenn Ihr nur einen Zollbreit von der Wahrheit abweicht, so –. . .« Er zog den Säbel, und seine Augen funkelten. »Wie ist es mit Engelmann?«

Der war unschuldig, wie ein neugebornes Kind, Ihr Gnaden; aber sein Hof stand dem Schulzen an, und des Schulzen Wiese dem Herrn Gerichtshalter. Da wurde ihm der Hof, der dreimal mehr werth ist, als der Schulze dafür gegeben hat, über dem Kopfe angeschlagen; und bei der Auction fiel er dem Schulzen zu, weil sie so heimlich gehalten wurde, daß nur zehn Bauern da waren, von denen keiner mehr bot, weil sie Geld bekommen hatten. Engelmann durfte nicht mucksen; denn sein Sohn mißt zehn Zoll, und sein Schwiegersohn hatte auch noch eine Sache, die sogleich zur Untersuchung gekommen wäre, wenn der Alte nur ein Wort gesagt hätte.

Der Rittmeister ging mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder. »Und Schober?« fragte er dann.

Ei nun, die halbe Remission wegen des Hagelschlags, und die Hälfte aus der Feuerkasse zog der Gerichtshalter; die andre Hälfte mußte Schober als eine Gnade annehmen. Aber wer darf davon sprechen, Ihr Gnaden! Haben Sie nicht den alten Müller, der sich den Mund damit verbrannte, einstecken lassen?

»Ich?« rief der Rittmeister, und hob den Säbel.

Wurde uns denn nicht auf der Gerichtsstube ein Brief vorgelesen – wir merkten wohl, daß er von dem Herrn Regierungs-Präsidenten war –, der alles gut hieß? Es ist Ihr naher Blutsfreund; und wir wissen wohl, das fällt einander nicht ab.

»Gerechter Gott! ich!« rief der Rittmeister; »ich also war der Tyrann dieser armen Leute!«

Was Tyrann, Ihr Gnaden! Sie haben uns so viel Gutes gethan, daß wir gern ein Auge zudrückten, wenn Hammer sagte: das will der gnädige Herr nun einmal.

So eben traten Hammer und die Tante Isabelle in das Zimmer, weil sie dem Rittmeister noch einige Lehren mit auf den Weg geben wollten. Hammer erschrak, als er die Zeugen und den bloßen Säbel in des Rittmeisters Hand sah. »Schurke, höllischer Schurke!« rief dieser mit Heftigkeit; »näher!«

Pfui, mon neveu! in Gegenwart der Unterthanen!

»Ja Gegenwart der ganzen Welt! in Gegenwart des allwissenden Gottes, den dieser Schurke nicht kennt! Antworte! war Engelmann unschuldig?« Hammer rang die Hände. »Antworte!« rief der Rittmeister, und hob den fürchterlichen Säbel. Hammer brachte ein unverständliches Gewäsch hervor, das seine Unschuld beweisen sollte. »Holt den Schulzen, dem er Engelmanns Hof zugespielt hat!« rief der Rittmeister einem Bauern zu. »Bringt auch den Gerichtsfrohn mit, und Ketten! Nun will ich einmal kurze Justiz üben. Ich lasse dich geschlossen vor die Regierung bringen, du Bösewicht, wenn du nicht gestehst!«

Die Tante hob mit heuchelnder Stimme an: der Gerechte fühlt Mitleiden; aber der Gottlose achtet keine Vernunft. Weise Leute stillen den Zorn! Sprichwör . . . –

Der Rittmeister, der Stellen aus der Bibel, selbst wenn die Tante sie anführte, sonst immer mit Ehrfurcht hörte, wendete sich jetzt mit einer so heftigen Bewegung zu ihr hin, daß ihr das Wort auf den Lippen blieb. »Und riefe das hier eine Stimme vom Himmel, so würde ich sagen: es ist des Teufels Stimme! . . . Holt den Schulzen und den Gerichtsdiener.« Nun fiel der Gerichtshalter auf die Kniee, und rief: ich will gestehen! Engelmann war unschuldig.

Kaum hatte er diese Worte gesagt, so schlug der Rittmeister mit dem flachen Säbel auf ihn los. Er sprang auf; der Rittmeister verfolgte ihn aber mit Fuchteln durch den Saal, die Treppe hinunter, über den Hof, so daß Hammer, wie vernichtet, nach seiner Wohnung kam.

Der Rittmeister setzte sich ermattet und athemlos auf eine Bank vor dem Hause. Die Tante ließ ihn erst austoben; dann ging sie zu ihm. O, der abscheuliche Mensch! – »Der Teufel!« fiel er ein. »Ich komme nicht wieder zu mir. In meinem Nahmen einen Hausvater mit Weib und Kind zu einem Bettler zu machen! Ruft mir Engelmannen, Schobern und den Förster! O Gott! da steh' ich nun vor meinen eigenen Unterthanen, wie ein gesottener Krebs. Und wie vor meinem Gewissen! und wie vor Gott, dem strengen Richter des ungerechten Herrn? Die giftigsten Drachen reichen ihren Jungen die Brüste, und säugen sie; ich aber, ich bin unbarmherzig gewesen gegen meine Kinder! Denn sind sie nicht meine Kinder, alle meine Unterthanen?«

Die Tante erschrak, weil sie wußte, wie groß sein Ernst war, wenn er einmal eine Stelle aus der Bibel anführte. Sie hatte nicht den Muth, nur das Mindeste für Hammern zu sagen, und zitterte vor der Entdeckung, daß sie selbst um alles gewußt hatte.

Engelmann kam. Der Rittmeister wurde bei dem Anblick des unschuldig Gedrückten weich, gab ihm die Hand, bat ihn um Vergebung, und versprach ihm vollen Ersatz für seinen Schaden. Die Tante drehete den Kopf hin und her, wie zwei Winde eine Wetterfahne. Voilà de mon imbecille! sagte sie halb laut. Was ist wohl niedriger! Gitter Gott! Horrible! – Aber mit allen ihren Bewegungen brachte sie den Rittmeister nicht aus dem Gefühle seiner tiefen Beschämung.

Als der Mann wieder weggegangen war, sagte der Rittmeister traurig zu der Tante: »so gedemüthigt habe ich noch nie vor einem Menschen gestanden!«

Das habe ich, leider, gesehen! antwortete sie mit gerümpfter Nase. Sie ließ sich näher auf diesen Punkt ein; und da der Rittmeister jetzt erweicht war, so mußte es ihr gelingen, Hammern zu nützen. Mich jammern nur Hammers Frau und die armen drei Kinder! Ihr Glück ist auf immer dahin!

Der Rittmeister schwieg; diese Idee hatte sein Herz getroffen: er sah die Kinder flehend vor sich, und hörte das Jammergeschrei der Mutter.

Denn, fuhr die Tante fort, nun hat ja Sonnenstein gewonnen! Hammer wird abgesetzt, und muß, wie ein Bettler und mit Schimpf und Schande beladen, im Lande umher irren.

»Die Frau ist nicht arm,« sagte der Rittmeister beruhigend, nur, um sich selbst zu beruhigen; denn daß die Tante nicht unruhig war, wußte er.

Was hilft das Vermögen gegen die Schande, mon neveu! Die Schande, wenn der Vater vom Dienste gejagt wird, muß wie ein Gift an dem Herzen der Frau und der Kinder nagen, und sie zu allem möglichen Bösen leiten: denn, was für Ehre haben sie noch zu verlieren!

Sie wollte ihn mit Hammern versöhnen, und hätte beinahe das Gegentheil bewirkt. »Ja, ja, der Unmensch! Sie haben Recht. Ihre Bemerkung ist wahr, und geht mir, wie ein Schwert, durch die Seele. O, gerechter Gott! jetzt erkenne ich die Wahrheit deines Ausspruches: bis ins dritte und vierte Glied! Verhüte nur, daß dieser Gedanke nicht auf die Seele des Bösewichts falle! Die Schande wird wie ein ewiges Brandmahl, wie das Zeichen Kains, an der Stirne der Kinder stehen. Guter Gott! sie wären verloren, wenn du nicht barmherziger wärest, als wir wissen und glauben.«

Das eben ist es, mon neveu. Er ist gestraft, hart gestraft. Ich stehe Ihnen dafür, er wird nie wieder ein falsches Protokoll schmieden. Nun müßte man ihm aber, um der Kinder willen, die Schande der Absetzung ersparen.

»Zu spät! Wer nimmt die Schande von ihm, die meine Hitze . . .? Aber wie konnte ich auch kalt bleiben! Er hat Prügel bekommen.«

Von einem alten Edelmanne! das beschimpft nicht, mon neveu. Er ist ja nur ein roturier.

»Beschimpft ihn auf ewig; denn er ist ein Mensch. Hunde prügelt man! . . . Er ist der erste, den ich aus Verachtung geschlagen habe.«

Die Tante lächelte. Das vergißt sich, mon neveu. Bedenken Sie seine Kinder! Ihre Pathe, die kleine Ludowike –

»Was soll ich? was kann ich? Kann ich die Schande von seinem Gewissen nehmen? Die Kinder sind verloren durch die Schande ihres Vaters.«

Ich weiß nicht, wie seltsam Sie die Welt ansehen! Nur eine öffentliche Strafe ist Schande, die Schande, von der ich rede.

»Nein! das ist die Buße; die Schande liegt in der That.« Er sah die Tante lächeln, und wollte schon auffahren; doch er drückte die Hand fest auf sein Herz, und sagte: »ich mag die Rührung meines Herzens über meine Hitze, über das Schicksal dieses Bösewichts, und über das Unglück seiner Familie nicht entweihen. Glauben Sie, was Sie wollen!«

Sie können das Schicksal der Kinder erleichtern. Da Sie nun doch einmal entschlossen sind, Engelmannen und den Andern den erlittenen Schaden zu ersetzen, so dürfen Sie ihnen ja nur zur Bedingung machen, daß sie ihre Klage zurücknehmen.

»Bedingungen machen für das, was ich schuldig bin? Tante, fühlen Sie denn gar nicht, was ein Mensch thun muß, der an Gott und ein künftiges Leben glaubt?«

Die Tante hörte nicht auf, ihm den Jammer der unglücklichen Familie zu schildern; und am Abend kam, auf ein Billet, das sie an Hammern geschrieben hatte, die Mutter selbst mit ihren drei Kindern.

Der Rittmeister ging der Frau entgegen, und hielt sie, als sie ihm zu Füßen fallen wollte. »O still, still!« sagte er, als sie von ihres Mannes Verbrechen anfing, und zeigte auf die Kinder. »Lassen Sie die Kinder nicht wissen die Schuld ihres Vaters!« Er nahm die Kinder eins nach dem andern auf seine Arme, an seine Brust; und von Secunde zu Secunde wurde sein Herz erweichter, sein Mitleiden mit dem Vater der Kinder größer. Auf einmal wendete er sich zu der Mutter: »sagen Sie ihrem Manne, ich will alles thun, was ich kann, sein Schicksal gelinder zu machen.« Mit diesen Worten rettete er sich vor der allzugroßen Erweichung seines Herzens in ein andres Zimmer.

Die Tante folgte ihm bald dahin nach, und ließ ihm nicht eher Ruhe, als bis, er endlich ihre Vorschläge, wie Hammer zu retten sey, anhörte. Er antwortete wenig; doch endlich versprach er, es so zu machen, wie sie es wünschte. »Ich weiß,« sagte er, »es ist nicht recht, was ich thue. Aber Gott wird mir verzeihen. Eine Mutter und der unglückliche Kinder! Das ist ein Anblick, der wohl den allgerechten Gott selbst zum Mitleiden bewegen könnte.«

Er ging noch denselben Abend zu dem Herrn von Sonnenstein. Dieser war jetzt gar nicht in guter Laune, weil Engelmann ihm eine Stunde vorher erklärt hatte, daß er seine Klage gegen Hammern zurücknehme, da der Rittmeister sich erboten habe, ihm den erlittenen Schaden zu ersetzen. Er sah in dem Benehmen des Rittmeisters nichts als die Lust, einen Bösewicht dem Arme der Gerechtigkeit zu entziehen, und schüttelte den Kopf über die Versicherung seines Schwagers, daß der Rittmeister zwar hitzig, aber dabei der edelste Mann auf Gottes Erde sey. Freilich konnte er im schlimmsten Falle, wenn Hammer blieb, wohl dessen Betriegereien verhindern, aber doch nicht die verborgenen Schliche, womit er die Prozeßsucht der Bauern beförderte, und eben so wenig die Unsittlichkeit, die nothwendig daraus erfolgen mußte, wenn die Bauern sahen, daß ein offenbar Betrieger unbestraft in seinem Amte blieb.

Der Rittmeister hatte unterweges überlegt, wie sehr Sonnenstein berechtigt gewesen war, ihm zu sagen: das habe er dem Gerichtshalter nicht befehlen können. Er sah jetzt Sonnensteinen in einem ganz andern Lichte, als sonst: denn was er Böses von ihm wußte, kam alles von Hammern und der Tante; und wie viel Glauben die verdienten, hatte er jetzt, leider! erfahren. So trat er denn sehr erweicht in das Zimmer, und war entschlossen, sich gänzlich mit dem von ihm verkannten Manne zu versöhnen. Er fing von dem an, was ihm jetzt das Wichtigste war: von der Genugthuung, die er Sonnensteinen zu geben hatte. Mit der offensten Gutherzigkeit reichte er diesem die Hand. »Ich bin ein Mensch gewesen, lieber Schwager, kein schlechter, das weiß Gott, aber ein recht schwacher. Können Sie mir das vergeben, so schlagen Sie ein, und werden Sie mein Freund.«

Sonnenstein glaubte, in des Rittmeisters Gesichte voll freundlichen Zutrauens einen falschen Triumph zu sehen, und hielt dessen Anerbieten für eine Maske. Kurz, sein Herz war jetzt durch Unmuth verschlossen, und er nahm die dargebotene Hand nicht an. Er verbeugte sich ganz kalt, und sagte dann, die Worte ordentlich abzählend: lassen Sie mich erst wissen, Herr Rittmeister, welchen Preis Sie auf meine Freundschaft setzen.

Auch das konnte den Rittmeister noch nicht wieder erkälten. »Welchen Preis? Den, welchen ein Ehrenmann auf die Freundschaft eines andren Ehrenmannes setzt. Sie ist Gottes heiligste und schönste Gabe, nächst der Liebe zu Weib und Kind.«

Führte Sie dieser Wunsch allein zu mir, Herr Rittmeister? fragte Sonnenstein, etwas weniger kalt.

»Nein; ich habe noch etwas Andres von Ihnen zu bitten. Indeß dachte ich bis jetzt an sonst nichts, als daß ich Sie beleidigt habe, wie mir das, leider! oft so geht.«

Und das Andre? das Andre?

»Betrifft den Gerichtshalter. Meine alte Bitte.« Sein Ton war durch Sonnensteins Betragen doch ein wenig kälter geworden.

Den Gerichtshalter also! erwiederte Sonnenstein, ein wenig empfindlich, weil er nun den Eingang des Rittmeisters für Falschheit hielt. Offenheit denn gegen Offenheit! Ich nehme unwiderruflich wider Hammern Parthei. Er ist ein Schurke, und ich begreife nicht, wie Sie . . .

»Wie ich für einen Schurken reden kann? Nicht für ihn; wohl aber für seine arme Frau, für seine drei unglücklichen Kinder.«

Ich denke, die Rede ist nur von dem Vater! sagte Sonnenstein sehr frostig.

Der Rittmeister runzelte die Stirn ein wenig. »Wenn man von einem Vater spricht, so ist allemal auch von der Frau und den Kindern die Rede.«

Die Gerechtigkeit kennt nur den Verbrecher.

»Sind Sie denn die Gerechtigkeit, Herr?« fragte der Rittmeister stolz. »Ich habe in einem Kriegsrechte das Todesurtheil über einen Menschen ausgesprochen, der sich in der Hitze gegen seinen Obern vergangen hatte; in der Hitze, Herr! Und ich hatte eben den Fehler, und vielleicht stärker, als er! Ich sprach es, weil ich mußte; aber ich ging nach Hause, und zerfloß in Schmerz und Angst, rechtete mit den Menschen, wohl auch mit Gott, Herr, und theilte – ich war noch ein armer Teufel – theilte meine Gage mit des Mannes Weibe, bis ihr Sohn herangewachsen war. Kalt mag die Gerechtigkeit bleiben, wie das Reglement, und nicht wissen, daß ein Mensch auch Vater, auch Gatte ist; wir aber sollten zittern, weil auch wir Gatten, Väter, Menschen sind.«

Der Ton, womit der Rittmeister redete, war erhaben: er drang in Sonnensteins Seele, und brachte sie in Bewegung; doch eben diese Bewegung schärfte seine Empfindlichkeit. Was soll ich denn? was kann ich? Sie sprachen ein Todesurtheil; ich thue gar nichts, sondern überlasse alles den Gesetzen. Frau und Kinder werden Gegenstände meines Mitleidens seyn, wie des Ihrigen. Oder soll etwa der Verbrecher unbestraft bleiben, weil er Frau und Kinder hat?

Der Rittmeister sah ihn verwundert an; denn er begriff nicht, wie das Gespräch die Wendung genommen hatte, daß Sonnenstein ihm eine solche Frage thun konnte. »Der Verbrecher ist bestraft,« antwortete er, wieder mit einiger Wärme. »Ich entdeckte heute seine Betriegereien, und habe ihn so gefuchtelt, von meinem Zimmer an bis über den Hof, daß er an mich denken soll! Er wird nicht leicht wieder eine Betriegerei begehen.«

Waren Sie sein Richter? fragte Sonnenstein, der in diesem Fuchteln nichts als den gesetzlosen Uebermuth eines Soldaten sah. Aber – setzte er hinzu – das haben Sie bei sich und bei ihm zu verantworten. Das ist keine Strafe, das ist eine Beleidigung, für die das Gesetz Sie in Anspruch nimmt, sobald Hammer klagt.

Das war richtig; das hatte der Rittmeister schon sich selber vorgeworfen; doch der Ton, in welchem Sonnenstein sprach, verderbte alles. »Ich will meine Handlung nicht preisen, Herr von Sonnenstein, sondern nur sagen, daß er gestraft ist; und also . . .«

Wenn ich das auch zugeben wollte, Herr Rittmeister, so ist doch die öffentliche Gerechtigkeit nicht befriedigt, so ist doch die Achtung für die Gesetze nicht wieder hergestellt. Noch immer ist ein Betrieger Vorsteher der Gerechtigkeit, ein Dieb Richter der Diebe, ein Mensch, der die Gesetze übertreten hat, ein Diener der Gesetze. Scheint Ihnen das so gleichgültig, Herr Rittmeister? Oder macht Hammer eine Ausnahme, weil Sie mit ihm umgegangen sind?

Der Rittmeister verstummte. Das alles war so richtig, daß er nicht ein Wort dagegen einwenden konnte. Nach einer langen Pause hob er an: »wenn nun aber die Bauern ihre Klagen zurücknähmen, und Hammer sich in der Stille von hier weg machte?«

Es bliebe immer ein gefährliches Beispiel. Doch, Herr Rittmeister, ich habe zu dem allen nichts zu sagen. Die Regierung hat die Akten gefodert, und – ich bin so gut Unterthan, wie Sie. Wir können fühlen, wünschen, hoffen; aber die Gerechtigkeit ist über uns Alle.

Der Rittmeister ging, und sang unterweges mehr als Einmal: tralala! Doch er konnte die Last, die ihn drückte, das Jammergeschrei der Kinder, und Sonnensteins Worte: »die öffentliche Gerechtigkeit ist noch nicht befriedigt,« nicht wegsingen. »Da habe ich einen Schurken herum gefuchtelt, für nichts und wieder nichts; und wenn ich es recht bedenke – die Sache ist dadurch schlimmer gemacht, als sie war. Sonnenstein hat Recht. Doch, mag er sagen, was er will: sein Ton hat nicht Recht. Es war mir, als wenn mich im Winter eine stille Ostluft anwehet, die mir den Athem nimmt. Ja, wenn es in einem Buche stände, ich wollte es heute noch zehnmal lesen und mir einprägen; aber in eines Menschen Brust muß das nicht so kalt stehen! Ein Ach! gehört dazwischen; ein o weh! ein, daß Gott erbarme! »Nur von dem Vater ist die Rede!« Als er das sagte, meiner höchsten Seele! ich hätte beinahe seinen Sohn beim Kopfe genommen, und ausgerufen: du armes, vaterloses Kind!«

Er ging vor Hammers Hause vorüber, und stand an, ob er die Familie sehen, oder der Gerechtigkeit ihr Opfer bringen sollte. Da hörte er im Geiste wieder das Wimmern der Kinder, das Schluchzen der Mutter, und sah das öde Haus voll Jammers. Aber, – »die öffentliche Gerechtigkeit bliebe unbefriedigt!« Diese Worte hallten in seiner Seele wieder, und er ging mit zerrissenem Herzen vorbei.

Er fand Hammern und dessen ganze Familie bei seiner Tante. Es ärgerte ihn, daß ein Schurke so dreist seyn konnte; und doch fühlte er von jetzt an nur Mitleiden mit dem Unglücklichen, so oft er ihn anblickte. Er trat an ein Fenster, und sagte vor sich: »es ist, als wäre es nicht möglich!«

Nun? fragte die Tante; was sagte denn der weise, edle Herr, der immer wie ein Buch spricht?

Der Rittmeister antwortete dieses Mal nicht; denn, so wie er jetzt fühlte, hatte die Tante den Herrn von Sonnenstein ganz richtig bezeichnet. »Der Prozeß geht fort,« sagte er nach einigen Minuten ruhig.

Nein, mon neveu. Seyn Sie außer Sorgen. Es ärgert mich nur, daß Sie sich vergebens an den herrschsüchtigen Mann gewendet haben. Alles ist zwischen Hammern und dem Förster, Engelmann, Schobern, und den Uebrigen schon abgemacht. Engelmann hat diesen Nachmittag dem Herrn von Sonnenstein erklärt, daß Alle ihre Klagen zurücknehmen.

Der Rittmeister schüttelte schweigend den Kopf, und schüttelte ihn noch unwilliger, als er die Freude in Hammers Gesichte sah. So sehr ihm auch die Worte der Tante: und die Uebrigen, aufgefallen waren, so mochte er doch nicht fragen. Wie könnte ich hier bleiben! dachte er unaufhörlich; und mit jedem Augenblicke vergrößerte sich seine Verachtung gegen Hammern.

Endlich wagte es dieser, ihn förmlich um seine Fürsprache bei dem Präsidenten zu bitten. Der Rittmeister machte ein Gesicht, wie ein Kind, das etwas Bittres verschluckt. »Aber, Hammer, wie können Sie nur den Wunsch haben, hier zu bleiben! Wie können Sie einem Menschen noch in die Augen sehen! – Nein, Sie mühen weg von hier. Sie müssen, Hammer! Ueberlegen Sie doch nur selbst!«

Er muß hier bleiben, dem Sonnenstein zum Trotz! Er soll hier bleiben! rief die Tante.

»Hammer!« – Der Rittmeister zog ihn in einen Winkel. – »Wenn ich einen von meinen Bedienten geprügelt habe, so muß er fort, ohne Gnade. Entweder er hat die Prügel verdient: nun, dann versteht es sich von selbst, daß ich ihn nicht behalten kann; oder er ist ein Niederträchtiger, der sich prügeln läßt, ohne schuldig zu seyn. Auch einen solchen Menschen kann ich nicht um mich behalten. Ich habe in meinem Leben nur zwei Menschen geprügelt.«

Sie sind zu streng, Herr Rittmeister, sagte Hammer lächelnd.

»Der eine,« fuhr der Rittmeister verachtend fort, »war ein Dieb, der seinen Cameraden bestohlen hatte; der andre sind Sie! . . . Wenn Ihre Frau oder Sie Kinder einmal in Noth sind – sie können sich dreist an mich wenden; ich werde sie nicht verlassen.« – Hammer verbeugte sich, und trat wieder zu der Tante.

»O, einem Niederträchtigen,« sagte der Rittmeister, »ist doch schwer beizukommen. – Holla! setzt Licht auf den Vorsaal! Herr Hammer will nach Hause gehen.« Das letzte tief er so laut, und so unwillig, daß Hammer nach Hut und Stocke griff. Seine Frau folgte ihm mit den Kindern, und hatte nicht den Muth, den Rittmeister anzureden. Dieser sah ihnen mitleidig nach, so sehr auch die Ruhe der Frau ihn gegen sie eingenommen hatte. Kaum waren sie fort, so murmelte er: »der Elende!«

Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen! hob die Tante an, und reihete nun Eine Schriftstelle an die andre, um dem Rittmeister seine Hitze vorzuwerfen. Er schwieg; sein Herz war durch den Anblick eines so tief gesunkenen Menschen so weich geworden, daß er den Muth verlor, mit Stolz auf sich selbst zu blicken, und daß er es nicht der Mühe werth hielt, der Tante ein Wort zu erwiedern. Es war nicht Liebe zu Hammern, was diese so thätig für ihn machte, sondern Haß gegen Sonnenstein, oder vielmehr nur der boshafte Kitzel, ihm einen Wunsch zu vereiteln. In vollem Aerger darüber, daß sie den Rittmeister nicht zum Reden bringen konnte, erhob sie ihre gellende Stimme, und sang:

Liebe, die du mich zum Bilde
Deiner Gottheit hast gemacht.

Diese Worte rührten den Rittmeister unaussprechlich. Er machte sogleich mit der ganzen Welt Frieden, auch mit sich selbst; dann stand er langsam auf, küßte der singenden Tante recht ehrerbietig die Hand, und ging zu seiner Tochter, was er immer that, wenn er sich besser, weicher, sanfter als gewöhnlich fühlte.

Am folgenden Morgen ließ Hammer ihn um eine Stunde Gehör bitten. Er warf sich dem Rittmeister beinahe zu Füßen, und bat um dessen Verwendung bei dem Regierungspräsidenten, oder doch wenigstens um Stillschweigen über das Geständniß der Zeugen.

Der Rittmeister hörte ihn ruhig aus; dann sagte er: »ich bin nicht Ihr Richter. Gestern habe ich Sie gemißhandelt; aber lassen Sie uns mit einander aufheben. Sie haben meinen Nahmen zu einer Betriegerei gemißbraucht. Fort müssen Sie. Wie kann ein Betrieger der Schutz der Betrogenen seyn! wie kann ein Betrogener Schutz bei Ihnen suchen! – Bei dem Versprechen wegen Ihrer Frau und Ihrer Kinder bleibt es; ich werde sie nie verlassen.«

Mit Sonnenstein stand es ganz anders. Kaum war der Rittmeister von ihm weggegangen, so schlug ihm schon das Herz. Seine Gattin kam aus dem Nebenzimmer, wo sie Zeuge der Unterredung gewesen war, und fragte: »Wie geht es zu, mein Lieber, daß du den guten Rittmeister so kalt, ich möchte sagen so feindlich, aufgenommen hast?« (Das Herz schlug ihm noch stärker.) »Er sprach so warm, so voll Zutrauens, und du so kalt, so mißtrauisch, ja, beinahe spöttisch!«

That ich das wirklich, liebe Sophie? Das ist doch sonst meine Art nicht! – That ich es, so bin ich ein launiger Thor.

»Wirklich! Und was der Rittmeister sagte, von dem Vater, von Frau und Kindern, ging zu Herzen; denn es kam aus dem Herzen. Wäre ich eine Fremde, so hätte ich bei deiner Antwort glauben können, du müßtest ein Hagestolz seyn.« (Er küßte seine Frau.) »Du hattest wohl Recht mit dem verächtlichen Menschen, dem Hammer; aber auch der Rittmeister hatte nicht Unrecht. Da du seine Betriegereien kennest, lieber Mann, so hättest du ja doch Mittel in den Händen, ihn unschädlich zu machen. Wo es auf das Glück einer Familie ankommt, da sollten wir immer recht sehr gewiß seyn, daß nichts anderes als die reinste Gerechtigkeitsliebe bei uns im Spiele sey. Ich weiß, du bist ein guter, ein edler Mann; aber – hast du gar keine Empfindlichkeit gegen Hammern?«

Sonnenstein legte die Hand auf die Brust, und sagte: gewiß nicht, liebe Sophie! Aber freilich hat mich die Tante – nicht empfindlich; nein, ich hasse sie unaussprechlich, diese Schlange, die meine Schwester langsam ermordete! – Doch heute kannst du wohl Recht haben. Der Rittmeister hatte mich wirklich empfindlich gemacht. Ich glaubte Anfangs, er käme bloß in der Absicht, für Hammern zu sprechen. –

Am folgenden Morgen war Sonnenstein heiterer; und nun fand er alles, was der Rittmeister ihm gesagt, so menschlich, so aufrichtig, daß er nicht begriff, wie es ihn gestern so kalt gelassen hatte. Nicht lange, so brachte Hammers Frau, in Begleitung ihrer Kinder, der Frau von Sonnenstein einen rührenden Brief, worin Hammer seinen Betriegereien wenigstens ein besseres Mäntelchen umhängte. Dies Mal war Sonnenstein im Nebenzimmer Zeuge der Unterredung, die ihn rührte, weil seine Frau es absichtlich darauf anlegte. Jetzt kam ihm Alles ganz anders vor. Schober, Engelmann und der Förster waren befriedigt, und er mußte sein kaltes Betragen gegen den Rittmeister wieder gut machen. Hammer war überdies im ökonomischen Fache ein brauchbarer Mann, und sein Secretair, ein guter Jurist, konnte ja die Geschäfte des Justiz-Amtmanns versehen.

Er ließ Hammern vor sich kommen, schärfte ihm mit harter Hand das Gewissen, und bestimmte die nunmehrigen Grenzen seines Amtes. Hammer bewilligte alles; doch ihm lagen des Rittmeisters Worte: »Sie müssen fort, Sie sollen fort!« schwer auf dem Herzen. Er hätte dem Herrn von Sonnenstein diese bestimmte Erklärung geradezu sagen sollen; doch ein Schurke kann ja nicht aufrichtig seyn. – Aber, hob er mit einer scheinheiligen Miene an, wenn nur der Herr von Bärburg seine Einwilligung giebt!

»Dafür stehe ich Ihnen; denn gestern war er selbst . . .«

Ja, gestern wohl! Doch, wenn er heute erfährt, wie gütig Sie gegen mich sind, so fürchte ich . . .

Sonnenstein stutzte, und sann nach. »Sollte das möglich seyn? Nun,« setzte er lächelnd hinzu – »das wird sich finden. Wir werden ja sehen.«

Hammer ging. Sonnenstein lächelte; aber dennoch konnte er sich nicht von dem Gedanken losmachen, den Hammer in seine Seele geworfen hatte. –

Sobald die Tante von diesem erfuhr, daß Sonnenstein ihn in seinem Amte lassen wollte, ging sie anders zu Werke. Sie erzählte nun dem Rittmeister von Hammern so viele kleine Niederträchtigkeiten, Bedrückungen und Betriegereien, daß er erstaunte, und endlich ausrief: »Gott Lob, daß er fort muß! Der abscheuliche Mensch!«

Ja, wenn er nur auch wirklich wegkommt! sagte die Tante listig; denn, wenn Sonnenstein erfährt, daß Sie auf seine Absetzung dringen, so behält er ihn gewiß.

»Sonnenstein, und immer Sonnenstein! Er mag seine Fehler haben; so kleinlich ist er aber nicht.«

Sie werden sehen, wer die Menschen besser kennt, ich oder Sie! (Dabei lächelte sie grinsend.) Er weiß, daß Sie jetzt entschlossen sind, den Betrieger weg zu schaffen. Was gilt die Wette, nun sattelt er um?

»Das thut er nicht!« – Fast in demselben Augenblick kam der Prediger, und erzählte, zu des Rittmeisters Erstaunen: Sonnenstein habe Hammern gesprochen; und dieser bleibe Gerichtshalter.

»Das bleibt er nicht!« sagte der Rittmeister erhitzt. Er schrieb an Sonnenstein: »Ich höre, daß Sie Willens sind, Hammern, dessen abscheuliche Verbrechen jedermann bekannt sind, hier zu lassen. Sie sind Gerichtsherr, und ich habe Ihnen nichts einzureden. Bestehen Sie aber auf Ihr Verlangen, so werde ich mich an die Regierung wenden, und eine Untersuchung fodern. Es sollte mir leid thun, wenn Hammer für die Unbeständigkeit Ihrer Grundsätze büßen müßte.«

Sonnenstein gab seiner Frau lächelnd dieses Billet. Sie sagte mehr als Einmal: »Das ist freilich seltsam. So hätte ja Hammer doch wohl Recht!«

Das hätte er! erwiederte Sonnenstein unwillig. Er ließ Hammern rufen; und dieser entschloß sich, mit den Zähnen knirschend, zu weichen. Ich gehe, sagte er. Aber Herr von Sonnenstein, denken Sie an mich! Ich habe Sie vor dem Herrn Rittmeister gewarnt! er ist ein gefährlicher Mann! Wenn ich reden wollte . . .! Aber nein, ich schweige, weil ich nicht neues Unheil stiften mag. Genug, ich warne Sie.

»Vor der Tante?« fragte die Frau von Sonnenstein.

Nicht vor der, sondern vor dem Rittmeister. Den kennt Niemand, als ich und die Tante, die er erschrecklich haßt, die er aber nicht beleidigen darf, weil er sie fürchten muß. – Er ging triumphirend, als er dieses Gift in die noch neue Wunde gegossen hatte.

Was war das? fragte die Frau von Sonnenstein. Das klang ja recht sehr gefährlich. Glaubst du daran?

Nein; und doch sollte ich beinahe daran glauben. Der Umgang mit Hammern, seine so enge Verbindung mit der Tante, sein Haß gegen mich, der doch jetzt offenbar am Tage liegt – in der That, liebe Sophie, ein Mann, der so edel, so treuherzig, so einfach scheint, wie der Rittmeister, und dann doch ganz anders ist: den muß man wohl als gefährlich fürchten! – Beide schwiegen traurig, und in ihrem Herzen wurzelte ein Argwohn ein, den keine frühere Ueberzeugung besiegen konnte.

Hammer machte noch einen Versuch auf den Rittmeister, fand ihn aber unbeweglich. »Sie müssen fort, Hammer! Bei dem gerechten Gott! Sie müssen! Das Herz blutet mir, wenn ich an Ihre Frau und Ihre Kinder denke. Aber Sie können hier nicht bleiben. Ich habe Ihnen ja meine Gründe gesagt.«

Nun denn! Der Herr von Sonnenstein ist jetzt mein Beschützer; aber – aus alter Liebe zu Ihnen, Herr Rittmeister: trauen Sie ihm nicht! Mag er auch noch so freundlich gegen Sie seyn: er und Ihr Herr Bruder haben böse Dinge gegen Sie vor. Ich warne Sie, Herr Rittmeister.

»Unmensch!« sagte der Rittmeister, fast ohnmächtig »Mein Bruder? O, du Bösewicht! für meine Güte willst du mich ermorden? Gesteh, Elender, daß du lügst!«

Ich habe Sie gewarnt, Herr Rittmeister! Sie wissen nur nicht, um welchen Preis ich dennoch hätte hier bleiben können. Ich wollte aber nicht. Ob Ihr Herr Bruder mit darunter steckt, kann ich nicht mit Gewißheit sagen; ich vermuthe es aber. Leben Sie wohl. –

Der Rittmeister saß beinahe wie leblos da. Die Tante kam lauernd herein, und sagte: Aber, mon neveu, was ist Ihnen denn? Sie sehen ja aus, wie eine Leiche.

»O, ich wollte, daß ich eine wäre! . . . Guter Gott, läge ich doch schon längst im Grabe!«

Die Tante forschte nach der Ursache seines Schmerzes; doch wie hätte er seine Empfindungen und seinen geliebten Bruder ihrem Gifte Preis geben können! Er antwortete ihr nicht; aber aus einzelnen Worten errieth sie dennoch, daß er einen quälenden Verdacht gegen seinen Bruder und Sonnenstein hatte; und ihre Augen funkelten von boshafter Freude. Mit tiefer Arglist suchte sie nun den Bruch unheiler zu machen, was ihr auch, zu ihrem großen Mißvergnügen, nur allzu sehr gelang. Zwar konnte sie Sonnensteins nicht leiden, weil der Mann reicher war, als der Rittmeister, weil die schöne, blühende Frau einen sehr kostbaren Schmuck hatte, und weil die Familie sogar von Ministern besucht wurde; aber doch wollte sie den Umgang nicht ganz aufgeben. Und nun brach der Rittmeister alle Verbindung mit dem Hause gänzlich ab! – Nach einigen Wochen fing sie an, ihm die fünfte Bitte im Vaterunser zu commentiren. Als er kalt und ruhig blieb, hielt sie ihm eine lange Rede über die Versöhnlichkeit, doch ohne das Mindeste dadurch zu bewirken.

Wie kann man so hart seyn! sagte sie endlich erbittert. Dies ist nur ein unvernünftiges Thier (sie zeigte auf ihren Hund); aber ich liebe es.

»Das Einzige, was Sie lieben!« antwortete der Rittmeister, und ging hinaus.

Sie verlor die Geduld nicht, bis der Rittmeister es überdrüßig wurde, immer Nein zu sagen. Der Umgang wurde wieder eingeleitet; nun aber klatschte, verdrehete und herzte sie wieder so lange, bis ein neuer Bruch die Familien trennte. Eines Tages, als sie das abermals gethan hatte, war die Rede von Hofdamen. Die Tante warf sich in die Brust, und sagte stolz: nur alten Adel duldet man an Höfen. Die Frau von Sonnenstein wurde endlich erbittert, und erwiederte: »wenn ich auch aus dem ältesten Hause in Deutschland wäre; dienen möchte ich nicht!«

Die Tante, welche sonst auf alles eine schneidende Antwort zu geben wußte, konnte in diesem Augenblick vor Schrecken keine finden; sie erblaßte, ihre Hände zitterten, ihre Lippen wurden blau, und ihre Finger zu starren Haken. Sie sann auf etwas recht Boshaftes; doch nichts schien ihr stark genug, und darüber ging der Augenblick verloren. Die Frau von Sonnenstein sah schon mit Angst dem Gifte entgegen, welches die Tante auf sie verspritzen würde; doch der alte Prediger rettete sie. »Da haben Sie Recht, gnädige Frau,« hob er in seinem kräftigen Basse an. »Freilich, freilich, alle diese Klassen von Dienenden müssen seyn, von der Hofdame an bis auf den Tagelöhner; das ist Gottes Ordnung. Wer aber nicht zu dienen braucht, kann Gott danken. Nicht wahr, mein gnädiges Fräulein?«

Die Tante verlor die Besinnung, und wußte nicht, auf welcher Seite sie sich vertheidigen sollte. Ihnen, sagte sie endlich mit zitternder Stimme zu dem Prediger, kann ich die Impertinenz verzeihen; Sie wissen nicht, wie albern Sie reden.

Der Prediger gehörte zu denen Menschen, die man gar nicht angreifen darf. Er war ein frommer Mann, doch eben deshalb ohne alle Menschenfurcht; und er hätte der Kaiserin gerade eben so geantwortet; wie der Tante. »Impertinenz? Albern?« Er warf einen Blick auf die Tante, und erschrak. »Fräulein,« fuhr er nun sanfter fort; »wenn ich nicht an Ihren blauen Lippen und an Ihren starren Augen sähe, daß Sie in Zorn sind – und ein Zorniger weiß ja nicht, was er sagt –: so würde ich Ihnen auf das albern dienen. Nun mag es hingehen. Indeß sollten Sie sich einmal im Spiegel betrachten, gnädiges Fräulein; dann würden Sie gewiß nicht wieder so zornig! Einem grauen Haupte steht sonst nichts an, als Sanftmuth. Selbst ein junges und so schönes Gesicht, wie die Frau von Sonnenstein hat, würde der Zorn entstellen: um wie viel mehr das Ihrige!«

Der alte Mann glaubte in der That nicht, daß die Tante wünschen könne, noch jung zu scheinen, und er sagte das so treuherzig, wie eine Schmeichelei. Die Frau von Sonnenstein konnte ein ganz kleines Lächeln nicht unterdrücken. Das Fräulein sprang, beinahe heulend, hinter dem Kaffeetische auf, schleuderte einen wüthenden Blick auf sie, und sagte: das hat man davon, wenn man mit Pöbel umgeht, wenn man sich wegwirft!

Die Frau von Sonnenstein wurde nun auch zornig, und sagte: »o, möchten Sie doch recht oft fühlen, wie weggeworfen . . .« Sie sind, wollte sie sagen; doch sie brach ab, weil ihr Mann sie bedeutend anblickte, und griff nach ihrem Fächer.

Kaum waren die Gäste fort, so tobte die Tante im Hause umher, daß alle lebendige Wesen, nur ihr Hund nicht, zitterten.

»O Jesabell! Jesabell!« rief der Rittmeister, und ging zu seiner Tochter, über deren sanfte, zärtliche Liebkosungen er die Tante und allen Verdruß vergaß. –

»Mir haben Sonnensteins nichts gethan,« sagte er sehr ruhig, als die Tante Rache verlangte. »Und der Prediger? Element! Fräulein, wenn Sie es wagen, den frommen Mann zu beleidigen, so achte ich das Blut meiner Mutter nicht, das in Ihren Adern fließt!« – Die Tante ließ jetzt weislich den Prediger aus dem Spiele; denn, nannte ihr Neffe sie einmal: Fräulein; so bedurfte es nur noch eines Wortes, und sein Zorn brach in lichten Flammen aus. – »Sie ist mir eine Mutter gewesen,« sagte er seufzend; »aber, guter Gott, am vierten Gebot verdien' ich den Himmel: denn ich habe die Hölle im Hause.«

Der Rittmeister nahm sich zwar vor, der Tante zum Trotz den Umgang mit Sonnensteins fortzusetzen; doch es war unmöglich: sie intriguirte so lange, bis er oder Sonnensteins eine Unvorsichtigkeit begingen; und dann hatte sie gewonnen. Sie regte sogleich den alten Verdacht wieder auf, und beide Häuser, die zur Liebe füreinander bestimmt waren, dienten auf diese Art zum Spiel eines arglistigen, boshaften Weibes. –

Je älter die kleine Philippine wurde, desto mehr lebte der Rittmeister bei ihr und der Predigerwitwe, die das ihr anvertrauete Kind mit der Sorgfalt und Zärtlichkeit einer guten Mutter erzog. Sah die Tante einmal Philippinen, so redete sie drei ganze Tage über die verkehrte Erziehung des Kindes. Welch ein Anzug! welch ein abscheulicher Anzug! Geht das Mädchen nicht vermummt, wie eine Fledermausmaske! Welch ein Anstand! welch ein Gang! Sehen Sie, mon neveu, ich bin gerade nicht mehr jung; aber sehen Sie, das ist ein Gang, das ist eine Stellung! Philippine wird ja die wahre Frau von Sonnenstein! Welch eine Sprache! ich bitte, hören Sie nur mich! Da ist kein Leben! Blöde wie ein albernes Bauermädchen! Sie wird roth, wenn man sie nur scharf ansieht!

»Wolle Gott, daß sie das nie verlerne! Die Schamröthe ist der Widerschein von der Heiligkeit des Herzens.«

Kein Wort Französisch, kein Tanz, keine Musik! denn die geistlichen Lieder, die sie spielt und singt, sind gar nichts. Und der Unterricht des Pfaffen . . .

»Des Pfaffen? Fräulein, zum Teufel! wollen Sie Respekt haben für einen würdigen Mann, der tausendmal mehr werth ist, als alle Hofdamen in der Welt?«

Ich rede aus Liebe zu Philippinen, denn sie ist die Enkelin meiner Schwester, die ich so zärtlich liebte.

»Die Sie so zärtlich liebten? die Sie im Elende umkommen ließen! Das muß ich doch endlich einmal sagen.«

Die Tante hob die Augen gen Himmel. O, du weißt, mein Gott, wie mein Herz litt, wie ich das Unglück meiner Schwester fühlte, mit welcher Freude ich mich ihrer Söhne annahm!

Dagegen konnte er nichts einwenden; und sogleich sagte er sanfter: »lassen Sie es gut seyn; Sie wissen ja, ich bin hitzig.« Doch dabei hatte es sein Bewenden; mit Philippinens Erziehung ließ er es beim Alten, weil das Kind ihn und alle Menschen, die noch Sinn für reine Unschuld hatten, mit jedem Jahre mehr entzückte.

Philippinens Mutter war die Tochter eines Landedelmanns gewesen. Ihr Vater, ein guter Mensch, bekümmerte sich gar nicht um sie; und so hängte sie sich mit ihrem weichen, aber dennoch starken Herzen an die Tochter des Predigers im Dorfe, eben die Witwe, von welcher die kleine Philippine jetzt erzogen wurde. Beide Mädchen hatten weiter gar keinen Umgang. Das Dorf, worin sie wohnten, lag mitten in einem dicken Walde, den tiefe Thäler und steile Berge umgaben. Diese stille, einsame Natur wirkte auf die Herzen der beiden Mädchen. Ihr Spaziergang war nicht eine lachende Wiese, nicht eine wallende Kornflur, sondern der dunkle Schatten eines Hochwaldes, worin man nur Schläge der Holzaxt, und das Klappern mehrerer Mühlen hörte. Sie saßen nicht an einem klaren, sanft fließenden Bache, sondern an einem wild dahin fließenden Bergwasser, das aus dem Gebirge hervorbrach, und in jedem Frühlinge, bei jedem Gewitter, wilde Zerstörung verursachte. Sie hatten eben so wenig Bücher, als Umgang, so daß nichts die Gefühle, welche die Natur nach und nach in ihrer Brust erweckte, falsch leitete, zerstörte, beschleunigte, oder verzögerte. Schauerliche Sagen von Ruinen, die in dem Walde lagen, und in denen noch der Geist eines treulosen Ritters umging, der seine Geliebte verlassen hatte; einige Geschichten aus der Bibel: das war der ganze Stoff, den ihre Phantasie von außen erhielt, den aber ihr Herz in dem Laufe ihres Lebens tausendfach veränderte. Die beiden Kinder spielten zusammen, theilten mit einander, was sie hatten, pflückten Blumen, gingen an dem Gießbache hinab, so weit sie nur immer konnten, um zu sehen, wo er endlich bliebe, und setzten sich auf die Rainen, ohne zu wissen, daß eben dies der Ort war, vor dem sie sich so sehr fürchteten; bis ein Kohlenbrenner es ihnen endlich sagte, und sie dadurch so erschreckte, daß er sie durch die Versicherung: »frommen Kindern thue der Geist nichts,« wieder beruhigen mußte. Sie vermieden die Ruinen lange. Endlich sagte die eine: der Geist thut uns nichts, wenn wir fromm sind; und nun gingen sie, die kleinen Hände in einander gelegt, wieder bis an den Rand der Ruinen, und nach einigen Tagen wirklich hinein. Sie konnten das wagen; denn sie waren ja so fromm! Jetzt ließen sie sich die Geschichte des Ritters wieder erzählen. Muß er immer, immer umgehen? fragte Philippine. (So hieß die nachmalige Gattin des Rittmeisters, eben so wie ihre Tochter.) »Bis er erlöst wird!« erwiederte der Erzähler. Beide horchten noch gespannter. »Zwei Menschen,« fuhr jener fort, »die in Noth und Tod zusammen aushalten, einander immer treu sind, immer lieben, können ihn erlösen; sonst niemand.«

Philippine wendete die großen blauen Augen zärtlich zu ihrer Gespielin; und diese winkte ihr freudig mit den Augen. Beide lockten einander in die Einsamkeit. Philippine sagte, als sie allein waren: »nicht wahr? wir, wir, liebes Gustchen!« Diese drückte das Köpfchen schmeichelnd an Philippinens Brust, und sagte: »wir wollen ihn wohl erlösen! wenn er es nur erfährt!«

Sie gingen jetzt viel dreister in die Ruinen, und stritten sich um nichts in der Welt mehr; denn sie mußten ja einander immer und immer lieben, wenn der Geist erlöst werden sollte. So wuchsen die beiden Kinder heran, und sprachen von der Liebe, von der Untreue des Ritters, ohne zu wissen, was Liebe ist, und ohne es wissen zu wollen, da die innige Freundschaft ihrer Herzen ihnen genügte. Ihr stetes Beisammenseyn machte die Eltern aufmerksam. Man erfüllte ihren einzigen Wunsch, sie gleich zu kleiden. Sie wurden dann auch zusammen confirmirt, und kurz, sie lebten nur Ein Leben.

So wurden sie sechzehn Jahre alt, und ahneten nicht, daß es außer ihrer Liebe noch eine andre geben könne. Endlich brach das süße Geheimniß der Natur in der ahnenden Seele hervor, wie eine Rose nach und nach aus ihrer Knospe; doch die Freundschaft heiligte diese neue Blüthe ihres Lebens. Sie schworen einander ewige Treue; ewige Liebe, eine höhere, treuere, als ein Jüngling ihnen geben könnte. Vor einer andern Liebe zitterten sie, da diese sie trennen konnte, trennen mußte. Sie versprachen sich in dem schönsten Augenblicke ihres Lebens: einander, auch wenn das Schicksal sie nicht beisammen ließe, jährlich zweimal auf einen Monat zu besuchen, und immer alles zu theilen, sogar, wenn sie Mütter würden, ihre Kinder gemeinschaftlich zu erziehen, so daß sie bald bei Philippinen, bald bei Gustchen wären. Das Schicksal hatte seine Freude daran, den sanften Bach ihres Lebens ruhig fortrinnen zu lassen. Ein junger Prediger bewarb sich um Gustchen, und der Rittmeister Bärburg um Philippinen. Beide empfanden die höhern Entzückungen der Liebe; doch sie drückten die vollen glücklichen Herzen auf einander, und versicherten, ihre Freundschaft sey eben so heilig. Gustchens Vater legte in Einer Stunde die Hände beider Mädchen in die Hände glücklicher Männer.

Gustchens Ehemann wohnte nur eine Stunde weit von Grundleben; die beiden jungen Frauen sahen daher einander fast jeden Tag. Auf der Hälfte des Weges hatte der Rittmeister eine bedeckte Laube machen lassen; hier kamen Beide zusammen, und setzten ihr Schäferleben der Kindheit fort.

Gustchen wurde Witwe, und zog nach Grundleben zu ihrer Freundin. Nun waren Beide ganz vereinigt, und fest entschlossen, immer mit einander zu leben. Da wurde Philippine geboren. Der Arzt kündigte der Mutter den nahen Tod an. Sie überreichte ihrer Freundin in Gegenwart des Rittmeisters das Kind, und übertrug ihr feierlich alle Rechte einer Mutter. Dann ließ sie sich von dem Rittmeister versprechen, daß er das Kind immer unter der Aufsicht ihrer Freundin lassen wollte, so lange Beide es wünschten. Endlich legte sie die Arme um ihre Freundin. »Nun, Auguste! wir waren einander treu im Leben und im Tode! Der Geist ist erlöst, unser unsterblicher Geist. Hier hast du das letzte Unterpfand meiner Liebe, meine Tochter. Sey ihre Mutter; mein Geist wird dich und sie in Liebe umschweben!«

Die Sterbende sagte ihrer Freundin noch einige leise Worte: eine Warnung vor der Tante, deren Ankunft bald erwartet wurde. Sie starb; und Auguste nahm, ruhig, zufrieden, wie über die ganze Welt erhaben, Philippinen in ihre Arme. Von jetzt an lebte sie nur in dem Andenken an ihre Freundin, und für deren Tochter. Der Rittmeister ließ den Leichnam seiner Gattin an ihrer Lieblingsstelle im Garten beerdigen. Ueber dem Gewölbe, worin er ruhete, war ein großes Zimmer, mit einem Cabinette, rings von Trauerweiden, hangenden Birken und Zypressen umgeben. Im Zimmer hing ein schönes Bildniß der Verstorbenen, über dem Eingange zur Gruft.

Dies war Augustens liebster Aufenthalt, und hierhin rettete sie sich vor der Tante; hier erzog sie die geliebte Tochter ihrer Freundin; hieher ging auch der Rittmeister, wenn ihn das Geschwätz, das Plagen der Tante ermüdet hatte.

Diese Frau erzog des Rittmeisters Tochter. In den ersten Jahren wuchs Philippine natürlich auf; dann gab die Erzieherin ihr ein kleines Mädchen von demselben Alter, die Tochter des Gärtners, zur Spielgefährtin, und überließ die Kinder sich selbst, ohne sonst etwas zu thun, als daß sie ihr Vergnügen durch kleine Erzählungen vermehrte. Sie mußte das Herz ihrer Philippine gewinnen; denn wie hätte sie den Gedanken ertragen können, daß die Tochter sie nicht eben so lieben sollte, wie die Mutter! Und ihr Plan gelang ihr vollkommen.

Indeß mußte Philippinens Umgang mit der kleinen Tochter des Gärtners aufhören, wenn sie nicht die Fehler der letztern annehmen sollte; und so war sie im siebenten Jahre wieder mit ihrer Mutter allein. Nun kamen Sonnensteins, und brachten zwei schöne Kinder mit, einen Knaben und ein Mädchen, die sehr einfach, still und fromm erzogen waren. Philippinens Erzieherin bemühete sich sogleich, das Vertrauen der beiden Kinder zu gewinnen; und ihre Pflegetochter liebte den kleinen Erhard und die kleine Minette von ganzem Herzen. Sie waren oft beisammen, wenn die Tante die Freundschaft der beiden Häuser nicht gestört hatte; war aber dies der Fall, so blieb Minette weg, und Philippine mußte wieder mit ihrer Mutter allein seyn.

Auguste hatte etwas gegen des Kindes Umgang mit Sonnensteins Sohne, obgleich Beide gerade in demselben Alter waren: denn Philippine hängte sich weit stärker an ihn, als an seine Schwester. Wirklich paßten jene besser zu einander; doch, die Mutter hatte in ihrer Jugend nur eine Freundin gehabt, und die sollte auch die Tochter nur haben. Der Umgang mit Sonnensteins wurde, nachdem er einige Mal wieder hergestellt war, endlich ganz abgebrochen, und Philippine lebte wieder, obgleich ohne Gesellschaft, sehr glücklich; aber doch erinnerte sie sich bei jeder Gelegenheit mit vielem Vergnügen ihrer beiden Spielgefährten, und trauerte, daß sie nicht wiederkamen. »Du wirst sie wiedersehen, Philippine, Alle die du liebst,« sagte die Erzieherin; »auch deine Mutter, die du nicht gekannt hast. Liebe sie, wenn du auch von ihnen getrennt bist, wie ich deine Mutter liebe, die Gott von mir getrennt hat! Ich werde sie wiedersehen!«

Auguste erregte in der Seele des Kindes eine zwar künstliche, aber dennoch wahre Liebe zu ihrer Mutter. Fast alle ihre Erzählungen betrafen diese, und die Freundschaft die Liebe ihrer Kinderjahre; und dann setzte sie oft hinzu: »Philippine, deine Mutter sieht mit Freudenthränen vom Himmel herab auf ihre fromme Tochter; und wenn du recht gut, recht fromm bist, so schwebt ihr Geist zu uns hernieder. Du wirst ihre Nähe im Innersten deiner Seele fühlen.«

Die kleine Philippine vermischte die Gegenwart mit der Zukunft, die Erde mit dem Himmel; sie dachte sich ihre Mutter und die kleinen Freunde, von denen sie getrennt war, an Einem Orte, und hoffte, jene eben so wiederzusehen, wie diese. Ihre Erzieherin ging oft in das Gewölbe. Philippine begleitete sie dahin, setzte sich auf den Sarg, und sprach mit dem Staube ihrer Mutter. So verlor der Tod in ihren Augen das Schreckliche: sie knüpfte zwei Welten mit einem schönen Bande an einander, und wäre mit eben der Empfindung in ein andres Leben getreten, mit welcher sie aus dem dunklen Theile des Gartens, wo das Monument ihrer Mutter stand, in den schöneren, freiern, sonnigen trat. Der ehrwürdige Prediger, der sie in Religionskenntnissen unterrichtete, verstärkte diese Gefühle noch, und erfüllte das Herz seiner Schülerin mit dem freudigsten Glauben, der ihr eine lebendige Quelle des heitersten Vertrauens auf das Glück des Lebens und auf den Schutz der Vorsehung wurde.

Frömmer war nie ein Kind, doch auch nie eins heiterer und fröhlicher, als Philippine: sie kleidete die Ewigkeit in das Rosenlicht der jugendlichen Freude; nur freundliche Wesen aus einer Welt voll Unschuld umgaben sie: so fühlte sie sich, ungeachtet ihrer Einsamkeit, unbeschreiblich glücklich. Ihre Erzieherin hatte ihr eine lebende Welt gegeben: einige Lämmer, ein Hündchen, eine Menge Hühner, eine Menge Tauben; und allen diesen Thieren gab sie ihre Nahrung, alle kannten ihre liebende Gebieterin, und folgten ihrer Stimme. – Sie muß lieben, viel lieben! sagte die Erzieherin, als der Rittmeister seine Tochter, umflattert von den Tauben, umhüpft von den Hühnern, zwischen ihren Lämmern sitzen sah. »Ich dächte,« erwiederte er, »sie sollte Menschen lieben; besonders Kinder.« Sie erwiederte seufzend, weil sie den Mangel noch tiefer fühlte, als er: Menschen liebt sie, ihre selige Mutter, Sie, mich, den Prediger, Alle, die sich ihr nähern: Freilich, Kinder! Aber sie fühlt den Mangel nicht; ich bin mit ihr ein Kind geworden.

Philippine mußte lieben; denn, wer sich ihr näherte (die Tante ausgenommen, die sie indeß nur selten sah), liebte sie. Gegen die damalige Sitte hing ihr das blonde gelockte Haar frei und natürlich um die Schultern; ein weißes Kleid und eine Blume waren ihr einziger Putz. Wer sie unter ihren zutraulichen Thieren sah, glaubte eine Scene aus einer Unschuldswelt zu sehen; wer mit ihr sprach, empfand ein süßes Entzücken, weil sie so kindlich, so zärtlich, so schamhaft bescheiden war, daß sie nicht von dieser Erde zu seyn schien. Da sie die Welt nicht im mindesten kannte, und nicht ein einziges Compliment wußte, so reichte sie, selbst als sie schon dreizehn Jahr alt war, mit einem himmlischen Lächeln jedem Fremden die Hand, und wenn er ihr gefiel, (wie das beinahe immer der Fall war), so legte sie auch wohl das freundliche, schöne Gesichtchen an seine Brust.

So verging auch ihr vierzehntes Jahr bei den fröhlichen Spielen ihrer genußreichen, unschuldigen, arglosen Kindheit; sie dachte sich die Welt wie ihren Garten, und alle Menschen wie ihre Mutter, ihren Vater, und die Jungfer, die ihr aufwartete: in ihrem reinen Sinne war nicht Ein widriges Bild, in ihrer Seele kein unheiliger Gedanke. Endlich sagte der Vater zu der Erzieherin: »Liebe Freundin – ich danke Tag für Tag dem allgütigen Gott, daß er Sie meiner Philippine gegeben hat. Und könnte ich mich, Sie, das Kind, und etwa noch einige andre Menschen, wegtransportiren auf eine Insel, wo es möglich wäre, immer so fort zu leben . . . Ich weiß, das Leben meiner Tochter ist das Leben des Paradieses. Aber nachgerade wird sie groß.« – (Er erröthete, als er das sagte.) »Sie ist vierzehn Jahre, und wächst zusehends. So kann sie doch nicht immer leben; sie muß doch wissen, daß es auch andre Menschen auf der Erde giebt, so Tanten, Hammers, und dergleichen. Ich will sagen, liebste, beste Freundin: sie muß nun endlich ein wenig in die Welt. Mir ist recht bange davor; denn was anders kann die Welt, als diese Engelsseele beflecken! Gott gebe dem Kinde Glück, ach! recht viel Glück, und vor allem gute Menschen!«

Auguste fühlte, daß der Rittmeister Recht hatte; und doch zitterte sie vor dem Gedanken, daß ihre geliebte Philippine hinausgestoßen werden sollte in den Tummelplatz von Leidenschaften, Lastern und Verbrechen. Sie bat den Rittmeister nur, in Philippinens Lebensweise nicht eher etwas zu verändern, als bis sie confirmirt sey, damit bis dahin Friede und Seligkeit ungestört ihre Brust erfüllten. Das bewilligte der Rittmeister gern, und er würde mehr bewilligt haben, wenn Auguste es verlangt hätte. Diese sah wohl ein, daß Philippine nothwendig unter Menschen kommen mußte; sie wollte nur vorher in der feierlichen Stunde des Abendmahls ihr Herz gegen die Angriffe derselben heiligen.

Der Prediger unterrichtete Philippinen in ihrem Gartenhause; doch wünschte er, daß sie die letzten Stunden zu ihm kommen möchte, um mit den übrigen Kindern des Dorfes vorbereitet und dann confirmirt zu werden.

Philippine freuete sich auf diesen Tag; es war ihr, als sollte sie schon an ihm in die Welt treten. Sie ging in Begleitung ihres Mädchens zu dem Prediger, verbeugte sich, als sie in das Zimmer trat, erröthete, und setzte sich schweigend auf den Stuhl, den der Prediger ihr anwies, neben einem Knaben von ihrem Alter. Dieser Knabe war ihr ehemaliger Spielgefährte, Sonnenstein. So sehr sie auch an Aufmerksamkeit bei dem Unterrichte gewöhnt war, so dachte sie doch heute fast immer an ihren jungen Freund, den sie so lange nicht gesehen hatte. Sie glaubte, ihre Erzieherin hätte ihr absichtlich verschwiegen, daß sie ihn wiedersehen sollte, um ihr eine desto größere Freude zu machen. Zwar fühlte sie, daß sie etwas blöder gegen ihn geworden war, und daß es ihr schwer seyn würde, ihn anzureden, wenn der Unterricht vorüber wäre; aber er hatte sie doch so freundlich angeblickt: wie hätte sie nun weggehen können, ohne ihm ein Wort zu sagen, da sie so herzlich gewünscht, ihn wiederzusehen, und da ihre gute Mutter ihr versichert hatte: du wirst ihn wiedersehen, wenn du fromm bist! Nach der Stunde ging sie mit dem jungen Sonnenstein durch den Garten des Predigers, der näher zu ihrer Wohnung führte. Hier stand sie auf einmal still, sah ihn mit den frohen blauen Augen an, und sagte: »o, Erhard, es ist recht lange, daß ich dich nicht gesehen habe! Aber ich wußte, daß ich dich wiedersehen würde. Meine Mutter hatte es mir versichert. Sieh, ich glaubte immer, sie meinte: wenn ich todt wäre, und du auch. Aber nun geschieht es noch hier; und hier ist es doch auch schön!«

Philippine war dem Knaben fremder geworden, als er ihr; doch gleich bei den ersten Worten: »o Erhard!« war sie ihm wieder die liebe, fromme Philippine. Er drückte ihr die Hand, und sagte: ich kenne dich noch sehr wohl. Wir haben dich auch noch recht lieb, Minette und ich; wir denken recht oft an dich, und sprechen von dir.

Sie legte das Engelsgesicht auf seine Schulter, und sagte: »o, ich trage euch in meinem Herzen! Aber nun seh' ich dich immer!« – Ihre Jungfer war bei dieser Scene zugegen, und trieb sie, zu eilen. Zu Hause erzählte Philippine ihrer Mutter mit einer schönen Begeisterung, daß sie den lieben Erhard wiedergesehen habe; und den ganzen Tag hindurch sprach sie beinahe von nichts, als von ihm.

»Das hatte ich dir nicht versprochen, mein Kind,« sagte Auguste sanft: »denn dort hättest du ihn nicht wiedersehen sollen; dort kannst du ihn nur sehen, nicht auch mit ihm reden, ja nicht einmal immer an ihn denken, weil es dich an Aufmerksamkeit auf den Unterricht hindern würde. Du solltest ihn wiedersehen, nur dort nicht!«

Philippine hob die blauen Augen langsam zu ihrer Mutter auf. Ich bin gar nicht aufmerksam gewesen; fast die ganze Stunde habe ich daran gedacht, was er sagen, was ich sagen, und wie er sich freuen würde.

»Siehst du wohl, mein liebes Kind?«

Aber nun hab' ich mich gefreuet; nun hab' ich ihm gesagt, was ich ihm sagen wollte. Jetzt will ich wieder recht aufmerksam seyn.

»Und weißt du denn, ob er deine Freundschaft verdient? Ist er noch so fromm, wie er war? ist sein Herz noch heilig, wie ehemals?«

Gewiß, Mutter! Du solltest ihn nur sehen!

Die Mutter seufzte: denn sie fürchtete, der Knabe habe die Reinheit seines Herzens verloren; und das machte sie ängstlich, nicht Philippinens Begeisterung. Man glaubte das, obgleich ganz ohne Grund, in Bärburgs Hause allgemein, weil die Tante es in Umlauf gebracht hatte, entweder um der Frau von Sonnenstein wehe zu thun, oder nur, um sich doch mit irgend etwas zu beschäftigen. Sie erzählte ihrer Jungfer eine Kleinigkeit von Sonnensteins Kindern; diese Kleinigkeit kam von der Jungfer an den Koch, von dem an einen Bedienten, von diesem nach und nach an alle Leute im Hause, und endlich, von jedem etwas vergrößert, wieder zurück zu der Tante, die sie dann an den Rittmeister brachte. Er erwiederte ihr bloß ein »Tralala!« Das ärgerte sie, und sie sagte: ich habe es von dem Koch, der es doch wohl wissen kann!

»Vor zehn Jahren hat er dort einen Bedienten in's Haus gebracht!«

Die Tante fragte in Gegenwart des Rittmeisters einen alten Bedienten; und dieser antwortete: man hört freilich allerlei, was nicht gut ist!

»Vom Koch; der Koch von dem Reitknecht, der von einem Ungenannten. Lassen Sie das gut seyn, Tante!«

Der Rittmeister urtheilte sehr richtig; aber die Tante wollte ihre Nachrichten anerkannt wissen. Sie sagte nun mit großer Unverschämtheit zu ein Paar Speichelleckern des Rittmeisters halb leise: ich höre, daß Sonnensteins Kinder nicht einschlagen. Man wußte, daß sie die Familie haßte, und gab daher das zu, wollte es auch selbst gehört und erfahren haben. Das ist doch recht sehr zu bedauern! sagte sie nun so laut, daß Jedermann es hören mußte. Die armen Eltern! – Richtig fragte der Rittmeister gutherzig: »welche Eltern?« – Da erzählt mir so eben der Herr hier, daß Sonnensteins Kinder . . . – Alles wurde bestätigt, und dabei gab man einzelne Umstände an, die den größten Schein der Wahrheit hatten. »Tralala!« sagte der Rittmeister wieder, doch nur mit halbem Muthe; und so wurde denn die Sage von Sonnensteins bösartigen Kindern in Bärburgs Hause gar nicht mehr bezweifelt.

Der Rittmeister sprach, um Sonnensteins zu schonen, nie ein Wort darüber, und konnte also die Wahrheit nicht erfahren. Eben so ging es der Predigerwitwe. Auch diese, welche überdies nur selten Menschen sah, schwieg aus Achtung für die Eltern, und war betrübt darüber, daß die beiden schönen Blüthen so früh vernichtet waren. Sie hielt es für ein Glück, daß Philippine nur einige Stunden mit dem jungen Sonnenstein beisammen seyn sollte; und, um allen Schaden zu verhüten, schickte sie das geliebte Kind erst mit dem Anfange der Stunde hin, auch mußte die Jungfer es nach der Stunde sogleich wieder in Empfang nehmen. Philippine wußte nicht, warum sie dem lieben Spielgefährten immer so schnell entrissen wurde, und klagte es ihrer Mutter. Diese sagte: »ich fürchte, Erhard ist nicht mehr gut und fromm!« Nun hielt Philippine ihrem Erhard eine lebhafte Schutzrede, die aber auf die Mutter gar keine Wirkung that.

Sie sah ihn das nächste Mal darauf an, ob ihre Mutter wohl Recht haben könnte; doch sein Gesicht lächelte ihr so hell und schön entgegen, wie das Gesicht eines Engels. Nun drückte sie ihm schnell die Hand, ohne sich davor zu scheuen, daß der Prediger es sehen könnte.

Der alte Prediger wendete sich jetzt mit seinen Fragen abwechselnd an Philippinen und an Erhard. Er redete von dem Glücke eines frommen Christen so herzlich und so erhaben, daß Philippinens Augen bald in Freudenthränen schwammen; aber noch größer wurde ihr Entzücken, als Erhard, von dem Feuer seines Lehrers, und noch mehr von den schimmernden Thränen seiner Nachbarin ergriffen, plötzlich aufstand, und seinem Lehrer mit einem Handschlage versicherte: ich will, so lange ich lebe, vor Gott wandeln!

Was bedurfte es für die fromme Philippine mehr, als dieser Worte, um fest zu glauben, daß Erhards Herz noch heilig sey! Als sie weggingen, riß sie sich, nach einem kurzen Bedenken, auf einmal von ihrer Jungfer los, eilte auf Erhard zu, und sagte ihm herzlich: ich liebe dich, und will dich ewig lieben. Nun ging sie zufrieden nach Hause, und erzählte ihrer Mutter, was geschehen war. Diese schwieg zwar, und lächelte; aber doch widerrief sie nicht. Philippine wunderte sich über den ungewöhnlichen Starrsinn ihrer Mutter. Auch sie schwieg nun; doch unmöglich konnte sie ruhig bleiben, und zugeben, daß Erharden so großes Unrecht geschah. Sie wollte ihre Mutter überzeugen, daß er gut wäre, und sann, mit glühenden Wangen, mit pochendem Herzen, auf einen Plan, dies zu bewirken. Die Mutter sah ihr begeistertes Auge, ihre glühende Wange, das Pochen ihres Herzens, wußte auch durch die Jungfer, was Philippine Erharden gesagt hatte; und dennoch blieb sie ruhig, weil sie die reine, von aller Sinnlichkeit freie Engelsseele ihrer Tochter kannte. Auch fing sie wirklich an, Philippinens Versicherungen von dem jungen Sonnenstein mehr zu glauben, als dem Gerüchte, das doch im Grunde nur von der Tante herkam.

Auf den Knaben hatte das alles einen tiefen Eindruck gemacht, doch einen andern. Sonnensteins lebten viel in der großen Welt, und ihre Kinder wurden meistens mit in die Gesellschaften genommen, die ihren Sitten nicht gefährlich werden konnten. Sie waren Beide vortrefflich erzogen, und zwar so, daß sie späterhin in der großen Welt, wie in der Einsamkeit, in den verwickeltsten Verhältnissen, wie in dem Genusse des einfachen häuslichen Glückes, mit Anstand leben konnten. Sie kannten die Welt schon, und hatten angefangen darin zu leben; doch die Reinheit ihrer Herzen bewahrten religiöse Empfindungen. Ihre Mutter gab ihnen das beste Beispiel, der Welt den feinen Genuß der Künste abzugewinnen, ohne ihn durch Aufopferung der edleren Gefühle, der Liebe, der Tugend und des innern Friedens zu erkaufen. Die Kinder lasen schon in mehreren Sprachen, spielten und sangen fertig, und waren auch nicht ungeübt im Zeichnen; alle Künste aber schildern, besingen und zeichnen ja fast immer nur die Liebe. Auch waren die beiden Kinder mit ihren Eltern jeden Winter einige Monate in der Hauptstadt, und kamen da in Gesellschaften, auf Bälle und in das Schauspiel. So kannten sie denn die Liebe schon, ohne sie zu fühlen: diese gefährliche Leidenschaft, die einmal ihr Leben beglücken sollte, und die sie ahnend erwarteten.

Erhard hatte die Gespielin seiner Kindheit fast ganz vergessen. Anfangs sprach er, wenn er mit seiner Schwester einmal allein war, wohl von Philippinen, von ihrem dunkeln Trauer-Bosket, und von den sinnvollen Spielen, die sie angab; doch nach und nach wurden diese Bilder in seiner Seele dunkler. Als er confirmirt werden sollte, erfuhren seine Eltern durch den Prediger, daß auch Philippine, wie Erhard, die letzten Stunden des Unterrichtes besuchen würde, um nicht durch unvermuthetes Erscheinen am Tage der Confirmation die übrigen Kinder zu stören. Dadurch wurden bei Erhard die alten Bilder wieder aufgefrischt. Heute wirst du Philippinen wiedersehen, sagte Minette. Ob sie dich wohl noch kennen wird? und du sie?

Als sie endlich zu dem Prediger kam, und mit dem leichten, schönen Gange herein schwebte, war ihm, er wußte selbst nicht wie. Er merkte bald, daß ihre ungewöhnliche Kleidung, die etwas Schäferliches hatte, ihm so auffiel. Das ungepuderte, blonde Haar, welches ihr in schönen, natürlichen Locken um den Nacken hing, das lange weiße Kleid, welches den Körper so leicht, so schlank machte, schien ihm nicht häßlich; er begriff aber nur nicht, wie Philippine in einem solchen Anzuge aus dem Hause gehen mochte. Als er sie, neben ihr sitzend, mit Ruhe betrachtete, glaubte er, nie ein schöneres Gesicht gesehen zu haben. Ihre Verbeugung beim Eintreten, ihr Lächeln, ihre Bewegungen, das alles hatte für ihn etwas Fremdes, und war nicht so, wie es seyn sollte; aber dennoch konnte er nicht umhin, es äußerst schön zu finden. Sie wurde ihm indeß durch das alles so fremd, daß er sie gewiß nicht angeredet hätte. Doch – im Garten richtete sie die großen blauen Augen mit einem frohen Blick auf ihn. Und als sie nun die schönen Rosenlippen öffnete, sich, wieder so ungewöhnlich, und doch so reitzend, zu ihm beugte, ihre schöne silberhelle Stimme ihn vertraulich: Erhard und Du nannte; als sie ihm die zarte Hand reichte, ihm die seinige drückte: da nannte er sie wieder Du, ohne zu wissen, wie es zuging, daß er, so fremd ihm auch alles an ihr schien, dennoch so bekannt mit ihr war. Als sie dann auf einmal den schlanken runden Hals beugte, und ihr, gleich einer sanften Purpurrose, glühendes Gesicht an seine Wange legte, und mit einer Innigkeit, wie er sie noch nie gehört hatte, zu ihm sagte: »ich trage euch in meinem Herzen!« da wollte er ihr antworten; doch das Herz schlug ihm zu ängstlich, zu froh, und er schwieg, weil es ihn freuete, sie sprechen zu hören und zu sehen.

Wie eingewurzelt auf der Stelle, wo er stand, sah er ihr nach, als sie mit ihrem Mädchen nach Hause ging, und kehrte endlich, mit einem ganz ungewöhnlichen, tiefen Eindruck im Herzen, auf einem Umwege zurück, damit er die süßen Empfindungen seiner Seele noch länger genösse. Als seine Schwester ihn fragte, antwortete er kalt: sie war da. – »Nun?« – Sie war da; sonst weiß ich dir nichts zu sagen.

Mit Zittern ging er das nächste Mal in die Stunde; und nun war ihre Art sich zu kleiden, ihm nicht mehr befremdend. Doch wie sehr wurde er überrascht, als sie auf ihn zuflog, und ihm sagte: »ich liebe dich, und werde dich ewig lieben!« So jung er auch noch war, und so eitel er bei seiner Erziehung hätte seyn können; so konnte er doch Philippinens Worte unmöglich falsch verstehen. Liebe bedeutete in ihrem Munde etwas Andres, etwas Edleres, Heiligeres, als was er sich bisher unter diesem Worte gedacht hatte.

Unglücklicher Weise entdeckte Auguste dem Rittmeister ihre Besorgnisse. »Der Teufel!« sagte er heftig: »wenn nur nicht etwas Andres dahinter steckt! Das Mädchen ist über vierzehn Jahre alt. Man hat Exempel, liebe Auguste; glauben Sie mir! . . . Und der Erhard – es mag nun viel oder wenig von dem wahr seyn, was wir von dem Burschen gehört haben: so viel ist doch richtig, daß er sich in der Residenz mit seinen Eltern auf allen Bällen, in allen Schauspielen herumgetrieben hat. Gott mag wissen, wo noch sonst. Nein, das geht weit! »Ich liebe dich, und werde dich ewig lieben!« Da ist etwas Anderes im Spiel, als Sie glauben; und, bei meiner Seele!« – Er schlug die Hand aufs Herz, daß es tönte. – »Ich weiß wohl, daß die Tante zwischen uns und Sonnensteins Samen zu Giftpflanzen ausgestreuet hat; aber hätten Sonnensteins nicht Schatten und Sonne, Regen und Pflege dazu hergegeben, so wäre es anders. Ein Sonnenstein bekommt das Mädchen nicht! Lieber wollte ich sie zu ihrer Mutter hinlegen, in Gottes Arme, als in die Arme meiner Feinde. Sagen Sie das dem Kinde, wenn Sie es rathsam finden. Ich werde es Sonnensteins sagen, und zwar recht deutlich, sobald sie nur einen Schritt thun!«

Auguste schwieg; denn was konnte sie erwiedern! Sie wünschte, daß nur die wenigen Tage bis Pfingsten, wo Philippine zur Communion gehen sollte, schon vorüber seyn möchten.

Philippine bildete ihren Plan, die Mutter mit Erhard auszusöhnen, in den einsamsten Stunden unter ihren Lämmern aus; und darüber kam der Tag der Confirmation heran. Der alte Prediger segnete die Kinder auf seinem Zimmer ein, und erlaubte, damit sie nicht zerstreuet würden, keine Zuschauer. Hier stand der ehrwürdige Greis, wie ein Apostel, in dem Kreise der Kinder, um sie noch einmal zu ermahnen. »Seyd fromm,« sagte er; »besonders Ihr Beiden, du Erhard, du Philippine! Der Anblick eurer reinen, stillen Herzen hat mir die süßeste Freude gemacht, für die ich dem gütigen himmlischen Vater danke. Dankt auch ihr Ihm, der euch solche Eltern, solche Erzieher, solche gleiche Herzen gab! Seyd treu bis an's Ende! Gebt mir die Hand auf dieses theure, werthe Wort: seyd treu bis an's Ende!«

Er faßte ihre Hände in seine Linke zusammen; dann legte er ihnen abwechselnd die Rechte auf die Stirn, und segnete sie, indeß seine Thränen sich mild ergossen. »Ich mache euch Beide, dich, Erhard zu Philippinens, und dich, Philippine, zu Erhards Zeugen und Bürgen dieses Versprechens. Wache einer über des Andern Gottseligkeit! Ermahnet einander, eure Herzen so rein zu erhalten, wie sie in dieser heiligen Stunde sind. Ihr seyd von Gott dazu bestimmt, einmal der Vater, die Mutter, die Beschützer, die Wohlthäter dieser Kinder zu werden, die um euch her stehen. Seyd es Beide in herzlicher Liebe und Eintracht! Du, o himmlischer Vater, der du diesen beiden Kindern Herzen voll Glaubens, Liebe und Hoffnung gabst, sprich dein Amen zu diesem Wunsche!« Und nun ergoß sich die Begeisterung des Greises in ein erhabenes Gebet, wobei er noch immer die Hände der beiden Kinder in der seinigen hielt. Die Seelen der Kinder flogen in glühender Andacht zu Gott empor, und heiße Thränen rollten über die glühenden Wangen. Höher können Menschenherzen sich nicht heben, ohne vor Wonne zu vergehen!

»Amen!« sagte der Greis, und ließ ihre Hände los; doch die Hände blieben vereinigt. Beide Kinder warfen das thränenvolle, blitzende Auge auf einander: sie standen vor Gott, in hoher Reinheit, in dem erhabensten und lautersten Gefühle der Tugend. Philippine reichte ihrem Freunde auch die andre Hand, und sagte leise: »du bist mein Zeuge, Erhard! ich will treu seyn bis an's Ende!« – Er drückte beide Hände fest in den seinigen, und wiederholte noch leiser: treu bis an's Ende! Ihre Seelen flossen in einander, ihre Herzen waren nun auf ewig verbunden, ohne daß sie es wußten. Beide dachten in dieser Minute an gar nichts anders, als an Gott. Sie gingen ruhig nach Hause; doch nein! ein sanfter Sturm, wie die heiligste Stille, wogte unablässig in ihren Herzen. »Mutter,« sagte Philippine; »ich habe ihm versprochen, treu zu seyn bis an's Ende, zu wandeln in stiller Gottseligkeit! O, ich bin so glücklich!« Sie hätte in der That nicht sagen können, wen sie unter dem Ihm verstand; auch war ja das nur eine Nebensache. Unter den Bildern ihrer Seligkeit stand auch Erhard in frischen, lebendigen Farben; ihr Blick fiel aber nicht besonders auf ihn. Sie entwickelte nichts, sie sonderte nichts ab; ihr Gefühl war nur Eins: heilig, selig. So, in dem Nachgenuß ihrer Wonne, brachte sie den Tag zu: sie blieb einsam bei dem Sarge ihrer Mutter, und dann unter dem finstern Schatten der Zypressen. In der Nacht konnte sie fast gar nicht schlafen, und am frühen Morgen ging sie schon wieder in den Garten.

In den Gesang der Nachtigall tönte das Frühgeläut der Glocken zur Feier des schönsten Festes im Jahre; auf allen Zweigen hingen, strahlend wie Diamanten, unzählige Thautropfen. Philippine drückte die nassen, kühlenden Zweige an die heiße Brust; mit Worten konnte sie nicht beten, weil ihre ganze Seele ein Gebet war.

Ihr wehmüthig frohes Gefühl wurde immer stärker, immer gewaltiger, und beengte ihre Brust mit einem süßen, überirdischen Schmerze. Der reine, klare Himmel schien sie zu sich empor ziehen zu wollen; mit jedem Hauche der Morgenluft, der ihr Blüthendüfte zuwehete, glaubte sie, hinauf zu schweben. Alle Menschen, die sie kannte, ihre Mutter, ihre Erzieherin, ihr Vater, Erhard, Minette, die sie nicht wiedergesehen hatte, ihr Onkel, dessen sie sich kaum noch erinnerte, schienen sie in lichten, bald kommenden, bald verschwindenden Gestalten zu umringen. Sie brach endlich in einen Strom von frommen Thränen aus, und ging zu dem Sarge ihrer Mutter. Der kalte Marmor, den sie an ihre offne Brust drückte, that ihr wohl; er kühlte sie ab, und stillte die zu gewaltigen Gefühle ihres Herzens. Endlich kam ihre theure Auguste. Sie eilte ihr entgegen; und in den Armen, an der Brust dieser geliebten zweiten Mutter fand sie so viele Ruhe wieder, daß sie beten konnte.

Ihr kurzer, unruhiger Schlaf, ihr frühes Aufstehen, die Morgenluft, die große Bewegung, worin sie gewesen war: das alles hatte sie blaß gemacht, blasser als gewöhnlich. Nun kleidete sie sich in ein langes weißes Gewand, ließ sich das blonde Haar in lieblichen Locken um die Stirn flechten, und steckte vor die Brust eine weiße Lilie, die Lieblingsblume ihrer verstorbenen Mutter. Dann sprach sie mit ihrer Auguste von den Freuden des heutigen Tages, von der Seligkeit guter Menschen. Der Rittmeister kam langsam durch das Gebüsch gegangen, schon mit Thränen in den Augen, noch ehe er seine Philippine gesehen hatte. Als er sie mit blassen Wangen, die Hände in dem Schoße gefaltet, mit niedergesenkten Augen, still da sitzen sah, betrachtete er sie lange, und sagte dann: »o, meine fromme Philippine! Gott sey gelobt, daß er mich diesen Tag hat erleben lassen! War ich jemals hart oder hitzig – ich weiß, das bin ich, ob ich mich gleich nicht erinnern kann, es gegen dich oder deine gute Mutter da gewesen zu seyn – Komm, mein Herzenskind, und sag mir, daß du deinen Vater lieb hast.« Sie fiel an seine Brust; und er sagte, sie umfassend: »o, hier wollte ich ja tausend Tanten vergessen!«

Als er sie noch einmal betrachtet hatte, sagte er lächelnd: »Gott Lob, daß die Tante erst um zehn Uhr aufsteht! Und dann habe ich sie zu Schleusens bitten lassen. Diesen Tag, und noch einen, mein liebes Kind, möchte ich gern ohne ein Notabene von der Tante zubringen. Sieh, ich wollte, mein Bruder, dein guter Oheim, wäre hier! Aber« – sein Ton wurde traurig – »zwischen unsre Herzen haben Sonnensteins, und noch etwas Anderes, eine Scheidewand geschoben. Doch, da werfe ich meine und andrer Menschen Schuld so in deinen Frieden, auf deine schneeweiße Engelsseele! Ich bin nicht zum Hasse geboren, auch hasse ich nicht; aber es thut weh, daß ich nicht lieben soll! Weiter will ich nichts sagen. Gottes Friede sey mir dir, und mit uns Allen!« – Er mußte sich losreißen, wenn der Gedanke an seinen Bruder ihm nicht die reine Seligkeit dieses Tages trüben sollte.

Philippine ging mit ihrer Mutter in die Kirche, und bei jedem Schritte erweiterte sich ihr Herz immer mehr, daß es die ganze Seligkeit des Himmels fassen konnte. Nach der Predigt trat sie mit den übrigen Kindern zu dem Altar. Sie sah und hörte nichts; sie fühlte nur glühende Andacht bei der erhabenen Handlung. Als die Communion geendigt war, gingen die Kinder noch einmal zu dem Prediger, weil er ihre Nahmen in das Communicanten-Buch eintragen wollte. Hierbei war Philippinens Herz unbeschäftigt, und nun erst bemerkte sie ihren Freund Erhard. In diesem Augenblick dachte sie auch an ihren Plan, den sie ganz vergessen hatte. Sie sagte ihm leise: »diesen Nachmittag um vier Uhr erwarte ich dich bei der grünen Gatterthür an unserm Garten;« und er nickte ihr sein Ja zu. – Noch heute wollte sie ihn zu ihrer Mutter führen, und diese mit ihm versöhnen.

Erhards Gefühle waren jetzt nicht mehr so ganz ohne alle irdische Zumischung, wie an dem Tage der Confirmation. Sobald die Rührung, welche der Prediger in seiner Seele bewirkt hatte, vorüber war, fing er an, sich alles zu wiederholen und von einander abzusondern. Philippinens Bild riß sich von den andächtigen Gefühlen los, und blieb allein vor seiner Seele: wie sie ihre Hände in die seinigen gelegt, und ihren Blick auf den seinigen geheftet hatte. Des Predigers Rede stand mit feurigen Zügen in seiner Seele. Er wiederholte sie sich; und die Worte: »ihr seyd dazu bestimmt, einmal der Vater, die Mutter, die Wohlthäter dieser Kinder zu werden,« hatten für ihn jetzt eine Nebenidee, auf die sein Geist immer wieder zurück wollte, die aber sein Herz, so lange darin der Nachklang der frommen Empfindungen noch nicht verhallt war, nicht zu entwickeln wagte. Doch niemals vermischte er Philippinens Empfindungen mit seinen eigenen; denn er wußte, daß sie sonst nichts als heilig gewesen war. Er wußte – und wollte nichts wissen. Mit einer Unruhe, welche ihm das Bewußtseyn eines Unrechts schien, suchte er sich von allen diesen Gedanken los zu reißen und nur an die bevorstehende heilige Handlung zu denken; doch immer blieb Philippine, wie sie ihre Hände in die seinigen legte, vor seiner Seele, und ihr Bild umschwebte ihn selbst in den reinsten Augenblicken, wo er sein Herz zu erheben suchte. Das machte ihn ängstlich, und er glaubte, daß er sein Versprechen, treu zu seyn bis an's Ende, schon gebrochen habe.

Am Morgen des Pfingsttages hatte er sich mit so vieler Anstrengung zu sammeln gesucht, daß es ihm endlich gelungen war. Nun aber trat Philippine in die Kirche; und ihre leichte, schöne, ätherische Gestalt in weißem Gewande zerstreuete ihn aufs neue. Sie saß ihm gegenüber, schlug aber während der ganzen kirchlichen Handlung die Augen nicht auf, und ließ die Hände immer gefaltet in ihrem Schooße ruhen. Offenbar lag Andacht, Erhebung des Herzens, Vergessenheit alles Irdischen auf dem blassen Gesichte, auf den betenden Lippen.

Erhard konnte sein Auge nicht abwenden von der Gestalt dieses betenden Engels; doch eben dieser Anblick gab seiner Seele endlich aufs neue eine heilige Erhebung. Er dachte den Gedanken: wie blaß sie ist! Wenn wir nun Beide in diesem Augenblick stürben; dann kämen wir zu Gott! – Nun schlug er die Augen nieder, und seine Seele schwang sich, doch nur auf den Fittichen des Engels ihm gegenüber, zum Himmel empor. Seine Empfindungen wurden zuletzt wieder vollkommen rein, und er dachte nicht mehr an Philippinen, als nur einen Augenblick, wenn sein Auge zufällig auf sie traf.

Bei dem Prediger bestellte sie ihn nun in den Garten, und zwar in einem ganz ruhigen Tone, mit einem ganz unbefangenen Gesichte. Das kam ihm so unerwartet, das war ihm an diesem Tage, und bei dieser Stärke ihrer Empfindungen, unbegreiflich! Der junge Mensch verwechselte sein Herz mit dem ihrigen; und nun waren die heiligen Empfindungen des Tages für ihn vernichtet. Es regte sich in seiner Seele ein ganz andrer, ein fremder, Strom von Gefühlen. Diese hatten für ihn etwas Widriges, höchst Unangenehmes, dem er aber nicht nachspüren, das er sich durchaus nicht entwickeln wollte. Er ging lässig um den finstern Abgrund in seiner Seele her, und blickte immer nur auf den blumigen Rand, nie in die dunkle Tiefe.

Zu Hause zerstreuete er sich vorsetzlich, um nur nicht an das zu denken, was so widerstreitend seine Seele bewegte. Er entfernte sich von seiner Schwester, als sie von Philippinen sagte: »o, sie ist ein Engel geworden! Unsre Eltern sind ganz von ihr bezaubert.« Durch eine Zerstreuung über die andre betrog er sich um die Zeit, bis es endlich beinahe vier Uhr war; und nun eilte er an den Ort, wo Philippine ihn erwartete.

Schon von weitem sah er sie in der Gatterthüre stehen, und bei jedem Schritte wurde er muthloser, blöder, unzufriedener mit sich selbst und mit Philippinen. Sie winkte ihm freundlich mit der Hand und mit dem Kopfe. Als er endlich bei ihr war, faßte sie sogleich seine Hand, und sagte: »o, lieber Erhard, wie glücklich sind wir Beide! wie selig! Wie freuet es mich, daß ich diesen schönen Tag mit dir, dem Spielgefährten meiner Kindheit, gefeiert habe! Nein, nun werde ich dich gewiß nie vergessen, und dich immer lieben! Wir wollen fromm seyn, und heilig. Heute habe ich dich zum letzten Male vergessen, heute in der Kirche. Da dachte ich gar nicht an dich, an keinen Menschen, nicht einmal an das Leben. Als der Prediger unsre Nahmen aufschrieb, und ich dich erblickte, da erschrak ich recht; ich wußte nicht, daß du da warst.«

Sie hätte noch lange so fort reden können: Erhard würde ihr keine Sylbe geantwortet haben; denn dieser Anfang war ihm wieder höchst unerwartet, und er gerieth darüber in seltsame Zweifel. Nun erzählte sie ihm, ihre Mutter glaube, sein Herz sey nicht mehr rein und heilig. »Sieh, Erhard, da habe ich schon längst diesen Tag gewählt, gerade diesen Tag, an dem doch wohl kein Mensch eine Unwahrheit sagen kann. Heute will ich dich zu meiner Mutter führen, und du sollst ihr versichern, daß du fromm und gut bist. Thu' es mir zu Gefallen, lieber Erhard; heute wird sie dir glauben.«

Da stand nun der Engel wieder in der Glorie des Himmels vor ihm! O, Philippine! sagte er begeistert: wie gut bist du! wie ehre ich dich! Dies ist der glücklichste Tag, dies die glücklichste Stunde meines Lebens. Gieb mir ein Andenken an diese Stunde, liebe Philippine: die weiße Lilie vor deiner Brust.

Sie gab ihm die Blume lächelnd. »Da nimm sie, zum Andenken an diesen Morgen! Und jetzt komm!«

O, Philippine! wirst du mich auch nie vergessen? nie, so lange du lebst? wirst du mich auch immer lieben?

»Immer!« Sie legte ihre Lippen an seine Wangen, und umfaßte ihn. Er drückte sie an seine Brust, und sagte: ich werde dich ewig lieben! In diesem Augenblick stürzte der Rittmeister auf Beide zu, und rief im heftigsten Zorne: »Das ist zu arg! An diesem Tage! Gott erbarme sich! Hab ich's nicht gleich gedacht? Da hast du den Lohn für dein Rendezvous, du Laffe!« Bei diesen Worten bekam Erhard eine so derbe Maulschelle, daß er wie versteinert stehen blieb. Nun faßte der Rittmeister Philippinen bei der Hand, führte sie eilig durch den Garten zu Augusten, und sagte unterweges: »Da haben wir ja das Unheil! An dem heutigen Tage! Mein blaues Wunder habe ich gesehen! Ich alter Narr, ich schwimme in Thränen, ich danke Gott auf den Knieen; und ein Paar Stunden nachher giebt es solche Teufeleien!«

So war er mit Philippinen bis in die Nähe des Hauses gekommen, wo die Mutter sie schon erwartete. Sie sah an den Augen des Rittmeisters, und an dem bleichen, höchst ängstlichen Gesichte der Tochter, daß etwas Ungewöhnliches geschehen seyn mußte; deshalb ließ sie Philippinen in das Haus gehen, und sie selbst blieb mit dem Vater draußen. »Hm, ja!« sagte er: »sie sollen gut seyn, die Sonnensteins, besser als ich. Aber Feinde sind wir nun einmal; und mir von einem Feinde das Liebste, was ich auf der Welt habe, wegkapern zu lassen, das leide ich nicht. Liebste, beste Frau, Sie haben glatt vorbei geschossen mit Ihrer Religion, oder was es sonst seyn sollte, in Philippinens Herzen; ich aber, ich traf ins Schwarze. Da bei der Gartenthüre am Felde, habe ich Philippinen so eben auf einem Rendezvous mit dem Laffen, dem Sonnenstein, ertappt. Beide hatten sich umarmt, so fest, daß sie mich nicht hörten und sahen, ob ich gleich vor Zorn auftrat, wie ein Kürassier. Ja, liebste Frau, ich habe wohl hundertmal gedacht: wenn sich erst die Brust – Gott verzeihe mir die Ausdrücke! aber es muß heraus; denn sie ist meine Tochter – wenn sich erst die Brust eines jungen Mädchens hebt, dann hebt sich der Teufel gleich mit, die Eitelkeit oder die Fleischeslust.«

Lieber Herr Rittmeister, für Philippinen stehe ich. Reden Sie leiser; ich bitte Sie dringend.

»Stehen Sie? Ich, Frauchen, ich mag nicht für mich stehen, und bin doch ein Mann bei Jahren. Für so ein Ding wollen Sie stehen, das Blut in den Adern hat, wie Flammen? Ei, der Teufel, Frauchen, Sie sind sonst die Vernunft selbst; aber hier? Ich sage Ihnen ja, sie hatten Mund auf Mund, Brust an Brust, Arm um Arm. Wenn sie denn dabei absolut an die Bibel und an Gott gedacht haben sollen, nun so war's der Spruch: Fleisch von meinem Fleisch, und Bein von meinem Bein! »Stehe ich!« Liebe Frau, als ob man seit Eva's Falle – die doch, hoff' ich, unschuldiger war, als Philippine, weil sie aus der Hand Gottes, so eben, möchte ich sagen, von seinem Werktische gekommen war – als ob man seit dem traurigen Exempel für irgend ein Mädchen stehen könnte! Und gerade heute! ich möchte schwarz werden! Da hatte die Tante wahrhaftig so halb und halb Recht, als sie sagte: lassen Sie Ihre Tochter in einem Beinhause erziehen; die Liebe wird doch den Eingang dazu finden! . . . Wenn's nur nicht gerade der Sonnenstein wäre; ich würde thun, als müßte es so seyn. Aber lieber wollte ich ja, wer weiß wie weit ziehen, zu den Wilden in die neue Welt, als meine Tochter hundert Schritte von mir in einem Hause wissen, in das ich nicht anders als mit halbem Herzen gehen könnte!« –

Es war unmöglich, dem Rittmeister bei einem solchen Eifer in die Rede zu fallen; und Auguste wußte ihm überdies jetzt nichts zu erwiedern. Endlich hob sie an: wenn Sie mir versprechen, nicht ein Wort zu reden, so sollen Sie hören, daß wenigstens Philippine unschuldig ist.

»Unschuldig? Nun ja! Wer hat dagegen etwas einzuwenden! Weiß ich nicht, daß es nicht ihre Schuld ist, wenn sie nachgerade an ihr eigenes Nest denkt? Aber lassen Sie doch hören! Ich bin neugierig, was eine Heilige wie Sie zu einer solchen Sache sagen kann!« Er zog sie fort; doch ehe sie ihm folgte, mußte er ihr förmlich versprechen, nicht ein Wort zu der ganzen Verhandlung zu sagen. Nun gingen sie Beide zu Philippinen hinein, die weit betrübter darüber war, daß Erhard sich nicht hatte rechtfertigen können, als daß ihr Vater sie mit ihm an der Gartenthüre gefunden hatte.

Liebes Kind, hob Auguste freundlich und zutraulich an: wie kamst du zu der Gesellschaft des jungen Menschen?

Ich habe ihn diesen Morgen hierher bestellt, antwortete Philippine sehr offen. –

Der Rittmeister brummte: »unschuldig!« Auguste that, als hörte sie es nicht, und fragte weiter. Philippine erzählte den ganzen Vorgang so aufrichtig, so wahr, daß auch nicht der mindeste Zweifel übrig bleiben konnte. Auguste sah den Rittmeister siegend an. »Tralala!« sagte dieser. »Und du liebst den Burschen?«

Ja, von ganzem Herzen. Ich liebte ihn schon, als wir noch Kinder waren. Wie es zugeht, daß ich ihn habe vergessen können, weiß ich nicht. Aber nein! Mutter, habe ich ihn wohl je vergessen? Du tröstetest mich ja: ich würde ihn wiedersehen, wie meine selige Mutter. Ich habe ihn wieder gesehen, und jetzt liebe ich ihn eben so zärtlich, wie dich, Mutter, und wie meinen Vater.

»Nun das ist deutlich!« brummte der Rittmeister. »Aber, Jungfer,« fuhr er dann auf: »es jammert mich, daß das alles gerade heute geschehen muß! Ich hoffte, das sollte ein Tag seyn, an dem ich mich einmal so recht von Herzen freuen könnte. Liebe hin, Liebe her! Ich befehle dir, den sollst du nicht lieben! Und seh' ich ihn wieder in meinem Reviere, so will ich ihm so zusprechen, daß er das Wiederkommen wohl vergessen soll. Da hast du meine Meinung klar und deutlich!«

Auguste stand auf, um ihn zu begleiten. Draußen fragte er, sie starr ansehend: »Nun, Frauchen?« – Morgen mehr, antwortete sie, und entschlüpfte ihm.

Er setzte sich nicht weit von dem Hause auf einen Sonnenzeiger, und schüttelte zehnmal den Kopf. »Ist es doch,« hob er an, »als ob mir seit einiger Zeit alles so ganz gegen Wunsch und Hoffen gehen sollte! Ich armer Mann! da stehe ich diesen Morgen so froh auf, wie ein Vögelchen. Der Tag fängt an wie ein Heilig, heilig, heilig! wie ein Fest im neuen Jerusalem; und ehe ich es denke, wird aus dem Heilig ein Wehe! . . . Diesen Morgen stand ich hier am Sonnenzeiger, wie ein Kind, und dachte: die Tante habe ich fortgeschickt; und nun fodere ich den Teufel heraus, mir heute nur Eine Stunde zu verderben. Ach, er hat sie mir alle verdorben, und die Nacht dazu, und wer weiß, wie viele Jahre noch hinterdrein! Aber fest will ich bleiben, meinen Gang so unverrückt fortgehen, wie der Schatten hier. Daraus wird nichts, mein Töchterchen! Ich muß einen Schwiegersohn haben, der mir, und dem ich frei und mit Liebe ins Gesicht sehen kann. Und könnte ich das bei dem jungen Menschen? Guter Gott, ich kann es nicht! Ist es meine Schuld, so verzeihe mir! Laß ihn die Krone aller tugendhaften Mädchen finden; nur wende er das Herz meines Kindes nicht von mir ab!« –

Erhard war Anfangs von dem Schlage des Rittmeisters betäubt. Als er sich wieder erholt hatte, fühlte er einen schnellen heftigen Zorn, und dann die tiefste Scham, auf eine so schimpfliche Art behandelt worden zu seyn; doch in jede unangenehme Empfindung mischte sich die Feier des heutigen Tages, und Philippinens sanfte, liebkosende Stimme. Vor dem quälenden Gefühl der Scham verbarg er sich in ein Gebüsch, und fing laut an zu schluchzen, ohne zu wissen, ob vor Schmerz, vor Liebe, oder vor Zorn. Erst nach einer Stunde wagte er es, aus dem Dunkel hervor zu treten; doch auch jetzt noch brannte sein Gesicht, und er hatte nicht den Muth, irgend einem Menschen, der ihm begegnete, in die Augen zu sehen. Auf einem weiten Umwege schlich er nach Hause, und war nur froh, daß Niemand etwas von dem Vorfalle wußte.

Doch die Sache war nicht ganz so unbekannt, wie er glaubte. Die Tante erfuhr, sobald sie zurückgekommen war, etwas davon durch ihre Jungfer, und ging nun sogleich zu dem Rittmeister. Mein Gott, mon neveu! was haben Sie mit Sonnenstein gehabt? Ganz Grundleben ist voll davon, daß Sie seinen Sohn geschlagen haben.

»Hol's der Teufel! Ganz Grundleben? Ihre Jungfer, Tante, die da herum spionirte. Ich rathe ihr, nicht ein Wort mehr davon zu sagen!«

Aber, ich bitte Sie, was hatte er denn begangen? Zwar weiß ich wohl . . .

»Was wissen Sie! Der Bursche that weiter gar nichts, als daß er sagte: Ihr Diener, Herr Rittmeister. Ich antwortete: schönen Dank, Erhard. Das ist es alles!«

Die Tante forschte, fragte, log, that geheimnißvoll, und brachte so fast das ganze Haus in Aufruhr über die schreckliche Begebenheit. Die Nachricht kam in das Dorf, und endlich auch zu Sonnensteins, was die Tante eben wollte. Sonnenstein fragte mit ernstem Gesichte: »Erhard, was hast du am Pfingstfeste mit dem Rittmeister gehabt? Er hat dich geschlagen.«

Der junge Mensch ward feuerroth. Nicht viel, antwortete er. Seine Tochter stand in der Gartenthüre, als ich vorüberging. Ich redete sie an. Der Rittmeister kam dazu. Sie wissen ja, daß er ein Feind von uns ist. Er stieß mich heftig von der Thüre zurück.

»So?« sagte Sonnenstein kalt, aber erbittert. »Nun, dafür kannst du nicht. Man hat Schläge aus diesem Zurückstoßen gemacht; der Rittmeister selbst erzählt die Sache so. Du bist noch ein Kind, mein Sohn; deshalb lasse ich es gut seyn. Ist es so, wie du sagst?«

Es ist so, lieber Vater. – Durfte er verrathen, daß Philippine ihn bestellt hatte?

»Nun, so wirst du einsehen, mein Sohn, daß du des Rittmeisters Schwelle nie wieder betreten darfst. Ich begreife, was dich in diesen Tagen nach der Gegend, und zu des Rittmeisters Tochter hin ziehen konnte! . . . Die Schamröthe auf deinen Wangen zeigt, daß du eine pöbelhafte Beleidigung fühlst; aber sich ihr zum zweiten Male aussetzen, hieße, jede, auch die allerniedrigste, verdienen. Ich hoffe; du wirst fühlen, was du dir und deinen Eltern schuldig bist! . . . An dem Tage!« setzte er nach einer Pause hinzu. »Der rohe Unmensch! Gerade an dem Tage, an welchem auch das wildeste Gemüth auf vier und zwanzig Stunden Frieden macht! – Mein Sohn, wir haben zum letzten Mal von dem Rittmeister mit einander gesprochen!«

Erhard kannte seinen Vater: wenn er so mit ernster Würde sprach, waren seine Entschlüsse unerschütterlich. Er fühlte mit glühender Schamröthe, wie sehr er beleidigt war; doch gern hätte er den Rittmeister entschuldigt, und offenherzig gestanden: der Vater fand mich in den Armen, an den Lippen seiner Tochter. Aber – konnte er die Heilige Preis geben? –

Sonnensteins wissen es! sagte die Tante hämisch; und der kluge Herr hat sich einmal recht tüchtig geärgert!

»Schlimm, wenn sie es wissen!« erwiederte der Rittmeister finster. »Ich wollte, alle diese Klätschereien holte der Teufel, und Ihr Kammerkätzchen dazu! . . . Sonnenstein weiß es! Aber wie weiß er es? Ich hätte es ihm sagen sollen, ich; und er würde mir geantwortet haben: Sie thaten Recht. Er ist selbst Vater; ich weiß, was er denken muß, wenn er nicht alles weiß. Gott richte zwischen mir und ihm! Ich hasse ihn nicht; er aber, fürchte ich, haßt mich!« –

Es verkannten einander jetzt mehr Herzen in Grundleben. Philippine sogar fragte, als ihr Vater das Zimmer verlassen hatte, erst sich selbst, und dann ihre gute Mutter: »wie! ihn soll ich nicht lieben? Worüber war denn der Vater so böse, daß er Erharden schlug? Ja, Mutter, er schlug ihn, und so stark!« – Der Eifer, mit dem sie erzählte, röthete ihre Wangen. – »Die Tante Isabelle, sagst du, hat meinen Vater mit Sonnensteins entzweiet. Nun, schon den Vater zu schlagen, wäre nicht gut, nicht recht gewesen; aber was that denn der Sohn?«

Die Ungerechtigkeit ihres Vaters hatte Philippinens Herz empört; und es kostete der Mutter Mühe, den Sturm in der sonst so friedlichen Brust zu beruhigen. »Ich soll ihn nicht lieben,« fing sie nach einer Pause wieder an, »Noch Niemanden habe ich gehaßt, Niemanden. Ich liebe alle Menschen; nur gegen die Tante, liebe Mutter, bin ich wohl bisweilen kalt gewesen. Und ihn sollte ich nicht lieben, ihn? Ach, wie es zugeht, weiß ich nicht – ihn liebe ich mehr, als jeden andren Menschen. Wie sollte ich es auch nur anfangen, ihn nicht zu lieben! Ich werde an ihn denken, liebe Mutter, werde von ihm träumen, werde seine Stimme hören, und sein Auge voll Thränen sehen! Immer klingen die letzten Worte, die er mir- sagte: »ewig werde ich dich lieben,« – immer klingen sie mir – nicht in den Ohren, nein in meiner Brust; und sie werden ewig darin klingen!«

So hatte die Mutter Philippinen noch nie gesehen! Sie konnte ihr unmöglich sagen, was ihr Vater unter Liebe verstand; und doch war ihr seine Hitze auf keine andre Weise zu erklären. – Man redet gewöhnlich schlecht, wenn man nicht aus dem Herzen redet; und so ging es jetzt auch der armen Auguste. Sie hielt einen langen Vortrag, auf den aber Philippine am Ende erwiederte: »ich habe dich gar nicht verstanden.«

Du wirst mich bald verstehen lernen! sagte endlich die Mutter ungeduldig; und leider lernte Philippine das früher, als die Mutter es wünschte.

Die Confirmation war der Zeitpunkt, nach welchem Philippine, wie der Vater der Tante, und auch andren Leuten, gesagt hatte, in die Welt treten sollte. Die Tante verstand hierunter etwas ganz Andres, als Auguste; und der Rittmeister ließ Beide in ihrem Glauben, ohne sich näher zu erklären. Am Tage nach Pfingsten sollte Philippine in die Hände der Tante fallen. Der Rittmeister hatte wohl hundertmal gesagt: »das soll sie nicht!« Auguste glaubte aber, daß die Tante ein für allemal des Mädchens äußere Cultur bestimmen müßte. Sie war überzeugt, daß Philippine einen unversöhnlichen Haß gegen alle Putzsucht und Eitelkeit bekommen würde, wenn man sie gleich Anfangs recht damit quälte; und daß die Tante das thun würde, war vorauszusehen.

So wie Philippine heute die Augen aufschlug (sie hatte länger geschlafen, als die Mutter) waren ihre ersten Worte wieder: »ich soll ihn nicht lieben; und ich habe die ganze Nacht von ihm geträumt!« Die Mutter hatte nasse Augen; denn sie dachte schon im Aufstehen an die Noth, die ihre Philippine wenigstens einige Tage haben würde. Denke an die Tante! sagte sie. Wenn sie aufgestanden ist, um zehn Uhr, will sie deine Toilette einrichten! – Philippine ging in den Garten, horchte auf den Schlag der Nachtigall, und träumte sich den Morgen des ersten Pfingsttages zurück. Sie wurde dabei immer heiterer; denn es war ihr lieb, daß sie jetzt mehr in die Welt kommen sollte, weil sie dadurch Hoffnung hatte, ihren Erhard einmal wiederzusehen.

Endlich wurde sie von Isabellens Jungfer abgeholt. »In zehn Minuten,« sagte sie zu ihrer Mutter, »bin ich wieder hier;« und nun lief sie die Alleen so schnell hinunter, daß die Jungfer ihr kaum folgen konnte. Man führte sie in das Zimmer der Tante, wo auf den Toiletten Büchsen, Salben, wohlriechende Wasser, Puder und Haartouren lagen, und wo der Bediente schon zum Frisiren bereit stand. Philippine sagte, rings umher blickend: »welch eine Menge Sachen!« – Liebes Kind, was kann man hier auf dem Lande haben! Man dankt Gott, wenn man nur das allernothwendigste zusammenbringt.

Die Tante verlangte nun, sie sollte sich ausziehen, und die Jungfer machte Anstalt, ihr zu helfen. Philippine erröthete, und sah bald die Tante, bald den Bedienten an, der nicht von der Stelle wich. Als die Jungfer ihr das Tuch abnehmen wollte, sagte sie endlich, mit dem Purpur des Zorns auf der Wange: »ich werde mich doch nicht in Gegenwart andrer Menschen entkleiden sollen?« – Pfui, ma niece! Die erste Regel in der Welt heißt: point de pruderie! Julius ist Friseur in der Residenz gewesen; dem ist das nichts Neues. – Der Bediente machte eine Grimasse, als ob er heimlich kicherte. »Ich thue es nicht!« sagte Philippine; und sogleich ging sie in das Schlafzimmer der Tante. Sie kam sittsam in den Pudermantel gehüllt zurück, und setzte sich. Als Julius an sie heran trat, sprang sie wieder auf; doch sie mußte sich ergeben. Man brannte die schönen Haare, man schnitt die langen goldnen Locken weg, man raufte, man zerrte sie, daß ihr Thränen in die Augen traten. Als sie endlich fertig war, sagte die Tante, ihr einen Spiegel bringend: nun sollst du sehen, was aus dir geworden ist! Philippine fuhr erschrocken von dem Spiegel zurück, und weinte vor Betrübniß. »O Gott! wie sehe ich aus!«

Ah, l'innocente! sagte die Tante lachend. Wie eine Dame, ma niece. Julius! Hannchen! redet; schmeichelt nicht! Ist sie nicht zum Verlieben? O, wenn du erst die airs der großen Welt hast, mein Kind; wenn du erst weißt, wie du stehen mußt, wie du die Schultern . . . Es ist unverantwortlich, daß dein Vater funfzehn Jahre lang gar nichts für deine Bildung gethan hat! Warte nur, Pinchen! Wenn du erst diese heilige Sainte-n'y—touche-Miene abgelegt hast, die für eine Pastorfrau recht hübsch wäre; wenn deine frommen Augen –auch die muß man haben, mein Kind! – erst schelmisch lächeln, erst so recht anlockend, verliebt, zärtlich blicken können – in deinem Alter hatte ich ein Paar Augen, ich wäre zur Noth ohne Zunge fertig geworden: so sprachen sie! – dann, Pinchen, werden sich die Herzen aller Männer dir zu Füßen legen. Redet, Julius! Hannchen!

Wahrhaftig, Ew. Gnaden, die Herzen aller Männer! erwiederten Beide.

Philippine begriff von dem allen kein Wort, und fand es nur sehr langweilig. Nun, Julius, hob die Tante wieder an, frisir' Er mich. Hannchen, zieh du das Fräulein unterdessen an. Da ist eine neue Schnürbrust. In deiner sieht man ja kaum den Hals. Hier tritt vor mich hin, daß ich sehen kann, wo es fehlt. Das Puderhemde herunter! – Sie predigte tauben Ohren; Philippine blieb stehen, bis Julius hinaus war.

Nun mußte sie sich schnüren lassen. Sie glaubte, ihre Wangen würden vor Gluth aufspringen, als die Tante und Hannchen allerlei über ihre Gestalt sagten, was sie für höchst sittenlos hielt. In dem Augenblick klingelte die Tante, und Julius trat rasch in das Zimmer. Philippine drängte sich in Hannchens Arme, und verbarg sich an ihr; zugleich sagte sie aber mit fester, entschlossener Stimme: »Tante, ich habe ihr Zimmer zum letzten Male betreten! Geh Er, unverschämter Mensch, oder ich werde es meinem Vater sagen!« Julius erschrak, und ging. Als er fort war, zog Philippine sogleich das Puderhemde wieder an, und erklärte fest: sie würde es nicht eher wieder ablegen, als bis ihre Mutter da wäre.

Alles Bitten, alles Drohen der Tante half nicht; Philippine blieb unbeweglich, und man mußte die Erzieherin kommen lassen. So wie diese nur die Thür aufmachte, eilte ihr Philippine mit ausgebreiteten Armen entgegen, und sagte: »ach, wie unglücklich bin ich, meine gütige Mutter!«

Unglücklich, Fräulein? fragte Auguste.

Was ist Ihnen begegnet? Sie sind ja erschrocken!

Philippine sah sie starr an, sank vor ihr nieder, umfaßte ihre Kniee, und sagte in jammernden Tönen: »hier bleibe ich liegen, bis du mich wieder du, und meine Tochter nennst.«

Ame ignoble! indigne! rief die Tante, sich wegwendend, mit Abscheu. Dein Vater will es, du albernes Geschöpf! Sie soll dich Fräulein nennen, und Sie.

»Hier bleibe ich liegen,« jammerte Philippine aufs neue, »bis du mich wieder du, und meine Tochter nennst!«

Komm an das Herz deiner Mutter, meine Tochter! sagte Auguste nun, von Philippinens Schmerze überwältigt.

Wollen Sie ihr wohl befehlen, grinsete die Tante höhnisch, daß sie sich anziehen läßt?

Philippine warf den Mantel ab, und ließ sich ankleiden. Doch nun erhob sich ein neuer Streit: sie sollte mit bloßer Brust gehen, und weigerte sich entschlossen. Befehlen Sie ihr, zu gehorchen! sagte die Tante.

Wenn sie nicht will, so wird der Vater entscheiden müssen.

Er hat mir völlig freie Gewalt gelassen!

»Da ist er! o, da ist mein lieber Vater!« rief Philippine dem Rittmeister, der so eben herein trat, entgegen.

»Was giebt es denn?« fragte er mit gerunzelter Stirn. »Tante, ich will Ruhe, Liebe, und Frieden mit meinem Kinde. Zum Teufel! ich habe vor ein Paar Tagen bei der Sonnenuhr Betrachtungen angestellt, die ich nicht oft anstellen darf. Mit meinem Bruder und mit meinem Schwager lebe ich in Unfrieden; das Herz meiner Tochter will ich behalten, und sollte auch in ihrem ganzen Leben kein Stäubchen Puder auf ihren Kopf kommen!«

Gott sey Dank! rief Philippine, und riß die falschen Locken, das Küssen, die Haarnadeln, und die Bänder vom Kopfe. Sie nahm ihr weißes Kleid auf den Arm, eilte triumphirend die Treppe hinunter durch den Garten, und war nach einer halben Stunde wieder wie sonst gekleidet. Die Tante schrie, pelferte, und sprach halb Französisch, halb Deutsch. Der Rittmeister sprudelte ihr eine Menge Flüche zu, und sie sang endlich mit gellender Stimme:

Hier durch Spott und Hohn,
Dort die Ehrenkron!

Doch der Rittmeister, den sonst jeder Gesang zum Schweigen brachte, fluchte immer lauter, sprach von falschen Zähnen, von grauen Haaren; und nun verlor die Tante alle Besinnung: sie gerieth in den schrecklichsten Zorn, der sich zuletzt mit Krämpfen endigte. Bei diesem Anblicke fiel dem Rittmeister der Muth, und er sagte sanfter: »hol's der Teufel! Ich bin hitzig, das wissen Sie. Nehmen Sie lieber etwas rothes Pulver.«

Philippine sang unterdessen mit den Nachtigallen und Finken um die Wette, bis die Mutter kam, und ihr begreiflich machte, daß die Tante nicht so ganz Unrecht hatte. Man ließ sich nun auf Traktaten ein: Philippinens Jungfer sollte das Frisiren lernen, und sonst Niemand sie bedienen. Noch bedang sich Philippine ein Halstuch aus, so undurchsichtig und so groß sie nur immer wollte. Die Tante mußte nachgeben; sie schwor aber, sich an dem einfältigen, naseweisen Mädchen zu rächen, und übrigens bei der ersten Gelegenheit die Traktaten als null und nichtig zu kassiren.

Nun wurde ein Tanzmeister berufen. Die Tante zeigte ihm Stellungen, und hatte immer gegen ihn und Philippinen etwas einzuwenden; doch diese lernte in Kurzem vortrefflich tanzen. Es wurde eine Französische Mamsell aus Lausanne verschrieben, dann eine zweite aus Genf, und eine dritte aus Montbeillard. Die Tante zankte binnen einem Jahre eine nach der andern zum Hause hinaus; und während dessen hatte Philippine das Französische sehr gut sprechen und schreiben gelernt. Nun sollte sie der Tante Romane vorlesen, oder sich von ihr vorlesen lassen. Sie warf bei der ersten Verletzung der Sittlichkeit, die ihr vorkam, das Buch unwillig hin. Die Tante rief: Petite impertinente! continuez! ce moment même!

Philippine stand auf, und sagte stolz: »ich bin zu gut, um dieses verächtliche Zeug lesen zu können.«

Heuchlerin! rief die Tante mit glühenden Augen. Du zu gut? Wer nur nicht wüßte, was an dem Tage deiner ersten Communion vorgefallen ist!

Jetzt war Philippinens innerstes Heiligthum mit frecher Hand angetastet. Ihr Gesicht flammte dunkelroth; sie stand so stolz da, wie eine Kaiserin, warf einen Blick der tiefsten Verachtung auf die Tante, wendete sich langsam um, und sagte im Gehen: »ich verachte Sie, wie sonst keinen Menschen.« Und das in Hannchens Gegenwart! Die Tante zerfloß zum ersten Mal in heißen Thränen, mehr des Schmerzes, als des Zorns. Sie ließ den Rittmeister rufen. Er sah in ihren Augen sanftere Thränen, als er an ihr gewohnt war, und wurde mitleidig. Sie erzählte ihm nun den Vorfall, und er gerieth wirklich in Zorn über Philippinen. Er konnte indeß der Tante doch nicht so recht trauen, und ließ sich daher die Stelle zeigen, welche Philippine nicht hatte lesen wollen. »Aber, zum Teufel!« hob er nun an – »Gott segne das Kind dafür! Tante, verstehen Sie denn nicht, was das hier heißt?«

Den Reinen ist alles rein! antwortete sie schluchzend.

»Nein, das . . .? Ich bin Soldat gewesen, Tante, und im Lager geht es nun eben nicht so zu, daß Gott mit Wohlgefallen darauf herunter sehen könnte; aber das ist nicht einmal mir rein genug. Nun, wie ging es denn weiter? Sie warf das Buch hin? Da that sie recht. Aber weiter! Sie haben etwas ausgelassen.«

Die Tante erzählte, um sich zu rächen, was Philippine gesagt hatte; und der Rittmeister erwiederte: »verächtlicher kenne ich doch wahrhaftig nichts in der Welt, als Sie!« Mit diesen Worten schlug er die Thüre hinter sich zu. –

Philippine zerfloß unterdessen in heißen Thränen, weil die Tante sie allzu schmerzlich gekränkt hatte; und kein Zureden, kein Befehl konnte sie bewegen, sich mit dieser zu versöhnen.

»Ich möchte toll werden!« sagte der Rittmeister endlich. »Seit acht Tagen donnern von zehn Uhr Morgens an, die Thüren im Hause, daß mir die Ohren weh thun. Mein Haus ist ja die leibhaftige Hölle.«

Warum treiben Ew. Gnaden den Teufel nicht aus? sagte der alte, treue Bediente.

»Ich weiß, was du meinst; aber . . . sie ist meine Mutter gewesen, als ich hülflos war und kaum das liebe Brot hatte.«

Das mag seyn. Ich, in Ihrer Stelle, gäbe ihr reichlich; aber zehn gute Meilen weit von hier, oder zwanzig: je weiter, desto besser!

Der Rittmeister sprang auf, und lief zu der Tante, die so eben die Thür ihres Vorzimmers zuschlug, einen Stuhl umwarf und ihrem Mädchen eine Maulschelle gab. Er faßte ihre Hand sehr unsanft. »Wo wollen Sie künftig wohnen, Fräulein? in Gotha, in Weimar, in Erfurt, in Dresden? Alles einerlei! Noth sollen Sie nicht leiden; aber fort müssen Sie!«

Sie sah in seinem Gesichte nicht Zorn, sondern nur Ernst und Kälte, die ihr fürchterlicher waren, als jener. Ach! sagte sie, die Hände ringend: meine Seele ist voll Jammers, mein Leben ist nahe bei der Hölle!

»Nahe dabei? Mitten darin, Fräulein! und ich dazu, und ganz Grundleben! Das muß ein Ende nehmen. Wo wollen Sie wohnen?«

Meine Freunde hast du fern von mir gethan, du hast mich ihnen zum Gräuel gemacht.

»O, möge Gott nicht hören, was Sie da sagen! Er hat das nicht gethan; Sie selbst, Fräulein Jesabell. Aber, wenn Sie auch den ganzen Psalter hersagten, und den 119en Psalm zehnmal, so müßten Sie doch fort! Ich will hier auf der Erde nicht mehr die Hölle haben.«

Meine Gestalt ist jämmerlich vor Elend . . .

»Das ist sie; aber nicht vor Elend, sondern vor Alter, und vor grundbösen Leidenschaften, als da sind Neid, Hochmuth, Zorn, Klatschsucht, und so weiter.«

Ich schreie zu dir, Herr, daß du vergelbest meinen Feinden auf ihren Kopf.

»Was? Himmel-Element! Was? auch das noch? Sie rufen Gottes Gerichte über uns? Ist es noch nicht genug, daß ich mich seit sechzehn langen Jahren habe von Ihnen martern lassen? Denn Sie, Fräulein Jesabell, Sie, nicht Gott – ich weiß den 88sten Psalm auch – Sie machen, daß meine Freunde und Nächsten, und meine Verwandten sich fern von mir thun um solches Elendes willen! . . . Gottfried!« rief er jetzt donnernd in den Hof; »spann den großen Wagen an! Den Augenblick!«

Nun sah sie, daß es Ernst war. Sie faßte mit krampfhaftem Schmerz auf ihre Brust, schwankte, hielt sich zitternd an einem Stuhle, griff nach seiner Hand, und sagte leise: auf den Sofa! (Er brachte sie hin.) Den Leichenwagen lassen Sie anspannen! – – O, der Sohn meiner lieben Schwester! Wenn ich erst Staub und Asche bin, dann wird ja Friede hier werden!

Der Rittmeister machte, ob er gleich das wahrste Mitleiden fühlte, von Zeit zu Zeit die heftigsten Bewegungen des Zorns; er ärgerte sich über sein Mitleiden, und fluchte über seine Härte. Die Tante erhielt indeß nur einen zweifelhaften Sieg über ihn. Er bestellte zwar den Wagen wieder ab; doch sagte er ihr, sobald sie sich wieder erholt hatte, mit kaltem Ernst: »Fräulein, schlägt wieder eine Thür, oder heult Hannchen, oder Julius über Maulschellen, kurz, hör' ich wieder solchen Lärm aus Ihrem Zimmer her, so lasse ich anspannen, und sollte der Wagen darüber zum Leichenwagen werden! Da haben Sie meine Meinung kurz und deutlich!«

Es blieb vier Wochen ruhig, und Philippine war wie im Himmel; denn die Tante sah sie nicht mehr an, und sprach kein Wort mit ihr.

Gleich an dem Tage nach Pfingsten hatte Auguste eingesehen, daß sie mit Philippinen über gewisse Dinge reden müßte, wenn anders nicht die Tante es auf ihre Art thun sollte. Sie sprach daher mit dem geliebten Kinde unter vier Augen über ihr künftiges Leben in der Welt, über die Gefahren der Verführung, über die Heftigkeit der sinnlichen Triebe, und über die Sittenlosigkeit der meisten Männer, besonders in den höheren Ständen.

Philippine hatte hundert Fragen zu thun, und die Mutter gerieth darüber in große Verlegenheit, da sie selbst nicht wußte, wie weit sie in ihrer Vertraulichkeit gehen dürfe, oder nicht. Doch endlich nahm sie Philippinen in ihre Arme, und sagte mit Thränen: dein Herz war unschuldig bis diesen Augenblick, und deine Phantasie ganz rein. Du wirst lieben; aber auch deine Liebe müsse rein seyn, wie eine Lilie, und fromm wie ein Gebet!

Das Wort: Lilie, erinnerte Philippinen sehr lebhaft an Erhard, an den sie schon vorher bei dem Worte: Liebe, immer gedacht hatte. »So glaubte mein Vater wohl,« fragte sie, »ich liebte Erharden mit der – irdischen Liebe?«

Ohne Zweifel glaubte er das; und weil du selbst darauf kommst, mein Kind, so prüfe dich doch, ob deine Liebe zu dem jungen Sonnenstein nicht ein wenig Irdisches an sich hatte.

Philippine legte versichernd die Hand auf ihr Herz, das so ruhig, so schuldlos in ihrem Busen schlug: »Nein, liebe Mutter. Es war Anfangs nichts als Freude über das Wiedersehen meines Gespielen, und dann eine fromme, gewiß sehr fromme und süße Begeisterung, worein mich die Rede des Herrn Predigers gesetzt hatte. Sieh, Mutter, wir Beide standen vor ihm. Erhard hatte seine Hand in die meinige gelegt. Der gute alte Prediger machte mich zum Zeugen, zum Bürgen bei Erhards Versprechen, treu zu seyn bis an's Ende in der Tugend. Das war es, nur das. – Ich merke jetzt wohl, daß ich gefehlt habe.« Sie erröthete, und verbarg das glühende Gesicht an dem Busen der tröstenden Mutter. »Jetzt erröthe ich; damals nicht. Glaube mir, ich legte meine Wange an seine Lippen, wie ich sie jetzt an deinen Busen lege. Meine Liebe zu ihm war nichts anders, als meine Liebe zu dir.«

Ich glaube das, mein Kind, ich weiß es. Aber von heute an wird deine Liebe zu ihm, vermuthe ich fast, etwas anderes seyn.

»Ach, liebe Mutter, ich möchte dir so gern widersprechen! Aber warum wäre ich denn roth geworden, wenn sie nichts anderes wäre! Warum pocht denn mein Herz so laut, wenn ich an ihn denke! Ist es denn etwas Unheiliges, an ihn zu denken, daß ich so erröthe, und daß mein Herz so ängstlich pocht?«

Du machst mich unruhig, Kind; ich weiß nicht, was ich dir antworten soll. Etwas Unheiliges ist es nicht; aber wie leicht, ach! wie leicht, kann es unheilig werden! Dein Vater würde nie in eine Verbindung zwischen dir und Erhard willigen, auch wenn Ihr schon erwachsen wäret. – Doch, mein Kind, jetzt hast du andre Pflichten; du mußt dich auf dein Leben in der Welt vorbereiten. Liebe wird erst dann deine Pflicht, wenn dein Vater deine Hand einem Manne bestimmt.

Philippine ließ den Kopf sinken, und es drangen ein Paar Thränen unter ihren Augenliedern hervor. »Ach,« sagte sie nach langem Besinnen: »man kann in der Welt wohl sehr unglücklich werden, liebe Mutter: nicht wahr?«

Unglück ist vergänglich, wie das Glück; die Tugend allein ist ewig, und läßt das Herz nie ganz in Unglück versinken.

»O, das fühle ich schon jetzt, da ich mir denke, wie glücklich und wie unglücklich man seyn kann! . . . Mir ist doch ein wenig ängstlich!«

Du fühlest jetzt, vielleicht zu stark, zu lebhaft, in welchen Widerstreit die jungfräuliche Sittsamkeit mit dem Herzen gerathen kann: nicht wahr?

»Das wohl auch. Aber – ich war so glücklich in meiner Unwissenheit. Und jetzt? Was mag wohl Erhard von mir denken! und was mein Vater!«

Da spricht die Jungfrau aus dir, die holde Scham unsres Geschlechtes, der lieblichste Reitz der Schönheit. Fühle immer so, mein Kind; und dein Herz wird nicht unglücklich werden! –

Von jetzt an verstand Philippine die Anspielungen der Tante, und verachtete sie immer stärker. Die jungfräuliche Scham keimte in dem zarten Herzen hervor, und machte es noch reiner, noch heiliger. Sie dachte – Anfangs mit Unruhe – oft an Erhard; aber sie wünschte nicht, ihn wiederzusehen, weil sie sich nie ohne Erröthen an die Scene vor der Gartenthür erinnern konnte. Er ging zuweilen vorüber, wenn sie am Fenster stand, und grüßte sie; dann verneigte sie sich freundlich, doch mit stiller Ruhe, und niemals sah sie ihm nach, obgleich ihr Herz bei seinem Anblick pochte. »Ich liebe ihn nicht,« sagte sie zu sich selbst; »aber ich fühle, daß ich ihn recht herzlich lieben würde, wenn die Vorsehung mich dazu bestimmt hätte, sein Leben glücklich zu machen.« Sie redete jetzt nur selten von ihm mit ihrer Mutter, und freuete sich, daß ihre Empfindungen für ihn an Stärke verloren, daß er ihr Herz nicht mehr in die vorige Bewegung brachte. Der Vorwurf ihrer Tante, mit dem sie doch nur den Auftritt an der Gartenthüre gemeint haben konnte, schmerzte sie tief. Sie sah nun, wie äußerst vorsichtig ein Mädchen seyn muß, den Ruf ihrer Unschuld zu behüten.

Der arme Erhard wurde das Opfer ihres kindlichen Zutrauens. So stark auch die Eindrücke gewesen waren, die ihre liebliche Schönheit und ihre Unschuld – in Verbindung mit den höchsten Gefühlen der Religiosität – auf sein Herz gemacht hatten; so würden sie dennoch durch die Zeit und durch den leichten Sinn seines Alters wieder erloschen seyn, wenn nicht alles, was ihn umgab, diese Eindrücke immer noch verstärkt hätte. – »Welch ein himmlisches Mädchen ist des Rittmeisters Tochter!« sagte jeder, der zu Sonnensteins kam, und bei dem Rittmeister gewesen war. »Welch ein Engel! welch ein segnender Engel!« sagten alle Domestiken. – »Ich will des Teufels seyn, Herr Baron,« sagte der Tanzmeister ganz entzückt zu Sonnenstein, »wenn Fräulein Bärburg nicht die schönste der drei Grazien ist, Fräulein Minetten abgerechnet.« So sprach jeder; und das Schlimmste war, daß Erhard zu dem allen schweigen mußte.

Endlich traf Sonnenstein, der Vater, einmal mit Philippinen bei dem Prediger zusammen, und sie blieb beinahe eine ganze Stunde. Als er zurückkam, sagte er mit leuchtenden Augen: »ja, liebe Sophie, das Gerücht sagt noch bei weitem nicht genug von Bärburgs Tochter. Du weißt, wie wenig ich es leiden mag, wenn man ein Mädchen einen Engel nennt; hier aber muß ich das Wort selbst brauchen, weil es das einzige ist, das paßt. Du hast nie ein so ätherisches Gesicht gesehen, nie schönere Augen. Aber das alles ist nichts. Vergleiche ich, so haben tausend Mädchen solche Augen; doch der Engel hinter den Augen fehlt. Wenn sie spricht, – man weiß nicht, woher die sanfte Musik kommt. Was sie sagte, könnte auch jede Andre sagen; doch man möchte schwören, es müsse noch ein geheimer Sinn in ihren Worten liegen.«

Aber wie betrug sie sich denn gegen dich?

»Nun, ich habe ja schon gesagt: wie ein Engel. Man glaubt immer, in diesem Augenblick wird sie ein himmlischer Glanz umstrahlen. Ich habe nun gefühlt, gesehen, liebe Sophie, daß es eine Schönheit der Seele giebt, eine stille Reinheit, die jedes Talent, jeden Schmuck, jede Kunst entbehren kann. Philippine ist freilich in der Einsamkeit erzogen; aber doch begreife ich nicht, wie sie in der Nähe ihrer Tante, dieses abscheulichen Weibes, und unter den rohen Fäusten ihres Vaters das hat werden können!«

Sonnenstein sprach jetzt bei jeder Veranlassung von Philippinen. Erhard, der es hörte, ging still aus dem Hause, und hielt sich so lange in der Nähe von des Rittmeisters Garten auf, bis er den Engel einmal von weitem sah. Nun hatte er zwar ihre schlanke, zarte Gestalt gesehen, aber nicht ihren Fuß, ihren Gang. Er kam wieder, und sah auch den, doch nicht ihren Arm, nicht ihre Augen und ihr Lächeln. So drückte er den Pfeil der Liebe immer tiefer in seine Seele. Einige Mal stand er im Begriff, den Prediger zu besuchen, weil er wußte, daß Philippine bei ihm war; doch er hatte eine heilige Scheu vor diesem Mädchen, und wagte es jetzt nicht, hinein zu gehen. Indeß, da er oft zu dem Prediger ging, so fand ihn Philippine dort einmal. Ah! sagte das würdige alte Ehepaar, als sie mit ihrer Mutter hereintrat. Erhard erröthete, und fühlte sich so blöde, wie noch nie in seinem Leben. Sie grüßte ihn mit einnehmender, doch sittsamer Freundlichkeit, und redete ihn an. Der Prediger erinnerte Beide an ihre Confirmation. Erhard schwamm in einem Meere von Entzücken, und Philippinens Auge funkelte; das war aber auch alles. Er ging, trunken von Liebe, von Entzücken, nach Hause; doch zugleich empfand er ein sehr schmerzliches Gefühl: sie hatte ja mit ihm, dem Freunde, dem Geliebten ihrer Kindheit, nur so wenige Worte gesprochen!

Er machte Versuche, eine Versöhnung der beiden Familien zu bewirken; doch vergebens. Sein Vater durfte sogar nicht einmal merken, daß er das Haus eines Mannes zu betreten wünschte, der ihn so unverzeihlich beleidigt hatte. Nicht lange, so fing er an, in eine finstre Schwermuth zu versinken. Der Vater glaubte, ihn drücke das Gefühl der Abhängigkeit; daher verschaffte er ihm eine Officierstelle bei einem Cavallerieregimente. Erhard hatte nicht den Muth, etwas dagegen einzuwenden. Als der Tag seiner Abreise heran nahete, wünschte er, Philippinen noch einmal zu sprechen; doch er wagte es nicht, zu ihr zu gehen. Beim Abschiede umarmte er in stiller Traurigkeit seine Schwester, und sagte ihr: »ich bitte dich dringend, schreib mir jeden Posttag; jeden, wenn auch nur eine einzige Zeile!« Er war dabei so seltsam heftig, daß seine Schwester ihn fragte: aber was hast du, Erhard?

»Ach!« seufzte er; »ich muß weg, und du weißt nichts! Aber wenn du mich liebst, so erfülle meine letzte Bitte!« –

Philippine hätte ihn gern noch einmal gesehen; sie dachte mit herzlicher Freundschaft an den Jüngling, den sie nie gänzlich vergessen konnte, und der nun in die Welt voll Gefahren treten sollte. Doch sie mußte ihren Wunsch verschweigen. Als er in seiner Uniform wegritt, stand sie am Fenster, sah ihm nach, so weit sie konnte, und zerdrückte eine Thräne in ihren Augen.

Beide waren nun gänzlich getrennt; doch in Philippinens Herzen blieb ein zartes Andenken an ihn, wie eine dunkle Erinnerung aus einer andern Welt, oder wie das Gefühl bei den Tönen einer alten Melodie, bei dem Anblick eines Gesichtes, das man in der Kindheit gern gesehen hat.

Erhard liebte Philippinen mit dem jugendlichen Feuer eines tugendhaften, edlen Herzens. Sie war der Stern, der ihn leitete, der Schutzgeist, der ihm bei jedem, auch dem kleinsten, Schritte aus der Bahn der Tugend ernst entgegentrat. Nach drei Jahren, gerade am Tage seiner Abreise von Grundleben, sagte er, in banger Schwermuth: »ich habe dir Wort gehalten; ich bin noch rein und gut. Aber – hast auch du Wort gehalten? Du wolltest mich ewig lieben! Ach, könnte ich dich nur Einmal, nur in einem Traume, in einer Ahnung, an dieses Versprechen erinnern! Hast du dein Wort gebrochen, Philippine – du sollst keinen Vorwurf von mir hören; aber dann weine eine reuige Thräne auf meine Asche!« –

Der Rittmeister fühlte sich während dieser ganzen Zeit nichts weniger als glücklich. Die Feindschaft mit seinem Bruder war freilich nicht erklärt, aber dennoch bestand sie, und lag drückend auf seinem Herzen. Die Tante, die sich sonst, um wieder neue Händel erregen zu können, mit ihren Feinden leicht versöhnte, machte doch mit dem Präsidenten eine Ausnahme, und wendete ganz andre Künste an, den Rittmeister zu überzeugen, daß jener seine Feindschaft verdiene. Sie brachte Briefe zum Vorschein, und zwar unverdächtige, von des Präsidenten eigner Hand; und sobald der Rittmeister einmal auf den Gedanken an seinen Bruder gerieth, war sie in der größten Thätigkeit, ihn wieder davon abzubringen.

Aber, sagte Auguste, ich würde, wenn ich in Ihrer Stelle wäre, den Knoten zerhauen. Er ist doch Ihr Bruder; und Sie lieben ihn!

»Freilich! Gott weiß, daß ich ihm viel verzeihen wollte. Aber still, Frauchen! ganz still! Hier ist die Tante einmal im Hellen und aufrichtig; ich habe Schwarz auf Weiß gesehen. Meinen Sie denn, ich würde mich durch Ohrenbläsereien gegen meinen Bruder einnehmen lassen? Nein, hier ist eine ganz besondre Geschichte, die ich mit in mein Grab nehmen will.«

Gerade an einem Tage, an welchem er den Gedanken, daß er mit seinem Bruder in Unfrieden lebte, sehr drückend fühlte, hatte er ganz unvermuthet eine große Freude. Die Thür seines Zimmers flog aus. Es kam ein Mann in einem schlichten blauen Rocke, der auf der Schwelle stehen blieb, und ihm zurief: Gerathen! wer bin ich?

»Rohr! lieber Rohr!« rief der Rittmeister.

Getroffen, Bruder Bärburg; getroffen! Hast du eine Jagd? hast du einen guten Keller, eine gute Küche?

»Für dich habe ich alles. Komm an mein Herz, du Retter meines Lebens! Gott sey Dank, daß ich dich noch wiedersehe!«

Nu, nu! was für Worte! Und die Damen, Bärburg?

»Meine Tochter, und ihre Erzieherin, ihre zweite Mutter. Philippine, daß ich lebe, und daß du in der Welt bist, hast du diesem Ehrenmanne zu verdanken. In einer Vorposten-Affaire hatten mich die Kaiserlichen Weißröcke schon unter; da kam dieser brave Mann, mein Kamerad, und, was die Sache noch größer macht, der nächste nach mir im Dienst. Er schlug um sich wie ein Löwe, half mir auf, und ich war gerettet.«

Bruder, das hätte ich für jeden Burschen in der Eskadron gethan. Possen! wofür wären wir denn in der Welt?

»Aber, Rohr, wo hast du denn gesteckt? Es hieß ja, du wärest todt! Wo bist du denn gewesen?«

In Ungarn, als Gefangener, von Festung zu Festung geschleppt. Bruder, man kann tolle Dinge in der Welt erleben! In Mantua saß ich zuletzt, vergessen beim Auswechseln der Gefangenen und beim Frieden. Endlich komme ich los, bettele mich in's Vaterland, werde von Herodes zu Pilatus gewiesen, und zuletzt als Postmeister neunzig Meilen weit fortgeschickt. Da hast du meinen Lebenslauf in der Kürze. Endlich haben Se. Majestät von mir gehört, und da bekomme ich durch eine allergnädigste Cabinets-Ordre die Postmeisterstelle in ***, die, in Vertrauen gesagt, schlechter ist, als meine vorige. Nun höre ich den Nahmen Bärburg nennen. Was Teufel! Dragoner-Officier, so und so? Ja. Ich mache mich auf, und da bin ich! . . . Ei, das Fräulein Tochter ist. . . Bruder, ich habe einen Sohn und drei Töchter, brave Kinder!

Der Rittmeister wußte gar nicht, wie er seinem Freunde genug Liebe und Dankbarkeit bezeigen sollte. Beim Abschiede sagte er: »Bruder Rohr, ich muß deine Wirthschaft sehen und deine Kinder kennen lernen, besonders deinen Sohn. Er ist doch, hoffe ich, ein ehrlicher, Deutscher Kerl, der, wie sein Vater, im Stande wäre, sich für jeden Burschen von der Eskadron in den Tod zu stürzen? Und, Bruder, ist denn das ganze menschliche Geschlecht, beim Lichte besehen, nicht Eine Eskadron? Dienen wir nicht Alle Einem Herrn, dem Gott des Himmels und der Erde? tragen wir nicht seine Uniform, die Menschengestalt? Das meine ich!«

Schlag ein, Bruder. Das meine ich auch; bis auf den Kommandanten von Mantua, der mich in seinem feuchten Loche beinahe verschimmeln ließ. Oder gehört auch der zu der Eskadron, so muß er Profoß seyn! . . . Mein Sohn ist ein Bischen nach der heutigen Welt, aber gut und brav.

Der Rittmeister besuchte seinen Freund; lernte dessen Sohn kennen, und war mit ihm zufrieden. – Bei einer Flasche Wein verabredete er nun mit dem Postmeister, daß seine Philippine und dessen Sohn einander heirathen sollten. »Ich habe das Mädchen lieb, wie meinen Augapfel. Wem könnte ich es lieber gönnen, und mein Bischen Hab' und Gut dazu, als dem Sohne des Mannes, ohne dessen Edelmuth es gar nicht auf die Welt gekommen wäre? Aber reinen Mund gehalten! Die jungen Leute müssen einander erst sehen. Wenn sie einander nicht gefallen, so ist es nichts.«

Deine Tochter ist ein Engel, Bärburg. Mein Sohn kann Gott auf den Knieen danken, für eine solche Frau und einen solchen Schwiegervater. Er soll zu dir kommen! –

Der Rittmeister machte zu Hause eine Schilderung von der Familie, bei der er gewesen war; und immer kam er auf den Sohn zurück. Er hielt, gegen seine Gewohnheit, dem jungen Manne lange Lobreden, und zwar in einem solchen Tone, und mit solchen Anspielungen, daß Philippine sowohl als die Uebrigen seine geheime Absicht sehr bald erriethen. Philippine erblaßte.

Lieutenant ist der junge Herr von Rohr? fragte die Tante. Nun, jung wenigstens ist er denn doch; und da wird das Fräulein Nichte, glaube ich, wohl wenig Umstände machen. Aber, mon neveu, wo denken Sie denn hin! Ihre Tochter, eine der reichsten Partieen, einem Lieutenant! Die nähme ja wahrhaftig jeder Kammerherr!

»Ja, das glaube ich! Aber, wenn der Lieutenant Rohr arm wäre, wie eine Kirchenmaus, und sonst gar nichts, als nur ein ehrlicher Kerl; so wäre er mir noch zehnmal lieber: denn, zum Teufel! sein Vater hat mir das Leben gerettet!«

Das war er Ihnen schuldig! Man möchte hier im Hause rasend werden! Ein Lieutenant!

Philippine schwieg, und erblaßte immer stärker. Auf einmal stand vor ihrer Phantasie Erhard, an den sie lange nicht gedacht hatte, in der reinen Schönheit der Tugend und mit blühenden Wangen. Sie faßte die Hand ihrer Mutter, doch mit Zittern. Beide ließen die Tante zanken, so viel sie wollte, gingen auf ihr Zimmer, und saßen da stumm einander gegenüber, weil auch die Mutter sich vor einer Erklärung scheuete.

In wenigen Tagen kam der Lieutenant Rohr, ein junger Mann von fünf und zwanzig Jahren, an dessen Benehmen man leicht sah, daß er hier die Herzen aller Menschen gewinnen wollte. Gegen Philippinen betrug er sich sehr ehrerbietig und zärtlich; mit dem Rittmeister sprach er in einem treuherzigen Tone, der ihm aber nicht natürlich war, und den er darum nicht halten konnte; gegen die Tante, deren Einfluß sein Vater wohl bemerkt hatte, war er sehr kriechend, gegen die Predigerwitwe galant, und selbst gegen die Domestiken im Hause aufmerksam. Doch eben dadurch, daß er Alle gewinnen wollte, verdarb er es mit Allen, außer mit dem Rittmeister, der ihn schon als seinen Schwiegersohn ansah, und ihn deshalb liebte. Die Tante fand ihn einfältig, weil er Philippinen mit so tiefer Ehrfurcht behandelte. Philippine hätte ihn vielleicht wohl leiden mögen; denn welchem jungen Mädchen gefällt am Ende nicht ein junger feiner Mann, der es mit der tiefsten Ehrfurcht, mit der ehrerbietigsten Zärtlichkeit anbetet! – Doch er verdarb es bei ihr durch seine kriechende Geduld gegen die Tante und ihre seltsamen Launen.

»Aber was soll er denn?« sagte der Rittmeister hitzig; »etwa mit dem Knittel drein schlagen? Er ist höflich gegen Jedermann, und das muß ich an ihm loben. Frauchen, Sie sagen zwar nichts; ich sehe aber an Ihrem bedenklichen Gesichte, daß Sie mit Philippinen in Ein Horn blasen. Was wollt Ihr denn? Er ist jung, und nicht häßlich; er hat den Kopf auf dem rechten Flecke, und das Herz auch: wenigstens weiß ich nichts Böses von ihm, und habe mich doch genau nach ihm erkundigt. Und nun steht Ihr da, die Ihr gar nichts wißt, und sagt: er ist höflich! Soll er denn grob seyn? soll er dir etwa sagen: Fräulein, Sie sind eine kleine Närrin? – Zwingen will ich dich nicht, Philippine; aber du mußt dich auch nicht zieren! Sag, ist er ein Trinker? ein Spieler? ein Religionsspötter? vor dem dich Gott bewahre! – ein ausschweifender Mensch? Nein. Ein Verschwender, ein Lügner, ein falscher Teufel? Nein! Nun so sag, was er ist. Höflich. Gut, so hat er die Bibel gelesen, worin mit klaren Worten steht: einer komme dem Andern mit Ehrerbietung zuvor! Er flattirt der Tante? Ei, mein Töchterchen, wenn du ihn schon geliebt hättest, und er wäre zum ersten Mal in's Haus gekommen; ich wette, du hättest ihm gesagt: gehen Sie der Tante ein wenig um den Bart, oder so etwas. Und wenn er das nicht gewollt hätte: was würdest du wohl gesagt haben! Zuletzt, mein Kind, machst du es ihm wohl noch gar zum Verbrechen, daß er dich liebt!«

Philippine antwortete nur mit einem Seufzer. Auguste aber sagte, als sie mit dem Rittmeister allein war: wenn sie nun kein Herz für ihn hat!

»Frauchen, Sie complottiren mit ihr; und das thut mir leid. »Wenn sie kein Herz für ihn hat!« Nun, so ist ihr Herz schon verplämpert; denn sonst muß sie ein Herz für ihn haben, weil das Gottes Gebot und Ordnung ist. Dahinter verstecken die jungen Mädchen ihren Eigensinn oder einen geheimen Liebeshandel, mit dem sie nicht herausrücken wollen, weil sie sich davor schämen müssen. Kein Herz für ihn! Er ist jung, und ein blühender, hübscher Mensch (was ich in Philippinens Gegenwart nicht sagen mochte) und von ihrem Stande: ein Officier, sie eine Officierstochter. Sein Auskommen hat er auch; denn ich werde ihm reichlich geben. Sie muß ein Herz zu ihm haben; er ist der Sohn des Mannes, dem ich mein Leben verdanke. Sie muß ein Herz für ihn haben; oder sie hat auch keins für mich! Worauf wartet sie denn? Ein solches Warten ist entweder Hochmuth, oder Narrheit, oder – Gott behüte in Gnaden! – Liederlichkeit. Er ist ihr nicht vornehm, oder nicht Narr genug, oder sie möchte gern mit ihm spielen, wie die Katze mit der Maus. Habe ich nicht Recht? Nur gerade heraus! Hab' ich Recht oder Unrecht?« –

Auguste erzählte diese Unterredung Philippinen; und auch sie konnte wider den jungen Rohr weiter nichts anführen, als sein kriechendes Benehmen gegen die Tante. Aber wenn er dich nun dadurch gewinnen könnte, sagte Auguste –: wie verzeihlich ist es dann, sogar wie schmeichelhaft für dich! Denn ob es ihm leicht wird, oder nicht, das kannst du ja nicht wissen. – Philippine weinte; sie hatte noch etwas Andres im Hinterhalte, das sie aber nicht nennen durfte: ihren Jugendfreund Erhard. Sie fühlte, daß man ihr antworten würde: du Thörin! liebt er dich denn? hat er dich nicht längst vergessen? hat er dich denn je geliebt? waret ihr damals nicht noch Kinder? Und sind eure Väter nicht erklärte Feinde? – Sie hatte auf das alles Antworten; doch ihr selbst schienen diese nur in gewissen Augenblicken, wenn sie sich in ihre Kindheit zurückdachte, befriedigend. So lebte sie denn in großer Angst vor jedem kommenden Tage, sah sich oft schon mit dem Lieutenant Rohr vor dem Altare, und war in halber Verzweiflung. Doch die Furie des Krieges wurde für sie eine Wohlthäterin, und rettete sie.

Der Lieutenant Rohr mußte zu seinem Regimente abgehen, weil die Armee nach Böhmen marschiren sollte. Er hatte große Lust, die Sache mit Philippinen vorher in Richtigkeit zu bringen; der Rittmeister wollte sich aber darauf nicht einlassen, und versprach ihm nur, daß Philippine bis zur Beendigung des Krieges unverheirathet bleiben sollte. Philippine athmete nun wieder freier; doch die Mutter hielt es für ihre Pflicht, sie darauf vorzubereiten, daß sie dem Lieuetenant Rohr würde ihre Hand geben müssen.

»Ja,« sagte Philippine schmerzlich; »kommt er zurück, und mein Vater denkt noch eben so, wie jetzt: dann will ich mich nicht weigern.« Der Rittmeister hatte, als er das erfuhr, eine sehr frohe Stunde, und er entdeckte es unter der Hand seinem alten treuen Freunde.

Bald nachher, als die Armee in's Feld gerückt war, bekam der Rittmeister einen Brief mit der Nachricht, daß sein Bruder ohne Hoffnung krank läge. Kaum war eine Stunde verflossen, so saß er schon, trotz allen Gegenvorstellungen der Tante, im Wagen, und fuhr, so schnell er nur konnte. –

Der Präsident saß, ganz abgezehrt, ein Bild des Todes, auf dem Sofa. »O, Gott, mein Bruder!« rief der Rittmeister; und der Kranke streckte ihm die Hände entgegen. Beide waren in einer Umarmung versöhnt. Ich sterbe, Bruder. Du hattest etwas gegen mich. Laß es mich wissen!

»Das ist abgethan, Hans, rein vergessen. Ich habe dich wieder!«

Du hast einen Brief gesehen, von mir an das Fräulein Schuchradt; die Tante hat ihn dir gegeben.

»Ja, Bruder Hans. Er ist mir durch die Seele gegangen, durch das Leben; doch ich habe nicht aufgehört dich zu lieben.«

Ich möchte noch einmal Kräfte haben, der Tante zu fluchen; denn sie hat meine Frau ermordet; und mir dein Herz gestohlen.

»Gott sey mir in meiner letzten Stunde nicht gnädig, Bruder, wenn ich dich nicht immer geliebt habe; wenn nicht jetzt alles vergessen ist! Komm Hans, ich will dir das Küssen zurecht legen. Wo ist denn dein Sohn? Am Sterbebette seines Vaters sollte der Sohn nicht fehlen!«

Hier soll er fehlen, Ludwig. O, es ist Glück genug, daß ich dich wieder habe! Mein Sohn ist auf Reisen. Sey du nun sein Vater. Er ist ein sehr edler junger Mensch. Seine Erziehung habe ich vollendet, um seiner Mutter willen, die ich früh, ach, allzu früh! in das Grab stürzte. Ludwig, ich habe für ihren Sohn gelebt. Wenn ich zu ihr in die Ewigkeit komme, kann ich sagen: vergieb mir noch einmal, um deines Sohnes willen.

»Hans höre auf! Ich muß ja schluchzen, wie ein Kind! höre auf! Du warst eine Stunde schwach, und sonst dein ganzes Leben hindurch tugendhaft.«

Schwach? Ludwig, das Sterbebett kennt nur Wahrheit. Ich verletzte Treu' und Glauben, und brach einer tugendhaften Frau das Herz; da hast du meine Schuld. Aber, Bruder, daß ich von dir schrieb, was du gelesen hast, that ich nur aus Angst, aus Noth. Mit keinem Gedanken habe ich in Ernst daran gedacht. Glaube das einem Sterbenden!

»So muß ich ja an deinem Sterbebette knieen, und dich um Verzeihung bitten! so bin ich ja hart gegen dich gewesen! Aber, Bruder, ich habe so etwas vermuthet. Sieh, tausendmal wollte ich zu dir, und dich fragen: konntest du das schreiben? Doch immer hielt mich die Tante ab, und die Vorstellung, in welche Angst du gerathen würdest.«

Die Tante? O, ich weiß, warum sie dich abhielt. Schließ den Schrank dort auf. Darin liegt ein Papier, an dich überschrieben; das lies nach meinem Tode, doch nicht eher! –

Die Versöhnung mit dem geliebten Bruder hatte üble Folgen für den Kranken; die Freude, die Bewegung war für sein schwaches Leben zu stark gewesen: er wurde mit jeder Minute schwächer, und bald war: Ludwig! sein letztes Wort, ein Händedruck seine letzte Bewegung. –

Der Rittmeister wunderte sich, daß niemand von Sonnensteins kam, und daß sein Bruder nicht ein Wort von ihnen gesagt hatte. Er wußte nicht, daß es des Sterbenden ausdrücklicher Wunsch gewesen war, mit dem geliebten Bruder allein zu seyn.

Den Tag nach dem Tode des Präsidenten kam dessen Sohn, und der Rittmeister gerieth in ein freudiges Erstaunen über den schönen Jüngling. Er nahm ihn mit der herzlichsten Liebe in seine Arme und es kränkte ihn unbeschreiblich, daß der junge Mann gegen den Bruder seines Vaters so kalt war, und ihm zwar höflich, doch sehr abgezirkelt, begegnete: denn er war fest überzeugt, daß der Vater dem Sohne nichts von dem Verhältnisse der beiden Brüder entdeckt haben konnte; und so glaubte er, diese Kälte läge in dem Charakter des Jünglings.

»Dein Vater,« sagte er, nicht ohne Unwillen, »war in der großen Welt alt geworden; doch er verstand die Kunst, ein warmes Herz zu behalten.« Der Jüngling lächelte, anstatt zu antworten, und verbeugte sich. »Der Teufel, Bursche!« sagte der Rittmeister; »wenn ich mit Vaterliebe auf dein Herz avancire, so komm mir nicht mit Tanzmeister-Schritten entgegen.«

In der That, sagte der junge Mann mit einer feinen Artigkeit, aber zweideutig, ich komme Ihnen nicht entgegen.

»Hasenfuß!« Der Rittmeister ließ ihn los. – »Du denkst vielleicht, weil man dir, oder deinem schlanken Figürchen, Complimente gemacht hat, wie witzig du bist, und willst mich zu deiner Scheibe brauchen. Wenn du mir nicht entgegen kommen willst, (das wolltest du doch wohl sagen); nun, so bleib stehen, so lange du Lust hast. Ich liebte deinen Vater, und liebe auch dich. – Hm! bin ich nicht ein Narr, daß ich mich da von dem Wetterhahn irre machen lasse!«

Der Neffe stand ruhig da, ohne ein Wort zu erwiedern. Drei Tage nach dem Begräbnisse sagte er zu dem Rittmeister, der es noch nicht aufgegeben hatte, sich die Liebe seines Neffen zu erwerben: Ein Geschäft, das durchaus keinen Aufschub leidet, zwingt mich abzureisen.

»Das heißt: ich soll gehen, junger Mensch!«

Das heißt es nicht, mein Oheim. Sie sind in dem Hause Ihres Bruders immer Herr, wie in Ihrem eigenen. Ich aber bin jetzt nicht Herr über meine Zeit.

Der Rittmeister sah ihn starr an. »Höre, Herrmann, ich will dir sagen, was du bist: Ein Aeffchen; und damit Gott befohlen! Ich kann Gott Lob nach Hause finden. Uebrigens bleibe ich deines Vaters Bruder, und die bunte Jacke, die du bei deiner Ankunft auf dem Leibe trugst, und auf die du dir so viel einzubilden schienst, soll mich nicht aus der Ehrenstelle herausbringen, so wenig mich dein Wind herausblasen soll. Also – wenn es dir einmal an Rath und That gebricht, weil die Mädchen und Weiberchen, die dich verzogen haben, dich im Stiche lassen: so wohnt in Grundleben deines Vaters Bruder, der für dich Rath und That, auch Liebe, und, wenn du bis dahin vernünftiger geworden bist, Vergebung bereit hat. Und nun gehab dich wohl!«

Der Rittmeister fuhr noch heute nach Grundleben zurück. Die Tante sah ihn ängstlich an; da sie aber nichts Besonderes an ihm bemerkte, so war sie bald wieder in ihrem alten Geleise. Er erzählte viel von seinem seligen Bruder und von dessen Sohne; erst am Abend erbrach er, seufzend und mit behenden Händen, das versiegelte Papier, welches der Sterbende ihm gegeben hatte.

»Wenn du dieses liesest, Bruder Ludwig, bin ich nicht mehr. Diese Blätter enthalten die Geschichte des glücklichsten und des unglücklichsten Mannes. Du kanntest meine Frau, Sonnensteins Schwester, die mich so unaussprechlich glücklich machte. Die Tante haßte meine Frau, – merke das wohl! – weil sie eine Bürgerliche war. Es mag nicht ihr Plan gewesen seyn; denn wie wäre eines Menschen Seele einer so höllischen Bosheit fähig! Aber dennoch! O, Bruder, sey du der Rächer meines Unglücks an diesem abscheulichen Weibe! Ich hasse Niemanden; sie aber werde ich noch in dem letzten Augenblicke meines Lebens hassen.«

»O Gott, du hast ihm vergeben!« sagte der Rittmeister, seine Mütze abnehmend. »Nein, so haßte er nicht!« – Er fuhr fort zu lesen, doch sehr ängstlich.

»Da kam das Fräulein Schuchradt in unser Haus. Du weißt, daß sie ein sehr schönes Frauenzimmer war, aber nicht, daß dieses reitzendes Mädchen, bei der gränzenlosesten Unbesonnenheit, bei dem unbegreiflichsten Leichtsinn, doch einen einmal gefaßten Plan festhielt, und dabei das Talent hatte, jede Gestalt anzunehmen, und jede, auch die schwierigste, Rolle zu spielen, weil nichts in der Welt einen tiefen Eindruck auf sie machte. Ich hatte, wie dir bekannt ist, das Schuldenwesen ihres Vaters nach seinem Tode zu reguliren, und war deshalb viel in ihrem Hause. Sie setzt sich in den Kopf, mich zu heirathen, und hält meine Artigkeiten, die ich unter gleichen Umständen auch jeder Andern gesagt hätte, für Liebeserklärungen. Ich schreibe das Vertrauen, die Freundschaft, die sie mir gar nicht verbirgt, den Diensten zu, die ich ihr leiste; nach und nach aber fällt mir manches auf, und nun sage ich ihr auf eine gute Art, daß ich schon verlobt bin. »So?« erwiedert sie, und mit jedem Momente wird ihr Gesicht fröhlicher, bis sie in ein lautes Lachen ausbricht. »Aber,« sagt sie dann auf einmal ganz ernst: »das erklären Sie mir so ohne alle Umstände? Doch es ist gut; denn . . . denn . . . Nun, es ist vorbei, und so gratulire ich.« – Nachher fällt ihr ein, daß sie das eigentlich hätte übel nehmen sollen; denn ein Abweisen war es, und blieb es.«

»Die Tante kam, mich zu besuchen, und bei dieser Gelegenheit, wo möglich, meine Verheirathung mit meiner Braut zu hintertreiben. Sie erfährt, daß ich bei der Schuchradt aus- und eingehe, und besucht Adelen, (so heißt das Fräulein), als eine nahe Verwandte. Adele gesteht ihr nach zehn Minuten, daß sie mich geliebt und einen Anschlag auf mich gehabt hat. Die Tante sinnt nach, was sich daraus wohl machen ließe, und sagt endlich: ich wollte, Cousine, Sie liebten ihn noch! – »Zu Befehl! das thu' ich. Aber es ist alles vorbei; er hat mich abgewiesen, weil er schon verlobt ist.« – Und dieses schöne Gesichtchen, das eine ganze Welt in Flammen setzen könnte; und dieses Köpfchen, dem Geist und Witz aus den Augen blitzen, ließ ihn so geduldig los? – »Was sollte ich denn thun?« fragt Adele lachend. »Zur Dankbarkeit dafür, daß er drei Monate für mich gearbeitet, mit den häßlichsten Juden, noch ärger als sie, geschachert hat, um mir ein Paar tausend Thaler zu ersparen: dafür sollte ich ihn von einem Mädchen trennen, das er liebt? Nein, Tante, man hat auch ein Gewissen!« –

»Ich habe nichts Arges. Bei der guten Laune, mit der sie mich immer aufnimmt, und bei der Theilnahme, die sie für meine Braut bezeigt, glaube ich, mich in ihr geirrt zu haben. Sie bittet mich um die Bekanntschaft meiner Braut, und ich führe diese zu ihr. Beide Mädchen gefallen einander, und Adele erzählt von dem Edelmuthe, womit ich mich ihrer angenommen habe. Meine Braut mit ihrem schönen vollen Herzen hängte sich ganz an die flatterhafte Adele, die weinen konnte, so oft sie wollte, und sich dann überredete, sie habe in ganzem Ernste geweint. Ich hielt sie damals für ein fröhliches, heiteres, gutartiges Geschöpf. Sie hatte meine ganze Achtung, mein höchstes Wohlwollen, und es schmeichelte mir, daß sie mich auszeichnete.«

»Ich zog mit meiner Frau nach Grundleben, und sie wechselte mit Adelen vertraute Briefe. Gerade deshalb, weil sie so ernst war, liebte sie dieses lachende Geschöpf, von dem sie oft erheitert wurde. Adele lebte jetzt bei einer Verwandten, und als diese starb, wußte sie nirgends hin. Eines Tages war meine Frau, Morgens früh, ohne etwas zu sagen, weggereist, und am Abend hüpfte Adele in meine Arme.«

»Ich erstaunte, als ich hörte, daß sie bei uns bleiben sollte; denn ich liebe solche Verhältnisse nicht. Aber meine Frau bat mich so zärtlich, daß ich es zugeben mußte. Nun führte mein böser Genius die Tante zu dir. Sie haßte meine Frau, wie alle Menschen; auch Adelen würde sie gehaßt haben, wenn diese meine Gattin gewesen wäre. Meine gute Frau hatte einen gewissen Widerwillen gegen die Tante, den sie nicht verbergen konnte; und das machte den Haß noch giftiger.«

»Die Tante beredet die leichtsinnige Adele, daß ich sie liebe, daß ich gleichgültig gegen meine Frau bin. Ich hatte gar keine Ursache zu Mißtrauen gegen das fröhliche Mädchen, das in meinem Hause Leben und Freude verbreitete, und gab ihr täglich Beweise einer aufrichtigen Freundschaft. Ihre Eitelkeit beredet sie, das für Beweise einer geheimen Liebe zu halten, und die Unbesonnene macht die Tante zu ihrer Vertrauten. Nun hat diese unmenschliche Seele eine Intrigue, und auf jeden Fall Rache dafür, daß meine Frau sie mit Kälte behandelt. »O,« sagt Adele, und klopft an ihre Stirn: »ich Gänschen! ich gutmüthiges Gänschen! Damals hatte ich ihn in meiner Gewalt. Ich könnte die Frau Ihres Neffen seyn.« – Das können Sie ja noch werden! sagt die Tante, – wohl nicht in Ernste, sondern nur, um Adelen zum Besten zu haben. Sind denn diese beiden funkelnden Augen blind? Sehen Sie denn nicht, Adele, wie schmachtend er nach Ihnen hinblickt, wenn seine Frau nicht im Zimmer ist? Kann denn ein so locker geknüpftes Eheband nicht aufgelöst werden? Oder wäre es denn so etwas Strafbares, einen liebenswürdigen Mann von einer Frau, die sich für ihn nicht paßt, wie er nicht für sie, zu befreien? – »Tantchen, der Teufel sollte Sie einmal zu seinem Advokaten machen! Sie haben freilich Recht; ich paßte tausendmal besser zu ihm, und wir würden eine närrische Wirthschaft mit einander treiben. Aber die Frau ist meine Freundin!« – Freundin? Hahaha! Nun, wenn Sie das glauben, so hat sie freilich Recht, meine weise Nichte, in ihrer Meinung von Ihnen. – »Was sagt sie denn von mir?« – Die Tante will erst nicht mit der Sprache heraus; doch endlich läßt sie sich bewegen. Die weise Frau Präsidentin sagt, Sie wären ein hübscher Haubenkopf, der immer lache, um die schönen weißen Zähne zu zeigen; und trotz dem hübschen Kopfe, und Ihrem Hüpfen, Springen und Lachen, würden Sie eine alte Jungfer werden. – »Das ist nicht wahr, Tante; das ist eine Erfindung von Ihnen, wie tausend andre!« – »Sie können es aus dem Munde Ihrer Freundin hören, sobald Sie wollen.«

»Adele wird nachdenkend; sie besinnt sich, daß meine Frau seit einiger Zeit kälter gegen sie gewesen ist. Das hatte wirklich seine Richtigkeit; denn es war ihr nicht entgangen, daß Adele ein wenig die Kokette gegen mich spielte, und daß meine Augen mit Wohlgefallen an dem schönen, fröhlichen Mädchen hingen. Ueberdies sagten ihr einige spitze Anmerkungen der Tante sogar, daß auch Andre dasselbe bemerkten.«

»Die Tante verschafft Adelen Gelegenheit, eine Unterredung zu behorchen, worin meine Frau sich unwillig und mit einiger Härte über sie ausdrückt. – Nun? fragt die Tante, als sie Adelen aus ihrem Schlupfwinkel abruft. (Adele stampft mit dem kleinen Fuße. Ich will Ihnen noch mehr sagen! Meine tugendhafte weise Nichte ist so weise eben nicht, als Sie denken. Der Herr von Berger könnte uns viel erzählen! – O, die giftige Schlange! Berger war mit der jüngsten Schwester meiner Frau verlobt. Die Braut starb; und der Unglückliche, der sie wahrhaft geliebt hatte, fand bei meiner Frau den Trost einer zarten Freundschaft, den Trost eines gleichen Schmerzes. – Meine Nichte, fährt die Schlange fort, ist das wahre Bild ihrer verstorbenen Schwester. Man will sogar wissen, daß der Herr von Berger ihr schon vorher sehr wohl gefallen hat. Sie sehen also, Adele, daß hier Jeder sein Theil haben könnte; nur will Niemand den Anfang machen, weil es sich Niemand zutrauet, eine so feine Intrigue mit Geschick anzugreifen. Freilich, liebes Kind, gehört dazu mehr Geist, als wir Mädchen haben. – Ich getrauete mir, mit noch mehr fertig zu werden, obgleich dieser . . . Aber sagen Sie, was Sie wollen; ich glaube nicht mehr, als ich sehe. – Sie getraueten sich? Liebe Adele, der Anfang war gut. Man muß durch Lachen und Scherzen die Männer anziehen; aber Sie wissen nicht, wie unausstehlich empfindsam die hochgebietenden Herren sind. Sie spotten über unsre Thränen; und doch glauben sie nur ihnen allein. Es wäre alles schon viel weiter, wenn Sie nur die Kunst verständen meinen Neffen recht an sich zu fesseln. Die Männer reden immer von Liebe und Treue, und sind doch nichts als sinnlich. Das ist ihre schwache Seite, bei der muß man sie angreifen; und hält man sie erst an dieser unzerreißlichen Kette, dann ist es Zeit, mit ihnen weise, empfindsam, tugendhaft zu seyn. Glauben Sie mir, sie sehen es alle gern, wenn wir fallen; aber sie sind solche Egoisten, daß wir nur aus Liebe zu ihnen fallen sollen. Locken und zögern! in diesen beiden Worten liegt der gewisse Sieg jedes Frauenzimmers, und damit habe ich ehemals Wunder gethan.« –

»Du fragst, Bruder, wie ich das alles weiß; und das sollst du erfahren. Doch erst muß ich dir diese höllische Bosheit weiter entwickeln. – Die leichtsinnige, unbesonnene Adele glaubt, was sie hört; ihr Ehrgeitz erwacht, und sie will der Tante zeigen, daß sie kann, was diese für so schwer hält. Nun setzt sie alle Künste der feinsten Buhlerei in Bewegung, mich an sich zu ziehen. Es gelingt ihr nur allzu gut. – Du wirst mich verachten, Ludwig. Aber ach! sie war so reitzend, so bezaubernd, und so schlau! Ich liebte sie nicht, Ludwig; aber sie hatte meine Sinne in Bewegung gebracht. Das war alles, was sie mit ihren Reitzen, ihren Künsten bewirken konnte.«

»Meine unglückliche Frau sieht es, und schweigt; sie hält mich für ungetreu, und entzieht mir ihre Achtung, ihr Vertrauen, ihre Freundschaft. Adele glaubt nun wirklich, die Tante habe Recht, und meine Frau wünsche die Trennung von mir eben so, wie ich selbst. Sie hält es für möglich, sogar für wahrscheinlich, daß sie die Sache zu Aller Zufriedenheit werde endigen können, und drängt sich immer zärtlicher an mich. Die listige, höllische Tante leitet jeden ihrer Schritte, und ich erfahre nichts von dem eigentlichen Plane, den ich sonst sogleich mit Abscheu verworfen hätte. Meine Frau ist mit Berger verreist, und ich bin mit dem schönen, unbesonnenen Geschöpfe allein. O, wie heiter, wie liebenswürdig, wie mir so ganz hingegeben, war sie in den drei Tagen, die mein Glück auf immer zerstörten! Sie scherzte über Bergers Reise mit meiner Frau, und über ihre zärtliche Theilnahme an ihm. Ich scherze mit; das bestärkt sie in ihrer Meinung von mir. Eine schwache Minute, die ich mir nie verzeihen werde, befriedigte meine gereitzte Sinnlichkeit. – Ich fahre erschrocken aus Adelens Armen auf, und zittere vor den Vorwürfen, die sie mir machen, vor den Wehklagen, in die sie ausbrechen wird; sie lächelt aber, sie ist fröhlich und nichts als Liebe, heitre, glückliche Liebe. Auch am folgenden Tage bleibt sie eben so heiter, und zeigt mir ganz das zärtliche Vertrauen, wie es nur zwischen Eheleuten Statt finden kann. Ich war der Erste, der sie aufmerksam machte, daß jene unglückliche Stunde vielleicht Folgen haben könnte. Sie lächelte, warf sich in meine Arme, und sagte mit den Tönen der zärtlichsten, innigsten Liebe: »ich wäre glücklich, selbst wenn es anders stände, als es steht.« Als es steht? Wie meinen Sie das, Adele? – Nun entdeckte sie mir, worauf sie rechnete, was sie von mir hoffte. – Unglückliches Mädchen! sagte ich; wie konnte dieser abscheuliche Gedanke in Ihre Seele kommen!« –

»Sie zählte mir sehr ruhig alle Umstände vor. Ich sprang, ganz außer mir, auf, zeigte ihr meinen Abscheu vor dieser Vorstellung, und sagte ihr, daß ich meine Frau über alles liebe, daß mein Sohn Herrmann ein Band sey, welches mich auf ewig an sie fesseln würde, selbst wenn ich Ursache hätte, sie zu hassen. Adele weinte, und redete nicht ein Wort mehr für ihren Plan; doch selbst bei dieser erschütternden Scene blieb sie noch immer leichtsinnig. Sie sagte: »es ist unverschämt, mir so geradehin zu erklären, daß Sie Ihre Frau lieben; in der That, sehr unverschämt! Nun ist also der Knoten noch viel verwickelter. Am Ende werde ich die Kosten tragen müssen.« – Ich bin unschuldig! sagte ich mit Härte. – »Eine noch ärgere Unverschämtheit! . . . Bin ich nicht eine Närrin, daß ich Ihnen das alles so hingehen lasse? Denn, mein schöner Herr, der Sie Ihre Frau so zärtlich lieben, Sie sollen wissen, daß Sie in meiner Gewalt sind! Ich darf ja nur Ihre Frau zu meiner Vertrauten machen.« – Ich erschrak; denn ich, wußte, wie weit sie ihre Unbesonnenheit zu treiben im Stande war. »Aber auch ich bin unschuldig,« setzte sie hinzu. »Die Tante – o, ich trauete ihrem hämischen Wesen sogleich nicht! – die Tante hat alles zu verantworten, worüber Sie jetzt so blaß werden, und worüber ich, so lange ich lebe, erröthen muß!« – Die Tante? fragte ich; noch bleicher. Um Gottes willen! die Tante? Was hat denn die mit dem allen zu thun?«

»Nun erzählte mir Adele mit ihrer gewöhnlichen kindischen Aufrichtigkeit alles.« – Aber wie konnten Sie sich diesem boshaften Teufel hingeben? fragte ich. – »Ja, das finde ich selbst jetzt lächerlich; besonders da ich sie kenne, so gut wie einer. Doch dem Uebel ist nun nicht mehr abzuhelfen. Sie, mein feiner Herr, was leiden Sie dabei? Aber ich Arme, ich Betrogene! Was soll aus mir werden, wenn ich nicht Ihren Namen bekomme!« Sie zerfloß aufs neue in Thränen; doch machte sie mir keinen Vorwurf. Dann sprang sie plötzlich auf: »Die Tante, diese Schlange, soll meinen ganzen Zorn empfinden! Ich hielt, ich umschlang sie, und mußte Bitten, Flehen, Drohungen, alles anwenden, um sie zurück zu halten. Wie, Adele! Sie wollen Ihren guten Nahmen dieser boshaften Creatur anvertrauen, sich in die Gewalt dieses Teufels geben? – Sie besann sich endlich, und versprach mir, zu schweigen und die Tante zu betriegen. Ich versprach ihr dagegen alles, was sie foderte.«

»Die Tante kam. O Bruder, wie tief empfand ich es, daß ich gegen diese Schlange freundlich seyn mußte! Wie erniedrigt war ich! wie fühlte ich, erschrocken vor mir selbst, mein Vergehen in der Furcht vor diesem Teufel! – Ich ließ sie mit Adelen allein. Nun, Adele? fragt die Schlange: wie haben Sie diese drei Tage genützt? (Ich war im Nebenzimmer, und horchte zitternd; zitternd! so war ich gesunken!) »Wie ich gleich sagte,« antwortete Adele. »Er liebt seine Frau mit felsenfester Treue, mit unbeschreiblicher Liebe; das ist die Erfahrung, die ich in diesen drei Tagen gemacht habe,« – Bruder, ich hätte vor dem Mädchen niederknieen mögen! – Und die Runzeln auf der Stirn? fuhr die Abscheuliche fort; und der Unmuth in den lachenden Augen? Eine solche Erfahrung thut freilich weh! Aber, Kind, wie haben Sie es denn angefangen, das zu erfahren? und noch dazu so bestimmt, so gewiß! In der That, Sie müssen seltsam zu Werke gegangen seyn. – »So seltsam, daß ich mich von Herzen der Rolle schäme, die Sie mir aufgetragen hatten. Ich will nichts mehr davon hören. Wenn Sie mir noch ein Wort über diese verhaßte Geschichte sagen, so erzähle ich kurz und gut dem Präsidenten und seiner Frau, wozu ich von Ihnen bestimmt war.« – Hier hat es etwas gegeben, merk' ich wohl. Ei nun, meinetwegen! Aber, Adele, wenn die Frau Präsidentin Sie so jammert, so sollten Sie doch die dehors ein wenig mehr menagiren; denn – vorgestern sind Sie mit meinem neveu bis lange nach Mitternacht zusammen gewesen; gestern haben Sie ihm am Klaviere vorgesungen, und er hat da neben Ihnen gesessen, und seinen Arm um den schönen Nacken, seine Lippen auf den weißen Rücken gelegt. – »Ich glaube, Sie behorchen alle Menschen! Ja, das habe ich, und das hat er gethan. Aber, das thun wir auch, wenn die Frau zugegen ist.« – Nun, so bedaure ich die arme Frau. Sie thäten indeß wohl, wenn Sie solche Zusammenkünfte lieber ein wenig heimlich anstellten, oder gar nicht; denn Sie wissen wohl, liebes Kind, wir sind schwach. Hu! wie roth! wie die schönen Wangen glühen! und wie der Busen fliegt! Kind, Sie machen sich verdächtig mit Ihrer übeln Laune bei meinem Scherze. – »Sie sind unverschämt, Fräulein, und werden mich noch dahin bringen, daß ich den Präsidenten zu Hülfe rufe.« – Lassen Sie ihn immer weg! Denn was ich weiß, Adele, das weiß ich. Sie brauchten nicht einmal roth zu werden.« –

»Bruder, ich kam fast um vor Angst, ging aber wieder zu ihnen in das Zimmer, um eine Entdeckung zu verhüten, die sie am Ende der übeln oder guten Laune Adelens entrissen hätte. Sie belauerte mich mit ihren falschen, blinzenden kleinen Augen; ich spielte aber die Rolle des Gleichgültigen.«

»Nun rieth ich Adelen, mein Haus zu verlassen. Sie willigte ein, und ich ersann einen Vorwand, der die wahre Ursache recht gut versteckte; doch die Tante verhinderte Adelens Abreise, und ich zitterte. Endlich that die Tante Adelen in ganzem Ernst den Vorschlag, sie sollte dich heirathen. Adele lacht dazu, wie gewöhnlich. Aber nun macht sie die fürchterliche Entdeckung, daß sie schwanger ist. O, welche Tage, welche Stunden! Tausendmal war ich Willens, meiner Frau alles zu entdecken!« –

»Adele mußte fort, das sah sie ein; sie verlangte aber von mir, daß ich sie verheirathen sollte. Ich versprach ihr das; und nun äußerte sie mir schriftlich den Wunsch, deine Frau zu werden. Um sie nur fürs erste zu beruhigen, antwortete ich ihr: das würde sich vielleicht thun lassen.«

»Unter dem Nahmen Madame Reichhelm, wurde sie in einem abgelegenen kleinen Städtchen von einer Tochter entbunden. Ihr Schicksal hatte sie erbittert; sie machte mir jetzt die stärksten Vorwürfe, und drohete mir, die ganze Sache meiner Frau zu entdecken. Nun mußte ich zu allen ihren Einfällen Ja sagen, auch zu dem, daß du sie heirathen solltest. Da ich ihr indeß nur verzögernde Antworten gab, so wendete sie sich an die Tante. Diese, welche nun den lange gewünschten Triumph, die lange gewünschte Rache für meinen Haß, für die Abneigung meiner Frau in Händen hat, antwortet, entreißt Adelen schlau das Geheimniß, bekommt von ihr meine Briefe, und giebt dir einen derselben, worin du wahrscheinlich gelesen hast, daß ich mir Mühe geben wolle, ihre Verbindung mit dir zu Stande zu bringen. Einen andern Brief schickt die höllische Furie meiner Frau.«

»Meine Frau giebt mir das Blatt mit einem Gesichte, worin die tiefste Verachtung unverkennbar ist, und sagt schneidend: »verwahre künftig deine Briefe besser!« Ich blicke in den Brief hinein, und in dem Augenblick ist auf immer jede Freude von meinem Leben abgerissen. –Mit dem Briefe in der zitternden Hand, blieb ich wenigstens eine Stunde sitzen; dann that ich, was ich noch thun konnte. Ich ließ meine Frau bitten, zu mir zu kommen. »Was soll ich hören?« sagte sie kalt. »Verschone mich mit allem, was dir zu deiner Beruhigung nicht schlechterdings nothwendig scheint. Für meine Beruhigung kannst du sonst nichts thun, als – schweigen.« – Ich erzählte ihr. Sie hörte mich kalt und mit abgewendetem Gesichte an, ohne ein Wort zu reden. »Bist du fertig?« fragte sie endlich, indem sie aufstand. – Ja! Ich beschwöre dich, sag nur ein Wort, ein einziges sanftes Wort zu meinem Troste! Ich bin unglücklicher, als du. – »So höre!« sagte sie; »und es mag dich trösten! Mein Leben ist vergiftet, mein Herz bis in das Innerste verwundet; aber ich liebe dich noch. Isabelle ist ein Ungeheuer, Adele eine verächtliche Elende; dich aber bedaure und liebe ich. Versprich mir nur, nach meinem Tode Adelen nicht zu heirathen.« – Es war etwas Zermalmendes, etwas gräßlich Kaltes in ihrem Tone.«

»Ich versprach ihr, was sie verlangte. Du weißt nicht, sagte ich dann, welche Rache du nimmst, Mutter meines Sohnes! Auch mußt du das nie erfahren; denn ich habe jede Rache verdient. Nur das Eine noch. Was ich die erzählte, ist die Wahrheit. Willst du Adelens Briefe lesen? – Sie schüttelte, mit Zeichen des stärksten Abscheues, den Kopf. – Kann, fragte ich leise, mit schmerzlicher Stimme – kann die Mutter meines Sohnes, kann die ewig Geliebte meines Herzens, mir nie vergeben? – »Ich habe dir vergeben. Doch das Zeichen meiner Vergebung bekommst du noch, mit dem Zeichen der Versöhnung; und das sey dir dann ein Beweis; daß ich wieder glücklich bin! Jetzt bitte ich dich nur um Eins: laß uns von hier wegziehen, laß mich die Tante nicht wiedersehen!« – Mit diesen Worten verließ sie mich.«

»Ludwig, hier hebe ich die Augen voll Thränen zu Gott empor, und sage dir: ich habe von dieser Minute an das schrecklichste Elend getragen, und werde es tragen, bis zu der Stunde, die nicht mehr fern ist!«

»Ich zog von Grundleben weg. Meine Frau blieb unveränderlich ernst, kalt, aber gütig; nie kam ein Vorwurf über ihre blassen Lippen, obgleich nur mein Vergehen die Quelle ihres Lebens vergiftet hatte. Sie welkte, sie wurde schwächer, und endlich – o Gott! – kündigte der Arzt ihr den nahen Tod an. Da wendete sie mit einem himmlischen Lächeln ihr Auge zu mir. »Ich muß dich sehr betrüben, mein geliebter Mann! O, so komm denn an mein dich liebendes Herz!« – »Vergebung! Versöhnung!« Diese beiden Worte stammelten ihre Lippen. »Und nun bin ich wieder glücklich! Gönne mir dieses Glück, mein versöhnter, mein geliebter Mann!« Ich lag auf den Knieen, ich hob die Hände gen Himmel – o, mein Herz war eben so gebrochen, wie das ihrige! O, daß ich dich so unglücklich machen mußte! daß erst diese Stunde der Anfang deines Glückes ist! So jammerte ich, und verbarg mein weinendes Auge an ihrem Herzen. – »Geliebter Mann,« sagte sie, »verzeihe mir nun auch du, ach! was ich nicht ändern konnte. Sag auch du: Vergebung! wie ich es sagte.« – Vergebung! rief ich. Gott erbarme sich mein, und spreche bald das Wort: glücklich! auch über mein gebrochenes Herz aus! Und nun noch das Eine: ich habe nie aufgehört dich zu lieben. Meine Sinne waren ungetreu, mein Herz nicht. – »Daran habe ich nie gezweifelt. O, das war es, was mich am Leben fest hielt.« – Das sagte sie mit einer Umarmung, die mich entsündigte.«

»Sie starb. Ich lebte für den Sohn der Heiligen; einzig und allein für ihn. Adele erfuhr den Tod meiner Gattin, und schrieb mir einen Brief, worin jedes Wort ihren Schmerz, ihre nagende Reue bezeugte. Die Unglückliche nahm auf ewig von dem Unglücklichen Abschied. Sie verschwand, und ich weiß nicht, wo sie geblieben ist. Die Summen, die du in den beiliegenden Papieren erhältst, sind für sie und meine unglückliche Tochter bestimmt, wenn sie noch leben.«

»Sonnensteins wissen im Allgemeinen, daß die Tante Schuld an dem Tode meiner Frau ist. Verschweige ihnen mein Verbrechen. Ludwig! auch von deinen Lippen hätte ich so gern die Worte: Vergebung! Versöhnung! gehört.«

»Nein, Bruder; ich wollte dich nicht betriegen! nein! Lebe wohl! Und hüte dich vor der Schlange, die du in deinem Busen nährst! Lebe wohl!«

 

*

 

Wohl zehnmal hatte der Rittmeister das Lesen dieses Briefes unterbrochen, und immer mit den widersprechendsten Empfindungen. Bald flammte in ihm der heftigste Zorn gegen die Tante; bald zerschmolz sein Herz wieder in Liebe und Mitleiden mit seinem unglücklichen Bruder. Er knieete nieder, nahm die Mütze ab, und sagte: »Versöhnung, tausendmal Versöhnung, du unglücklicher, guter Mensch! O, daß ich noch einmal deine blassen Lippen küssen, daß ich noch einmal an deinem gebrochenen Herzen rufen könnte: Versöhnung! Versöhnung! Aber auf deinem Grabe will ich knieen, und Geduld lernen, wenn ich unglücklich bin, du Unschuldiger, den die Bosheit eines Weibes zum Märtyrer machte.« Er sprang auf.

»Eines Weibes? Einer höllischen Furie! eines Ungeheuers! O, nun weiß ich, wer das Gift in unser aller Herzen spritzte! Gott im Himmel, sie hat mir wohlgethan. Verzeihe du ihr, nach deiner Barmherzigkeit, und bessre sie. Aber ich? ich? Ich, ein schwacher Mensch, ich kann nicht. Die Mörderin meines Bruders! Nein, nein!« Er weckte seinen alten Bedienten. »Laß sogleich den großen Wagen anspannen, ganz in der Stille; und, wenn alles fertig ist, komm eben so still wieder, und rapportire.«. Er hörte die Jungfer von oben herunter kommen; die Tante war also zu Bette. Nicht lange, so kam der Bediente wieder, und meldete, daß angespannt wäre. »Laß in aller Stille vorfahren, und dann komm wieder herauf.«

Sobald dies geschehen war, ging er – immer mit gleicher Heftigkeit – auf das Zimmer der Tante, und ließ ihre Kleider, ihre Wäsche, ihre Zähne, ihr Haar, einpacken, legte auch selbst mit Hand an. Als die Koffer auf dem Wagen befestigt waren, sagte er zu dem Kutscher: »der Morgen grauet schon; du kannst den Weg sehen. Nimm dich in Acht, daß kein Unglück geschieht!« Nun ging er wieder hinauf, und öffnete das Schlafzimmer der Tante. So wie sie die Augen aufschlug, fragte sie: Mein Gott! ist ein Unglück geschehen? –

»Stehen Sie auf, Fräulein!« sagte der Rittmeister in einem so seltsamen Tone, daß sie mit Einem Sprunge zum Bette heraus war.

Was ist denn? was ist denn? Mein Gott, neveu, was geht denn vor?

»Still! Ziehen Sie sich an!« – Sie glaubte, das Haus müßte wenigstens voll Mörder seyn, und hatte in fünf Minuten einen Morgenanzug übergeworfen.

Der Rittmeister ergriff ihre Hand. »Kommen Sie!«

Wohin soll ich? was ist denn? Meine Jungfer . . . – Sie wollte an die Klingel.

Der Rittmeister zog sie fort. »Der Wagen steht bereit. Ihre Sachen sind in zwei Koffer gepackt. Mein Alter hat Ihre Jungfer geweckt. Sie müssen diesen Augenblick fort!«

Die Tante riß sich los, und fuhr mit ergrimmtem Gesicht und schneller Zunge auf den Rittmeister zu. Aber so hatte sie ihn noch nie gesehen! Sein Auge blieb starr auf ihr haften; sein Gesicht behielt die Falten des kältesten Grimmes. »Still!« sagte er mit dem vorigen Tone; »Sie müssen fort!«

Ich will doch sehen, wer eine Dame, wie mich, in der Nacht fortschleppen soll!

»Ich! Eine Dame, wie Sie? Du Mörderin meines theuren Bruders! du kupplerische Verführerin Adelens! du höllischer Teufel!«

Sie fuhr erschrocken zurück. Lieber Neffe, bedenken Sie doch Gottes Gerichte! Bedenken Sie, daß ich die Schwester Ihrer guten Mutter, Ihre Wohlthäterin bin!

»Bedenken? O, wenn ich bedenke, daß du den besten Sohn meiner Mutter, den sie mit Mutterangst deiner Liebe empfahl, daß du ihn ermordet hast, du Furie: so möchte ich dir das Gift abzapfen, das, statt des Blutes, in deinen Adern rollt!« Sie zitterte; doch sie wagte es noch einmal, die Entschlossenheit des Rittmeisters wankend zu machen: unglücklicherweise entfuhr ihr aber dabei ein Scheltwort auf seinen Bruder. Nun zog er in tobender Hitze ein Eisen aus ihrer Schnürbrust, und hob es auf. Sie hielt es in der Angst für einen Dolch, und floh schreiend, vor ihm her, die Treppe hinunter. So eben brachte der Bediente ihre Jungfer. Beide wurden in den Wagen gehoben, und der Rittmeister rief einem Bedienten zu: »du stehst mir dafür, daß sie nicht wieder kommen!« Die Tante stieß noch einen Fluch gegen ihn aus; dann rollte der Wagen vom Hofe hinunter.

»Ach!« seufzte der Rittmeister mit leichterer Brust. »Noth soll sie nicht leiden! . . . Nun laß uns zu Bett gehen, alter Christoph. Ich denke, wir werden recht ruhig schlafen.«

Am folgenden Morgen verbreitete die Nachricht, daß die Tante weg wäre, in ganz Grundleben große Freude. Man war neugierig, was den Rittmeister bewogen haben könnte, sie so auf einmal, fast mitten in der Nacht, wegzuschicken, da er doch nur ein Paar Stunden vorher noch freundlich mit ihr gesprochen hatte. Sonnenstein schüttelte auch darüber den Kopf; es war ihm ein neuer Beweis von der rohen Wildheit des Rittmeisters. Uebrigens änderte die Entfernung der Tante nichts in dem Verhältnisse beider Familien. Sie lebten ruhig neben einander, doch ohne den Wunsch, sich zu versöhnen.

Der Rittmeister wurde vielmehr noch unwilliger, zugleich aber auch wehmüthig, als seines Bruders Sohn Herrmann nach Grundleben kam, mehrere Monate bei Sonnensteins blieb, und ihn dennoch nicht ein einziges Mal besuchte. »Der Sohn meines geliebten Bruders!« sagte er traurig. »O, es ist, als ruhete ein Fluch auf mir, daß alle Menschen, die ich am meisten liebe, mich fliehen!« – Auguste rieth ihm, den jungen Menschen einluden zu lassen. Er schüttelte aber unmuthig den Kopf. »Ich kenne ihn schon. Er ist ein hochfahrender Mensch, dem ich viel zu klein, viel zu natürlich bin. O, und Sie sollten ihn sehen, Frauchen! Sie sollten ihn sehen! Unter der schönen hohen Stirn funkeln ein Paar Augen, so offen, so edel! Mein Herz schlug dem Jungen entgegen, als ich ihn sah; aber schon damals stieß er seines Vaters Bruder von sich. Nun, ich habe mich ja so lange ohne seinen Vater behelfen müssen! Gott wird mich wohl gleichgültiger dagegen machen, daß er hier ist, und gar nicht daran denkt, mich nur einmal sehen zu wollen.«

Er konnte bei dem allen diese Kränkung nicht vergessen. Sobald der Nahme Sonnenstein genannt wurde, seufzte er, und suchte die Einsamkeit. Seine einzige Freude war jetzt der junge Rohr, der ihm jeden Posttag aus Böhmen Briefe voll Liebe und zärtlicher Ehrfurcht schrieb. »Lieber Gott!« sagte er zu Augusten, »wenn ich bedenke, wie so nach und nach alle meine Freuden zu Grunde gegangen sind, meine selige Philippine, mein Bruder, seine Frau, mein Umgang mit Sonnensteins; wenn ich so alles Herzeleid überlege, was die Jesabell – Gott gebe ihr ein andres Herz! – über mich gebracht hat: so . . . Was ist doch der Mensch! – Und wenn ich wieder bedenke, daß meine Philippine, so gut, so fromm sie auch ist, vielleicht seufzen wird, wenn Gott den jungen Rohr vor den Kugeln und Säbeln der Feinde behütet: so wünsch' ich mich zu meiner seligen Frau in das Gewölbe. Ach, um meine Mutter glücklich zu machen, hätte ich ja die Tante Isabelle heirathen wollen! Ich habe nur die einzige Freude noch vor mir. Sagen Sie Philippinen, sie soll mir wenigstens die nicht verderben. Guter Gott! ich möchte gern wieder noch einen Menschen um mich sehen, den ich liebe. Da haben nun Sonnensteins die Freude, daß Herrmann . . . Man sagt ja, daß er Minetten heirathen wird. Philippine soll auch mir eine solche Freude machen. Sagen Sie ihr das!«

Sonnensteins hatten die Freude, wie der Rittmeister sich ausdrückte, obgleich die Frau von Sonnenstein von Zeit zu Zeit bei den Hoffnungen ihres Mannes den Kopf schüttelte. Sie wollte nehmlich bemerkt haben, daß – und daß . . .

Ihr guten Weiber! sagte Sonnenstein lächelnd: wenn der bestimmte Bräutigam nicht gleich im ersten Augenblicke Euren Töchtern zu Füßen liegt, so ist es Euch in keinem Stücke recht. Ich sehe es gern, wenn ein junger Mensch sich mit seiner Wahl Zeit nimmt. Was kann Er dafür, daß er nicht weiß, was wir schon hinter seinem Rücken über seine Hand verabredet haben! und was dafür, daß Minette ihm schon mit einem vollen Herzen entgegen flog! Das ist unsre Schuld. –

Der verstorbene Präsident und Sonnensteins hatten eine Verbindung zwischen Minetten und Herrmann verabredet, und nur dieser wußte nichts davon. Er war, als das geschah, auf Reisen; und als er zurück kam, lebte sein Vater nicht mehr. – Daß die Frau von Sonnenstein mit ihren Besorgnissen nicht ganz Unrecht hatte, wird der Leser aus folgenden Briefen sehen.

 

*

 


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