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Peter Plüsch

In der Erde, in geräumigen und behaglichen Kammern, wohnte der Maulwurf Peter Plüsch. Seine Wohnung war sehenswert, denn Peter Plüsch war ein Meister der Innenarchitektur. Die Zimmer waren regelmäßig und in gefälligen Formen, die Wände sauber geglättet, und der Boden war reichlich mit Ruhelagern aus Moos und Gräsern versehen, so daß es warm und weich war, wohin man auch mit der Pfote tupfte. Noch weicher als Moos und Gräser war Herr Peter Plüsch selbst, ebenso weich wie er war seine Gattin Frau Pauline Plüsch, und noch viel weicher, beinahe unwahrscheinlich weich waren seine drei Kinder, die kleinen Plüschs. Die kleinen Plüschs waren so weich, daß man es nicht einmal hören konnte, wenn sie sich im Kinderzimmer balgten. Man sollte meinen, daß so weiche Leute in einer so weichen Wohnung ein großes Behagen entfaltet hätten; aber es war leider nicht so. Peter Plüsch hatte ein sehr unruhevolles Temperament, und der Grundsatz seines Lebens war Wühlen. Unaufhörlich lief er in den großen Korridoren, die seine Wohnung mit der Außenwelt verbanden, spazieren, grub nach rechts und grub nach links und schnupperte nach Engerlingen, Regenwürmern und sonstigen appetitlichen Dingen. Diese roch er schon von weitem, und mit seinen Schaufelpfoten schaufelte er sich mit einer erstaunlichen Emsigkeit und Geschwindigkeit weiter, so daß er gleichsam in der Erde schwamm wie ein Fisch im Wasser. Solch ein Schaufelmeister war Peter Plüsch. Nur sah er nicht gut, er hatte ganz kleine, mohnkorngroße Augen, wie das begreiflich ist bei jemand, der immer unter der Erde nach Engerlingen sucht, und wenn er einmal auftauchte und deutlicher sehen wollte, so mußte er die Haare über seinen Augen zurückstreichen, damit er etwas wahrnehmen konnte. Aber meistens grub er, daß ihm der Sand nur so aus den Pfoten flog. Das war Peter Plüsch.

»Peter«, fragte Frau Plüsch, die eben aus der Speisekammer kam, »die Vorräte sind aufgeschichtet, was soll ich jetzt tun?«

»Wühlen!« sagte Peter Plüsch.

»Papa«, fragten die kleinen Plüschs und guckten aus dem Kinderzimmer, »Papa, wir haben genug gespielt. Was sollen wir jetzt tun?«

»Wühlen!« sagte Peter Plüsch.

Plüschs wühlten. Peter Plüsch wühlte, Frau Plüsch wühlte, und die kleinen Plüschs wühlten. Peter Plüsch aber wühlte am schnellsten. Er schaufelte so erheblich, daß er etwas außer Atem kam und nach oben tauchte, um Luft zu schöpfen.

Wie er gerade die kleine Schnauze aus einem rieselnden Erdhaufen emporstreckte, sah er etwas sehr Sonderbares vor sich sitzen – lang, grün, mit bemerkenswerten Beinen und bedenklichen Fühlern. Es war dies der Grashüpfer, der Sachverständige für Wiesenkunde, Herr Magister Pankratius Plötzlich. Er saß im Grase und trank seinen Abendtau.

Peter Plüsch war noch jung, er hatte nur selten einen Grashüpfer gesehen und jedenfalls keinen so ungeheuer großen. Er schnupperte erstaunt in der Luft herum, schob die Haare von seinen mohnkorngroßen Augen beiseite und besah sich das grüne Wunder von allen Seiten. »Wer sind Sie?« fragte er unvermittelt. Peter Plüsch war etwas manierlos.

Der Grashüpfer bewegte die Fühler bedenklich hin und her und sah aus hervorquellenden Augen auf Peter Plüsch. »Ich bin Sachverständiger für Wiesenkunde, Magister Pankratius Plötzlich«, sagte er erhaben.

Peter Plüsch hielt es nicht für nötig, sich ebenfalls vorzustellen, er gab wenig auf feine Umgangsformen, die vielen Erdarbeiten bringen das so mit sich. Er beguckte sich den Magister von allen Seiten, aber er konnte nicht klug daraus werden. »Das muß ich meiner Familie zeigen«, sagte er, »wühlen, wühlen!« Und er wühlte sich eiligst zu einem seiner Gänge und rief in die Wohnung hinein: »Pauline, Kinder, kommt schnell, draußen sitzt ein grüner Magister mit langen Beinen und sieht knusprig aus, am Ende ist er zu essen. Kommt schnell, wühlen!« Frau Plüsch und die kleinen Plüschs wühlten. Sie wühlten emsig und voller Eifer.

Nahe dem Magister, auf einem feuchten kühlen Stein, saß die Kröte Sibylle Warzenreich. Frau Warzenreich war weisheitsvoll wie alle Kröten und zudem noch eine ganz besonders erfahrene alte Dame.

»Herr Magister«, sagte sie, »dies war Peter Plüsch. Peter Plüsch hat einen großen Appetit und sehr mangelhafte Umgangsformen. Mir schien, als schnuppere er in einer unangenehmen Weise um Sie herum. Es ist nicht unmöglich, daß er sich mit Verspeisungsabsichten in bezug auf Ihre werte Person trägt.«

Der Magister und Sachverständige für Wiesenkunde legte arrogant die Fühler zurück, obwohl es ihm etwas unbehaglich wurde, er wollte das aber bei seiner Gelehrtenwürde nicht zeigen.

»Vielen Dank, gnädige Frau, aber über derartige Leute setze ich mich hinweg«, sagte er erhaben.

Jetzt tauchten Plüschs aus dem Erdboden wieder auf, zuerst Peter Plüsch, dann Frau Plüsch und nachher die drei kleinen Plüschs. Alle richteten die mohnkorngroßen Augen auf den Magister und betrachteten ihn. Peter Plüsch schnupperte dazu bedenklich.

»Dies ist der Sachverständige für Wiesenkunde, Magister Pankratius Plötzlich. Ich habe solch ein Vieh noch nicht gesehen.«

Ich sagte es schon einmal, daß Peter Plüsch etwas einfache Umgangsformen hatte.

Der Sachverständige für Wiesenkunde hob die Fühler in die Höhe und sah erhaben aus.

»Sagen Sie mal«, sagte Peter Plüsch und schnupperte schon wieder, »Sie sehen so knusprig aus, Sie sind am Ende eßbar?«

Magister Pankratius Plötzlich erblaßte. Er wurde hellgrün im Gesicht, während er sonst dunkelgrün war. Jetzt legte er die Fühler nach vorne, es sah abwehrend aus.

»Los!« schrie Peter Plüsch, und Plüschs fuhren alle zusammen auf den knusprigen Magister los. Magister Pankratius Plötzlich aber sprang mit einem gewaltigen Satz über Peter Plüsch, Frau Plüsch und die kleinen Plüschs weg, so daß Plüschs nichts mehr von ihm sahen, sondern mit den Nasen zusammenstießen.

Peter Plüsch war wütend und zischte etwas, was unmanierlich klang. Die Sache war ihm peinlich, Pauline und den Kindern gegenüber, und er ärgerte sich sehr.

»Papa, wo ist der Magister geblieben?« fragten die kleinen Plüschs.

»Er ist in der Erde verschwunden, wo kann man sonst verschwinden als in der Erde?« sagte Frau Plüsch und sah den Gatten ratlos an, »was sollen wir tun?«

»Wühlen!« sagte Peter Plüsch, und Plüschs wühlten sich tief in die Erde hinein.

»Schnelligkeit ist doch die Hauptsache im Leben, das habe ich immer gesagt«, sagte die Schnecke Patientia Eilig, die auf einem Mauerrand klebte, »wäre ich jetzt nicht so schnell fortgeeilt wie der Magister, hätte Peter Plüsch mich am Ende auch noch gefressen.«

Und sie schob sich zufrieden um einen ganzen Millimeter weiter. Nur dachte sie nicht daran, daß Peter Plüsch sie gar nicht gesehen hatte.

Es war Nacht geworden, und Plüschs wühlten immer noch. Sie suchten nach dem Sachverständigen für Wiesenkunde, Magister Pankratius Plötzlich.

»Es gibt so viele, die in der Erde wühlen nach dem, was über der Erde ist«, sagte die Kröte Sibylle Warzenreich; denn die Kröten sind sehr weisheitsvoll, und Frau Warzenreich war eine besonders erfahrene alte Dame. »Das Wühlen nützt gar nichts, Herr Peter Plüsch, es sind zwei Reiche, eines in der Erde und eines über der Erde – und vielleicht sind es noch viel, viel mehr.«

Sibylle Warzenreich seufzte und sah nach oben. Die Sterne gingen über ihr auf.


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