Isolde Kurz
Singende Flamme
Isolde Kurz

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Deutsche Gespenster

          Mich trug ein Traum zurück zum Neckartale,
Im Nebel lag die altersgraue Stadt,
Wo jeder Stein mir zum Gedächtnismale,
Zur Rune ward auf meinem Lebensblatt.

Der Feste dunkle Zinnen sah ich ragen,
Das Storchennest auf hohem Rathausdach.
Das Rößlein wiehert, das mich oft getragen,
Und ruft die Geister meiner Jugend wach.

Fern grüßt ein Berg, ein Kirchlein krönt den Gipfel,
Und überm Strombett bebt der schwanke Steg,
Die Linden heben die beschneiten Wipfel,
Und scheinlos zieht der Mond den Wolkenweg.

Musik ertönt, welch hastig buntes Regen!
Die glatte Fläche schimmert kalt und weiß,
Bekannte Augen winken mir entgegen,
Und unterm blanken Stahlschuh knirscht das Eis.

Vorbei! Vorbei! Ich kann die Hand nicht fassen,
Ein Nebelschleier schiebt sich wallend vor,
Ein dunkler Steg, ein Kreuzweg öd, verlassen,
Und einsam steh' ich vor dem Friedhoftor.

Ich muß die Stirn ans Eisengitter lehnen,
Die Kniee sinken auf den kalten Stein,
Und übermächtig quellen meine Tränen –
Da weckte mich italischer Sonnenschein.

 


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