Isolde Kurz
Die Nacht im Teppichsaal
Isolde Kurz

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VI
Das brennende Herz

Et quid volo nisi ut ardeat

– Sie haben dir zugesetzt, ich hab es wohl gesehen, sprach eine Stimme von seltenem Wohllaut in den Morgenschlaf des Wanderers. – Aber ich war dir nahe und stärkte dich durch mein Gebet, sonst wärst du ihrer nicht Herr geworden. Und deine Ione lag mit auf den Knien für dich.

Ione? dachte er. So hat sie also doch gelebt?

Ob sie gelebt hat oder erst künftig leben wird, das ist vor dem Thron der Ewigkeit nicht das Wesentliche. Du kannst keine Gestalt erdenken, die nicht Gott zuvor gedacht hat, erwiderte die Stimme.

Wer bist du, holder Morgentraum, der zu mir spricht?

Zerreiße den Schleier vollends ganz und öffne die Augen, so wirst du mich erblicken.

Er richtete sich auf und schüttelte den Rest des Schlafes von sich. Es war nicht das erstemal, daß Stimmen beim Erwachen zu ihm sprachen, die aus seinem eigenen Inneren tönten.

Ich bin hier, du hast mich zuvor schon gesehen, aber nicht in dein Bewußtsein aufgenommen, schien es noch zu sagen.

Er sah sich um, im Zimmer war es helle, die ersten Strahlen der noch nicht sichtbaren Sonne stachen wie goldene Spieße hinter den Höhen hervor. Die Teppiche an den Wänden empfingen durch sie kein Leben mehr. Sie waren in der Tat recht schäbig und verstaubt und rechtfertigten die Klage des alten Gärtners über ihre Verkommenheit. Die ungleichen Größenmaße verrieten, daß die Sammlung einmal von den früheren Besitzern zu irgendeiner 114 festlichen Gelegenheit vorübergehend hier aufgehängt worden war; dann hatte man versäumt, sie wieder zusammenzurollen und mitzunehmen, und hatte damit einen wertvollen Besitz zugrunde gehen lassen.

Die an der Nordwand, die besonders verblaßt waren, hatten in ihrer Unbehilflichkeit etwas Rührendes, wenn sie auch die nächtliche Phantasmagorie nicht mehr heraufzubeschwören vermochten, mit Ausnahme des Francescazyklus, der eine meisterliche Hand verriet. Dagegen ließen ihn die besser erhaltenen an der Südwand völlig kalt, er begriff die Erregung nicht mehr, in die sie ihn versetzt hatten. Ihre Figuren erschienen ihm jetzt aufdringlich und verzeichnet, die Farben hart, ihre ganze Dämonie hatte im Sonnenaufgang die Kraft verloren. Seine Ione, wo war sie? Nicht mehr herauszufinden. In dem verlorenen Profil eines jungen Ehrenfräuleins meinte er eine schwache Spur von ihr zu erkennen. Aber wie ferne von der erlebten Gestalt. Nein, Ione war aus ihm selbst geboren, sie hatte nur in seinem Herzen gelebt.

Ganz an die Ecke der Fensterwand herangerückt und teilweise durch einen darunter aufgestellten niederen Zierschrank verdeckt, kam jetzt noch ein Teppichbild zum Vorschein: ein junges Weib mit nackten Schultern und Armen von der sinnlichen Schönheit venezianischer Renaissancefrauen, einen Kranz von Lorbeer im dunklen Haar. Sie neigt sich über einen bekränzten Altar, worauf in einer Schale ein menschliches Herz, das ihre, brennt, und gießt aus einem Fläschchen Öl zu. Auf dem Altar standen die lateinischen Worte: Et quid volo nisi ut ardeat. Links davon an einem blitzgespaltenen Lorbeerbaum lehnte eine Laute mit goldfarbenem Band. Im Hintergrund wurden die goldschimmernden Kuppeln von San Marco sichtbar mit einem Streifen Wassers dahinter und in noch fernerer Ferne zur Rechten auf einer sanft 115 geschwungenen Anhöhe thronten die Zinnen eines Feudal-Schlosses.

Peregrinus staunte., er fuhr sich über die Augen: Bist du es, Gaspara Stampa, holde Nachtigall, die sich zu Tode sang? Unglücklichste aller Dichterinnen und Liebenden! Kann es sein, daß ich, frisch von der Lagunenstadt kommend, wo ich deiner gedachte und umsonst nach einer Spur deines kurzen, meteorgleichen Daseins fragte, dir hier oben in der weltabgelegenen Einsamkeit begegne. – Bist du es wirklich, Schlechtbelohnte, die ihrem undankbaren Geliebten für alle Kränkung, die ihr widerfuhr, die Unvergänglichkeit gab? Denn was wüßte die Nachwelt von einem Grafen Collaltino von Collalto, der einmal unter der vornehmen Jugend Venedigs als Löwe geglänzt hat, ohne den frisch gebliebenen Kranz deiner Sonette, womit du das Haupt des Liebelosen schmücktest! Wahrlich, königlicher als ein Pharao in seiner Pyramide liegt dieser herzensarme Graf im Buch deiner Lieder eingebettet und herübergerettet in einen Nachruhm, an den er ohne dich keinen Anspruch hätte.

Ja, du bist es, Gaspara. Die Wahrzeichen Venedigs im Hintergrund nennen den Ort deines Glücks und deiner Qual – und hier das Ziel deiner wehen Sehnsucht, das Stammschloß deines allzuhochgeborenen Geliebten, in dem du niemals hoffen durftest als Herrin zu wohnen. Denn niemals wird einer großen Liebenden zuteil, was nur den kühlen Herzen vorbehalten ist: durch die Liebe zu weltlicher Größe aufzusteigen. Und siehe, damit kein Zweifel bleibe, steht hier nicht der Name Anassilla, eingewirkt in das Goldband deiner Leier, dein Schäfername, den du nach dem lateinischen Namen des Flusses wähltest, der das Schloß der Collalto umspült, damit der Name dir Zeichen sei deiner gewollten Hörigkeit.

Ja, du bist es, williges Opfer der Leidenschaft. Du 116 schenktest mit deiner Dichtung einem überreichen, aber in öder Ichsucht frierenden Jahrhundert die Schmerzen der Liebe als ihren schöneren Teil zurück. Mitten durch den grellen Chorus der ichbefangenen, ichtrunkenen Mitwelt stieg aus deiner Kehle wie Nachtigallenschluchzen das ewige Du des liebenden Weibes.

Anassilla, wie kam es, daß du mir immer im Sinne lagst, wenn ich die Tauben von San Marco fütterte? Wenn so ein schlankes sanftgurrendes Tierchen von seinem gewalttätigen Tyrannen, einem mächtig großen bösartigen Täuberich, begleitet oder verfolgt war, der ihm den Gang vorschrieb, es von den fetten Körnern wegdrängte und es eifersüchtig in der Runde trieb, da dachte ich, ob wohl die Seele der liebenden und alles duldenden Gasparina in einem dieser fügsamen Geschöpfe verkörpert sei und noch immer den Launen ihres ungütigen Gebieters diene.

Du dachtest richtig, fremder Wanderer, daß ich ihm weiter diene, wenn auch nicht im Federkleid eines Täubchens, antwortete es aus dem Bilde. Mein Herr, der Collaltino –.

Du nennst ihn noch immer deinen Herrn?

Meine Dichtung, die meine Liebe war, hat ihn mir zum Herrn gesetzt für alle Ewigkeit. Denn was wäre die Ewigkeit ohne die Liebe.

Gaspara, darf ein später Bewunderer deiner Dichtkunst dich fragen, wie diese Liebe begann, deren Allgewalt und Allduldsamkeit über jedes für uns Heutige faßbare Maß hinausgeht?

Meine Liebe, du fremder Mann, hat niemals begonnen. Sie war, bevor ich wurde, denn als ich die Stelle betrat, wo ich dem Collaltino begegnen mußte, da flammte sie auf wie ein zuvor gelegter Brand. Vielleicht wirst du zu diesem Worte den Kopf schütteln. Aber frage die Größten, die von Liebe sangen, sie werden dir vielleicht eine Jahreszahl, einen Tag, eine Stunde nennen, aber von dem 117 Ursprung ihrer Liebe haben sie damit nichts gesagt. Denn die Liebe ist früher als ihr irdischer Gegenstand, den sie schon von drüben her kennt. Sie wartet darauf, daß er in ihren Lichtkreis trete, um ihn zu fassen und für immer zu halten. So habe ich den Grafen geliebt, bevor ich ihn kannte. Als ich ihn zum erstenmal nennen hörte, bebte mein Herz beim Klang seines Namens, als ob er mir etwas ganz Besonderes zu sagen hätte. Und es bebte, als ich die Auszeichnung, die kriegerische und dichterische, vernahm, die sich daran knüpfte. Gleichzeitig beschäftigte meine Einbildungskraft eine Gestalt, der ich wiederholt auf den abendlichen Spaziergängen an der Riviera begegnet war, die adligste Männergestalt in dem glanzverwöhnten, durch das Zusammenströmen so vieler hervorragender Fremder begünstigten damaligen Venedig. Durch die gebräunte Hautfarbe und die soldatisch-ritterliche Haltung, fiel er unter unsern weichlicheren Venezianern von weitem auf. Und ich merkte, daß auch er mich in dem flutenden Getriebe geschmückter Menschen bemerkt hatte. Wie ward mir aber, als ich entdeckte, daß Name und Gestalt dem Gleichen angehörten, daß der Schöne, dessen Anblick mich bezauberte, eben dieser Collaltino di Collalto war, von dem sie so viel Rühmliches erzählten. Da kniete ich im Überschwang des Entzückens nieder und dankte dem Herrn des Himmels für seine Güte, daß er die Erde mit einem solchen Wunderbild geschmückt habe.

Bei einer der vielen geselligen Zusammenkünfte, wo Adel der Geburt und Adel des Geistes sich ebenbürtig begrüßten, fand unsere erste Begegnung statt. Ich war einer Ohnmacht nahe, als er hereintrat und ich sogleich fühlte, daß seine Augen mich suchten, und ich fand kein Wort, seine Anrede zu erwidern. Ich mühte mich nicht, meine Bewegung zu verbergen, ich hätte es gar nicht gekonnt, 118 sie sprach übermächtig aus der wechselnden Farbe meiner Wangen. An jenem Abend ging der Graf nicht von meiner Seite. Allen fiel es auf, wie er mich auszeichnete. Man nötigte mich zu singen, er selber war's, der zuerst diesen Wunsch äußerte. Ich setzte bebend an, ich fürchtete, daß mir die Stimme versage. Aber der Genius der Liebe stand mir bei und ließ mich Töne finden, wie noch keine aus meiner Brust gekommen waren; das Klopfen meines Herzens machte sie nur ausdrucksvoller. Ach, der Todesschlaf konnte kein Vergessen zwischen mich und jene Stunde schieben! Ein jubelnder Beifall brach aus, als ich geendigt hatte; man steckte mir Lorbeerreiser in die Haare. Ich war berauscht von Wonne, denn mir schien, als müßten diese Huldigungen mich in seinen Augen schöner machen. Über allen Frauen der Erde Madonna Gaspara! sagte der Graf, und seine Augen sagten noch mehr. Sie sagten, daß er mich liebe. Mein guter fremder Mann, der mir diese Beichte abnimmt, vielleicht bist du von denen, die mich schelten, daß ich so schnell, so ganz bedingungslos die Seine ward. Aber sollte ich mich selbst bestehlen, indem ich seinem Werben Nein sagte? Und welche Bedingungen hatte ich zu stellen, ich Arme, ihm, dem Einzigen? – Die Liebe stellt keine, sie fordert nicht, sie sucht nicht das ihre. Ich hatte nur zu geben, mich selbst und mein Gedicht und alles was mein war. Und zu danken hatte ich, endlos zu danken, daß er das Geschenk annahm. Denn was wäre ich ohne ihn gewesen und ohne das Leid, das er mir brachte? Nur eine klingende Schelle ohne Herzenston, ohne Naturlaut wie die anderen Liebesdichter und Dichterinnen meiner Zeit.

Es war ja nicht sein weltlicher Rang, was mich mit einer Liebesdemut zu ihm aufschauen ließ, die euch Kindern einer anderen Welt als sklavisch erscheint, es war seine männliche Vollkommenheit. Denn das Seltenste, was der 119 Natur gelingt, ist ein Mann nach dem Herzen Gottes. Hier war einer, in dem alle Vorzüge des Geistes und des Leibes beisammen lagen. Wie fühlte ich mich arm und leer und in meiner gepriesenen Schönheit klein und schwarz und häßlich mit ihm verglichen. Denn mein Liebster trat hoch einher, über seiner adligen Stirn krauste sich das blonde Haar, sein Auge war voll Kühnheit und zugleich milde. In ihm paarte sich die stolze Kraft des Nordens, aus dem sein Geschlecht stammte, mit der berückenden Anmut des Südens. Glaube nicht, du fremder Mann, daß ich noch wie ein verliebtes Mädchen schwärme. Alle, Männer und Frauen, sahen ihn so, wie ich ihn sah. Ihn feierten die Großen der Feder und die des Degens, alle suchten sie seine Nähe, denn um ihn war Leben und Bewegung. Mit seinen Gaben, seinen Mitteln schaffte er sich allenthalben Freunde, Verehrer, Ruhm. Und die Frauen! Davon laß mich schweigen, genug hab ich davon gelitten!

Warum den Hohen schelten, daß er mehr war als ich und mich zerbrechen durfte, als er meiner Ergebenheit müde war? Gott hatte es ihm gegeben, daß er oben stand und ich unten.

Du schüttelst den Kopf und sagst, das Rangverhältnis sei ein ganz anderes gewesen. Lassen wir das gut sein, ich empfand es so. Darf Liebe nicht ihren Gegenstand erheben bis über die Sterne hinauf? Ihr Gegenstand ist nicht der irdische Mensch, es ist sein ewiges Urbild, das sie in jenem erblickt. So liebte, so erhob ich den Collaltino.

Wenn es hinter mir flüsterte: Das ist die Geliebte des Collaltin, so sprang mein Herz hoch auf vor Stolz, denn welch höheren Ehrentitel konnte es für mich geben, mochten sie es auch anders meinen. Eine Gemahlin wird oft 120 aus weltlichen Rücksichten gewählt, die Geliebte trägt die Krone, sie wird geliebt.

Laß mich noch in den besonnten Erinnerungen weiter suchen. Bald nach jener ersten Begegnung lud er mich samt dem näheren Freundeskreis, in dem er mich kennengelernt hatte, auf sein Schloß an der Piave. Ich wußte, die Einladung galt nur mir, die andern wußten es auch. Sie waren gefällig und zerstreuten sich oft in dem weiten Park, wir beide blieben allein unter den Bäumen auf der Wiese. Damals sprach er mir zum erstenmal von Liebe. In ein Lorbeerstämmchen schnitt er meinen Namen Anassilla ein. Wurde die süße Zwiesprache von Mund zu Mund gestört, so setzte sie sich in Sonetten fort, sie strömten uns beiden, denn auch er war Dichter und war bestrebt, mich zu feiern und zu erheben. Für die ganze Dauer meiner Erdenfahrt stand das Schloß am rauschenden Bergstrom, das den geliebtesten aller Menschen beherbergte, als nie wieder erreichtes Wunschziel vor den Augen meines Geistes.

Und du hast nie gehofft, als Herrin dort zu wohnen?

Wenn mir in einer schwachen Stunde vielleicht einmal solche Lockungen vorschwebten, so war es kein Rechnen mit der Wirklichkeit, sondern ein liebes Spiel der Einbildungskraft. Mein höheres, mein unbewußtes Ich, das durch den Mund meiner Dichtung sprach, hat es ja immer anders gekannt und anders gewollt. Das weiß ich jetzt erst mit voller Klarheit. Es wollte den Collaltino nicht für die kurze Lebensspanne, es wollte ihn für alle Zeiten. Es wollte ihn hereinziehen, ihn einspinnen in das unzerreißliche Gespinst meiner Liebeslieder. Und wie sich auch mein Leibliches aufbäumte mit den glücksdurstigen Sinnen, jene unfaßbare Macht, die doch ich selber war, wollte es anders. Sie ließ mich alle die Mißgriffe begehen, die mit dem Übermaß des Gefühls – Angst, Argwohn, 121 Eifersucht – das immerwährende Feuer meiner Dichtung nährten, aber seine Liebe vorzeitig abkühlten. Collaltino war ein Kind der Welt. Er lebte auf der Erde mit ihrem Gesetz der Anziehung und Abstoßung. Ich lebte im Himmel und in der Hölle der Poesie. Ich lernte nicht das berechnete Liebesspiel des abwechselnd gelockerten und angespannten Fadens. Ich wollte nur immer lieben, immer geliebt sein. Ich fühlte ja wohl den Fehler, den ich beging, und daß er mit diesem Sturmlauf der Leidenschaft nicht Schritt halten konnte. Ach, es waren die Fehler der echten Liebe, die sich nicht künstlich betragen kann. Ich mußte sein, wie ich war, ich konnte nicht anders.

Ja, Gasparina, der Dichter – denn auch ich bin einer – versteht, daß sich das Dichterherz die Schmerzen der Liebe zuziehen muß, die noch schöner sind als ihre Freuden, mag auch der irdische Leib daran zugrunde gehen. Dein Genius, der auch dein Dämon war, hat es so gefügt. Er ließ dich die Fehler begehen, die deinem Glück verhängnisvoll waren, weil er dir ein höheres aufbewahrte. Hätte Collaltino dich zur Edeldame und zur Schloßherrin von Collalto gemacht, so wäre dein Ruhm verblaßt und dein Lorbeer wäre verwelkt. Ein dauernderer Schmuck war dir zugedacht und er ist dir geworden.

Dennoch, Freund Peregrinus, hat diese törichte Gaspara durch zwei volle Jahre – Jahre des Glücks und der steten Furcht, es zu verlieren – den liebenswertesten und flatterhaftesten aller Sterblichen ungeteilt besessen. Und wenn er mich auch grausam quälte durch seine Launen, es kamen doch die Tage der reuigen Rückkehr, es kamen die Zaubernächte, wo ich, ungesehen an seine Schulter geschmiegt, mich über die verliebten Toren lustig machte, die aus den Gondeln zu mir heraufsangen und schmachteten. Ich glaubte auf die ganze Welt heruntersehen zu dürfen, wenn ich meinen Collaltino im Arme hielt. Es war 122 grausam von mir, und der Gott der Liebe hat mich grausam dafür geschlagen. Du weißt, wie er dann zu König Heinrich II. nach Frankreich zog, um Kriegsruhm zu erwerben, und mich als eine im Leid Vergehende zurückließ. Wie er nie eine Zeile schrieb, auf keine Bitten, keine Klagen Antwort gab. Wie ich in flehenden Sonetten seinen Bruder Vinciguerra anrief, daß er mir sein Erbarmen zuwende, und wie auch die Fürbitte des Edlen für die arme Anassilla vergeblich blieb. Wie er endlich zurückkam und nach einer kurzen, launenhaften Wiederannäherung mich auf immer verließ. Du weißt es, denn es ist der Inhalt meiner Lieder. O, es sei nicht davon die Rede, um ihn anzuklagen, denn ich habe dir schon gesagt, er ist mein Herr für immer.

Und doch sagen sie, du habest ein zweitesmal und ebenso feurig geliebt, deine Strophen selber gestehen es. Belehre mich, wie auf eine solche Liebe eine zweite folgen kann. Hat nicht die erste dein ganzes Herz zur Schlacke gebrannt? Und wenn es so war, daß du noch einmal liebtest, so sage mir, wenn das zu fragen erlaubt ist, welche Liebe stärker war, die erste oder die zweite.

Diesmal, mein lieber Wanderer, zielt deine Frage nicht ins Schwarze. Es gibt keine erste und zweite Liebe, denn alle Liebe ist uranfänglich und eine. Wenn das Werben eines andern die verglimmenden Kohlen meines Lebens und meiner Lieder wieder anblies, daß sie neu auf flammten, so war es doch ein und derselbe Brand. In Bartholomeo Zen fuhr ich fort Collaltino di Collalto zu lieben. Meine zweite Liebe hielt die erste noch als Leiche im Arm und hörte nicht auf sie mit Tränen zu begießen. Immer wieder stieg mir die Gestalt des Collaltino als Phönix aus der Asche und füllte aufs neue meine Dichtung. Welcher neue Werber hätte das ertragen! Ich konnte ja nicht unwahr sein, meine Dichtung konnte es nicht, denn die 123 Dichtung ist von der Wahrheit unzertrennlich. So zerrann mir auch die zweite Liebe wie ein Schemen im Arm. Ich blieb bis zum Ende allein, und ich starb in der Blüte mit dem Namen des Collaltino auf den Lippen.

Arme Gaspara. Aber von dem Nachspiel schweigst du, dem rührenden, niedagewesenen? Ich meine die späte Sühne, die dir aus dem Hause Collalto selber kam.

Wovon sprichst du?

Von der unerhörten Fügung, daß dir in einem Ururenkel des ungetreuen Collaltino ein neuer edlerer Liebender geboren wurde, der gleichfalls den Namen eines Grafen Collalto trug. Zweihundert Jahre waren über dein Grab gegangen, das keiner mehr kannte. Dein Name war fast verweht, deine Lieder verschollen. Das Heft deiner Sonette – du hattest sie dem Fühllosen als Ganzes nachgesandt, weil ihn die einzelnen Tropfen deines Herzbluts nicht rührten, ob vielleicht der volle Strom sein Herz noch erreiche und dir gütig stimme, – dieses Heft lag vergessen und vergilbt in dem gräflichen Archiv. Da fand es Graf Rambaldo und trug Sorge, daß die Sonette erneut in würdiger Gestalt vor die Öffentlichkeit träten. Er pflanzte dich im Herzen deines Volkes wieder an. Aber das war nicht alles. Der Funke, der aus deinem unlöschbaren Vulkan auf ihn übersprang, entzündete auch in ihm die Flamme der Dichtung, daß er, nur mit schwächerer Kunst, von Gaspara Stampa singen mußte wie du von Collaltin. Als Hirt Udasco feierte er die Hirtin Anassilla. Alles war ihm heilig und teuer, was von dir zeugte. Er suchte weit umher nach einem Bildnis von dir. Die Nymphen der Piave, die sich noch erinnern mußten, fragte er nach der Schönheit deiner leiblichen Gestalt. Er fragte die hohen Schatten, wie sie drunten die Dichterin empfangen hätten. Er klagte das Schicksal an, daß es zwei Jahrhunderte zwischen dich und ihn geschoben, denn er, nicht sein 124 kaltherziger Vorfahr hätte müssen der dir zugedachte Collalto sein. Nicht um seinen Waffenruhm noch um die höfischen Ehren, die jener sich erworben, beneidete ihn der Enkel, sondern einzig um die Lieder der Anassilla. Und er stellte sich ritterlich vor dich, um den Schmutz posthumer Verlästerung von dir abzuwehren.

Ja, so war es, antwortete das Bild. Das alles tat der edle Rambaldo für mich. Ich danke dir, Wanderer, daß du mich erinnert hast. Er war es, der mein Angesicht in Kupfer stechen, in Seide wirken ließ, auch was du vor dir siehst, entsprang einem Auftrag seiner großmütigen Güte. Aber glaube du nicht, dieses rundliche Jugendantlitz sei das der Märtyrerin der Liebe. Sie sah anders aus, als ihr unter dem frühen Lorbeer die Dornen wuchsen, die ihre Schläfen zerfleischten.

Vernimm noch eins, Gaspara oder Anassilla, wie du genannt sein willst. Aber lieber nenne ich dich Gaspara, denn dein Tändelname will sich mir zu dem tödlichen Ernst deines Liebens nicht schicken: Noch einmal und ein halbes Mal drehte das Jahrhundert seine Speichen, da kam über die Alpen ein deutscher Dichter. Auch ihn ergriff dein Lodern, er verstand dich, wie du verbrennend lebtest und nichts wolltest als brennen, er fühlte in dir die südliche Schwester unsres nordischen Werthers. Er nahm deine Lieder an sein großes Herz und machte deinen Namen hell bei einem andern Volk, indem er dich als Sinnbild aufstellte unter den großen Liebenden aller Zeiten.

Hab nochmals Dank, gütiger Wanderer. Du nanntest mich die Unglücklichste aller Liebenden und aller Dichterinnen. Gestehe jetzt, daß ich die Glücklichste bin.

Ich glaube, Gaspara, daß du recht hast.

Es wurde stille im Raum. Gleich darauf schlug der Hund des Gärtners ganz leise an, aber er blieb schwanzwedelnd 125 liegen, als eine gewandte, sehnige Gestalt vorsichtig an der Außenmauer der Villa herabglitt und sich rasch über die niedrige Steinbrüstung schwang, die den Park nach der steil abfallenden Talseite abschloß.

Beim hellen Morgenschein wunderte sich der Gärtner, daß sein Gast, in dem er einen von den Frühen erwartet hatte, noch nicht erschienen war. Er klopfte an die Tür des Teppichsaals, um sich zu erkundigen, wie er geschlafen habe. Aber er traute seinen Augen nicht, als er den Raum leer und nirgends mehr eine Spur des Fremden fand. Nur auf dem Tischchen zwischen den zwei geleerten Karaffen lag ein Silberstück, dessen Beträchtlichkeit in dem alten Mann die Vorstellung erweckte, der geheimnisvolle Geber müsse trotz seines bescheidenen Auftretens doch so etwas wie ein verkappt reisender Fürst oder gar eine Art von Zauberer gewesen sein.

 


 


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