Isolde Kurz
Die Nacht im Teppichsaal
Isolde Kurz

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IV
Die Verdammten

Der Abendhimmel ist unterdessen verglommen, nur noch ein paar durchglühte Wölkchen ziehen einzeln darüber, und die Sterne dringen allenthalben hervor. Im Zimmer beginnt es leise zu dämmern, es ist Zeit, die dicke Wachskerze zu entzünden. Denn ein breiter Teppich, durch Zierleisten in drei Felder geteilt, ist noch an der Nordwand übrig, er vollendet ihren Schmuckbehang nach dem östlichen Fenster zu. Das Mittelstück zieht zuerst die Augen an. Wer kennte sie nicht auf den ersten Blick, die zwei Schönen, Unseligen, an denen ein Buch zum Kuppler ward und die ihre ehebrecherische Liebe durch alle Ewigkeit im Inferno büßen? Sie sitzt auf ihrem Ruhebett, er ist auf die Knie herabgeglitten und hält die ihren umfaßt, sie beugt sich nieder, daß ihre Häupter sich im fiebernden Verlangen berühren. Zu Boden gerollt ist das Buch, in dem sie jenes Tags nicht weiter lasen; eine kleine Flamme züngelt heraus. Im Hintergrund, kaum erkenntlich zwischen den Vorhangfalten, lugt das Gesicht eines Spähers hervor.

Aber wie das erste Feld erklären? Die feierliche Vermählungsszene unter Gottes Himmel? Dasselbe Paar, das auf der tränenvollen Höhe seines Lebens durch sträfliche Leidenschaft das zeitliche und ewige Gericht auf sich herunterzieht, im Beginn von Priesterhand zusammengegeben, bevor sie sich im Ehebruch vereinigen! Francesca da Polenta, Paolo Malatesta als Vermählte im festlichen Kreis zweier Hofstaaten! Oder nicht? Was bedeutet es, daß der Bräutigam wie in tiefer Scham vor der Braut die Augen senkt? Und noch eine Seltsamkeit entdeckt das forschende Auge. Die Herren von Rimini, die 49 dem Bräutigam gefolgt sind, haben alle eine zu hohe Schulter und sind überhaupt ausnehmend häßlich. Nur der Bräutigam ist schön wie ein Cherub, aber ein trauernder. Am Ende ist er gar nicht der Bräutigam?

Das göttliche Gedicht kennt nur die Schuld der Liebe und die unerbittlich strafende Gerechtigkeit. Von dem verruchten Betrug, den zwei edle Familien an einem ahnungslosen jungen Weibe begangen haben, spricht der Dichter nicht, der als heimatloser Gast an dem Hof eines späteren Polenta weilte. Das feine Ohr des Wanderers vernimmt gleichwohl unter dem übertönenden Erzklang seiner Terzinen hervor das ferne Raunen einer halbverlorenen Überlieferung. Messer Guido da Polenta, der Alte genannt, Herrscher von Ravenna, und Herr Malatesta, der in Rimini und Pesaro gebot, lebten in langer blutiger Fehde, die beide Teile in großen Schaden brachte und die, so oft sie auch durch wohlwollende Dritte vertragen wurde, immer neu aufflammte, weil der beiderseitige Anhang keine Ruhe gab. Der von Rimini befand sich insofern im Vorteil, als er zwei treffliche Söhne besaß, wovon der Älteste ein Mensch von großer Tapferkeit und zu allen Staatsgeschäften wohl befähigt war, weshalb der Vater ihn zur Nachfolge in der Regierung bestimmt hatte. Allein dieser Unglückliche war von der Natur durch einen Buckel und eine lahme Hüfte gezeichnet, und der Unmut über diese Mißgestalt machte sein von Hause aus düsteres und abstoßendes Gesicht noch häßlicher. Er hieß Gianni, aber mit der Mitleidslosigkeit früherer Jahrhunderte nannten sie ihn im ganzen Land und nicht minder in der eigenen Familie nur den Gianciotto, was in dortiger Redeweise so viel wie der »Hinkehans« bedeutete. Das Volk zitterte vor dem Augenblick, wo der alte, seit längerer Zeit kränkelnde Malatesta, der auch kein Engel war, aber doch wenigstens kein Unrecht 50 der Natur an den Glücklicheren zu rächen hatte, die Augen schließen würde, denn Gianciotto hatte das Zeug zum Tyrannen. Wer von den Herren des Hofes sich bei dem künftigen Herrscher einschmeicheln und seine Bitterkeit in etwas mildern wollte, der ließ sich vom Schneider eine Schulter höher wattieren als die andere, damit der unglückliche Thronerbe nicht als der einzige so Entstellte erschiene. Dies hinderte nicht, daß ihm die adlige Schönheit seines jüngeren Bruders Paolo grimmig am Herzen fraß, der zu seinem völligen Widerspiel geschaffen war. Denn dieser brauchte sich nur zu zeigen, so war ihm jedes Herz gewogen, eine sorglose Freude ging von ihm aus, die alle gern in seiner Nähe weilen ließ und die seinem bloßen Hereintreten schon etwas Festliches gab. Da solchen Schoßkindern der Natur alles wie von selbst zu gelingen pflegt, schickte ihn der Vater trotz seiner Jugend gern auf schwierige Gesandtschaften, wo des Jünglings einschmeichelnde Persönlichkeit mehr zu erreichen pflegte als die gelehrte und spitzfindige Redekunst seiner staatskundigen Berater. Damit entfernte er ihn zugleich aus dem Bannkreis von Mißgunst und Argwohn, den die unselige Anlage des Älteren um die Glücksnatur des Jüngeren zog.

Im Hause Da Polenta wuchs neben einem noch minderjährigen Knaben nur eine Tochter, Francesca, ein Mädchen von überstrahlender Schönheit heran. Von jeher hatten die Töchter der Polenta für schön gegolten, aber diese war von dem Stoff, aus dem man Königinnen macht. Landauf, landab nannte man sie den Stern von Ravenna, und es war ein allgemeines Fragen und Raunen, wem wohl der alte Polenta dieses unschätzbare Kleinod zugedacht habe. Eines Tages kam ein landfahrender Gaukler und Quacksalber an den Hof, der sich durch Schönheitswasser und wohlriechende Salben den Frauen empfahl und die 51 Männer durch an fremden Höfen aufgelesene Geschichten und Anekdoten angenehm und lehrreich zu unterhalten wußte. Denn in einem Jahrhundert, wo es noch keine Zeitungen gab und wo auch noch keine Bücher durch den Druck verbreitet wurden, war ein solcher freiwilliger Nachrichtendienst für alle, die mit öffentlichen Angelegenheiten zu tun hatten, ein nicht hoch genug anzuschlagender Vorteil. Der Herrin des Hauses erzählte er von den jüngsten Verlobungen und bemerkte einmal bei solcher Gelegenheit:

Es wird Euch schwer fallen, edle Frau, für Eure Tochter einen Gatten ausfindig zu machen, der ihr an Wert und Schönheit ebenbürtig sei. Es wäre denn, Euer hoher Gemahl entschlösse sich, unter das Vergangene einen Strich zu machen und Madonna Francesca dem Sohn und Nachfolger Eures großen Widersachers in Rimini zu geben, den man was Schönheit, edlen Anstand und jede fürstliche Tugend anlangt, ein ebensolches Wunder nennen kann wie Madonna Francesca. Könnten diese beiden sich verbinden, so würde die Sonne das Vollkommenste beisammen sehen, was ihr auf ihrem Lauf in Hunderten von Jahren begegnen könnte.

Der Fahrende hatte in den wenigen Tagen, die er ehedem einmal in Rimini verbrachte, nur den Zweitgeborenen des alten Malatesta gesehen und ihn, dem die jüngere höfische Jugend feurige Gefolgschaft leistete, für den Erben und künftigen Gebieter gehalten, während Gianciotto, seiner düsteren und traurigen Gemütsart entsprechend, die Zeit beim Weidwerk verbrachte. Die Herrin von Ravenna wußte über die Familienverhältnisse der Malatesta nicht Bescheid, und die Vorstellung, daß jener schöne und liebenswerte Jüngling mit Namen Paolo der Erbe dieser großen Herrschaft sei, begann in ihrer Einbildung zu arbeiten und ihr das schönste Paar auf dem Herrschersitz 52 von Rimini zu zeigen, nachdem durch ein glückliches Familienband aller Not ein Ende gemacht und ein fester Friede zwischen den zwei streitenden Herrscherhäusern hergestellt wäre.

Als ihr zum erstenmal ihrem Gatten gegenüber ein Wort in dieser Hinsicht entfuhr, sah er sie an, ob sie wohl irre rede, denn daß bei einer fürstlichen Gattenwahl die Schönheit des Tochtermannes in Betracht kommen könne, war ein Gedanke, wie er außer von dem Hirn eines Gauklers nur von dem einer Frau gefaßt werden konnte. Dennoch war an dem Vorschlag ein guter Kern, der sich vielleicht nutzen ließ, nur brauchte die Frau das vorerst nicht zu wissen, denn wenn ein Weiberkopf einen guten Gedanken ausheckt, ist es immer besser, ihn zunächst nicht gelten zu lassen, damit sie nicht eingebildet wird, – so dachte der Herr von Ravenna. Messer Guido wußte sehr genau, wo der Rechnungsfehler seiner Gattin lag und daß nicht der strahlende, von allen geliebte Paolo, sondern ein menschenfeindlicher Krüppel der Nachfolger des alten Malatesta war. Nur um diesen aber konnte sich's bei einer politischen Heirat handeln, weil allein der künftige Herrscher als Eidam einen sicheren Frieden und Hilfeleistung in allen Fährnissen verbürgte. Diese Erwägung behielt er jedoch für sich, denn Messer Guido gehörte zu jenen ganz hinterhältigen Naturen, die der Wahrheit auch da aus dem Wege gehen, wo sich noch gar nicht absehen läßt, was etwa die Heimlichkeit für Vorteile bringen könnte.

Nun fügte es der Zufall, der bisweilen wie planmäßig eine zu stiftende Verknüpfung, sei sie gut oder böse, an zwei entlegenen Enden gleichzeitig in Angriff nimmt, daß ein wohlgesinnter Nachbarfürst, beiden kriegführenden Häusern befreundet aber keinem pflichtig, bei einem Besuch in Rimini ganz absichtslos der herrlichen Tochter des Polenta gedachte. Gianciotto horchte hoch auf; er war 53 unbeweibt und hatte gedacht, es zu bleiben. Denn er traute keiner Frau zu, einem Krüppel wie ihm das Ehegelübde zu halten, und die bloße Vorstellung, einmal einen unerwünschten Kopfschmuck tragen zu müssen, brachte sein Blut ins Sieden, daß er zum Weiberhasser wurde, bevor er noch Gelegenheit hatte, die gefürchtete Erfahrung zu machen. Als er einen so reifen und erfahrenen Menschenkenner die Tochter des Todfeindes als das Wunder ihres Geschlechtes preisen hörte, stockte ihm mit Eins der Atem, er verfärbte sich und mußte das Wams lockern, damit nicht das plötzlich aufgestürmte Blut seine verwachsene Brust sprenge. Denn mit unwiderstehlicher Gewalt durchflutete ihn das Verlangen, dieses Juwel der Polenta sein zu nennen, wobei er der selbstbetrügerischen Einflüsterung unterlag, gerade ein so stolzes und hochsinniges Mädchen wie diese Francesca würde eher als das alltägliche Weibergezücht imstande sein, Mannhaftigkeit und Ruhm des Gatten über vergängliche körperliche Vorzüge zu stellen. Die Gedanken des alten Malatesta gingen bei den Reden des Gastes gleichfalls in der Richtung einer Heirat, wobei für ihn freilich nur der politische Vorteil in Frage kam. Als er an ein paar hastigen und ungeschickten Fragen des Sohnes erkannte, daß der ungewollte Pfeilschuß getroffen habe, zog er den Gast ins Vertrauen und beauftragte ihn, sich an den Alten in Ravenna heranzupirschen und dessen Gesinnung zu erforschen. Der Gast war zuerst bestürzt, denn er hätte dem edlen Mädchen ein besseres Glück gegönnt, aber auch er stellte die öffentliche Wohlfahrt über die Rechte des Herzens und übernahm den Auftrag, dem der alte Polenta nur zu willig entgegenkam. Die ersten Verhandlungen gingen ganz in der Stille hin und her, da sagte ein vertrauter Ratgeber Messer Guidos, der ihm schon öfter gute Dienste geleistet hatte, besonders in Fällen, wo der gerade Weg 54 nicht zum Ziele führte, er solle in dieser Sache vorsichtig gehen, wenn er seinen Zweck erreichen wolle. Er kenne doch seine Tochter und ihren kühnen, hochfliegenden Geist. Wenn sie den lahmen Gianni sehe, bevor die Ehe geschlossen sei, würde keine Macht der Welt sie dahin bringen, ihn zum Gatten zu nehmen, sollten auch Ravenna und Rimini darüber in Stücke gehen.

Aber schickt mich an den alten Malatesta, sagte er, und laßt mich die Heirat einleiten, ich stehe Euch dafür, wenn Ihr nur irgend den Anordnungen, die ich zu treffen denke, entgegenkommt, so wird Madonna Francesca willigen Herzens die Hochzeitsreise antreten, vorausgesetzt, daß ihr der Krüppel nicht vorzeitig vor Augen kommt, denn sie darf nicht wissen, wen sie freit.

Der Polenta schüttelte zweifelnd den Kopf, denn er sah noch nicht, wo der andere hinauswollte. Als dieser aber auf Messer Paolo hinwies, den er als Blendwerk vorzuschieben gedachte, da ging ihm ein Licht auf. Der schöne Paolo, mit dem die Weiber närrisch waren! Ja, wenn der eine Rolle in dem Stück übernahm, dann konnte das Spiel gelingen.

Und nun karteten die beiden Grauköpfe einen Plan miteinander ab, der in Rimini mit Eifer aufgegriffen wurde und von dessen teuflischer Verworfenheit keine der beiden vertragschließenden Parteien sich Rechenschaft gab.

Nur wenige Wochen später zog Paolo Malatesta mit einer Schar ansehnlicher Jünglinge, alle köstlich gekleidet und wohl beritten, er selbst als der Glänzendste unter ihnen, im Schloß von Ravenna ein. Der Ruf, daß er als Freier um Francescas Hand komme, war ihm schon vorangeeilt. Diese spielte eben auf ihrer Laute, als eines der jungen Ehrenfräulein hereintrat und sie an einen Spalt des Fensters rief:

Madonna, seht her – der ist es, der Euer Gatte sein soll, 55 – denn sie kannte Herrn Paolo, der ihr einmal bei einem Turnier gezeigt worden war, von Ansehen.

Der Ankömmling hatte schon die erste Zugbrücke hinter sich und wollte über die zweite in den Innenhof reiten, als sein schönes Tier plötzlich stutzte und nicht weiter wollte. Da war es ein ungemein gewinnendes Bild, den schönen jungen Reiter zu sehen, wie er lächelnd und sicher auf dem erregten Tier saß, als ob sie beide ein Leib wären, und ohne die Sporen anzulegen oder irgendeine andere Gewalt zu brauchen, nur mit der Überlegenheit des menschlichen Willens die Unvernunft des Tieres überwand, daß es zwar noch bebend aber besiegt die gescheute Brücke überschritt und in anmutigster Gangart den Hofraum durchtänzelte, wo ein lauter Beifallsruf den gewandten Reiter empfing. Aber ach, Paolo hatte mit dem Widerstand seines Tieres mehr überwunden als ihm gut war, er ahnte nicht, daß an dieser Stelle sein Schutzgeist ihm noch einmal abgewinkt hatte, bevor er den ersten Schritt in sein Verhängnis tat.

Francesca stand an ihrem Guckloch – es wäre für die Geworbene nicht ziemlich gewesen, sich am Fenster zu zeigen – und nahm jede Bewegung des Reiters wahr; in ihren entzückten Sinnen sollte dieses Bild für immer haften. Ihr Herz ging in Sprüngen. Da war kein Blutstropfen in ihr, der nicht aufwallte im Glück und Stolz, einen so schönen und edlen Gatten ihr eigen zu nennen.

Madonna Gualanda teilte ihren Jubel. Sie gehörte zu jener Gattung von Müttern, die sich in den Freier der Tochter mitverlieben. Das Verdienst, das sie sich selber im stillen am Zustandekommen der Werbung beimaß, ließ ihr den vermeintlichen Schwiegersohn noch hinreißender erscheinen; sie fand kein Ende, zu Francesca von seiner Schönheit und seinem adligen Anstand zu sprechen, obgleich er auch ihr nur flüchtig vorgestellt worden war, 56 denn Heiratsverhandlungen waren Sache der Männer. Es wurde ein in hinterhältigen Worten abgefaßter Ehevertrag unterschrieben, woraus zwar deutlich die Höhe der von den Polenta zu zahlenden Mitgift auf der einen Seite, auf der anderen der Umfang der auf die Malatesta treffenden Verpflichtungen angegeben war, die Persönlichkeit des Bräutigams aber so wenig hervortrat, daß bei undeutlichem Vorlesen des Schriftstücks weder die liebeselige Braut noch die im gleichen Blendwerk versponnene Mutter den geringsten Verdacht schöpfte. So kam der Tag, wo Francesca im Kreis ihrer Angehörigen, von den Vornehmsten der zwei Höfe umstanden, herrlich geschmückt und blendend schön, den Ring aus Paolos Hand empfing und der Priester den Bund segnete, wobei die lateinische Trauformel als ein unverstandener Schall an Francescas verzauberten Ohren vorüberging. Was kümmerte sie's, daß statt der anmutigen Jugendschar, die zuerst Herrn Paolo auf seinem Werberitt gefolgt war, jetzt das ernstere Geleite des Bräutigams fast durchweg einen Höcker am Leibe trug, wenn dieser selbst schlank und schön wie der ritterliche Erzengel neben ihr stand. Ihr Herz und ihre Sinne taten einen so tiefen Zug aus dem Taumelkelch der Liebe, daß für sie nichts auf Erden übrig war als der herrliche Jüngling aus Rimini. Sogar der Abschied von ihren Lieben vollzog sich ihr wie im Traume.

Danach setzte sich der Brautzug mit den zwei glänzenden Gestalten Francesca und Paolo in der Mitte gen Rimini in Bewegung. Das Volk stand grüßend und jubelnd zu beiden Seiten der Straße: kein schöneres Paar war je gesehen worden, und unzählige Segenswünsche ergossen sich über ihre Häupter, vor allem die immer wiederholte landesübliche Formel: Tausend Jahre Glückseligkeit und männliche Sprossen!

So zogen sie hin im Glanz eines strahlenden 57 Frühlingshimmels, gepriesen und beneidet von ganz Ravenna. Die Männer rühmten die Schönheit Francescas und die Frauen ihr Glück, einen solchen Gatten gefunden zu haben und so jung und selig an seiner Seite hinzureiten.

Auf der Grenzscheide zwischen ihrer alten und ihrer neuen Heimat kam ihr ein Zug weißgekleideter Mädchen entgegen, die der künftigen Herrin Blumen und Früchte des Landes darbrachten, in den Ortschaften, die sie durchritten, wurden die Glocken geläutet, die Hufe ihres Zelters gingen über lauter frischgeschnittene Zweige hin. Als der Mittag hochstieg, erreichten sie eine von Silberpappeln beschattete grüne Wiese, die ein Bächlein durchströmte, um sich ins nahe Meer zu ergießen. Dort war von Dienern des Hauses Malatesta ein Prunkzelt aufgeschlagen mit vielen lustigen Wimpeln, die im Seewind flatterten, und mit Tischen, die sich von der Last eines ausgesuchten Mahles bogen. Dort lenkte der Hochzeitszug ein, Herr Paolo hob die Braut vom Pferde und führte sie, wie es der Brauch verlangte, an den Fingerspitzen zum Ehrensitz, aber statt, wie sie erwartete, den Platz an ihrer Seite einzunehmen, erbat er sich Urlaub, weil er sie hier verlassen müsse, warf sich aufs Pferd und jagte ohne Umsehen wie ein verfolgtes Wild auf Rimini zu.

Was ist meinem Herrn, daß er mich hier verläßt? fragte Francesca beklommen den Seneschall, den ihr der Schwiegervater zu ihrem Dienst entgegengesandt hatte.

Vergebt, Madonna, es treibt ihn den Eltern persönlich anzusagen, welch edle Tochter er ihnen zuführt, war die verlegene Antwort.

Sind sie denn nicht vorbereitet, daß ich komme? fragte Francesca erstaunt.

Freilich sind sie's, aber die Bestätigung, daß Ihr nahe seid, wärmt ihre Herzen, bis sie Euch selber sehen. Denn wenn der höchste Wunsch der Erfüllung naht, dann 58 zittert das leidgewohnte Alter, ob es nicht zu viel des Glückes sei, um zur Wahrheit zu werden. Sie sehnen sich nach Eurem Anblick wie der Kranke nach dem heilbringenden Gnadenbild. An Euch hängt die Zukunft ihres Landes und das Wohl ihres Hauses. Darum ist Herr Paolo vorangesprengt, um sie zu beruhigen, daß Ihr ihm willig gefolgt seid und daß weder die Sonnenglut noch die Mühsal der Reise den Schmelz Eurer Wangen und den Glanz Eurer Augen beeinträchtigt haben.

Er ist der Herr, er tue was ihm gutdünkt, war Francescas Antwort. Wenn ich nur sicher bin, ihm in nichts mißfallen zu haben. Er schien heute nicht so froh wie jenesmal, wo er zuerst als Werber in Ravenna einritt. Seine Augen wichen mir öfters aus, und etwas schien ihn zu bedrücken.

Vergebt ihm, Herrin, es ist das Neue, die Freude, die sich nicht zu äußern weiß. Die Malatesta sind ein härteres Geschlecht; so feine Sitte wie an dem musenliebenden Hofe von Ravenna werdet Ihr bei uns nicht finden, aber tapfere und treue Herzen, die Euch ganz gehören, denn Tapferkeit und Treue, das ist der Ruhm derer, die Malatesta heißen.

Francesca wunderte sich über diese Rede, denn sie hatte niemals an einem Jüngling adligere Sitte gesehen als an Paolo Malatesta. Aber sie sagte nur: Seit heute bin ich auch eine Malatesta und nehme teil am Ruhme dieses Hauses.

Sie ahnte nicht, daß die Schweißperlen, die der unglückliche Höfling sich von der Stirne trocknete, nicht von der Hitze kamen, sondern ihm von der Angst ausgepreßt waren, er könnte sich im Netz der Rede verfangen und sie zu einer gefährlichen Frage veranlassen. Noch weniger freilich konnte sie ahnen, daß derjenige, den sie ihren angetrauten Gatten wähnte, aus schlechtem Gewissen vor 59 ihren strahlenden Augen floh, die das bräutliche Glück nicht schamhaft zu verhehlen suchten, sondern offen die erlaubte Liebe bekannten.

In jenen Tagen erbarmungsloser Männerherrschaft wurde ja nicht gefragt, wie einer Braut zumute sei, sie hatte den zu lieben mit ihrem ganzen Selbst, den die Sippe ihr zuführte. So hatte auch der weichergeartete Paolo nie daran gedacht, was Francesca bei der Entdeckung des Betrugs empfinden werde. Während er seinen Auftrag durchführte, sah er nur den Segen, den er zwei gequälten Völkern zu bringen hatte: daß fortan keine Getreidefelder mehr von reisigen Scharen zerstampft, keine Ortschaften mehr verwüstet werden, die Flüsse keine Leichen mehr ins Meer tragen sollten. Aber seit ihn zum erstenmal Francescas Blick so groß und frei getroffen hatte, wußte er plötzlich, daß er keine seelenlose Sache vor sich hatte, die man nach Belieben vom einen dem andern zuschieben konnte, und er begann zu begreifen, daß er sich an einer Seele versündigt hatte, die größer war als die seinige, wenn ihm auch der ganze Abgrund der von ihm gedankenlos begangenen Büberei noch nicht offenlag. Er hielt seine Augen stumm gesenkt, als ob er die schamhafte Braut wäre. Vergeblich suchte er nach Worten, um ein Gespräch zu beginnen, er fand nur die stammelnde Frage, ob Francesca nicht müde sei.

Müde? antwortete sie mit dem Ton einer goldenen Glocke, der sagen zu wollen schien: Ist man müde, wenn man liebt?

Der Ton, der Blick sagten es ohne Worte, daß ihre Seele ganz von ihm erfüllt war und für kein anderes Bild mehr Raum hatte. Was sollte sie nun erst beim Anblick des Krüppels empfinden, dem sie durch ein verruchtes Komödienspiel rechtmäßig angehörte? Sein Herz erkrankte jählings, er fühlte sich wie gerichtet.

60 Ach und da war noch etwas anderes: mit der Erkenntnis ihres Seelenzustandes war ihm auch sein eigener aufgegangen, denn wenn bisher seine entzückten Augen nur die Erkorene seines Bruders bewunderten, so fühlte er jetzt, wie die Flamme, die er mit seiner trüglichen Werbung geweckt hatte, auf ihn selber übersprang. Schreck und Scham und Reue jagten ihn vor dem Brautzug her durch die mittägliche Schwüle, als ob die Flammen der Hölle hinter ihm wären.

Unterdessen wurde der Neuvermählten neben dem kühlen Bächlein, über dem sie das Prunkzelt errichtet hatten, ein köstliches Lager mit seidenen Kissen aufgeschlagen zur Rast während der heißesten Stunden. Ihre Ehrenfräulein, für die ein Teppich auf den Rasen gebreitet wurde, bildeten einen schimmernden Kranz um sie und schlummerten gleichfalls, bis die frischeren Lüfte des Nachmittags das Weiterreiten gestatteten. Im Kastell eines Gefolgsmannes der Malatesta war das erste Nachtlager bereitet, das ihr gleich einen Vorgeschmack von der Macht und Pracht der neuen Versippten geben sollte. Die Feste prangte im Schmuck ausgehängter Teppiche und Fahnen, Trompetenstöße begrüßten sie vom Turm, und über die niedergelassene Brücke kam ihr an der Spitze seiner Leute der Herr des Schlosses entgegen, um auf weißem Samtkissen, das ein Page trug, der künftigen Lehnsherrin die Schlüssel der Festung darzubieten. Francesca, der höfischen Sitte wohl kundig, bat, sie in den verdientesten Händen, die sie bisher geführt, auch fernerhin zu bewahren, und erregte durch ihre wahrhaft fürstliche Haltung bei so großer Jugend die Bewunderung des alten Seneschalls, dem nun aber angesichts einer solchen Bestimmtheit erst recht angst und bange wurde vor dem Kommenden. Diese übertriebenen Ehrungen, die einer Kaiserin würdig gewesen wären, hatte der alte Fuchs von 61 Malatesta eigens ausgedacht, um im voraus den grimmen Schmerz der ihrer harrenden Enttäuschung durch das geschmeichelte Selbstgefühl abzuschwächen und zugleich jedem Versuch der Auflehnung gegen eine so festgefügte Ordnung zuvorzukommen.

Während die betrogene Braut auf langsamen Rasten ihrem Schicksal entgegenzog, erjagte der ebenso unselige Paolo das seinige auf dem jähen Ritte nach Rimini, wo ihm mehrere Meilen vor der Stadt sein mißgeschaffener Bruder Gianciotto begegnete, der dritte Teilhaber des Verhängnisses, das sich über den Mitspielern der düsteren Tragödie zusammenzog. Ihm hatte der Argwohn, der in verkrüppelten Körpern zu wohnen pflegt, keine Ruhe gelassen, daß er mit zwei Knechten als sein eigener Kundschafter ausgeritten war, um den schönen Bruder zu überwachen, der ihm jetzt doppelt verhaßt war, weil er für die Erlangung seines heißesten Wunsches seiner nicht entraten konnte. Er hatte gedacht, abseits des Weges den Brautzug herankommen zu lassen, um unbemerkt mit eigenen Augen zu sehen, wie es zwischen Madonna Francesca und Paolo stünde.

Als er diesen allein und bestaubt auf abgetriebenem Roß herankommen sah, fiel seine Furcht auf die andere Seite; er meinte, der Bruder habe in seiner Unerfahrenheit den Preis verspielt und die Braut sei zu Hause geblieben.

Wie kommst du allein hierher? Wo ist Madonna Francesca? rief er ihm von weitem entgegen.

Paolo, der erschöpft auf seinem Pferde hing, deutete schweigend zurück auf den Weg, den das Brautgeleite kommen mußte.

Und warum hast du sie verlassen?

Ich kann ihr nicht mehr in die Augen blicken nach dem, was ich an ihr verbrochen habe. Darum bin ich nach Hause geeilt, um mir vom Vater Urlaub zu erbitten, 62 damit ich bei ihrem Einzug nicht mehr zugegen sein muß.

Sie glaubt sich noch immer mit dir vermählt? fragte der finstere Gianciotto.

Ihr habt es so gewollt, Bruder.

Obgleich von Natur tückisch und grausam, war doch der Krüppel des Ehrgefühls nicht bar; die Gaunerei, womit das wehrlose Opfer ins Garn gelockt worden war, bedrückte ihn nicht minder tief als den unseligen Vermittler, der sich zum Werkzeug hergegeben hatte. Außerdem würgte ihn auch noch die Scham, daß er von diesem Bruder, den er sich bemühte geringzuschätzen, die Hülle hatte borgen müssen, um zu seinem Wunsche zu gelangen. Doch das gewaltsame Begehren, das in mißgeschaffenen Körpern noch stärker wirkt als in gesunden, riß ihn auf diesem Wege weiter.

Ist sie wirklich so schön, wie alle sagen? fragte er, düster die Unterlippe nagend.

Bruder, ich hab es Euch schon zweimal gesagt, seitdem Ihr mich auf die Brautschau sandtet.

So sag es mir zum drittenmal.

Ach, Bruder, schön oder nicht schön, das sind Worte, sie sagen nichts über Madonna Francesca. Ihr werdet sie sehen und dann werdet Ihr von weitem wissen: Sie ist's und neben ihr gibt es keine andere.

In Gianciottos Innerem drehte und wand sich die Pein wie ein Drache, der sich auf seinem Lager herumwirft.

Wird sie verzeihen können, wenn sie die Wahrheit sieht? fragte er.

Paolo sah stumm und gequält vor sich nieder.

Wird sie verzeihen können? frage ich, wiederholte der andere.

Mein Bruder, ich kenne die Frauen nicht, aber ich hoffe, sie wird's.

Wenn sie im Glauben dir anzugehören ihr Herz an deine 63 glatten Wangen und an deine wohlgedrechselten Glieder gehängt hat, wenn diese gemeinsame Reise ihr die Gelegenheit gab, sich an deine Gesellschaft zu gewöhnen, und sie soll nun dafür alle die Verzeichnungen eintauschen, die es der Natur beliebt hat an meinem Körper vorzunehmen: die höckrige Schulter, das verkürzte Bein, dazu ein Gesicht wie mit der Haue geschnitzt und von Narben geackert –

Mein Bruder, Ihr tretet Euch selbst zu nahe, Ihr seht nicht aus, wie Ihr Euch schildert, denn Ihr habt das Ansehen eines Tapferen.

Du hast recht, ich trete mir selbst zu nahe, denn ich bin ein Mann und du bist eine Knabe. Aber was hilft's, sie ist ein Weib! Gleichviel, einmal will auch ich Ausgestoßener der Natur erfahren, wie es den Schönen, Glücklichen zumute ist. Du bleibst, Paolo, dein Amt ist nicht zu Ende. Du sollst mir die Neuvermählte ins Brautgemach führen. Im Schutz der Dunkelheit will ich mit dem Herrlichsten, was Gott geschaffen, ins Eins verschmelzen. Ich will den Taumel auskosten, meine Häßlichkeit ganz in ihrer Schönheit zu baden. Gott helfe mir, daß ich als ein neugeborener Mensch aus ihren Armen aufstehe.

Nicht diesen Weg, Bruder, antwortete Paolo. Im Schutz der Dunkelheit sollt Ihr Euer ganzes Herz vor ihr ausbreiten, mit all seiner Sehnsucht und seinen Leiden, und sollt ihre Verzeihung zu erlangen suchen, bevor das Tageslicht von selbst die Täuschung aufdeckt.

Der Düstere antwortete nicht mehr; wie Meereswogen gingen in ihm Haß und Liebe, Verzweiflung über seine Mißgestalt, Furcht vor der Entdeckung und der trotzige Wille, um jeden Preis zu seinem Recht zu kommen, auf und nieder. Selbst seinen Kriegsruhm hätte er für die Wohlgestalt seines Bruders zum Tausch gegeben. Noch lieber hätte er ihn überfallen und erschlagen, um ihm 64 diese glückbringende Hülle zu rauben, wäre sie abziehbar gewesen wie ein Kleid.

Die Rasten des Brautzuges waren weislich so verteilt worden, daß die Ankömmlinge erst mit sinkendem Abend ihr Ziel erreichten. Als Madonna Francesca im Geleit ihrer Ehrendamen zwischen den fackelhaltenden Dienern des Hauses Malatesta die Freitreppe erstieg, empfing sie der Alte auf halber Höhe und schloß sie väterlich in die Arme. Ihren suchenden Blick, der sich über die Abwesenheit des angetrauten Gemahls zu wundern schien, beantwortete er durch die Mitteilung, daß dieser neben dem Bett seiner Mutter knie, um ihren Segen zu empfangen, weil sie in der freudigen Erregung dieses Tages von einer Unpäßlichkeit befallen worden sei und außerstande, dem Einzug der geliebten neuen Tochter beizuwohnen. Francescas Bitte, neben dem Gatten knien und gleichfalls den mütterlichen Segen empfangen zu dürfen, wurde dahin beschieden, daß die Begegnung erst am Morgen beim Meßgang stattfinden könne, weil in so später Stunde der Eindruck auf die Kranke zu heftig wäre.

Dann kamen die aufwartenden Damen, nahmen die Neuvermählte in ihre Mitte, um sie zu baden, zu salben, mit wohlriechenden Wassern zu begießen, während auf einem anderen Flügel des Schlosses derselbe Dienst an dem häßlichen Gianciotto verrichtet wurde. Danach brachten sie die Betrogene zu Bette, nachdem sie ihr noch den Nachttrunk gereicht hatten, worein ein leicht betäubender Saft gemischt war, verließen sie und schlossen hinter sich die Tür. Während Francesca erwartete, durch eben diese Tür den Geliebten eintreten zu sehen, traf sie ein leiser Luftzug vom Kopfende des Bettes her, eine unsichtbare Pforte in der Teppichwand hatte sich geräuschlos geöffnet, eine Hand griff herein, erdrückte die 65 einzige auf hohem Kandelaber brennende Wachskerze, und an Stelle des Erwarteten bestieg die Greuelgestalt das Gianciotto unerkannt das hochzeitliche Lager.

Unterdessen floh der junge Tor, der den Betrug zustande gebracht hatte, entsetzt von dem Schauplatz des Verbrechens, zu dessen letztem Akt er sich nicht mehr hergab. Als man ihn suchte, damit er die Braut in die Kammer führte und dort mit ihr den Nachttrunk leere, um dann heimlich den Platz mit einem andern zu tauschen, war er verschwunden und nicht mehr aufzufinden. Trostlos und ziellos jagte er in die Nacht hinaus.

Im Schloß hatte er seine Mutter todkrank verlassen, vom Ansturm innerer Schreckgesichte niedergeworfen. Die edle, mit seherischem Gemüt begabte Frau war das Gewissen des Hauses Malatesta, aber ein Gewissen, auf das niemand hörte. Jede Untat der Ihren, die sie nicht hindern konnte, fiel auf ihr ahnungsschweres Herz zurück. So war sie auch die einzige gewesen, die sich dem an der Tochter des Polenta begangenen Verrat widersetzte im Vorgefühl des kommenden Strafgerichts. Aber wie immer war der Wille der Männer über ihr richtigeres Gefühl hingegangen wie der Strom über die Binsen seines Bettes, die er niemals sich aufrichten läßt. Daß auch ihr Liebling, ihr Paolo, aus dessen zarterer Sinnesart sie sonst ihren Trost schöpfte, eine Rolle, und die wichtigste, bei der Meucheltat übernommen hatte, das brach ihr von Leid und Alter schon brüchiges Leben. Sie öffnete fortan den Mund nicht mehr bis zu ihrer letzten Stunde. Nur in ihren schreckerstarrten Mienen hatte Paolo sein Urteil gelesen. Ihr stummer Vorwurf gesellte sich der Angst, die ihn jagte, daß er den kalten Atem der Furien im Nacken zu spüren glaubte. Es war ein jählings entfesselter Sturmwind, der hinter ihm herblies, ihn mit Wolken Staubes umhüllend, die jungen Bäume am 66 Straßenrand entwurzelnd, die alten zerknickend. Plötzlich erhellte ein Blitz die Dunkelheit, andere folgten so schnell aufeinander, daß ihr Schein in eine stehende Lohe überging, und der Donner brüllte in ununterbrochener Folge, als sollten Himmel und Erde zerbersten. Paolos Pferd brach aus; wie toll und blind geworden, gehorchte es dem Zügel nicht mehr und riß den halb betäubten Reiter mit sich, bis es in einen Graben stürzte und im Fallen seinen Herrn bedeckte. –

Das gleiche Donnerkrachen erschütterte auch das Schloß von Rimini, und die gleichen Blitze, die Paolos Pferd zum Losrasen und jähen Sturz brachten, umloderten wie Gottes Zorn auch das Hochzeitsgemach, das den feigen Betrug deckte.

Die Neuvermählte, über die der Schlaftrunk noch Macht hatte, lag unter furchtbarem Alpdruck. Durch einen Spalt ihres Bewußtseins nahm sie die Blitze wahr, die ihr aus dem Maul eines zischenden Drachen zu kommen schienen. Aber sie konnte sich weder regen noch einen Laut von sich geben. Erst als die Tageshelle durch Fenster- und Türritzen drang, ließ der Bann von ihr ab, da sah sie erwachend eine schreckhafte Gestalt, die sich von ihrer Seite erhob, und der Geliebte, neben dem sie geruht zu haben glaubte, war verschwunden. Sie tat einen gräßlichen Schrei, der Unhold bog sich über sie, um sie zu beschwichtigen, sie glaubte, weil er so abstoßend aussah, daß er sie ermorden wolle, und schnell besonnen ergriff sie einen Dolch, der auf dem Betpult bei dem Bette lag. Es war Gianciottos eigener, der ihn ohne Scheu vor dem Heiligen da abgelegt hatte, als er das Lager bestieg, denn da er sich von Untertanen und Hofgesinde gehaßt wußte, ging er auch im eigenen Schlosse niemals unbewehrt.

Weg von mir, du scheußliches Gewürm! schrie sie, den Dolch nach ihm zückend.

67 Ihre Worte verwundeten tiefer, als es eine Waffe gekonnt hätte.

Francesca, ich bin dein Gatte, sagte er.

Ein Mörder bist du, schrie sie außer sich, der meinen Gatten erdolcht hat. In der Nacht war er noch hier, wo hast du ihn hingebracht, du Fürchterlicher?

Und sie begann aus Leibeskräften zu rufen: Wo bist du, Paolo? Rette mich, schütze mich, wenn du noch lebst.

Hier war niemand bei dir als ich, dein Gatte, der dazu das Recht hat, sagte Gianciotto so sanft, als es seine Erschütterung zuließ. Aber sie hörte ihn gar nicht an und fuhr fort nach Paolo zu rufen, während sie den Dolch auf Gianciotto gezückt hielt.

Dieser war auf einen Sturm gefaßt gewesen, aber nicht auf einen so wilden. Es begann ihm selbst vor dem Geschehenen zu grausen, aber er liebte sie nun schon bis zur Raserei und fühlte, daß er niemals würde aufhören können, sie zu lieben und zu begehren.

Komm zu dir, Francesca, flehte er. Lege das grausame Spielzeug weg, es taugt dir nicht. Sieh, ich könnte ja deine Hand zerbrechen durch den bloßen Druck der meinigen. Aber sie ist so zart und fein, niemals wäre ich imstand, ihr weh zu tun.

Wo ist Paolo, du Mißgeburt? schrie sie. Zeig ihn mir, wenn er noch lebt.

Paolo lebt. Er ist gestern weggeritten, wir wissen nicht wohin. Aber ich habe Befehl gegeben, ihn zu suchen, und werde ihn vor dich bringen, damit du aus seinem Munde hörst, wer dein Gatte ist.

Er wird niemals wiederkommen, denn du hast ihn getötet.

Er wird. Reize mich nicht weiter. Ich könnte sonst vergessen, daß ich dich mehr liebe als mich selbst und daß ich mir geschworen habe, dich auf meinen Händen durchs 68 Leben zu tragen, um dir zu vergüten, was zum Besten aller an dir geschehen mußte.

Was mußte geschehen, du Schrecklicher?

Daß du mein Weib wurdest, ohne mich zu kennen.

Dein Weib?

Ja, für mich hat dich Paolo geworben, denn ich bin der künftige Herrscher von Rimini. Mein ist der Ring, den er dir gab, mir hat dein Vater dich zugeschickt –, in meinen Armen hast du geschlafen.

Die Unglückliche blieb eine Weile wie erstarrt. Wenn das mehr ist als eine höllische Lüge, sagte sie bebend, so möge mich die Sonne nicht mehr lebend bescheinen.

Blitzschnell entriß er ihr den Dolch, ehe sie ihn gegen sich selber kehren konnte. Aber Francesca sah ihn höhnisch an:

Wer sterben will, für den gibt es hundert Wege.

Die Knechte kamen von der Suche zurück.

Habt ihr ihn gefunden? fragte der Gebieter.

Wir haben ihn gefunden, Herr. In der Waldschmiede hat er das Gewitter überstanden.

Und er wollte euch nicht folgen?

Nein, Herr. Er erklärte, daß er nie zurückkehren wolle.

Ich wußte es, sagt Francesca. Er lebt nicht mehr.

Nichts weißt du, törichtes Weib. Ich werde selber gehen und ihn holen.

Gianciotto warf sich aufs Pferd und sprengte nach der Waldschmiede. Dort fand er seinen Bruder, der schon gesattelt hatte, um weiter zu reiten, denn der heilkundige Schmied, vor dessen Tür er sich hinkend und regentriefend in der Nacht geschleppt, hatte den Schaden seines Pferdes und seinen eigenen schon behoben.

Was du von mir willst, ist unmöglich, antwortete der Flüchtling seinem Bruder, der ihn zum Mitkommen drängte. Ich kann Francesca nicht in die Augen sehen, 69 ich bin ein Verworfener. Ihr habt mich zu der Untat gedrängt, deren Folgen ich nicht absah, ich will sie fern von ihr und Euch büßen.

Du warst willig zu dem Unternehmen, sagte der Ältere, du hast es angefangen, du mußt es zu Ende führen. Niemand als du kann für mich sprechen. Ich müßte dich hassen, denn du hast einen Zauber auf sie gelegt, daß sie nichts denkt als dich, benütze ihn wenigstens zu meinen Gunsten.

Bruder, wenn Ihr das Schwert zieht, um dieses verhaßte Leben von mir zu nehmen, so werde ich mich nicht wehren, denn ich kann mit dem Gefühl meines Verrats nicht mehr leben.

Laß das Geflenn, antwortete Gianciotto finster. Bin ich nicht noch unglücklicher als du? Ich muß einen Knaben, meinen jungen Bruder, anflehen, daß er mir die Gnade meines Weibes erbettle, ohne die ich nicht leben kann. – Paolo, ich halte dich für einen Mann von Ehre, denn du bist ein Malatesta, und ich vertraue dir, daß du den Vorteil deiner Lage nicht mißbrauchst. Sage ihr, wie ich mich nach ihr gesehnt habe, seit zum erstenmal ein Abglanz von ihr mich erreichte. Sag ihr, am Tag wo sie mich anlächelt, will ich alle Verließe und Gefängnisse in Rimini und Pesaro öffnen, alle Verurteilten sollen an jenem Tag begnadigt sein, alle peinlichen Prozesse aufgehoben, und wenn ich einen Staatsverbrecher, der mir ans Leben wollte, mit eigener Hand entwaffnet hätte, er sollte dennoch frei und straflos ausgehen, wenn nur sie mich gütig anschaut. Sag ihr das: sie ist ja gut und barmherzig, so heißt es. Muß sie nicht glücklich sein, das Gute zu wirken?

Ach, Bruder, antwortete Paolo.

Was »ach, Bruder«, was willst du sagen? Kann man noch 70 mehr bieten, als ich biete, so soll sie den Preis nennen, keiner ist zu hoch.

Paolo weinte, sein weiches Herz litt auch für den Bruder, dessen Qual er sah und dem er nicht helfen konnte.

Bruder, wir haben sie im Heiligsten betrogen – ich – Ihr – der Vater – ihre eigene Sippe. Wem soll Francesca glauben? Denkt an die Warnung unserer Mutter, die allein das Rechte sah. Sagte sie nicht: Ein Mädchen, stark und stolz wie diese, wird eher einem Manne verzeihen, der sie raubt und mit Gewalt bezwingt, als einem, der sie hinterrücks besessen hat.

Gianciotto war erschüttert, die Warnung seiner Mutter, die er zuvor in den Wind geschlagen hatte, traf ihn jetzt nachträglich bis ins Mark. Er begriff, daß er der Gekränkten eine Genugtuung schuldete, die so groß war wie die zugefügte Kränkung. Er sagte:

Sie soll völlig frei und Herrin ihres Willens sein, sag ihr das. Ich schwöre, daß ich niemals einen Finger zur Gewalt gegen sie erheben will. Sie soll mich nur in ihrer Nähe dulden. Sie soll mir nicht alle Hoffnung nehmen, daß sie mir später einmal vergibt.

Auf dieses Versprechen hin begleitete Paolo seinen Bruder. Sie traten bei Francesca ein, deren verblaßte Wangen bei seinem Anblick flammten.

Sprich du, der mich hierher geführt hat, sagte sie: Wer ist der Gatte, dem ich angetraut bin?

Paolo mit gesenktem Kopf und den Augen am Boden deutete stumm auf Gianciotto. Sie tat einen Schrei wie ein Tier, das die Axt des Schlächters trifft. Die beiden Männer standen vor ihr wie Gerichtete. Gianciotto schlich leise hinaus. Als Paolo ihm folgen wollte, sprang sie zwischen ihn und die Tür:

Nicht, ehe ich alles weiß! Wie habt ihr diesen Schurkenstreich ins Werk gesetzt?

71 Ich empfing deine Hand als sein Stellvertreter, antwortete Paolo. Du verstandest den Namen in der Trauformel nicht – es war so eingerichtet, fügte er leiser hinzu.

Als sich nun aus Paolos Worten Zug für Zug das ganze Netz von Trug und Arglist enthüllte, in das sie rettungslos eingesponnen worden war, und daß mit einziger Ausnahme ihrer mitbetrogenen Mutter ihre eigene Sippe daran so viel Anteil hatte wie die, der sie jetzt angehörte, brach eine Verzweiflungswut an ihr aus, worin sie die Stunde ihrer Geburt verfluchte und alle Verwünschungen des Himmels auf die Häuser Da Polenta und Malatesta herabrief, die schwersten auf den Teufel in Cherubsgestalt, wie sie ihren Schwager Paolo nannte. Ihre Damen umgaben sie schluchzend und bebend, ohne einen Zuspruch zu wagen, sie kannten ihre Gebieterin hinlänglich, um zu wissen, daß nichts auf der Welt sie jemals trösten und versöhnen konnte. Aber nur die Gespielinnen ihrer Jugend, die ihr mitgetäuscht nach Rimini gefolgt waren, durften um sie sein, die eingeweihten Edelfräulein des Hauses Malatesta, die teils schaudernd, teils in törichter Neugier kichernd die Wirkung der furchtbaren Enthüllung abgewartet hatten, verbannte sie für immer aus ihrer Nähe. Als der Verzweiflungskampf wich, verlangte sie nach einem anderen Zimmer, weil sie den Schauplatz des feigsten Meuchelmordes, der je verübt worden, nicht wiedersehen wolle. Man bereitete ihr auf dem anderen Flügel des Schlosses eine schön ausgestattete Kemenate, die ein Fenster auf den Hof und ein Ruhebett hatte, worauf sie sich alsbald niederstreckte mit dem Entschluß, sich nicht mehr zu erheben. Da lag sie mit ganz erstarrter Miene, unbeweglich und tränenlos, antwortete auf keine Frage noch Bitte mehr und wies jede Nahrung von sich, nicht einmal einen Tropfen Wasser ließ sie durch die festgeschlossenen Lippen, um rascher sterben zu können. 72 Keiner der beiden Brüder wagte sich über ihre Schwelle. Ein Versuch des alten Malatesta, sie durch einen schwiegerväterlichen Machtspruch zum Aufstehen zu zwingen, schlug völlig fehl; ihre Ohren waren für seine Rede verschlossen, ihr Blick ging durch ihn hindurch wie durch Luft.

Das dauerte bis zum vierten Morgen, da erhob sich die Mutter Malatesta vom Sterbelager; schwach und wankend, von zwei Dienerinnen unterstützt, betrat sie das Zimmer Francescas, sank wortlos bei ihr nieder, und die Alte netzte die schon erkaltenden Hände der Jungen mit stummen Tränen. Francesca wußte durch Paolo, daß die hinfällige Frau allein sich mit ihren schwachen Kräften gegen die Verräterei gestemmt hatte, und daß es das Mitgefühl mit dem Opfer war, was sie am Hochzeitstage niederwarf. Sie legte ihren Kopf in den mütterlichen Schoß und plötzlich strömten auch ihr die Tränen. Die Starrheit wich, und nun gelang es ihren Frauen, ihr etwas Kraftbrühe beizubringen und allmählich in dem jungen Körper den Trieb zum Dasein wieder zu erwecken.

In diesen Tagen begab sich's, daß die Stadt Faenza den ältesten Sohn des Herrn Malatesta seiner weitbekannten Tüchtigkeit wegen als Podestà oder Stadtrichter berief, denn dieses Amt, das einen eisernen und unbestechlichen Charakter erforderte, wurde nur an Auswärtige vergeben, damit kein Verwandtschafts- oder Freundschaftsband dem strengen Recht im Wege sei. Es war, als hätte der Himmel selber eingegriffen, um einem unerträglichen Zustand ein Ende zu machen. Denn Gianciotto hielt zwar sein Versprechen, sich ihr nicht gegen ihren Willen zu nähern, und betrat ihre Gemächer nie, aber das immer noch wachsende Verlangen nach ihr trieb ihn schlaflos umher, und der Zwang, den es ihn kostete, ein Haus mit ihr zu bewohnen und sie doch nicht zu besitzen, machte 73 ihm das Dasein zur Hölle. Auch bei seinem Aufbruch wollte sie von keiner Versöhnung wissen und gönnte dem Scheidenden ihr Antlitz nicht. Daß Paolo am Hofe zurückblieb, weil der Vater nicht beide Söhne zugleich entbehren konnte, erregte in dem sonst so Mißtrauischen keinen Argwohn, denn Francesca schien seit der Enthüllung seinen Bruder noch tödlicher zu hassen als ihn selber. Und Gianciotto war ein zu schlechter Kenner des weiblichen Herzens, um zu wissen, daß ein aus gekränkter Liebe geborener Haß mit Leichtigkeit in das erste Gefühl zurückschlagen kann, wenn der Stachel aus der Wunde genommen wird. Paolo hatte bei seinem Geständnis einen größeren Anteil an der Schuld auf sich geladen, als ihm in Wahrheit zukam, um seinen Bruder auf eigene Kosten reinzuwaschen, und dieser, der von der Größe des ihm gebrachten Opfers keine Ahnung hatte, befahl ihm an, wo immer sich eine Gelegenheit böte, seine Sache bei dem schwer verletzten jungen Weibe zu führen. Weil aber seine Tyrannenseele doch keines wahren Vertrauens fähig war, beauftragte er zugleich bei der Abreise denjenigen unter den Hofherren, den er für den ergebensten hielt, weil er die Schulter am höchsten wattiert trug, Madonna Francescas Verkehr mit seinem Bruder zu überwachen und alsbald Nachricht nach Faenza zu schicken, sollte sich etwas ihm ungehörig Scheinendes ereignen.

Jedoch Paolo bäumte sich gegen die ihm übertragene Rolle auf und blieb der Schwägerin ferne. Eine wühlende Pein trieb ihn umher. Warum hatten ihn Gottes Blitze in jener Nacht nicht verzehrt, als sie ihn draußen auf freiem Felde fanden! Wie er sich auch wehrte, er konnte sich's nicht mehr verhehlen, daß er diejenige, die er trüglich seinem Bruder zugeführt, jetzt mit allen Sinnen für sich selbst begehren mußte und daß ihm kein Ort der Welt 74 mehr bewohnbar schien als der, wo sie atmete. Dieses doppelte Schuldbewußtsein ließ ihn ihre Gegenwart fliehen; höchstens daß er sich ungesehen hinter eine Pforte drückte, wo sie vorübergehen mußte. Er wußte nicht, wie oft auch ihre Augen ihm, wenn er zu Pferde stieg, hinter zugezogenem Vorhang folgten wie damals bei seinem ersten Einritt im Schloßhof von Ravenna.

Nur einmal bei der Leichenfeier der alten Fürstin führte das Hofzeremoniell sie zusammen. Die edle Frau war still, wie sie gelebt hatte, aus dem Leben gegangen. Erst als ihr Platz leer stand, fühlte man, was alles mit ihr geschieden war. Auch an diesem Schicksal schrieb Paolo sich die Verantwortung zu, denn wo viele zusammen gesündigt haben, trägt der Zartergesinnte die Schuld für alle.

Francesca in tiefer Trauer kniete mit ihren Damen an der einen Seite des Katafalks, Paolo mit seinem Hofstaat an der anderen. Er wagte nicht zu ihr hinzublicken, sie nahm aus gesenkten Lidern seine Züge wahr, in die das Leid seine veredelnde Schrift geschrieben hatte und die neben den harten hölzernen Gesichtern der Herrn von Rimini als das einzige Menschengesicht erschienen. Der Jüngling fühlte den Streifblick ohne ihn zu sehen, und sein Herz gab ihm solche Stöße, als ob es die Brust von innen durchbohren wollte.

Da war es Gianciotto selbst, der den Funken in den Brennstoff warf. Er bereute längst sein gegebenes Wort, weil er seine Hoffnung, Francesca werde, durch Großmut überwunden, sich mit ihm versöhnen und ihm freiwillig an seinen neuen Wohnsitz folgen, gescheitert sah. Durch seinen Aushorcher wußte er, daß Paolo niemals den Fuß über ihre Schwelle setzte und daß also von seiner Vermittlung nichts zu erwarten war. Das erzürnte Gianciotto, weil er meinte, sein lebenslustiger Bruder gehe wie sonst 75 den Vergnügungen nach und vergesse seinen Auftrag. Er ließ ihn also bei seinem brüderlichen Zorn ermahnen, nunmehr mit Madonna Francesca ernstlich zu sprechen und ihm von ihrer Gesinnung Kenntnis zu geben. So gezwungen begab er sich vor das Angesicht, das er ebenso fürchtete wie ersehnte.

Er fand Francesca im Kreis ihrer Damen, die sich bei seinem Eintritt zurückzogen. Sie war noch schöner als am Tag, wo er sie in Ravenna freite, aber der Schmelz ihrer Wangen hatte den rosigen Anhauch der Freude verloren, denn ihre Jugend lag ermordet drüben in jenem jetzt abgeschlossenen und wie der Schauplatz eines Verbrechens von allen gemiedenen Schlafgemach.

Die Entschlossenheit ihrer Miene zeigte ihm gleich, daß Gianciotto nichts zu hoffen hatte. Der Besucher wagte nicht frei vor sie zu treten, sondern kniete nahe der Tür nieder und faltete abbittend die Hände. Die Demut seiner Haltung erinnerte an seine Schuld und weckte den entschlafenen Zorn aufs neue.

Sie wandte einen Blick auf ihn, woraus Dolche zückten.

Was willst du hier, neuer Judas? fragte sie.

Um Verzeihung bitten, wenn Verzeihung möglich ist. Nicht für mich, ich weiß, da gibt es keine. Aber für einen andern, – ich komme im Auftrag.

Für andere werben, das ist, wie es scheint, dein Gewerbe, sagte sie bitter.

Du wirst mich nie tiefer verachten können, als ich mich selbst verachte, antwortete Paolo.

Wenn du ein Gefühl für Ehre hast, wie konntest du ein solches Bubenstück durchführen?

Ich war ein gedankenloser und leichtfertiger Knabe bis – zu jenem Tag. Ich wußte nicht, was ich tat. Sie sagten mir, es sei ein gutes und gottgefälliges Werk, den Frieden zwischen unseren Häusern zustande zu bringen.

76 Um den Preis eines Verbrechens – das glaubtest du!

Sie sagten mir, ein Liebesverbrechen sei, wenn begangen, auch schon verziehen, denn dann komme die Liebe und mache alles gut.

Die Liebe!! Zu einer Mißgeburt!

Sie sagten, die Frauen liebten immer den, der ihre ersten Liebkosungen empfangen habe. Wenn du nur erst Gianciotto als Gatten umarmt hättest, dann würdest du seinen Tugenden Gerechtigkeit widerfahren lassen und gegen seine Mängel nachsichtig sein.

Und das glaubtest du?

Ich glaubte es, denn ich wußte nichts von Frauen. Sie erschienen mir wie die schönen Singvögel, die im Bauer hüpfen und singen zur Freude des Besitzers und aus seiner Hand den Leckerbissen nehmen. Mich freute nur Jagd und ritterliches Spiel und die Lieder der Dichter. Ich hatte noch keine Frau geliebt – bis dahin.

Bis dahin? sagte sie. Und jetzt?

Er sank vor ihren Augen noch tiefer in sich zusammen und antwortete nicht.

Sie wiederholte die Frage.

Erbarmen! Zwinge mich nicht auszusprechen, was schon zu denken ein Frevel ist.

Paolo! rief sie. Er richtete das Haupt auf.

Gibt es noch einen Frevel nach dem, der hier verübt wurde?

Er erhob sich und trat näher. Jedes sog das Bild des andern in sich, wie der Verdurstende den Labetrank. Wie eine seltsame unbegreifliche Hoffnung war es einen Augenblick um ihn her. Aber die Zaghaftigkeit befiel ihn wieder mit dem Gefühl seines Unwerts. Ja, sie durfte das Haupt so frei erheben, aber er?

Ich weiß nicht, wie ich dich verstehen soll, stammelte er hilflos.

77 Eine Flamme schoß aus ihrem Auge.

Geh nur, geh. Du bist ein Feigling. Und in Ravenna erschienst du mir wie ein Held. Alles an dir trügt, auch deine Gestalt.

Du hast recht. Ich hasse sie selber, weil sie dich betrogen hat, rief er verzweifelt. Ich will sie austilgen aus dem Sonnenlicht, denn ich bin nicht wert zu leben.

Sinnlos wollte er wegstürzen, da schrie sie auf: Paolo!

Er blieb stehen: Was rufst du mich?

Daß du leben sollst und gutmachen, was du gefrevelt hast.

Was kann ein Verworfener wie ich für dich tun?

Mitten in ihrem Jammer erbarmte sie der seinige. Da stand er in seiner Schönheit, die sie betört hatte, wie ein Cherub anzusehen, und war doch nichts als ein armer, mißleiteter und gescholtener Knabe. Ein anderes, mütterlicheres Gefühl wallte in ihr auf, daß sie besänftigter antwortete:

Du hast mich aus meinem Elternhause weggelockt, hast mich der Verzweiflung preisgegeben und nun läßt du mich unter den fremden Menschen, die ich nicht lieben kann, allein in diesem düsteren trostlosen Rimini.

Darf ich dir denn Gesellschaft leisten, der ich dich so gekränkt habe, daß du mir nie verzeihen kannst?

Sie schwieg. Dann sagte sie: Wolltest du nicht eine Antwort von mir? Komm und hole sie dir morgen.

Am andern Tag schien sie die versprochene Antwort vergessen zu haben. Sie saß auf dem Ruhebett und hielt ein Buch in der Hand.

Wieder stand er bebend vor ihr, das Herz schlug ihm bis zum Hals und nahm ihm die Sprache. Er fühlte, daß sein Kommen beider Verhängnis war. Aber um nichts auf der Welt hätte er ferne bleiben können, wenn sie rief, es riß ihn zu ihr, ob er wollte oder nicht.

78 Was ist es für ein Buch, worin du liesest? fragte er zaghaft, wenn du es mir sagen willst.

Es ist die Geschichte jenes furchtsamen Ritters, Lanzelot vom See genannt, und seiner Liebe zu der schönen Königin.

Warum nennst du ihn den furchtsamen Ritter?

Ist das nicht furchtsam, daß er hundert Ritter vom Pferde sticht, und sobald er der Frau, die er liebt, ansichtig wird, sich zitternd und weinend vor ihr verbirgt?

Was kann der Mann, der hoffnungslos liebt, vor dem Angesicht der Geliebten anderes tun als zittern und weinen?

Wie das, Paolo? Kann ein Tapferer so zaghaft sein?

Verstehst du es nicht, Francesca? Lanzelot trotzt tausend Toden um ihretwillen, aber vor der Frau, die er liebt, ist er schwächer als ein Kind.

Gestern wußtest du noch nichts von Liebe, Paolo. Und heute bist du so erfahren? Hat eine meiner Damen dich in die Lehre genommen?

Er glaubte, daß sie im Ernst spreche, und schluchzte auf, sich so verkannt zu sehen, aber noch suchte er sein Gefühl zu hehlen.

Herrin, ich spreche nicht von mir aus. Es ist Galeotto, der Herr der »Fernen Inseln«, der so für seinen Freund Lanzelot bei der Königin spricht.

Was sagt ihr? Laß es uns zusammen lesen.

Sie ließ ihn an ihrer Seite niedersitzen, und beide neigten ihre Häupter über das Buch. Paolo las, seine Stimme zitterte. Die Leichtfertigkeit des höfischen Liebesromans wuchs ihnen zu der düsteren Größe ihres eigenen Schicksals empor, und was die unreife Kunst und die dürftige Beseelung des alten Dichters unvollkommen ließ, das ergänzten sie überreich aus ihrem Innern. Als sie an die Gartenszene kamen, wo Galeotto die Verliebten in die 79 Laube führt und sie allein läßt, und wo nun die Lippen der Königin den verdursteten Lippen ihres Ritters begegnen, da verwirrten sich ihre Sinne und ihre Gedanken, sie wußten nicht mehr, lasen sie eine fremde Geschichte oder die eigene. Und ehe sie sich's versahen, war es geschehen. Er war neben ihr herabgeglitten und umschlang mit verzweifelter Inbrunst ihre Knie. Sein emporgewandter Mund zog den ihren an, daß sie sich in einem wütenden verzweifelten Kusse fanden.

Sie umstrickte seinen Hals und preßte sein Haupt gegen ihren Busen. Da sprang Paolo in jähem Schrecken auf:

Das Sakrament! rief er. Zwischen uns steht ein Sakrament!

Aber Francesca hielt ihn umfaßt.

Jawohl, ein Sakrament, sagte sie, aber unsere Hände hat der Priester im Angesichte Gottes zusammengelegt. Hat er dabei ein Gaukelspiel aufgeführt, so treffe ihn die Vergeltung. Mich kann die Lüge nicht binden, ich habe dir geschworen, ich bin dein und weiß mich frei von Schuld, wenn ich dir gehören will.

Paolos Geist war nicht zu so kühnem Fluge geschaffen, doch die Leidenschaft überwand auch ihn, daß er die Geliebte in die Arme riß und ganz mit Küssen bedeckte. Dann drückte er ihre Arme herab und wollte fliehen.

Francesca umschlang ihn aufs neue.

O mein Geliebter, geh nicht von mir, flehte sie. Ich bin ja ganz beschmutzt und unrein geworden. Ich bin mir selbst ein Grauen seit jener Nacht. Nur die Liebe kann mich rein brennen, deine Liebe. Fliehe nicht. Wir sind doch verloren. Wie soll der Schreckliche je verzeihen, daß ich dich in ihm umarmt habe? Ich bin in seiner Gewalt, du bist es auch. Sein finsterer Geist herrscht in diesem Schloß, auch wenn er ferne ist. Stirbt dein Vater, so widerstrebt ihm nichts mehr, dann fallen wir beide. Aber 80 nimm zuvor was dein ist und laß uns glücklich sein, ehe wir sterben. O mein Paolo, du einziger Stern in dieser Höhle der Finsternis.

Kann der in Gluten Brennende dem Anruf widerstehen? Er kann es nicht, und wenn er noch könnte, würde er nicht mehr wollen. Die Flamme saugt ihn an und zieht ihn in sich. Und die Dämonen des Hauses Malatesta sehen zu und reiben sich die Hände. Von dieser Stunde sind die Häupter der beiden ihnen sicher. Aber verschieden stellen sich das Weib und der Mann zu diesem Schicksal. Francesca ist ganz und einig mit sich selbst. Sie hat Paolo vor dem Altar geschworen, ihr Schwur ist eins mit ihrem Leben, sie ist ohne Sünde. Anders Paolo. Er hat ihr nicht geschworen, er hat Francesca vor dem Altar an den Bruder verraten und jetzt verrät er den Bruder mit ihr. Verbrechen hier, Verbrechen dort. Und darüber das Unwiderstehliche, Berauschende, das alles Vergütende, die Liebe. Er stürzte sich in das Feuermeer mitten hinein, auf sein zeitliches und ewiges Heil verzichtend.

In der Verzückung bemerkten sie nicht, daß der Türbehäng sich leise bewegte und auf den Bruchteil einer Sekunde etwas Dunkles, Glänzendes, wie das Auge eines Luchses, ins Zimmer sah.

Wie es weiterging, weiß die Welt. Es war der übliche Ablauf solcher Verwicklungen.

Zwei Tage später, als die beiden wieder mit dem Buch, das ihnen jetzt zum bequemen Vorwand diente, beisammen waren, hob sich aufs neue der Vorhang, Gianciotto stand vor ihnen, den blanken Degen in der Faust, das Gesicht zur Unkenntlichkeit verzerrt vor Zorn und Schmerz.

Schlange! schrie er und wollte zuerst Paolo treffen. Aber Francesca sprang blitzschnell vor und empfing den Stahl 81 in der eigenen Brust, zum Entsetzen ihres Geliebten. Auch gut, du Heilige! Du wärest doch daran gekommen, rief der Wüterich, indem er ihn wieder herausriß, um sich damit auf den Bruder zu stürzen. Die tödlich Getroffene, von Paolos Armen aufgefangen, antwortete noch schwer atmend:

Ja, wahrlich gut – daß du mich von dir befreist und dem Rechten vermählst.

Paolo hätte nicht daran gedacht, sich zu wehren, auch wenn er nicht waffenlos gewesen wäre. Er küßte das Angesicht der Sterbenden, während Gianciottos Degen zum zweitenmal schwirrte und ihn mit solcher Wucht durchrannte, daß der Stoß die Körper der Liebenden zusammenheftete.

Lange stand der Finstere und starrte auf die Arbeit herab, die er gemacht hatte. Neid und Bitterkeit stiegen ihm bis zum Halse:

Ich wollte auch einmal ein Mensch sein und wissen, wie Glück und Liebe tun. Aber so schöne Dinge sind, scheint es, nicht für Unsereinen. Jetzt mag sich die Menschheit vor mir in acht nehmen.

Er jagte zurück und schickte sich an, für den Abstieg in die Caina vollends reif zu werden.

Man trug die Toten in die Familiengruft der Malatesta und bestattete sie Seite an Seite. Als man das Zimmer vom Blut reinigte, fand sich ein aufgeschlagenes Buch am Boden. Es war das Buch, das der große Verbannte nachmals einen Galeotto nannte, denn seine Gastfreunde zu Ravenna mögen sich gehütet haben, ihm die an ihrer Blutsverwandten verübte Niedertracht zu erzählen. Nein, zwischen Francesca und Paolo bedurfte es keines Galeotto, die Herzen und Sinne, die sich an Lanzelot und Ginevra entzündeten, haben zuvor schon lichterloh gebrannt.

82 Und jetzt zum letzten Teppichfeld, das zugleich das letzte der Nordwand ist und das schönste von allen. Es folgt der Spur des Dichters und so steht es im Rechte.

Hier sind die Liebenden noch einmal, aber wie verwandelt! Mit Füßen, die den Boden nicht berühren, mit Haaren, die der eisige, nicht rastende Sturm nach vorwärts weht, mit Augen, aus denen das Entsetzen starrt, so schweben sie vom Wind getragen heran. Ganz im Vordergrund Dante und Virgil. Noch immer ist die Frau die Stärkere, ihr Arm hält den Geliebten schirmend umfaßt, der nur weinen, hilflos weinen kann, indes Francesca allein zu dem Dichter, der sie beschworen hat, redet.

Francesca, Paolo, warum stöhnt ihr so? Was schlagen eure Zähne aneinander? Könnt ihr frieren, wenn ihr beisammen seid? Wärmt euch die Liebe nicht mehr? Ist sie nicht ewig gewesen? Ist ewig nur die Not und der Jammer? Wie herzzerbrechend muß er sein, daß der Dichter, der sich zum Weltenrichter gemacht hat, bei eurem Anblick bewußtlos niederstürzt!

Ihr unseligen Schatten, hättet ihr doch in einem milderen Jahrhundert gelebt, so wäre euch das letzte Urteil gnädiger gefallen. Aber wer soll euch aus Dantes Inferno losbeten? Es gibt keine Berufung gegen den Spruch des Dichters. 83

 


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