Isolde Kurz
Italienische Erzählungen
Isolde Kurz

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Erreichtes Ziel

Baron Tempe galt unter den Deutschen in Rom für einen ganz vertrackten Sonderling. Er hatte sich schon früh von der diplomatischen Laufbahn zurückgezogen, weil ihm der Zwang einer offiziellen Stellung und »des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr« nicht mehr behagten; ein beträchtliches Vermögen setzte ihn in den Stand, unabhängig zu leben. Da er jedoch äußerst ungern Verbindlichkeiten einging und auch die eingegangenen niemals hielt, so wurde er ein unbequemer Gesellschafter, der sich mit allen Zirkeln und Klubs überwarf und in der großen Stadt abseits vom Weltverkehr sein hagestolzes Wesen trieb. Um nur von keinem Menschen abhängig zu sein und sich an keine Stunde binden zu müssen, nahm er die Gewohnheiten eines Einsiedlers an, und obwohl er ungesehen, wenn eben die Laune über ihn kam, die größten Spenden gab, galt er bei den Fernerstehenden für einen Geizhals und Menschenfeind, weil er sich jeder laufenden Beisteuer, zu welchem Zweck sie 232 auch gefordert wurde, standhaft entzog. Dagegen hängten sich Schmarotzer an ihn, die seinen Grillen schmeichelten und sich die Wandelbarkeit seiner Gesinnungen gern gefallen ließen, wenn sie nur dabei zu ihren Zwecken gelangten. Baron Tempe kannte zwar seine Leute und in Stunden des Unmuts ließ er sie's auch empfinden, da der Mensch aber doch den Umgang des Menschen braucht, fand er es bequemer, nicht über die guten Freunde nachzudenken, sondern nur diejenigen Seiten ihres Wesens aufzufassen, die er jeweilig brauchbar fand. Kurz, er hatte eine Abneigung gegen klare Verhältnisse und es war ein Hauptsatz seiner Lebensweisheit, daß man den Dingen nicht zu sehr auf den Grund gehen dürfe.

Schon als junger Attaché hatte er sich gerne mit Kunst befaßt; nachdem er von den Geschäften zurückgetreten war, baute er sich in seinem schönen, eigenen Hause nahe an der Porta San Sebastiano ein großes, sehr günstig gelegenes Atelier und richtete es mit allen modernen Finessen ein. Auch durchstreifte er alljährlich die Ciociaria kreuz und quer auf der Jagd nach den vollkommensten Modellen, die jedoch seinem anspruchsvollen Auge nie völlig genügten.

Sein Haus war ein wahres Museum, in dem er unermüdlich zusammentrug, was ihn an Schätzen reizte, und schon in der Façade, noch mehr im Vestibül und Treppenhaus waren antike Skulpturen in Menge eingemauert. Die Säle glichen 233 Kunstgalerien, nur mit dem Unterschied, daß der Baron nicht roh die Wände mit Bildern tapezierte, sondern jedes Werk so glücklich zu hängen oder zu stellen und es so feinsinnig zu umgeben wußte, daß die tiefsten Absichten des Meisters zum Ausdruck kamen. Er wurde dadurch gewissermaßen zum Mitschöpfer der Werke, die er kaufte; die Sammler verließen sich unbedingt auf sein Urteil, und die Künstler pflegten zu sagen, wenn er nicht ein großer Herr wäre, so würde er es ihnen allen zuvorthun. Besonders hatte er über Malerei seine eigenen, feinen Gedanken, denen er während der zwölf Mußestunden seines Tages – die Nächte benützte er gewissenhaft zum Schlafen – in der Stille seines Ateliers ungestört nachhängen konnte. Es stand auch viel untermalte Leinwand in schön gestimmten Rahmen auf den Staffeleien umher, damit nichts die Harmonie seiner Eingebungen störe, und eine Unzahl von Pinseln wartete in größter Ordnung und Reinlichkeit auf eine Stunde künstlerischer Empfängnis. Zwischen diesen Gestellen spazierte der Baron im Malerkittel auf und ab, eine Havanna nach der andern rauchend, sann und spann an seinen Ideen, aber zum eigentlichen Schaffen wollte es niemals kommen; er verschob das immer auf später, auf die Zeit, wo das vollkommene Modell gefunden sein würde. Auch war jede Kleinigkeit genügend, ihn aus der Stimmung zu reißen, das Gekeif zweier Weiber von der Straße her schuf seinem empfindlichen Ohr Qualen, selbst der Geruch einer Blume, wenn er nur eben nicht den 234 augenblicklichen Schwingungen seines fein organisierten Nervensystems entsprach, konnte ihn innerlichst verstimmen, und die Glocken der Paulskirche brachten ihn jedesmal in Zorn, weil er behauptete, sie hätten keine Seele.

In solchen unglückseligen Augenblicken blieb ihm nur Ein Ausweg übrig: er setzte sich vor den Flügel, der in seinem Atelier stand, und spielte sein Gemüt in Ruhe, denn die Musik war seine wahre, von ihm verkannte Muse, die ihm jederzeit ohne Umstände zu Willen war.

Hatte er eine Stunde lang gespielt und phantasiert, so erhob er sich, ein begeisterter Mensch, und trat vor die Staffelei. Die Binde war dann von seinem inneren Auge genommen und er sah vor sich, was er schaffen wollte, so leibhaftig, wie es Leonardo da Vinci vom Künstler verlangt. Er griff auch wirklich zum Pinsel, probirte einen Farbenton oder setzte da und dort ein Licht auf, das er, wenn er seine Wirkung geprüft, zufrieden wieder wegwischte, denn in solchen gehobenen Stunden wäre es ihm fast wie eine Roheit erschienen, seine Gesichte in die gemeine Welt des Seienden zu übertragen. Da ihn kein Schaffenstrieb quälte, war er in diesem ewigen Brautstand unstreitig glücklicher als die, welche der tyrannischen Muse angetraut sind und zu jeder Stunde unter ihrem launischen Regiment zu leiden haben.

Baron Tempe hatte aber noch eine andere Liebe, zu der er in einem eben so platonischen Verhältnis 235 stand wie zur Kunst. Die Dame, eine entfernte Verwandte, war seine Jugendneigung gewesen und es bestand unter den Eingeweihten kein Zweifel darüber, daß seine Gefühle damals im gleichen Maß erwidert worden waren. Da aber der Baron trotz aller Aufmunterung von seiten der Familie, die vielen Cotillons, die sie zusammen durchtanzten, unbenützt vorübergehen ließ und sich niemals zu dem entscheidenden Wort entschließen konnte, reichte Cousine Melanie endlich enttäuscht und verstimmt einem andern die Hand. Diese Erfahrung genügte, um dem Baron die Heiratsgedanken auf immer zu verleiden, er ging fortan wie ein Weltmann und Diplomat jeder ernsteren Gefahr aus dem Wege und richtete sich sein Leben als Junggeselle ein, wobei er dem Zug seiner innersten Natur folgte und sein frühes Liebesunglück vor sich selbst zum Vorwand nahm.

Melanies Ehe fiel sehr unglücklich aus und konnte, weil beide Gatten der katholischen Kirche angehörten, nicht geschieden werden. Baron Tempe vergaß seinen Groll und wurde der verlorenen Geliebten ein ritterlicher Freund, der durch teilnehmende Korrespondenz der unglücklichen Frau über manche Bitterkeit hinweghalf.

Als nach einer Reihe von Jahren ihr verkommener Gatte die beste Handlung seines Lebens beging. indem er sich eine Kugel durch den Kopf schoß, konnte von seinem und ihrem eigenen Vermögen nur noch eine knappe Lebensrente für die 236 Witwe gerettet werden. Damit zog nun Baronin Melanie nach dem Süden, um ihre erschütterte Gesundheit wieder herzustellen, und ließ sich auf den Rat des Freundes in Rom zu dauerndem Aufenthalt nieder.

Die Verhältnisse gestatteten nur eine Wohnung von wenigen Zimmern in der Via Capo le Case: ein Salon, ein Vorraum, der zugleich als Speisezimmer benützt wurde, eine Küche und zwei sonnige Schlafzimmer, das war alles. Mit der Baronin war noch eine ältliche, fatal aussehende Begleiterin gekommen, die zwar einen deutschen Namen führte, aber nur französisch sprach. Auch eine Frau »von« mit vielen auffallend blonden Löckchen über der Stirn, die nicht recht zu ihrem verwitterten Gesicht paßten, und einer Menge aristokratischer Ansprüche. Sie stammte von französischen Eltern und war in früheren Jahren Melanies Gouvernante gewesen, jetzt führte sie den vornehm klingenden Titel einer Gesellschafterin, verrichtete aber jedenfalls im stillen noch viele andere Dienstleistungen, denn es war keinerlei Gesinde da, und die Frau des Portiers versah nur die gröbste Arbeit im Hause. In den frühen Morgenstunden, während Frau von Rhoden ihre Einkäufe besorgte, wollte man sogar die Baronin selbst mit aufgesteckter Schleppe und gewickeltem Haar, Bürste und Staubtuch in der Hand, in ihrem Hausflur gesehen haben, aber diese Beobachtungen drangen nicht über die Via Capo le Case hinaus.

237 Jedenfalls sah es trotz der dürftigen Glücksumstände in der kleinen Wohnung, die mit den Trümmern eines einst großen und luxuriösen Hausrats angefüllt war, so zierlich aus wie in einer Puppenstube, und ein aristokratisches Aroma, in dem sich Atkinsons Waldveilchen mit dem Duft der feinsten egyptischen Cigaretten mischten, wehte durch den Raum. Daß auf dem damastenen Tischzeug und dem kostbaren Sèvresporzellan die Baronin und ihre Gesellschafterin oft sehr wenig Substanzielles zu sich zu nehmen hatten, das brauchte niemand zu wissen. Dieser verfeinerten Atmosphäre fehlte es auch nicht an geistigem Leben, auf Melanies kleinem Louis-Seize-Schreibtisch lag immer der letzte Band der »Revie des Deux-Mondes« und einige Nummern des »Figaro«, auch wohl dann und wann eine englische Zeitung, womit der Baron sie versorgte. Sie interessierte sich für Politik und Litteratur, besonders für die französische, sprach geläufig die drei vornehmsten Kultursprachen und das Italienische zur Not und spielte zuweilen vierhändig mit dem Cousin, der als vollkommener Meister ihr etwas eingerostetes Klavierspiel wieder in Fluß brachte.

Er wußte, daß die Frau, die er anbetete, gegen den unwürdigen Gatten nicht gleichgültig gewesen war, und bei jedem Anlaß floß sein Groll gegen. den Räuber seines Lebensglücks über. Melanie sah diese Eifersucht nicht ungern und entfernte sogar das Bild des Toten, um den zartfühlenden 238 Freund nicht zu verstimmen. Sie war eine Frau, die über die Poesie des Lebens hinweg zu sein glaubte, aber sie hatte so viel gelitten, daß sie vom Schicksal jetzt eine Entschädigung erwartete. Das glänzende Haus des Cousins verlangte nach einer Herrin, sie bedurfte einer Stütze in ihrer Verlassenheit, so ergab sich eigentlich der Gedanke an eine nähere Verbindung von selbst. Zudem war der Baron ihr ältester Freund, sein Charakter war unanfechtbar und seine äußere Erscheinung die allervorteilhafteste, schlank und kräftig, von tadelloser Eleganz, aber niemals stutzerhaft, ein Mann und ein Kavalier. Warum hätte er ihr nicht gefallen sollen? Es that ihr wohl, nach so viel Stürmen in einer sicheren Neigung auszuruhen.

Sie fand es nun ganz begreiflich, daß er den Verfluß des Trauerjahres abwartete, bevor er seine wärmeren Wünsche kundgab, und genoß unterdes in seinem Umgang die neugeschenkte Freiheit. Als Fremde wie auch der frischen Trauer wegen hielt sie sich von der Gesellschaft fern und verkehrte fast ausschließlich mit dem Baron, der regelmäßig die Abende mit ihr verplauderte. Ihre Zurückgezogenheit schmeichelte seinen einsiedlerischen Neigungen, und er fand sie zur Einführung in seine Kunstwelt gereift. Melanie, obschon im Grunde der Seele etwas weltlich und positiv, besaß Aneignungsfähigkeit genug, um sich in seine Ideen einzuleben oder wenigstens eine taktvolle, sympathisierende Zuhörerin abzugeben. Nichts auf der Welt 239 hinderte also die beiden, das allerglücklichste Paar zu werden.

Aber das Jahr der strengen Trauer war vorüber, Melanie hatte den langen Crêpeschleier abgelegt und begann schon die unkleidsamen schwarzen Rüschen um den Hals mit lichterem Gekräusel zu vertauschen, und immer machte der Baron noch keine Miene, sich auszusprechen. Ebenso ging es im zweiten und im dritten Jahr, die Baronin verwunderte sich nachgerade über den zaudernden Cousin und fand sein Betragen unbegreiflich.

In Frascati, wo der Baron ein Landgut besaß, begleitete sie ihn öfters auf die Jagd, und die braven Ciociaren betrachteten das elegante Paar mit Bewunderung, aber der Baron trat nicht aus seiner Zurückhaltung heraus. Sie sprachen nach der Unsitte vieler Aristokraten französisch miteinander, was jedoch dadurch entschuldigt war, daß Baron Tempe sein halbes Leben in Paris verbracht hatte und Melanie in einem französischen Kloster erzogen worden war; so erhielten sie auch besser den Reiz ihres Verkehrs, weil sie das steife Sie und das kameradschaftliche Du gleicherweise vermieden. Zuweilen konnte es dann vorkommen, daß der Baron sich neben Melanie auf einen Marmorblock niedersetzte, vielleicht ein antikes Säulenkapitäl oder das Bruchstück eines Tempelfrieses, und seine entzückten Augen von der weitgedehnten, farbenglühenden Campagna auf seine Nachbarin und von dieser wieder über die römische Ebene schweifen ließ und mit 240 einem Seufzer unaussprechlicher Wonne sagte: »Oh, que la vie est belle!« Auch küßte er ihr gelegentlich in ritterlicher Haltung das Handgelenk, aber dabei blieb es. Der Baron war wie die irrenden Ritter, die für ihre Dienste keinen andern Lohn erwarteten, als die Ehre, der Dame ihres Herzens weiter dienen zu dürfen.

Auch die Gesellschafterin, ein Frau von mannigfacher Erfahrung, die ein bewegtes Leben hinter sich hatte, wußte nicht, was aus der Sache machen. Sie war nicht nach Rom gekommen, um ihr Leben als Aschenbrödel in der Via Capo le Case zu beschließen, sie hatte vielmehr ihr beschädigtes Schifflein ins Schlepptau des Dampfers Melanie gehängt, um mit diesem in einen glücklichen Hafen einzulaufen. Sie gab daher ihrer jüngeren Gefährtin manchen Wink, wie der langsame Freier aus seiner Zurückhaltung herauszutreiben wäre, aber Melanie fand sich verletzt und innerlich ernüchtert dadurch, daß ihr leises Entgegenkommen nicht verstanden worden war, und ihr Selbstgefühl gestattete ihr keinen weiteren Schritt, um eine Sachlage zu verändern, bei der der männliche Teil so gar nichts zu vermissen schien.

Die Wahrheit war, der Baron hatte keine Wünsche, denn er wußte ganz genau, was er an dem Reiz des täglichen Umgangs besaß, aber keine Sibylle konnte ihm vorhersagen, was er im Fall einer Ehe dafür eingetauscht hätte. Vielleicht glaubte er es auch seinem Talent schuldig zu sein, durch 241 keine Familienunruhe das Entstehen des Kunstwerkes zu beeinträchtigen. Er war in den Jahren, wo die Leidenschaften ohnehin zurücktreten vor der überwältigenden Macht der Gewohnheit, auch wirkte wohl ihm selber unbewußt das italienische Vorurteil mit, wonach ein Ehemann schicklicherweise seine Abende überall, nur nicht bei seiner eigenen Frau, verbringen kann. Melanies kleiner Salon mit seiner aristokratischen Atmosphäre war ihm allmählich ein Bedürfnis geworden; wo ein ähnliches Thee- und Plauderstündchen suchen, wenn das alles in sein eigenes Haus verlegt war?

Von solchen Gedanken gab er sich natürlich keine Rechenschaft; er folgte bloß seiner Gewohnheit, die Dinge gehen zu lassen und Entscheidungen hinauszuschieben. Er glich den Kindern, denen die Zeit als etwas Unermeßliches erscheint und das nächste Jahr wie ein kommendes Jahrhundert; auch die Lichtung, die auf seinem nicht mehr ganz braunen Scheitel Platz zu greifen begann, schuf ihm wenig Sorgen. Wenn er den Tag über in seinem Atelier gesonnen und gesponnen hatte, ließ er sich sonder Harm an seiner trefflich bedienten Tafel nieder und trank dann am Abend noch eine Tasse Thee bei der Baronin, musizierte oder las eine Anekdote aus dem »Figaro« vor, während die beiden Damen stickten. Dann wanderte er zufrieden nach Hause, ohne zu denken, daß es einmal anders werden könne.

Dabei war er im Grunde doch ein unausstehlicher 242 alter Nergler, der, sobald sich die Formen der Baronin vorübergehend einmal etwas mehr rundeten, gleich zu kritteln anfing und das Schwinden ihrer Taille beklagte, auch sonst an dem Opfer seiner Verehrung alle seine tyrannischen Junggesellenlaunen ausließ. Ueber ihre Toilette führte er strenge Aufsicht, und Melanie wußte bei ihren knappen Mitteln oft nicht, wie sie es seinem verwöhnten Auge recht machen sollte.

Um ihre aristokratischen Hände und Füße immer würdig zu bekleiden, verausgabte sie schon fast ein Drittel ihrer laufenden Einkünfte, und ein neues Kleid hatte die unausweichliche Folge, daß der Herd auf Wochen hinaus kalt blieb.

Vor allem aber litt sie an Langerweile.

Sie hatte sich erholt von den Aufregungen ihrer stürmevollen Ehe und war jung genug, jetzt nach neuen zu verlangen. Sie sagte sich, wenn sie noch irgend ihr Leben genießen wollte, daß jetzt die Zeit dazu war. Aber es fehlte ihr an Bekanntschaften, alleinstehend und fremd fand sie keinen Weg, um in die Gesellschaft einzutreten, und machte überdies die Erfahrung, daß, wenn man schon längere Zeit an einem Ort gelebt hat, das Anknüpfen neuer Beziehungen viel größere Schwierigkeiten hat, als gleich bei der ersten Ankunft. Eine tiefinnere Verstimmung wob ihr einen grauen Schleier über die ganze Welt, und es schien ihr, als ob auf all diesen Trümmerstätten ihr Leben selbst zur Ruine geworden sei. Jedes wiederkehrende Frühjahr fand 243 sie gereizter und mißmutiger. Sie sah oft lange in den Spiegel und war mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Das hinterließ einen Stachel in ihrem Herzen, der sie immer im stillen peinigte und nicht dazu beitrug, ihr die schwindende Frische wieder zu geben. Eine Stimme fragte immerfort leise: Bin ich nicht mehr hübsch genug?

Baron Tempe aber merkte von all dem nichts. Die Abnahme ihrer äußeren Erscheinung, die ihr so viel zu denken gab, war für sein Auge gar nicht vorhanden, so wenig als es ihm je klar geworden war, daß sie den Auseinandersetzungen seiner Kunstideale nur ein gezwungenes Ohr lieh. Melanie war wie in den Tagen der Jugend seine Muse, seine Göttin, der er in Weihestunden Rauchopfer brachte und die er nicht in die Alltäglichkeit des Lebens herabziehen mochte.

Dieses seltsame Verhältnis hatte nun schon so lange gedauert, daß nicht abzusehen war, wie es sich je noch einmal ändern sollte, wenn nicht irgend etwas ganz Besonderes dazwischen trat.

Nachdem der Baron sein zeitliches Heil und seine Bequemlichkeit nach allen Seiten gesichert sah, begann er sich nun auch mit der Sorge um seine letzte Ruhestatt zu befassen. Es läßt sich von ihm denken, daß er in einer so wichtigen Frage die Wahl nicht überstürzte. Die Poesie des veilchendurchdufteten protestantischen Friedhofs hatte es ihm seit lange angethan, und ein Platz in der Nähe der Cestiuspyramide, in der Gesellschaft so 244 vieler Großen, hätte seiner Eigenliebe geschmeichelt, aber er war Katholik, zwar nur ein lauer, doch immerhin hielt er an seiner Konfession fest. Das Dämmerlicht und der Weihrauchduft der katholischen Kirchen thaten seinem Herzen wohl, und die Geliebte gehörte ja demselben Glauben an.

Er sah sich also auf das weit prosaischere Campo Verano angewiesen und konnte dort lange keinen Platz finden, der seiner feinen Empfindung genügte, aber er lenkte häufig seine Schritte dorthin und beobachtete in der Stille, wie der unersättliche Kirchhof ein Stück ums andere von der umgebenden Campagna an sich riß. Auf einem dieser Gänge ließ er sich auch einmal von den beiden Damen begleiten, stolperte mit ihnen zwischen den Gräberreihen und dem Schutt des noch ungebrochenen Terrains herum und ging auf alle Punkte der hochwichtigen Frage ein. In Rom liegen solche Gedanken eigentlich in der Luft, und einem Mann, der so lange Jahre an der Via Appia gelebt hat, ist es nicht zu verargen, daß er nach vollbrachtem Tagewerk auch an eine schickliche letzte Behausung denkt, besonders wenn er keine Nachkommen hinterläßt, die dieses Amt für ihn mit Pietät besorgen würden. Baronin Melanie dagegen hatte für solchen halbägyptischen Gräberkultus keinen Sinn, sie hörte dem gesprächigen Cousin eiskalt und schweigend zu, sah mit Bedauern auf ihre feinen, bis zum Knöchel mit dem schweren römischen Schlamm bedeckten Stiefelchen herab und pflückte da und dort ein frühes 245 Veilchen. Die Gesellschafterin betrachtete mit Blicken des Zweifels den von Gesundheit strotzenden, noch immer schönen Mann, der mit einer Frau, die er liebte, nichts Klügeres zu verhandeln hatte, als über sein Grab, und fragte sich, ob sie denn einen Geisteskranken vor sich sehe. In ihrem Eifer schlug sie gar einen falschen Ton an, indem sie die Möglichkeit, einen solchen Beschützer durch den Tod zu verlieren, sentimental nahm, und Baron Tempe, der diese Frage mit heiterer Gelassenheit behandelt sehen wollte, wurde dadurch auf das unangenehmste berührt. Er setzte von nun an sein Suchen allein fort.

Als endlich wieder ein großes, scholliges Feld in erhöhter Lage in den Bezirk des Friedhofs eingeschlossen wurde, fand der Baron, was er wünschte. Es war da eine hochgelegene Stelle, die auf ein kleines, zum Friedhof gehöriges Cypressenwäldchen herunter sah, dahinter dehnten sich weit in blauem, zauberhaftem Gewand die Sabinerberge, wie der Hintergrund eines Welttheaters. Stimmungsvoll und ernst, aber ohne Schwermut, im Licht einer höheren Weltversöhnung, lag dieses Plätzchen da, abseits vom Gewühl und wie geschaffen für einen stillen Denker. Hier mochte ein kunstbegabtes Ohr vielleicht das Rauschen der ewigen Accorde vernehmen, jedenfalls war es ein würdiger Abschluß, das Kunstgebäude eines Lebens damit zu krönen.

Baron Tempe war diesmal gleich entschlossen, den Platz zu kaufen, aber er stellte den Anspruch, 246 daß sich im weiten Umkreis um das seinige her keine anderen Gräberbewohner ansiedeln dürften. Das Munizipium erhob Schwierigkeiten gegen die Ueberlassung eines so bedeutenden Grundstücks bei dem Raummangel der wachsenden Großstadt und forderte eine sehr beträchtliche Summe. Das gab nun endlose Verhandlungen, aber der Baron blieb auf seinem Kopf. Wenn der tote Hadrian einen ganzen Palast bewohnte und eine der Welt sonst so wenig bekannte Cäcilia Metella bei den spätesten Geschlechtern Ruhm genoß ob ihrer einzig schönen Ruhestätte, so wollte er zum mindesten seine Bequemlichkeit haben.

Er bezahlte also die Summe, bestellte Arbeiter und ließ die Gruft in Angriff nehmen. Ein Architekt, den er zuweilen in der späten Abendstunde noch bei »Morteo« traf, zeichnete ihm mehrere Entwürfe, die dem Baron außerordentlich gefielen.

In Gesellschaft des Architekten hatte er schon früher einen dänischen Bildhauer Namens Larsen kennen gelernt, einen noch jüngeren Mann von einnehmendem Aeußern, über dessen Begabung ihm der Architekt Wunderdinge erzählte. Larsen hatte in seinem Wesen ein gewisses Etwas, das dem Baron gefiel, und auch in ihren Kunstansichten stimmten sie auf manchem Punkte überein; also wurde dem Dänen die Ausführung des Monuments nebst dem nötigen plastischen Schmuck überwiesen. Für Larsen war der Auftrag der reine Glücksfall, denn er befand sich eben in großer Geldnot und wußte nicht, 247 wie die Miete seines Ateliers bezahlen. Er führte den Baron in seiner Werkstätte umher, in der ein paar Marmorarbeiter mit dem Aufbau eines Gerüstes beschäftigt waren und auch ein Schüler Larsens, ein elegant aussehender Yankee, vor einem Drehstuhl hantierte. Durch diesen Umtrieb wußte der Künstler seine üblen Glücksumstände vor dem aristokratischen Besucher zu verheimlichen.

Die Sitzungen zu einem Reliefporträt wurden sogleich begonnen und dauerten eine geraume Weile, da der Baron die Nase wohl zehnmal ändern ließ und alles besser zu wissen glaubte, als der Künstler selbst, so daß dieser oft nahe daran war, die Geduld zu verlieren. Das Grabmal dagegen, von dem bereits ein kleines Wachsmodell fertig war, konnte nicht schnell genug vorwärts kommen, als ob der Baron die Absicht habe, sich schon in allernächster Zeit hinein zu legen, denn er war einer von den Zauderern, die, wenn sie einmal zu einem Entschluß gelangt sind, am liebsten alles in einer Nacht fertig haben möchten.

Baronin Melanie hatte seit der Gräberaffaire eine stille Abneigung gegen den Cousin gefaßt, dessen Egoismus ihr nachgerade ans Geschmacklose zu streifen schien. Sie wollte kein Wort von dem Grabmal hören und weigerte sich aufs entschiedenste, ihn jemals wieder auf das Campo Verano zu begleiten. Sie schützte nun Migräne vor, so oft er sie in das Atelier Larsens führen wollte, um das fertige Marmorrelief in Augenschein zu nehmen. 248 Die gute Rhoden aber gab ihm zu verstehen, die Baronin sei durch den Anblick seines Grabmonumentes, von dem er einmal Skizzen mitgebracht hatte, schmerzlich erschüttert worden, und bat ihn, die zärteren Nerven seiner Cousine zu schonen.

Die beiden Damen verließen in diesem Jahr Rom früher als sonst und verbrachten die heiße Zeit im Engadin, wohin eine Freundin sie auf ihr Chalet eingeladen hatte. Melanie befand sich jetzt in der Stimmung, die eingreifenden Entschlüssen vorangeht; sie konnte die Einförmigkeit ihres Daseins nicht mehr ertragen, sie verlangte um jeden Preis nach einer Beschäftigung, nach einem Lebenszweck.

Auf Anregung der Freundin versuchte sie es, kleine Erzählungen zu schreiben, die im Freundeskreis Beifall fanden. Sie versandte die Kinder ihrer Muse unter einem Pseudonym an verschiedene Feuilletons und erhielt zu ihrer Ueberraschung Lobsprüche und ein Honorar. Sie hatte zwar herzlich wenig Talent, aber ihre Erfindungen bewegten sich in aristokratischen Zirkeln und es kamen so viele Attachés, Hofdamen und französische Wörter darin vor, daß das Publikum sich blenden ließ. Baronin Melanie war auf dem besten Weg, eine beliebte Novellistin zu werden.

Baron Tempe war unterdessen seiner Gewohnheit zuwider den ganzen Sommer über in der Stadt geblieben. Er teilte seine Tage zwischen dem Atelier Larsens und dem Campo Verano, um das 249 Fortschreiten des Werkes zu überwachen. Als Melanie im Spätherbst zurückkam, den Kopf voll von Plänen und Aussichten, fand sie den Freund bis über die Ohren in seine Schrullen verrannt, und die beiden verstanden sich weniger als je.

An dem Monument war unter Larsens Aufsicht so rüstig gearbeitet worden, daß um die Weihnachtszeit schon das architektonische an Ort und Stelle gebracht werden konnte, es fehlte nur ein Fries mit vielen Figuren, der später eingelassen werden sollte. Die Gruft war unterirdisch ausgebaut und enthielt verschiedene Grabkammern: wenn es dem Bewohner einmal einfiel, die Lage zu wechseln, so fehlte es ihm nicht an Raum. Nur über den Entwurf des Frieses hatten sie sich bis jetzt nicht einigen können. Der Baron wünschte darauf sich selber dargestellt zu sehen im Geiste antiker Grabreliefs, wie er von der Kunst als seiner Lebensgefährtin Abschied nahm, und der trauernde Genius der Kunst sollte Melanies Züge tragen, aber darüber hatte er dem Bildhauer noch keine recht deutlichen Winke zu geben gewagt.

Mittlerweile war es December geworden und der Baron, der bei allem, was er unternahm, einer langen Vorbereitung bedurfte, wußte noch nicht, womit er diesmal seine Cousine zu Weihnachten überraschen wollte. Sonst hatte er das ganze Jahr Muße gehabt, über eine Gabe nachzusinnen, in der sich seine Verehrung eben so zartsinnig wie verschwenderisch äußern konnte, und wenn er ihr nichts 250 weiter brachte als einen blühenden Blumenstock, so war dieser gewiß so selten, daß seine Beschaffung ein kleines Vermögen gekostet hatte. Der Gesellschafterin dagegen gab er seidene Kleider, Spitzen und Handschuhe und drückte dadurch den Unterschied aus, den er sie im Verkehr niemals fühlen ließ.

Im Vorjahr hatte er Melanie sein Bildnis in Oel verehrt, von einem gleichgesinnten Kunstgenossen gemalt, und über diesem Porträt war es zum ersten kleinen Mißverständnis zwischen den beiden gekommen, denn die Baronin konnte in dem Bild keine Spur von Aehnlichkeit entdecken, und der Baron setzte ihr auseinander, daß es auf Aehnlichkeit bei einem guten Porträt gar nicht ankomme, sondern darauf, daß der Maler eine »Idee« habe. Diese ihr unverständliche Behauptung hatte Melanie verstimmt, und sie hängte die »Idee« des Malers, die ihr nicht einleuchtete, in ihre Rumpelkammer, aber die Rhoden machte den Baron, als er sich bei ihr nach dem Bilde erkundigte, glauben, es befinde sich im Schlafzimmer der Baronin über ihrem Bett.

Diesen Winter aber fand ihn über all dem Umtrieb die Weihnachtszeit ganz unvorbereitet. Er hatte zwar unlängst bei einem Antiquitätenhändler einen gemalten Elfenbeinfächer der Marie Antoinette erstanden, auch besaß er aus der Demidowschen Versteigerung, wegen deren er dazumal eigens nach Florenz gefahren war, einen Milchzahn des ersten Napoleon als Berlocke gefaßt, aber das alles schien ihm nicht geeignet, um das Zarte, 251 was er für diese Frau empfand, zum richtigen Ausdruck zu bringen.

Vor seinem Grabmal auf und ab wandelnd, dachte er an sie, die mit all seinem Denken und Fühlen seit den frühesten Jugendtagen verknüpft war.

Für wen hatte er eigentlich diese Gruft gebaut? Doch nicht um als engherziger Egoist einmal allein unter diesem weichen Rasen bei Cypressen und trauernden Genien zu ruhen. Als der Architekt, mit dem er den Plan einer Familiengruft durchsprach, ihm zuerst lachend bemerkt hatte, der Baron fange da an, wo andere aufhören, indem es doch sonst üblich sei, vorher die Familie zu gründen und dann erst die Familiengruft, da hatte der Baron einigermaßen verdrießlich erwidert, er besitze noch Anverwandte, die er gern einmal im Tod um sich versammelt wissen möchte. Dem Architekten war es freilich wunderlich erschienen, daß ein Mann, der im Leben sich die Familiensorgen vom Leibe hielt, in der Gruft die Rolle eines Patriarchen spielen wollte, doch er berührte natürlich diesen zarten Punkt nicht weiter, und das Grabgewölbe wurde auf mehrere Personen berechnet. Aber der Baron dachte eigentlich nur an Melanie, wiewohl er dies niemals, auch nicht ihr selbst gegenüber, ausgesprochen hatte. Um ihren schönen, schlanken Leib einst würdig zu decken, war dieser Hügel so hoch aufgebaut und so fürstlich geschmückt worden, und über seinen Bemühungen für ihre gemeinsame Gruft hatte er im letzten Jahr selbst 252 ihren Umgang vernachlässigt. Warum hatte er ihr nie gesagt, daß er dabei nur an sie dachte?

Er setzte eine förmliche Schenkung auf und ließ von der Gruft, wie sie ihm fertig vorschwebte, eine Aquarellskizze anfertigen, die mit einem schöngeschnitzten Rahmen umgeben ward. Die Sendung begleitete er mit einem halb witzigen, halb sentimentalen französischen Billet; darin hieß es, er habe dieses Mausoleum für seine Königin gebaut, da er aber als der viel ältere lange vor ihr zu sterben hoffe, so bitte er um einen bescheidenen Platz in dem Gewölbe, damit er als ihr Lehensmann auf ihrem Grund und Boden wohnen und sie erwarten könne. Es war ganz der Ton seiner etwas veralteten Galanterie und machte sich im Französischen recht graziös und rokoko. Das Paket schickte er durch seinen Diener am Weihnachtsmorgen ins Haus der Baronin.

Aber seine Absicht, die Freundin zu erfreuen, schlug ihm diesmal gänzlich fehl.

Als Melanie die unerwartete Schenkung der Gruft empfing, bäumte sich all ihre niedergehaltene Lebenslust zu verzweifeltem Widerspruch auf. Sie suchte einen Briefbogen und wollte ein Billet mit hundert kleinen Nadelspitzen an den Baron schreiben, aber sie kam nicht über den Anfang hinaus und mußte das Papier zerreißen, weil ihre Hand gezittert hatte. Sie konnte es nicht länger in den vier Wänden ertragen, sondern kleidete sich eilig an und verließ das Haus. Da sie ein dringendes Bedürfnis nach frischer Luft und Sonnenschein empfand und nichts sehen 253 wollte, was sie an Grüfte und Gräber erinnerte, so schlug sie den Weg nach dem Pincio ein, der trotz der winterlichen Jahreszeit im frischesten Grün lachte. Dort ging sie lange in den etwas feuchten Alleen unter den immergrünen Bäumen auf und ab und dachte viel über sich selbst und den Baron nach.

In ihrer ersten Aufregung war es ihr durch den Kopf gefahren, irgend eine exemplarische Rache an ihm zu nehmen. Aber indem sie sich über ihr gegenseitiges Verhältnis Rechenschaft zu geben suchte, that sie einen Blick in ihr eigenes Innere, der sie tief beschämte.

Was hatte sie denn eigentlich nach Rom geführt und alle die Jahre hier gehalten, unbefriedigt, wie sie sich fühlte? War's wirklich nur die Dankbarkeit gegen den trefflichen Freund gewesen? Hatte der Gedanke an seine glänzende Stellung und sein großes Vermögen gar keine Rolle in ihren Zukunftshoffnungen gespielt? Sie hätte diese Frage, die ihr nie noch so deutlich vor die Seele getreten war, gerne vertuscht, aber eine Stimme erhob sich laut und deutlich in ihr und sagte ohne alle Beschönigung:

»Ja, du warst deiner gedrückten Lage überdrüssig, du bist nach Rom gekommen, um den reichen Mann zu fischen; um seines Reichtums willen hast du all seine Thorheiten ertragen und dir lange eingeredet, es seien die Ausflüsse eines originellen Geistes. Jetzt hast du, was du verdienst! Statt des Platzes in seinem Haus, bietet er dir – ein Grab an seiner Seite!«

254 Sie wurde jetzt in ihren Selbstvorwürfen sogar zu hart, denn sie vergaß ganz, daß sie doch manchen Grund gehabt hatte, dem Baron gewogen zu sein, auch ohne Rücksicht auf sein Vermögen, und daß er einst ihre Jugendneigung gewesen war zu einer Zeit, wo ihr jede Berechnung fern gelegen. Nun machte sie als eine energische Frau einen Strich unter die ganze Episode und sagte sich: Damit wären wir fertig.

Beim Nachhausekommen fand sie die Lichter bereits angezündet, und der Baron, der wie gewöhnlich den heiligen Abend bei ihr verbringen wollte, saß im Salon mit der Rhoden.

Er sprang ihr entgegen, faßte ihre Hand, sagte mit bewegtem Ton: »Melanie?« und suchte ihr in die Augen zu sehen, aber Melanie empfing ihn mit einer lauten Lustigkeit, lachte, trillerte und machte ihm Komplimente über seinen unvergleichlichen Geschmack in glücklichen Ueberraschungen. Auf seine Frage, wie ihr der Aufbau des Monuments gefalle, antwortete sie leichthin: »mais, c'est chic, c'est très chic,« als ob von einem Kleidungsstück die Rede wäre, und fragte so nebenbei, ob er große Eile habe, sie zu begraben, worauf er still gekränkt antwortete: »Sie thun mir Unrecht, Melanie, so gewiß ich lange vor Ihnen dort ruhen werde.«

Er hatte, da er über die Wirkung seines Geschenkes doch nicht ganz ruhig gewesen, auch den Fächer der Marie Antoinette mitgebracht, und in einem niedlichen Etui trug er sogar den Milchzahn 255 des großen Kaisers bei sich. Aber Melanie, die sonst aus Mangel an anderen Interessen gerne mit seinen Kuriositäten gespielt hatte, verhielt sich diesmal sehr kühl dagegen, daß er den Zahn wieder zu sich steckte und sich bald im tiefsten verletzt entfernte.

Woher diese Verstimmung gekommen war, konnte er gar nicht begreifen, nur so viel war ihm klar, daß die Aussicht, dermaleinst an seiner Seite zu ruhen, von dieser Frau sehr leichthin behandelt wurde.

An einem der nächsten Tage stellte sich ein athletisch aussehender Mensch in nicht ganz courfähiger Kleidung und mit erstaunlich großen Händen und Füßen, den Kopf von einem aufstrebenden Wald brauner Locken umrahmt, im Hause ein und fragte nach der Baronin. Er nehme sich die Freiheit, an Stelle des Barons Tempe, der durch Geschäfte verhindert sei, selber anzufragen, wann es ihr bequem sei, die Sitzungen zu ihrem Relief zu beginnen.

Melanie musterte den Unbekannten von Kopf zu Fuß und antwortete hochmütig, daß sie sich nicht erinnere, ihr Bildnis bestellt zu haben.

Da aber in Blick und Haltung des Fremden etwas lag, das ihr imponierte, so änderte sie schnell ihr Betragen, fragte, ob sie den Bildhauer Larsen vor sich sehe, von dem der Baron ihr viel erzählt habe, und als er dies bejahte und sich wegen seiner Ungeschicklichkeit, so ins Haus zu fallen, 256 entschuldigen wollte, reichte sie ihm lächelnd die Hand und ließ ihn gegenüber Platz nehmen.

Sie gestand ihm, sie habe gar keine Lust zu ihrem Grabrelief zu sitzen, sie fühle sich durchaus noch nicht lebensmüde und finde den Einfall ihres Vetters, eine Gruft für sie zu bauen, zum mindesten ein wenig verfrüht.

Der Bildhauer machte keine Miene, in sie zu dringen, sondern wollte sich rasch zurückziehen. Da sie aber den Ausdruck peinlicher Enttäuschung in seinem Gesichte las, dachte sie:

»Der Mann ist vielleicht arm und hat die Bestellung nötig.« Denn da sie selber arm war, lag ihr der Gedanke an Geldverlegenheiten nahe.

Sie bat ihn daher freundlich, noch zu bleiben, sie sei nicht ganz entschlossen, das Ansinnen des Barons zurückzuweisen, so wunderlich es ihr erscheine. Sie plauderte noch dies und das, gab zu verstehen, daß es sie reizen würde, von seiner Hand modelliert zu werden, und sagte endlich heiter:

»Gut, ich will Ihnen sitzen, Herr Larsen, und was das Sterben betrifft, so habe ich noch immer Zeit, mir das zu überlegen.«

Larsen verließ das Haus mit geschwellter Brust wie einer, in dessen Leben ein ganz ungeahnter Zuwachs an Glückseligkeit getreten ist. Es schien ihm, als sei er noch nie einer so anziehenden Frau begegnet, und seine Bewunderung ließ einen lebhaften Widerschein zurück, denn die Baronin vermochte 257 ohne alles Mißfallen sogar an die großen unbehandschuhten Hände ihres Besuchers zu denken.

Das Thonrelief fiel vorzüglich aus, und beide wunderten sich, daß die Sitzungen so kurz gedauert hatten.

Melanie freute sich an den jugendlichen Linien des Reliefbildes und befragte gründlich den Spiegel, ob das ihr gutes Recht oder nur die Gefälligkeit des Künstlers sei. Aber der Spiegel gab diesmal eine durchaus befriedigende Antwort, denn sie sah diesen Winter besser und blühender aus als seit vielen Jahren. Während der Marmor punktiert wurde und die Sitzungen unterbrochen, fand Larsen, daß in ihrem Profil etwas Pikantes liege, das er noch nicht genügend ergründet habe, und erhielt die Erlaubnis, ein zweites Relief zu modellieren, ein wenig mehr ins Dreiviertel gerückt, das den Baron nichts angehen und ihm selbst gehören sollte. Je mehr er an ihrem Kopf arbeitete, desto mehr Probleme fand er daran zu lösen, und als das zweite Relief gegossen war, machte er ihre ganze Büste.

Larsen war von niederer Herkunft; was er an Bildung besaß, hatte er sich in reiferen Jahren selber angeeignet. Die Unterhaltungsgabe und die feinen Formen der Baronin entzückten den Sohn des Volkes, er dagegen hatte eine lebendige Frische und eine derbe Natürlichkeit, die nie ins Gewöhnliche ging und die abgespannten Nerven der Baronin wohlthätig aufreizte. Sie machte ihm gegenüber gern den grillenhaften Vetter zum Gegenstand ihrer kleinen 258 Bosheiten, denn es lag ihr mit einemmale viel daran, daß Larsen ihre Beziehungen zum Baron in keinem falschen Lichte sehen sollte. War sie einmal verhindert, den Künstler auf eine halbe Stunde in seinem Atelier aufzusuchen, so fehlte er ihr den ganzen Tag. Der Baron hatte immer nur der Dame in ihr gehuldigt, Larsen war der einzige, der über alles Beiwerk hinweg unmittelbar als Mensch zum Menschen sprach. Dabei hatte er eine offene, unwiderstehlich liebenswürdige Art, über seine Herkunft und seine Armut zu reden, die er vor ihr nicht wie vor dem Baron zu verbergen suchte.

»Sehen Sie, Baronin,« sagte er einmal, »wie auf dieser närrisch kugelrunden Erde kein Mensch auf den rechten Fleck zu stehen kommt. Ich zum Beispiel – Sie sehen es mir vielleicht bei meiner Bärenhaftigkeit nicht an – bin der geborene Familienvater. Ein liebes Weib, ein Haus voll Kinder – das wäre so recht mein Glück – und dazu mein tägliches Auskommen, mich sollte gewiß niemand je mit verdrießlichem Gesicht sehen. Und doch, wer weiß, ob ich es jemals so weit bringen werde.«

Melanie schwieg und seufzte heimlich mit ihm, denn das Herz schwoll ihr über von Sympathie und Teilnahme.

»Und wenn ich dazu noch in meiner eigenen Vigne meinen Wein ziehen dürfte – haben Sie schon einmal in einer römischen Vigne ein Glas Wein getrunken? Ich wette, nein, aber das müssen Sie probieren. Und nun,« fuhr er fort, »nehmen Sie 259 einmal dagegen den Baron. Macht er mit seinem Geld sich oder einen andern Menschen glücklich? Hat er jemals nur eine Verwendung dafür gefunden, die nicht Schrulle und eitel Thorheit wäre? Der Mann könnte ebenso gut in der Wüste hausen, er und die Welt hätten nichts an einander verloren.«

Er mochte denken, daß er über ihren Verwandten zu viel gesagt habe, denn er brach schnell ab und fragte:

»Haben Sie schon den jungen Amerikaner gesehen, der in meinem Atelier arbeitet?«

Melanie fuhr aus einer kleinen Zerstreuung auf und sah ihn fragend an. Sie hatte eben in Gedanken das Zukunftsbild des Künstlers mit der trübseligen Gräberphantasie ihres Verwandten verglichen, und das Ergebnis war sehr zu Gunsten Larsens ausgefallen.

»Das ist auch einer von denen, die an den falschen Platz geraten sind,« fuhr Larsen fort. »Er wäre ein trefflicher Geschäftsmann, denn er hat den besten Kopf für Zahlen, der mir jemals vorgekommen ist. Aber vom Künstler ist keine Faser in ihm, und er ist intelligent genug, um das zu wissen. Doch er beißt die Zähne zusammen und modelliert. Und wissen Sie, wie er dazu kommt? Seine Heimat, ein urkleines Nest im Westen der Union, an der äußersten Grenzmark der Kultur – ich kann den vertrackten Namen nicht behalten – besitzt kein öffentliches Monument und hat doch den Ehrgeiz, sich ein Standbild errichten zu wollen so gut wie andere 260 Orte. Die Gelder sind beisammen, es fehlt nur eine Kleinigkeit, der Künstler. Im ganzen Staat giebt es keinen Bildhauer. Ihn von auswärts zu verschreiben, das läßt der Lokalsinn nicht zu. Aber die Yankees wissen sich zu helfen. Sie suchen den aufgewecktesten Burschen aus der ganzen Schule heraus – die Wahl fällt auf meinen Mr. Stokes – und schicken ihn mit vielem Geld auf fünf Jahre nach Europa, damit er das Bildhauern erlerne. Der Bursch hat keine Spur von Formensinn, keine Phantasie, keinen Trieb. Aber gleichviel, ein Auftrag ist ein Auftrag, und er bildhauert. Er war schon in Paris und Berlin, hat bei dem und jenem Meister Unterricht gehabt, jetzt ist er bei mir, um das Thonmodell zu seiner Gruppe zu machen.«

Larsen konnte nicht weiter sprechen, denn die Baronin war in ein tolles, übermütiges Lachen ausgebrochen und lachte fort, bis ihr die Thränen in die Augen traten.

Sie deutete auf ein mächtiges, mit nassen Tüchern umwundenes Gerüst, das nebenan in einer halb verfallenen Säulenhalle stand.

»Und dies hier ist das Modell?« fragte sie.

Larsen ging hin und wickelte die Tücher ab. Ein seltsames Ding kam zum Vorschein. Ein bäumendes Pferd ohne Sattel und kaum gezäumt, darauf eine halbnackte weibliche Gestalt, die sich katzenhaft aufgeschwungen hat und mehr kauernd als sitzend mit einer Hand die Mähne gefaßt hält, während Haar und Gewänder flattern.

261 »Es ist die neue Welt, die mit wildem Lauf in die Zukunft stürmt,« sagte Larsen zu Melanie, die lange verwundert schwieg. »Ist es nicht schön?«

»Ich hätte geglaubt, es sei ein weiblicher Cowboy.«

»Sie haben ganz recht,« gab er vergnügt zurück. »Buffalo Bill mit seinem Wild West hatte mich auf den Gedanken gebracht.«

»Also ist die Arbeit von Ihnen?« rief die Baronin.

Larsen legte den Finger auf den Mund.

»Unsereiner muß froh sein, wenn er einmal an einem großen Werk mitschaffen darf, wär's auch nur anonym,« sagte er mit einem Anflug von Bitterkeit.

Die Baronin ging lange um die Gruppe herum und musterte sie von allen Seiten. Was Pferde betraf, so war sie Kennerin und deshalb selten mit einer Reiterstatue zufrieden, aber dieses wilde Prärienpferdchen bezauberte sie völlig.

»Und dieses Werk bringt nun Mr. Stokes als sein eigenes nach Amerika?«

Larsen antwortete nicht, sondern griff nach der Spritze und übergoß die ganze Gruppe mit Wasser, worauf er sie wieder in ihre Tücher hüllte. Er schien traurig und verstimmt, aber sobald sie die Halle verlassen hatten, thaute er wieder auf und nahm Melanie das Versprechen ab, daß sie sich einen dieser Tage von ihm nach einer Vigne führen lassen wollte.

»Aber ohne die Gesellschafterin,« sagte er noch unter der Hausthüre.

262 »Ohne die Gesellschafterin,« antwortete Melanie leise und reichte ihm mit vielsagendem Lächeln die Hand.

Was die beiden auf diesem Spaziergang zu besprechen hatten, das erfuhr niemand, aber es muß ein herrlicher Tag gewesen sein; schon anfangs Februar hatte sich in diesem Jahr der Frühling gemeldet und Melanie kam mit glühenden Wangen nach Hause, so ausgelassen und lustig wie ein junges Mädchen.

Als sie schon zur Ruhe gegangen war, setzte sich die Rhoden, die von einem Besuch spät nach Hause kam, an ihr Bett. Der Baron vergehe fast vor Eifersucht, erzählte sie, er sei im Lauf des Nachmittags zweimal dagewesen, um nach ihr zu fragen, er müsse Wind gehabt haben, daß sie in Larsens Gesellschaft sei, und er würde ihr unzweifelhaft nachgestürmt sein, wenn er gewußt hätte, welchen Weg sie genommen.

Melanie lachte bei dieser Mitteilung hell auf.

Es sei ja ganz günstig, meinte die Gesellschafterin, daß der Zauderer endlich aus seinem Gleichmut aufgerüttelt werde, aber die Baronin möge doch vorsichtig sein und nicht zu weit gehen in der Herausforderung, solche Naturen seien unberechenbar – und was dergleichen Reden mehr waren.

Melanie gab gar keine Antwort, sie wickelte sich ihre langen dunklen Haare um die Finger und sah die Gesellschafterin mit glänzenden Augen an. Sie lag so rosig und frisch in den duftenden, mit Spitzen 263 besetzten Kissen, daß die Rhoden nicht umhin konnte, über die glücklichen Jahre zu seufzen, wo man noch mit einem solchen Gesicht und solchen Gedanken im Herzen zu Bett geht.

»Lassen Sie mich schlafen, liebe Rhoden,« war das einzige, was sie an diesem Abend aus Melanies Mund vernahm.

Frau von Rhoden hatte recht, der Baron verging vor Eifersucht, seitdem er die wachsende Vertraulichkeit zwischen dem Bildhauer und Melanie bemerkte, und auch das verletzte Standesgefühl mischte sich darein, denn es empörte sein innerstes Empfinden, daß dieser Cyklop und Bauernjunge seine begehrlichen Augen zu der hochgeborenen Cousine erhob, die er selbst, er, der Baron, aus lauter Verehrung nicht zu seiner Frau machte. Er gab sich alle Mühe, doppelt liebenswürdig und aufmerksam zu sein, er sprühte von Geist und Unterhaltung, aber Melanie blieb zerstreut, und wenn er gar einmal zärtliche Töne anschlagen wollte, so lachte sie und vertröstete ihn auf das Zusammenwohnen unter dem Boden. Dann legte er sich aufs Schmollen, blieb vierzehn Tage weg, stellte sich, als sei er verreist, und Melanie benützte die Zeit, um unbeobachtet mit Larsen zusammen zu sein. Kehrte er zurück, so hatte sie sein Fernsein gar nicht bemerkt, und nun kam er wieder täglich aus Furcht, die Cousine möchte ihn über seinen häufigen Abwesenheiten am Ende ganz vergessen. Das aber sah er nicht und wollte es nicht sehen, daß Melanie in jener Gruft, die seine Liebe 264 mit so viel Aufwand für sie erbaute, ihre Neigung für ihn bereits auf immer bestattet hatte.

Die Rhoden beobachtete das stumme Spiel zwischen den beiden und freute sich, daß ihr Zögling nach ihrer Meinung doch noch den richtigen Weg gefunden habe, um dieses selbstsüchtige Herz zu schmelzen. Sie hoffte, daß jetzt noch alles recht werden sollte, allein, wie sehr täuschte sie sich in Melanie!

Im Frühjahr, als der Baron sich auf ein paar Wochen nach seinem Gut in Frascati begeben hatte und dort eben zu einem glänzenden Empfang der beiden Damen rüstete, die ihm ihren Besuch auf einen Tag versprochen hatten, erhielt er plötzlich eine Depesche von der Gesellschafterin, die ihn sogleich zu kommen bat.

In der kleinen Wohnung in der Via Capo le Case kam ihm die Rhoden händeringend entgegen und schrie ihm zu: »Melanie ist fort! Fort mit dem Menschen, dem Steinklopfer!«

Der Baron mußte sich niedersetzen und mit dem parfümirten Taschentuch die Stirn trocknen.

»Fort? Und wann kommt sie zurück?«

»Haben Sie denn noch nicht verstanden?« antwortete Frau von Rhoden gereizt. »Sie kommt nicht wieder, sie hat den Menschen geheiratet.«

Der Baron sprang auf.

»Ich glaube, Sie sind nicht bei Trost, liebe Rhoden,« sagte er in einem Tone, der seinem sonstigen chevaleresken Wesen gegenüber fast grob 265 zu nennen war. »Eine geborene Tempe kann sich wohl einmal wie andere Sterbliche vergessen, aber einen solchen Bauernjungen heiraten,« – er legte den Nachdruck auf das letzte Wort – »das konnte Melanie nicht!«

Und doch hatte Melanie das gekonnt. Sie war den Tag zuvor etwas früher als sonst von Hause weggegangen und hatte die Rhoden gebeten, mit dem Essen nicht auf sie zu warten. Am Nachmittag war sie mit strahlendem Gesicht am Arme Larsens zurückgekommen und hatte der fassungslosen Gesellschafterin erzählt, daß sie sich soeben in der Stille mit Larsen vermählt habe, nur zivil, um Weitläufigkeiten zu vermeiden, denn zu allem andern Uebel hin war der Künstler auch Protestant. Sie hatten draußen auf der Vigne ein kleines Hochzeitsmahl mit ein paar Freunden des Bildhauers eingenommen und waren jetzt im Begriff, mit einander nach Amerika abzureisen. Frau von Rhoden wollte sich diesem Ungestüm widersetzen, aber Melanie zog ganz gelassen mit Larsens Hilfe einen heimlich gepackten und hinter ihrem Bett versteckten Koffer hervor und übergab ihn dem mitgekommenen Lohndiener. Gleich darauf waren auch die beiden verschwunden.

Den ganzen Hausrat hatte Melanie ihrer Getreuen, für die sie sonst nicht sorgen konnte, hinterlassen, selbst das Sèvres-Porzellan und all die tausend aristokratischen Kleinigkeiten, ohne die sie sich früher das Leben gar nicht möglich gedacht hatte. Auch die Spielereien des Barons, sein Porträt und 266 die Schenkungsurkunde des Grabes blieben in der Via Capo le Case zurück.

Wie war dieser Entschluß so schnell gereift? Mr. Stokes, der die Neigung der beiden kannte, hatte aus Amerika geschrieben und sie aufgefordert, herüber zu kommen. Die Gruppe war bei einer Kunstausstellung in Chicago mit dem ersten Preis gekrönt worden, und der junge Amerikaner war so ehrenhaft gewesen, seinen Freund und Lehrer Larsen als den Mitschöpfer des Werkes zu nennen. Stokes, dem inzwischen ein reicher kinderloser Onkel gestorben war, ging in das Handelsfach über und hatte keine Lust mehr, sich noch weiter der Bildhauerei zu widmen, aber er hoffte, Larsen eine Reihe bedeutender Aufträge zuwenden zu können. Darauf hatten die beiden ihr Glück gebaut. Was sich Larsen bisher verdient hatte, zusammen mit Melanies kleiner Rente genügte, um den Anfang zu decken.

Auf die Vorstellung der Rhoden, wie sie den Kampf mit solcher Armut wagen wolle, hatte die Baronin, nunmehrige Frau Larsen geantwortet:

»Ich bin allein auch arm gewesen, so sind wir wenigstens zusammen arm, das ist doch vergnüglicher.«

Als die Rhoden von dem allem, so viel ihr tauglich schien, erzählt und wieder erzählt hatte, sagte der Baron endlich:

»Ich habe da unter all dem Herben ein Wort vernommen, das mir besonders schrecklich war. Sie 267 sagten ›arm‹ – das kann ich nicht fassen – waren denn Melanie und Sie arm?«

»Wußten Sie das nicht?« antwortete die Rhoden diskret. Sie sah jetzt ihre Zeit gekommen und wollte das Eisen schmieden, so lange es warm war.

Sie nannte die Summe ihrer bisherigen jährlichen Einkünfte, die dem verwöhnten Mann noch unendlich kleiner erschien als den beiden an praktisches Einteilen gewöhnten Frauen. Er wollte es nicht glauben, und sie mußte ihm mehrmals wiederholen, daß wirklich mit einer so winzig kleinen Summe bisher der Haushalt der Cousine bestritten worden war.

»Was soll nun aus Ihnen werden?«

»Sie hat mir ihr Mobiliar zurückgelassen, ich werde einiges daraus lösen können. Auch wollen sie mich zu sich rufen, wenn es ihnen einmal besser geht – du lieber Gott, ich zähle nicht darauf, an mich denke ich gar nicht.«

Dafür dachte der Baron an sie und setzte ihr eine lebenslängliche Rente aus. Er wünschte auch, daß sie das gewohnte Mobiliar und die alte Wohnung beibehalte. Des Abends kam er nach wie vor heraus, trank eine Tasse Thee in dem kleinen Salon Melanies, den die Rhoden wohlweislich ganz unverändert gelassen hatte, blätterte ein wenig im »Figaro« und sprach wehmütig von der Hinweggegangenen. Aber die Rhoden besaß nicht den Geist und die Bildung Melanies, auch war sie ein wenig harthörig, besonders auf einem Ohr, und der Baron 268 hatte den Fehler vieler Aristokraten, leise zu sprechen. Seine einsiedlerischen Gewohnheiten leisteten diesem Fehler Vorschub, und namentlich wenn er schon eine Zeit lang gesprochen hatte, so wurde seine Stimme tiefer und tiefer und verging endlich in einem unverständlichen Gemurmel.

Frau von Rhoden vollbrachte Wunder an Takt und Scharfsinn, aber sie konnte es doch nicht vermeiden, daß ihre Antworten zuweilen nicht ganz auf seine Fragen paßten, und suchte durch doppelte Beflissenheit die kleinen Mißverständnisse wieder gut zu machen. Das verstimmte den feinfühligen Baron, und er mußte all seine natürliche Gutherzigkeit zusammennehmen, um die arme Frau nicht zu hassen.

Zu allem andern hin hatte ihm Larsen auch sein Grabmal unvollendet hinterlassen, daß es aussah, als sollte er auch nicht ein einziges Unternehmen seines Lebens zu Ende bringen. Doch zum Glück fand sich ein Nachfolger, der das Werk in gleichem Sinne fortführen konnte, und auch der geplante Fries wurde jetzt mit einigen Abweichungen zur Wirklichkeit.

Von Melanie erhielt er bald nach ihrer Abreise einen langen, herzlichen Brief aus Chicago, worin sie ihm das Geschick der alten Rhoden empfahl. und im heitersten Ton von ihrer Ueberfahrt und Ankunft in der neuen Welt erzählte. Daß sie glücklich war, sagte sie nicht, aber es schimmerte aus jeder Zeile. In einem Schreiben an die alte Gesellschafterin machte sie allerdings kein Hehl daraus, daß sie sehr mit dem Leben zu kämpfen hatten, denn nicht alle 269 von Mr. Stokes' Verheißungen wollten sich erfüllen, aber sie harrten weiter aus, und bis die Bestellungen reichlicher floßen, gab Melanie französische Konversationsstunden. Ihre angefangenen Novellen zwar mit den Attachés und den französischen Unterhaltungsbrocken waren alle ins Feuer gewandert, denn Larsen hatte gar so bedenklich den Kopf geschüttelt, als sie ihm einmal daraus vorlas. Dafür war Frau Melanie ständige Mitarbeiterin einiger großen deutschen Journale geworden, für die sie anmutig geschriebene Korrespondenzen aus Amerika lieferte. Larsens unverwüstliche Laune hob sie über alle Widerwärtigkeiten weg, und beide zeigten sich als Naturen, die sich leicht den neuen Verhältnissen anpaßten; überdies beteten die Gatten sich gegenseitig an.

Die Nachricht, daß die beiden auch drüben nicht im Ueberfluß schwammen, erregte in dem Baron eine angenehme Empfindung, die er selber nicht ganz billigen konnte. Aber es stieg so etwas wie eine stille Hoffnung in ihm auf.

Seit Melanies Abgang war er übrigens doch nicht mehr ganz der Alte. Auf das Kunstwerk, das er einst zu schaffen gedacht, begann er nach und nach zu verzichten. Vor lauter Zeit und Muße kam er jetzt zu gar nichts mehr. Er sah ein, daß die lange Sammlung doch nicht mehr zur Entladung des Blitzes führen werde, und es duldete ihn nicht mehr recht in seinem Atelier. Aeußerlich strotzte er noch von Kraft und ging umher wie sonst, elegant, lächelnd und tadellos, aber innerlich war ein 270 Rädchen gebrochen, und der Zusammensturz bereitete sich vor. Er gab sich jetzt mit lauter Lappalien ab, mit dem umständlichen Besehen von Gegenständen, die er nicht kaufte, und mit dem Reden über kleinliche Dinge, die ihn nichts angingen.

All sein Interesse beschränkte sich zuletzt auf das Campo Verano, wo er die neu entstehende Gräberreihe nachzählte und über die stillen Leute, die Wohnung in seiner Nähe bezogen, genaue Erkundigungen anstellte. Den Bau der Gruft betrieb er mit dem größten Eifer, und sobald sie fertig war, legte er sich mit einer Eile, als habe er es nicht erwarten können, hinein. Eine bösartige Influenza hatte den vorher kerngesunden Mann dahingerafft.

Die Rhoden stand ihm in den letzten Augenblicken bei, und so lang er noch reden konnte, sprachen sie von Melanie. Der Sterbende sprach von ihr in einem zuversichtlichen, zärtlich pfiffigen Ton wie von einem Gegenstand, auf dessen Besitz er nie verzichtet habe und den er jetzt ganz nahe daran sei, zu erlangen.

Als sein Testament eröffnet wurde, fand man die Ursache dieser festen Zuversicht. Er hatte, mit Ausnahme einiger Legate, seinen ganzen Besitz, das Haus an der Porta San Sebastiano, die Villen und Vignen bei Frascati, sowie sein sehr bedeutendes Barvermögen seiner Cousine Melanie Larsen geb. Freiin von Tempe und deren natürlichen Erben hinterlassen mit dem Wunsch, daß sie nach Rom zurückkehre, um das Haus an der Porta San Sebastiano 271 selbst zu bewohnen, und unter der ausdrücklichen Bedingung, daß sie in Person die Pflege und Instandhaltung seines Grabes übernehme und sich im Fall ihres Ablebens in der gleichen Gruft an seiner Seite bestatten lasse. Sollte diese letztere Bestimmung von der Erbin oder ihren Rechtsnachfolgern umgangen werden, so falle die ganze Hinterlassenschaft der römisch-katholischen Kirche zu.

Als der Kabel diese Nachricht nach Chicago brachte, war Melanie nicht reisefähig, denn sie hatte soeben, offenbar um die lange Versäumnis auszugleichen, die Welt mit Zwillingen beschenkt. Doch sobald sie sich erholt hatte, kam das Ehepaar Larsen von Amerika herüber und ließ sich in dem Palast an der Porta San Sebastiano nieder.

Der Bildhauer brach sich zu ebener Erde eine geräumige Werkstatt aus, wo er fleißig arbeitet, und das einstige Atelier des Barons ist der Tummelplatz der Kinder geworden.

Auf dem Campo Verano begegnet man ab und zu einer schönen, vornehm aussehenden Frau, die zwei lockige Knaben von gleicher Größe in Sammetkleidchen und Spitzenkragen an der Hand führt. Sie ist nicht mehr so schlank wie sonst, denn die Pflege ihrer Taille hat anderen dringenderen Sorgen Platz gemacht, aber sie hat ein blühendes Aussehen, und die Zufriedenheit strahlt ihr aus den Augen. Zuweilen geht auch eine geziert aussehende Französin neben ihr mit gefärbten Löckchen und stark gepudert, die gewöhnlich ein paar Blumenstöcke im Arm trägt. 272 Diese Blumen pflanzen sie eigenhändig auf das Grab des Barons Tempe und plaudern dabei bald wehmütig, bald scherzhaft von dem Dahingegangenen. Die Kinder aber lachen und lärmen dazwischen und treiben allerlei Unfug auf dem Grabhügel, den sie wie eine Burg verteidigen und erstürmen.

Der stille Mann da unten läßt das alles ganz ruhig über sein Haupt ergehen und wartet mit der Geduld, die ihm im Leben eigen war, aber in voller Zuversicht, daß die Frau seiner Liebe komme, um sich an seiner Seite zu betten.

 


 


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