Hermann Kurz
Gesammelte kleinere Erzählungen – Vierter Teil
Hermann Kurz

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Einleitung.

Dieser Band enthält nur zwei Erzählungen, aber zwei Meisterstücke, unter den kleinen Sachen des Dichters zweifellos die vorzüglichsten. Von beiden läßt sich rühmen, was Heyse von der zweiten gerühmt hat, »die glückliche Steigerung des Charakteristischen, die es um eine Haaresbreite über die Wirklichkeit erhebt, ohne es je von der typischen Wahrheit zu entfernen«. Zugleich fordern die beiden Erzählungen auch dadurch zur Vergleichung heraus, daß die erste den Dichter am Anfang, die zweite am Ende seiner poetischen Laufbahn zeigt. Der Humor in beiden ist nicht ganz von derselben Art: in der älteren jugendlich wallend, burschikos, von entzückender Fülle der Phantasie und einem dionysischen Übermut, wie man ihn nur etwa in Hauffs Phantasien im Bremer Ratskeller wiederfindet; in der späteren ironisch-satirisch, in der Haltung weit mehr an Jean Paul erinnernd. Beiden aber ist wiederum gemein, daß sie in der Form des Humors oder der Parodie ein Bild der Zustände geben, das voll des packendsten Realismus und der gesättigtsten Lokalfarbe ist.

»Das Wirtshaus gegenüber« ist in der Novellensammlung »Genzianen« (1887) erschienen, mit dem Zusatz »im Juli 1836«, der sich aber nur auf die Vollendung der Erzählung beziehen kann, denn sie ist nicht nur früher begonnen, sondern wurzelt ganz in Tübingen, das Kurz im Herbst 1835 verlassen hat. Die äußere Umrahmung durch die Liebesgeschichte von Paul und Emilie ist ganz Nebensache; den Kern bildet die Darstellung einer geistreichen studentischen Tafelrunde, welche es liebt, sich an dem Bewußtsein ihrer geistigen Aristokratie zu erfreuen und, mit der vollen philosophischen und literarischen Bildung der Zeit gewappnet, wie Simson unter die Philister zu fahren. Kurz haftet hier ebenso fest in der Wirklichkeit, in dem geselligen Leben der Tübinger Stiftler (wie sie wenigstens früher waren) mit ihrer Neigung zur Dialektik, zum Geistreichtun und Parodieren, wie er hinwiederum einen poetischen Glanz über das Gemälde verbreitet hat, der es verrät, daß er Platos Symposion nicht umsonst gelesen hatte.

Der Schauplatz ist ein früher vielbesuchtes Wirtshaus in Tübingen. Cäruleus ist Kurz selbst, der als Student den Cerevisnamen des »Blauen« oder des »blauen Genies« geführt hat. »Ruwald« ist Rudolf Kausler, einer der Lebensfreunde des Dichters und selbst als Poet und Kritiker tätig; seine Mutter wohnte in Winnenden, worauf das letzte Gedicht anspielt. Der »Ostjäcke« ist der fruchtbare Übersetzer Friedrich Gottlob Finck, der Altersgenosse von Kurz.

Nicht das kleinste Interesse erregt aber die Erzählung auch noch dadurch, daß hier wohl zum erstenmal auf den unvergleichlichen Wert der Poesie Mörikes hingewiesen ist, mit dem noch für lange, wenn man will für immer richtigen Zusatz: »Es werden außer uns nicht viele sein, die den reichen Lorbeer auf dem Haupte dieses Dichters schauen.«

»Die beiden Tubus« hat erst Heyse so betitelt. Ursprünglich stand die Novelle im zweiten Bande der »Erzählungen« (1859) hinter dem sechsten Buch der »Denk- und Glaubwürdigkeiten«, unter dem Titel »Zwischen dem sechsten und siebenten Buch. Ein Roman.« Heyse als entzückter Verehrer der Erzählung wollte sie seinem »Novellenschatz« einverleiben. Dazu sollte sie aber nach Kurz' Meinung einen anderen Schluß bekommen. So, wie sie hinter den »Denkwürdigkeiten« stand, war weiter erzählt erstens, wie Wilhelm in das Seminar Maulbronn kommt, und zweitens, wie schließlich die Feindschaft der Väter gesühnt wird durch das Liebesbündnis zwischen ihm und Eduards Schwester. Der zweite Schlußteil, in seiner parodistischen philisterhaften Sentimentalität unübertrefflich, stimmte vollkommen zum Ton des Ganzen; dagegen hatten die Schilderungen aus Maulbronn nur einen Sinn als Fortsetzung der Denkwürdigkeiten. Kurz mühte sich wieder und wieder, einen anderen Schluß zu finden, und ist darüber weggestorben. Heyse hat dann die Erzählung ohne den Schluß gegeben im achtzehnten Bande des Novellenschatzes, dem letzten, der noch Kurz' Namen mit trug. Sie ist in dieser Form vollkommen befriedigend und wird deshalb hier ebenso gegeben, ohne den alten, von Kurz selbst verworfenen Schluß.

Die Novelle ist eines der ausgezeichnetsten Muster parodistischer Erzählung, jener Gattung, welche schon das Altertum in Gedichten wie die pseudo-homerische Batrachomyomachie hervorgebracht hat und welche durch den absichtlichen Widerspruch zwischen ernst-feierlichem Ton und niedrigem Inhalt komisch wirkt. Zugleich aber auch hier ein gesättigter Realismus, eine genaue Kenntnis der Menschentypen und des Bodens, auf dem sie gewachsen sind. Irgendwelche bestimmte Personen oder Lokalitäten dahinter zu suchen, wäre vergeblich. Genug, daß die kleinen Schwächen eines bestimmten lokalen Kulturzustandes ganz meisterhaft getroffen sind. Die eigenartige Welt der württembergischen Pfarrersexistenzen ist öfters Gegenstand humoristischer Zeichnung gewesen; nirgends einer so geistreichen wie hier.


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