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Brunos Lehre von der Willensfreiheit.

Gott, Freiheit und Unsterblichkeit sind nach Kant jene drei Postulate der praktischen Vernunft, ohne welche eine im ernstlichen Sinne wertempfindende Weltanschauung, eine religiöse Weltanschauung in weitestem Sinne nicht möglich ist; »dem Menschen,« sagt Schiller in Anspielung auf diese drei praktische Postulate, »ist nimmer sein Wert geraubt, – so lang' er an die drei Worte glaubt« (Schiller, Drei Worte des Glaubens).

Die Willensfreiheit ist die Voraussetzung der sittlichen und religiösen Verantwortlichkeit. Wie einen persönlichen Gott, eine persönliche Unsterblichkeit, so setzt Bruno auch eine, wenn auch bedingte (relative) Willensfreiheit der Einzelseele voraus. Gerade aus diesem Grunde wird er nicht müde, die entgegenstehende Prädestinationslehre der Calvinisten, die ihm, wie wir bereits sahen, in Genf besondere Antipathie erregten, zu geißeln. In Gott freilich ist Freiheit und Notwendigkeit dasselbe, wie Schicksal und Vorsehung. Denn Gott ist – Bruno wiederholt hier nur die Lehre des Cusanus vom sog. Possest – alles, was er kann, und kann alles, was er will; Möglichkeit und Wirklichkeit sind in ihm nicht unterscheidbar. Dagegen ist es eine Vollkommenheit der endlichen Menschenseele, »daß wir vieles tun können, was wir nicht tun« ( De Immenso, VII. c. 10). Freilich hat sich der Nolaner in dieses schwerste Problem der Metaphysik nicht so vertieft, wie dies erst mit dem Beginn der transzendentalen Philosophie durch Kant möglich geworden ist. Wie uns aber seine Unsterblichkeitslehre auf Plato zurückführt, so scheint mir seine damit zusammenhängende Freiheitslehre ebenfalls in dem platonischen Sinne aufzufassen sein, den Schelling in seiner klassischen Untersuchung über das »Wesen der menschlichen Freiheit« wohl am ausführlichsten erörtert hat.

»Die Tat, wodurch des Menschen Leben in der Zeit bestimmt ist, gehört selbst nicht der Zeit, sondern der Ewigkeit an; sie geht dem Leben auch nicht der Zeit nach voran, sondern durch die Zeit (unergriffen von ihr) hindurch als eine der Natur nach ewige Tat. Durch sie reicht das Leben des Menschen bis an den Anfang der Schöpfung; daher er durch sie auch außer dem Erschaffenen frei und selbst »ewiger Anfang« ist. So unfaßlich diese Idee der gemeinen Denkweise vorkommen mag, so ist doch in jedem Menschen ein mit derselben übereinstimmendes Gefühl, als sei er, was er ist, von Ewigkeit an schon gewesen, und keineswegs in der Zeit erst geworden. Daher, unerachtet der unleugbaren Notwendigkeit aller Handlungen, und obgleich jeder, wenn er auf sich aufmerksam ist, sich gestehen muß, daß er keineswegs zufällig oder willkürlich böse oder gut ist, der Böse z. B. sich doch nichts weniger als gezwungen vorkommt (weil Zwang nur im Werden, nicht im Sein empfunden werden kann), sondern seine Handlungen mit Willen, nicht gegen seinen Willen tut (Schelling, W. I, 7, 386). Dies stimmt auch mit Schopenhauers Satze, daß die Freiheit zwar nicht im operari, sondern im esse liege, einem Satze, der auf Platos schon erwähnte mythisch eingekleidete Unsterblichkeitslehre (in der Republik) zurückzuführen ist.

In scharfem Gegensatz zu dem pantheistischen Fatalismus Spinozas, der ja auch in der heutigen mechanistischen Weltanschauung als sog. Determinismus wieder in den Vordergrund getreten ist, dem die Reue als unvernünftig erscheint (Ethik IV, 54), und dem folgend auch Ed. v. Hartmann, die Reue als »unnütz«, »überflüssig« bezeichnet (vgl. m. Erl., Bd. II, S. 334), erkennt Bruno in der Reue einen empirischen Beweis der Freiheit. Ebenso wie Schiller (Werke, Rekl. XV, S. 228), würdigt er sie als die vornehmsten Tugenden, und einige seiner Worte über die Reue sind von besonderer dichterischer Schönheit.

»Die Reue ist unter den Tugenden, was der Schwan unter den Vögeln. Denn er wagt es sich nicht und vermag es nicht, hoch zu fliegen, weil die schwere Last des Schuldbewußtseins und die demütige Selbsterkenntnis ihn niederdrückt, und so wendet er sich, da ihm die Erde doch verhaßt ist, von dieser hinweg, und weil er sich noch nicht erkühnt, sich zum Fluge gen Himmel zu erheben, liebt er die Flüsse und taucht sich in die Gewässer, welche die Tränen der Zerknirschung sind, darinnen er sich zu baden und zu reinigen sucht, nachdem ihn der Schmutz und der Schlamm, mit welchem er sich in den sumpfigen Niederungen des Irrtums und der Sünde verunreinigt hat, anekelt, und er sich selber mißfällt; und, ergriffen von diesem Schmerz über sich selber, hat er den festen Entschluß der Besserung gefaßt, und sucht, so sehr es ihm nur möglich ist, gleich zu werden der lichtreinen, schneeweißen Unschuld. Durch diese Tugend werden die Seelen wiederum genesen und neuen Schwung gewinnen, wenn sie vom Himmel herabgestürzt und versunken waren zum finsteren Orkus, gewatet sind durch den Kocytus der sinnlichen Lüste und entzündet vom Periphlegeton der fleischlichen Liebe und des Zeugungstriebs, von welchen erstere den Geist mit Traurigkeit verdunkelt und letzterer die Seele mit Abscheu vor sich selber erfüllt. Wenn sie nun in Erinnerung an ihr erhabenes Erbteil zu sich selber zurückkehrt, klagt sie sich selbst an ob ihres gegenwärtigen Zustandes; mit Schmerz erfüllt sie, was sie vorher erfreute, und es betrübt sie, ihren Begierden unterlegen zu sein; und auf diese Weise gelangt sie allmählich dazu, sich vom gegenwärtigen Zustande zu befreien, die grobe Materie zu verflüchtigen und die Last der schweren Stofflichkeit abzulegen. Da wächst ihr Gefieder, sie erwärmt sich am Sonnenlicht und entbrennt in feuriger Liebe für höhere Dinge. So wird sie ätherisch und nähert sich der Sonne, und schön erneuert kehrt sie zu ihrem Ursprung zurück. – Mit vollem Recht ist die Reue unter die Tugenden versetzt; denn mag sie auch zum Vater den Irrtum und zur Mutter die Sünde haben, sie selber nenn' ich nichtsdestoweniger eine purpurrote Rose, die einem rauhen Strauch und stechenden Dornen entblüht; sie ist ein strahlend lichter Funken, der, aus einem schwarzen Kieselstein geschlagen, emporfliegt, und zum unverwandten Sonnenfeuer hinanfliegt.«

Spaccio (n. Übers. II, S. 14 f.).

Wir glauben, daß die mitgeteilten Auszüge genügen, um Brunos Weltanschauung als eine religiöse (im weitesten Sinne des Religionsbegriffs) zu kennzeichnen. Dagegen ist die Frage, wie der Nolaner, zumal im Abschluß seiner geistigen Entwicklung, zum Christentum oder gar zur katholischen Kirchenlehre gestanden hat, nicht leicht zu beantworten. Wir wissen, daß er eine Aussöhnung gewünscht und für möglich gehalten und nur in dieser Überzeugung es gewagt hat, den heimatlichen italienischen Boden wieder zu betreten. Wir wissen auch, welchen tragischen Ausgang dieser Versuch für ihn gehabt hat. Vor dem venetianischen Inquisitionsgericht gibt Bruno offen zu, zeitweilig fundamentale Glaubenssätze nicht nur der katholischen Kirche, sondern auch des positiven Christentums überhaupt bezweifelt zu haben, und er widerruft und »bereut diese Zweifel« Vgl. Bd. VI, S. 201 indem er ausdrücklich bittet, ihn »wieder in den Schoß der heiligen Kirche« aufzunehmen. Mir scheint es mit dem Charakter des zwar leidenschaftlichen und gewiß oft von Stimmungen beherrschten Mannes unvereinbar zu sein, das diesem Widerruf voraufgehende Geständnis seiner Zweifel für heuchlerisch zu erklären. Wir dürfen vielmehr diese Beichte seiner Zweifel als eine aufrichtige ansehen, um so mehr, als auch Belegstellen aus den bedenklichsten Schriften der in Betracht kommenden Periode seiner »Apostasie« beweisen, daß seine gelegentlichen vom humanistischen Heidentum und von neuplatonischer Mystik beeinflußten Angriffe auf das Christentum nicht mit dieser Beichte in Widerspruch stehen.


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