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Gott oder der Geist.

 

I. Gott als Wesen.

Gott ist das allgemeine Wesen in jedem Sein; alles, was ist, ist nur durch ihn; seine Wesenheit ist der Urquell aller Wesenheit, er ist jeglichem Seienden innerlicher, als es selbst die Gestalt und eigene Natur jeglichen Wesens sein kann. Denn wie die Natur in jedem Wesen die Grundlage seiner Wesenheit ist, so ist Gott der tiefere Grund jeglicher Natur. Darum ist es trefflich gesagt, daß »wir in ihm leben, weben und sind«, weil er das Leben des Lebens, die schaffende Kraft aller Schaffenskraft, die Wesenheit alles Seins ist.

 

II. Gott als Wahrheit.

Durch seine Wahrheit allein ist jegliches Wahre; denn wäre es nicht wahr, daß Gott ist, so könnte nichts Wahres sein, weshalb er die Wahrheit selbst ist. Aus diesem Quell stammt alles, was in der Ordnung des Seins mehr oder weniger, höher oder niedriger seine Stelle hat, je nachdem es mehr oder weniger teilnimmt an seiner Wahrheit. Je weiter etwas von ihm sich entfernt, je mehr es sich der niedrigsten Stufe der Naturleiter nähert, um so weniger Wahrheit hat es, um so mehr Eitelkeit ist es bis zur niedrigsten Stufe der Leiter, die Eitelkeit, Böses, Finsternis genannt wird; das an sich Nichtige ist nichts, das Wahre an sich ist sein Gegenteil. Er ist Einer, wie in jeglicher Gattung Eins das größte ist, und diese Wahrheit ist die Eine schlechthin und über allen Wahrheiten erhaben, das Größte, folglich die Erhabenheit selbst, vermöge welcher in allen Gattungen Eins das größte und erhabenste ist. Alles andere ist nur durch Teilnahme wahr, d. h. bloße Teilwahrheit, und man hat bei ihm zu unterscheiden zwischen dem, was teilnimmt, was nicht Wahrheit ist, und dem, woran es teilnimmt, d. h. seiner Wahrheit. Das teilnehmende ist, wie der Stoff nur empfangendes Vermögen und Unterlage; das, woran es teilnimmt, ist seine Natur und sein Begriff. In dem Verhältnisse, in dem etwas teilnimmt an der Wahrheit, ist es nicht wahr und nicht die Wahrheit, aber auch nicht Nichts, weshalb man es fälschlich schlechthin ein Nicht-Seiendes nennen würde, sondern es ein Nicht-Seiendes beziehungsweise, sofern es vergleichsweise nichtig genannt wird, wie denn ein göttlicher und tief metaphysischer Spruch sagt: Jegliches Geschöpf ist der Eitelkeit unterworfen, d. h. die ganze Natur ist unselbständig und abhängig Man vgl. dazu Schelling, Werke II, 1, 306 ff.. Absolut also und an und für sich wahr und die Wahrheit selbst ist nur Gott oder der Geist.

 

III. Die Güte Gottes.

Nur durch Seine Güte besteht alles Gute, wie durch seine Wahrheit nach dem Vorhergehenden alles Wahre, und daraus folgt in dieser Richtung alles mit veränderten Worten in entsprechender Weise. Denn so nimmt außer ihm selber alles auch am Bösen teil, weil überall zu unterscheiden ist zwischen dem, was gut ist, und dem, wodurch es gut ist. Jegliches Einzelne ist Träger des Guten oder der Güte, nicht das Gute oder die Güte an sich. Mit Ausnahme des Ersten ist überall eine Unterscheidung zwischen dem, was ist, und dem, wodurch es ist, zwischen dem Sein und dem Wesen. Das Gute ist entweder ein natürlich Gutes, da von seiner natürlichen Güte alle Wesen ihr natürliches Gute haben, oder ein sittliches Gut, dafern es stammt von seiner geistigen Güte, und solches besteht in Ansehung der vernünftigen Geschöpfe und deren Handlungsweise und Verkehrseinrichtungen, wo alles Gute durch Teilnahme am sittlich Guten bedingt ist, und letzteres hat zweierlei Form: die eine beruht auf durch Ordnung der Natur eingeborene Gesetze, in dessen Güte alle Völker übereinstimmen können, die andere auf einer übernatürlichen Ordnung, vermöge deren nur diejenigen, denen Er sich offenbart, gut werden.

 

IV. Gott als Prinzip (Anfangsgrund).

Als Prinzip (Anfangsgrund) ist er Prinzip jedes Prinzipiums, von ihm aus und nach ihm ist jeder Gedanke, jede Kraft und jede Wirkung des Begründens abzuleiten.

 

V. Gott als Ursache.

Er ist wirkende Ursache aller Ursachen; durch ihn und seinetwegen, in ihm und unter ihm waltet jeder ursächliche Zusammenhang.

 

VI. Der Urstoff.

Er ist es, der die Urstoffe (Elemente) ordnet, verteilt, zusammenfügt und scheidet, von dem die Reihenfolge der ersten Teile des Weltalls und die Verfassung der ganzen Welt und die Werkmeisterlichkeit des Naturganzen abzuleiten ist.

 

VII. Die Materie.

Seiner Wirksamkeit unterliegt die einheitliche Materie, die er selbst zur Gestaltung aller Arten erschaffen hat, die er sodann in Gemäßheit einer durch die untergeordneten Ursachen zu bewirkenden Wechselwirkung unzähliger Einzeldinge in ewiger Dauer zur Erzeugung der besonderen Gestalten bestimmt hat.

 

VIII. Größe (Quantität).

Unendlich, unendliches Vermögen, unendliche Weisheit und Güte, hat Er in dem ihm unterworfenen unendlichen Raume das empfangende unendliche Vermögen vollkommen befruchtet und befruchtet es, wie er selbst an Kraft unendlich ist, überall ganz so, daß er unendlichen Stoff überall bildet und eine unendliche Körperwelt gestaltet, deren Raum und Verlangen er in den verschiedenen Teilen und verschiedenen Arten erfüllt und ausfüllt.

 

IX. Beschaffenheiten (Qualitäten).

Er füllt aber nicht nur die Größe aus und setzt jeder ihre bestimmten Grenzen, sondern er prägt jeglichem auch die natürlichen Kräfte und Fähigkeiten ein, pflanzt ihm seine natürlichen Triebkräfte ein, die durch ihre Zusammensetzung das Wirken und Leiden des Wesens bestimmen, wodurch sich für ihn, sowohl für den Geist als auch für die Gesamtanschauung, ein so mannigfaltig verschiedenes ergötzliches Schauspiel ergibt.

 

X. XI. Vermögen (Potenz) und Wirksamkeit (actus).

Von hier aus kann man seine wirkende Allmacht, durch die alles geschaffen ist, alles webt, lebt und bewegt wird, erkennen; einem einzigen aktiven Prinzip ist alles untergeordnet, alles ist ihm unterworfen, gehorsam ohne jeden Widerspruch, nicht anders wie der Thon unter der Hand des Töpfers, das Holz unter der Hand des Drechslers, und jeglicher Stoff untersteht dem Befehl und der Begrenzung eines besonderen Werkmeisters; dieser stellt sich zwischen jener wirkenden und jener leidenden (passiven) Potenz dar als diese Entelechie, dieser actus, als diese vollendete Verfassung im Universum und in allen Teilen des Universums.

 

XII. Vollkommenheit.

So ist alles auf das beste bestellt, so daß keine bessere Verfassung und Ordnung der Welt denkbar ist, da Jeglichem nach seiner Fassungskraft und nach der Lage seiner besonderen Art, im Verhältnis zu seiner Natur, Tüchtigkeit, Tätigkeit, Empfänglichkeit, Bildung, Dauer, der gebührende Anteil gespendet wird; nach Maßgabe der Bedingungen der unterworfenen Materie läßt sich keinem Wesen etwas nehmen oder hinzusetzen, was ihm gebührt oder nicht gebührt, und in diesem Sinne sagt Moses durchaus zutreffend: »Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut«; nur dürfen wir dabei nicht den Wunsch und die Begierde der Einzelwesen ins Auge fassen, die immerfort in ihrer gegenwärtigen Art und Zahl fortdauern möchten, sondern die Ordnung des Weltalls im ganzen.

 

XIII. Erkenntnis.

Er ist das Licht, sowohl alles sehend, als auch alles sichtbar machend. Nichts ist ihm verborgen, weil ihm gegenwärtig ist, wie jegliches ist und nichts sein kann, wo nicht er ist. Somit alle, die erkennen, sehen, erkannt und gesehen werden, in seinem Lichte Klarheit und Anhänglichkeit empfangen, dessen Erkenntnis nicht sinnlich ist, sondern Sinne schaffen, noch auch verständig, sondern Verstand regelnd oder wirkend, noch auch in der Art der schließenden Vernunft, vielmehr ein Geist, der aller Vernunft, dem Verstand und den Sinnen vorausgeht und sie überragt, unzugängliches Licht, der alles Licht umgrenzt, von keinem begrenzt.

 

XIV. Wille.

Im Verein mit dieser Erkenntnis und diesem alles erkennenden und unterscheidenden und jeglichen Wesens Gattung und Wert durchschauenden unvordenklichem Lichte erfolgt die Wirksamkeit seines Willens, der alles ausführt und zum guten und besten Ziele leitet, fördert und durchführt; dieser Wille, der zugleich allmächtig und allwissend ist, kann durch keine Regelwidrigkeit durchkreuzt werden, sintemal er ja die Regel selbst, die Gerechtigkeit und Geradheit in eigenster Person ist.

 

XV. Verhältnis (zur Welt) (Relatio).

Er selbst ist in seiner unabhängigen (absoluten) Natur, seinem Wesen und seiner Substanz, seiner Einfachheit, Immaterialität versteckt, verborgen und sich selber allein bekannt, keinem Geschöpfe erreichbar, wird dem Geschaffenen nur offenbar durch jenes Verhältnis, jene Haltung und Beziehung, in der er sich den Wesen mitteilt, sich enthüllt und gewissermaßen entäußert, weshalb man ihm den Namen des Schöpfers, Vaters, Herrn aller Herrlichkeit, Schönheit, Optimus Maximus, des allmächtigen, allweisen usw. gibt. Die Geschöpfe können ihn durch Gründe der Vernunft erkennen und durch zwingende Schlüsse auf sein Wirklichsein, da ja, wenn irgendwo etwas schön geschieht, geordnet, bewegt wird, irgendwo Einklang waltet, auch einer sein muß, der Einklang wirkt, Ordnung und Bewegung schafft, ebenso notwendig, wie wir aus der Wahrnehmung von Flüssen und Pflanzen gezwungen werden, auf das Vorhandensein von Quellen und Wurzeln zu schließen. Daher ist seine Existenz in zweifacher Form zu erfassen, einmal sofern Gott sich zum Möglichen hinwendet, sodann, sofern das Mögliche und Wirkliche zu Gott geordnet und erhoben wird, erstens, sofern die Welt von Gott erschaffen ist, zweitens, sofern Gott von der Welt erkannt wird.

 

XVI. Tätigkeit (Actio).

Seine Tätigkeit, um Wesenheit und Vermögen zu bekommen, ist unendlich und fordert einen unendlichen Gegenstand (Subjekt). Daß dies notwendig sei, sehen sowohl die hervorragendsten Theologen als auch die Philosophen ein. Einige setzen jedoch seine Tätigkeit in die Gottheit selbst, sodaß sie behaupten, der unendliche Vater zeuge den unendlichen Sohn, nämlich den unendlichen Geist, die unendliche Vernunft, und aus diesem Verhältnisse des erkennenden und erkannten Vaters und Sohnes und aus einer gewissen Wechselwirkung oder vielmehr aus einer wechselweis sich austauschenden Beziehung und Verknüpfung des Erkennenden und Erkannten entspringe wegen der unendlichen Schönheit, die der Vater im Sohne, der Sohn im Vater als die einzige schaue, jene Liebe und jenes Band zwischen beiden Personen, so daß nicht drei Gottheiten dem Wesen nach unterscheidbar seien, sondern Ein Gott, der im An-sich-sein, Für-sich-sein, Bei-sich-sein Sich selber dreifach erkennt und liebt.

 

XVII. Leiden (Passio).

Von ihm darf kein Leiden, wie keinerlei leidende Beschaffenheit, keine Materie, keine stoffliche Unterwerfung, keine Aufnahme ausgesagt werden, da er einfachste und reinste Tätigkeit ist (actus purus). Dies alles eignet nur den Wesen, die der Verderbnis anheimfallen können. Denn Leiden ist ein Weg zur Veränderung, Veränderung aber führt zum Verderb, und auch ein vollendendes Leiden kann dem nicht zukommen, der nichts hat, was er von einem anderen empfangen.

 

XVIII. Haben. XIX. Nehmen. XX. Geben.

Er ist der Quell, aus dem jegliche Gabe quillt. Wenn Er seine Hand auftut, wird alles mit Güte gesättigt, d. h. mit Seinsfülle, Wahrheit, Vollkommenheit; von ihm empfangen sie alles, was sie haben. Wie nämlich keine Natur durch sich selbst außer ihm, so hat sie auch nichts von selber, sondern alles von ihm; folglich haben wir nichts von allem, was wir sind, als unser Eigentum, sondern alles unsrige und wir selbst sind sein Eigentum. Darum ist er der Herr des Seins. Er selbst ist aller Reichtum und alle Fülle, dem nichts ermangelt an Substanz, Güte, Kraft, Größe, Vollkommenheit, Erkenntnis usw.; dem nichts hinzugefügt oder der durch nichts übertroffen werden kann, dem alles unverletzlich feststeht, dessen Macht nichts entzogen, der um nichts hintergegangen werden kann.

 

XXI. Mittel.

Er ist es, der diese niedere Welt durch Vermittlung höherer Ursachen zur Wirklichkeit hervorruft und die Körperlichkeit durch Vermittlung der Geistwesen belebt, erfüllt, gestaltet, zu dessen Betrachtung wir vermittelst der Wahrnehmung der erkennbaren Dinge und Wirkungen seiner Allmacht emporsteigen, bei dessen Allgegenwart es nicht erforderlich ist, daß er die Erkenntnis und Lenkung und Erhaltung und Schöpfung durch bestimmte Mittel oder Vermittler ausführt, der vielmehr alles in allem selber erfüllt und seinem Zwecke zuführt, zu dem wir einen Zugang haben, dessen übernatürliche und außernatürliche Wege er selbst geordnet hat, als der, welcher nicht fern von jeglichem unter uns ist, sondern von dem nur wir selbst in gewissem Sinne fern sind; denn es verhält sich so, daß die Kreatur zu ihm durch gewisse, gleichsam verlängerte Mittel geleitet wird, während er selbst ohne Mittel für alles sorgt und allen beisteht; nicht so, daß wir nach unseren Vorstellungen alles Gott nennen dürften, wie dies von einigen geschieht, sondern so, daß wir erkennen, Gott sei in allem und alles in Gott nicht auf dieselbe Weise. Gott ist nämlich in allen als der Allumfassende, in Gott ist alles als von ihm umfaßtes, und somit ist Gott zwar in allen Wesen unmittelbar, nicht aber ist alles unmittelbar in Gott.

 

XXII. Werkzeug.

Alles, was eine begrenzte Natur hat, ist sein Werkzeug, er selbst aber niemandes. Denn niemand wirkt durch ihn, sondern er selbst wirkt in allem, wenn wir gleich in den Dingen eine gewisse Ordnung bemerken, derzufolge wenige einen Begriff vom Zweck und Vollkommenen haben, die gewissermaßen näher an die Natur und an den göttlichen Adel herankommen und die wir dann in uneigentlichem Sinn ein Werkzeug nennen; eigentlich sollte man sie aber als Mittel und Mittler bezeichnen. Ein solches Werkzeug und Mittel ist doppelter Art: es steigt herab, um sich mitzuteilen; und wenngleich es dieselbe Kraft ist, nennt man es bald den Geist, der alles lebendig macht, bald ein Wort, das alles offenbart, bald eine Tugend, die alles bewegt, bald ein Licht, das alles bestrahlt, bald ein Feuer, das alles entzündet und mit einem beseligenden Gefühle erfüllt. Dieses sind die Werkzeuge jenes höchsten Künstlers, durch welche dieser gesamte Stoff zu einem solchen Kunstwerk ausgestaltet wird. Um nach der Weise der Propheten und bildlich mich auszudrücken, ist es das Himmelsgewölbe, das durch seinen Antrieb getrieben, in seinem Umschwung alle diese niederen Dinge formt und gestaltet und durch den vielfachen Wechsel, wie ein Töpfer aus demselben Thon unzählige Gefäße, unzählige Gestaltungen ausarbeitet.

 

XXIII. Zweck.

Er allein ist der Endzweck schlechthin, auf den alles zugerichtet ist. Er ist Zweck an sich, weil er kein Mittel ist, absoluter Zweck, weil er Endzweck ist, wie er auch erstes Prinzip ist und Zweck in dem Sinne, daß er mit dem Anfang (Prinzip) zusammentrifft und zugleich überall in der Mitte ist. Er ist Grenze, sage ich ( finis = Zweck), weil er selbst alles begrenzt, ohne daß ihn etwas begrenzt; er ist Grenze, weil seine Kraft keine Grenze des Vermögens hat, keine Grenze der Dauer, keine Schranke der Zeit, keine Grenze des Wesens, ohne Schranken und Begrenzung der Substanz. Wenngleich er von allen eine Unterscheidung hat, ist er doch nicht von allen so verschieden, wie das Einzelne vom Einzelnen, wo eines nicht das ist, was das andere ist; deshalb scheint er eins vom anderen durch besondere Unterscheidungsmerkmale abzugrenzen. Er selbst unterscheidet sich von allem, nicht als wäre er abgegrenzt von ihrem Wesen, sondern weil er alle Wesen umschließt durch seine Wesenheit, Allgegenwart, Kraft, Ewigkeit. Denn das, was einen Unterschied zwischen einem und dem anderen Einzelwesen macht, bewirkt keinen Unterschied zwischen dem Einzelwesen und Gott. Das Geschöpf und der Schöpfer sind mehr als durch bloßen Artbegriff verschieden, mehr verschieden, als Substanz und Akzidenz, und kein Begriff der Unterschiedlichkeit und Mannigfaltigkeit der Gattungen kann diesen Unterschied fassen.

 

XXIV. Gegensatz.

Ihm ist nichts entgegengesetzt, sondern alle Gegensätze sind ihm unterworfen; er wirkt alles aus Gegensätzen. Im Bau der Natur ist eine und dieselbe Materie unter allen Gegensätzen, und über den Gegensätzen waltet der Eine, der alles bewirkt, alles mäßigt, alles in Einklang bringt und regelt, wie stofflich der geringste Kältegrad zugleich der geringste Wärmegrad, das am wenigsten Schöne das am wenigsten Häßliche, das am wenigsten Weiße das am wenigsten Schwarze, das am wenigsten Wahrnehmbare das am wenigsten Unwahrnehmbare darstellt, so daß er zwischen allen Grenzpunkten Anfang und Ende jedes Gegensatzes bildet. Wo nämlich Bewegung und Veränderung ist, da ist immer das Äußerste des Einen der Anfang des Anderen. Daher ist das Größte und Kleinste Eins und am meisten vereinigt, Anfang und Ende, Warmes und Kaltes, und so alle Gegensätze. Wenn dies in der Materie stattfindet, um wie viel mehr muß man es in der Kraft des Schöpfers voraussetzen!

 

XXV. Entgegensetzung.

Sofern wir ihn als das Licht auffassen, ist ihm die Finsternis entgegengesetzt und gehört gewissermaßen zu seiner Kehrseite, so daß wir als Finsternis die passive Möglichkeit der Dinge, als Licht die aktive Potenz, als Finsternis die Materie, als Licht das Wirken, als Finsternis das Weib, als Licht den Mann kennzeichnen und so folgerecht der Vollkommenheit die Unvollkommenheit, dem positiv Unendlichen das negativ Unendliche, dem Zweck das Mittel, dem Gut das Verlangen, dem Wahren das Erkenntnisvermögen, dem Schönen die Liebe zur Schönheit entgegenstellen, wie wir gleichermaßen Aufgang und Untergang, Gutes und Böses in der Natur als Gegensätze wahrnehmen.

 

XXVI. Bestreben (Intentio).

Wir bestreben uns, durch die Spuren seiner Schöpferkraft in den Kreaturen und Naturwirkungen zu seiner Erkenntnis emporzusteigen; einen Begriff von seiner Größe können wir durch keinerlei Anstrengung erlangen, wir können nur immerfort jenem Lichte zustreben und uns ihm nähern, indem wir das Niedere unter uns bringen und seine unnahbaren Höhen zu erklimmen bemüht sind, nach dem Spruche: »Meine Augen sind geblendet vom stetigen Emporschauen« (Jesaias 38, 14) und »Der Mensch tritt heran zur Freude und Wonne des Herzens, um den Herrn zu loben« (Psalm 63, 6).

 

XXVII. Vorstellung.

Wie es keinen Zugang zu ihm gibt, so gibt es von ihm keine deutliche Anschauung, keinen Begriff, folglich auch keine Vorstellung. Denn wir können uns keine Vorstellung bilden von dem, das wir nicht wahrnehmen, nicht berühren können. Was wir durch keinerlei Anstrengung anschaulich erfassen, werden wir auch begrifflich nicht erfassen. Er selbst aber erfaßt ohne Anstrengung, durch keinerlei Ausstrahlung und Fortschritt die Anschauung und den Begriff der Dinge, sondern in seiner Allgegenwart schaut er sie nicht nur, sondern durchschaut sie, wie er allem nicht nur gegenwärtig ist, sondern in allem ist, und zwar nicht als von den Wesen umfaßt und in ihnen enthalten, sondern als sie umfassend und enthaltend, als wesentlicher Grund alles Seins und Zentrum alles Lebens und jeder Substanz.

 

XXVIII. Namen.

Er ist unnennbar. Denn benannt werden kann nur etwas, was begrenzt ist. Was aber keine Grenze noch Schranke hat, keinerlei bestimmte Natur, wie könnte das einen Namen haben? Ihm gebühren also alle Bezeichnungen, da er die Wesenheit aller Wesen ist, der Urquell aller Kraft und Gaben, und was immer im Sinne des Guten und Großen gesagt wird, wird von ihm im erhebensten Sinne auszusagen sein. Wie könnte auch ein besonderer Name genügen, um die Bedeutung aller Namen einzuschließen?

Wer könnte alle Namen der Dinge in ein Verzeichnis bringen, um das Wesen dessen zu bezeichnen, das allen vorausgeht, wenn wir nicht einmal von einer einzigen besonderen Substanz den richtigen Begriff und Namen besitzen! Gott also ist mit keinem Worte oder mit allen Worten zu bezeichnen. Er ist ja alles in allem, weil er allem das Sein verleiht und über allem steht, an Wesenskraft, Würde und Kraft alles übertrifft. Wie er alles umfaßt, erschafft und erhält, und über allem herrscht, so sind alle Dinge, sofern sie außer ihm sind oder etwas anderes, als er, in Wahrheit nicht seiend, Nichts, Eitelkeiten. Somit ergibt sich, daß er allein der Seiende ist, und dieser Name: der »Allein seiende« ist der einzige, durch den wir uns am besten zu ihm erheben und ihn für unser Ohr offenbaren können, so daß wir ihn nennen: »Er, der ist oder der Seiende!« Denn alles andere ist nur, sofern es unter ihm ist oder fern ist oder nicht ist.

 

XXIX. Ordnung.

Er selbst ist der Vater jeglicher Ordnung, wie er der Schöpfer jeder Mannigfaltigkeit ist. Er selbst wirkt die Rangstufen der Wesen, stellt jeglichem seine Grenzen, führt alles auf seinem Wege, wirkt die Ordnung außerhalb seiner selbst, wie er Zahl und Figur und Bedeutung nach Verschiedenheit und Schönheit der zahllosen Wesen austeilt. Durch diese Ordnung gelangen wir zu seiner Betrachtung. Denn zweifellos ist keine Ordnung möglich ohne Vorherrschaft eines Einzigen, und so muß denn über allen Ordnungen eine ordnende Einheit walten, die, da sie selber einfach und einzig ist, in sich selbst keiner Ordnung mehr Raum läßt. Denn wie könnte man törichter Weise dort noch von Ordnung sprechen, wo kein Unterschied, keine Zahl mehr ist?

Er ist die absolute Einheit über aller Mannigfaltigkeit, über allen Unterschieden.

 

XXX. XXXI. Früher und Später.

Ihm liegt zeitlich nichts vorauf, da er Anfang über Allem und Anfang vor Allem ist. Ihm folgt aber nichts in der Zeit, da ihm eine Grenze gesetzt ist, vielmehr alles zu ihm zielt als zur Grenze der Vollendung. Er ist also selbst das höchste Gut, das alles Gute vollendet, und in dem das Beste in jeder Art die Vollkommenheit erreicht. Und weil er die Ewigkeit selbst ist, so beschließt und begrenzt er jeden Unterschied der Dauer und Zeit. Unbegrenzt begrenzt er die Dauer alles Vergänglichen und auch das Unvergängliche ist solches nur durch seine Ewigkeit. Er hat also weder Anfang noch Ende als einziger alleiniger Anfang und alleiniges Ende, und folglich ist er der erste und letzte von allen, von ihm gilt kein Früher und kein Später.

 

XXXII. Zugleich.

Alles, was in der Natur entfaltet, zerstreut, unterschieden, gegliedert ist, in ihm ist dies alles, man darf nicht sagen zugleich, sondern eins, dasselbe, die Einheit selbst, die Identität selbst. In ihm ist, wie zuvor gesagt, keinerlei Unterschied; keine innerliche Ordnung, sondern dies alles ist von ihm und durch ihn. Es ist alles in ihm noch mehr geeint, als beispielsweise die Glieder eines Leibes oder die Prädikate irgend eines Subjekts geeint sind.

 

XXXIII. Derselbe.

In Gott sind alle Dinge nicht etwa wie in einem Körper, wie in einem stofflichen Träger geeint, sondern vielmehr wie jegliche Zahl dem Wesen nach nur Einheit ist und wie die Einheit das Wesen jeder Zahl und keine Zahl ohne Einheit etwas bedeutet; folglich ist seine Einheit nicht als Kollektiv- oder Additionseinheit oder als Zusammensetzung zu betrachten, sondern als Einfachheit, Identität, wie im Mittelpunkte einer Kugel alle Dimensionen Ein und Dasselbe sind, wie hier die geringste Breite, die geringste Tiefe, die geringste Höhe in einem Punkte ununterscheidbar sind, und wie in ihrem unendlichen Umfange wiederum die größte Breite, größte Tiefe und größte Höhe überall Eins sind. So umfaßt die unendliche Monas alles, was an Zahl vergleichbar erscheint, durch Einfachheit, Einheit und Identität.

 

XXXIV. XXXV. Verschiedenheit. Unterscheidung,

In ihm ist nichts verschieden, wie etwa Gedachtes vom Wirklichen, auch keinerlei Unterschied, weil er keinen Gattungsbegriff bildet, und nicht etwas, wie die Gattung ihre Unterarten alles umfaßt. Denn er ist nicht das Allgemeine im Sinne eines Prädikats, sondern als Ursache und Seinsgrund.

 

XXXVI. Eigenschaft.

Seine Eigenschaft ist die, daß alle Prädikate der Vollkommenheit (alles, was Vollkommenheit bedeutet), von ihm wesentlich ausgesagt werden, im höchsten Sinne und unendlich, was von den übrigen nur im teilnehmenden Sinne, beschränkt und vergleichsweise ausgesagt werden kann. Er hat aber seine Eigenschaft nach Art derjenigen, die wir im Kapitel vom Eigenschaftlichen behandelt haben. Denn in ihm beruhen die Eigenschaften nicht auf der Art oder auf der substantiellen Form, sind nicht Folgerungen aus einer substantiellen Form, sondern was ihnen allein und immer unwandelbar zukommt, unabhängig an sich und für sich, ist bei anderen abhängig, wie ja alles von ihm abhängig ist. So sind also bei ihm Eigenschaft, Art, Wesenheit und Natur ein und dasselbe, bei den übrigen Wesen aber ist Eigenschaft eine erste Spur des Wesens oder ein Kennzeichen ihrer besonderen Verschiedenheit von anderen, wie z. B. das Lachen ein Kennzeichen von Verstand ist. Aber die Eigenschaft der Gottheit ist die Göttlichkeit selbst und nichts anderes, wenngleich unsere Auffassungsweise sich eine Reihenfolge seiner Eigenschaften denken und eine Reihe von Worten zur Verherrlichung der Art, wie er sich offenbart, ausdenken mag, und von Gott zuerst dieses, dann jenes behauptet, einiges absolut, anderes beziehungsweise, einiges als innere, anderes äußere Wirkungen bezeichnend, wie von einer Sonne die verschiedenen sie umkreisenden Welten verschieden beeinflußt werden, da die Sonne auf die verschiedenen Welten verschieden einwirkt und sich allen mitteilt, obwohl sie in sich selber unwandelbar dasteht.

 

XXXVII. Gattung.

Man sagt, daß er selbst der Urquell jeglicher Seinsart ist und der Anfang jeder Gattung. Daher kann er selbst weder ein Gattungswesen sein noch zu einer Art gehören. Gleichwohl ist es zulässig, gleichnisweise auch auf ihn den Begriff der Gattung anzuwenden, sofern von ihm alles seine Gattung ableitet und er der Allvater heißt, selbstverständlich nicht in dem Sinne, in dem Ilus von Herkules abstammt, sondern wie das Werk vom Werkmeister. Die Theologen mögen sich mit jener eigenartigen Zeugung abfinden, Kraft deren der Vater einen ihm gleichen Sohn gezeugt haben und zeugen soll.

 

XXXVIII. Art.

Es würde geradezu Blasphemie sein, wollten wir ihm nach der Weise der Schulweisheit bestimmte Zustände einer Art zuschreiben. Denn weder ist er ein metaphysisches noch ein physisches Wesen, weder eine Idee der Dinge noch eine Form in den Dingen, weder ein logischer Begriff noch eine in mehreren besonderen Dingen gemeinschaftlich aufgefundene Wesenheit, weder künstlich noch auch nach dem Gleichnis einer künstlichen Art verstellbar. Vielmehr kann er durch keinerlei Gleichnis, sei dieses nun ideell und metaphysisch oder natürlich und physisch, logisch oder praktisch, dargestellt werden. Kann doch auch das Schwert uns keinerlei Gleichnis vom Wesen des Schwertfegers, das Haus uns keine Vorstellung von der Person seines Architekten liefern. Die Dinge bieten uns nur Spuren seiner aktiven Tätigkeit, nicht aber einen Anhalt, um sein Wesen und seine hypostasis zu erfassen.

 

XXXIX. Durch Sich.

In der dritten Aussageform bildet Alles, von dem man sagt, es existire durch sich (und an sich) nur ein Schatten dessen, der durch Sich Ist. Denn Alles Andere außer Gott ist, wenn es existiert, durch sich insofern, als es nicht bloßer Zustand ist, wie die ersten Substanzen oder die Individuen, die unter den Gattungsbegriff der Substanz fallen, die durch sich sind, weil sie nicht als bloße Accidenzen eines Subjekts bestehen, die daher selbst Subjekte sind. Jene sind durch sich und für sich zu denken als unkörperliche und immaterielle Formen, die in der Weise durch sich selbst sind, daß sie nicht bloße Zustände eines Anderen, z. B. eine Zusammensetzung sind, vielmehr einfache, reine, einzige und für sich seiende Substanzen. Gott ist so durch Sich, daß Er weder durch etwas Anderes noch mit Anderem noch von Anderem sein Sein ableitet. Er ist nicht mit Anderem, wie die ersten Substanzen, noch von Anderem, wie die vorgenannten einfachen Formen, ja nicht einmal von Sich Selber, da Er in keiner Weise abhängig ist, unteilbar und das Allereinfachste ist.

 

XXXX. Aus dem Gesichtspunkte, »daß Er ist.«

Man vgl. hierzu Schelling, II, 1, S. 57: »Es sind zwei ganz verschiedene Sachen, zu wissen, was ein Seiendes ist, quid sit, und daß es ist, quod sit. Das »Was« gewährt eine Einsicht in das Wesen des Dinges, es macht, daß ich einen Begriff von ihm oder es selbst im Begriffe habe, das »daß« aber enthält etwas über den bloßen Begriff hinausliegendes, welches die Existenz ist. Was existiert, oder bestimmter, was existieren werde, wenn überhaupt etwas existiert, dies a priori einzusehen, ist die Aufgabe der rationalen Philosophie. Aber daß es existiert, folgt daraus nicht; denn es könnte ja überhaupt nichts existieren. Daß etwas überhaupt existiert, kann die Vernunft nicht ohne Erfahrung behaupten.«

Weil in Gott Sein und Wesen nicht unterscheidbar ist, in Ihm nicht zu trennen ist zwischen dem, daß Er ist und Was Er ist, da Er Selbst die einfachste Einheit und Identität ist, so wäre es verkehrt, über Ihn zu grübeln in der Weise, wie man das »Daß er ist«, unterscheidet von dem, was er ist, welche Art zu denken möglich ist bei allen irgendwie zusammengesetzten Dingen. Es liegt daher nur in unserer endlich beschränkten Auffassungsweise. wenn wir sagen, daß gewisse Aussagen die Gottheit absolut kennzeichnen, wie z. B. Wahrheit, Einheit, Güte, Wesenheit, andere aber nur beziehungsweise, wie Vorsehung, Gerechtigkeit, Herrschaft, Erhaltung, und somit meinen, daß Einiges ihm zukomme in der Kategorie »daß er ist«, anderes in der Kategorie, was Er in Hinsicht Anderer ist.

Die aus vorstehenden Auszügen nun wohl ausreichend klargestellte Lehre des Nolaners von Gott hat man (Carrière) im Gegensatz zur pantheistischen Gottesvorstellung auch wohl als pantheistische Gottesidee bezeichnen wollen. Die Bezeichnung ist aber vielfach mißverstanden und mehrfach doch wieder mit bloßem Pantheismus verwechselt worden. So u. a. auch von Jatho, der sich in seiner Verantwortung vor dem Spruchgericht als »Panentheisten« bezeichnete, obwohl er zweifellos Pantheist ist. Es empfiehlt sich unter Anlehnung an Schelling (W. II, 2, S. 73) daran festzuhalten, daß hier der vollendete Monotheismus gegeben ist, im Gegensatz einerseits zum Deismus, der die Allheit, und andererseits zum Pantheismus, der die Einheit Gottes (sein Selbstbewußtsein, seine Persönlichkeit) leugnet.

Den schärfsten Gegensatz zum Pantheismus bildet aber in Ergänzung dieser Gotteslehre Brunos sein entschiedener Individualismus, mit anderen Worten, seine Lehre von der individuellen Unsterblichkeit.

Für den Pantheismus ist das Einzelwesen eine vorübergehende Erscheinung, er bestätigt sich gerade in diesem Punkt als eine bloße poetische Verklärung des Materialismus. Der Pantheismus kennt nur eine Weltseele, und wenn er gelegentlich auch von einer Unsterblichkeit, ja von einer Fortdauer nach dem Tode in seiner unklaren Weise stammelt, so meint er doch stets damit nichts anderes, als das Wiederversinken des persönlichen Geistes in den allgemeinen Geist:

»Vor dem Tode erschrickst Du, Du wünschest unsterblich zu leben? Leb' im Ganzen, wenn Du stirbst, es dauert noch fort.«

Bruno dagegen ist der Vorläufer und seine Schriften sind sogar die eigentliche Quelle der Monadologie des Leibnitz. Die Unsterblichkeit der Einzelseele – und nicht nur der menschlichen, – ist geradezu als Eckstein seiner Überzeugungen zu bezeichnen. Sie gewährt ihm eine Zuversicht und eine Verachtung des Todes, wie sie sich vielleicht nur bei den Eingeweihten der griechischen (eleusinischen) Mysterien gezeigt hat und zur Zeit nur noch außerhalb Europas bei einzelnen Naturvölkern und bei den Indern findet. (Vgl. Schopenhauer, W. als W. u. V. II. Kap. 41).

Die Einzelseele ist für Bruno, der in diesem Sinne auch Vitalist ist, eine substantielle Form, unerschaffen und unvergänglich. Seine Unsterblichkeitslehre tritt am klarsten in folgenden Auszügen hervor:

»Wir haben ein immanentes Formprinzip, welches, ewig und für sich bestehend, unvergleichlich besser ist, als das, welches die Sophisten ersonnen haben, welche, von der Substanz der Dinge nichts wissend, immer nur bei den Akzidenzen stehen bleiben und die Substanzen als zerstörbar setzen, weil sie das im höchsten Sinne, vor allem und hauptsächlich Substanz nennen, was nur Resultat der Zusammensetzung ist. – Nach ihnen ist »Mensch« in wahrem Sinne das, was durch Zusammensetzung entsteht; »Seele« in wahrem Sinne das, was Entelechie und Art eines lebenden Körpers ist oder doch nur einem gewissen Ebenmaße des verflochtenen Baues und der Organisation entspringt. Daher ist es kein Wunder, wenn sie so großen Schrecken vor dem Tode und der Auflösung anderen einflößen und selbst empfinden; ist es doch der Verlust des Daseins, der sie bedroht.

Gegen diese Torheit erhebt die Natur laut ihre Stimme, indem sie uns versichert, daß nicht der Körper noch die Seele den Tod zu fürchten habe, weil sowohl die Materie als auch die Form schlechthin konstante Prinzipien sind.

O du Geschlecht, durchweht vom eisigen Grauen des Todes,
Schreckt dich der Styx, schreckt dich das Dunkel nichtiger Namen,
Dichtern willkommener Stoff und ersonnener Welt Gefahren?
Wißt, wenn flammende Glut, wenn des Alters schleichende Schwäche
Hat die Leiber zerstört, nicht kennen sie Schmerzen noch Leiden;
Nimmer vergeht die Seele, vielmehr die frühere Wohnung
Tauscht sie mit neuem Sitz und lebt und wirket in diesem.
Alles wechselt, doch nichts geht unter.

Damit scheint mir übereinzustimmen, was Salomo sagt, der unter den Hebräern für den weisesten gilt:

»Was ist das, was ist? Dasselbe, was gewesen ist!
Was ist das, was gewesen ist? Dasselbe, was sein wird!
Nichts neues unter der Sonne!«

Della causa, W. I. p. 243.

»Der Tod ist nichts anderes, als eine Scheidung zusammengefügter Teile bei einem Zusammengesetzten, von ihm bleibt alles substantielle Sein unberührt, nur das accidens der Freundschaft, Übereinstimmung und Ordnung, die phänomenale Beziehung zu anderen verschwindet.

Der geistigen Substanz, ob sie gleich eine Verwandtschaft mit den Körpern hat, darf man nicht zumuten, eine eigentliche Verbindung und Vermischung mit den Stoffelementen einzugehen; denn solches eignet sich nur für einen Körper im Verhältnis zu einem anderen Körper, insbesondere für einen Teil bestimmt gearteter Materie, aber der Geist ist ein wirkendes und gestaltendes Prinzip im Innern des Leibes, von welchem, durch welches und um welches die Zusammensetzung geschieht; er verhält sich genau so zum Leibe, wie der Steuermann zum Schiffe, wie der Familienvater zum Hause, und wie ein Werkmeister, der nicht von außen, sondern von innen arbeitet und das Gebäude ausbessert und erhält; und bei ihm liegt die Gewalt, die entgegengesetzten Elemente vereint zu halten und zusammen in Einklang zu bringen, gleich wie dissonierende Klänge zu einer gewissen Gesamtharmonie; bei ihm die Macht, die Zusammensetzung eines lebenden Organismus zu schaffen und zu erhalten, er handhabt den Weberbaum, ordnet die Einschlagsfäden, wirkt die Faden ein, mischt die Temperamente, setzt die Ordnungen fest, verteilt die Lebensgeister, webt die Fleischfasern, spannt die Muskeln, dehnt die Knorpeln, verzweigt die Nerven, höhlt die Arterien, sättigt die Venen mit Blut, bewirkt den Schlag des Herzens, das Atmen der Lungen, versorgt alles von innen aus mit Lebenswärme und radikaler Feuchtigkeit, so daß allein durch ihn diese gerade so bestimmte Persönlichkeit dasteht, und ein solches Antlitz, eine solche Figur und Vollgeberde nach außen in die Erscheinung tritt. So formt sich in allen Wesen, welche man beseelte nennt, der Wesenskern, sei es vom Zentrum des Herzens oder einem analogen Mittelpunkt aus, indem er die Glieder entwickelt und gestaltet, und sie, wenn sie entwickelt und gestaltet sind, erhält; ebenso, genötigt von einer Ursache der Auflösung, verläßt er sein Bauwerk und veranlaßt dadurch dessen Verfall; jetzt lösen sich die entgegengesetzten Elemente, zerreißen die Bande und heben die bildliche Darstellung des Wesens auf, da sie nicht ewig mit denselben Mischungen unter Behaltung derselben Fäden und Wahrung derselben Ordnungen sich in einem und demselben Zusammenhang von selber zusammenschließen können.

So beweist die Seele, daß sie allein es war, welche den Zusammenhang der äußeren Glieder mit dem Herzen bewirkte, am deutlichsten gerade dann, wenn sie den Körper durch dieselbe Pforte verläßt, durch welche es ihr einst gefiel, in denselben einzutreten.«

Spaccio, W. II. 112.

»Nicht wahrscheinlich, ja nicht möglich ist es, wenn die sinnliche Materie, zusammengesetzt, teilbar, bearbeitbar, dehnbar, bildsam, beweglich und widerstandsfähig unter der Herrschaft, Leitung und Kraft der Seele, unzerstörbar, in ihren letzten Punkten und Atomen unvernichtbar ist, – daß da im Gegenteil die weit erhabenere Natur, welche jene beherrscht, ernährt, mit Gefühl erfüllt, aufrecht hält und zusammenhält, von geringerer Dauer, und, wie etliche Dummköpfe, die sich den Namen von Philosophen zulegen, es wollen, nur eine Tätigkeit sei, die aus der Harmonie, dem Ebenmaß und der Zusammensetzung entspränge und am Ende nur als eine zufällige Eigenschaft zu gelten habe, welche bei Auflösung des Zusammengesetzten mit der Zusammensetzung selber in nichts vergehe, während sie vielmehr gerade der Ursprung und die innere Ursache der Harmonie, der Zusammensetzung und des Ebenmaßes ist, – welche Eigenschaften erst von ihr sich herleiten, von ihr, die ebenso gut ohne den Stoff bestehen kann, wie der Stoff, – der von ihr bewegt und geleitet und nur durch ihre Gegenwart geeint wird, und bei ihrer Abwesenheit sich zersetzt, – ohne sie bestehen kann.«

Spaccio, W. II. 112.

Ganz besonders bezeichnend für die geistreiche antikisierende Form, die der Nolaner der Lullischen Kunst, an deren Vervollkommnung er unablässig arbeitete, schließlich zu geben verstand, das beste Beispiel seiner Lehrmethode, durch deren fast plastisch anschauliche Sinnlichkeit er die abstraktesten Begriffe wie ein Pygmalion durch seine Phantasie zu beleben versuchte, ist seine Schrift: »Die Fackel der dreißig Statuen.« An die Stelle der konzentrischen drehbaren Kreise, auf denen Raymundus Lullus die Grundbegriffe in Buchstaben aus den verschiedensten Alphabeten und mit den verschiedensten Abwandlungen anordnete, um sie dann durch Drehung der Kreise in alle erdenklichen Kombinationen zu bringen, und somit, eine mechanische logisch-metaphysische Rechenmaschine herzustellen, setzt Bruno in dieser Schrift poetische Vorstellungsbilder, und entwickelt an ihnen in phantasievollster Weise die Grundzüge seiner Weltanschauung in der Weise, daß er mit der Fackel der Vernunft die Hauptgestalten der hellenischen Götterwelt, denen er in neuplatonischer Weise dadurch, daß er sie mit Ideen identifiziert, neues Leben verleiht, der Reihe nach von den verschiedensten Seiten aus beleuchtet. Die Statuen, deren Betrachtung eine tief metaphysische Erörterung vorangeht über drei gestaltlose Wesen, das Chaos, den Orkus oder Ungrund und die Nacht, Raum, Zeit und Stoff, denen gegenüber stehen Gott-Vater (Geist), Gott-Vernunft und Gott-Liebe, sind folgende: Prometheus, Apollo, Saturn, Vulkan, Thetis, Bogenschütz, Vesta, Oceanus, Tellus, Juno, Demogorgon, Achelous, Minerva, Venus, Cupido, Amalthea, Mars, Dädalus, Eris usw. Die Zahl 30 ist freilich nicht überall durchgeführt. Aber jedes dieser poetischen Vorstellungsbilder dient zur Versinnlichung metaphysischer Betrachtungen. Es ist nun bemerkenswert, daß Bruno gerade dieses Werk mit einer Anwendung auf denjenigen Glaubenssatz seiner Weltanschauung abschließt, der ihm offenbar am meisten am Herzen lag, und der s. j. s. das Herz seines Systems selber bildet, d. h. mit der Substantialität der Seele.

Um einige Proben dieser, unserer modernen kritischen Denkweise gewiß oft recht seltsam anmutenden, aber immerhin für den tiefer Blickenden auch manche Perlen von überzeugender Intuitionskraft enthaltenden Darstellungsform zu geben, entnehmen wir aus diesem Teile der wunderbaren und, wenn man will, auch wunderlichen Beweisführung für die Unsterblichkeit der Seele nach der Beweismethode der Lullischen Kunst folgende Sätze:

 

»Die Seele ist nicht ein bloßes Phänomen ( accidens), sondern eine Substanz.

I. Jedes accidens ist so durch ein Subjekt bedingt, daß es ohne Subjekt nicht bestehen kann. Nun aber enthält vielmehr die Seele das Subjekt, d. h. sie begrenzt es, da ja jede Naturform eine Grenze ist und als solche bezeichnet wird; dies ist der Beweis aus der Begrenzung.

II. Kein accidens kann sich vom Subjekt trennen und wirklich ohne Subjekt bestehen; die Seele des Menschen kann sich vom Körper trennen und wirklich existieren ohne denselben.

III. Jede einfache Form, die selbst nicht ausgedehnt ist und beharrlich bleibt gegenüber der Ausdehnung des Subjekts, ist eine Substanz. Von dieser Art ist die Seele; also –.

IV. Jede vergängliche Form verändert sich mit Unbeständigkeit und Veränderlichkeit ihres Trägers. Die Seele ist nicht von solcher Art. Denn Aristoteles sagt zutreffend: »Man gebe dem Greise das Auge des Jünglings; so wird er auch sehen wie ein Jüngling.«

V. Alles, was mit Verstand und Wesenheit einer Substanz übereinstimmt, ist in Wahrheit Substanz. Die Seele aber ist ein Fürsichsein und Träger von Vermögen. Also ist sie kein accidens.

VI. Kein accidens kommt allein und getrennt vor. Die Seele besteht für sich allein und getrennt.

VII. Jedes accidens ist eine Vielheit oder wenigstens Zweiheit. Denn wer eine Eigenschaft nennt, setzt etwas voraus, das so beschaffen ist; wer einen Zustand behauptet, setzt ein Wesen voraus; die Seele bezeichnet nicht ein »wie beschaffen«, sondern ein »was«; denn nur auf die Frage: »Was ist dies?« können wir antworten: »Seele«, nicht auf die Frage: »Wie ist es beschaffen?« Daher nennen die Pythagoräer die Einheit Substanz, die Zweiheit accidens.

VIII. Jedes accidens liegt gewissermaßen auf dem Umfang und in der Außenseite seines Trägers, und hat seine Grundlage in einem Mittelpunkte, der eben seine Substanz bildet. Die Seele aber ist selber ein Mittelpunkt, von dem aus, wie vom Herzen aus sich die Werkzeuge (Organe) ihrer Tätigkeiten und Vermögen entwickeln; sie ist gleichsam die Wurzel und der Anfangsgrund (das Prinzip) des Stammes, der Zweige, der Blätter und Früchte, und somit Träger der Vermögen, Tätigkeiten und Wirkungen und Zustände, die gleichsam das Laubwerk darstellen, das hervorwächst aus dem Individuum und Zentrum, d. h. der Substanz. Also fällt sie nicht unter den Begriff der bloßen Zustände (Akzidenzen).

IX. Jeder Zustand fordert einen Stoff und einen Träger, an dem er besteht. Die Seele besteht durch sich und für sich, sie ist selbst der Träger von wechselnden Zuständen und Fähigkeiten; – also –.

X. Jeder Zustand kennzeichnet accidentaliter ein Subjekt, wie z. B. die weiße Farbe einen weißen Gegenstand, die Wissenschaft einen Wissenden. Die Seele bezeichnet aber ein Subjekt, das beseelt heißt, in wesentlicher Hinsicht ( substantialiter). Also –. Die Prämisse wird bewiesen, weil nach Entfernung der weißen Farbe oder des Wissens dieselbe Art oder Substanz bestehen bleibt. Nach Entfernung der Seele aber bleibt nicht mehr dieselbe Art oder Substanz. Also bildet die Seele ein wesentliches Begriffsmerkmal, bezeichnet ein Wesen und nicht einen Zustand.

XI. Die Seele bildet ein Glied der Ordnung und des Aufbaues der Wesensleiter, da sie auf der Grenzscheide der geistigen und physischen oder stofflichen Substanz steht; also ist sie kein Zustand. Dies ist als Analogie nicht im Wortsinne, sondern mit Rücksicht auf die Stufen und ihre Lage in der genannten Wesensleiter aufzufassen, sofern sie die Fähigkeit höherer oder niederer Substanzen besitzt; niemals aber steht sie in der Reihe bloßer Akzidenzen; denn analog ist dasjenige, was früher oder später von dem Subjekt einer Aussage gilt, und hierin liegt der Beweis aus dem Früher oder Später im Sein.


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