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[Vorwort]

Die Facetie oder der Schwank im guten alten Sinne: die kurze,»schimpfliche«, das heißt scherzhafte Geschichte entspricht am getreuesten dem Empfinden des Volkes und ist ein Stück echtester Volksdichtung. Mitten im Volke stehend, läuft der Schwank Jahrhunderte lang von Mund zu Mund oder wird durch schriftliche Aufzeichnung übermittelt. Verzerrt spiegelt sich in ihm die menschliche Tragikomödie wider: von den guten, mehr aber noch von den schwachen und schlechten Seiten der Menschen erzählen die Geschichten ohne Unterschied des Standes und der Person und wollen, wie Wickram sagt,»die schweren Melancolischen gemüter ermünderen«, dem Menschen aber auch einen Spiegel vorhalten und ihm mit Lachen die Wahrheit sagen. Des Schwankes züchtige Geschwister sind Märchen, Sage und Tierfabel, die in der Kinderstube und bei alten Leuten ihren Platz haben; der derbkomische Schwank gehört unter das heranwachsende Jungvolk und in Männergesellschaft. In Herbergen und Schenken, auf der Landstraße und auf Reisen, nach der Arbeit oder sonst bei guter Stunde soll er die Zeit kürzen; die alten Facetienschreiber geben die Gelegenheiten ausführlich an, wo sich ein Schwank gut erzählen lässt. Und zu allen Zeiten gibt es herumziehendes Volk, das Freude und Geschick zum Erzählen hat und die Schwänke weit umherträgt. So unterhalten sich Bauern und Bürger getreu dem alten Spruche, wie er bei Lindener steht:»Ein frölich gmüt macht ein gruonend alter, widerumb ein trawriger geist trücknet die gebein auß«; bald sind es unschuldige Sticheleien und Neckereien, bald»wird die Sauglocke geläutet«, das heißt, es geht unflätig und zotenhaft her; es muss nicht immer eine kurze Geschichte sein, oft tut es nur ein Witz oder Scherz, oft wieder eine längere schwankhafte Geschichte; manchmal ranken sich derlei Schwänke auch um eine Volksgestalt oder um einen Ort.

Die Schwankdichtung ist uralt, zu allen Zeiten und bei allen Völkern daheim und gleich beliebt und in ihrer Lebensdauer schier unsterblich. Ihrer Herkunft nach bilden die Schwänke ein ungemein buntes Gemisch; die meisten sind wohl Gemeingut aller Völker und im Orient und Okzident im Umlaufe, und auf ihrer Wanderung ist ihnen kein Gebirge zu hoch und kein Wasser zu breit, da sie wie jede Volksdichtung einfachstes Fühlen und Denken, Allgemeinmenschliches ausdrücken; in der neuen Heimat ändert der Schwank meist sein Gewand und wird nach Ort und Zeit umgebildet; manchem bekannten Schwanke möchte man kaum ansehen, was für ein Alter er hat oder wo er zum ersten Male erzählt wurde; häufig knüpft der Schwank auch an ein Geschehnis an, das nun als Schwank mitläuft; meist aber ist die Entstehung dunkel, und die Wissenschaft begnügt sich, das Wandern der Schwänke zu verfolgen.

Kurz und ohne Beiwerk erzählt das Volk seine Geschichten, und der Schwank behält überall den knappen und volkstümlichen Stil bei. Hie und da taucht der Schwank in alten und neuen Zeiten vereinzelt in anderer Gesellschaft im Schrifttum auf; zu Zeiten nehmen sich die Dichter seiner liebevoll an, bringen die Geschichten in Reim, suchen einen Rahmen, wenn er nicht schon von vornherein gegeben ist, oder reihen in ihren Schwankwerken einfach Schwank an Schwank.

In deutschen Landen gibt es gereimte Schwanksammlungen schon im ausgehenden Mittelalter; etwa den»Pfaffen Amis« von einem bürgerlichen Fahrenden, dem Stricker, oder später den»Neidhart Fuchs«, den»Pfaffen vom Kalenberg« und etliche andere; ganz abgesehen davon, dass die Auflösungen der alten Ritterepen immer mehr und mehr von schwankhaften Zügen und Beigaben überwuchert sind; nach und nach liegt in Einzelüberlieferungen wie in den verschiedenen großen Sammelwerken des ausgehenden Mittelalters eine schier unübersehbare Menge gereimter und ungereimter Schwankgeschichten vor. Die Blütezeit des altdeutschen Schwankes aber ist das 16. Jahrhundert und die Jahrzehnte vorher und nachher. In dieser Zeit, die die Scheide von Mittelalter und Neuzeit bildet, gärt alles und gerät aus Rand und Band: die Kirche, die erste Macht des Mittelalters, wird schwer erschüttert und ihre Weltherrschaft gebrochen; die gewaltige Bewegung der Wiedergeburt, die man mit den Schlagworten»Renaissance« und »Humanismus« bezeichnet, geht durch die Welt und will den Menschengeist von allen mittelalterlichen Banden freimachen und die Zeiten der alten Griechen und Römer neu erstehen lassen; voll Begeisterung sehnen sich die italienischen Humanisten nach dem alten Heidentume, den Deutschen aber liegt vor allem die Besserung der Kirche am Herzen. Martin Luther steht im Mittelpunkte der Zeit, und alles dreht sich um den unerschrockenen deutschen Augustinermönch. Überall bricht die alte Ordnung zusammen, und jeder fühlt sich berufen, an der Erneuerung des Menschen, an der Wiedergeburt von Reich und Kirche teilzunehmen. Bis ins Mark faul und morsch war die Zeit und blieb es noch lange: die Bauern drückte und betrog jedermann; die Bürger waren reich geworden und verdrängten überall den Adel und die Kirche; das Rittertum war ein Zerrbild seiner einstigen Herrlichkeit; die Diener der Kirche ungebildet und verweltlicht; die meisten Geistlichen vagierten als stellenloses Proletariat allenthalben umher; von den öden Hohen Schulen brachten die Studenten ein armseliges Wissen und großes Saufen in die Welt; dazu Fehden und Kriege ohne Ende; Landsknechte, die den Krieg als Handwerk betrieben, vermehrten die Landplagen der herumziehenden Geistlichen und fahrenden Schüler. In dieses arme Deutschland, von dem Luther sagt,»wollte man Deutschland malen, so müsste man es gleich einer Sau malen«, kommt nun ein frischer Morgenwind, und das derbe, genussfrohe und kraftstrotzende Geschlecht nimmt sein Geschick selber in die Hand: nicht mehr die Herren der Welt führen untereinander Händel, jetzt geht es um die Sache des Volkes, und Bauern, Bürger, Geistliche, Herren und Ritter tun mit. Und nicht nur mit Waffen, sonder auch mit Worten werden die Meinungen verfochten und die Kämpfe ausgetragen; Lumpenpapier und Buchdruck sind ja inzwischen erfunden und werden für den Tag verwertet. Voll Kampfesfreude und Begeisterung ist das Geschlecht: Frey spricht von einer»fröhlichen Zeit«, und der edle Hutten ruft aus:»O Jahrhundert, es ist eine Lust, in dir zu leben!«

In diese Kampfgetriebe nun wird die Dichtkunst mitten hineingezerrt, an der von der einstigen Formschönheit der Minnesänger und höfischen Epiker keine Spur mehr übrig ist. Wie im Leben dem Geschlechte, das die Schutzheiligen des Jahrhunderts Sankt Grobianus und Sankt Schweinhardus verehrte, das Gefühl der Form vollständig abhanden gekommen war, so ist auch die Dichtkunst formlos und verwildert, bloß auf den Inhalt achtet man, und ganz wird sie zum Werkzeug in den religiösen, sozialen und politischen Zeitkämpfen; eine Fülle neuer Gedanken und Anschauungen ringen nach dichterischer Gestaltung, und das Schrifttum wird schier unübersehbar; zu keiner Zeit war in deutschen Landen die Dichtung so mit dem Volke verwachsen wie in unserem Jahrhundert, selbst die gelehrten Humanisten schwärmten mit dem Volke; in dies Zeit des innigen Zusammenhanges von Volk und Dichtung reichen die Wurzeln unserer Volksdichtung zurück; und noch etwas ist bezeichnende: hinter allem, was geschrieben wird, steckt die Absicht,»die Menschen zu bessern und zu bekehren«. Die Dichtung, und nicht zuletzt die reiche Schwankliteratur, lässt uns besser als andere Geschichtsquellen in den deutschen Geist und in das deutsche Herz und in alles, was die Menschen in den Zeiten der Wiedergeburt und der Glaubenskämpfe erregte und bewegte, blicken und wächst schließlich zum großartigsten Abbilde der verworrenen und doch für die Menschheit bedeutungsvollen Zeit aus, die ein katholischer Historiker»die Kloake der Weltgeschichte« genannt hat.

Wie die Dichtung der Zeit überhaupt steht auch die Schwankliteratur, von der Fäden zum Roman und zum Fastnachtsspiele spinnen, in engster Verbindung mit der Weltliteratur. Durch die Hebung der Bildung der Hohen Schulen, die die Humanisten eine nach der andern eroberten, war der Blick der Menschen weiter geworden; das orientalische, antike, mittelalterliche Schrifttum stand offen und wurde durchsucht, kirchliche und weltliche Schriften der angehenden Wiedergeburtszeit, Italiener, Spanier und Franzosen ausgebeutet. Der weltberühmte Humanist Boccaccio und der lateinisch schreibende Poggio gaben unter den italienischen Facetiendichtern am meisten her. Auf der Höhe der Darstellung stand der deutsch-lateinische Prosaschwank bei dem biederen schwäbischen Bauernsohn und Tübinger Humanisten Heinrich Bebel, der fest in seinem geliebten Schwabenlande wurzelte, es aber als echter Humanist nicht übers Herz bringen konnte, von seinen schwäbischen Bauern deutsch zu schreiben; seine»Facetieae«, die im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts erschienen, beherrschen die Schwankdichtung der folgenden Zeit und wurde fleißig ausgeplündert. Die Stoffe waren nämlich Eigentum aller und nur die Wiedergabe Besitz des einzelnen, ja es galt als Zeichen von Gelehrtheit, mit Quellen prunken zu können. Alles, was man aus diesen Schriften zusammenlas, wurde nachgebildet und eingedeutscht und wahllos zu Schwankbüchern zusammengetragen. Zu den vielen Volksbüchern, die in der Zeit entstanden, den Auflösungen der alten Helden- und Rittergedichte, kommen nun die schwankhaften Volksbücher hinzu, der»Till Eulenspiegel«, der»Doktor Faust« und die»Schildbürger«, und die eigentlichen Schwankwerke.

Und nun zu den Schwank- und Anekdotensammlungen, aus denen auf den folgenden Blättern eine kleine Auswahl gebracht wird.

Am Anfange der langen Reihe der Schwankbücher mit den schönen, sprechenden Titeln steht eine Sammlung kurzer Geschichten und Anekdoten» Schimpf und Ernst«, die der Barfüßermönch und Prediger Johannes Pauli im Jahre 1522 herausgab. Pauli war in Pfedersheim in Rheinhessen geboren und stammte von jüdischen Eltern; in früher Jugend wurde er getauft und bekam nach seinem Taufpaten den Namen Pauli. Er war ein Zeitgenosse Sebastian Brants, der mit seinem»Narrenschiff« das»aristophanische Zeitalter der Deutschen« eingeleitet hat. In jungen Jahren trat er in den Barfüßerorden ein und kam als Ordensmann und Prediger in verschiedenen Klöstern der oberen Rheingegenden herum, wo sich das geistige Leben Deutschlands damals zusammendrängte. Zu Straßburg schrieb er die Kanzelreden des berühmten Johann Geiler von Kaisersberg nach, der im Dome unter großem Zulauf des Volkes predigte; dabei kam er auf den Gedanken, die erbaulichen und kurzweiligen Predigtmärlein, die er hörte und selber auch in seine Predigten einflocht, zu sammeln. In kirchlichen und weltlichen Schriften hielt er nun reiche Ernte und trug aus allen Büchern, die ihm in die Hände kamen, den Stoff zusammen; im Barfüßerkloster zu Thann, wo er an die vierzig Jahre Prediger war und auch hochbetagt starb, schloss er seine»ernstlichen und kurzweiligen exempeln, parabolen und historien nützlich und guot zuo besserung der menschen« ab und gab sie in Druck. Das Büchlein war bald allgemein verbreitet und beliebt und wurde bis tief ins 17. Jahrhundert hinein oft neu gedruckt und erweitert; für die Dichter der Zeit war es eine unerschöpfliche Quelle. Pauli war ein reiner Mönch mit einem Kindesgemüt und betrachtete die Welt von seiner Klosterzelle aus; die Farbe des Erlebten fehlt seinen Geschichten ganz; er erzählt schlicht, im Tone des Predigtmärleins, auch ein wenig schalkhaft, immer aber von hohem sittlichen Ernste erfüllt. Seine Geschichten teilt er en nach Tugenden und Lastern, nach Ständen und Berufen, und die Menschen sind ihm Typen, Verkörperungen von Gut und Böse; eine Moral wird jeder Geschichte angehängt, die die allgemeine Gültigkeit des Falles zeigen soll; denn er will die Menschen nicht nur unterhalten, sondern auch belehren und bessern. Derbem und Unreinem geht er aus dem Wege, ist aber als Kind seiner Zeit nicht gerade zimperlich. Fest steht der Mönch noch im mittelalterlichen Kirchenglauben, doch geißelt er scharf die Gebrechen der Kirche an Haupt und Gliedern.

Anderer Art sind die nächsten Schwankbücher, deren Verfasser von den Facetien der Humanisten mit ihren Pikanterien und Frivolitäten gelernt oder geschöpft haben. Das erste und zugleich beste deutsche Schwankbuch der Zeit ist das» Rollwagenbüchlein«, das der Burgheimer Stadtschreiber Jörg Wickram im Jahre 1555 erscheinen ließ. Es sollte ein Unterhaltungsbuch sein vornehmlich für Reisende und Rollwägen, den damaligen Reisewagen, dahin nach einem Sprichworte zotenhafte Gespräche gehörten. Von dem Manne, der zu den bedeutendsten und fruchtbarsten Schriftstellern des 16. Jahrhunderts gehört und der Vater des deutschen Romans zubenannt wird, wissen wir wenig. Er war der uneheliche Sohn des Obristenmeisters Konrad Wickram von Kolmar und lebte zunächst als Ratsdiener in seiner Heimatstadt Kolmar; daneben verdiente er sich sein Brot zeitweilig auch als Buchhändler und Maler. Gelehrte Bildung hatte er nicht genossen, er war einer aus der Gilde der Meistersinger. Vom Jahre 1555 saß er als wohlbestallter Stadtschreiber im elsässischen Burgheim; hier starb er auch etliche Jahre nach dem Erscheinen des»Rollwagens«. Die Geschichten für sein Schwankbuch schöpfte Wickram stets aus dem täglichen Leben, wie er sie da und dort erlebte oder erzählen hörte; alles spielt in der jüngsten Vergangenheit, und der Schauplatz ist das Elsass mit seinen Dörfern und Städten und die benachbarten Landschaften. Wickram erzählt naturgetreu und gewandt;»allein von guoter kurzweil wegen«, sind seine Schwänke an den Tag gebracht worden,»niemals zuo underweisung noch leer, auch gar niemandts zuo schmach, hon oder spott«, also ohne lehrhafte oder satirische Absicht. Hat Pauli mehr für besinnliche Menschen geschrieben, so war das»Rollwagenbüchlein« ein Buch nach dem Herzen des gemeinen Volkes.

Wickrams Schwankbuch wurde bald nach dem Erscheinen unbefugt nachgedruckt und erweitert, und die Nachwirkung war groß; von zwei anderen Elsässern erschienen gleich Nachahmungen. Schon im folgenden Jahre 1556 gab ein Amtbruder und guter Bekannter Wickrams, der bebildete und genussfrohe Straßburger Jakob Frey, Stadtschreiber im elsässischen Städtchen Maursmünster, die» Gartengesellschaft« heraus und nannte sie»den andern Teil des Rollwagens«. Frey schöpft aus Wickram und den lateinischen Fecetiensammlungen, erweitert die Schwänke und dichtet sie Orten und Menschen seiner engsten Heimat zu; er plaudert flink und gewandt, ein wenig auch frivol. Der Verfasser des Schildbürgerbuches und andere haben bei ihm manche Anleihe gemacht. Obwohl Frey sonst noch mancherlei geschrieben hat, ist von seinem Leben weiter nichts bekannt; im Jahre 1562 starb er wohl, zu dem Jahre steht im Gerichtsbuche von Maursmüster in der Liste der Amtsleute bei seinem Namen von zeitgenössischer Hand geschrieben:»Gnad dir Gott! Ist auch ein gutter zechbruder gewest«.

Sein Schwankbuch fand einen Nachahme und Fortsetzer in Martin Montanus aus Straßburg, der die» Gartengesellschaft« durch einen zweiten Teil ergänzte und im Jahre 1557 den» Wegkürzer« herausgab, eine Sammlung ähnlicher Art, die in späteren Ausgaben als»dritter Teil des Rollwagens« bezeichnet und mit Freys»Gartengesellschaft« oft dem»Rollwagenbüchlein« beigepackt wird. Montanus wandelt ganz in Wickrams und Freys Fußstapfen, bekennt er doch, dass er deren Sammlungen fast auswendig wisse; er erzählt bald kindlich-schlicht, bald unflätig und zotenhaft; seine Quellen sind die alten Facetienschreiber, Pauli und Hans Sachs, aber auch Chronikalisches und Flugblätter hat er für seine beiden Büchlein ausgebeutet.

Tiefer in den Schmutz hinein führt Valentin Schumann, der Sohn eines Leipziger Buchhändlers, der gut auf den Geschmack der Leser zu spekulieren versteht. Er hat an der heimatlichen Universität studiert, aber wegen der Not im elterlichen Hause das Studium an den Nagel gehängt und war unter die Landsknechte gegangen. Später lernte er das Schriftgießen und wanderte als»schlucker und schrifftgiesser«, wie er sich selber nennt, durch Deutschland seinem Gewerbe nach; zu Nürnberg beweibte er sich, aber Weib und Schulden verbitterten ihm bald das Leben, und so ließ er denn seine Familie im Stiche und floh nach Augsburg. Hier trieb ihn die Not zur Schriftstellerei, der»von jugend auff lust und liebe zu der poeterei« hegte. In den Jahren 1558 und 59 erschien sein» Nachtbüchlein«, eine Sammlung längerer und recht unsauberer Geschichten nach bekannten Quellen und Mustern, die er in einem zweiten Teile noch um zotenhaftere vermehrte, da ihm»ein Ginaffe« vorgeworfen hatte, er habe die»groben bossen«, verblümt: Mit dem Erscheinen des»Nachtbüchleins« verlieren sich die Spuren von Schumanns Leben.

Der eigentliche Facetist in deutscher Sprache ist der durch Bildung und Geblütsmischung allen anderen überlegene Michael Lindener. Seines Zeichens war er Korrektor und will als Famulus in Leipzig gewesen sein, wo er auch im Sommersemester 1544 als Lipsiensis eingetragen steht. Sonst trieb er sich in aller Welt umher und schlug sich schlecht und recht durchs Leben. Im Jahre 1558 gab er das» Rastbüchlein« und Katzipori« heraus; der Stiel seiner»Fatzbüchlein« ist flink, wortgewandt, witzelnd; es steckt so etwas wie ein halber Fischart in ihm; neben Wickram hat er vielleicht am meisten aus dem Leben geschöpft; fast alles, was er geschrieben hat, ist unflätig und schamlose Zote; das Titelblatt von»Katzipori« gibt eine Vorgeschmack vom Inhalt: ein freier Knabe verrichtet völlig nackt auf einem Lotterbett liegend seine Notdurft. Berichten und Erleben war dem verbummelten Studenten eins, der sich zu den»guoten gesellen« zählte,»die man die freien knaben nennet, und nit vil sorgen, was das kornn gelte, sondern mehr lust und lieb haben zuo guoten grillen, visierlichen schwäncken, damit man die zeit und weil zuovertreiben pfleget, und darneben den wein verdewet«, und weiter von sich sagt, er sei»sein leben lang nit frölicher gewesen, dann do er alle nacht mit der lawtten gieng und den Ovidium unter dem armen truog, auß höltzernen kannen trunck und papiren fenster hatte«. Schlecht passt zu dem heiteren Gesellen sein schauderhaftes Ende; er wurde als Mörder auf dem Schafott hingerichtet, weil er einen Mann erstochen hatte.

Zu den Facetienschreibern wird auch der Sprichwörterausleger Johannes Agricola gerechnet, ein protestantischer Geistlicher aus Eisleben, der im Jahre 1566 zu Berlin starb; er sammelte deutsche Sprichwörter und legt sie aus, indem er zu etlichen passenden Geschichten erzählte.

Der fruchtbarste und der Zeit nach späteste ist Hans Wilhelm Kirchhoff; er war als der Sohn eines Beamten um das Jahr 1525 zu Kassel im Hessenlande geboren, wo er auch seine Kindheit verbrachte; eine Zeit war er auf der Schule in Eschwege, dann diente er als Landsknecht verschiedenen Herren und lernte Menschen und Länder kennen. Nach einigen Jahren gab er das abenteuerliche Landsknechtleben auf, heiratete zu Marburg und oblag mit Eifer den Wissenschaften. Sein Landesherr verwendete ihn zu allerhand Sendungen; im Jahre 1582 erhielt er dann das Amt eines Burggafen von Spangenberg bei Kassel. Kirchhoff trug sich mit dem Plane, die»Facetiae« des»berümpten und wolgelehrten Henrici Bebelii, weiland gekronten poeten«, zu verdeutschen; bei der Arbeit fielen ihm viele Geschehnisse aus seinem Landsknechtleben und sonst allerlei Schwänke ein, und so entstand die Sammlung» Wendunmuth«, deren erstes Buch im Jahre 1563 erschien. Im Alter hat er dann Muße gefunden und alles Mögliche»aus alten und ietzigen seribenten, eines theils frantzösischen und italienischen« zusammengesucht, viel aus seinem Leben und vor seiner Zeit gesammelt und so Band an Band gereiht; schließlich ist der»Wendunmuth« bis auf sieben Bände angewachsen, die zusammen über zwanzigtausend Geschichten der verschiedensten Art enthalten. Das letzte Buch erschien im Jahre 1603; kurz darauf mag der alte Herr auch gestorben sein. Kirchhoff, der noch eine Menge anderer gedruckter und ungedruckter Schriften hinterließ, erzählt breit und behaglich, immer mit viel Gelehrsamkeit und Weltkenntnis; sein Stil ist recht oft schon geschachtelt und geschnörkelt, wie es dann im 17. Jahrhundert Mode war. Kirchhoff war ein überzeugter Lutheraner, und wo er dem»Papsttum« eins am Zeug flicken kann, tut er es.

Ebenso eng wie die Männer, die wir kennen gelernt haben, ist auch Hans Sachsens Name und etlicher anderer noch mit dem altdeutschen Schwanke verknüpft; doch haben diese Dichter den Schwank in Reime gebracht und in der Form der Meistergesänge und Fastnachtsspiele gepflegt.

An dieser Schwankdichtung, die der deutschen Begabung für das Derbkomische eigentlich entsprach, hat sich vor fünf Jahrhunderten das Volk erfreut und ergötzt; freilich hat es auch nicht an Eiferern gefehlt, die die Leute warnten vor den Büchern,»so hin und wieder in den buchläden zum verderben guter sitten und gemeiner polizei verkauft werden«. In den Wirren und Unruhen des Dreißigjährigen Krieges aber, die aus Deutschland einen Trümmerhaufen gemacht haben, ist auch die altdeutsche Dichtung versunken und vergessen. Das Volk, das dem Begriffe nach kleiner geworden, hat treulich das alte Gut gehütet und an dem, was es im 16. Jahrhundert in solcher Fülle aufgenommen hat, heiteren Herzens durch die Jahrhunderte weitergedichtet; es ist ja bei den Volksschwänken wie bei jeder Volksdichtung: nicht immer hat sie das Volk selber geschaffen, sondern weit öfter eine höhere Kunst seiner Art angepasst, und dieser Geschmack geht um Jahrzehnte und Jahrhunderte hinter dem höheren her. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts haben dann Dichter und Gelehrte die altdeutsche Dichtung aus dem Dornröschenschlafe erweckt und uns neuen geschenkt: aus verstaubten Folianten haben die Männer den alten Schatz gehoben und sind zu gleicher Zeit mit Liebe den Spuren der lebendigen Überlieferung im Volke selber nachgegangen.

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