Heinrich Kruse
Die kleine Odyssee
Heinrich Kruse

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Siebentes Buch.

Niederlage und Triumph.

    Und so war ich bereits ganz nahe dem glücklichen Ende,
Aber die dunkele Hand des Geschicks greift zwischen der Lippe
Und dem Rande des Kelchs oft ein, das sollt' ich erfahren.
»Sagt mal, wer war denn die Schattengestalt, die viermal und fünfmal
Kam ganz nahe vorbei in der Dämmerung?« fragte der Kochsmaat.
»Nun, wer sollt' es denn sein?« so sprach Fritz Runge. »Wer anders,
Als Capitain Menelaus?« »Jawohl!« so versetzte der Bootsmann,
»Habt Ihr nicht längst es bemerkt, daß Abends, wenn Heinrich uns seine
Dönchen erzählt, der Captain auf dem Decke spaziert und uns manchmal
Sehr nah kommt? – Das soll ganz unabsichtlich erscheinen.
Heinrich zuzuhören, das würde sich freilich nicht schicken,
Wäre ja gegen die Würde des Herrn Capitains. Doch erhorcht er
Gern etwas und erschnappt mit dem feinen Gehöre sich Brocken.
Ja, verlaßt Euch darauf, 's war unser Captain Menelaus.«
Also ward der Captain aus dem Schiffe genannt von der Mannschaft, 142
Seit ich von Paris erzählt und Helena. Denn Menelaus
War ja ein ältlicher Mann, den der Fürwitz plagte, die junge
Lebenslustige Frau sich zu nehmen. So hatt' ich als Urbild
Für den Atriden von Sparta benutzt Herrn Capitain Miedbrod.
Ja, und die Scene, wo er, Menelaus, das liebende Pärchen
Ueberrascht beim Tanz, war ganz nach dem Leben geschildert.
»Nein!« so meint' ein Matrose, »der Herr Capitain ist gedrung'ner,
Und die dunkle Gestalt von vorhin war, glaub' ich, der Steu'rmann.«
»Nicht doch, Peter, es war Capitain Menelaus«, so sprach ich
Lebhaft betheuernd. Da taucht, plitz platz, aus dem Dunkel, o Schrecken!
Unser Captain selbst auf. Er hatte die Worte aus nächster
Nähe gehört und sagte mit einer vor Zorn und Entrüstung
Rauhen und heiseren Stimme zu mir: »Komm, Heinrich, ich hab' ein
Wörtchen zu sprechen mit Dir!« So ging er zum Achterverdecke,
Und ich folgt' ihm dahin, etwa wie das Lamm zu der Schlachtbank.
»Heinrich«, frug er, gelehnt ans Compashäuschen, »ich möchte
Wissen, warum Du mich eben Captain Menelaus genannt hast?«
»Ich!« so stottert' ich, »hätte . . . Wie meinen Sie, daß ich gesagt hab'?«
»Capitain Menelaus!« so rief er mit donnernder Stimme.
»Menelaus, das räum' ich ja ein, ich erzählte von Troja;
Aber wie käm' ich dazu, Capitain Menelaus zu sagen,
Hochverehrter Captain?« »Das hast Du für Deine Verehrung«,
Sagte der Herr Capitain mit 'nem Schlag an die Ohren, 'ner Maulschell, 143
Auch Backpfeife genannt, von nicht ganz schlechtem Kaliber.
»Siehst Du«, fügt' er hinzu, als Erläuterung, »Heinrich, von einem
So rotznasigen Jungen, wie Du, will ich gar nicht verehrt sein.
Meinst Du, ich könne nicht hören? Ich habe die leisesten Ohren.
Zweimal hört' ich bereits und dreimal hinter mir flüstern:
Capitain Menelaus! und kichern. Was soll das bedeuten?
Was für Aehnlichkeit hab' ich mit Menelaus, dem alten
König von Sparta, Cujon? Saunickel!« Er setzte noch manchen
Ehrentitel hinzu. Ich sagte verlegen und stotternd:
»Herr Capitain Miedbrod, ich glaube – ich möchte vermuthen –«
»Nun, was haben wir Beide gemein? Warum nennt man mich also?«
Und er schwenkte dabei schon höchst verdächtig ein Tauend.
»Weil, so erklärt sich die Sache vielleicht, weil – weil Ihr geehrter
Name mit M anfängt, wie Menelaus desgleichen.«
Kirschroth rief er: »So mach' mir nicht gar noch Fisimatenten!
Weil Menelaus ein Hahnrei war! Das wolltest Du sagen.«
»Hahnrei!« rief ich. »Ich staune! Wer das sich zu sagen erfrechte,
Hätt' es mit mir zu thun, und seit Sie den ungerechten
Schwarzen Verdacht auf Carl, Carl Böttcher. geworfen, ist Niemand
Auch nur als Liebhaber genannt bei der schönen Captainin.«
Also war ich im Zug der Beredsamkeit, aber vergebens.
Als Carl Böttchers Name das Ohr des Captaines getroffen,
War er vor Wuth sinnlos und hörte nicht mehr, was ich sagte,
Sondern er kreischte mich an: »Ich will Dich lehren, Du Schlingel, 144
Loses Gespötte zu treiben mit Leuten, die besser, als Du sind!«
Und so nahm er das Tau und begann mich furchtbar zu prügeln.
Anfangs wollt' ich mich üben im Heldenmuth der Spartaner,
Denn ich dachte dabei an den Knaben in Sparta, der lieber
Wollte zerbeißen sich lassen vom Fuchs, als die Schmerzen verrathen;
Aber es wurden die Schläge zu arg, und ich heulte gewaltig.
Das klang wohl wie Musik dem Tyrannen. Nun ließ er mich laufen.
Und so kam an dem Abend, wo ich Penelope hoffte
Wieder mit ihrem Gemahl zu vereinen, die leidigste Störung;
Aber ich klagte am anderen Tag dem versammelten Schiffsvolk:
»Leute, so gehts in der Welt und Gerechtigkeit wohnt nicht auf Erden.
Denn was hab' ich gethan? Von Menelaus und Paris
Hab' ich Euch, wißt Ihr, erzählt. Ihr gabet dem Herrn Capitaine
Einen Namen, der ihm nicht paßt: ich mußt' es entgelten.
Ein Capitain auf dem Schiff ist der schlimmste von allen Tyrannen.
Weiß ich doch nicht, was dem Alten mit Eins in die Krone gefahren,
Um unschuldige Opfer zu peinigen.« »Heinrich«, so sagte
Leise der Bootsmann jetzt mir ins Ohr und zog mich bei Seite:
»Wolle doch nicht aufsetzen die Miene der leidenden Unschuld,
Denn Du bist, mein Sohn, mit Deiner Erlaubniß, ein Schlingel,
Der zu sehr nur die gestern erhaltenen Schläge verdient hat.«
»Wie?« so rief ich, »was hab' ich gethan?« »Leichtsinniger Bursche,
Fragst Du noch, was Du gethan? Du hast im vorigen Jahre,
Während die junge und muntere Frau des Captaines an Bord war, 145
Heimlich gelöffelt mit ihr und Küsse gewechselt. Du Grünspecht,
Lege Dich nicht aufs Leugnen. Ich hab' es mit Augen gesehen.
Junge, Du fängst früh an. Ein guter Haken, so heißt es,
Krümmt sich bei Zeiten. Doch laß Dir die Strafe zur Warnung gereichen.
Wüßte der Alte von Allem Bescheid, so gings Dir noch schlimmer.«
Ueber die Worte des ehrlichen Claus erschrak ich nicht wenig,
Denn ich hatte geglaubt, daß Niemand uns Beide belauschte.
»Claus, Ihr schweigt darüber, nicht wahr?« so bat ich beklommen.
Und Claus nickte dazu. Wer hätte den ehrlichen Bootsmann
Trotz der groben Gestalt für so zart und verschwiegen gehalten?
»Sie fing an!« so sucht' ich mich noch zu entschuldigen. Bootsmann
Sagte darauf: »O, es hat Dir zu wohl nur gefallen, Du Schlingel;
Sie sind mächtig, die Weiber, und tragen noch heute die Aepfel,
Die uns verführen, mit sich; drum hüte sich Adam vor Eva!«
Darauf kehrten wir Beide zurück zu der andern Gesellschaft,
Die schon ungeduldig auf mich, den Erzähler, gewartet.
»Ich weiß nicht«, so begann ich von Neuem, »weshalb sich der Alte
Gestern gegen mich so – so ungebildet benommen.«
»Ja, Du schrieest, es hörte sich an, als stäch' man ein Schwein ab!«
Sagten sie und grieflachten dazu. Ich entgegnete ihnen:
»Freilich, uns thuen die Schläge nicht weh, die Andre bekommen,
Seht, mein Buckel ist braun und blau, Ihr lacht Euch ins Fäustchen!«
»Halte Dich weiter nicht auf und erzähle nur!« riefen die Leute. 146
»Ja, wir sind schon nahe gekommen dem fröhlichen Ausgang;
Denn wir blieben da stehn, wo Penelope, sitzend am Feuer,
Lange betrachtet den Mann, der die trotzigen Freier getödtet,
Ob er Odysseus sei, und es nicht zu ergründen vermochte.
Bald schien ihr es der Gatte zu sein, der so lange vermißte,
Bald mißkannte sie ihn, da ihn schlechte Gewänder verhüllten.
Staunend und unmuthsvoll sprach also zur Mutter der Jüngling:
»Fürchtest Du stets noch, Mutter, es könnt' ein Betrüger Dich täuschen?«
»Das ist häufig geschehn und kann auch künftig geschehen!«
Sagte Penelope drauf, die als klug und besonnen berühmt war,
»Und ich hätte noch gern ein ganz untrügliches Zeichen.«
»Vorsicht lob' ich ja selbst«, so versetzte der Jüngling dagegen,
»Und ich war nicht ein Thor, als ich diesen als Vater erkannte;
Auch im Mißtraun kann man zu weit gehn wie im Vertrauen.
Vater, sie wird Dich wohl nicht in Bettlergewändern erkennen,
Steig' ins Bad und lege Dir dann ein königlich Kleid an!«
»Ja, Dein Rath ist gut. Ich will mich baden und salben
Und mich dann ausruhn von dem männermordenden Kampfe.«
Aber Penelope sprach zur alten Dienerin also:
»Euryklea, so rüst' ihm das Bad und besorg' ihm das Lager,
Hole das Bett ihm heraus, das er selbst im Gemache gezimmert,
Und stell' hier es ihm auf in der Halle mit Polstern und Decken.«
»Frau, Du willst mich versuchen«, so sprach mit Lächeln Odysseus.
»Niemand weiß als Du und ich, wie es ist mit der Bettstatt.
Als ich das Haus mir erbaute, da stand weitschattig ein Oelbaum
Hier im Gehege, der Stamm so dick, wie die Säule des Tempels,
Aber ich hieb ihn ab, kurz über der Erd', aus dem Stumpfe
Macht' ich den Fuß des Bettes für mich und meine Gemahlin. 147
Niemand kann je bewegen die festgewurzelte Bettstatt!«
Auf dies Zeichen erhob sich freudig die liebende Gattin.
»Wahrlich, Du bist Odysseus!« so rief sie in seiner Umarmung.
Alles schwieg, wie wenn man den Gipfel des Berges erreicht hat
Und auf das Thal und die Mühen des Wegs mit Entzücken herabschaut.
Endlich nahm Claus Babbe das Wort, der gemüthliche Bootsmann:
»Ja, ein treffliches Paar, Penelope und ihr Odysseus.
Wenn sie gestorben nicht sind, so leben sie Beide noch heute.
Deine Geschichte ist gut und lehrreich.« »Nun, und was lehrt sie?«
Fragt' ich. »Wer hätte gedacht in der Höhle des wilden Cyklopen
Und bei der Scylla Gebell, daß Alles so gut sich noch fügte.
Darum muß man auf Gott vertraun, denn er weiß es am besten.
Noch jung hatt' ein Weib den Ernährer und Gatten verloren,
Der als Schiffer geblieben auf See, und ihn lange betrauert.
Als nun der älteste Sohn aufwuchs und im mühsam ersparten
Gottstischrock Palmsonntag war am Altare gesegnet,
Fragte sie, streichelnd die Wange des Lieblings: »Sage, was willst Du
Werden, mein Sohn?« Er entgegnete keck: »Ich werde ein Seemann«,
Ließ sich nicht sagen und halten, und ging noch vor Ostern zu Schiff weg.
Da war wieder in Noth und Sorgen die Wittwe, und seufzend
Sah sie bei jeglicher Reise des Sohns stets nach auf den Karten,
Welche ihr nachgelassen von ihrem verewigten Manne.
Und nachdem sie die Richtung des Windes erkannt, der zum Ziele 148
Führte das Schiff, so bat sie den Herrn um den richtigen Fahrwind.
Als nun der andere Sohn gleichfalls nachfolgte dem Vater,
Bat sie Gott auch für ihn um den richtigen, günstigen Fahrwind.
Einmal fuhr ihr ältester Sohn nach London, der andre
Segelte umgekehrt von dort nach Riga, so wußte
Nicht sich Rathes die Frau, ob um Ostwind oder um Westwind
Sie Gott sollt' anrufen und flehn in ihrem Gebete.
Aber als sie nun gar noch den dritten Knaben nicht konnte
Halten am Lande zurück, und nun drei Söhne in jeder
Richtung durchkreuzten das Meer, da wußte die Mutter nicht länger,
Welch ein Wind zu erflehn, und war in Verwirrung und rathlos,
Und sie faßte sich fromm und sagte: »So will ich in Deine
Vaterhände getrost, mein Herrgott, geben die Winde,
Denn Du weißt es am besten, was dienet den Kindern der Menschen.«
Also des Weibes Gebet und sollten wir Alle so denken.
Manch ein Schifflein hängt von der Decke der Kirche herunter.
Also läuft von jeglichem Schiff ein Faden zum Himmel,
Wo in der Hand des allmächtigen Gottes die sämmtlichen Fäden
Ruhn, und sie werden gelenkt nach unerforschlicher Weisheit.«
Also sprach Claus Babbe. Andächtig und kirchenstille
Hatten wir Alle gelauscht auf die Worte des redlichen Bootsmanns,
Und ich sagte zuletzt: »Es heißt, daß das Schwerste bei jedem
Werk ein richtiger Schluß, und sind schon manche Poeten,
Denen es leidlich gelang, am fünften Acte gescheitert;
Aber zur Odyssee fand Claus das richtige Ende.
Ja, was wär' auch wohl aus meiner Erzählung geworden,
Wenn Claus Babbe sie nicht verbrämt mit Bemerkungen hätte
Und uns lachen gemacht durch köstliche Schwänke und Späße, 149
In die sein ursprüngliches Herz sich immer ergießet?
Claus soll leben!« »Nein, nein!« so rief da die sämmtliche Mannschaft,
»Vivat Heinrich! Er ist noch so jung, doch wenn er erzählet,
Fließt ihm wie Honig die Rede vom Mund gleich Nestor, dem Alten.«
Darnach hoben sie mich auf die Schultern mit Jauchzen und Lärmen,
Und so trugen sie mich im Triumph vom Bug bis zum Spiegel
Und dann wieder zurück vom Compashäuschen zum Bugspriet.
Bootsmann, der es verstand, mit der Zunge Raketen und Schwärmer
Nachzumachen, vermehrte die Lust mit Knallen und Zischen.

 


 


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