Heinrich Kruse
Die kleine Odyssee
Heinrich Kruse

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Fünftes Buch.

Nausicaa.

              Also schlief im Land der Phäaken der Dulder Odysseus,
Scheria ward es genannt, wo Alcinous herrschte als König,
Weit durch die Gärten berühmt; doch ist die gesegnete Insel
Mild von den Lüften des Meeres umspielt, ein einziger Garten.
Und sein Töchterlein war Nausicaa, reizend zu schauen.
Zu der trat in die Kammer, als sanft sie schlummert', Athene,
Die den Odysseus schützte, um vorzubereiten die Heimkehr.
»Lässiges Mädchen«, so sagte zu ihr im Traume die Göttin,
»Daß die Gewänder Du lässest verwahrlost ruhn in der Lade,
Und bald steht Dir bevor die Vermählung, wo Du doch Schönes
Anziehn mußt und reichen den Jünglingen, die Dich begleiten,
Denn schon werben um Dich die Vorzüglichsten unter dem Volke.
Lade die Wagen nur voll von Kleidern und Gürteln und Decken,
Und dann bitte, die Mäuler davor zu spannen, den Vater;
Denn weit hat man zu gehn von der Stadt zu den Gruben der Wäsche.«
Bald stieg Eos herauf, glanzreich, und erweckte die Jungfrau,
Und sie staunte des Traums und ging zu dem Vater und sagte:
»Väterchen, lässest Du nicht ein Lastfuhrwerk mir bespannen,
Hoch und stark von Rädern, damit ich die köstliche Kleidung
Fahr' an den Strom sie zu waschen, die jetzt mir so schmutzig umherliegt, 90
Denn Du verlangst doch, geschmückt mit reinem Gewande zu sitzen
Unter den Fürsten im Rath, und Dir sind fünf Söhne geboren,
Zwei von ihnen vermählt und drei in der Blüthe der Jugend,
Und sie wollen beständig in sauber gewaschenen Kleidern
Gehen zum Reigen und Tanz, und es kommt doch alles auf mich an.«
Also sprach sie, sich scheuend, das Wort von der holden Vermählung
Gegen den Vater zu äußern; doch merkt' er es Alles und sagte:
»Weder die Mäuler, mein Kind, noch Anderes soll Dir versagt sein.«
Also redend befahl er den Knechten, den Wagen zu rüsten,
Und sie führten die Mäuler heraus, an die Deichsel sie spannend,
Aber Nausicaa nahm aus der Kammer die schmutzigen Kleider,
Trug sie heraus und packte sie ein im Korbe des Wagens.
Auch ein Kistchen, mit Speise gefüllt, gab mit ihr die Mutter,
Ferner ein goldenes Fläschchen mit Oel, nach dem Bad sich zu salben.
Darauf nahm sie die Geißel und ließ anziehen die Thiere,
Hinter dem Wagen zu Fuße gefolgt von den dienenden Mägden.
Als sie des Stroms anmuthiges Ufer erreicht und die Gruben,
Durch die fließendes Wasser beständig rinnet und rauschet,
Auszuspülen die Wäsche und jeglichen Fleck zu entfernen,
Spannten die Mäuler sie aus und ließen sie weiden im Grase,
Und sie trugen die Kleider vom Wagen hinein in die Gruben,
Stampften sie dann mit den Füßen und boten sich fröhlichen Wettstreit,
Aber nachdem sie gewaschen das Zeug und von Flecken gesäubert,
Breiteten aus sie die Kleider zum Trocknen am Strande des Meeres, 91
Wo am reinsten gespült vom Wasser die Kiesel sich zeigten.
Darauf badeten sie und salbten mit Oel sich die Glieder,
Nahmen das Mahl dann ein, am grünenden Ufer gelagert;
Harrend, daß von den Strahlen der Sonne die Wäsche getrocknet,
Fingen sie an mit Tanz und mit Ballspiel sich zu ergötzen.
Aber die Tochter des Königs begann auch lieblich zu singen,
Während sie scherzend den Ball hinwarf auf eine der Mägde.
Doch sie verfehlte das Ziel, und der Ball fiel mitten ins Wasser.
Laut aufkreischten die Mädchen und weckten den fernen Odysseus,
Der auffuhr aus dem Schlaf, worin er geruht bis zum Abend,
Und er setzte sich hin und dachte in seinem Gemüthe:
»Wohin bin ich verschlagen? Zu welcherlei Menschen gekommen?
Sind sie den Fremdlingen hold, und hegen sie Furcht vor den Göttern?
Aber mir däucht, ich habe die Stimmen von Mädchen vernommen.
Und so will ich denn gehn und selbst ausfragen die Jungfraun.«
Sprachs und brach einen laubigen Zweig aus dem dichten Gehölze,
Welchen er vor sich hielt, um die völlige Blöße zu decken.
Darauf trat er hervor aus dem Dickicht, verwildert und struppig.
Also suchte der Held in den Kreis schönlockiger Jungfraun
Einzutreten, so nackend er war, denn es drängte die Noth ihn.
Hierhin flohen die Mädchen und dorthin, als sie den Mann sahn,
Nur Nausicaa stand und sah ihm muthig entgegen.
Aber Odysseus schien es am besten, nicht näher zu kommen,
Sondern er sprach nur von ferne sie an mit schmeichelnden Worten:
»Flehend nah' ich mich Dir, Du Hoheit blickende Jungfrau, 92
Bist Du göttlichen Stamms, so scheinst Du Diana, von ihren
Nymphen begleitet, zu sein, hoch ragst Du hervor aus den Andern.
Bist Du der Sterblichen Eine, wie könnt' ich genug Dich dann preisen?
Dreimal selig Dein Vater und Deine würdige Mutter!
Dreimal selig Dein Bruder! Es muß ihr Herz sich erfreuen,
Wenn sie blicken auf Dich, Du holdeste unter den Mädchen,
Während Du gehest zum Tanz und leicht im Reigen dahinschwebst;
Aber am seligsten ist doch Jener vor Allen zu preisen,
Welcher als Braut nach Hause Dich führt, obsiegend als Freier.
Einmal sah ich in Delos am Opferaltar des Apollo
Schlank in die Lüfte die Palme, dem Gotte geweiht, sich erheben,
Schlanker empor schoß nie ein Stamm als die göttliche Palme.
Lange bestaunt' ich den Baum, wie ich jetzt Dich, Hehre, betrachte.
Und ich staune Dich an und bewundre Dich, zitternd vor Ehrfurcht,
Dir zu berühren die Kniee, doch zwingt mich unendlicher Jammer.
Gestern, am zwanzigsten Tag, entkam ich dem schrecklichen Meere,
Das von Ogygia her in Sturm und in Wetter mich umtrieb,
Dir nun nah ich zuerst und kenne ja Niemand im Lande.
Darum fleh' ich zu Dir, Du wollest Dich meiner erbarmen,
Zeige die Stadt mir an und gieb mir ein Stück zur Bedeckung,
Etwa ein Einschlagtuch, worin Du die Wäsche gebracht hast.
Mögen die Götter Dir schenken, so viel Dein Herz nur begehret,
Einen Mann und ein Haus und Fried' Euch geben und Eintracht,
Denn kein Glück ist ja so wünschenswerth und erfreuend, 93
Als wenn Mann und Weib, in herzlicher Liebe vereinigt,
Ruhig verwalten ihr Haus, für den Feind ein kränkender Anblick,
Wonne dem Freunde jedoch, und mehr noch genießen sie selber.«
Ihm antwortete drauf Alcinous Tochter und sagte:
»Fremdling, Du scheinst kein schlechter und thörichter Mann, und so weißt Du,
Daß uns Menschen zu tragen geziemt, was Zeus uns bestimmt hat;
Aber es soll Dir nicht im Unglück fehlen die Hülfe.
Kleider bekommst Du von mir, und ich zeige nachher Dir die Stadt an.
Dies ist das Land der Phäaken, Alcinous heißet der König,
Und Nausicaa werd' ich geheißen, die Tochter des Königs.«
Darauf rief sie den Mädchen und sagte: »So steht doch! Was flieht Ihr?
Dies hier ist kein feindlicher Mann. Schiffbrüchig und elend
Kommt er zu uns, und die Fremdlinge stehn im Schutze der Götter.
Auf, Ihr Mädchen, und stärket den Mann mit Trank und mit Speise.
Doch erst lasset ihn baden im Fluß, wo Schutz vor dem Wind ist.«
Also sprach sie, da standen die Mädchen, einander ermahnend,
Und sie führten Odysseus zum Fluß und legten am Ufer
Mantel und Leibrock hin und was er zur Kleidung bedurfte,
Auch ein Fläschchen mit Oel, nach erquickendem Bad sich zu salben.
»Dank Euch!« sprach Odysseus. »Doch tretet nun, bitt' ich, bei Seite,
Daß ich ohne Beschämung entblößt einsteige zum Bade.«
»Anders konnte man nicht es erwarten von einem gewandten 94
Mann, der weiß, was sich schickt!« so ließ Fritz Runge sich hören,
»Was man indessen erlebt in dem Punkt, das ist nicht zu glauben.
Als ich in Stockholm war, da nahm ich ein Bad in der Wanne.
Während behaglich ich streckte die Glieder im Wasser, dem warmen,
Tritt in die Thür ein Weib, mit Bürste bewaffnet und Seife.
Hol' mich der Henker, sie will, so nackt, wie ich bin, mit der Bürste
Mich und der Seife behandeln! Das liebten die schwedischen Herren,
Sagte das schamlose Weib, das wäre gesund und erquicklich.
Aber ich rief aus der Wanne heraus, sie solle sich trollen.«
»Sagt mir, das Weib war wohl alt?« »Alt war sie.« »Und häßlich?« »Die Schönheit
Drückte sie nicht.« »Dadurch wird freilich ein wenig verringert«,
Sagt' ich, »Ihr eignes Verdienst. Ja wäre statt dessen ein junges,
Sauberes Mädchen gekommen, um Sie im Bad zu bedienen,
Ei, Herr Runge, wer weiß!« Da lachten wir Alle nicht wenig.
»Und sie ließen allein Odysseus schreiten zum Bade,
Wo er das Salz abspülte des Meers und das Gras und die Muscheln
Und sich den Schaum abrieb. Als Odysseus rein und erfrischt war,
Salbt' er sich dann mit krystallenem Oel aus dem goldenen Fläschchen.
Darauf legt' er die Kleider sich an, ihm geschenkt von der Jungfrau,
Und ein Anderer schien er zu sein, so verjüngt und verschönert.
Als er so saß, zur Seite gekehrt, am Ufer des Flusses,
Strahlend von Schönheit und Kraft, so sprach Nausicaa staunend: 95
»Wahrlich, der Mann, der mir erst nur unansehnlich erschienen,
Gleichet an Bildung den Göttern nunmehr, die den Himmel bewohnen.
Wäre mir doch ein solcher Gemahl vom Schicksal erkoren,
Wohnend in unserem Volk und gefiel es dem Fremdling zu bleiben!
Auf nun, stärkt, Ihr Mädchen, mit Trank und Speise den Armen!«
Voller Begier aß Jener und trank; lang hatt' er gefastet.
Unterdeß wurden die Mäuler geschirrt vor den Wagen, die Wäsche
Wurde gefaltet zusammengelegt im zierlichen Fuhrwerk.
Aber Nausicaa stieg auf den Wagen und sagte zum Fremdling:
»Folge mir jetzt in die Stadt, damit ich zur Wohnung des Königs,
Meines Vaters, Dich führe. Du magst mit den Mägden zu Fuße
Mir dann rasch nachgehen, so lange wir fern von der Stadt sind
Zwischen den Feldern; jedoch sobald wir nahen dem Thore,
Bleibe zurück, zu vermeiden ein loses Geschwätz bei den Leuten,
Wie es gar leicht aufkommt, denn die Nachbarn lieben zu klatschen.
Und so sagte vielleicht, wer uns zusammen erblickte:
»Was für ein stattlicher Fremdling ist das, der Nausicaa nachgeht?
Und wo fand sie ihn auf? Der wird noch einmal ihr Gatte,
Denn hier schätzet sie Alle gering und verschmäht die Bewerber.«
Also spräche das Volk, drum vermeiden wir besser die Reden.
Nah' an der Stadt ist ein lieblicher Hain, der Athene geheiligt,
Wo ein Quell sich ergießt in schlängelndem Lauf durch die Wiese. 96
Setze Dich dort in den Schatten der immer sich regenden Pappeln,
Bis ich mit Wagen und Mädchen nach unserer Wohnung gelangt bin.
Dann erst mache Dich auf und geh' in die Stadt der Phäaken,
Frag' nach dem Hause des Königs Alcinous, welches ein Kind Dir
Zeigt, und Du kennst es auch selbst an der Größe und Schönheit des Baues.
Gehe den Vorhof durch und grad durch den Saal bis zum Heerde,
Wo Arete, die Königin, sitzt an der Säule und spinnet.
Schreite dem König vorbei und umfasse der Königin Kniee.
Wenn Du das Herz ihr rührst, so darfst Du hoffen, wie fern auch
Sei Dein heimisches Land, daß wir Dich sicher geleiten.«
Also sprach sie und trieb mit der Geißel die Mäuler zum Laufen,
Aber nicht allzu rasch, damit nachkämen die Andern.
Als sie zum Haine gelangt, der Pallas Athene geweiht ist,
Blieb Odysseus zurück und betete so zu der Göttin:
»Höre mich, Pallas Athene, die Du vor Troja mir hold warst,
Aber mich lange vergaßest, o höre doch endlich mich wieder:
Laß mich bei den Phäaken Erbarmung finden und Liebe.«
Und bald schritt er hinein in die Stadt mit den ragenden Mauern,
Staunte den Hafen an mit Schiffen gefüllt; der Phäaken
Ruderliebendes Volk ist bekannt als kundige Schiffer,
Und die Schiffe sind schnell wie Fittige oder Gedanken.
Als er sie, groß und klein, im Hafen erblickte, da wuchs ihm
Sehnlich Verlangen und Hoffnung zugleich, hier Rettung zu finden,
Aber was sollt' er am meisten bewundern? Des Königes Palast 97
Oder Alcinous Gärten, die rings ihn umgaben? Da sieht man
Saftige Birnen und Feigen, wie Honigseim, und Granaten,
Aepfel, Oliven und Wein mit großen und hängenden Trauben,
Niemals mangelt dem Garten das Obst, denn einige Früchte
Blühen und andere reifen, man häufet sie auf in den Kammern,
Welche mit köstlichem Duft einladen zum frischen Genusse.
Aber Odysseus trat durch die schimmernden Säulen von Marmor
Ein in des Königs Palast, wo die Wände von Gold und von Silber
Strahlen und manchem Gebilde der Kunst von phäakischen Meistern.
Also schön und sauber geformt, als hätte Hephaestos
Selbst es geschmiedet, sich freuend am Werk, mit unsterblichen Händen.
Als er trat in den Saal, wo täglich die edlen Phäaken
Schmäuse zu feiern gewohnt, da gedacht' er Nausicaas Rede
Und ging grade herzu auf die Königin, sitzend am Herde,
Die mit verständigem Geist die Geschäfte des Hauses besorgte,
Und ein entscheidendes Wort oft sprach im Streite der Männer,
Also ward sie verehrt von König und sämmtlichem Volke.
Und Odysseus umfaßte das Knie Aretes und flehte:
»Dich und Deinen Gemahl, o Königin, fleh' ich um Schutz an,
Denn ich bin ein Fremdling, der, weit von der Heimath verschlagen,
Nur nach ihr zu gelangen begehrt. O sendet dahin mich,
Denn Ihr vermögt es, und will ich Euch gern als Götter verehren.«
Also sprach er und setzte sich dann in die Asche des Herdes.
Alle blickten auf ihn, und die Königin sagte mit Güte:
»Selten nur kommt ein Fremdling hieher, denn unsere Insel
Liegt am Ende der Welt und fern von den übrigen Ländern.
Desto mehr drum ziemt es, des bittenden Fremdlings zu achten.« 98
Und sie winkte, da ward Odysseus, welchen der König
Selbst aus der Asche des Herdes erhob, wo er niedergesessen,
Wasser in goldener Kanne gebracht, damit er sich wasche,
Vor ihm ein Tischchen gedeckt und er reichlich bewirthet als Gastfreund,
Und nachdem er dem Zeus, dem Beschützer des Gastes, gespendet,
Sprach Alcinous so: »Ihr Fürsten, wir wollen uns morgen
Wieder versammeln, um Rath zu halten, wie hier wir dem Fremdling,
Der uns bittend genaht, beistehn und ihn sicher geleiten,
Bis er zum heimischen Strand aufsteigt. Dort mag er erdulden,
Was sein Loos ihm bestimmt und die unerbittlichen Schwestern,
Als ihn die Mutter gebar, in den werdenden Faden gesponnen.«
Da nun die Fürsten gesprengt und nach Herzenswunsche getrunken,
Gingen sie auszuruhn nach der eigenen Wohnung ein Jeder,
Aber Odysseus blieb im Saale zurück bei den Herrschern.
Während des Mahles Geräth abtrugen die Mägde, begann so
Mit Odysseus zu reden die Königin, scharf ihn betrachtend,
Denn sie erkannte den Mantel sowohl als den zierlichen Leibrock,
Den sie selber vor Zeiten gewebt mit den dienenden Mägden.
»Sage, wo kommst Du her, und wer gab Dir diese Gewänder?«
Und so erzählt' er ihr denn, was er alles erlebt und erduldet,
Und wie Nausicaa sein sich erbarmt und schenkte die Kleider.
Aber den Namen verrieth er noch nicht, noch fragten die Herrscher.
Polster und Teppiche ließ ihm die Königin holen zum Lager,
Und so schlief er erfreut, und Ithaka sah er im Traume.
Aber am andern Morgen versammelte sich auf dem Markte,
Neben dem Hafen gelegen, das glückliche Volk der Phäaken. 99
Bald nun waren die Sitze gefüllt und die Gänge des Platzes.
Und in gedrungener Kraft und Anmuth strahlte Odysseus,
Neben dem Könige sitzend; es staunte den Fremdling das Volk an,
Und Alcinous sprach: »Hier dieser – ich weiß nicht den Namen –
Ist als Fremder verschlagen an unsere gastliche Küste,
Ein schiffbrüchiger Mann. Er begehrt, wir sollen ein Schiff ihm
Leihn und ihn senden nach Hause. Mir wär' es ja lieb, wenn er bliebe,
Denn er ist stattlich und klug und man hört gern immer ihn reden.
Aber man halte die Fremden nicht auf, wenn sie es nicht wünschen.
Darum ziehet ein Schiff in die See, Ihr Jünglinge, richtet
Mast und Segel empor und legt in die ledernen Oesen
Fünfzig Ruder, damit zur Abfahrt alles bereit sei!
Doch dann lad' ich Euch ein nach meinem Palast zu dem Festschmaus.«
Also wurde bereitet das Schiff, und die Jünglinge kamen
Gleich wie die Fürsten des Volks in die gastliche Halle des Königs.
Auch Demodocus war zum Feste geladen, der Sänger,
Welchem das Licht der Augen ein bitteres Schicksal genommen,
Aber es schenkten die Götter dafür ihm die Gabe des Liedes.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Als nunmehr sich die Gäste an Trank und Speise gesättigt,
Griff zur Harfe der Sänger Demodocus, die an der Säule
Ihm zu Häupten gehängt, und begann von den Thaten zu singen,
Die vor Troja geschehn; denn über die Erde verbreitet
Waren die Namen der Helden, in Agamemnons Gefolge. 100
Als er den eigenen Namen vernahm, da zog sich Odysseus
Leise das Purpurgewand bis über das Haupt und verbarg sich,
Daß die Phäaken die Thräne nicht sahn, die ihm rann aus dem Auge.
Nur Alcinous merkt' es, der neben ihm saß, und er sagte:
»Laßt uns, Phäaken, nachdem wir am Mahl und am Lied uns gesättigt,
Hingehn, um Wettspiele zu feiern zu Ehren des Gastes,
Daß er erzähle zu Hause, was wir Phäaken vermögen
Als Faustkämpfer und Ringer und fertig im Sprung und im Laufe!«
Und sie gingen hinaus, um die Spiele der Kämpfer zu schauen.
Als nun die Preise vertheilt, so forderte auch ein Phäake
Unsern Odysseus auf, sich zu zeigen, ob er im Wettstreit
Auch sich hätte geübt, doch Odysseus sagte dagegen:
»Nein! Entschuldiget mich! Es belasten mich andere Sorgen.
Und ich denk' an nichts, als wie ich die Heimath erreiche.«
Spöttisch erwiderte drauf ein übermüthiger Jüngling:
»Nun, Du scheinest mir auch kein Mann zu sein für den Wettkampf,
Sondern vielleicht ein Führer des Schiffs, der Waaren verhandelt,
Und Du verstehest nur die Kunst, Dir Gewinn zu verschaffen beim Handel!«
Finster erwiderte drauf ihm der Städteverwüster Odysseus:
»Knabe, gebührender sprich! Kein Neuling bin ich im Kampfe.
Jetzt entkräftet von Leiden und Gram und dem schrecklichen Meere,
Will ich, wie sehr auch gebeugt, Dir beweisen, was noch ich vermöge.«
Sprachs, und so wie er war, mit dem Mantel, erhob sich Odysseus, 101
Faßte die größte der Scheiben, die dicker und schwerer zu heben
War, als die andern, womit sich übten die jungen Phäaken,
Schwang sie im Wirbel herum, sie entsendend mit mächtiger Rechten.
Und so warf er die Scheibe, die rasch durchsauste die Lüfte,
Ueber die Ziele hinaus der Phäaken. Es konnte ein Blinder
Unterscheiden die Scheibe des Fremdlings. Sie lag von den andern
Weit am Boden entfernt, und es konnte den herrlichen Wurf nicht
Einer erreichen im Volk der Phäaken, noch minder besiegen.
»Dorthin schleudert mir nach! Ihr habt mich höchlich beleidigt.«
Sprach zu den Jünglingen jetzt Odysseus: »Wenn Euch der Muth treibt,
Steh' ich Jedem bereit für den Faustkampf oder das Ringen,
Jegliches männliche Spiel, und mit Pfeilen besiegt ich wohl Alle,
Außer dem Philoktet, der des Herkules Bogen geerbt hat.
Nur im Laufe vermöget Ihr wohl zuvor mir zu kommen,
Denn mir wurden vom stürmischen Meer entkräftet die Glieder.«
Aber Alcinous sprach zu Odysseus voller Bewundrung:
»Fremder, Du hast uns glänzend enthüllt die verborgene Tugend.
Niemand wird jetzt ferner Dich schmähn. Damit Du erfährest,
Worin sich die Phäaken vor anderen Menschen hervorthun:
Das ist schiffen zur See und laufen mit hurtigen Füßen,
Auch ist immer der Schmaus uns lieb und Harfen und Reigen.
Holt dem Demodocus eilends die Harfe, damit er uns spiele!«
Als nun die Harfe gelegt in die Hand dem erblindeten Sänger,
Schlug er prüfend sie an und begann dann lieblich zu spielen.
Jünglinge, eben erblüht, sie tanzten zum Klange der Saiten,
Daß Odysseus erstaunt zusah dem Gezitter der Füße.
Doch dann fing ein heiteres Lied von Mars und von Venus 102
Lächelnd Demodocus an. Ein Sänger, der Andre ergötzet,
Spüret ja selbst am höchsten die Lust im eigenen Herzen.
Krieger sind immer gefährlich den Schönen gewesen, und Mars selbst
Hatte die Gattin Vulcans, die Göttin der Schönheit, gewonnen,
Und ihr rußiger Schmied ward heimlich von ihnen betrogen,
Aber wie schritt auch Mars! wie hinkte der Schmied und wie schnauft' er
Kurz von Athem, dem Blasebalg, den er brauchte, vergleichbar!
Doch es entdeckte die Sonne, die Alles ja schauet, das Pärchen,
Und sie verrieth es Vulcan. Der sann drauf, wie er sich rächte.
Gleich wie den Schild und die Waffen Achill's, so verstand er die kleinsten,
Niedlichsten Dinge zu schaffen. Nun schmiedete heimlich ein dünnes
Netz er aus Erz, so fein, daß nicht es bemerkten die Augen,
Und mit dem zarten Geweb umzog er die Pfosten des Bettes.
Darauf gab er denn aus, daß er ginge nach Lemnos, der Insel,
Wo er Werkstatt hat und Schmiede. Das hörte das Pärchen,
Und gleich waren sie wieder zusammen gekommen. Vulcan war
Nicht bis nach Lemnos gereist und stand schon still auf der Lauer.
Als nun die Vögel zu Neste gegangen, so zog er das Netz zu
Und so wurde das Paar in süßer Umarmung gefesselt,
Und sie mühten sich ab, sich aus der Umstrickung zu retten,
Aber umsonst, sie vermochten auch nicht ein Glied zu bewegen.
Darauf rief des Olympes Bewohner Hephaestos zusammen,
Götter und Göttinnen folgten dem Ruf neugierig und eilig.
»Seht, wie hier ein liebendes Paar auf immer vereint ward!«
Und sie erglühten, die Einen vor Scham und die Andren vor Unmuth.
Und so sprach wohl Einer der Himmelsbewohner zum Andern: 103
»Ei, wie hat Vulcan sich gerächt an dem buhlenden Paare!
Mars, von den Göttern der schnellste, ward eingeholt von dem Lahmen.«
Unauslöschliches Lachen erscholl von den seligen Göttern,
Aber Apollo sprach zu Hermes, dem Boten des Himmels:
»Hättest Du auch wohl Lust, und wärst Du in Banden gefesselt,
So auf dem Lager zu ruhn mit der goldenen Aphrodite?«
Ihm antwortete Hermes darauf: »Ferntreffer Apollo,
Möchte doch das mir geschehn! Und dreimal stärkere Bande
Fesselten mich und es schauten darein die Olympier alle,
Dennoch ruht' ich mit Lust bei der goldenen Aphrodite.«
Also sang zur Harfe Demodocus, und die Phäaken
Freuten sich seines Gesangs und nicht minder der kluge Odysseus.
Als es nun Abend geworden, so gingen sie heim zum Palaste,
Und für Odysseus brachten die Fürsten und Edlen des Landes
Schöne Geschenke herbei, um ihn zu ehren als Gastfreund.
Als nach dem Bad zum Schmaus Odysseus ging in den Festsaal,
Stand an dem Pfosten des Saales die holde Nausicaa. Lange
Sah sie den Fremdling an und sagte die freundlichen Worte:
»Freude Dir, Gast! Doch daß Du hinfort auch im Lande der Väter
Meiner gedenkst, da ich es doch war, die zuerst Dich gerettet.«
Aber Odysseus sprach, mit der Hand auf dem Herzen, die Worte:
»Edle Nausicaa, Du des erhabnen Alcinous Tochter,
Möge mir Zeus es verleihen, der donnernde Gatte der Here,
Hinzukommen nach Haus und der Heimkehr Tag zu erleben,
Stets dann werd' ich zu Dir wie zu einer der Göttinnen flehen
Und mich erinnern an jeglichem Tag, der Morgens sich röthet,
Daß ich Nausicaa danke, das Licht noch zu schauen der Sonne.« 104
Also schieden sie da, die nimmer einander vergaßen.
Als nun die Gäste des Mahls sich gefreut, so sagte zum Sänger
Also mit freundlichem Wort ihn begrüßend der edle Odysseus:
»Sei mir, Demodocus, herzlich geehrt, Du Günstling der Musen!
Denn bei allen Geschlechtern der Sterblichen werden die Sänger
Werth der Achtung geschätzt und der Ehrfurcht. Wahrlich, es haben
Dich Zeus Töchter, die Musen, gelehrt, daß der Danaer Schicksal
Du so genau uns erzählst, als wärst Du zugegen gewesen.
Sag' uns denn, wie Ilios fiel durch die List des Odysseus
Und vom hölzernen Roß, worin sich verbargen die Helden.«
Also griff in die Harfe der Sänger. Mit klagendem Vorspiel
Leitet' er ein den Gesang von Trojas schrecklichem Ende,
Priamus Tod am Altar und dem Sieg und dem Jubel der Griechen,
Daß Odysseus vertieft der vergangenen Zeiten gedachte,
Bis in den Wimpern ihm hing wehmüthig die Thräne. Der König
Sah es von Neuem und sprach zu dem Gastfreund also verwundert:
»Fremdling, der Du so tief von dem Liede des Sängers gerührt bist,
Sank auch Dir ein Verwandter dahin vor Ilios Mauern,
Oder ein edeler Freund, ein Mann von gefälligen Sitten?
Weniger nicht zu schätzen fürwahr als ein leiblicher Bruder
Ist ein redlicher Freund, liebreich und gefälligen Herzens.
Sage, wie heißt Dein Name? Wo bist Du geboren? Von welchen
Eltern bist Du gezeugt? Und wohin willst Du gebracht sein?« 105
Siehe, da konnte nicht länger der Städteverwüster Odysseus
Seinen gepriesenen Namen verbergen dem forschenden König.
»Ich bin Odysseus, der Sohn des Laertes, unter den Menschen
Ist mein Name bekannt und gelt' ich als klug und besonnen,
Aber in Ithaka wohn' ich, der sonnigen Insel, worüber
Neriton hoch sich erhebt, von Eichen umrauscht, und umher sind
Viel Eilande bewohnt und nachbarlich neben einander,
Same, Dulichion auch und die wälderreiche Zakynthos.
Das ist, König, mein Reich, und lieber mir nichts auf der Erde,
Denn nichts Süßeres giebts als das Vaterland und die Seinen
Jeglichem, wenn er auch selbst ein Haus voll köstlichen Gutes
Fern in der Fremde bewohnt – wir entbehren doch immer die Unsern.
Aber wohlan, so vernimm denn die Kunde der traurigen Leiden,
Welche von Zeus mir verhängt, seitdem ich schiffte von Troja.«
Und so erzählte Odysseus dem König und allen Phäaken
Erst von den Lotosessern und dann von den wilden Cyklopen,
Ferner von Aeolus Schlauch, von der Insel der Zauberin Circe,
Von der gefräßigen Scylla Geheul und der schlimmern Charybdis,
Auch von den Rindern der Sonne, woran die Gefährten gefrevelt,
Von Ogygien dann, wie die Nymphe Kalypso, die schöne,
Ihn zum Gemahle begehrt und Unsterblichkeit hatte verheißen.
Doch nach Penelope einzig verlangt' er, der treuen Gemahlin –
»Darin war er nicht so, wie wir seefahrenden Leute
Oftmals sind!« so sprach Claus Babbe mit weiser Bemerkung.
»Denn im Weiberverkehr ist uns mancherlei Freiheit verstattet.« 106
»Wenn Frau Babbe das hörte!« so rief ein Matrose dazwischen,
Und Claus Babbe erschrak, denn so lang und so groß auch der Bootsmann,
Stand er doch unter'm Pantoffel der kleinen gebietenden Hausfrau.
Und so lachten wir Alle ob seines Erschreckens und sagten:
»Wie? Du wirst Frau Babbe doch mindestens ebenso treu sein,
Wie Odysseus vordem der Penelope.« Aber ich spreche
Ja nicht grade von mir; doch kannt' ich schon manchen Matrosen,
Ja, sogar Capitain, der mehr Frau'n hatte, als eine,
Und so dachte davon, wie es heißt in dem lustigen Liede:
                          Ehestand ist Wehestand!
                          Ei du meine Güte!
                          Immer Eine nur zur Hand!
                          Daß mich Gott behüte!
Als ich in London lag, da fuhr ich hinüber nach Greenwich,
Um in dem Hospital einen alten Matrosen zu suchen,
Den ich zum Glück auch fand. John war ein richtiger Seebär,
Hatt' acht Jahre gefahren auf Sclavenschiffen, bevor er
Ward für die Flotte gepreßt (sie hatten damals noch den Preßgang).
's war ein lustiger Kerl, wir hatten ihn gern, doch er war ein
Ganz ruchloser Gesell beim Sclavenhandel geworden.
»John«, so sagt' ich zu ihm, »was macht Dein Weib?« Denn ich wußte,
Daß John Weib und Kind in Bristol hatte. Er lachte.
»Was mein Weib macht, Freund? Ja, welche denn? Habe verschiedne.«
»Willst Du ein Christ sein, John, und hast mehr Frauen, als eine?« 107
»Salomon hatte der Frau'n neunhundert«, sprach er, »und galt doch
Als ein frommer und Gott sehr wohlgefälliger König,
Voller Weisheit und Kunst, der den herrlichen Tempel erbaute;
Warum sollt' ich mir nicht neun Frau'n zulegen? Doch hab' ich
Uebrigens mehr nicht als vier.« »Vier Frauen! Daß Gott sich erbarme!«
»Eine Malayin hab' ich in Singapur sitzen, die braune
Nenn' ich sie, aber ich hab' auch ein rothes Gemahl!« »Ei, der Tausend!
Hast Du sie etwa gefärbt und angestrichen mit Mennig?«
»Nein! Sie wohnt in Brasilien, Claus, unweit Pernambucos,
Brachte Gemüse zum Markt, ein frisches und feuriges Dorfkind.
Und wir wurden daselbst mit brasilischem Holze befrachtet,
Welches die Färber gebrauchen, um roth zu färben. Ich tanzte
Oft in der Kneipe mit ihr und verlangte mit ihr zu charmiren.
Doch wie die Weiber nun sind, sie wollte sich ohne den Priester
Nicht mir fügen, die Spröde. Was sollt' ich machen? Ich machte
Hochzeit also mit ihr, dem brasilischen Mädchen. Die rothe
Nenn' ich sie wegen des Holzes von Pernambuco, das roth färbt.
Aber die schlimmste von Allen ist weiß, wie blendender Marmor.
Hat ein Haus und Geschäft in New-York. Ich wollte mich setzen,
Um mich bequem vom Geschäft ernähren zu lassen, so dacht' ich;
Aber da hatte 'ne Eule gesessen; denn Polly war zänkisch.
Und wie Salomo sagt: »Es ist besser im Winter zu sitzen
Nachts auf dem Dach, als zu wohnen im Haus mit 'nem zänkischen Weibe.« 108
Ja sie trieb mich hinweg durch ewiges Zanken und Keifen.
Niemals werd' ich es wagen, nochmals New-York zu betreten,
Denn aus jeglichem Laden vom Broadway würd' ich besorgen,
Meine Polly hervor und auf mich stürzen zu sehen,
Und in die Haare mir fahren in Wuth, nach ihrer Gewohnheit.
O, wie war ich so froh, Long Island schwinden zu sehen,
Als wir mit günstigem Wind auf das Meer, das atlantische, fuhren!
Seitdem hab' ich mich nie als Matrose verheuert, bevor ich
Nicht vorsichtig gefragt, ob das Schiff nicht etwa verfrachtet
Auf New-York. Nein, lieber zur Hölle gefahren, als dorthin,
Wo Frau Polly, geschmückt mit meinem Namen, nun forttobt.
Nun, sie braucht mich ja nicht. Doch fragst Du nach Sally in Bristol,
Die ist munter und wohl und zufrieden, sobald ich ein wenig
Geld mit der Post ihr schicke, sie weiß, daß von der Pension hier
Außer dem Bier und Taback ein Seemann wenig erübrigt.
Ja, ich vertrage mich gut mit dem Viergespanne der Frauen,
Denn sie wohnen – dafür sei Gottes Güte gepriesen –!
An vier Enden der Welt und werden sich nimmer begegnen.«
Also sprach mein lustiger Freund im Spitale von Greenwich.
»Ja, ein Seemann hat im Weiberverkehr Privilege.
Aber Ihr braucht das nicht Frau Babbe zu sagen!« so setzte
Claus vorsichtig hinzu, und wir lachten von Neuem des Schalkes.
Also waren wir weit vom Land der Phäaken verschlagen.
Darum schloß ich nur kurz. Die Phäaken brachten dem Helden,
Der so schön zu erzählen verstand, und durch That, wie durch Worte
Hatte die Herzen gewonnen, ins Schiff kostbare Geschenke,
Und so fuhr er denn ab von Segenswünschen begleitet. 109
Rasch und sanft war die Fahrt, bald war Odysseus entschlummert,
Und noch schlief er, als schon sein Schiff auf Ithaka anfuhr.«
»Gute Nacht!« so wünschten wir uns. »Claus«, sagt' ich, im Traume,
»Wird Frau Babbe Dir heut' erscheinen mit mächtigem Borstwisch,
Um Dich rein zu putzen von allen unsaubern Gedanken!«

 


 


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