Karl Kraus
Literatur oder Man wird doch da sehn
Karl Kraus

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Das Verständnis der Vorgänge erschließt sich nur jenem Leser, der den »Faust« so gut kennt wie der Dichter der magischen Trilogie »Spiegelmensch«, zu deren Kenntnis die folgenden Zitate ausreichen mögen:

Spiegelmensch
Ich finde, wie ich so durchs Dunkel steure –
Nach Wein riecht's weniger als nach Vater-Säure.

Thamal
So wird es immer wieder Tag und Nacht!
Das, was ich wähnte, hab ich nicht vollbracht,
Im Herzen schleimen schon des Zweifels Maden,
Die Sprung- und Triebkraft leidet an Verdickung.
Der scharfe Wille kommt zu Schaden,
Der Glaube an Erwählung, Tat und Schickung,
Den du in ferner Nacht mir suggeriert,
Asthmatisch schrumpft er hin. Der Mensch laviert
Fad, zuchtlos, indolent und ohne Steuer.
Die Tat kommt nicht! Kaum kommen Abenteuer, –
Und bestenfalls hat man sich amüsiert.

Spiegelmensch
Dein Pathos, o Thamal, ist immer noch groß.
Im heroischen Blankvers bist du famos.

Dritter Bewunderer
Und wahrst dabei durchtrieben und genau
der ältern Meister strengen Strophenbau.

Mönch
Du bist geweiht, so wirst du erleben!

Thamal
Ich will sterben.

Spiegelmensch       Gut! Sterben! Aber wozu?

Der alte Spruch wird gerne umgepflanzt,
Wenn rings Revolten durch die Städte blitzen.
Das Erbe, dem du nicht entgehen kannst,
Ermord es, um es – zu besitzen!

Thamal                                               Ein Mysterium
Ist jede Opfertat! Ach! Mich durchrasen
Der Todes-Wahl beschworne Wonnen –

Spiegelmensch (fällt ihm ins Wort)                   Phrasen!
Ganz recht, du stehst in einem Schauspielhaus.
Du trinkst sehr edel Gift. Was folgt? Applaus!
Es klatscht die Claque, es rast die Galerie.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Winkt dir am nächsten Morgen Glück,
Wirst du die allerbeste Presse haben,
Es schwärmt der Schmock, – du aber bist begraben.
Ob du am Kreuz stirbst, ob im Rampenflaus,
Es wird am Ende ein Erfolg daraus.

Spiegelmensch
Sie ist Einbildung, Wahnbild, Traum und Luft.
Sie war nicht!

Thamal                 War nicht?? Fort! (Zögert)
                                                    Ich bin ein Schuft!

Heiseres Weib
        Ja, da sieht man's, diese dicken
        Raunzer, die im Zwielicht weinen,
        Sind nun aufgetaut und zwicken
        Einer Solchen in die Beine.

Knabenstimme
        Seine Stirne flimmert
        Im Überschwang!

Mädchenstimme
        Er ist schön!

Frauenstimme
        Er ist jung.

Matronenstimme
        Und schlank.

Spiegelmensch (furchtbarer Schrei)
Krrriehh!
(versinkt)

Thamal (. . . und stößt mit der letzten Kraft seiner Seele die heilige weltumspannende Silbe hervor)
Om!!!!!

 

(1913) (1920)

Ich hatte in diesem mystischen Erlebnis die namenlose Persönlichkeit des Wortes erfahren. – –

Am Morgen weckte mich ein Brief von Karl Kraus, in dem er mir mitteilt, daß er meine von einem Freunde (ohne mein Wissen) eingesandten Gedichte in der Fackel zu drucken beabsichtigt.

Ein Jahr später sah ich Kraus von Angesicht zu Angesicht und erkannte alle Schauer dieses Lebens im Leib, in ihm jene Traumerscheinung. – –

Ich habe gestern einige Seiten Philosophisches über Karl Kraus geschrieben.

Ich sende es Ihnen nicht – es ist ohnmächtig!

Ohnmächtig gegen das Ereignis, mit dem unerklärlich dieser Mann in mein Leben trat.

Denn hinter allem Essayistischen, das ich über Karl Kraus schreiben könnte, stünde gebieterisch und unverrückbar die Stunde, die meinen Planeten an den seinen bindet.

»Was soll ich nun in den nächsten Tagen der Beschäftigungslosigkeit beginnen? Halt! Ich will unter die Propheten gehn, natürlich unter die größeren Propheten! – Das Erste ist, ich gründe . . . eine Zeitschrift und nenne sie: Die Leuchte? Nein! Der Kerzenstumpf? Nein! Die Fackel? Ja! – Ich will den Stadtklatsch zu einem kosmischen Ereignis machen – – Ich will mit Kalauer und Pathos so trefflich jonglieren, daß jeder, der bei der einen Zeile konstatiert, ich sei ein spaßiger Denunziant und Fürzefänger, bei der nächsten zugeben muß, daß ich doch der leibhaftige Jesaja bin . . . Mein leider allzu abhängiger Charakter hat ein großes Talent auch zum akustischen Spiegel.

Kurz und gut, weil ich zwar den Menschen aus den Augen, doch nicht in die Augen sehen kann, will ich ihnen lieber gleich in den Hintern schauen, ob dort ihr Ethos in Ordnung ist – –«

 


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