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5. Die Inselmütter

Endlich hatte Monsieur Girard die verheißene Aufforderung erhalten; zum ersten Male betrat er die heilige Mäander-Burg.

Der Kapitän empfing ihn in seinem Zimmer, welches sich der vielleicht reichste Mann Englands nach seinem Geschmacke eingerichtet hatte, und wenn hier im Hause alles so war, dann waren die zehn Millionen Francs als Kaufpreis für dasselbe noch gar nicht so viel. Was kostet den die armseligste Hütte, wenn drinnen einige Rembrandts hängen? Auf einem Tisch lag abermals ein großer Stapel Briefe, und das war wiederum nur eine einzige Post.

»Nun, Monsieur Girard,« begann der Kapitän, nachdem er jenen zum Sitzen eingeladen hatte, »was sagen die Leute über mich? Das möchte ich gern erst einmal hören. Was meint man, wer ich sei?«

»Zuerst,« kam der Redakteur der Aufforderung nach, »hielt man Sie allgemein für den König Theodor von Korsika. Sie wissen doch, jener deutsche Abenteurer, ein gewisser Freiherr von Neuhoff, welcher die damaligen internationalen Kriegswirren benutzte, um sich als König von Korsika aufzuwerfen, offen unterstützt von Holland, jedenfalls heimlich auch von England, wo er aber zuletzt in Schuldhaft kam, in welcher er gestorben sein soll – soll! – denn sein Tod ist nicht aufgeklärt – dieser Neuhoff ist einfach spurlos aus der Welt verschwunden. Dies alles paßte nun so ausgezeichnet auf Sie ...«

»Fällt das Auftreten dieses Abenteurers als König von Korsika nicht in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts?« unterbrach der Kapitän den langatmigen Sprecher.

»Allerdings, ich bewundere Ihre Geschichtskenntnis, und als man sich dessen bewußt wurde, gab man diese Vermutung auch sofort auf, da Sie Ihr erstes Debut in dieser Welt doch in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts beendet haben wollen. Nun sah man sich weiter unter den französischen Revolutionsmännern um und kam auf die Idee ...«

»Bitte,« wurde der Sprecher abermals unterbrochen, »so interessant das auch ist, so liegt mir doch nichts daran, die Spekulationen des Publikums über meine Vergangenheit zu vernehmen; das richtige trifft es ja doch nicht. Was sagen die Leute über meine jetzige Person?«

»Ich wäre auch sofort darauf gekommen,« lächelte Monsieur Girard, aber mit etwas Ironie. »In solchen Spekulationen erging man sich nämlich nur in den ersten Tagen, als man noch gar zu sehr betroffen war, wie in das Hotelzimmer ein weißhaariger Greis hineingeht und nach drei Tagen ein junger Mann wieder herauskommt. Wir müssen dabei zwischen dem Urteil der Einheimischen und der Fremdenwelt von Monaco unterscheiden, welch letztere sich doch fast nur aus gebildeten Leuten zusammensetzt ...«

»Für das abergläubische Volk bin ich ein Vampir, das weiß ich. Doch was sagt die aufgeklärte Welt von Monte Carlo über mich?«

»Ich darf ganz offen sein?« fragte der Redakteur erst vorsichtig.

»Das müssen Sie sogar, ich verlange es von Ihnen.«

»Man hält Sie für einen jungen, reichen Mann, für einen Jachtbesitzer mit nautischen Kenntnissen und für einen in allen ritterlichen Künsten bewanderten Kavalier, welcher sich in Monte Carlo amüsieren will und dieses Amüsement darin sucht oder noch dadurch verstärkt, daß er Komödie spielt, den Leuten einen Mummenschanz vormacht.«

»So,« sagte der Kapitän trocken, als dieses Geständnis heraus war. »So. Und was sonst noch, wenn ich fragen darf?«

»Es ist eben eine wohlvorbereitete Komödie. Zum Beispiel in dem Sarg, der neulich von der Heliotrop an Land gesetzt werden sollte, war keine Leiche drin, aber glauben sollte man es. Das gehört alles mit zu der Komödie.«

»So,« erklang es abermals. »Und die Verwandlung des Greises in einen alten Mann? Wie erklärt man sich das?«

»Da sagt man: Geschwindigkeit ist keine Hexerei. In Zaubervorstellungen sieht man noch ganz andere Dinge, und die Verwandlung wird sogar auf offener Bühne ausgeführt, nicht hinter verschlossener Tür.«

»So. Und die vierzig Zentner Goldbarren, welche ich dem Indier für seine Bemühungen zahlte? War dieses Gold auch nur eine Hallizunation?«

»Das nicht, aber man weiß doch gar nicht, ob der Indier sie auch wirklich erhalten hat. Die Goldbarren waren im Schatzamt zu Washington geeicht, und eben darum ist man jetzt zu der allgemeinen Ansicht gekommen, daß Sie ein amerikanischer Krösus sind.«

»Was für ein Krösus?«

»Das allerdings weiß man noch nicht, darüber grübelt man noch immer vergebens nach.«

»So,« sagte der Kapitän immer wieder im trockenen Tone. »Und wie denkt man denn über den Spuk auf der Teufelsinsel?«

»Immer dasselbe, alles von Ihnen arrangiert, gehört alles mit zu der Komödie.«

»So. Und jener Berichterstatter, der Mr. Dixon oder Dixi, der einen gehörigen Denkzettel wegbekam? Hat der das Herunterklappen der Kinnlade auch nur auf meinen Wunsch markiert?«

Selbst auf diese Frage war der Journalist nicht um eine Antwort verlegen.

»Nein, das scheint allerdings nicht der Fall zu sein. Man glaubt, auf der Insel hält sich jemand verborgen ...«

»Den sogar die ganze Armee von Monaco nicht finden kann?«

Monsieur Girard hob die Schultern und fuhr fort:

» ... der mit einer starken elektrischen Batterie ausgerüstet ist. Mr. Dixon hat einen starken elektrischen Schlag wegbekommen.«

»So, so! Na, na! Und wo ist die junge Selbstmörderin geblieben?«

»Das,« lächelte der Journalist, »werden Sie wohl am besten wissen.«

»Ich? Bitte erklären Sie sich näher, denn ich bin begierig zu erfahren, was ich wissen soll. Ich weiß nämlich gar nichts.«

»Die war tatsächlich nur scheintot. Gerade in jener Nacht, als Sie auf der Insel wachten, kam sie wieder zu sich, und – es war ein junges, schönes Mädchen – hm – im Leichenhemd – und – hm – man sagt, der Prinz würde wohl am besten wissen, wo sich das junge Mädchen befindet – hm.«

»So, so! Na, wartet, ihr guten Leutchen, ich werde euch bald andere Begriffe über mich beibringen. Das ist kostbar!«

Mit diesen Worten war der Kapitän aufgestanden, um einige Gänge durch das Zimmer zu machen.

»Das heißt ...« begann Monsieur Girard, kam aber nicht weiter, und es schien, als bereue er, wieder angefangen zu haben.

Der Kapitän war auf seinem Spaziergang stehen geblieben.

»Was heißt?«

»Herr Kapitän, ich bedaure – nein, ich möchte lieber nicht ...«

»Heraus mit der Sprache! Was wollen Sie sagen?«

»Andre sind wiederum der Ansicht, daß Sie doch nicht das junge Mädchen bei sich haben könnten.«

»Diese Leute sind auch ganz vernünftig.«

»Besonders die Damen.«

»Was ist ganz besonders mit den Damen?«

»Besonders die Damen können nicht glauben, daß Sie mit dem jungen Mädchen eine – hm – Liaison unterhalten können.«

»Und warum können das gerade die Damen nicht glauben?«

»Weil ... weil ...«

Man sah es dem biederen Franzosen an, wie es ihm das Herz abdrückte, die Wahrheit sagen zu dürfen. Jetzt blickte er nach dem Stapel Briefe.

»Sie erhalten noch immer sehr viele Briefe, Monsieur Kapitän.«

»Ja, meine Erklärungen haben gar nichts genützt, im Gegenteil. Was hat das nun aber mit den Damen zu tun? Ich will die Wahrheit hören!«

»Auch viel Liebesbriefe, nicht wahr?«

»Liebesanträge? Massenhaft! Könnte jeden Abend sechs Dutzend Schäferstündchen haben! Aber nun heraus mit der Sprache, Mann! Was wollen Sie mir sagen?«

»Nun ja ... eben diese Briefe von Damen, die Sie immer unbeachtet lassen ... Herr Kapitän, Sie haben von den Damen von Monte Carlo bereits einen anderen Namen bekommen.«

»Welchen?«

»Nein, Kapitän, das kann ich wirklich nicht sagen,« protestierte Monsieur Girard, auch die Hände mit zu Hilfe nehmend, »das würden Sie übelnehmen.«

»Unsinn! Ich will ihn hören.«

»Nein, Herr Kapitän, das können Sie nicht von mir verlangen ...«

»Ist es ein Schimpfwort?«

»Das gerade nicht, aber ... die Madame Pompadour hat den Namen zuerst aufgebracht – oder vielleicht die Bella Cobra – oder wahrscheinlich wird es die grüne Eva gewesen sein – aber – ich kann ihn beim besten Willen nicht sagen.«

»Zum Teufel, Monsieur! Nun schießen Sie endlich los, oder ich ... So eine Druckserei bin ich nicht gewöhnt! Na, wie nennen mich die Kokotten?«

Da neigte der überwundene Franzose das Haupt zur Seite und flüsterte mit einem verschämten Lächeln:

»Kislar Aghasi.«

Da die Übersetzung dieses türkischen Titels auch auf dem Theaterprogramm der Oper steht, so kann sie wohl auch hier ohne Scheu wiedergegeben werden: das ist im Harem des Sultans der Hauptmann der Verschnittenen, übrigens ein sehr hoher Würdenträger im Range eines Ministers, Excellenz – aber immerhin ein Eunuche.

Monsieur Girard glaubte vielleicht, der Kapitän verstände ihn nicht, weil dieser ihn gar so lange anblickte, unbeweglich auf einem Flecke stehend, und sein Gesicht war nicht zu sehen – da aber wandte sich der Kapitän langsam um, schlich, die Hände auf die Knie gestützt, gebückt durch das Zimmer, hinter der Maske sprudelte über die Lippen ein nicht wiederzugebender Ton, und dann, als er sich aufrichtete, dröhnte das kleine Zimmer von seinem Gelächter, daß die Fensterscheiben klirrten.

»Kislar Aghasi!«

Es dauerte lange, ehe er sich wieder beruhigt hatte. Monsieur Girard hatte aus Höflichkeit mitgelacht, und er war froh, daß es so ausgefallen war, er glaubte schon, er hätte doch etwas zu viel riskiert.

»Ja,« nahm der Kapitän dann wieder das Wort, ab und zu immer noch einmal von einem Lachen unterbrochen, »nun erst verstehe ich auch einige Andeutungen in den Briefen jener Damen, die mir bisher ganz unerklärlich waren. Kislar Aghasi. Hahaha! Also jetzt hat man mich auch noch zum Eunuchen gemacht! Sehr gut das! Aber ich werde den Damen bald das Gegenteil von ihrer Ansicht beweisen – übrigens,« fuhr er fort, wieder ganz ernsthaft werdend, »es ist seltsam - das hängt nämlich sogar in gewisser Beziehung gerade mit der Sache zusammen, über welche ich Sie hauptsächlich sprechen wollte. Jetzt erst beginnt unsere Unterredung, wegen welcher ich Sie zu mir bat.«

Es trat eine Pause ein. Der Hausherr drückte den Knopf einer elektrischen Klingel, ein Steward erschien, er mußte Zigarren, Wein und andere Erfrischungen bringen, wie sie im Süden dem Gaste vorgesetzt werden.

»Bitte, Monsieur Girard, bedienen Sie sich!« nahm der Kapitän wieder das Wort. »Machen Sie es sich bequem! Jetzt beginnt die Arbeit. Sie müssen dazu Bleistift und Notizbuch zur Hand nehmen. Ich möchte, daß die ›Maske‹ über das Folgende einen Artikel bringt, in Form eines – eines Aufrufs – zur Reklame.«

»Einer Reklame?«

»Jawohl, in Form einer Reklame. Sie werden es gleich sehen, worum es sich handelt.«

Der Journalist hatte sich bedient, es sich bequem gemacht, Bleistift und Notizbuch harrten des Kommenden.

»Monsieur Girard,« hob der Kapitän an, »Sie fahren am sichersten, wenn Sie mich für einen wieder jung gewordenen Greis halten, welcher in der Südsee eine schwach bevölkerte Insel besitzt. Sie werden es natürlich nicht glauben, aber ich bitte Sie, es jetzt einmal als Tatsache ...«

»O, bitte, Herr Kapitän,« unterbrach der Journalist den Sprecher. »Was ich Ihnen vorhin mitteilte, war nur die Ansicht der großen Masse. Ich selbst habe niemals auch nur im Geringsten die Glaubwürdigkeit Ihrer Worte bezweifelt.«

»Ich danke Ihnen,« entgegnete der Kapitän, wenn er jenem auch nicht glaubte, hier log wahrscheinlich einer immer mehr als der andere. »Das erleichtert nämlich meine weiteren Ausführungen sehr. - Stellen Sie sich nun einmal vor, Sie hätten eine Erfahrung von siebzig, achtzig Jahren hinter sich, mit einem Male sind Sie wieder ein jugendkräftiger Mann, aber mit einem Kopfe, in dem die Erfahrungen eines Greises stecken. Können Sie sich das vorstellen? Nein, das können Sie nicht. Nun, in dieser Lage befinde ich mich jetzt. Ich vereinige in mir das Herz eines Jünglings und den Kopf eines Greises. Daraus entspringen die seltsamsten Empfindungen. Ich komme mir immer vor, wie der Esel zwischen zwei Heubündeln ...«

»Ah, Sie haben gewiß in Ihrem früheren Leben schlimme Erfahrungen mit Damen gemacht!« rief der geniale französische Journalist.

»In der Tat, sie waren mein Ruin,« lautete die Antwort. »Sogar ein paarmal! Aber das ist es nicht allein, wenn es auch aufs Engste mit meiner Zurückgezogenheit zusammenhängt. Ich wollte mich in das üppige Leben von Monte Carlo stürzen, es mit vollen Zügen schlürfen! So rief das feurige Herz des Jünglings – da hatte es den erfahrenen Kopf des alten Mannes vergessen. Aber dieser kam auch zu Worte, und nicht allein, daß der Alte sagte: höre, Jüngling mit dem feurigen Herzen, du weist doch, was du durch die Weiber schon alles erlitten hast, und die Damen des heurigen Jahrgangs scheinen auch nicht viel besser geraten zu sein als die damaligen, sieh dich vor – nein, es ist noch etwas ganz anderes dabei. Ich stehe nämlich unter einem Gesetz. Ich darf gar nicht. Es ist mir strikt verboten, mit einer weiblichen Person eine – eine – Liaison anzuknüpfen. Das hatte der neue Jüngling bei seiner Geburt ganz vergessen.«

»Das verbietet Ihnen ein Gesetz, welches auf ihrer Insel maßgebend ist?« ging der Journalist auf diese Eröffnung ein.

»So ist es. Ich selbst habe diese Gesetze geschaffen, deshalb muß ich auch der erste sein, der ihnen gehorcht, sonst würde in meinem Reiche Anarchie herrschen.«

»Kann ich nichts Näheres über diese Gesetze erfahren?«

»Das sollen Sie. Passen Sie auf! Bitte, notieren Sie! – Als ich mich mit einigen Leidensgefährten, darunter also auch Frauen, auf die einsame Koralleninsel rettete, hatte ich soeben auch in anderer Weise Schiffbruch erlitten, mein Lebensschifflein hatte sich an einer weiblichen Klippe leckgerammt.«

»Ich verstehe, ich verstehe,« lächelte der Franzose. »An einer weiblichen Klippe leckgerammt – sehr guter Ausdruck das!«

»Ich wurde Herr und Meister über meine Genossen, ich wurde ihr König. Ihre Vermehrung konnte ich natürlich nicht hindern. Daran dachte ich ja auch gar nicht. Ich bin ja auch überhaupt niemals ein so genannter Weiberfeind gewesen oder dann geworden. Gott bewahre! Aber Vorsicht, Vorsicht! Das ist durch bittere Erfahrung mein Wahlspruch in Bezug auf das Ewig-Weibliche geworden. Nun, wir mehrten uns – es waren auch Insulaner da – mit Frauen, wir vermischten uns mit ihnen, wir konnten uns als ein kleines Volk betrachten, wir trieben etwas Seehandel, kamen also auch mit der Außenwelt in Berührung, es gibt bei uns mancherlei geheimzuhalten, und auf alles das hatte ich, als ich die ersten Gesetze entwarf, schon Bedacht genommen. – Also außerhalb unserer Insel dürfen wir mit keinem Weibe verkehren – ich als der Gesetzgeber erst recht nicht.«

Der maskierte Kapitän hatte gesprochen, und mit einem Male wurde Monsieur Girard ganz tiefsinnig. Seltsam, daß ihm etwas bisher ganz entgangen war, und es war doch so sehr auffallend! Was waren das doch für Matrosen, die der Kapitän an Bord hatte? Erst hatte man ja nur drei beobachten können, die dicke Ordonnanz und die beiden Stewards. Jetzt konnte man das Treiben der ganzen Mannschaft beobachten, und es war ganz dasselbe, nur eben, daß es noch niemandem als ein besonderes Geheimnis aufgefallen war.

Wie sich Matrosen an Land betragen, das ist doch jedem bekannt. Und diese hier von der Heliotrop gingen wohl auch des Abends ins Tingeltangel, scherzten auch mit Mädchen, aber wenn es aus war, begaben sie sich in geschlossenem Trupp als solide Menschen an Bord zurück oder nach Hause, nämlich in die Mäander-Burg.

Einige wurden täglich bei Monsieur Martin in der rue Caroline gesehen, eine anständige Weinstube; dort tranken sie ruhig eine Flasche Wein und gingen wieder. Die meisten aber waren Teatotalers, genossen gar keine alkoholischen Getränke, sondern nur Kaffee, Selterswasser und Limonade, und das will bei Matrosen doch gewiß etwas heißen! Und trotzdem waren sie alle tüchtige Kerls.

Und nun fing der Kapitän auch noch so an! – Kurz, Monsieur Girard wurde mit einem Male ganz kopfscheu.

»Ich glaube,« fuhr der Kapitän fort, »ich habe bei Ihrem Interview eine Unwahrheit gesagt, freilich ganz unabsichtlich. Ich hielt es nicht für nötig, Sie über alles aufzuklären. Ich sagte Ihnen damals wohl, daß alle die weißen Leute, welche Sie an Bord sehen, auf der Insel geboren sind ...«

»Das haben Sie allerdings gesagt, Herr Kapitän.«

»Dem ist nicht so. Nur die älteren sind auf der Insel geboren, die jüngeren sind Neuwerbungen. Ich habe nicht verstanden, gleich von Anfang auf reine Rassen zu halten, und dann konnte ich nicht mehr hindern, daß die Mischlinge in einem bedeutend höheren Prozentsatze zunahmen als die unverfälschten Weißen. Nun habe ich mit diesen Mischlingen sehr, sehr schlechte Erfahrungen gemacht, und sie entarten immer mehr. Dadurch steht unserer Insel eine große Gefahr bevor. Wohl sind wir noch genug weiße Männer dort, aber – wir haben keine weißen Frauen mehr. Die sind gänzlich ausgestorben oder schon vermischt, schon entartet. So kann ich auch kein neues Geschlecht heranzüchten. Verstehen Sie Monsieur Girard? Und die Gesetze sind eisern, die lassen sich nicht umstoßen, oder alles bricht zusammen. Verstehen Sie, Monsieur Girard?«

Der zweimal in so ganz besonderem Tone gefragte Journalist lauschte wie ein Mäuschen, und er glaubte, daß die Augen hinter der Maske mit einem lauernden Ausdrucke auf ihm ruhten. Gedankenvoll kauerte er am Bleistift.

»Hm! Sie beabsichtigen wohl, das gemischte Element von der Insel zu beseitigen?« fragte er erst mit Vorbehalt einer anderen Frage.

»Das ist es! Sie haben es sofort erfaßt! Ich bewundere immer wieder Ihren Scharfsinn,« zollte der Kapitän ihm Beifall. »Ja, ich lasse die Farbigen aussterben. Das kann ich – ohne Mord und Totschlag! So etwas gibt es bei uns überhaupt nicht. Aber die Ehe steht bei uns seit einigen Jahren unter strengen Gesetzen, sie kann einfach verboten werden. Es gibt auch noch andere Mittel: Ausweisung, Auswanderung und dergleichen. – Aber dann ist das weiße Element noch nicht ersetzt.«

»Na, dann nehmen sie doch einfach weiße Frauen mit auf Ihre Insel!«

»Ja, das ist wohl leicht gesagt, aber schwer getan. Woher nehmen und nicht stehlen? Wie sollten sie zu bekommen sein? Sie müssen nur immer bedenken, daß es sich um eine einsame, unbekannte Insel in der Südsee handelt.«

»Ach, so viel Sie haben wollen – massenhaft!« lachte der Franzose. »Herr Kapitän, da kennen Sie die heutigen Weiber nicht, da müssen sie zu Ihrer Zeit ganz anders beschaffen gewesen sein! Zu annoncieren ginge die Sache allerdings nicht gut, das wünschen Sie wohl auch nicht. Nehmen Sie ein paar Agenten, die gehen in die Welt hinaus, und ich sage Ihnen, die bringen Ihnen die romantisch angehauchten Jungfrauen und Witwen und durchgegangenen Weiber schiffsladungsweise angeschleppt!«

»Wahrhaftig?« erklang es mit freudigem Staunen hinter der Maske hervor. »Na und wie! Soll ich die Sache in die Hand nehmen? Muster der edlen Weiblichkeit bekommen Sie natürlich nicht, auch keine Dienstmädchen, keine Fabrikmädchen. Ich denke mir aber, die wollen Sie auch gar nicht haben ...«

»Ganz egal, wenn sie nur gesund und kräftig sind.«

»Nein, solche Geister würden gar nicht mit Ihnen gehen. Die haben noch gar nichts von der Südsee gehört, und die fürchten sich vor Menschenfressern.«

»An wen denken sie sonst?«

»Alle die Frauen und Mädchen,« erklärte der Franzose, der jetzt ganz Feuer und Flamme wurde, »die ich Ihnen empfehlen oder besorgen könnte, an denen ist irgend etwas ...«

»Was soll an diesen sein?«

»Die haben entweder etwas zu viel oder zu wenig im Kopfe, im Charakter oder sonstwo. Ein in einem anderen Städtchen solid nach dem Katechismus erzogenes Mädchen geht natürlich nicht mit Ihnen, um in der Südsee eine Koralleninsel zu bevölkern. Emanzipiert müssen sie sein, romantisch angehaucht, etwas verrückt! Aber von wegen keine bekommen ...«

»Halt! Sie kennen ja die Verhältnisse noch gar nicht, und ich scheine mich etwas zu früh gefreut zu haben, weil Sie gleich so sicher sprachen. Das ist wohl nicht so einfach, wie Sie zu glauben scheinen.«

»Weshalb nicht?«

»Sie denken, wir suchen für die Insel Frauen, welche eben als unsere Frauen dort bleiben, und uns die Wirtschaft führen, und so weiter?«

»Ja, Monsieur Kapitän, das sagten Sie doch vorhin?« stutzte Girard.

»Nein, das sagte ich nicht – nicht so, wie Sie es annehmen. Das können wir nicht, das dürfen wir nicht. Wir haben Gesetze, und wenn diese auch etwas zu voreilig geschaffen sein mögen – umzustoßen sind sie nun nicht wieder.«

»Na, was denn für Gesetze? Bitte, Herr Kapitän, sprechen Sie sich doch ganz offen aus. Sie scheinen sich ... etwas zu genieren. Wir sind doch unter uns!«

»Gut, ich will es Ihnen sagen! Es dürfen als ständige Mitglieder der Insel nur Männer aufgenommen werden, keine Frau, kein Mädchen, kein Kind weiblichen Geschlechts, und dieses Gesetz ist eisern. Aber Gäste beherbergen, das dürfen wir, auch weibliche Gäste – bis auf ein Jahr lang. Das würde für unsere Zwecke genügen. Nach einem Jahr muß die Frau die Insel wieder verlassen, das Kind wird einer farbigen Insulanerin zur Pflege übergeben. Das ist der einzige Ausweg in dieser Sache.«

Aaahhh! Nun begann Monsieur Girard zu verstehen, und er sperrte vor Überraschung Mund und Nase auf.

»Das ist aber immer noch nicht alles,« fuhr der Kapitän sogleich fort, begann aber jetzt manchmal zu stocken, als fiele es ihm schwer, alles zu sagen. »Es gibt noch ein anderes großes Hindernis. Ich könnte ja ... für jedes Kind eine ... eine Prämie aussetzen ... hunderttausend Francs vielleicht ... ach, was spielt denn bei uns Geld für eine Rolle, das wäre ganz Nebensache ... aber, das geht eben nicht, das darf nicht sein!«

»Warum denn nicht?«

»Weil ... weil ... eben weil auf unserer Insel Schätze sind ...«

»Schätze?« wiederholte der Franzose und bekam gleich wieder große Augen.

»Ja, große Schätze, und ... da ist gleich damals durch Gesetz ein Riegel vorgeschoben worden, daß ein ... ein ... üppiges ... ein wollüstiges Leben zur Unmöglichkeit gemacht wird.«

»Was für ein Gesetz ist das?«

»Nun, wir dürfen eben gar nichts von der Insel verschenken, vor allen Dingen nicht an Gäste. Verstehen Sie, Monsieur Girard? – Kurz, ich suche Frauen, welche mit mir kommen, ein Jahr auf der Insel als Gäste verweilen, ihr dort geborenes Kind auf der Insel lassen, und dies alles nur aus ... aus ... aus Liebe zur guten Sache ... ohne die geringste Entschädigung. Jetzt habe ich frei herausgesprochen. Nun, wer geht auf so etwas ein?«

Monsieur Girard kratzte sich hinter den Ohren und pfiff leise.

»Ja, dann freilich!« meinte er endlich. »Das wird verdammt schwer halten.«

»Sehen Sie, das heißt nicht etwa, daß ich daran zweifle, daß es Frauen gibt, welche sofort auf so etwas eingehen würden, nur der Romantik wegen. Es gibt noch mehr als eine Lady Stanhope, und diese Art von eigentümlich gearteten Frauen stirbt doch nie aus. Ich habe diese exzentrische Lady, die Sibylle des Libanon, nämlich persönlich gekannt. Ich durfte sie meine Freundin nennen. Ich war dabei, als die Königin der Drusen den Ibrahim Pascha zurückwarf. Doch lassen wir das jetzt! – Also ich behaupte, daß es solche romantischen Frauen immer in der Welt gibt. Ich brauche, um jedem weißen Insulaner zu einer Frau zu verhelfen, gerade sechsunddreißig – wir sind zufällig drei Dutzend – die gibt es in der Welt. Aber sie finden, sie finden!«

»Ja, sie finden, sie finden!« wiederholte der Journalist, der seit einiger Zeit vor sich hinstierte und seine Stirn rieb.

»Denn,« fuhr der Kapitän fort, »in Zeitungen veröffentlichen läßt sich so etwas doch nicht.«

»Nein, das geht nicht, das gäbe einen Skandal,« murmelte Monsieur Girard geistesabwesend, immer mit seiner Stirn beschäftigt.

»Ja, das würde einen Skandal geben, obgleich ich ... die Sache von der idealsten Seite aus betrachtet haben möchte, wie ich es tue. Es soll doch auch nicht dafür bezahlt werden.«

»Ja, das ist es eben!«

»Aber die hausbackne Welt würde so etwas gar nicht verstehen. – Oder, Monsieur Girard, was meinen Sie: ich lasse einen Aufruf an die Damen von Monte Carlo ergehen ...«

Wie von einer Natter gestochen fuhr der Journalist plötzlich empor.

»Gerade dasselbe wollte ich eben jetzt sagen!« rief er. »Weiß Gott, genau den selben Vorschlag wollte ich Ihnen eben machen, Sie haben mir das Wort von der Zunge genommen!«

Der Kapitän wußte ihn wieder zu beruhigen.

»Sie meinen Kokotten?«

»Jawohl, Kokotten und andere. Ja, wahrhaftig, Herr Kapitän, nirgends würden Sie solche Frauenzimmer besser finden als hier.«

»Aber keine Entschädigung, keine Belohnung, kein Minnesold, nichts!«

»Gar nichts! Nur des romantischen Abenteuers wegen! Solche verrückte Frauenzimmer finden Sie nur in Monte Carlo, wenigstens nirgends besser in solcher Auswahl, ich wüßte gleich drei – vier – fünf – die würden sofort mitmachen, mit Kußhänden ...«

»Womöglich drei Dutzend.«

»Spaß! Wenn nur erst einmal eine einzige angebissen hat – die andern kommen dann von selber gelaufen. Und hier haben Sie sie gleich so hübsch beisammen, Sie können sie nach Belieben aussuchen. Ach, da beißen ja gleich hundert – hunderte an! Was meinen Sie denn wohl, wieviel Kokotten hier sind? Und da sind welche darunter, denen sie es nimmermehr ansehen, daß sie zur Halbwelt gehören. Da sind sogar Herzoginnen dazwischen echte! – nicht ruiniert, sie haben noch Schlösser und Paläste, aber ... die Liebe, die Liebe! ... und dann vor allen Dingen die Lust an Abenteuern ... das wird zur Manie ... und da sind sie in die Welt geraten, welche man die halbe nennt, und nun können sie nicht wieder herausfinden. Und das sind ja gerade die, welche Sie brauchen. O, Herr Kapitän, ohne Sorge – die beißen alle an!«

Während der Franzose sich immer mehr in Eifer hineinredete, blieb der Kapitän sehr ruhig.

»Was meinen Sie denn eigentlich immer mit Ihrem ... Anbeißen?« erklang es jetzt in abweisendem Tone hinter der Maske. »Ich möchte diese Angelegenheit durchaus nicht mit ... sinnlichen Augen betrachtet haben. Mir liegt die Erhaltung und das Wohl meines Volkes am Herzen, für mich ist das eine tief ernste, sogar heilige Sache.«

»Gewiß, sicher, sicher, natürlich, ich verstehe Sie vollkommen, mein Herr,« pflichtete Monsieur Girard sofort unterwürfig bei, »und ich glaube, Sie werden hier gerade das finden, was Sie zu Ihrer heiligen Sache brauchen.«

»Der Meinung bin ich auch. Es sind doch alle schöne, kräftige, gesunde Frauen – und geistreich. Darauf kommt es mir nämlich auch sehr an. Geistreich! Es sollen schöne, gesunde, geistreiche Kinder werden. Nun aber notieren Sie das alles, dann machen Sie einen Artikel daraus, dessen Fassung ich Ihrer mir schon bekannten journalistischen Geschicklichkeit überlasse.«

Monsieur Girard notierte, und wenn es nach den Notizen ging, so mußte der Artikel mit den geistreichen Säuglingen anfangen. Ha, das sollte ein Artikel werden! Und das wurde ein Geschäft! Monsieur Girard bekam vor Aufregung einen Tatterich. Diese Nummer mußte mindestens drei Francs kosten! Verboten konnte sie nicht werden, es handelte sich ja darum, die Wünsche des allmächtigen Kapitäns zu erfüllen, und wie würde man sich um diese Nummer reißen! Ha, das sollte ein Geschäft werden!

»Wieviel Kinder wünschen Sie?«

»Kinder? Frauen will ich doch mitnehmen!«

»Na, ja, drei Dutzend Weibs ... Damen nehmen Sie mit. In der Hauptsache handelt es sich aber doch um die Kinder.«

»Eigentlich, ja.«

»Also drei Dutzend Kinder. Es dürfen nur Mädchen werden, nicht wahr?«

»Das muß wohl der Fügung überlassen bleiben,« erlang es diesmal etwas heiter hinter der Maske. »Natürlich sind uns Mädchen lieber. Denn dann haben wir Frauen auf der Insel.«

»Und was wird aus den eventuellen Jungen?«

»Die können sie wieder mitnehmen.«

»Wer kann die Jungen wieder mitnehmen?«

»Nun, die Mütter.«

»Wenn's ein Junge ist, kann ihn die Mutter selber mitnehmen,« notierte der Journalist, beim Schreiben halblaut sprechend.

Plötzlich hielt er inne und blickte fragend auf.

»Wenn die Mutter nun aber nicht will?«

»Was nicht will?«

»Den Jungen selber behalten?«

»O, eine Mutter wird doch gern ...«

»Na ... na,« meinte der Journalist zweifelnd, »es sind Damen von Monaco, die machen sich verdammt wenig ... pardon, die wollen von Kindern meistenteils nichts wissen.«

»Nun, dann kann der Junge natürlich auf der Insel bleiben, er wird aufs Beste erzogen. – Hören Sie, Monsieur Girard, Ihr ›Anbeißen‹ vorhin hat mich doch etwas mißtrauisch gemacht. Ich möchte die Sache eben von der idealsten Seite aus betrachtet haben. Darum will ich den Damen, welche mit mir kommen, gar nichts verheimlichen, daß sie wissen, was sie zu erwarten haben, und daß sie sich hinterher über nichts beklagen können. Nämlich auch die Aufnahme von Gästen steht unter strengen Gesetzen, die Damen haben sich erst Prüfungen zu unterziehen, welche sie bestehen müssen, ehe sie die Geheimnisse unserer Insel schauen dürfen.«

»Prüfungen? Was für Prüfungen sind das? Wozu?«

»Um Ihre Verschwiegenheit zu beweisen. Die Damen sind zwar nicht imstande, den Zugang der Insel zu verraten, seitdem aber einmal ein gastlich aufgenommener Seemann bald alles ausgeplaudert hätte, existieren hierüber scharfe Bestimmungen, und - es muß überhaupt über alles Schweigen beobachtet werden, und ob der Besuch hierzu fähig ist, daraufhin wird er eben erst geprüft, ehe er die Insel wirklich sehen darf.«

»Wissen Sie was, Herr Kapitän,« meinte der Journalist, »nehmen wir an, die drei Dutzend Damen wären schon zusammen, bereit, mit Ihnen zu gehen. Was geschieht nun? Ich glaube, so ist es am richtigsten.«

»Sehr gut,« stimmte der Kapitän diesem vernünftigen Vorschlage bei, »so kommen wir am schnellsten zum Ziel. Die Damen sind mit Garderobe und Wäsche auf ein Jahr versehen, sie gehen an Bord der Heliotrop, und an demselben Tage, in derselben Stunde stechen wir in See.«

»Die Damen dürfen ohne weiteres an Bord gehen?« fragte der Schreibende.

»Gewiß, ohne weiteres, dazu sind keine Zeremonien nötig.«

»Aber doch vorher ein Kontrakt?«

»Nichts, absolut gar nichts. Ich verlange, daß sich die Damen mir anvertrauen. Und was hätte denn auch eine vorherige Abmachung für einen Zweck, wenn sie mir nicht trauen? Ich gehe nach der Südsee zurück, komme wahrscheinlich nie, nie wieder hierher, und deponieren als Sicherheit tue ich auch nichts, ich darf es nicht, das ginge wiederum gegen gewisse Bestimmungen. Ich verspreche, daß es die Damen gut haben sollen, und daß sie nach einem Jahr wieder hierher gebracht werden – mehr verspreche ich nicht.«

»Hm,« brummte Monsieur Girard in einer Weise, als ob er jetzt sehr daran zweifle, daß die Damen auf solche ungewissen Bedingungen eingehen würden, denn – verkaufen lassen sich die nämlich nicht. »Nun sind die Damen also an Bord, es geht nach der Südsee. Wie ist es an Bord?«

»Selbstverständlich werden die Damen als erstklassige Passagiere behandelt, als angesehene Gäste. Auf meiner Jacht ist nämlich Komfort vorhanden. Allerdings ist sie nicht auf sechsunddreißig Gäste eingerichtet, es wird etwas zu eng zugehen, so zum Beispiel, daß nicht alle Damen zugleich die Mahlzeiten im Speisesalon einnehmen können, dazu ist er zu klein, aber es müssen nicht etwa zwei zusammen in einer Koje schlafen, und sonst ist jeglicher Komfort vorhanden.«

»O, Seereisen sind diese Damen gewöhnt. Wann erreichen sie die Insel?«

»In spätestens vier Wochen. Die Motorjacht läuft in der Stunde 20 Knoten.«

»Nun sind die Damen auf der Insel ...«

»Halt! So weit sind wir noch nicht! Die Landung findet in der Nacht statt. Den Damen werden die Augen verbunden, nachdem sie einen Schwur abgelegt haben, die Binde unter keinen Umständen zu lüften. So werden sie in die Boote gebracht. Nach einiger Zeit steigen sie aus. Sie fühlen wieder festen Boden unter ihren Füßen. Jede Dame wird von einer unsichtbaren Hand weitergeleitet. – Das ist eben, was mich besorgt macht. Auf so was werden sich die Damen wohl nicht einlassen, da werden sie sich fürchten, und ich mag ihnen doch nichts verheimlichen.«

»O, o, o, da kennen sie unsere Damen von Monte Carlo schlecht, das ist ja gerade etwas für die,« schmunzelte der schreibende Journalist. »Schon wenn ihnen die Augen verbunden werden – da sind sie ganz verrückt dahinter, so etwas lieben sie, das kitzelt die Nerven! Was nun weiter?«

»Die Binde wird ihnen abgenommen, jede Dame sieht sich in einem luxuriös eingerichteten Gemache. Nun aber kommt etwas: In diesem Zimmer muß jede Dame vier Wochen ausharren, ehe sie es verlassen und somit die ganze Insel sehen darf.«

»Wozu erst dieser Arrest?«

»In diesem Zimmer wird die Dame erst vier Wochen lang Prüfungen und allerhand Versuchungen ausgesetzt, welche sie bestehen muß.«

»Was für Prüfungen sind das?«

»Ja, mein Herr, hierüber darf ich freilich nichts verraten. Der Gast wird auf seine Schweigsamkeit geprüft, ob er würdig ist, die Insel mit ihren Geheimnissen schauen zu dürfen.«

»Anstrengende Prüfungen?«

»Gott bewahre! Wir haben schon viele Gäste gehabt, und noch jeder hat sie bestanden. Es ist viel Zeremonie dabei, aber es ist nun einmal Vorschrift.«

»Doch nicht fasten und dergleichen? Dafür sind unsere Damen gar nicht.«

»Unsinn! Ich erwähnte doch schon, daß den Damen das Leben so angenehm wie möglich gemacht wird.«

»Ah so, das sagt schon genug. So – angenehm – wie – möglich,« schrieb der Journalist.

»Freilich ... es gibt manchmal etwas zum Gruseln – doch nicht etwa wie auf der Teufelsinsel,« setzte der Kapitän schnell hinzu, als er einen mißtrauischen Blick auffing. »Es wird den Damen nur ein Spükchen vorgemacht. Das ist ihnen auch bekannt, darauf werden sie vorbereitet, und dann hat auch jede ihren Führer.«

Des Kapitäns Besorgnis war unbegründet gewesen.

»Spükchen vorgemacht,« wurde notiert. »O, o, o, das ist gerade etwas für unsere Damen, so etwas lieben sie, das kitzelt die Nerven!«

»Sie haben also Erscheinungen und dergleichen. Wir haben für diese Prüfungen einen besonderen Namen, sagen wir ... sagen wir: sie müssen durch Feuer und Wasser gehen, ohne mit einer Wimper zu zucken, immer an der Hand eines Führers – und selbstverständlich wird ihnen kein Haar gekrümmt.«

»Durch Feuer und Wasser? O, o, o, das ist etwas für unsere Damen, besonders wenn dabei ihre Frisur nicht in Unordnung kommt.«

»Ich will Ihnen noch ein Beispiel geben, was für harmlose Prüfungen des Schweigens und der Selbstbeherrschung es sind, daß sich die Damen nicht etwa ängstigen. So zum Beispiel bekommt jede Dame ein interessantes Geheimnis anvertraut, aber keine darf es der anderen verraten ...«

»O, o, o, das freilich wird unseren Damen sehr schwer fallen,« ließ sich der schreibende Bleistift wieder vernehmen.

» ... dann wird jeder Dame ein Kästchen ins Zimmer gebracht, mit dem Verbot, dieses Kästchen zu öffnen, erst am dritten Tage darf sie es aufmachen, und dann gehört das, was in dem Kästchen ist, ihr ...«

»Drei Tage lang das Kästchen nicht aufmachen? O, o, o, o, das ist freilich gar nichts für unsere Damen, das wird wohl keine aushalten. Was ist denn in dem Kästchen?«

»Das – ist ja überhaupt nur eine Annahme gewesen. Das sollte nur ein Beispiel sein, wie die Prüfungen gehandhabt werden.«

»Wie lange dauern diese?«

»Genau vier Wochen.«

»Und während dieser vier Wochen haben die Damen immer Zimmerarrest?«

»Ja. Doch können sie sich abwechselnd besuchen. Die Zimmer sind sehr luftig, auch an Bewegung ist kein Mangel. Es ist durchaus keine Qual, nicht etwa ein Gefängnis. O, die Damen werden so viel Überraschungen erleben, daß ihnen die Zeit wie im Fluge vergehen wird. Keine langweilige Stunde soll es für sie geben, und die Erlebnisse auf meiner Insel werden immer ihre angenehmsten Erinnerungen bleiben.«

»Und wenn eine Dame die Prüfung nicht besteht?«

»Es besteht jede.«

»Es könnte aber doch sein, daß ...«

»Nein, es kann nicht sein! Unter Garantie besteht jede die Prüfung. Danach wird diese eingerichtet. Das ist doch alles nur pro forma, weil es unsere Gesetze so verlangen. Was aber nicht mehr zu ändern ist, das geht doch noch immer zu drehen und zu wenden. Wir wollen die Damen doch nicht etwa ein ganzes Jahr lang im Zimmer gefangen halten, daß sie krank und lebensüberdrüssig werden. Im Gegenteil, lustig sollen sie sein! Ein fröhliches Jahr soll es werden! Und das hoffe ich doch nicht, daß sie unter den Sklaven eine Revolution anzetteln werden.«

»Unter – den – Sklaven?«

»Ja – warum soll ich's verheimlichen? Auf meiner Insel gibt es Sklaven und Sklavinnen.«

»Echte?«

»Ganz waschechte. Die sind aber zufriedener als Ihre europäischen Arbeiter. Von solchen werden die Damen auch bedient – ganz nach orientalischer Art.«

»Werden von Sklaven und Sklavinnen nach orientalischer Art bedient,« notierte der Bleistift. »Das ist nun auch wieder so etwas für unsere Damen, das wird ihnen imponieren. – Und wenn sie nun die Prüfungen bestanden haben?«

»Dann öffnet sich ihnen das Tor des Pa ... dann steht ihnen die ganze Insel zur Verfügung, sie dürfen sich frei darauf umherbewegen.«

»Das Tor des Paradieses steht ihnen offen, wollten der Herr Kapitän sagen.«

»Gar nichts wollte ich sagen. Da können die Damen die Insel mit allen ihren Geheimnissen besichtigen.«

»Was sind das für Geheimnisse?«

»Na, hören Sie mal, Verehrtester! Geheimnisse sind doch dazu da, daß man sie nicht verrät.«

»Die Damen sind anderer Ansicht,« wurde Monsieur Girard jetzt dreist. »Geheimnisse sind meistenteils dazu da, daß man sie erzählt.«

»Na, machen Sie mal keine schlechten Witze! Von mir erfahren Sie nichts. Aber das kann ich Ihnen sagen: die Damen werden auf der Insel etwas zu sehen bekommen!«

»Was werden sie zu sehen bekommen?«

»Was sie noch nicht gesehen haben und nicht wieder zu sehen bekommen. – Nun aber zur Hauptsache! Die Kinder, mit welchen uns die Damen beschenken, kommen also unter die Obhut von farbigen Frauen, das heißt, erst ...«

»Erlauben Sie noch einen Augenblick, Herr Kapitän. Wie ist denn nun das Verhältnis der Damen zum – zum Vater des betreffenden Kindes?«

»Ach so. Das hatte ich bald vergessen. Na, ein Standesamt gibt es auf der Insel nicht. Alles geht nach orientalischer Art zu. Doch das ist wiederum ein Punkt, worüber ich mich nicht auslasse.«

»Für die Damen ist das aber gerade die Hauptsache. Hierüber muß ich unbedingt Näheres erfahren.«

»Hm! Nun, die Damen können um die Männer ... müssen um die Männer ... na, ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll ...«

»Würfeln?«

»Würfeln? Sie meinen, die Männer werden ausgeknobelt, bis jede Dame einen hat? Nein. Es wird jeder ein Freund für dieses Jahr zugeteilt, wenn ihr der aber nicht gefällt, so kann sie ihn verweigern oder ihn noch nachträglich entlassen, dann muß ihr ein anderer Freund vorgestellt werden, und so immerfort. O, die Damen werden schon zufrieden sein.«

»Und – so – immer – fort,« notierte der Journalist und war ebenfalls mit dieser Erklärung zufrieden, wünschte nur, er könnte ebenfalls mit auf diese Insel und sich von Sklaven und mehr noch von Sklavinnen nach orientalischer Art bedienen zu lassen.

»Ich glaube, ich habe den Herrn Kapitän vorhin unterbrochen,« begann er dann wieder. »Was wollten Sie noch hinzusetzen?«

»Nicht, daß ich mich entsinnen kann. Bei welcher Gelegenheit?

»Als Sie sagten, die Kinder kämen dann unter die Obhut von farbigen Frauen, erst aber – da blieben Sie stehen.

»Ah so. Erst aber muß die Mutter ihr Kind einige Zeit selbst stillen.«

»Stillen?« wiederholte der Franzose in fragendem Tone.

»Jawohl, stillen. Wissen Sie denn nicht, was das ist?«

»Stillen?« wiederholte der Franzose nochmals. Dann kam ihm die höhere Erleuchtung.

»Ah so, wenn das Kind schreit, dann wird ihm die Kehle zugedrückt, daß es still wird, und das muß die Mutter selbst besorgen. Nicht wahr, das meinen Sie, Herr Kapitän?«

»Sind Sie verheiratet, Monsieur Girard?« erklang es heiter hinter der Maske.

»Ich? Nein, Gott sei Dank nicht!« kam es aus Monsieur Girards tiefernster Brust mit einem Seufzer der Erleichterung.

»Das heißt, die Mütter, die Damen, müssen ihre Kinder selbst nähren.«

»Nähren, ah, nähren. Mit Kinderzwieback?«

»Mit Milch, Herr, mit Milch!«

»Haben Sie auch Kühe auf Ihrer Insel?«

»Himmelbombenelement noch einmal! Herr, stellen Sie sich nur so ... unerfahren oder sind Sie's wirklich? Die Damen müssen ihre Kinder selbst an die Brust nehmen, vorausgesetzt, daß die Mutter auch Milch hat.«

»Aaahhh,« kam es langgedehnt aus des Franzosen Mund, »jetzt verstehe ich.«

Doch gleich hatte er ein anderes Bedenken.

»Gibt's denn heute überhaupt noch so etwas? Bei Menschen? So etwas ist doch bloß noch bei Tieren Mode. Herr Kapitän müssen allerdings verzeihen, gerade in der Zoologie sind meine Kenntnisse sehr schwach.«

Seltsamerweise kam diese Milchfrage gar nicht weiter in Betracht, eben deswegen, weil der Franzose absolut kein Verständnis dafür hatte, er schenkte der Sache keine Beachtung.

»Also fürchten werden sich die Damen doch nicht vor mir,« begann der Kapitän dann wieder, »weil über mich allerlei dumme und ganz falsche Gerüchte in Umlauf gekommen sind?«

Der Journalist zog die Augenbrauen hoch und blickte von untenauf den Maskierten an.

»Ja, Herr Kapitän, hätten Sie nur nicht wieder die Geschichte mit dem Sarge gemacht,« meinte er dann zögernd.

Monsieur Girard hoffte natürlich, auf diese Weise hierüber etwas Näheres zu erfahren. Der Maskierte war aber wohl etwas schlauer als er.

»Mit welchem Sarge?« fragte er unschuldig.

»Den Sie neulich an Land schaffen lassen wollten und den der Steuerinspektor Laboli nicht ungeöffnet durchgehen ließ.«

»Ach so, das meinen Sie! Es ist doch merkwürdig! Alles, was lang und mit einem schwarzen Tuche verhangen ist, muß bei den Leuten unbedingt ein Sarg sein!«

»Es war kein Sarg?«

»Gott bewahre!«

»Was war es denn sonst?«

»Einfach eine Kiste.«

»Warum wollten Sie dieselbe durchaus nicht öffnen?«

»Weil sich etwas darin befand, was profane Augen nicht schauen durften.«

»Was war das?«

»Was auch Sie nicht zu wissen brauchen. Doch ich will Ihnen wenigstens eine Andeutung machen. In dieser Kiste war gerade das, was ich denjenigen Damen zeigen wollte, welche Lust haben, mit mir auf meine Insel zu kommen. Denn dieser Plan beschäftigt meinen Kopf schon lange.«

»Es waren wirklich Geschenke darin?«

»Ja.«

»Ich denke, Sie dürfen laut Gesetz keine Geschenke geben?«

»Alles mit Unterschied, lieber Freund. Es läßt sich eben alles umgehen. Nein, wir dürfen kein Geld, keine Geschenke geben, auch nicht versprechen, um Frauen auf unsere Insel zu locken, aber ... wir dürfen doch etwas zeigen ... und ... der Freund darf dem Freunde ein Angebinde geben ... auch der Freundin. Verstehen Sie, mein Herr?«

Aha! Jetzt fiel auf die Sache ein anderes Licht.

Der Kapitän hatte geklingelt. Wilm trat ein. »Herr Kapitän befehlen?«

»Bringe mir einmal das kleine Stahlkästchen, du weißt, mit dem Vexierschloß!«

»Zu Befehl. – Herr Kapitän, Raoul wünscht Sie zu sprechen.«

»Ich komme sofort.«

Wilm war gegangen, der Kapitän wollte etwas sagen, Monsieur Girard kam ihm mit Hast zuvor, er hatte ja etwas vergessen.

»Wer ist der maskierte Knabe?«

»Das ist und bleibt mein Geheimnis. Kein Wort mehr hierüber!«

»War er schon immer an Bord?« ließ sich der Journalist nicht entmutigen.

»Ja. Nun, Monsieur Gir ...«

»Ihr Sohn, Ihr Enkel?«

»Nein. Gar nicht mit mir verwandt. Es ist ein Kind, welches in der Politik – es wurde mir zur Erziehung übergeben, der Knabe wird dereinst auf der Insel mein Nachfolger. Genug davon!«

» ... welches in der Politik lästig wurde und welches aus der Welt verschwinden sollte,« ergänzte der Journalist kühn.

»Habe ich das etwa gesagt?« fuhr der Kapitän empor.

»Ist es ein Argentinier?«

»Wie kommt man darauf?«

»Weil er so ausgezeichnet reiten kann.«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht.«

»Oder ein ... geborener Brasilianer?«

»Brasilianer? Unsinn!« lachte es ärgerlich hinter der Maske, aber Monsieur Girard hatte eine Bestätigung herausgehört.

Volkes Stimme, Gottes Stimme! Die Vermutungen des Volkes irren sich selten.

»Ist er ein Zwillingssohn des Kaisers von Brasilien?«

»Hat der denn Zwillinge gehabt? Ich weiß nur von einem Sohne.«

»Es sollen Zwillinge gewesen sein, und man behauptet, daß man den einen habe verschwinden lassen. Das Alter von zwölf Jahren dürfte stimmen. Ist Raoul ein Sohn des Kaisers von Brasilien?«

»Möglich, aber auch nicht möglich.«

Und es war dennoch eine Bestätigung! Das Volk hatte richtig geraten!

»Nun aber wirklich genug davon! Hören Sie, Monsieur Girard? Denken Sie, was Sie belieben, aber verschonen Sie mich mit Ihren Vermutungen!«

Wilm erschien wieder und brachte eine stählerne Kassette.

»Sind Sie sonst noch über etwas im Unklaren?« fragte der Kapitän, die Schatulle uneröffnet in der Hand haltend. »Wohl nicht? Ich bin doch sehr ausführlich gewesen. Bitte, nun bringen Sie hierüber den gewünschten Artikel, den ich also im übrigen Ihrer journalistischen Geschicklichkeit überlasse. Alle Anfragen deswegen seitens der reflektierenden Damen sind direkt an mich zu richten, das erlaube ich jetzt wieder, und das Verbot hätte ja auch gar keinen Zweck, solange ich überhaupt die Annahme von Briefen nicht verweigerte. Die betreffenden Zuschriften sollen den Vermerk ›Insel‹ tragen.«

»Sehr wohl, Herr Kapitän. – Insel.«

»Angenehm wäre es mir dann noch, und das kann ich wohl sogar verlangen, daß die reflektierenden Damen mir etwas von ihrem früheren Leben erzählen, auch, ob sie schon verheiratet gewesen sind, Kinder haben usw.«

»Ich werde dies ausdrücklich betonen.«

»Sonst noch etwas?«

»Wann würde denn die Abreise erfolgen?«

»Das kann ich noch nicht sagen. Einige Zeit würde darüber noch vergehen, die Motore der Jacht sind reparaturbedürftig. Unterdessen habe ich andres zu tun. Sobald genügend Damen zusammen sind, halten wir Versammlungen ab, sowohl öffentliche, als geheime unter uns. Nun ist wohl alles erledigt, ich muß das Gespräch abbrechen. Ich gestatte mir nur noch ...«

Der Journalist verstand es, während des Schreibens seine Augen auch anderswo zu haben, und er hatte schon immer nach dem Kästchen in des Kapitäns Hand geschielt, und jetzt sprang der Deckel desselben auf, ein Sonnenstrahl fiel hinein ... und geblendet mußte Monsieur Girard einige Sekunden die Augen schließen.

Es blitzte und glänzte und gleißte in unerträglichem Feuerschein. Monsieur Girard konnte nur glauben, daß es Ringe und Armspangen und andere Schmuckgegenstände seien – und wenn der Leser hinsieht, so erkennt er wirklich solche, und zwar jene, welch er schon einmal bei anderer Gelegenheit gesehen hat, altertümliche Schmucksachen, wie man sie jetzt nur noch bei Raritätenhändlern und in Sammlungen sieht.

»Wie gefällt Ihnen das? Den Damen wird es wohl noch mehr gefallen als Ihnen. Sehen Sie, solchen Kram gibt es auf unserer Insel haufenweise, es muß nur gesucht werden, es ist vergraben, dann schippen die Kinder drin herum. Oder ist das vielleicht auch nur Theaterschmuck, der zur Komödie gehört? Oder ist das auch nur eine tote Leiche?«

»O, ah, o,« stammelte der Geblendete, und da hatte er gleich wieder einen genialen Einfall. »Und mit solchen Juwelen war wohl der ganze große Kasten gefüllt, den Sie an Land bringen wollten?«

»Ich sage nichts mehr. Ich muß jetzt auch wirklich gehen. Hier, Monsieur Girard, bitte nehmen Sie – für Ihre Bemühungen!«

Es war ein Ring, den er jenem reichte, eine Schlange vorstellend, die Schuppen von Brillianten, die Augen rote Rubinen, ganz aus farbigen Edelsteinen zusammengesetzt, im geöffneten Rachen statt des Apfels, den das Sinnbild der Versuchung reicht, eine große prachtvolle Perle. – Monsieur Girard war entlassen.

Wenn auf der Insel solcher ›Kram‹ haufenweise herumlag, daß die Kinder darin schippten, dann hätte der Kapitän ihm eigentlich auch gleich eine Schippe voll davon geben können.

Es war gut, daß an des Redakteurs Hand wenigstens dieser eine Ring funkelte, denn als er dann auf der Straße im hellen Sonnelichte stand, wieder unter anderen Menschen, und er hätte diesen Schlangenring nicht gesehen, den er beim Eintritt in die Mäander-Burg noch nicht an der Hand gehabt – er würde wahrscheinlich geglaubt haben, er hätte nur einen merkwürdigen Traum gehabt.

Nein, was er da zu hören bekommen hatte, das war doch etwas gar zu toll! Aber das war erst die Einleitung gewesen, es sollte noch viel toller kommen!

 

Die ›Maske‹ hatte den gewünschten Artikel gebracht, einen Aufruf an unternehmungslustige Damen. Auf nach der Südsee!

Ach, war das ein Leben in Monte Carlo!

Der kleinste Teil des hier verkehrenden Publikums fand diese Sache ordinär und frivol, der größte Teil fand sie ›furchtbar interessant‹.

Es gibt hier ein Schlagwort: Wir sind doch in Monte Carlo!

Man schwatzte und lachte und spottete – und die Damen der Halbwelt, an welche diese Aufforderung direkt erging, die wurden alle ganz verrückt!

»Kommen Sie mit? Ich gehe mit.«

»Ach, ich lasse mich doch nicht veralbern, daran ist ja kein wahres Wort.«

Und dieselbe Dame, welche so sprach, schrieb dennoch einen Brief und setzte auf das Kuvert den Vermerk ›Insel‹. Sie bot sich an, die Koralleninsel bevölkern zu helfen – ›aus Liebe zur heiligen Sache‹ – wollte nur erst noch mehr wissen.

Die Post von Monaco merkte den größeren Verkauf von Briefmarken, und die Briefträger, welche die Häuser der Gaumates-Schlucht zu bedienen hatten, wünschten den maskierten Kapitän zur Hölle oder ins Pfefferland oder auch auf seine einsame Koralleninsel zurück.

In Nizza erschien die Zeitung › Le petit Nicois‹ - mit dem Beinamen › Qui mal y pense‹.

» Donnez moi ›Le petit Nicois‹ qui mal y pense! – Geben Sie mir die kleine Zeitung, welche schlecht davon denkt!«

Das sagt im Café jeder Gast, wenn er diese Zeitung fordert. Es ist eben ein Hetzblatt, welches alles schlecht macht; aber es steckt Geist drin.

Diese Zeitung setzte einen Geldpreis aus für den besten Namen, welcher solch eine Dame am treffendsten charakterisierte.

Die ganze Riviera war bei der Arbeit, um sich die Prämie zu verdienen. Es wurden Worte gebracht wie ›Einjährig-freiwillige Koralleninselmütter‹ und dieser Name bürgerte sich dann auch ein, er wurde nur abgekürzt zu ›Koralleninselmütter‹ und dann noch einmal zu ›Inselmütter‹.

Nun sollten die reflektierenden Damen doch auch ihre näheren Verhältnisse mitteilen. Das hatte Monsieur Girard in seinem Artikel ganz besonders betont. Selbstverständlich würde die strengste Diskretion gewahrt.

Davon aber hatte der Kapitän kein Wort gesagt und ... er wahrte auch keine Diskretion, obgleich sich das doch von selbst gehört hätte.

Allerdings weihte er in den Inhalt der Briefe, in denen sich ihm die Kokotten offen anvertrauten, ihm alle Geheimnisse ihres vielbewegten Lebens offenbarten, nur einem kleinen Kreise von Vertrauten ein, aus dem nichts herauskam, und so konnte dies schließlich verziehen werden. Die Schreiberin selbst bekam niemals zu erfahren, daß ihre Beichte verraten worden war, weil man sie von keiner Seite mit ihren Geständnissen aufzog. Da bekam man freilich manchmal etwas zu hören von diesen Damen der Halbwelt!

Der Prinz hatte nämlich seit einiger Zeit Gesellschaft gefunden. Er war von Lord Roger in den exklusiven Kreis der Milliardäre und anderer Größen eingeführt worden, welche öfter in der Woche abends zum Kartenspiel zusammenkamen.

Versetzen wir uns einmal schnell in das abgesondert liegende und streng separierte Zimmer des Hotels, in welchem diese Herrschaften heute Abend sich ein Rendezvouz gegeben haben. Es werden nicht einmal Kellner zugelassen. Die Herren bringen ihre eigene Bedienung mit, Stewards von ihren Jachten.

Es ist ein besonders konstruiertes Zimmer, wie es in Monte Carlo kein zweites gibt; die Wände sind doppelt und der Zwischenraum mit einer Masse gefüllt, man kann darin schreien, wie man will, auf dem Korridor, selbst in der dichtesten Nähe der Tür, ist kein Ton zu vernehmen, und die Herren haben wohl daran getan, dieses Zimmer zu ihrer Zusammenkunft zu wählen. Wer hier unvorbereitet eintritt, der muß denken, er habe sich in ein Narrenhaus verirrt, in eine Tobzelle, in welcher vom Lachkrampf befallene Wahnsinnige untergebracht sind.

Die Herren sind schon seit längerer Zeit zusammen, aber Karten werden nicht gespielt. Auf dem Tische liegen viele Briefe. Lord Roger liest einen nach dem anderen vor, der junge Engländer kann es, der verzieht keine Miene, aber alle die anderen, die wälzen sich in Lachkrämpfen, und das steckt an, es ist alles außer Rand und Band, hier gibt es keinen Respekt mehr.

Ein Diener hat schon seit zehn Minuten eine Weinflasche zwischen seine Beine geklemmt, der Korkzieher ist eingebohrt, aber es kommt nicht zum Ruck, der Diener kann nicht, er lacht mit den Herren um die Wette.

»Hören Sie auf, hören Sie auf!« stöhnt der amerikanische Petroleumkönig. »Ich glaube, ich habe mir schon einen Bruch geholt.«

Bereits seit längerer Zeit hat es an die Tür geklopft, immer stärker, bis aus dem Klopfen ein Donnern wird. Endlich hört es ein Steward, er öffnet.

Der maskierte Kapitän tritt ein, zieht aus der Tasche ein Bündel Briefe, die beiden obersten nimmt er ab und hält sie triumphierend in die Höhe.

»Jetzt hat auch die Pompadour gebeichtet,« ruft er, »und hier sogar die grüne Eva. Passen Sie auf, jetzt sollen Sie etwas zu hören bekommen!«

Er liest die Briefe vor, und neues brüllendes Gelächter erfüllt das kleine Zimmer.

»Kapitän, Sie sind ein Teufelskerl!!« –

Eigentlich war es doch eine Niederträchtigkeit! Die Briefschreiberinnen hatten den besten Willen, die einsame Koralleninsel mit einer neuen Generation zu bevölkern, sogar mit einer ›geistreichen‹, sie faßten die Sache so ernsthaft auf, wie es verlangt wurde – und hier lachte man sich Brüche über die armen Mädchen. Allerdings wurde dieses »Gehen Sie mit? Ich gehe mit!« nur von den allerwenigsten gleich so offen gesagt, aber die Hauptsache war doch, daß sie sich alle, alle meldeten, an die zweihundert!

Unter diesen traf der Kapitän seine Auswahl, es durften ja nur 36 sein, mehr hätten auf der Jacht auch gar nicht Platz gefunden. Natürlich hatte er sich die schönsten Weiber ausgesucht. Wie die andern die Zurückweisung, so höflich diese auch geschehen war, auffaßten, darum kümmerte er sich nicht.

So waren die 36 Damen zusammen. Sie waren bereit, mit nach der Koralleninsel zu kommen, aber die Sache wollte noch immer nicht richtig losgehen, es gab immer wieder ein Wenn und Aber.

Der Kapitän hatte die auserwählten Damen zu einer ernsten Versammlung einberufen, welche im großen Saale eines Hotels stattfand.

Fremde hatten keinen Zutritt. Außer dem Kapitän waren von Männern nur noch seine Ordonnanz anwesend.

Freilich besaß der Saal oben mit Portieren verhangene Logen, die hinaufführenden Treppen waren verschlossen, und es konnte recht wohl sein, daß sich dort oben heimliche Zuhörer verbargen. Doch das war den Damen gleichgültig.

Die Pompadour machte im Namen der andern Damen die Sprecherin. Das heißt, das darf man nicht wörtlich nehmen. Eigentlich führte jede Dame für sich selbst das Wort, manchmal sprachen sie alle zugleich, dann stand eine auf, gebot Ruhe und redete eine kilometerlange Rede, und wenn sie fertig war, so hatte sie noch etwas vergessen und redete immer noch ein paar hundert Meter ab, und dann stand eine andre auf und redete ganz genau denselben Kilometer wieder zurück. Reden konnten diese Damen nämlich fürchterlich.

»Wir sind bereit, mit nach der Kußinsel zu kommen ...«

»Wie nennen Sie meine Insel?« unterbrach der Kapitän die Sprecherin erstaunt.

»Die Kußinsel, die Kußinsel!!« erklang es lachend und jubelnd im Chor.

Das war eine Szene aus der ersten Versammlung gewesen, und solche Szenen kamen bei den nächsten Versammlungen ständig vor. Natürlich, die Hauptsache war doch, daß man sich dabei amüsierte.

Was die Damen auf der Insel sollten, wie sie dort empfangen und gehalten würden, darüber waren sie sich klar, und sie waren mit allem einverstanden. Somit hätten sie doch nun gleich die Koffer packen und sich an Bord begeben können! Allein – die Sache zog sich immer hin und her. So gern sie auch alle das Abenteuer mitmachen wollten – sie trauten dem Braten nicht recht. Wer steckte denn nur eigentlich hinter der Maske?! Und nun nach der Südsee! Das ist ein bißchen weit. Es war doch eine verfl ... riskante Geschichte.

»Wir sind bereit, mit nach der Kußinsel zu kommen,« sagte also die Pompadour, »wenn Sie eine ganz sichere Bürgschaft stellen.«

»Was für eine Bürgschaft verlangen Sie?«

Nun hielten wieder die Damen unter sich eine Versammlung ab, und dann hatten sie sich geeinigt, unter welchen Bedingungen sie wirklich mitkommen wollten – auf der Stelle: Es sollte eine Person mit ihnen reisen und das ganze Jahr mit ihnen auf der Insel bleiben – eine Person, welche in der Welt aber auch wirklich vermißt würde, wenn sie nicht wiederkäme. Es müßte wohl ein Mann sein – eine Dame würde sich auf so etwas doch nicht einlassen – aber nur nicht so einer wie etwa Baron Huigly! Wenn der in der Südsee spurlos verschwand, krähte kein Hahn nach ihm.

Gut! Der Kapitän wollte Umschau halten. Schon am andern Tage konnte er die fröhliche Nachricht bringen.

»Seine Herrlichkeit der Lord Hannibal Roger, Pear von England, erklärt sich bereit, die Damen zu begleiten.«

Der Lord selbst erschien auf der Bühne und ward von den Damen mit stürmischem Jubel begrüßt – um so mehr, als sich der kalte Lord sonst sehr wenig mit diesen Damen der Halbwelt einließ.

Jaaaa, wenn Lord Roger mitkam!!! Das war ein andrer als Baron Huigly! Wenn der Besitzer des vierten Teiles von London nicht zurückkehrte, dann wurden gleich Expeditionen nach der Südsee abgeschickt!

Diese Schwierigkeit war also beseitigt. Nun hätten sich die Koralleninselmütter doch gleich einschiffen können! Nein, nun ging dasselbe Lied von vorn los.

»Ja, wir sind gern bereit, mit Ihnen zu kommen, aber wir verlangen eine Bürgschaft.«

»Himmel – bomben – element!!« fing der Kapitän jetzt auf der Rednertribüne frischweg zu fluchen an. »Was wünschen Sie denn nur eigentlich, meine Damen? Sprechen Sie sich endlich doch einmal rein aus!«

»Es muß jemand von Ihnen hierbleiben, von Bord Ihres Schiffes.«

»Schön, das soll auch gemacht werden. Es werden einige Matrosen ...«

»Ach, die brennen uns doch gleich durch!« hieß es verächtlich.

»So werden sie einstweilen ins Gefängnis gesperrt!«

»Das dürfen wir nicht. Wer ist der maskierte Knabe, um den Sie immer so besorgt sind?«

»Das ist mein Geheimnis. – Aha, ich verstehe! Nein, meine Damen, da verlangen Sie zuviel, den Knaben kann ich unmöglich hier zurücklassen.«

Das aber wollten gerade die Damen. Und schließlich gab der Kapitän auch hierin nach, der Knabe mußte unter Obhut gegeben werden, es fragte sich nur noch, unter welche – und dann immer noch hundert andre Bedenken und Zwischenfragen.

Von diesen Fragen wollte vor allen Dingen die eine den Damen schier das Herz abdrücken.

»Die Kiste! Die Kiste! Was ist in der Kiste?«

Jener Sarg war gemeint, welchen der Steuerinspektor damals nicht ungeöffnet an Land lassen wollte. Der Kapitän hatte doch zu Monsieur Girard gesagt, darin sei etwas, was er den Damen, welche ihn nach der Insel begleiten, hätte zeigen wollen, und seitdem konnten sämtliche Damen über diese Kiste nicht mehr schlafen. Aber nun wollte es ihnen der Kapitän gerade nicht zeigen, nicht eher, als bis sie sich reisefertig bei ihm an Bord befänden.

So wurde an einem Nachmittage wieder einmal debattiert, weniger über die Inselangelegenheit, als über den geheimnisvollen Inhalt der berühmten Kiste.

»Ist solcher alter Schmuck darin, wie Sie ihn Monsieur Girard zeigten, wovon Sie ihm einen Ring schenkten?«

»Liegt solcher Schmuck wirklich auf der Insel haufenweise herum?«

»Dürfen wir auch alles mitnehmen, was wir finden?«

»Mein süßer Kapitän – ach, zeigen Sie mir doch, was in der Kiste ist, dann komme ich ja auch sofort mit.«

So scholl es durcheinander, ohne daß der Kapitän eine Antwort zu geben brauchte.

»Kapitän, Ihre Jacht fährt ja fort!« rief da eine Dame dazwischen.

Von den Fenstern des Saales aus war der Hafen zu überblicken, und plötzlich wurde bemerkt, daß sich die Heliotrop draußen in See befand.

»Ja, sie macht eine Probefahrt,« entgegnete der Kapitän. »Ich fürchte nämlich, es ist etwas an der Maschinerie in Unordnung. Und anstatt daß ich selbst mich an Bord befinde, widme ich mich hier Ihrer Versammlung. Da sehen Sie, wie sehr mir Ihr definitiver Entschluß am Herzen liegt, und anstatt mir diesen zu geben, halten Sie mich bei Kleinigkeiten auf.«

Die Damen drängten sich an die Fenster und beobachteten, wie die Motorjacht langsam hin und her fuhr. Sie hätten stundenlang so zusehen können, weiter hatten sie ja nichts zu tun, und dabei konnte ja auch gesprochen werden.

»Wenn Sie sich reisefertig bei mir an Bord befinden, dann sollen Sie den Inhalt der Kiste sehen, und dann werden Sie auch erfahren, wer ich bin,« wiederholte der Kapitän, alle Fragen beantwortend.

»Dann werden Sie auch Ihre Maske abnehmen?«

»Jawohl, auch das, sobald Sie reisefertig auf der Heliotrop sind.«

Plötzlich sah man, wie auf der Heliotrop eine weiße Rauchwolke aufstieg, obgleich sie nicht mit Dampfkraft fuhr; schnell verringerte sich die Fahrt, bis sie ganz still lag, die Matrosen liefen an Deck hin und her.

»Da ist ein Unglück geschehen!« rief der Kapitän unruhig.

»Sie zeigt Flaggen! Sie setzt ein Boot aus!«

»Sie bittet eine andre Jacht, sie in den Hafen zu schleppen,« erklärte der Kapitän. Er wollte fort, besann sich aber, blieb am Fenster stehen. Ein Boot, in welchem man den zweiten Steuermann erkannte, schoß wie ein Pfeil dem Ufer zu, es mußte eher an Land sein als der besorgte Kapitän am Hafen, der Offizier mochte wissen, wo sich dieser jetzt befand, jedenfalls schien der Kapitän die Meldung hier erwarten zu wollen, und er zeigte männliche Fassung.

»Dachte ich's doch! Ob nicht der Steuerbord-Zylinder gesprungen ist,« hörten die ihm Zunächststehenden ihn nur murmeln.

»Lord Rogers Jacht fährt schon hin!«

Des Lords Jacht hatte zufällig Dampf aufgemacht gehabt und befand sich bereits unterwegs, der Kollegin zu Hilfe zu kommen. Die Entfernung war nur eine geringe, in einer Viertelstunde konnte die Heliotrop schon wieder im Hafen liegen.

Unterdessen hatte das Boot das Ufer erreicht, der zweite Steuermann sprang heraus und eilte, rannte direkten Weges auf dieses Hotel zu. Zwei Minuten später stürmte er durch die geöffnete Tür.

»Kapitän, der Steuerbord-Zylinder ist geplatzt, und die Schraubenwelle ist glatt abgebrochen.«

»Ist jemand verunglückt?« war des Kapitäns erste, besorgte Frage, was ihm dann später, als der Fall in Monte Carlo bekannt war, sehr hoch angerechnet wurde.

»Niemand.«

Nun erst stampfte der Kapitän etwas mit dem Fuße auf.

»Sofort nach Marseille telegraphieren,« sagte er dann, »an die Werft! – Na, meine Damen,« wandte er sich an diese, »nun haben Sie mindestens noch sechs Wochen Zeit, Ihren Entschluß zu überlegen, ob Sie mit mir kommen wollen oder nicht, und vielleicht muß gar ein Ingenieur aus Sydney kommen, dann aber vergeht ein halbes Jahr.«

Jetzt benahmen sich die Damen so, als hätten sie sich soeben an Bord begeben wollen, und durch dieses Unglück wäre nun in letzter Minute alles zu Wasser geworden. Der Saal hallte wider von ihrem Jammern.

»Vielleicht ist es aber gerade recht gut, daß wir die Abfahrt so lange hinausgeschoben haben,« tröstete endlich eine, »sonst säßen wir jetzt mit gebrochener Schraube auf offener See.«

»O, einmal draußen, wollten wir schon weiterkommen. Meine Jacht ist doch voll getakelt, sie segelt auch ganz ausgezeichnet.«

»So? Warum ist sie denn da jetzt nicht allein zurückgesegelt?«

»Sehr einfach,« lachte der Kapitän, »weil kein Sterbenshauch von Wind weht. Ohne Wind kann sie natürlich nicht segeln.«

»Könnten Sie nicht einen andern Dampfer ...«

»Halt!« ließ sich da der Pompadour durchdringende Stimme vernehmen. »Kapitän, Sie haben doch gesagt, wenn wir uns reisefertig an Bord der Heliotrop befänden, dann wollten Sie uns den Inhalt der Kiste zeigen.«

»Jawohl, das habe ich Ihnen sogar einige hundertmal gesagt.«

»Gut, wir nehmen Sie beim Wort!« rief die Pompadour mit leuchtenden Augen. »Wir sind reisefertig, wir wollen an Bord, jetzt gleich! Nicht wahr, meine Damen?«

Wohinaus die Pompadour wollte, erkannten die Damen sofort, das war ein schlauer Plan, und alles stimmte jubelnd in die Forderung der Führerin ein.

»Jawohl, wir sind reisefertig, wir wollen an Bord der Heliotrop! Kapitän, Sie müssen Ihr Wort halten – jetzt müssen Sie uns zeigen, was in der Kiste ist!«

Zu sehen war des Kapitäns Gesicht ja nicht, aber eine Bewegung drückte seine Bestürzung aus.

»Nein, o nein, meine Damen, auf solche Spitzfindigkeiten lasse ich mich nicht ...«

»Kapitän, sind Sie ein Kavalier? Geben Sie so wenig auf Ihr Manneswort? Bringen Sie uns an Bord, schnell, schnell, wir sind fix und fertig zur Abreise!«

»Aber Ihre Koffer ...«

»Ach was, Koffer! Jetzt macht man Reisen um die Erde nur mit dem Hemd, das man anhat! – Oder, wir holen schnell unser Gepäck. – Gut, können wir auch tun! – In einer halben Stunde sind wir wieder hier. – Aber der Kapitän muß einstweilen hierbleiben. – Ach, Kapitän, geben Sie sich doch gefangen! Zeigen Sie uns doch die Kiste gleich so. – Kapitän, Ihr Wort müssen Sie halten!!«

So scholl es durcheinander.

»Gut, Sie haben mich gefangen,« lachte er endlich ärgerlich hinter der Maske. »Meinetwegen denn, Sie sollen den Inhalt der Kiste schon jetzt zu sehen bekommen, in betreff meines Wortes bin ich sehr penibel. – Aber,« fuhr er mit erhobener Stimme ernst fort, »wenn Sie mich jetzt auf diese Weise beim Worte nehmen, auf Ihrem Willen bestehen, so werde ich mich dann später, wenn die Heliotrop wieder so weit ist, auch nach andern Begleiterinnen umsehen.«

Das war den Damen jetzt ganz gleichgültig, an die Zukunft dachten sie überhaupt niemals.

»Die Kiste, die Kiste!! Ach, Herr Kapitän, Sie sind ja gar kein so schlechter Mensch! Sie nehmen uns später doch mit! Aber jetzt wollen wir an Bord, jetzt müssen Sie Ihr Versprechen einlösen!«

»Gut, so kommen Sie gleich mit!«

Mit grenzenlosem Jubel folgten die Damen dem Vorausgehenden. Jetzt hatten sie ihn gefangen!

Noch keine hatte die Heliotrop betreten. Einmal wurden die Damen auch von einer gewissen Scheu abgehalten, an Bord seines Schiffes wäre man ja dem Kapitän, von dem man noch gar nicht wußte, wer er war, auf Gnade und Ungnade verfallen, eine einzelne Dame oder zwei oder auch drei hatten eine solche Einladung, die Jacht zu besichtigen, ganz sicher abgeschlagen, es war doch nicht recht geheuer – aber die Heliotrop durfte überhaupt von keinem fremden Menschen, betreten werden. Es war verboten. Es mochte ein ehernes Gesetz sein. Der Kapitän war von vielen Herren schon oft vergebens darum gebeten worden, aber nicht einmal Lord Roger war bisher darauf gekommen, mit dem er doch am freundschaftlichsten verkehrte.

Jetzt in solcher Menge, Arm in Arm, in geschlossener Reihe, da kannten die Damen keine Furcht.

Die Heliotrop war von Lord Rogers Jacht hereingeschleppt worden, sie lag, vom Schlepptau schon wieder befreit, in der Mitte der Bucht. Die Anker schien sie noch nicht ausgeworfen zu haben. Das hatte auch Zeit, nachdem sie einmal zur Ruhe gekommen war. Es herrschte völlige Windstille. Die Wasseroberfläche war glatt wie ein Spiegel, und Strömungen gibt es hier ebensowenig wie Ebbe und Flut. Wenigstens ist von den Gezeiten mit den Augen gar nichts zu bemerken.

Lord Roger hatte am Ufer gestanden, er sah die vielen Damen kommen, an der Spitze den Kapitän, er ging ihnen mit verwundertem Gesicht entgegen.

Der Kapitän gab ihm eine Erklärung, in was für eine Falle ihn die Damen gelockt hätten.

»Da brauchte ich mein Wort doch eigentlich nicht zu halten,« sagte er noch am Hafen.

»Jawohl, das müssen Sie – wir sind reisefertig, wir wollen an Bord, um nach der Südsee zu fahren,« erklang es einstimmig im Chor. »Wenn Ihr Schiff kaputt ist, dafür können doch wir nichts.«

»Ach, Kapitän,« rief Lord Roger, »da gehe ich auch gleich einmal mit!«

»Mylord, Sie wissen doch – so leid es mir tut – es dürfen keine Fremden ...«

»Was, Sie wollen es mir abschlagen? Ich gehöre doch überhaupt mit zu der Partie.«

»Jawohl, Lord Roger muß auch mit!« stimmten gleich wieder die sehr ausgelassenen Damen ein, und die Begleitung des Lords war auch eine Sicherheit für jeden unvorhergesehnen Fall.

Der Kapitän gab sein Weigern auf. Er blickte nach seiner Jacht, hob wiederholt beide Arme hoch, um auf sich aufmerksam zu machen, der erste Steuermann trat auf die Back, hob ebenfalls beide Arme, so ein V machend, das Verstandenzeichen in dieser Sprache, und der Kapitän semaphorierte mit den Armen einige Befehle hin. Das geht noch schneller als das Telegraphieren.

Sofort wurden sämtliche Boote ins Wasser gelassen. Das kleine Motorfahrzeug war schon unterwegs. Sämtliche Damen konnten gleichzeitig an Bord gebracht werden, begleitet von Lord Roger.

In weihevoller Stimmung betraten sie das schneeweiße Deck, ein parkettierter Tanzboden, nur nicht gewachst. Es war immerhin ein Ereignis, dieser Besuch auf der Heliotrop.

Der Kapitän zeigte ihnen an Deck dies und jenes. Das war alles sehr interessant. Hier sah doch manches anders aus als auf einem Kauffahrer und selbst auf einem Kriegsschiff, alles so nett, so zierlich – aber ... die Kiste, die Kiste!!

»Sogleich, meine Damen! Wollen Sie sich in die Kajüte begeben?«

Als sich die Damen aber unter Deck befanden, vergaßen sie wirklich die geheimnisvolle Kiste. Sie hatten schon manche Jachteinrichtung gesehen, doch eine solche noch nicht.

Diese Geldfürsten, besonders die amerikanischen, verwenden auf ihr liebstes Spielzeug, ihre Jacht, einen fabelhaften Luxus. Da können die wirklichen Fürsten nicht mit. Nun ist allein auch schon die Zierlichkeit solch einer Jachteinrichtung so reizend. Da kann man immer und immer wieder untersuchen, man wird nie fertig. Immer wieder findet man etwas Staunenswertes. Solch ein Krösus bezahlt extra einen erfindungsreichen Kopf, der allein aushecken muß, wie der kleinste Gegenstand unterzubringen ist. Auf solch einer Jacht gibt es auch keinen solchen, der nicht noch irgend etwas in sich birgt. Alles ist hohl: alles läßt sich öffnen; überall kann man etwas herausnehmen! Volle Tisch- und Stuhlbeine wären hier ein unerlaubter Luxus. Tisch- und Stuhlbeine sind Futterale, um darin irgend etwas aufzuheben. Selbst die Messergriffe sind zu öffnen, sie enthalten etwa die kleinen Dessertlöffel.

Da hat ja ein phantasievoller Kopf freien Spielraum zum ›tüfteln‹.

Die Damen untersuchten denn auch alles, drückten und zogen an allem und freuten sich, wenn sie ein Geheimnis aus eigner Kraft entdeckt hatten.

In der großen, im hintern Teil gelegenen Kajüte trafen sie alle wieder zusammen.

»Wo sind denn nun die Kabinen, in denen wir schlafen sollten? Von so viel Räumen ist doch gar nichts zu bemerken?«

Nein, auf 36 Passagiere ist eine solche Jacht nicht eingerichtet, wenigstens nicht auf die gedachte Weise!

Der Kapitän griff an die Wand des Salons und zog Seitenwände hervor. Er griff noch einmal daran, und ein Bett kam zum Vorschein. Unter seinen Händen quollen Polster und Decken hervor, und so konnte der ganze große Salon in lauter kleine, kosige Schlafboudoirs verwandelt werden. Ein andrer Griff, und die Bordwand verschluckte alles wieder.

»Aber nun, Herr Kapitän, Sie wollten uns doch die Kiste zeigen!«

»Wohl, jetzt ist die Zeit dazu. Jetzt sollen Sie hier in der großen Kajüte etwas erleben und zu sehen bekommen, was Sie niemals erwartet haben. Wollen Sie sich etwas hier in den Hintergrund stellen, es muß in der richtigen Beleuchtung geschehen.«

Die Damen folgten der Aufforderung, stellten sich auf die bezeichnete Seite.

»Schließt die Bollaugen!« kommandierte der Kapitän.

Bollaugen heißen die runden Schiffsfensterchen, mit einem Deckel wasserdicht verschließbar. Im hintersten Teile, über dem Steuerruder und der Schraube, befanden sich zwei sehr große, weite Aussicht nach hinten gewahrend. Man blickte jetzt gerade auf das wie ein Amphitheater aufsteigende Monte Carlo, mit dem Prachtbau des Kasinos darunter.

Diese beiden großen Fenster wurden wie die kleinen von den im Salon anwesenden Stewards und Matrosen mit den eisernen Deckeln verschlossen, es ward stockfinster.

»Warum machen Sie es denn ganz dunkel?« wurde etwas ängstlich gefragt.

»Das muß sein, das erhöht den Effekt. Fürchten Sie sich? Das brauchen Sie an Bord meines Schiffes nicht, kein Haar wird Ihnen gekrümmt.«

Einige Minuten vergingen in dieser Stockfinsternis, verbunden mit Todesschweigen. Die Damen warteten auf den Anblick der Kiste, vielleicht erschien sie plötzlich unter Donnerschlag und bengalischer Beleuchtung, und den Damen wurde unheimlich zumute. Die Kiste hatte doch gerade wie ein Sarg aus gesehen ...

Es war also eine Nachmittagsstunde; auf der Kasino-Terrasse spielte die Kapelle, deutlich drangen die Töne der Musik hierherein.

»Kennen Sie dieses Lied?« ließ sich da des Kapitäns Stimme in der Nacht vernehmen.

Es war eine sehr hübsche Weise, sie wurde leiser und leiser.

»Nein. Was ist das für ein Stück?«

»Es ist ein deutsches Lied, und ich habe es extra für diese Minute bestellt, wenn sich die Damen bei mir an Bord befinden und wenn es so weit ist, daß ich die Kiste aufmache.«

Und des Kapitäns schöne Baritonstimme begann zu der immer mehr verklingenden Musik zu singen:

»Muß i denn, muß i denn zum Städtle hinaus,

Neben der Pompadour hatte vorhin der dicke Wilm gestanden, auf die Befehle des Kapitäns achtend, die Pompadour wußte ganz genau, daß dieser Matrose noch jetzt neben ihr stand, und wie der Kapitän mit dem Singen so weit gekommen war, legte sich plötzlich sans façon ein kräftiger Männerarm um ihre Taille, drückte sie etwas herzhaft, und eine zweite Männerstimme sang leise mit, wie für sie bestimmt:

» ... Städtle hinaus,

Ehe die Pompadour noch wußte, was sie davon denken sollte, daß der häßliche Matrose die künstliche Finsternis dazu benutzte, um seinen Liebesgefühlen heimlichen Ausdruck zu geben – ehe sie noch wußte, wie sie sich dazu verhalten sollte, denn das ist an Bord eines Schiffes immer eine fatale Geschichte, man fühlt sich so in der Macht der Besatzung – ehe die Pompadour also einen Gedanken finden konnte, erscholl wieder des Kapitäns Stimme:

»Bollaugen auf!!«

Im Nu flogen die eisernen Deckel zurück, aber nur die von den beiden großen, hintersten Fenstern, und ...

»Meine Damen, da haben Sie die Kiste!«

»Siehst de, da ist die Kiste!« setzte Wilm noch erläuternd hinzu, allerdings den dreisten Arm zurückgezogen habend, aber dafür im ganzen Gesicht grinsend.

Ja, die Damen sahen allerdings etwas, was sie nicht erwartet hatten – die Häuser von Monte Carlo waren schon weit, weit zurückgetreten, es waren nur noch weiße Punkte.

Da ging den Damen eine fürchterliche Ahnung auf – deshalb also wurde die Musik immer leiser und leiser, und die meisten verstanden auch Deutsch – und ein einziger Schrei gellte von ihren Lippen.

»Wir fahren!!«

»Jawohl, meine Damen,« sagte der Kapitän gelassen, »wir sind bereits unterwegs nach der Südsee. Gepäck hat man ja, wie sie sagten, heutzutage nicht mehr nötig, das Hemd, welches man anhat, genügt. Ich danke Ihnen, meine Damen, daß Sie mich so willig begleitet haben und ...« er machte sich an seiner Maske zu schaffen, »und nun wollte ich Ihnen doch auch mein Gesicht zeigen und Ihnen meinen Namen nennen ...«

Die Maske fiel, die zu Statuen erstarrten Damen sahen ein schönes, etwas verwegenes Abenteurergesicht mit schwarzem Knebelbart. Es lächelte spöttisch, wie sich der Kapitän hoch aufrichtete und sagte:

»Ich bin Karabaß, der Schwarzkopf!!«

 

Karabaß, der Schwarzkopf!

Wohl jeder hat schon von den sogenannten Barbareskenstaaten gehört, umfassend Marokko, Algier, Tunis und Tripolis. Diese Staaten haben sich vom elften Jahrhundert bis in die Mitte des neunzehnten immer schlecht und recht von Seeräuberei ernährt. Das Schiff, welches im Mittelmeere von ihnen aufgebracht wurde und keinen von ihnen ausgestellten Schutzbrief besaß, wofür natürlich Steuern zu zahlen waren, das wurde als Beute genommen, die Besatzung kam in die Sklaverei - übrigens eine sehr milde Sklaverei.

Zuerst waren die europäischen Mächte ganz machtlos diesem Unwesen gegenüber, und bis zum Jahre 1830 haben sie trotz aller ihrer Kriegsschiffe und Kanonen ruhig zugesehen. Noch immer mußte jeder Kauffahrer entweder Tribut zahlen, oder er setzte sich der Gefahr aus, gekapert zu werden – noch im Jahre 1830!! Das machte nämlich, diese Barbareskenstaaten standen, wenigstens dem Namen nach, unter der Oberhoheit der Türkei, welche damals als Kriegsmacht sehr gefürchtet wurde. Nur die Türkei hatte das Recht, diesem Unwesen ein Ende zu machen, und das wollte sie nicht, weil sie in den Barbareskenstaaten die beste Marine hatte, deren Unterhaltung ihr gar nichts kostete. Denn im Kriegsfalle hätten sich die Piratenflotten für die Sache der Türkei zur Stelle gemeldet.

Im Jahre 1830 fing Frankreich endlich an, aufzuräumen, und nach der Einnahme von Algier 1836 war es mit der Macht der Barbareskenstaaten für immer vorbei. Nur noch versprengte Piratenanführer, die irgendwo Verstecke hatten, trieben nach wie vor ihr Unwesen, und so ist es ja noch heute. An der nordafrikanischen Küste kann man keine Segelpartie machen. Da wird man aufgegriffen und verschwindet, und wer in jenen Gegenden gewesen ist, der lacht über die Behauptung, daß es heutzutage keine Sklaverei mehr gäbe. Selbst große Segelschiffe werden noch heute oft genug von arabischen Piraten angegriffen, und sind Frauen darauf, so verschwinden diese womöglich in den Harems des europäischen Konstantinopel.

Der letzte maurische Piratenkapitän nun, welcher auf eigne Faust gegen Frankreich einen förmlichen Krieg führte, hieß Karabaß, ein türkisches Wort, welches ›Schwarzkopf‹ bedeutet. Endlich bekam man ihn, er wurde im Jahre 1841 zu Marseille hingerichtet. So lange hatte er den französischen Kapitänen zu schaffen gemacht, und zwar tüchtig.

Wie nun die deutsche Volksliteratur ihren bayrischen Hiesel hat, den Schinderhannes, den Klaus Störtebeker und den italienischen Rinaldo Rinaldini, so die französische Literatur ihren Cartouche und den noch neueren Karabaß.

Er ist der stereotype Held von Jugendschriften und Volksromanen. Er braucht ja nicht hingerichtet worden zu sein, die Geliebte hat ihn gerettet, und wenn man diesen zahllosen Büchern, die natürlich nur wahre Geschichten erzählen, Glauben schenkt, so muß dieser Karabaß ein ganz mordsmäßiger Kerl gewesen sein, ein Held vom Scheitel bis zur Sohle, in einer andern Weise wieder ein ganz raffinierter Don Juan, und die französischen Jungen spielen ›Karabaß‹ und nehmen sich vor, auch solch ein edler Seeräuber zu werden, der nur die Reichen plündert und die Armen beschenkt, und die französischen Dienst- und Fabrikmädchen weinen sich die holden Äuglein wund und schreiben an den Verlag, ob er ihnen nicht Karabassens Adresse mitteilen könne. Er soll kein Maure, sondern ein Franke gewesen sein, welcher selbstverständlich durch ein grausames Schicksal, in dem noch viel selbstverständlicher die Liebe die Hauptrolle spielt, auf die bluttriefende Bahn des Piratenhandwerks getrieben wurde. Aber existiert hat er, daran ist kein Zweifel, und jeder Franzose kennt ihn so gut, wie jeder Deutsche den Schinderhannes und den Rinaldo Rinaldini.

»Ich bin Karabaß, der Schwarzkopf!!«

Alles war vor Schrecken erstarrt. Dieses Gesicht paßte nämlich auch so gut. Gerade so sah er auch immer auf den Bildern aus, natürlich, so ein schwarzknebelbärtiges, brünettes, verwogenes Abenteurergesicht mit großen Augen – wirklich ein schöner Mann!

Und nun war ja auch noch nicht einmal der erste Schreck verdaut, nämlich daß sich die Heliotrop in voller Fahrt befand, daß man sich schon weit entfernt von Monte Carlo befand, und das war eine Tatsache, die man nicht für eine Vision halten durfte, die weißen Häuser waren ja kaum noch zu erkennen – und eben jetzt sauste man wie ein Pfeil an einem Segelschiff vorbei.

Die Länge solch einer Zeit, da man vom Schreck beherrscht wird, ist nicht zu messen. Die Damen glaubten dann, es sei eine Ewigkeit vergangen, ehe Lord Roger als der erste einer Handlung fähig war, und er hatte es doch im nächsten Augenblick getan. – Er hatte plötzlich einen Revolver in der Hand und schlug ihn auf den Kapitän an.

»Augenblicklich lassen Sie beidrehen, Kapitän!« donnerte er.

Da stand mit einem katzenartigen Sprunge schon Wilm neben ihm, schlug die Waffe hoch und packte gleichzeitig das Handgelenk, um ihm die Waffe zu entwinden – aber zu spät! Als sich der Revolverlauf noch in Visierlinie mit des Kapitäns Brust befand, war ihm schon ein krachender Feuerstrom entquollen.

»Faßt ihn!!«

Ein kurzes Handgemenge, und der von Matrosenfäusten gepackte Lord lag hilflos auf dem Diwan: im Nu war er an Händen und Füßen gebunden.

Allein der Kapitän stand – stand wie ein Mann! Er hatte nur eine schnelle Bewegung nach dem linken Oberarm gemacht.

Der krachende Schuß und überhaupt der ganze Vorgang hatte die Damen aus ihren Träumen gerissen. Ja, das war furchtbare Wirklichkeit!

»Gnade! Erbarmen!«

Viele Damen lagen gleich auf den Knien, andre erinnerten sich auch jetzt noch der Hauptwaffe des Weibes, sie gingen dem Manne lieber um den Bart.

»Ach, mein lieber Kapitän, was haben wir denn getan – seien Sie mit uns Arnen doch nicht so grausam – bringen Sie uns doch wieder zurück – ach, Sie machen doch überhaupt nur Spaß, nicht wahr?« So schmeichelte und bettelte es von allen Seiten, und eine und die andre zarte Hand ging ihm wohl auch wirklich um den Bart.

»Aber, meine Damen,« lachte der schöne Pirat jetzt heiter, »Sie waren, doch bereit, mit mir zu kommen, Sie gingen doch reisefertig an Bord! Wie oft haben Sie das nicht wiederholt, und Gepäck und Garderobe brauchten Sie nicht – was wollen Sie denn da jetzt eigentlich?«

»Aber wir dachten doch, die Heliotrop wäre kaputt, sie könnte nicht fahren! Ach, Kapitän, Sie machen ja überhaupt nur Spaß!«

»Nein, meine Damen, ich mache wirklich keinen Spaß, jetzt begleiten Sie mich nach meiner Insel. Ich will Ihnen aber ein Geständnis ablegen. Die ganze Sache war von mir seit langer Hand vorbereitet. Ihrem Zögern mußte endlich ein Ende gemacht werden. Wenn Sie alle es sehen konnten, dann sollte die Heliotrop einmal hinausfahren und ein Unglück heucheln, sich wieder zurückschleppen lassen, dann sollte mir ein Offizier die Meldung bringen, die Jacht sei manövrierunfähig – also alles so, wie es denn auch geschehen ist. Dann wollte ich Sie alle zusammen unter irgend einem Vorwand an Bord locken, ich dachte auch sehr lebhaft an die Kiste. Nun, meine Damen, ich bin Ihnen sehr verbunden, Sie sind mir in jeder Weise entgegengekommen – entschuldigen Sie, ich muß erst ein Wort mit Seiner Herrlichkeit sprechen. Was ist denn mit dem los?!«

Der Kapitän hatte sich gebückt, wie er überhaupt schon immer mit den Augen am Boden gesucht hatte, die Damen sahen, wie er eine kleine, plattgedrückte Bleikugel aufhob, er zeigte sie den Damen auch noch.

»Hier, die war für mich bestimmt, und ich habe sie auch tüchtig zu fühlen bekommen. Ich hörte sie aufklatschen, wahrscheinlich dort gegen die Stahlplatte, und dann prallte sie gegen meinen Arm. – Aber, Mylord,« wandte er sich an den auf dem Diwan Liegenden, »was fällt Ihnen denn plötzlich ein, so ohne weiteres auf mich zu schießen?!«

»Kapitän, auf Ehrenwort, ich habe es nicht gewollt! Daß ich den Revolver hervorriß, das war nur eine Impulsbewegung, ich dachte im Augenblick an ein mir auf Sicilien passiertes Abenteuer, an einen Räuberüberfall – weiß Gott, ich wußte nicht, was ich tat – und ich habe auch gar nicht abgedrückt, die Hand wurde mir hochgeschlagen, der Revolver muß von selbst losgegangen sein. Kapitän, wahrhaftig, ich war blind ...«

»Schon gut, schon gut, Mylord!« lachte der Kapitän. »Ich nehme es Ihnen auch nicht mehr übel. Es ist noch gut abgegangen, ich habe nur einen Prellschuß an den linken Arm bekommen, es wird einen blauen Fleck gegeben haben. Ein Glück nur, daß gerade ich die Kugel aufgefangen habe. Ich wäre untröstlich, hätte eine der Damen an Bord meiner Jacht auch nur einen blauen Fleck davongetragen.«

Aaaah, das klang beruhigend!! Alle Damen atmeten hörbar auf. Auch als Karabaß war er ja noch immer ein Kavalier, besonders gegen Damen.

»Was Teufel, Sie sind wohl gebunden?!« rief der Kapitän bestürzt. »O, das wollte ich nicht! Ich bitte um Verzeihung, Mylord.«

Er hätte die Knoten auch lösen können, aber er zog es vor, in seiner Hand einen großen arabischen Dolch blitzen zu lassen, mit dem er die Stricke durchschnitt.

Der Lord stand phlegmatisch auf und reckte die Glieder.

»Kapitän, Sie sind ein Teufelskerl!«

»Wollen Mylord an Land gesetzt werden? Ich würde auf Nizza zuhalten, das Motorboot bringt Sie an Land.«

»Warten Sie! Sie treten jetzt wirklich die Reise nach Ihrer Insel an?«

»Haben Mylord gehört, was ich soeben zu den Damen sagte? Es ist mein völliger Ernst. Ich habe dem Zaudern der Damen ein Ende gemacht, zwar mit etwas Gewalt, aber ihr Wunsch war es ja doch, mich zu begleiten. Ich hinterlasse in Monte Carlo wohl verschiedenes, aber weder Schulden noch Leute von mir. Es war eben alles vorbereitet. Selbst an die zurückgebliebenen Pferde habe ich gedacht, daß sie nicht verhungern.«

» Well, dann komme ich auch gleich mit!« sagte der Lord.

»Aber mich bringen Sie wieder an Land!« flehte eine Dame händeringend. »Ach was, jetzt kommen wir auch gleich mit!« riefen dagegen die andern Damen, und schon konnten sie wieder lachen.

»Ich meine ja auch nur,« setzte jene hinzu, »damit ich noch meine Garderobe holen kann.«

Also keine einzige Dame faßte jetzt noch den Fall tragisch auf. Nein, das war ja ein reizendes Abenteuer! Gerade so recht nach ihrem Geschmacke! Sie hatten nur in das Wasser geworfen werden müssen, dann merkten sie, daß das Wasser ja gar nicht kalt war, jetzt fühlten sie sich wohl darin und plätscherten lustig herum.

Und nun gar noch der berühmte Karabaß!? Ach, das war eine herrliche Überraschung, die Damen bekamen eine wunderschöne Gänsehaut!

»Sind Sie wirklich Karabaß, der Schwarzkopf!? Ach das ist ja gar nicht möglich! Der ist doch in Marseille aufgeknüpft worden! Oder das müßte jetzt doch schon ein uralter Mann sein!«

»Jawohl, meine Damen, nun fangen Sie mal wieder so an! Ich stelle mich Ihnen vor, lüfte die Maske, alles, wie Sie verlangen – und nun glauben Sie es wieder nicht. I, da lassen Sie es doch bleiben! Mir tun Sie keinen Gefallen, wenn Sie es glauben. Nur hören Sie mit solchen Worten auf: ach, das ist ja gar nicht möglich!! Dann ist es eben nicht möglich! Mir ganz gleichgültig! Die Hauptsache ist für mich, daß ich Sie an Bord habe.«

Die Damen wurden nachdenklich. Wirklich, es hatte keinen Zweck, dieses ewige Zweifeln. Sie hatten doch schon Sachen erlebt, welche sie sich nicht erklären konnten.

»Und Sie haben sich jetzt nach einer Insel in der Südsee zurückgezogen?« hieß es dann.

»Nein. Da habe ich die Unwahrheit gesprochen. Ich habe gar keine Insel in der Südsee ...«

»Ooohh,« erklang es sofort bedauernd, » ... das wäre doch so schön gewesen!«

»Bitte. Lassen Sie mich aussprechen! Es erwartet sie dennoch dieselbe Romantik. Ich entkam aus dem Kerker in Marseille, ein andrer wurde für mich hingerichtet. Alle über mich geschriebenen Geschichten und Romane können nur rein erfunden sein, dennoch kommen sie in vielen Fällen der Wahrheit sehr nahe. Ich entkam also, sammelte einige meiner versprengten Gefährten wieder um mich und zog mich in ein nur mir bekanntes Versteck zurück. Dort hause ich noch jetzt. Das ist meine ganze Geschichte ...«

»Wo ist dieses Versteck?«

»An der marokkanischen Küste. Dorthin bringe ich Sie, und sonst bleibt es auch alles bei dem, wie ich Ihnen geschildert habe. Sonst ändert sich auch gar nichts daran. Nur daß wir schon in drei Tagen dort sind, und Sie werden Wunder erleben!«

Die Damen atmeten abermals hoffnungsfreudig auf. Gott sei Dank, es blieb alles beim alten!

»Es ist auch eine Insel?«

»Eine vollkommene Insel. Aber die Seefahrer halten sie für einen unzugänglichen Felsenberg, dessen gefährliche Nähe sie ängstlich meiden. Es ist jedoch nur ein hohes Randgebirge, welches ein fruchtbares, schönes Land ringsherum einfaßt, unübersteigbar, und nur ich kenne den Eingang – es gibt sogar eine Einfahrt, ich kann mit dieser Jacht hinein, freilich nur mit herabgeklappten Masten. Und niemand, niemand in der Welt hat eine Ahnung, was dieser mächtige Felsen für Geheimnisse in sich schließt. Sie werden jetzt alles zu schauen bekommen.«

Herrlich! Das wurde immer herrlicher! Das war doch noch viel schöner, als wenn sie erst nach der Südsee hätten fahren müssen. Hier wurde ihre Geduld nicht auf eine so lange Probe gestellt, abgesehen von der Annehmlichkeit der kürzeren Reise, die sie ohne jegliche Garderobe machten. Und der hohle Felsenberg war überhaupt noch viel romantischer als die einsame Koralleninsel.

»Wie ist denn nun aber das mit Hiran Singh?« wurde dann weiter gefragt.

»Es bleibt alles, alles beim alten. Nur die geographische Lage ändert sich. Der Indier kam eben nicht in der Südsee, sondern hier im Mittelmeer als Schiffbrüchiger zu mir. So in aller Welt herumgejagt hat er mich dann aber doch ...«

»Jawohl, Lord Roger hat Sie ja auch in Kolombo und in Buenos Aires gesehen.«

»Gewiß, wie ich sage,« bestätigte Karabaß, während sich der Lord an seinen Fingernägeln zu schaffen machte. »Zuletzt mußte ich nach Monte Carlo kommen. Das war für mich sehr nahe, aber etwas gefährlich. Ich vertraute mich dem Fürsten von Monaco an. Eigentlich war ja meine Schuld gesühnt. Karabaß ist tot. Well, der Fürst kam mir entgegen. Da aber mein Porträt sehr bekannt ist, und ich nach der Behauptung des Indiers gerade wieder so aussehen würde wie in meinen jungen Jahren, mußte ich doch vorsichtig sein, und der Fürst selbst schlug vor, ich solle doch lieber eine Maske tragen. Ich könne mich, wenn ich die neue Jugend genießen wolle, nach Belieben in seinem Fürstentume aufhalten. Nun war aber doch viel Fremdes an mir. Ich konnte ja nicht einmal einem Frager antworten, wo ich die Motorjacht habe bauen lassen. Und nun gar die Maske! Kurz, ich deutete ein Geheimnis an, um dadurch am sichersten von der richtigen Spur abzulenken. Hätte ich von einer Insel an der nordafrikanischen Küste gesprochen, so wäre man vielleicht gleich auf den Verdacht gekommen, es mit dem Piraten Karabaß zu tun zu haben. – Nun, meine Damen, ich hoffe, Sie lassen sich durch diese Vorstellung nicht beirren. Sie haben es nach wie vor mit einem Kavalier zu tun. Es tut mir nur sehr leid, daß die Vorstellung gleich mit solch einem Knalleffekt stattfand.«

»Das war ja meine Schuld, ich war von Sinnen,« brummte der Lord.

»Haben Sie sonst noch eine Frage? Wenn nicht, dann wollen wir uns an Deck begeben, damit hier einstweilen der Teetisch gedeckt werden kann, und Sie werden sehen, daß ich auch einen Pariser Konditor an Bord habe. Ich war meiner Sache, daß die Abreise heute doch noch stattfand, so sicher, daß ich ihm für diese Stunde gleich besondere Aufträge gegeben habe.«

»Sie sind doch kein Araber.«

»Nein. Auch hierin kommen die Erzählungen über mich der Wahrheit ziemlich nahe. Ich bin ein Franke. Nein, mein Vater war ein Deutscher. Aber meine Mutter war eine Araberin.«

»Wo ist denn jetzt Raoul?«

»Natürlich hier bei mir an Bord.«

»Wer ist dieser Knabe?«

»Das, meine Damen, darf ich wirklich nicht verraten. Ja, vielleicht, wenn Sie die Hauptprüfungen zur vollständigen Aufnahme bestehen würden, dann allerdings würden Sie auch dies erfahren.«

»Was für Hauptprüfungen?«

»Nun, Sie werden doch nur den Prüfungen unterworfen, nach deren Bestehen Sie als Gast aufgenommen sind und als Gast die Insel besehen dürfen. Alle meine Leute aber, welche dann mit Leib und Seele mir und meiner Insel gehören, werden noch ganz andern Prüfungen ausgesetzt, und wenn sie die bestanden haben, dann gibt es keine Rückkehr mehr.«

»Könnten wir denn gegebenenfalls für immer auf der Insel bleiben?«

»Gewiß, warum nicht?«

Aaahh! An eine solche Möglichkeit hatten die Damen nämlich noch gar nicht gedacht!

»Kapitän, ich bleibe für immer bei Ihnen!!« erklang es sofort einstimmig im Chor.

»Das können wir später besprechen,« lächelte der schöne Seeräuber. »Erst bestehen Sie einmal die einfachen Bedingungen zur Aufnahme als Gast. Die andern Prüfungen sind nämlich sehr schwer, da geht es wirklich durch Feuer und Wasser, und würde ich auf solche Weise eine weibliche Bevölkerung für meine Insel suchen, ich würde sie niemals bekommen. – Nun, meine Damen, wollen wir uns jetzt nicht an Deck begeben? Es ist herrliches Wetter.«

Da fiel gleichzeitig mehreren Damen der Hauptzweck ein, weshalb sie denn an Bord gekommen waren, das böse Lockmittel des Kapitäns.

»Die Kiste! Die Kiste!! Sie wollten uns doch zeigen, was in der Kiste ist!«

»Jawohl, oben an Deck, jetzt sofort!«

Es ging hinauf. Es war ein prachtvoller Tag – das spiegelglatte, blaue Meer, der blaue Himmel, hier und da ein Segel, das Rauchwölkchen eines Dampfers, – aber das alles kann man ja auch von der Küste aus sehen, und den Damen war es jetzt um die schwarze Kiste zu tun.

Sie mußten einen Kreis bilden. Es ging alles ohne weitere Zeremonie vor sich. Zwei Matrosen brachten die lange, schwarz angemalte Kiste, eine ganz einfache, mit Handgriffen versehen, und setzten sie nieder.

»Also, meine Damen, Sie wollen wirklich sehen, was diese Kiste enthält?«

»Jawohl!«

»Gut. Ich löse mein Wort ein. Öffnet die Kiste und nehmt heraus, was darin ist!«

Die Matrosen schoben zwei Haken zurück, schlugen den Deckel hoch, die Damen sahen erst nur etwas Rotes, die Matrosen hoben es an Handgriffen heraus – wieder eine Kiste, nur rot angestrichen, welche genau in die schwarze hineinpaßte!

»So, meine Damen, ich habe hiermit mein Wort eingelöst, da sehen Sie den Inhalt der schwarzen, sargähnlichen Kiste, die rote Kiste bildet ihn.«

»Ja, was ist denn nun aber in der roten Kiste? Machen Sie auf!« riefen die Damen, freilich schon von einer schrecklichen Ahnung erfaßt, denn dieser Karabaß schien es faustdick hinter den Ohren zu haben.

»Was nun in der roten Kiste ist? Das erfahren Sie erst, wenn Sie auf meiner Insel sind. So lange müssen Sie sich gedulden.«

Als die schreckliche Ahnung zur Gewißheit geworden war und man auch noch einige grinsende Matrosengesichter sah, da wurden die Damen sehr böse.

»Nein, aber so eine Gemeinheit!!« hieß es erst, und dann suchten alle sich mit vereinten Kräften der roten Kiste zu bemächtigen, was ihnen freilich nicht gelang.

»O, o, o, meine Damen!« bedauerte der Kapitän. »Merken Sie denn noch gar nichts?«

»Nein, was denn? Daß Sie ein Fuchs sind und uns veralbern, ja, das merken wir.«

»Daß mit dieser Kiste schon die Prüfungen begonnen haben.«

Aha! Jetzt wurde man stutzig, da mußte man vorsichtig sein, und ungehindert ließ man die ziemlich schwere Kiste, wieder in der andern geborgen, forttragen. Da hieß es eben die Neugierde bezähmen. Solchen Prüfungen sollte man ja auch ausgesetzt werden, der Kapitän hatte es doch gleich gesagt.

Der Teetisch war gedeckt, und der Koch war wirklich ein ausgezeichneter Konditor, es gab die verschiedensten Torten, welche nicht mitgenommen sein konnten, weil sie erst gekühlt werden mußten, und dann aus der Form einen Truthahn aus Schokoladeneis. Das war ja etwas für die Damen, dazu nun noch zahllose Fragen, die Erwägungen, wie man jetzt wohl in Monte Carlo die Entführung der Schönsten der Schönen besprechen möchte, ohne welche Monte Carlo kein Monte Carlo ist. So verging der Rest des Tages unter Schwatzen und Lachen und Essen und Trinken, und als die Damen dann ihre Kojen aufsuchten, waren sie alle bezecht wie die Haubitzen und konnten nicht mehr allein hineinkommen. Dafür hatte schon der umsichtige Karabaß gesorgt.

Fast genau so verging der ganze andre Tag, immer schwatzen und lachen und essen und trinken. Es war eine fidele Reise. Man sah Schiffe, einmal auch Land, welches für die Balearischen Inseln erklärt wurde. Das stimmte, in der Richtung nach Marokko mußte man in die Nähe dieser Inselgruppe kommen.

»Wo ist denn nur Raoul?« hieß es mehrmals.

Der befände sich an Bord, aber es sei ein Grund vorhanden, daß er unsichtbar bliebe. Die Damen mochten es kaum glauben, daß der maskierte Knabe auf dem Schiffe sei; doch es ging überhaupt an Bord manchmal etwas geheimnisvoll zu. So z. B. hatten die Damen ja nun alle Räumlichkeiten des Schiffes kennen gelernt, nur zwei Türen blieben ihnen verschlossen, was ihnen natürlich ihr Evaherz zu brechen drohte.

Am Morgen des dritten Tages tauchte in der Ferne abermals ein grauer Nebelstreifen auf – die Küste von Nordafrika, speziell die von Marokko.

»Wir haben aber bei dem schönen Wetter eine gar zu schnelle Reise gehabt,« erklärte der Kapitän. »Wie ich Ihnen sagte, kann die Landung nur des Nachts stattfinden. Das muß natürlich sehr geheim gehalten werden, daß kein Schiff auf meine Jacht aufmerksam wird, und so müssen wir eben heute noch etwas spazieren fahren.«

Gut, dagegen war nichts zu machen! Der heutige Tag verging aber doch unter andern Gesprächen als die vorigen. Die Damen wurden von erwartender Spannung gepackt, und je näher der Abend rückte, desto mehr steigerte sich diese.

Gegen neun Uhr wurde in der Kajüte und in andern Räumen das Nachtmahl aufgetragen, aber ohne Wein. Dann durften sich die Damen wieder an Deck begeben. Es war eine Neumondnacht, sehr finster. Dies hatte ebenfalls in der Berechnung des Kapitäns gelegen.

Die Küste hatte man schon im Laufe des Tages außer Sicht verloren und auch nicht wieder zu sehen bekommen. Jetzt war ebenfalls nichts weiter zu erblicken als Wasser und einige Lichtchen von Schiffen. Um Mitternacht sollte die Landung geschehen.

Der Kapitän befand sich auf der Kommandobrücke, welche die Damen nicht betreten durften.

»Da, sehen Sie?! Er hat uns doch die Wahrheit gesagt. Der maskierte Knabe ist bei ihm, er muß lernen, wie man den versteckten Eingang zur Insel bei Nacht findet. Aber warum hält er den Knaben sonst nur immer so verborgen?«

Richtig, auf der Brücke stand plötzlich der maskierte Knabe. Man hörte seine helle Stimme, seinen fremdartigen Akzent.

Alles dies steigerte die Neugier der Damen natürlich erst recht.

Dann wurden sie aufgefordert, sich wieder hinab in die Kajüte zu begeben, das elektrische Licht brannte, aber die Bollaugen waren geschlossen und konnten ohne Schlüssel nicht geöffnet werden. Auch blieben zwei Stewards bei den Damen. Jetzt näherte sich also die Jacht, deren Fahrt man bei ruhiger See überhaupt nicht merkte, der Küste.

So waren zwei Stunden vergangen, als sich die Schiebetür öffnete und der Kapitän eintrat, gefolgt von einigen Matrosen.

»Fertig, meine Damen! Nun lassen Sie sich die Augen verbinden, gleich hier unten! Jede wird von einer Hand geleitet. Fürchten Sie nichts! Daß ich kein Unhold bin, haben Sie doch schon bemerkt. Also bitte, wir haben keine Minute Zeit zu verlieren!«

Es waren nicht nur Binden, sondern ganze Kappen, welche die Matrosen den Damen über die Köpfe stülpten, solche wie sie der Knabe trug, am Halse zu befestigen, aber ohne Augenlöcher, nur eine kleine Öffnung zum Atmen. Angenehm war das nicht, aber es war auszuhalten. –

Wir gehen mit der Madame Pompadour.

Sie hatte noch gesehen, wie auch dem Lord Roger eine Kappe über den Kopf gestülpt wurde, und dann widerfuhr ihr das gleiche. Ihre Hand wurde ergriffen, es war eine arbeitsharte Hand, natürlich die eines Matrosen – wessen, daß wußte sie nicht. Sie hatte nicht darauf geachtet, wer ihr die Kappe umlegte – sie ward die steile Kajütentreppe hinaufgeleitet. Jetzt ging sie mit tastendem Fuß über das Deck, die Hand hielt sie zurück, sie hörte mehrmals Angstrufe, und sie wußte sich diese zu deuten, als sie selbst das noch steilere Fallreep hinab ins Boot mußte. Das ist mit verbundnen Augen eine gefährliche Geschichte. Aber die See war ganz ruhig, und der Matrose verstand seinen Schützling zu führen und zu stützen.

Sie saß in einem schaukelnden Boot, ein leises Kommando, die Riemen arbeiteten, das Wasser rauschte, das Boot befand sich unterwegs.

Es war eine ziemlich lange Fahrt. Zehn Minuten dauerte sie mindestens, und da legt ein Boot eine bedeutende Strecke zurück.

Wieder leise Kommandos – das Boot stieß an etwas – es knirschte – es hielt!

»Jetzt sind wir an Land,« wurde der Pompadour zugeflüstert. »Stehen Sie auf!«

Sie gewann festen Boden. Doch jetzt kam ein gefährlicher Weg, wohl über Klippen. Sie mußte immer festgehalten werden. Aber es waren auch nur wenige Schritte, dann wurde der Boden ganz eben, und gleich darauf kam es der Pompadour vor, als ob sie sich in einem geschlossnen Raum befände, sie hatte solch ein Gefühl, und dann mußten das unter ihren Füßen auch Steinfliesen sein.

Jetzt ging es direkt eine Treppe hinab, sehr tief, und obgleich sich eine solche auch im Freien befinden kann, wußte die Pompadour jetzt ganz bestimmt, daß sie in einem Raume war, sie hörte es gleich am Schalle der Schritte.

Wieder ging es eine Strecke geradeaus, und dann noch eine Treppe hinab, dann wieder eine lange Strecke geradeaus, jetzt eine Treppe hinauf, geradeaus und nun immer Treppen und immer Treppen hinauf.

Da merkte die Pompadour plötzlich, wie ihre Hand von der harten des Führers gedrückt wurde. Das war schon vorher mehrmals geschehen, aber die Pompadour hatte nicht darauf geachtet, es gar nicht bemerkt. Wenn man einen Blinden führt, und man greift einmal fester zu, so drückt man auch etwas.

Jetzt aber wurde die Pompadour stutzig. Drückte die rauhe Matrosenhand nicht immer, wenn es auch gar nicht nötig war, wie z. B. hier auf der Treppe? Waren daß nicht zärtliche Händedrücke?

Nun, der Pompadour kam es nicht darauf an, sie einmal zärtlich zu erwidern – versuchshalber! Richtig, die harte Hand drückte noch zärtlicher!

Das war ja schon ein nettes Abenteuer! Gleich hier in Marokko eine heimliche Liebschaft auf der Treppe!

Es kam aber nicht zum Abschluß. Der Führer blieb plötzlich stehen. Die Hand der Pompadour wurde losgelassen. Es wurde am Halse an ihrer Kappe geknüpft, und die Pompadour bemerkte einmal, als die Finger direkt mit ihrem Nacken in Berührung kämen, daß dies eine andre Hand sein mußte als die ihres Führers, dies waren weiche Finger.

»Nehmen Sie die Kappe ab – Gute Nacht!« klang es an ihr Ohr, sie glaubte noch eine Tür gehen zu hören und riß schnell die Kopfverhüllung ab.

Erst war sie geblendet. Elektrisches Licht! Das war der erste Eindruck, den sie empfing! Und als sie sich an das weiße Licht gewöhnt hatte, war sie nochmals geblendet – nämlich von der sie umgebenden Pracht.

Das Gemach war nur klein, aber pompös eingerichtet. Es gibt in Monte Carlo glänzende Hotelzimmer. Die Pompadour hatte das Innere des fürstlichen Schlosses gesehen und noch andres – aber so etwas noch nicht. Das läßt sich des Nähern schwer beschreiben. Wir wollen uns auch nicht weiter dabei aufhalten. Es war eben ein kleines, mit dem raffiniertesten Luxus eingerichtetes Boudoir, und zwar ein Schlafzimmer. Die Vorhänge des Himmelbettes, die Decken und alles von feinster chinesischer Seide. Sie hob einen auf einem Tischchen stehenden Leuchter – der Schwere nach massives Gold, nach dem Gewichte vielleicht dreitausend Francs in Gold, nun aber noch künstlerische Arbeit, und dort standen noch drei solche Leuchter. So etwas will freilich viel heißen.

Die Pompadour hatte nur davon gehört, daß die Vanderbilt in New York ein Haus besitzen, in welchem die gesamten Wasserleitungs-, Gas- und Dampfheizungsröhren aus purem Golde getrieben sind. Das ist eine Tatsache. So etwas gibt es in Europa nicht.

Sie glaubte hier in ein ähnliches Haus geraten zu sein.

Der Kapitän hatte ja immer gesagt, daß auf seiner Insel jeglicher Komfort zu finden sei, man hatte sich niemals ein rechtes Bild davon machen können, weil man auch immer die einsame Koralleninsel in der Südsee vor Augen gehabt. Nun war diese Insel der Zivilisation zwar bedeutend näher, und dennoch, die goldnen Leuchter machen den Komfort des Lebens ja nicht gerade aus, aber sonst alle Einrichtungen des modernsten Lebens zu finden, das hätte die Pompadour hier nicht erwartet.

Also elektrisches Licht in verschiedenen Lampen und Lämpchen, mit den modernsten Hebeln anzustellen, daß man z. B. ein am Bett befindliches, verstellbares Lesepult beleuchten konnte, ein Telephon, um gleich vom Bett aus hineinsprechen zu können – mehr kann man auf einer afrikanischen Insel doch beim besten Willen nicht verlangen!

Ein Fenster gab es nicht, wenigstens kein gewöhnliches. Die ganze Decke bestand aus Glas: doch war jetzt in der Nacht draußen nichts zu sehen.

Dann waren zwei Türen vorhanden. Die erste, welche die Pompadour öffnen wollte, war geschlossen. Aber die zweite, eine kleinere, konnte sie aufmachen. Sie blickte in einen dunklen Raum, hatte aber gleich einen Hebel gefunden, drehte ihn herum, es flammte auf, sie sah ein ebenso luxuriös eingerichtetes Kabinett mit marmornem Waschtisch, Hähne für kaltes und warmes Wasser, ein großes Badebassin aus mosaiziertem Marmor, ebenfalls kalt und warm – kurz, es war eben alles vorhanden, was der verwöhnteste Mensch sich nur wünschen kann. Sie brauchte nur daran zu denken, daß es hier etwas warm war und frische Luft nichts schaden könnte, bei diesem Gedanken blickte sie doch nach dem Fenster, also nach der Decke, und richtig, da hatte sie auch gleich den Flügelventilator entdeckt, der durch einen Zug an einer Schnur sich in Umdrehung setzte.

Eben dachte sie daran, einmal das Telephon zu untersuchen, als dieses schon klingelte.

»Wer ist dort?« fragte sie hinein.

»Ich,« lautete die sehr unbestimmte Antwort. »Ist dort Madame Pompadour?«

»Jawohl, ich bin hier.«

»Sie haben am Telephon Nummer 18, merken Sie sich das!«

»Nummer 18, schön!«

»Sie können sich mit allen andern Damen unterhalten, es macht Ihnen wohl Vergnügen, wenn Sie die Nummern selbst ausfindig machen, sonst können Sie diese aber auch morgen schriftlich bekommen ...«

»Nein, nein, ich danke Ihnen, ich werde mir meine Freundinnen selbst per Telephon aussuchen.«

»Aber nicht heute abend mehr, das Telephon ist für den Verkehr geschlossen. Sie werden jetzt wohl schlafen gehen wollen. Oder Sie können auch erst noch ein Bad nehmen. Wünschen Sie noch etwas zu speisen oder sonst etwas?«

»Danke, ich habe keinen Appetit, ich brauche nichts.«

»Wenn Sie etwas brauchen, so klingeln Sie und sagen Ihren Wunsch ins Telephon hinein, und dann ... sehen Sie in Ihrem Zimmer den kleinen, vollen Tisch?«

Die Pompadour, das Schallrohr am Ohr, blickte sich um. Sie hatte den Tisch schon gesehen. Er glich einem Altarsteine, darauf lag eine mit Verzierungen und Handgriffen versehene Holzplatte.

»Sobald das, was Sie wünschen, fertig ist, ertönt in dem stummen Diener ein Glockenzeichen, dann nehmen Sie die Holzplatte ab, das Gewünschte wird darunter liegen. Jetzt werden Sie Wäsche darunter finden. Sonst noch etwas?«

Die Pompadour wußte nichts, es drängte sie auch, diesen stummen Diener näher kennen zu lernen.

»Dann gute Nacht! Schluß!«

Im nächsten Augenblick hatte die Frau natürlich noch etwas zu sagen – da aber merkte sie, daß das Telephon bereits abgestellt war. Kujonieren ließen sie sich also nicht. Es war eine Männerstimme gewesen, sonst ihr unbekannt.

Es war, wie ihr gesagt worden. Der volle Tisch war hohl, man konnte die Platte aufklappen, jetzt lag, wie verheißen, in der Höhlung Leibwäsche.

Zuerst müßten sich die Damen mit solchen Kleidungsstücken behelfen, wie die Insulanerinnen sie trugen, war ihnen gesagt worden. Doch würde für andre Garderobe schnellstens gesorgt.

Die Pompadour nahm dann noch ein Bad und legte sich schlafen. Sie hatte in dem himmelblauen Himmelbett einen seltsamen Traum, aber das, was ihrer hier wartete, das träumte sie nicht.

Als sie erwachte, war es heller Tag, und zwar schien die Sonne durch das Oberlicht herein. Trotzdem konnte die Pompadour draußen nichts erkennen, es war sehr dickes Glas, und außerdem hätte sie sich auf Stuhl und Tisch stellen können, sie würde die sehr hohe Decke noch nicht erreicht haben.

Das Telephon hatte bereits mehrmals geklingelt, wovon sie erwacht war.

»Wer ist dort?«

»Ich bin's, die Phöbe! Und wer ist dort?«

»Ah, Madame Phöbe. Hier ist die Pompadour.«

»Aaaah, die Pompadour!! Gott sei Dank, endlich habe ich Sie! Ich habe schon siebenundzwanzig Damen angeklingelt, nur Sie konnte ich nicht finden. Jetzt habe ich nur noch neun Damen, dann weiß ich alle Nummern. Welche Nummer haben Sie, wenn ich fragen darf?«

»Nummer 18!«

»Ach, das ist ja reizend! Wie seltsam, wie merkwürdig! Ich habe nämlich gerade Nummer 8.«

»Nummer 8? Das ist ja himmlisch!«

»Schreiben Sie sich die Nummer auf! Haben Sie an Ihrem Bett nicht ein Lesepult?«

»Ja, das habe ich, meine liebe Phöbe.«

»Da hängt doch an der rechten Seite ein Bleistift, nicht wahr?«

»Ja, den habe ich gefunden.«

»Und hängt an der linken Seite nicht Papier?«

»Das stimmt auch.«

»Sehen Sie, Ihr Zimmer ist ganz genau so eingerichtet wie das meine. Alle unsre Zimmer sind ganz gleich, ich habe mich bei allen Damen schon erkundigt. – Apropos, meine liebe Pompadour, haben Sie schon mit der Klytämnestra durch das Telephon gesprochen?«

»Nein, meinte liebe Phöbe, überhaupt mit noch gar keiner Dame.«

»Tun Sie es auch lieber nicht, die stinkt heute morgen wieder fürchterlich aus dem Halse.« –

Hiermit wollen wir diese Telephonunterhaltung aber abschließen. Wenn man alle Bücher der Bibliothek im britischen Museum durchlesen wollte, so soll man bei täglich achtstündiger Arbeitszeit ungefähr 400 Jahre brauchen. Und hier waren es 36 Damen, welche sich auf der marokkanischen Insel nach und nach zusammenfanden, und das ist noch etwas andres als die Bibliothek des britischen Museums.

Mit der Zeit fand die Pompadour heraus, daß sie die telephonische Verbindung mit den andern Damen abstellen und dennoch mit ihrem unsichtbaren Diener sprechen konnte, und sie machte bald Gebrauch von dieser Entdeckung. Sie drückte an einen andern Knopf.

»Was wünschen Sie, Madame Pompadour?« fragte die Männerstimme von gestern.

»Ich bitte um Kaffee, um Frühstück.«

»Wenn ein Glockenzeichen ertönt, wird das Frühstück sich im Tische befinden. Wie geht es Ihnen, Madame? Wie haben Sie geschlafen?«

»Ich danke, ausgezeichnet! Wie ist es, kann man hier nicht etwas Puder bekommen?«

»Puder, Schminke und Paste, Sie werden alles in dem Toilettentisch finden.«

»Wann geht die Geschichte eigentlich los?«

»Bitte, welche Geschichte?«

»Nun, die Prüfungen.«

»Wir wollten die Damen heute noch in Ruhe lassen, wenn Sie aber wünschen, kann es sofort beginnen. Sie werden auf dem Kaffeebrett eine Dose finden, welche Sie nicht öffnen dürfen.«

»Ach so, die alte Geschichte mit der Maus, welche herausspringt?« lachte die Pompadour ins Telephon. »Wenn ich den Deckel aber nun doch abhebe?«

»Dann werden Sie etwas ganz andres darin finden als eine Maus.«

»Was denn?«

»Das werden Sie dann schon sehen – etwas ganz Überraschendes. Ich bitte Sie aber in Ihrem eignen Interesse, die Dose nicht zu öffnen, sonst haben Sie die erste Prüfung nicht bestanden, und es entgehen Ihnen Annehmlichkeiten, welche die andern Damen genießen.«

»Ach, bitte, sagen Sie mir es doch gleich, was drin ist!« schmeichelte die Pompadour ins Telephon.

»Madame, ich habe mich noch mit 35 andern Damen zu unterhalten. Wünschen Sie sonst noch etwas? Ich habe nur noch eine halbe Minute Zeit für Sie.«

»Kann ich den Kapitän nicht einmal sehen?«

»Bedaure, der ist schon wieder nach Monte Carlo zurückgereist.«

»Waaaas?« staunte die Pompadour ins Telephon hinein, in der Meinung, nicht recht gehört zu haben. »Nach Monte Carlo zurückgereist?«

»Jawohl, der Kapitän will sich noch etwas in Monte Carlo amüsieren, unsre Pläne hierüber sind jetzt einstimmig geändert worden. – Schluß.«

Die Pompadour war wie gebrochen. Solch eine Niederträchtigkeit! Der Kapitän schleppt sie hierher nach Afrika, sperrt sie wie die Gefangnen in ein Zimmer ein – und er selbst geht wieder nach dem schönen Monte Carlo zurück, um sich dort zu amüsieren! Nein, solch eine Niederträchtigkeit!! Die Pompadour fing vor Wut gleich zu weinen an.

Nun kam auch noch hinzu, daß sie den Kapitän doch für sich selbst erkoren. Davon hatte der Kapitän nichts zu ihr gesagt, und sie nichts zu ihm, aber das war für sie, für die Pompadour, doch ganz selbstverständlich!

Heftig klingelte sie am Telephon. Die vorherige Verbindung war abgestellt. Aber mit den andern Damen konnte sie sich noch unterhalten.

»Madame Pompadour? Haben Sie es schon gehört? Der Kapitän ist wieder nach Monte Carlo zurück.«

So fing gleich die Angerufene an. Es war also eine Tatsache.

Ein Glockenzeichen brachte die Pompadour auf andre Gedanken. Sie fühlte sich auch hungrig. Unter der Tischplatte stand ein Kaffeeservice, welches sie heraushob und auf einen andern Tisch setzte. Richtig, unter dem Geschirr befand sich eine Art Zuckerdose, silbern, darauf der Vermerk: Nicht öffnen.

Die Pompadour kannte also die Geschichte mit der Terrine und der Maus, welche in Hebels Schatzkästlein erzählt ist. Ein armes Ehepaar beklagt sich über das verlorne Paradies. Wenn sie im Paradiese wären, sie wollten nicht in den Apfel beißen, damit sie nicht zu arbeiten brauchten. Das hört ihr Herr, er nimmt die beiden zu sich ins Haus, sie können herrlich und in Freuden leben, nur eine zugedeckte Schüssel, welche bei jeder Mahlzeit auf dem Tische stehen wird, dürfen sie nicht öffnen. Natürlich öffnen sie dieselbe gleich beim ersten Male. Da springt aus der Schüssel eine Maus, und mit dieser Maus ist auch das Paradies unwiderruflich futsch, die beiden müssen nach wie vor auf dem Felde arbeiten, und die Frau sagt zum Manne: »Du hast den Deckel aufgehoben!« – und der Mann sagt: »Ja, aber du hast mich erst dazu verführt!« – und dieser Mann und diese Frau leben heute noch.

Nein, so neugierig war die Pompadour nicht. Aber warum sollte sie nicht einmal nachsehen, was drin sei? Es war ja überhaupt ganz gleichgültig, ob sie die Prüfung bestand oder nicht, nach vier Wochen bekam sie die Insel ja doch zu sehen! Diese Prüfungen waren nur pro forma, so hatte der Kapitän gesagt. Und überhaupt, seitdem sie wüßte, daß er die Insel schon wieder verlassen hatte, mochte sie gar nicht mehr mitspielen.

Na, kurz und gut, die Pompadour konnte es eben nicht über sich bringen, die Dose uneröffnet zu lassen, und hatte sie nicht diesen Grund gehabt, so hätte sie eben irgend einen andern gefunden.

Aber so dumm wie jenes Ehepaar war die Pompadour wirklich nicht! Bei ihr sollte die Maus nicht herausspringen.

Zuerst betrachtete sie die Zuckerdose von allen Seiten. Von außen war ihr nichts anzusehen, daß man etwa bemerke, ob sie geöffnet war oder nicht. Sie schüttelte die Dose. Gewiß, da war etwas darin, es raschelte gerade wie Papier.

Den Deckel etwas heben und hineinlugen, das konnte doch nichts schaden. Gewiß, es war Papier. Vielleicht ein Brief? Ja, es sah gerade aus wie ein Kuvert.

Nun hatte sie den Deckel schon einmal etwas gelüftet, nun konnte sie es auch vollends tun. Aber wenn nun doch etwas heraussprang? Es brauchte ja nicht gerade eine Maus zu sein, es konnte auch ein Floh sein.

Die Pompadour sah sich im Zimmer um. An der Decke hing ein leerer Vogelbauer, der wäre sehr gut für den Fall gewesen, daß es eine Maus war. Aber ein Floh wäre doch durch das Gitter gegangen.

Auf dem Frühstücksbrett stand auch Käse, darüber eine Glasglocke. Die Zuckerdose ging bequem darunter, und nun begann die Pompadour mit unendlicher Geduld so lange unter der Käseglocke zu experimentieren, bis sie den Deckel glücklich herab hatte. Wäre sie gleich auf den Gedanken gekommen, einfach die Glocke auf das Präsentierbrett zu setzen und das Ganze umzustülpen, so wäre sie sofort zum Ziele gekommen.

Richtig, es war ein Brief, wenigstens ein geschlossenes Kuvert. Nun war es doch einmal geschehen, und herausspringen tat nichts, nun nahm sie den Brief. Die Seite, welche nach unten gelegen hatte, war beschrieben.

»Dieses Kuvert enthält die Photographie des Mannes, den Sie sich durch Öffnen des Kuverts freiwillig und unwiderruflich wählen.«

»Oho!« sagte die Pompadour verächtlich. »So etwas gibt es nicht, ich will den Kapitän haben oder sonst gar keinen. Aber ich brauche das Kuvert ja auch nicht zu öffnen.«

Nein, das brauchte sie allerdings nicht.

Wer mochte das wohl sein? Ob es wohl ein schöner Mann war? Es konnte ja einer sein, der ihr noch besser gefiel als der Kapitän, und nun überhaupt das Geheimnis bei der Sache ...

Durch das Papier war absolut nichts zu sehen, was sie auch für Experimente anstellte. Höchstens in dem allerbesten Lichte glaubte sie ein Paar Beine zu erkennen, und aus diesen ist doch kein Schluß auf die Schönheit und den Charakter eines Mannes zu ziehen.

»Ach, schadet nichts! Zu nehmen brauche ich ihn deswegen doch nicht; will doch sehen, wer mich dazu zwingen könnte!«

Damit riß sie das Kuvert auf, richtig, eine Photographie – ein Blick, ein Schrei, und die Pompadour stürzte an das Telephon und klingelte stürmisch.

»Was wünschen Sie, Madame Pompadour?«

»Hören Sie,« brüllte diese außer sich in den Trichter, »dieses Scheusal nehme ich nicht, auf keinen Fall, daraus wird nichts!!«

»Welches Scheusal meinen Sie, Madame?« erklang es unschuldig zurück.

»Dessen Photographie Sie in die silberne Dose gesteckt haben, und ...«

»Aah, Madame haben also die Dose und das Kuvert geöffnet?«

»Allerdings, aber ...«

»Dann müssen Sie diesen Mann auch zu Ihrem Freunde nehmen.«

»Oho, das wollen wir einmal sehen! Und ich tu's eben nicht! Solch ein häßliches Scheusal!«

»Wie sieht denn dieses häßliche Scheusal eigentlich aus?«

»Das wissen Sie doch selber!«

»Nein, das weiß ich nicht, ich habe mit dieser Angelegenheit nichts zu tun, die Verteilung der Freunde geschieht mit Bildern und bleibt ganz dem Zufall überlassen, wird wie eine Lotterie gehandhabt. Na, wie sieht der Mann denn aus, daß Sie ihn so abscheulich finden?«

»Ich habe ihn überhaupt noch nicht in der Begleitung des Kapitäns gesehen, er kann auch nicht auf der Heliotrop gewesen sein. Er hat furchtbar krumme Beine ...«

»Also der Wilm, die Ordonnanz?«

»Nein, den kenne ich doch zur Genüge. Der hat X-Beine, seine sind grade nach der entgegengesetzten Seite gebogen, und wie – wie ein Faßreifen – und dann eine entsetzlich lange Nase – wie ein Elefantenrüssel – und sonst eine Visage wie ein verhungertes Schwein ...«

»Ach so, das ist ja der Jochen Puttfarken! Der ist hier auf der Insel so eine Art von Haushofmeister. Hören Sie, Madame, den schmähen Sie ja nicht, Sie sollten sich vielmehr zu Ihrem Glück gratulieren, der ist trotz seiner krummen Beine ein Mann vom Scheitel bis zur Sohle, ganz abgesehen davon, daß er hier auf der Insel die größte Rolle ...«

»Na, ich danke! Und ich mag mit diesem Zerrbilde von einem Affen eben nichts zu tun haben!!« rief die Pompadour aufs heftigste.

»Jetzt müssen Sie ihn aber nehmen! Ihre Wahl geschah ganz freiwillig.«

»Und wenn ich es nicht tue? Wie will man mich denn zwingen?«

»Wenn Sie so gegen unsre Gesetze verstoßen, denen Sie sich freiwillig unterworfen haben, eben jetzt durch Ihre Wahl, dann sind Sie des Lebens nicht wert, dann verlieren Sie dasselbe – Sie werden hingerichtet! Schluß.«

Ach, du großer Schreck! Gleich daraus aber lachte die Pompadour herzlich.

Das war ja nur ein Scherz, so weit ging der Spaß nicht.

»Madame Pompadour,« begann das Telephon noch einmal zu sprechen, »Sie brauchen nicht erschrocken zu sein. Ich muß nur so sprechen, wie es mir vorgeschrieben. Es ist Ihnen doch auch gesagt worden, daß Sie den Freund nicht anzunehmen brauchen, der Ihnen zugeteilt ist ...«

»Jawohl, das ist es eben! Und ich nehme diesen häßlichen Kerl nicht!«

»Nein, so, wie Sie es sich denken, ist es eben nicht! Hier liegt ein andrer Fall vor. Sie haben sich den Mann freiwillig gewählt, und das genügt. Ich will Ihnen aber einen guten Rat geben. Wir dürfen wohl Ihr Zimmer betreten, so wird z. B. dann jemand zu Ihnen kommen, aber nicht als Ihr Liebhaber. Das brauchen Sie nicht zu dulden. Wenn Jochen Puttfarken an Ihre Türe klopft, wobei er seinen Namen nennen muß, so lassen Sie ihn einfach nicht herein, dagegen kann er nichts machen und wir alle nicht, auch der Kapitän nicht, das sind strenge Inselgesetze. Haben Sie mich verstanden?«

»Jawohl, ich verstehe, ich lasse ihn nicht herein,« flüsterte die Pompadour ebenso leise ins Telephon, wie jetzt zu ihr gesprochen wurde, und sie atmete doch etwas leichter ans, denn sie befand sich immerhin auf einer einsamen Insel und willenlos in der Macht ihrer Bewohner.

»Haben Sie den Betreffenden aber einmal in Ihr Zimmer gelassen,« fuhr es mit lauter Stimme fort, »so haben Sie ihn ohne weiteres als Ihren Geliebten anzuerkennen. Unterwerfen Sie sich dieser Bedingung?«

»Jawohl, ich verstehe, zu mir kommt er nicht herein,« wiederholte die Pompadour.

»Ich frage Sie, ob Sie sich dieser Bedingung freiwillig unterwerfen?«

»Ja, dieser Bedingung unterwerfe ich mich. Doch seien Sie ohne Sorge, ich lasse diesen Kerl freiwillig nicht herein.«

»Gut. Hier sind Zeugen, welche gehört haben, daß Sie diese Bedingung freiwillig angenommen haben. – Wünschen Sie irgend etwas? Setzen Sie das Kaffeeservice wieder in den stummen Diener, es verschwindet sogleich. Wollen Sie Briefe schreiben? Heute nachmittag geht eine Postsendung nach Marokko. Um drei Uhr muß Ihr Brief in dem Tische liegen. Schreibgerät finden Sie in dem Pult. Sie brauchen in dem Briefe gar nichts zu verheimlichen. Schreiben Sie etwa an Ihren Hotelier, verfügen Sie über Ihre Sachen. Der Kapitän kommt bald wieder zurück. Wir haben auch eine große Bibliothek hier. Verlangen Sie irgend ein Buch, welches Sie wollen, es wird vorhanden sein.«

»Danke! Erst möchte ich einen Brief schreiben. Kann ich nicht Antwort zurückerhalten?«

»Gewiß. Sie können sich auch Sachen schicken lassen, wenn Sie wollen, meinetwegen Ihre ganze Garderobe. Natürlich vergehen acht Tage, ehe Sie Brief und Paket erhalten.«

»Ah, das ist ja vortrefflich! Dann werde ich an meine Zofe schreiben, ich möchte mir allerdings verschiedenes schicken lassen. Aber wie ist meine Adresse?«

»Ihr Name, und dann: Monsieur Jules Leblanc, Marokko. Das genügt, das ist unser Agent, allerdings so eingerichtet, daß wir niemals gefaßt werden können. Setzen Sie diese Adresse aber nicht als Absender auf das Kuvert, sonst kann der Brief nicht abgehen, weil er uns verraten könnte. Wir selbst machen ein geheimes Zeichen darauf.«

Die Pompadour war wieder in besserer Stimmung. Der Kapitän kam bald wieder zurück, diesen großnasigen, häßlichen Kerl brauchte sie nicht anzunehmen – und überhaupt, jetzt kam ihr das Romantische so recht wieder zum Bewußtsein, sich auf einer unbekannten Seeräuberinsel an der marokkanischen Küste zu befinden.

Und richtig, der Gast sollte ja allerlei Versuchungen ausgesetzt werden! Zu diesen gehörte jedenfalls auch die Mitteilung, daß sich der Kapitän wieder nach Monte Carlo begeben habe, das war gar nicht der Fall, und weiter ganz bestimmt dieser langarmige, krummbeinige Zwergnase mit den Schweinsaugen, der sich ihr auf der Photographie in seiner schönsten Attitüde präsentierte, so breitbeinig als möglich.

Jetzt konnte sie heiter darüber lachen, und in solch guter Stimmung schrieb sie einen Brief an ihre Zofe und einen an eine zurückgebliebene Freundin. Sie berichtete alles, die geheimnisvolle Landung, übertrieb stark, und sonst gefiel es ihr hier ausgezeichnet. – »Marokko, den 22. März, auf der Insel von Karabaß, dem Schwarzkopf.«

Dann wollte sie sich mit ihren Freundinnen wieder telephonisch unterhalten, fand aber keinen Anschluß, die Verbindung war abgestellt.

So machte sie Toilette, ohne irgend etwas hierzu Notwendiges zu vermissen. Unterdessen war es Mittag geworden, ein neues Glockenzeichen in dem geheimnisvollen Tisch, wirklich ein stummer Diener, ertönte, ihre beiden Briefe, die sie hineingelegt, fand sie verschwunden, dafür eine üppige Mittagsmahlzeit, und diesmal war keine verdeckte Schüssel dabei.

Nach dem Essen rief sie den unsichtbaren Sekretär an, oder was er sonst war, und bat um ein französisches Buch, irgend eins, womöglich ein recht altes, was sie vielleicht nicht kenne, wenn es nur interessant sei.

»Sie werden es sofort bekommen. Hören Sie, Madame Pompadour, eine Dame ist bereits entflohen!«

»Welche?« fragte die Pompadour mit vor Überraschung plötzlich brennenden Wangen.

»Das wird verschwiegen ...«

»Wie hat sie das gemacht?«

»Sie ist im stummen Diener mit dem Geschirr hinabgefahren und bis jetzt verschwunden, sie muß sich irgendwo verborgen halten. Es liegt ein Komplott vor, Lord Roger ist nämlich gleichfalls auf dieselbe Weise verschwunden.«

Ah, das wurde ja sehr interessant! Wenn sie nur gewußt hätte, welche Dame es gewesen! Und wie hübsch, daß man davon in Kenntnis gesetzt wurde!

Aber der hinkende Bote sollte noch nachkommen.

»Ich brauche Sie wohl nicht erst darauf aufmerksam zu machen, daß Sie den Fahrstuhl im Tisch nicht gleichfalls zu solch einem Fluchtversuch benutzen ...«

»Ich denke gar nicht daran.«

»Schon gut, schon gut! Es würde Ihnen auch nicht mehr glücken, wir haben jetzt Vorkehrungen getroffen. Nun muß ich Ihnen aber leider auch noch andre Mitteilungen machen. Wir, die wir zu Ihrer Bedienung angestellt sind, haften mit unserem Kopf dafür, daß keine der Damen entflieht, und wenn der Kapitän zurückkommt und die beiden sind noch nicht wieder in ihrem Zimmer, so sind unsere Köpfe verfallen. Wir müssen also sehr vorsichtig sein. Zunächst dürfen die Damen sich nicht mehr telefonisch sprechen, weil wir das leider nicht kontrollieren können. Weiter, falls sich vielleicht einer der Entflohenen zu Ihnen verirren sollte, und Sie melden das nicht sofort, Sie verbergen ihn bei sich, dann – sind – Sie – selbst – des Todes!!!! Verstanden? Schluß!«

Nach diesen zuletzt donnernd gesprochenen Worten sank die Pompadour schreckensbleich auf einen Stuhl. Das pfiff ja mit einem Male aus einer ganz anderen Tonart! Also Lord Roger bereits entflohen! Natürlich, der hielt es keine vier Wochen aus, bis er die Geheimnisse der Insel zu sehen bekam, der spionierte gleich auf eigene Faust herum, und er hatte den Ausweg schon gefunden. Aber außerdem noch eine Dame! Wer mochte das sein? Sicher die Mademoiselle Psyche, die war zu allem fähig.

»Dann – sind – Sie – des Todes!!!«

Und wieder kam es der Pompadour recht deutlich zum Bewußtsein, daß sie sich auf einer unbekannten Insel an der marokkanischen Küste befand, bewohnt von Piraten, oder doch unter dem Kommando eines ehemaligen Seeräubers stehend, dem das Leben eines Menschen nichts galt, mochte man sich auch noch so edle Züge seines sonstigen Charakters erzählen ... aber dieses Bewußtsein, daß es so war, erschien ihr jetzt in einem ganz anderen Lichte.

Es war doch ein furchtbar gewagtes Abenteuer gewesen, in das sie sich gestürzt hatte. Wenn die Abreise auch etwas gezwungen erfolgt war – gleichgültig, eigentlich war sie doch freiwillig darauf eingegangen, leichtsinnig, und nun war sie überhaupt hier – als eine Gefangene, denn weiter war sie doch nichts!

Sie hatte durch den stummen Diener ein paar französische Bücher erhalten, uralte Schmöker, welche sie noch nicht gelesen hatte, und die Lektüre war auch sehr interessant, aber sie war nur mit halber Seele dabei. Jene drohenden Worte gingen ihr immer durch den Kopf, und hätte sie jetzt die Briefe geschrieben, sie würden ganz anders ausgefallen sein.

Sie hatte noch nicht lange gelesen, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und drei vermummte Männer hereinstürmten, in arabische Gewänder gehüllt, vor dem Gesicht ein weißes Tuch, wie es die Beduinen tragen.

»Ist der Lord hier?«

Die tödlich Erschrockene fand keine Worte, sie sah nur die großen, blanken Schwerter und die vielen Dolche und Pistolen, mit denen die Leibbinden der Männer gespickt waren.

Diese warteten auch gar keine Antwort ab. Sie begannen die beiden Gemächer zu durchsuchen, hoben alles auf, blickten unter alle Möbel, stachen auch mit den langen Schwertern darunter, und dann stürmten sie, die Tür hinter sich zuschlagend, ebenso schnell wieder hinaus, wie sie hereingekommen waren.

Das hatte nun gerade noch gefehlt! Jetzt vergaß die Pompadour völlig das Lesen.

»Ach, die Kiste, die Kiste! Wäre ich doch nur nicht an Bord gegangen!« jammerte sie. »Dann säße ich jetzt in meinem schönen Monte Carlo auf der Kasino-Terrasse!«

Ihre Ansichten hatten sich also schon sehr geändert. Aber darin hatte der Kapitän Recht, an Überraschungen fehlte es hier nicht.

Es wurde dunkel, sie drehte das elektrische Licht an.

Da öffnete sich wieder die Tür, abermals kamen vermummte Araber herein, aber nur zwei, welche zwischen sich einen Kasten trugen. Schweigend setzten sie ihn in die Mitte des Zimmers, schweigend entfernten sie sich wieder.

Erst jetzt stand die Pompadour auf und schlich zu dem schwarzen Kasten hin. Er war ungefähr von der Größe eines kleinen Handkoffers, oder besser eines großen Hutkoffers.

Ah, eine neue Prüfung!

»Nicht öffnen!« stand nämlich in fetter Schrift wiederum darauf, und außerdem der Vermerk: »Wird in einer Stunde wieder abgeholt!«

Nein, diesmal ging die Pompadour nicht darauf ein. Sie hatte einen zu großen Schreck bekommen. Da war nicht zu spaßen.

Aber warum sollte sie die Kiste nicht wenigstens äußerlich einmal untersuchen? Sie tat es. Es war einfach ein Haken zurückzuschieben, dann wäre der Deckel zu öffnen gewesen. Doch das fiel ihr gar nicht im Träume ein. Lieber nicht! Sie war überhaupt über Neugier erhaben. Aber was in aller Welt mochte nur drin sein? Einmal rücken, das schadete doch nichts! Sie rückte die große Hutschachtel also – das heißt, sie wollte es tun, es gelang ihr nicht. Die Hutschachtel war schwer, sehr schwer, obgleich die beiden Männer sie beinahe ohne Anstrengung hereingetragen hatten.

Madame Pompadour war eben ein schwaches Weib. Stark war sie nur in der Besiegung ihrer Neugier. So wenigstens sagte sie sich. Was aber mochte nur darin stecken? Madame Pompadour hätte gleich ihr Leben dafür hingegeben, wenn sie es gewußt hätte. Ihr Leben dafür hingegeben? Das war doch eigentlich gar nicht nötig. Das war auch durchaus keine Neugier, sondern Wißbegier ...

Na, kurz und gut, es hatte ja auch nichts geschadet, daß sie heute früh die Zuckerdose aufgemacht hatte, und mit einem Fluchtversuche oder dem Verstecken eines Flüchtlings hatte diese weibliche ›Wißbegier‹ doch nichts zu tun ... und es war von der Stunde, nach welcher die schöne Kiste wieder abgeholt worden wäre, noch kein Viertel vergangen, so schob die Pompadour erst den Riegel zurück, nur so prüfend, ob er sich auch wirklich zurückschieben ließe – alles nur der Wissensdurst des Forschers! – ja, er ließ sich wirklich zurückschieben! Weiter wollte sie nun aber auch nicht gehen, ganz bestimmt nicht – aber war das Geheimnis nun nicht schon zur Hälfte verletzt? – ach was, jetzt schlug sie auch noch den Deckel zurück und ...

Madame Pompadour prallte vor Schreck gleich gegen die Wand.

Es gibt ein Kinderspielzeug, es ist ein Kästchen, wenn man den Deckel öffnet, so springt ein Teufelchen oder sonst eine schreckliche Gestalt heraus.

Nicht anders war es hier. Die Pompadour glaubte eine Vision zu haben.

Kaum hatte sie den Deckel nur etwas gelüftet, als dieser von allein vollends zurückschlug, und wie von einer Sprungfeder emporgeschleudert, fuhr aus der Hutschachtel, in der man unmöglich einen Menschen vermutet haben konnte, dazu war sie viel zu klein, ein Mann heraus, nach türkischer Art gekleidet, in rote Pumphosen und in ein blaues Jäckchen, um den Kopf einen mächtigen Turban geschlungen – aber Madame Pompadour wußte schon, als die Gestalt noch in der Luft schwebte, ganz bestimmt, wen sie vor sich hatte, diese X-Beine und diese große Hornbrille konnten sie nicht täuschen – und mit einem gewaltigen Plauz lag die Ordonnanz des Kapitäns vor ihr auf den Knien.

»Dank dir, heißen Dank dir, du schönes Weib, daß du mich erkoren hast!«

Madame Pompadour war also gleich bis gegen die Wand getaumelt, dort blieb sie lehnen, an allen Gliedern zitternd, und wenn sie im Augenblicke etwas dachte, so war es nur das, daß sie glaubte, einen bösen Traum zu haben.

Eigentlich aber stammte ihr furchtbarer Schreck nur daher, weil es ihr absolut unerklärlich war, wie dieser dicke, sogar sehr dicke Kerl in diese kleine Hutschachtel hineingekommen war und darin so lange aushalten konnte; denn nicht einmal sein Schmerbauch fand doch in dem engen Raume Platz! Das war es, worüber ihr förmlich der Verstand stehen blieb.

Unser Wilm im Turkokostüm ließ ihr aber nicht lange Zeit für solch grübelnde Traumgedanken, er rutschte zu ihr hin und wollte inbrünstig ihre Knie umklammern.

»Ich liebe dich, du schönes Weib!«

Es kam aber nicht ganz bis zum Umklammern, aufkreischend war die Pompadour in eine andere Ecke des Zimmers geflohen.

»Augenblicklich machen Sie, daß Sie hinauskommen, Sie ekelhafter Mensch!« schrie die sehr ans Befehlen gewohnte Kokotte.

Jetzt richtete sich der Dickwanst auf, nahm eine Stellung ein, in welcher seine X-Beine trotz der faltigen Pumphosen zur schönsten Stellung kamen, rückte die Hornbrille zurecht und machte ein beleidigtes Gesicht.

»Wuat? Wie nennst de mir? Na, ick bin doch der, dem du gleich, als du auf die Insel kamst, immer so zärtlich die Hand gedrückt hast.«

Auch den Schreck noch!

»Und wenn ich dir nicht gefallen täte,« fuhr Wilm gekränkt fort, »dann hättest du mich doch auch nicht in dein Schlafzimmer zu lassen brauchen. Warum hast du denn die Kiste aufgemacht und mich herausgelassen?«

Von einer schrecklichen Ahnung erfaßt, stürzte Madame Pompadour an das Telephon und drückte den Klingelknopf. Der Apparat funktionierte wieder, fast sofort meldete sich ihr unsichtbarer Berater.

»Sie wünschen, Madame?«

»Entfernen Sie augenblicklich dieses Scheusal aus meinem Zimmer!« heulte die Pompadour in den Trichter.

»Was für ein Scheusal meinen denn Madame schon wieder?«

»Den Kerl, der in der Kiste gesteckt hat, es ist die häßliche Ordonnanz des Kapitäns.«

»Ah, Madame haben also den Koffer geöffnet? Das ist vortrefflich! Dann haben Sie auch die Wahl Ihres Freundes definitiv getroffen. Ich gratuliere!«

»Aber ich will nicht, und ich tu's nicht, ich hasse diesen Menschen! Alle anderen Matrosen, nur nicht diesen x-beinigen Kerl mit dem abscheulichen Wanste!«

»Hören Sie, Madame,« erscholl es jetzt sehr eindringlich aus dem Schalltrichter, »Sie haben sich unseren Inselgesetzen freiwillig unterworfen, es ist Ihnen gesagt worden, daß Sie nicht nötig hätten, einen Mann in Ihr Zimmer zu lassen, und wenn sie es täten, so sei das Ihr Freund, damit waren Sie einverstanden, das haben Sie uns zugesichert ...«

»Aber ich habe den Kerl gar nicht in mein Zimmer gelassen, er ist mir hereingebracht worden!« jammerte die Pompadour.

»Bitte sehr. Aber ein Koffer ist Ihnen ins Zimmer gesetzt worden. Sie hatten gar kein Recht, diesen Koffer zu öffnen, es war Ihnen sogar strikt verboten, das zu tun, es stand drauf ...«

»Das ist eine nichtswürdige Intrige!«

»Gut, ich gestehe ganz offen, daß Ihnen tatsächlich eine Falle gestellt worden ist. Ja, es war von vorneherein des Kapitäns feste Absicht, gerade Sie mit seiner Ordonnanz zu kopulieren. Denn Sie sind von allen anwesenden Damen die schönste und offenbar auch die geistreichste, und dieser Wilm ist ebenfalls ein gar gescheiter Kopf, und dabei ein ganzer Mann vom Scheitel bis zur Sohle ...«

»Na, ich danke! Mit solchen X-Beinen!«

»Das hat bei der Männlichkeit nichts zu sagen, und diese X-Beine werden bei Ihrem Töchterchen auch nicht wieder als erbliche Anlage zum Vorschein kommen, denn Wilm war ursprünglich schlank gewachsen wie eine Zeder, er ist nur einmal zwei Etagen hoch herabgestürzt, gerade auf die Beine, und hat sich dabei in jedem Bein einen tüchtigen Knacks weggeholt.

»Zweiundeinehalbe Etage waren's,« korrigierte Wilm mit gekränktem Ehrgeiz.

»Aber,« fuhr das Telephon fort, »es war eine ganz harmlose Falle, die man Ihnen gestellt hat, überhaupt nicht als solche zu bezeichnen, denn Sie brauchten den Koffer ja nicht zu öffnen, so wäre er in einer Stunde wieder abgeholt worden. Jetzt sind Sie an einen Freund gebunden, und ich kann Ihnen zu Ihrem zufälligen Glücke nur gratulieren. Wilm verdient wirklich die Liebe der schönsten und geistreichsten Dame. – Viel Amüsement! Schluß!«

»Halt, halt!« brüllte die Pompadour. »Und ich will den Kerl nicht haben, ich will den Kapitän!«

»Den Kapitän? Wozu?«

»Um ihn ... um ihn ... Sie wissen schon warum.«

»Ich weiß gar nichts.«

»Um ihn zu lieben. Den will ich zum Freunde haben und keinen anderen!«

»Den Kapitän? Bedaure, der ist doch ein Eunuch.«

Jetzt erntete die Pompadour, was sie gesät hatte.

»Halt!« schrie sie nochmals ins Telephon, ein glücklicher Gedanke war ihr gekommen. »Es ist uns doch gesagt worden, daß wir uns fort und fort einen neuen Liebhaber wählen können, wenn wir mit dem einen nicht zufrieden sind.«

»Allerdings, das war Ihnen für den Fall zugesagt worden, daß Sie dem Kapitän freiwillig folgten. Aber Sie taten dies nicht, Sie sind gewaltsam entführt worden. Trotzdem sollen die Damen noch dieses Vorrecht genießen, aber einen müssen sie doch als Ihren ersten Freund begrüßen, und das ist bei Ihnen die Ordonnanz des Kapitäns. Ich rate Ihnen sehr, Madame, sich einfach zu fügen, sonst werden wir andere Seiten aufziehen. – Schluß!«

Der Apparat war geschlossen.

Jetzt erst kam es der Pompadour voll und ganz zum Bewußtsein, in was für ein gefährliches Abenteuer sie sich eingelassen hatte.

Hegte sie wirklich gegen den x-beinigen Matrosen, der jetzt als Türke auftrat, solch einen grenzenlosen Abscheu, daß sie in heller Verzweiflung die Hände vor das Gesicht schlug?

Durchaus nicht! Diese Kokotte hatte schon einmal einen ganz anderen ›Freund‹ gehabt, einen Neger aus Algier, dem sie sich mit glühender Liebe hingegeben, freilich hatte das Negerlein Geld gehabt, dafür aber auch noch ganz andere Beine und noch eine ganz andere Physiognomie als hier dieser Matrose und sie hatte also nichts von Abscheu gewußt.

Nein, weil sie merkte, daß es jetzt aus einem, ganz anderen Tone pfiff, weil sie felsenfest davon überzeugt gewesen war, daß nur ihr allein der schöne, geheimnisvolle Kapitän gehören konnte und jetzt erkannte, daß sie sich darin getäuscht hatte – und nun ein ganzes Jahr hier in der Einsamkeit aushalten zu müssen, auf einer afrikanischen Pirateninsel – dies alles machte also, daß sie sich jetzt einem Anfalle der Verzweiflung hingab.

»Ach, bin ich unglücklich!« schluchzte sie, das Gesicht in den Händen vergraben. »Warum bin ich mit dem Kapitän gegangen! Ach, wäre ich doch nur wieder in meinem schönen Monte Carlo!«

So jammerte die Kokotte in wirklich herzzerreißendem Tone.

Da ward ihr Arm leise berührt. Erschrocken auffahrend sah sie Wilm vor sich stehen, dessen Anwesenheit sie im Augenblick ganz vergessen hatte.

»Madam,« flüsterte er im leisesten Ton.

»Machen Sie, daß Sie hinauskommen,« schrie die Kokotte gleich wieder aufgebracht, »ich will mit Ihnen nichts zu tun haben!«

Da aber richtete sich Wilm zu seiner vollen Mannesgröße empor, so weit dies seine Beine zuließen.

»Madam, Sie verkennen mich ganz und gar. Sie lieben mich nicht?«

»Nein, nein, und abermals nein!«

»Schade, dann brauchen Sie aber auch keine Sorge zu tragen, daß ich mich Ihnen aufdrängen werde. Sie tun mir Leid, Madam.«

Es lag mehr etwas im Ton als in den Worten, weshalb die Pompadour stutzte.

»Was wollen Sie von mir?« begann auch sie zu flüstern.

»Ihre Liebe mir erst erringen,« war die ernste Antwort.

»Nie, niemals,« schrie das Weib gleich wieder. »Gehen Sie aus meinen Augen!«

»Hören Sie, Madam,« fuhr der türkische Matrose sehr eindringlich fort, »mit solchem Trotz kommen Sie hier nicht durch! Dadurch daß die Damen den Kapitän so lange hingehalten haben, ihm doch auch gar nicht freiwillig gefolgt sind, haben sich die Ansichten des Kapitäns gänzlich geändert. Es soll mit den unfreiwilligen Gästen jetzt sehr kurzer Prozeß gemacht werden. Das erste Beispiel, wie man jetzt sehr energisch vorgehen wird, hat der unglückliche Lord Roger geben müssen ...«

»Der unglückliche Lord Roger?« wiederholte die Pompadour, gleich von einer bösen Ahnung erfaßt. »Warum unglücklich?«

»Es dürfte Ihnen nicht bekannt sein, daß Lord Roger gleich am ersten Tage ...«

»Die Flucht ergriffen hat. Doch, doch, ich weiß es, er hat den versenkbaren Tisch als Fluchtweg genutzt.«

»Woher wissen Sie das?«

»Der Herr, welcher immer am Telephon ist, hat es mir gesagt, mich gewarnt, den Flüchtigen, falls er hierherkommen sollte, zu verbergen. Es waren auch schon Türken oder Araber hier, welche den Lord suchten.«

»Hat Ihnen der Sekretär auch gesagt, daß man den Lord bereits wieder gefangen hat?«

»Nein.«

»Und auch eine Dame ist geflohen.«

»Auch das weiß ich. Welche?«

»Sie heißt – wird von ihren Freundinnen Psyche genannt.«

»Dachte ich mir doch, daß es Mademoiselle Psyche gewesen ist! Nun?«

»Beide sind bald wieder gefangen worden; ohne genaue Ortskenntnis ist eine Flucht von der Insel auch ganz unmöglich.«

»Nun, und?«

»Der unglückliche Lord hat seinen Wagemut mit dem Leben büßen müssen.«

»Was?« hauchte die Pompadour mit plötzlich schneeweißen Lippen.

»Er ist sofort enthauptet worden.«

»Entsetzlich!« stöhnte das Weib, auf einen Sessel sinkend.

»Und vorher sind ihm auch noch die Augen ausgestochen worden, das forderten die eisernen Gesetze, denn er hat von den Geheimnissen der Insel schon zu viel gesehen.«

»Und Mademoiselle Psyche?«

»Die hat sich sehr bald in einem Fuchseisen gefangen.«

»In einem Fuchseisen!« wiederholte die Pompadour wimmernd.

»Ja, und das schwere Tellereisen hat ihr dabei das Bein kaputt geschlagen, sie liegt im Lazarett, und das schlimmste ist, daß die Unglückliche das quetschende Fuchseisen als Korpusdelikti so lange am Fuß behalten muß, bis der Kapitän zurück ist, um über sie zu Gericht zu sitzen. Bis dahin darf es ihr nicht abgenommen werden. Nun denken sie sich diese entsetzlichen Schmerzen! Sie brüllt in einem fort.«

Madame Pompadour fühlte das zermalmende Fuchseisen schon am eigenen Beine, sie war einer Ohnmacht nahe. Nur der Gedanke, daß auch ihr so etwas widerfahren könne, hielt sie noch aufrecht.

»Verlangen Sie von mir, was Sie wollen, nur befreien Sie mich aus diesem Gefängnis, bringen Sie mich von dieser Insel zurück nach meinem Monte Carlo!« rief sie händeringend.

Sie kam ihm in jeder Weise entgegen.

»Wie? Sie würden mit mir kommen?« fragte er, und sein sonst so bärbeißiges Gesicht nahm einen Ausdruck von hoffnungsfrohem Glück an.

Die eigentlich Glückliche aber war die Kokotte.

»O, wenn es Ihnen gelänge, mich zu befreien und zurückzubringen, dann ...«

Ihr Blick allein mußte ihm genug sagen.

Wir wollen die Sache kurz machen, wie es auch in Wirklichkeit vor sich ging. Während einer in flüsterndem Tone geführten Unterhaltung, wobei die beiden auf dem Diwan saßen, wurden sie miteinander einig.

Die bisher dem Kapitän so treu ergeben Ordonnanz war bereit dazu, einen groben Vertrauensbruch zu begehen, den Herrn zu verraten und zu verlassen. Dies war aber nicht nur so ein plötzlicher Einfall, diktiert von der Liebe, sondern auf der Insel herrschte überhaupt eine große Mißstimmung, auch Wilm gehörte mit zu den Unzufriedenen, bisher hatte er nur dem Kapitän gegenüber als Diener seine Pflicht getan. Jetzt wurde es anders, die ganze Verwandlung, die durch die Verjüngung des Kapitäns eingetreten war, wurde als Grund zur allgemeinen Revolution genommen.

Ja, Wilm liebte das schöne Weib, begehrte es.

Das gestand er ihr nochmals ganz offen hier auf dem Sofa. Aber er war nicht der Mann, die Macht, die ihm ein andrer über ein schwaches Weib gegeben hatte, zu mißbrauchen. Dieses Vorgehen des Kapitäns, wie er ganz einfach seine Leute an die Damen verteilte, ganz eigenmächtig auf Befehl, ob die eine Partei und die andere nun wollte oder nicht, hatte insbesondere dem Fasse den Boden ausgeschlagen.

Der jung gewordene Kapitän besaß eben immer noch den nüchternen Kopf eines Greises, seine Leute aber, soweit sie moralisch waren, fanden dies empörend.

»Doch ich werde mir ihre Liebe noch zu erringen wissen,« versicherte Wilm mit feierlichem Gesicht, beteuernd die Hand aufs Herz legend.

»Da ich deinen wahren Charakter nun erkannt habe, hat sich meine erste Abneigung gegen dich schon jetzt in Liebe verwandelt,« entgegnete hierauf die Pompadour.

Aber der dicke Matrose machte von dieser Erklärung keinen Gebrauch, er war überhaupt sehr zurückhaltend, was wiederum auf seinen Charakter ein schönes Licht warf.

»Nicht eher werde ich dich die Meine nennen, als bis ich dich glücklich wieder von dieser Räuberinsel gebracht habe.«

»Nach Monte Carlo zurück?«

»Nach Monte Carlo. Und dann?«

»Dann verlange von mir, was du willst!«

»Dann heiraten wir uns.«

»Dann heiraten wir uns,« bestätigte die Pompadour ohne Zögern, wenn sie innerlich hierüber auch anders dachte.

»Warum aber gerade heiraten?« setzte sie noch fragend hinzu.

»Ich möchte das schönste Weib der Erde auch öffentlich meine Frau nennen.«

»Wenn du willst, gewiß.«

»Versprichst du mir das bestimmt? Willst du mir, wenn ich dich in Sicherheit gebracht habe, am Altare die Hand reichen?«

Auch das versprach ihm die Kokotte ohne Zögern, gab ihm schon jetzt die Hand, nämlich zum Zeichen, daß sie ihr Wort halten würde, obgleich es Wilm gar nicht verlangt hatte.

Hätte er ihr aber einen Schwur abgefordert, so hätte sie auch diesen sofort geleistet. Auf solche Kleinigkeiten kam es der Kokotte nicht an. Ach, was für Schwüre der Liebe und der Treue hatte sie nicht schon abgelegt, an manchem Tage gleich mehrere!

Im Inneren freilich amüsierte sie sich köstlich über den Wicht. Na, das gäbe ein schönes Paar, das stattliche, imposante, blendend schöne Weib – und der Dickwanst! Nur weil sie vorläufig auf der afrikanischen Pirateninsel saß, das trübte den Spaß noch etwas.

Im Übrigen machte sie sich durchaus kein Kopfzerbrechen darüber, daß sie vielleicht gezwungen werden könnte, ihr Versprechen halten zu müssen. Nur erst einmal wieder in Monte Carlo sein! Dort war sie die Herrin, dort mußte doch alles nach ihrer Pfeife tanzen. Na, dieser dicke Matrose sollte doch einmal wagen, sie an ihr Versprechen zu erinnern! Da konnte er etwas erleben!

Vorläufig aber war sie eben noch eine Gefangene, jenem auf Gnade und Ungnade überlassen, sie mußte die Willige spielen.

Wilm setzte ihr den Fluchtplan auseinander. Der war freilich nicht so einfach und gar nicht nach des Weibes Geschmack.

»Heute Nacht legt hier ein Dampfer an, welcher uns von Zeit zu Zeit mit Proviant versorgt. Es ist anscheinend ein harmloser Handelsdampfer, wir sind doch keine gewöhnlichen Seeräuber, sondern haben die weitesten und solidesten Verbindungen. Das vorige Mal hat uns dieser Dampfer auch viele Fässer mit gepökeltem Schweinefleisch gebracht, das sich dann als schon verdorben erwiesen hat. Diese Fässer, einige Dutzend, muß der Dampfer wieder mitnehmen. Mit dem verdorbenen Zeuge wird ein anderer Käufer angeschmiert. Der Heimathafen des Dampfers ist Nizza, dorthin fährt er von hier aus sofort wieder zurück, in drei Tagen ist er dort.

»In solch einem Fasse mußt du dich verbergen. Natürlich in einem leeren. Ich nehme das verdorbene Pökelschweinefleisch vorher heraus, scheuere das Faß auch gut aus. Das läßt sich alles ohne Aufsehen machen. Dann wirst du in Nizza ausgeladen, und daß dein Faß sofort geöffnet wird, dafür werde ich ebenfalls Sorge tragen.«

Daß es der Kokotte wenig behagte, die Reise als gepökeltes Schweinefleisch in einem Fasse zu machen, das konnte man ihr nicht verübeln. War es da nicht besser, sie hielte das eine Jahr hier aus?

Wilm aber wußte ihr durch eine Schilderung, was ihrer hier noch alles wartete, diesen letzteren Vorsatz zu verleiden, er trieb das arme Weib zu immer größerer Verzweiflung, bis sie überhaupt zu allem fähig gewesen wäre. Vielleicht hätte sie sich zuletzt noch aus einer Kanone von der afrikanischen Küste über das Mittelländische Meer nach Monte Carlo hinüberschießen lassen.

Wenn sie nun aber auch schon gewillt war, alles zu riskieren, um nur von hier fortzukommen, so hatte sie doch noch immer Hunderte von besorgten Fragen. Wenn nun ihre Flucht entdeckt wurde? Das war natürlich die Hauptsache. Aber Wilm wußte sie zu überzeugen oder verstand es doch, so überzeugend zu versichern, daß so etwas ganz und gar ausgeschlossen sei, bis sie es ihm wirklich glaubte und jeder Widerstand bei ihr besiegt war.

»Ich selbst kann dich natürlich nicht begleiten ...«

»Weshalb nicht?« schrak sie wiederum zusammen.

»Ich muß doch hierbleiben, falls du durch das Telephon angerufen wirst, da muß doch jemand hier sein, der für dich antwortet. Nur drei Stunden mußt du Vorsprung haben, dann bist du gesichert, und dann kann auch ich dir folgen, allerdings einen anderen Weg nehmend, und bei mir hat die Entfernung von der Insel auch gar keine Schwierigkeiten, ich nehme einfach ein Boot. Doch du brauchst keine Sorgen zu haben, ich habe Freunde genug, ich weihe sie ein, und die sind absolut zuverlässig, sie werden alles das tun, was ich tun würde, wenn ich dich selbst begleite.«

»Wenn du aber durch das Telephon anstatt meiner sprechen mußt, erkennt man dich doch sofort an deiner tiefen Stimme.«

»O, was das anbelangt, so ...«

Er wurde unterbrochen. Das Telephon hatte geklingelt. Wilm sprang schnell hin und setzte den Schalltrichter an sein Ohr.

»Hier,« piepste er mit Fistelstimme, »wer ist dort?«

Es war aber nicht nur, daß er mit der Fistelstimme sprach. Madame Pompadour hätte glauben können, sich selbst sprechen zu hören, so genau ahmte er ihren Ton und alles nach, und die Täuschung ward nur immer größer.

»Madame Pompadour?«

»Ja, ich bin's; was wünschen Sie?« piepste das dicke X-Bein weiter.

»Ich störe doch nicht?«

»O nein, ganz im Gegenteil – das heißt, wenn's nicht zu lange dauert.«

»Haben Sie sich mit ihrem Erwählten geeinigt?«

»O ja, er gefällt mir jetzt ganz famos, es ist ein reizendes Kerlchen.«

»Na, sehen Sie!«

»Auch seine X-Beine stören mich jetzt gar nicht mehr, ganz im Gegenteil.«

»Na, sehen Sie!«

»Können Sie mich denn sehen? Ich bin nämlich im tiefsten Neglige.«

»Dann will ich nicht länger stören. Schluß!«

Wäre Madame Pompadour wegen der bevorstehenden Flucht nicht von solch bänglichen Gedanken beeinflußt worden, sie hätte sich köstlich amüsiert – dieser dicke Türke mit der Brille und den X-Beinen, wie der ihre Stimme nachzuahmen verstand! Das mußte ja ein Stimmenimitator sein!

 

Die Nacht war angebrochen. Das Tischchen-deck-dich hatte die beiden reichlich gespeist, durch dieselbe Fahrstuhleinrichtung hatte sich Wilm einmal entfernt, und als er nach einer halben Stunde wieder auftauchte, mußte laut Verabredung sofort Madame Pompadour die Höllenfahrt antreten, denn dann war unten schon alles bereit zu ihrer Aufnahme, also auch die Helfershelfer waren bereits angestellt.

Es war sehr wenig, was die Kokotte später von dieser abenteuerlichen Fahrt hätte erzählen können, wenn sie bei der Wahrheit hätte bleiben wollen.

Sie stieg auf den altarähnlichen Tisch, es ging schnell hinab, sie sah sich in einem erleuchteten Raume, dann einen andern Mann – aber ehe sie irgend einen richtigen Eindruck gewinnen konnte, befand sie sich schon in einem engen Gefängnis, über ihr klappte etwas zu, dumpfe Hammerschläge ertönten, die finsterste Nacht umgab sie. Sie mußte geradezu mit dem Fahrstuhl direkt in das Faß hineingerutscht sein.

Zum Glück war dasselbe, welches bisher gepökeltes Schweinefleisch enthalten hatte, groß. Aufrecht konnte sie darin zwar nicht stehen, wohl aber sich setzen, ohne mit den Knien anzustoßen, und es war denn auch ein Bänkchen vorhanden.

Lange Zeit konnte sie freilich nicht so bequem sitzen bleiben. Es hatte ja nicht anders kommen können, Wilm hatte sie auch darauf vorbereitet, aber die Kokotte hätte doch vor Schreck bald laut aufgeschrien, als sie plötzlich umgekippt und mit dem Fasse davongerollt wurde.

In was für einer Situation sich Madame Pompadour befand, in dem rollenden Fasse, von der Fußbank umpoltert, das kann man sich wohl besser ausmalen, als es sich beschreiben läßt.

Glücklicherweise dauerte diese Rollerei nicht allzulange, dann wurde das Faß wieder aufrecht hingestellt, und das allergrößte Glück war dabei, daß Madame Pompadour nicht auf den Kopf zu stehen kam. Dafür sorgte eben Wilm oder dessen Stellvertreter, der die Beschaffenheit dieses gepökelten Schweinefleisches kannte. Schritte liefen um sie herum, Männerstimmen, Kommandos ertönten, eine Dampfpfeife heulte – kein Zweifel, das Faß befand sich schon dicht an dem erwarteten Schiffe, zur Übernahme der Fracht bereit.

Madame Pompadour irrte sich denn auch nicht, und bald mußte sie als lebendiges Pökelschweinefleisch alle Situationen durchmachen, in welche jedes Faß kommt, wenn es an Bord gehievt und im Frachtraum verstaut wird – und hierbei kam Madame Pompadour denn richtig auch einmal auf den Kopf zu stehen.

Dann fand das Faß wieder Ruhe und die Kokotte wieder ihr Sitzbänkchen. Eine Stunde verstrich, eine fürchterliche Stunde, für die Gefangene eine Ewigkeit. Erst jetzt sah sie ein, in was sie sich da eingelassen hatte, und hätte sie Gift bei sich gehabt, sie würde es wahrscheinlich genommen haben, um diesen Qualen ein Ende zu machen.

Da hämmerte es leise über ihrem Kopfe, ein Lichtschein blinzelte in ihr enges Gefängnis herein, der Deckel wurde abgenommen.

»Pst. Wie geht's?«

Es klang wie Engelsmusik in ihren Ohren. Sie sah über sich einen Männerkopf, richtete sich auf, dehnte die lahm gewordnen Glieder.

»Entsetzlich, ich bin mehr tot als lebendig!« hauchte sie.

Aber in Wirklichkeit war mit einem Male all ihre Verzweiflung davongestohlen, neuer Lebensmut kehrte bei ihr ein. Dazu trug auch viel mit bei, daß sie in dem stattlichen, jungen Manne, der mit einer Blendlaterne vor ihr stand, einen Matrosen der Heliotrop wiedererkannte, der schon in Monte Carlo von den Damen oft bewundert worden war. Er kam ihr wie ein alter Bekannter vor, sie hätte ihm gleich um den Hals fallen können.

Doch jetzt hatte sie an andres zu denken, als ihren Gefühlen Luft zu machen. Im Scheine der Blendlaterne sah sie, daß sie sich in einer kleinen, niedrigen Kammer befand, angefüllt mit Fässern, Kisten, Segeln und Taurollen.

»Wo bin ich hier?« war ihre erste Frage.

»An Bord der Kassandra, wir befinden uns bereits in Fahrt, in spätestens drei Tagen sind wir in Nizza.«

»Ich merke gar nichts, daß wir fahren.«

»Warum auch? Es ist spiegelglatte See, und dieser Storeraum befindet sich ganz vorn im Schiff, da merkt man nichts von dem Rütteln der Schraube. Sie brauchen übrigens gar nicht so leise zu sprechen, Madame, ich bin der Storekeeper, habe die Ladung zu verstauen, das ist mein Revier, und hierher kommt niemand. Nun klettern Sie aus dem Fasse, ich mache Ihnen ein Bett zurecht, wie Sie es nicht im feinsten Hotel finden.«

Gelobt sei Gott! Gerettet! Die Kokotte hätte wirklich einmal aufjauchzen mögen. Der Matrose half ihr aus dem Fasse, er hatte einen Korb mit Proviant mitgebracht, recht auserlesene Speisen, jetzt bereitete er noch aus mehreren Segeln ein Lager, und er hatte ganz recht gehabt, als er behauptete, ein solches Bett fände man im feinsten Hotel nicht. Für Madame Pompadour aber dünkte es nach den ausgestandenen Strapazen in Wirklichkeit herrlicher denn jedes Himmelbett.

Doch kam sie noch nicht gleich zur Nachtruhe. Fritz, wie sich der Matrose nannte, war fertig, schien gehen zu wollen, hatte noch einige beruhigende Worte gesagt, wie er von Zeit zu Zeit nach ihr sehen würde – aber er ging noch nicht, ließ den Blendstrahl an ihrer vollen Gestalt herabgleiten, zögerte.

»Na, Madame,« fing er etwas unsicher an. »habe ich denn nun nicht einen Kuß verdient?«

Einen Kuß? Ach, zehne! Madame Pompadour lag bereits an seinem Halse und küßte ihren Retter, wie sie in ihrem ganzen Leben noch nicht geküßt hatte. An ihren x-beinigen Geliebten, dem sie ewige Treue geschworen hatte, dachte sie dabei mit keinem Gedanken.

Und bei der Küsserei blieb es nicht. Es wurde daraus ...

Doch blasen wir jetzt lieber die Lampe aus und decken wir über die beiden den Mantel der christlichen Nächstenliebe.

So vergingen zwei Tage unter Essen, Trinken und Küssen. Zu der letztern Beschäftigung brauchte Madame Pompadour eine zweite Person, und das war eben Fritz, der sie oft genug in ihrer Kammer besuchte.

In der Nacht des zweiten Tages kam er zum letzten Male, um ihr mitzuteilen, daß nun die Trennung stattfinden müsse. Die Kokotte mußte wieder in ihr Faß steigen, es wurde zugenagelt, wieder wurde sie gerollt, gehievt und auch einmal auf den Kopf gestellt, wieder Kommandos und Pfiffe, noch einmal wurde das Faß eine gute Strecke weit gerollt, und als es dann aufgerichtet wurde, war Madame Pompadour fest überzeugt, jetzt als gepökeltes Schweinefleisch auf einem Ladeplatz im Hafen von Nizza zu stehen.

Dem war aber nicht so, und sie mußte sich in ihrem engen Gefängnis noch einige Stunden gedulden, ehe sie die Wahrheit erfuhr. Hätte sie sich durch Rufen bemerkbar gemacht, so wäre sie auch eher entdeckt worden.

Wohl hatten schon einige Nachtschwärmer beim Morgengrauen das große Faß bemerkt, welches zwischen Monte Carlo und Condamine auf dem sandigen Strande lag oder vielmehr stand, aber ein Polizist war der erste, der sich näher mit dem Fasse beschäftigte, wie es auch seine Pflicht erforderte.

Oben auf den zugenagelten Deckel war ein gedruckter Zettel geklebt mit der Aufschrift: Gepökeltes Schweinefleisch – und darunter war mit Kreide geschrieben: Anrüchig!!!

Wie kam das Faß hierher? Angeschwemmt konnte es nicht sein. Der Polizist bemerkte auch, daß der obere Deckel vielfach angebohrt war. Er schnüffelte an den Löchern - es roch nicht gerade angenehm, aber es stank doch auch nicht direkt nach verdorbenem Schweinefleisch. Weit konnte der Verwesungsprozeß des Inhaltes jedenfalls noch nicht vorgeschritten sein.

Der Polizist rief einen vorübergehenden Kollegen heran, dieser holte noch mehr Beamte herbei, und nun gesellten sich auch Passanten hinzu, welche das Faß umstanden und hin- und herrieten, wie es wohl hierhergekommen sein möge.

Da plötzlich erscholl in dem mysteriösen Fasse ein Klopfen, es quiekte darin. Das gepökelte Schweinefleisch war lebendig geworden!

Doch nein, das war eine menschliche Stimme gewesen, der verwegenste der Beamten wagte sich ganz nahe heran.

»Steckt da jemand drin?«

»Ja – iiiiich!« piepste das lebendige Schweinefleisch.

Hammer und Meißel herbei, der Deckel hob sich, und ...

»Madame Pompadour!!!« erklang es unisono.

Sie war es, zurückgekehrt von der Räuberinsel, aber nicht in Nizza ausgesetzt, sondern auf Monte Carlos palmengeschmückten Strande!

Und nun konnte die Heldin des Tages erzählen von ihren haarsträubenden Abenteuern auf der Insel an der Küste von Marokko, wo sich der furchtbare Karabaß verborgen hielt, von ihrer Flucht usw., und entsetzt vernahm es ganz Monaco-Monte Carlo nebst weiterer Umgegend, daß Lord Hannibal Roger enthauptet worden war und Mademoiselle Psyche mit einem Beine noch immer in der Fuchsfalle steckte.


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