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Dritter Act.

(Ein freier Platz im Walde.)

Erste Scene.

Cora mit ihrem Kinde; mehrere Frauen und Kinder Gruppenweis vertheilt.

Cora (hat den kleinen Fernando unter einen Baum auf ein Bett von Moos gelegt, und Zweige um ihn her gesteckt. Sie kauert sich neben ihm nieder). Immer schläfst du, holder Bube. Willst du dein blaues Aeuglein noch nicht aufschlagen, daß die Mutter sich freue über des Vaters blaue Augen? (Sich schwermüthig aufrichtend.) Ach! wo sind des Vaters Augen? leuchten sie noch? lebt er noch? –

Eines der Weiber (in der Ferne nach einem Hügel blickend). Xuliqua! siehst du nichts?

Eine weibl. Stimme (hinter der Scene.) Ich sah große Staubwolken, nun ist's vorüber.

Ein Weib. Bald muß sich's entscheiden.

Ein Anderes. Als ich auf dem Hügel stand, hörte ich das Klirren der Waffen.

Ein Drittes. Ein dumpfes Getöse schlug an meine Ohren.

Das Erste. Das waren die Schilder der Uns'rigen.

Das Dritte. Die Feuerrohre der Spanier hörten wir alle.

Das Zweite. Die Götter schützen unsere Männer!

Cora (für sich, die Hände emporstreckend). Gott mir dir, Alonzo!

Das erste Weib (an der Scene), Xuliqua! siehst du nichts?

Xuliq. (in der Ferne). Die Sonne blendet mich.

Das Weib. Unser Vater sieht herab, die Kinder der Sonne werden siegen.

Cora (neben dem Knaben), Sieh, da hat eine Mücke dich gestochen. Die böse Mücke! (sie fächelt ihn mit einem Zweige,) O Alonzo! dein armes Weib quält sich hier um einen Mückenstich, indessen dir vielleicht ein Pfeil durch das Herz fuhr.

Das erste Weib. Xuliqua! siehst du nichts?

Xuliq. (hinter der Scene). Ich sehe einen Mann, und in der Ferne wieder einen, sie eilen athemlos hieher.

Die Weiber (untereinander). Ihr guten Götter! Botschaft! Botschaft von unsern Männern!

Xuliq. (hervortretend). Der Erste verlor sich hinter den Bäumen, er muß gleich hier sein.

Cora (zitternd). Mein Herz will durch den Busen springen.

Ein Weib. Da ist er! Bringst du Freude oder Jammer?

Ein Peruaner (athemlos). Wir sind geschlagen! rettet euch! (Die Weiber kreischen, Cora sinkt neben ihrem Kinde hin.)

Peruan. Rettet euch! alles ist verloren! der König verwundet – vielleicht schon todt –

Die Weiber (heulend). O Tag des Jammers!

Cora (mit schwacher Stimme). Und Alonzo?

Peruan. Ich sah ihn nicht.

Die Weiber. Wohin fliehen wir?

Peruan. Tiefer in den Wald.

Die Weiber. Fort Schwestern! rafft alles zusammen! flieht! flieht!

Cora. Ich kann nicht.

(Die Weiber wollen fliehen, ein anderer Peruaner stürzt auf die Bühne.)

Peruan. Wohin? Noch ist Hoffnung!

Die Weiber. Hoffnung! wo! wo!

Peruan. Rolla hat die Flüchtigen gesammelt. Rolla tobt und ras't unter den Feinden wie ein verwundeter Löwe.

Die Weiber. Rolla! der Liebling der Götter!

Cora. Und Alonzo?

Peruan. Ich sah ihn nicht.

Die Weiber. Ist der König verwundet?

Peruan. Man trug ihn aus dem Schlachtgetümmel.

Die Weiber. Warum nicht hieher zu uns?

Peruan. Er wankte, ich sah sein Heldenblut fließen.

Ein Weib (sinkt auf die Knie). Betet! betet für des Königs Leben!

Alle Weiber (knien nieder). Ihr Götter! schützt den Sohn der Sonne!

Cora (sich matt auf ihre Knie richtend). Einziger Gott! erhalte mir Alonzo! Bube, falte deine kleinen Hände, bete für Vater und Vaterland!

Ein dritter Peruan. (eilt herbei). Glück auf! wir siegen!

Die Weiber (alle aufspringend). Sei uns willkommen, Bote des Heils! (Sie umringen ihn und erdrücken ihn fast mit ihren Liebkosungen.)

Peruan. Laßt mich – ich kann nicht mehr!

Die Weiber. Lebt der König?

Peruan. Er lebt.

Die Weiber. Rede! erzähle!

Peruan. Rolla hat den Sieg erfochten.

Die Weiber. Segen über Rolla!

Cora. Und Alonzo?

Peruan. Ich sah ihn nicht.

Die Weiber. Fort! fort! laß uns hin! zu unsern Brüdern! unsern Männern!

Peruan. Bleibt! sie werden gleich hier sein.

Die Weiber. Sie kommen? sie kommen?

Peruan. Sie folgen mir auf der Ferse.

Ein Weib. Auf, ihr Schwestern! brecht Zweige von den Bäumen, windet Kränze für die Sieger!

Alle. Kränze! Kränze für die Sieger! (Sie brechen Zweige ab.)

Cora (schwermüthig). Keiner hat ihn gesehen! O mein Sohn! hast du noch einen Vater? (Man hört in der Ferne einen Marsch.)

Ein Weib. Ha! sie kommen! – Hieher Schwestern! seht die Helden stolz einherzieh'n! Hebt die Kinder hoch empor, daß sie den Siegern entgegen lallen. Jubelt, jauchzt! (So wie der Marsch sich nähert, stimmen die Weiber ein Triumphgeschrei an.) Heil den Kindern der Sonne, Freude Rolla, dem Sieger, Segen Ataliba, dem Geretteten, unserm Vater und Könige!

Zweite Scene.

Der König. Rolla. Ein Theil des Heeres. Die Vorigen.

Die Weiber (mischen sich im frohen Jubel unter die Kommenden, und bekränzen Ataliba und Rolla).

Atal. Ich danke euch, meine Kinder!

Einige Weiber. Guter König, Du bist verwundet? wo? wir haben heilenden Saft aus Kräutern gepreßt.

Atal. Ich danke euch! seid unbesorgt, meine Wunde ist leicht, der Sieg hat Balsam dareingegossen.

Rolla (steht finster in sich gekehrt).

Cora (die mit ihrem Kinde auf dem Arm den ganzen Zug durchlief, um Alonzo zu finden, kehrt jetzt voll Verzweiflung zurück zu Rolla). Wo ist Alonzo?

Rolla (wendet sich ab und schweigt).

Cora (stürzt zu des Königs Füssen). Gib mir meinen Gatten! gib diesem Kinde seinen Vater wieder!

Atal. (sich verstellend). Ist Alonzo noch nicht hier?

Cora. Du erwartest ihn?

Atal. (sie aufhaltend). Mit Sehnsucht und Verlangen.

Cora. Er ist nicht todt?

Atal. Die Götter werden mein Gebet erhören.

Cora. Er ist nicht todt?

Atal. Er lebt in meinem Herzen.

Cora. O König! Du marterst mich gräßlich! nicht diese zweideutigen Worte! zermalme mich durch einen Schlag! bin ich Witwe? ist dieses Kind eine Waise?

Atal. Warum, liebe Cora, willst du durch trübe Ahnungen unsere wenige Hoffnung noch vermindern?

Cora. Wenig! aber doch noch Hoffnung! was ist das! Rede, Rolla! du bist ein Freund der Wahrheit, rede wahr.

Rolla. Alonzo wird vermißt.

Cora. Vermißt? ich kenne das Wort nicht! auch du redest mit Umschweifen? O laß deinem Blitz keinen Zickzack machen, laß ihn gerade herab auf meinen Scheitel fahren, sprich nicht vermissen, sprich sterben!

Rolla. Soll ich lügen?

Cora. Dank den Göttern, wenn es eine Lüge ist! aber ist denn keiner unter euch so barmherzig, mich aus dieser unaussprechlichen Qual zu reißen! Strecke deine Händchen empor, armes Kind! vielleicht ist dein Lallen beredter als der Schmerz deiner Mutter!

Rolla. Alonzo ist gefangen.

Cora. Gefangen? von den Spaniern? O dann ist er todt!

Atal. Warum todt? Ich sende sogleich einen Herold ab, ein großes Lösegeld für seine Befreiung zu bieten.

Cora. Ein Lösegeld – wo ist mein Geschmeide? (Sie holt ein Kästchen hinter dem Baume hervor.) Wo ist der Herold?

Atal. Will Cora mir nicht die Freude gönnen, das Leben meines Freundes zu erkaufen?

Cora. Ein Lösegeld für meinen Gatten? und ich sollte mehr übrig behalten als dies Gewand?

Einige Weiber (nachdem sie unter sich geflüstert, bringen eine jede ein Kästchen). Hier, Cora, sind unsere Kostbarkeiten, die wir zu retten gedachten, nimm sie, wir geben sie aus gutem Herzen.

Cora (ihnen um den Hals fallend). O meine Freundinnen!

Atal. (gen Himmel blickend). Ich danke dir Gott, du machtest mich zum Herrscher über Menschen!

Cora. Dank sei das erste Lallen dieses Kindes. Nimm, nimm, Ataliba, und sende Deinen Herold.

Atal. Ohne Verzug. (Er übergibt den gesammelten Schmuck seinem Gefolge.)

Cora. Ich selbst will ihn begleiten, und wen der Glanz des Goldes nicht versucht, den sollen meine Thränen rühren.

Atal. Nein Cora, das darf ich nicht erlauben. Du würdest dich und deinen Gatten nur größern Gefahren aussetzen. Warte des Herolds Rückkunft ab!

Cora. Lehre mich leben bis dahin.

Atal. Vergiß nicht die Mutter über der Gattin. Willst du dein Kind fremden Händen anvertrauen? oder soll es eine Beute der wilden Spanier werden? –Du selbst! – Du mit deinen Reizen unter diesen Ungeheuern! Du wagst dein Leben, deine Ehre, deines Kindes Leben, und statt Alonzo zu retten, würden bei deinem Anblick seine Fesseln sich nur enger zusammen ziehen. – Muß ich deutlicher reden? – Bleib', liebe Cora – du bist Mutter, vergiß das nicht.

Cora (zu ihrem Kinde). Ich will es nicht vergessen.

Atal. Ich gehe, den Göttern zu opfern, Dank für mein Vaterland, Gebet für Alonzo.

Cora. Du gehst. O gib vorher Dein königliches Wort, daß noch an diesem Abend Alonzo zurückkehren soll.

Atal. Kann ich das?

Cora. Nicht? also sein Tod doch möglich? Warum so still, arme Waise? Schreie, schreie laut! ford're von diesem Manne deinen Vater! für diesen Mann ist er gestorben!

Atal. Du zerfleischest mein Herz. Würd' ich minder trauren als du, wenn Alonzo nicht zurück kehrte? Ich hätte dann einen Freund verloren. Einen liebenden Mann findet die Gattin wieder, aber wo findet ein König einen Freund wieder? (Er entfernt sich mit seinem Gefolge und dem größten Theil der Weiber.)

Dritte Scene

Cora. Rolla. Einige Weiber.

Cora. Leidiger Tröster! Armes Kind, was soll aus dir werden?

Rolla. Nicht diese Verzweiflung, Cora! Vertraue den Göttern.

Cora. Ach! mich haben sie verlassen.

Rolla. Sie schufen die Freundschaft zum Balsam für jede Wunde.

Cora. Für mich nicht.

Rolla. Sie pflanzten die Blume der Hoffnung auf den Boden der Trübsal.

Cora. Für mich ist sie verwelkt.

Rolla. Deine Verzweiflung zerstört ihre Blüten. Der Schmerz macht dich undankbar. Was die Götter dir wunderbar gaben, können sie auch wunderbar erhalten.

Cora. Und wenn nicht? Wenn Alonzo – ach! ich kann es nicht aussprechen!

Rolla. Ist dein Kind vaterlos, so lange Rolla lebt!

Cora. Kannst du auch die Mutter ihm ersetzen? oder meinst du, ich würde Alonzos Verlust überleben?

Rolla. Um deines Kindes willen, ja.

Cora. Soll es Blut aus meinen Brüsten saugen? soll es sich nur in Mutterthränen baden?

Rolla. Die lindernde Hand der Zeit, des Königs Freundschaft, meine Liebe! –

Cora. Weg mit eurer Freundschaft, eurer Liebe! Gib dem Landmann, dem der Hagel seine Saaten knickte, keine Hand voll Gras zurück.

Rolla. So höre Alonzos Freund, wenn du den deinigen zurückstößest.

Cora. Alonzos Freund! wer war das nicht!

Rolla. Seine letzten Worte vor der Schlacht –

Cora (ängstlich). Seine letzten Worte? rede!

Rolla. Er vertraute mir zwei theu're Pfänder: Segen für sein Kind, und einen Wunsch für dich.

Cora. Einen Wunsch? – den letzten! nenne ihn!

Rolla (trocken und finster). »Wenn ich falle,« sprach er und faßte bebend meine Hand, »so sei Cora dein Weib.«

Cora. Dein Weib?

Rolla. Ich gab mein Wort, und wir schieden.

Cora. Ha! mir geht ein schreckliches Licht auf! Alonzo! du wurdest ein Opfer deines truglosen Herzens! o hättest du geschwiegen! statt diese elenden Reize einem laurenden Erben zu vermachen! –

Rolla. Welch' ein fürchterlicher Argwohn belagert deine Seele!

Cora. Es ist klar! ihr habt ihn hingesandt, wo der Tod unvermeidlich war, seine Tapferkeit ließ sich willig täuschen von eurer Hinterlist – er ging, er flog – er stürzte sich in die Schwerter – ihr sähet es von ferne und lächeltet. –

Rolla (ganz erstaunt). Cora!

Cora. Gesteh' es nur, du hättest ihn retten können; aber da schwebte das Vermächtniß dir vor den Augen. Er fiel – du wandtest dein Gesicht. –

Rolla. O Sonne! muß ich das erleben?

Cora. Hast du ihn doch nicht selbst ermordet, was darf die arme Witwe klagen; die Hand, die du ihr reichst, trieft ja nicht vom Blute ihres Gatten. Du hast nur zugesehen.

Rolla. Das ist zu viel!

Cora. Und dieser letzte Wunsch – wer weiß auch einmal, ob er je über Alonzos Lippen ging? die Todten sind gefällig.

Rolla. Cora! nimm mein Schwert und tödte mich.

Cora. Warum nicht leben für die Liebe? eine Liebe, deren Blumen aus deines Freundes Grabe hervorsprießen. – Aber höre auch meinen Schwur, so wie du Alonzos Wunsch vernahmst: eher soll mein Sohn Gift aus dieser Brust saugen, als ich dich Gatte, er dich Vater nennen!

Rolla. So nennt mich eu'ren Freund, euren Beschützer. –

Cora. Hinweg! ich kenne keinen andern Schutz als Gott! mit diesem Kinde auf dem Arme will ich das Schlachtfeld auf- und niedereilen, jeden verstümmelten Körper umwenden, in jedem Gesichte, das der Todeskampf verzog, das holde Lächeln meines Gatten suchen! seinen Namen will ich kreischen, bis die Adern in meiner Brust zerspringen! und glimmt nur noch ein Lebensfunke in ihm, so wird er mich hören, seine Augen noch einmal dem Sonnenlicht öffnen. Finde ich ihn aber nicht, wohlan mein Sohn! so stürzen wir uns unter die Feinde. Auch die Spanier sind Menschen. Dieses Kindes Lächeln soll mir durch tausend Schwerter den Weg bahnen! Wer wird eine Mutter zurück stoßen, die ihren Gatten sucht! wer ein unschuldiges Kind von sich schleudern, das nach seinem Vater lallt! komm mein Sohn! wir sind überall sicher! Ein Kind an der Mutter Brust ist ein Freipaß durch die Welt, von der Natur unterzeichnet. Komm! komm! wir wollen deinen Vater suchen. (Sie stürzt fort.)

Vierte Scene.

Rolla (allein).

(Er steht lange, seinen finstern Blick an den Boden geheftet. Nur einmal geht seine Empfindung in Wehmuth über, und er ruft mit gerührte Stimme) Mir das! (Darauf wird er wieder ernst, nachdenkend, sein Auge rollt, und er spricht männlich entschlossen:) Ich will sie zwingen, mich hochzuachten. (Er geht ab.)

Fünfte Scene.

(Im spanischen Lager.)

Pizarro (allein).

(Wild und finster auf- und niedergehend.) Glück! du Buhlerin der Knaben! Mannes Arm ist dir zu rauh. Wer noch Flaum am Kinn und ungefurchte Wangen hat, der wird von dir geschmeichelt und gestreichelt. Wo aber auf des Mannes Stirn die Klugheit sich in Falten lagert, da wendest du den Rücken. Du geschminktes Ungeheuer! Nun so rolle deine Kugel! rolle sie über meinen zerquetschten Leichnam! aber Rache! Rache an Alonzo! – Nur noch einmal lächle mir! und dein Lächeln sei Alonzos Tod!

Sechste Scene.

Elvira. Pizarro.

Piz. Wer kommt? Wer wagt es, dich herein zu lassen? Wo ist meine Wache?

Elv. O deine Wache hat gethan, was einer ehrlichen Wache zukommt. »Wer da?« Ich, Elvira. – »Zurück!« – Warum? – »Pizarro will allein sein. Er hat aufs strengste verboten –« da gleitete mein sanfter Blick vom borstigen Haar zum straubigten Bart herunter, die Hellebarde senkte sich, und – hier bin ich.

Piz. Was willst du?

Elv. Ich will sehen, wie ein Held sein Unglück trägt.

Piz. Sahst du mich nicht im fliehenden Heere, wo diese Faust den feigen Flüchtling niederstieß? Sahst du mich nicht vor dem geschlagenen Heere, wo unter tausend gesenkten Häuptern, mein Haupt allein noch ungebeugt dem Schicksal trotzte?

Elv. Ich sah dich da und dort, doch um den Helden ganz zu kennen, mußte ich ihn auch hier in seinem Zelte sehen. Groß unter Menschen, ist nicht immer groß in sich allein. Mancher zittert in einsamer Nacht, der, wenn Tausende auf ihn blicken, dem Tode kühn die Stirne bietet.

Piz. Nun, hier siehst du mich. Bin ich durch Gram entstellt? Hörst du ein fruchtloses Winseln?

Elv. Pfui! Winseln! das thun nur Pfaffen und Weiber. Aber du knirschest, und auch das taugt nicht.

Piz. Soll ich etwa an deiner Hand einen Ball eröffnen, weil das Schwert der Feinde die Tapfersten im Heere fraß?

Elv. Kalt und still sollst du sein, wie die Nacht, wenn ein Gewitter austobte. Kalt und still wie das Grab am Abend vor der Auferstehung. Der Morgen bricht an, und mit neuer Kraft, von einer neuen Sonne bestrahlt, tritt der Held hervor.

Piz. Weib! warum waren an diesem Tage nicht alle meine Männer, Weiber wie du!

Elv. So hätte meine Hand dich heute zum König von Quito gekrönt. Doch sieh, wir stehen noch am Ufer. Die Krone, die da vor uns hin in einem Strom von Blute schwimmt, ist unserm Auge noch nicht entrückt. Wir sammeln frischen Muth, und springen rasch noch einmal in den Strom.

Piz. O Elvira! meine Hoffnung glimmt nur schwach, so lange dieser Alonzo, diese Geißel meines Lebens, an der Spitze der Feinde steht.

Elv. Ach, das vergaß ich dir zu sagen: Alonzo ist gefangen.

Piz. Wie?

Elv. So eben hat ein Trupp der Uns'rigen ihn durch das ganze Lager im Triumph geschleppt.

Piz. (sie umarmend). Weib! welche Botschaft bringst du mir! – Alonzo gefangen? O dann bin ich der Sieger! ich habe den Feind geschlagen!

Elv. Wahrhaftig, du machst mich neugierig, den Mann zu seh'n, vor dem Pizarro sich fürchtet.

Piz. Wo ist er? – Wache! (Die Wache tritt herein.) Bringt den gefangenen Spanier sogleich hieher. (Die Wache ab.)

Elv. Was willst du mit ihm thun?

Piz. Sterben soll er! Stunden lang – Tage lang –

Elv. Schäme dich. Was wird die Nachwelt sagen? Pizarro konnte nur siegen, wenn Alonzo ermordet wurde.

Piz. Gleichviel.

Elv. Welch' ein Wort in deinem Munde! Handle nicht immer edel, aber handle immer groß.

Piz. Und was räthst du mir?

Elv. Gib ihm ein Schwert, und fordere ihn zum Zweikampf.

Piz. Er hat sein Vaterland, vielleicht auch seinen Gott verrathen. Der Heldentod ist nicht für den Verräther.

Elv. Thu' was du willst, doch wenn du ihn ermordest, so ist Elvira für dich verloren.

Piz. Welchen Theil nimmst du an einem Unbekannten? – Was ist er dir?

Elv. Er? nichts. Aber dein Ruhm alles. Meinst du, ich liebe dich? nein, ich liebe deinen Ruhm.

Piz. Nicht nach Ruhm, nach Rache dürstet mein Herz! Ich habe sie ihm geschworen, und ich bin Spanier.

Siebente Scene.

Alonzo (in Fesseln, tritt herein).

Elv. (betrachtet Alonzo mit einer Mischung von Bewunderung und Neubegier).

Piz. Ha! willkommen, Don Alonzo de Molina! wir haben uns lange nicht geseh'n.

Alonzo. Wir sehen uns immer noch zu früh.

Piz. Ihr seid dick und fett geworden.

Alonzo. Doch ward ich nicht mit Blut und Raub gemästet.

Piz. Auch vermählt, wie ich höre? wohl gar schon Vater?

Alonzo. Thut es Euch wehe, daß Ihr das Kind im Mutterleibe nicht mehr ermorden könnt?

Piz. (mit funkelnden Augen). Knabe!

Elv. Dir geschieht Recht, warum spottest du?

Piz. Wer hat dich zu seinem Sachwalter ernannt?

Elv. Den Ueberwundenen schmähen ist klein.

Piz. Entferne dich!

Elv. Ich will nicht.

Piz. Soll ich Gewalt brauchen lassen?

Elv. Gewalt? (Sie zieht einen Dolch hervor.)

Alonzo. Edler Jüngling, wer seid Ihr? ich sah Euch nie.

Elv. Wenn ich edel bin, was liegt Euch an meinem Namen?

Alonzo. Schont Euch selbst; mich vertheidigen, heißt dem Tiger eine Beute rauben wollen.

Piz. Und dieser Tiger ist die Gerechtigkeit.

Alonzo. Welchen Namen entweihen deine Lippen?

Piz. Du hast dein Vaterland verrathen.

Alonzo. Bin ich unter Räubern geboren?

Piz. Du Abtrünniger von Gott und Religion!

Alonzo. Du lügst.

Piz. Dein Weib ist eine Heidin.

Alonzo. Gott kennt die Herzen und richtet.

Piz. Und lohnt nach Verdienst.

Alonzo. Dort! ja.

Piz. Deine Augenblicke sind gezählt, vertheidige dich, wenn du kannst.

Alonzo. Wo sind meine Richter?

Piz. Du fragst noch?

Alonzo. Bist du hier Despot?

Piz. Berufst du dich auf den versammelten Kriegsrath?

Alonzo. Wenn Las Casas unter euch ist, ja. Wo nicht, so kann ich meine Worte sparen.

Piz. Daß doch die Unbesonnenheit sich so gerne auf fremde Thorheit stützt.

Alonzo. Las Casas ein Thor! o dann verschont mich mit Eurer Weisheit! und du, heiliger Gott! laß mich sterben in Las Casas Thorheit!

Piz. Du bist dem Ziele deiner Wünsche näher, als du glaubst.

Alonzo. Denkst du mich zu schrecken?

Piz. Doch, wenn Las Casas hier an meiner Stelle säße, was würdest du ihm sagen?

Alonzo. Was ich ihm sagen würde? An seiner Hand würde ich die Fluren von Quito durchstreichen: sieh', wie alles grünt und blüht, wie hier die Pflugschaar unbebaute Felder durchwühlt, und dort eine reiche Saat unserer Hoffnung entgegenreift, das ist mein Werk. Sieh', wie Zufriedenheit auf jeder Wange lächelt, weil Gerechtigkeit und Milde barbarische Gesetze tilgten, das ist mein Werk. Sieh, wie schon hier und dort Einer und der Andere Blicke voll hoher Andacht emporhebt nach dem einzigen wahren Gott! das ist mein Werk. Und Las Casas würde mich in seine Arme schließen, und eine Thräne sanfter Wehmuth voll würde Segen auf mich herabträufeln. Begreifst du nun, wie man dem Tode lächelnd trotzen kann?

Piz. Du bist noch immer was du warst, ein Schwärmer.

Alonzo. Ach! wenn diese Schwärmerei mich je verlassen könnte, so wäre ich werth – Pizarros Freund zu heißen.

Piz. Trotze nur, Knabe! Doch alte Weiber sitzen hier nicht zu Rathe, hier richten Männer.

Alonzo. Ich kenne eure Männlichkeit und bin gefaßt darauf.

Piz. Wohl dir, denn nur noch wenig Stunden sind dein. Geh' und bereite dich zum Tode.

Alonzo. Ich bin bereit.

Piz. Hat deine hohe Schwärmerei auch Weib und Kind aus Sinn und Herz verdrängt?

Alonzo. Es lebt ein Gott!

Piz. Viel Glück zu dieser stolzen Fassung. Geh' und bete. Der erste Sonnenstrahl ist dein Todesbote.

Alonzo. Deine Rachsucht ist eilig. Ich danke dir dafür (Er will gehen.)

Elv. Halt, Alonzo! – ich sage dir Pizarro, dieser Jüngling wird nicht sterben.

Piz. Bist du von Sinnen?

Elv. Nicht Tugend und Großmuth fordere ich auf. Thu', was du der Ehre schuldig bist. Setz' ihn in Freiheit, gib' ihm ein Schwert, kämpfe mit ihm – wo nicht, so muß ich dich verachten.

Piz. Ihm die Freiheit? daß er seine Faust auf's neue mit dem Blut der Brüder färbe?

Alonzo. Räuber waren nie meine Brüder.

Piz. Hörst du? – fort, Alonzo! du weißt dein Urtheil.

Alonzo. Ich weiß es und verachte dich. – Dir, holder Jüngling, meinen Dank! du taugst nicht unter diese Menschen. Geh' zu den sogenannten Wilden, dort wirst du deine Heimath finden. (Geht ab.)

Achte Scene.

Pizarro. Elvira.

Piz. Schmähe nur, und gieße Oel in meiner Rache Glut. Das sind Las Casas saub're Lehren.

Elv. Ich bewund're diesen Alonzo.

Piz. In wenig Stunden kannst du sagen: ich habe ihn bewundert.

Elv. Meinst du, er werde sterben?

Piz. So gewiß die Sonne eben untergeht.

Elv. Und die Art seines Todes?

Piz. Darüber sinne ich eben, wie viele Qualen man in den Zeitraum einer Stunde zusammendrängen könnte.

Elv. Ich wüßte eine Marter, die den Gepeinigten ewig plagt, und dem Peiniger Wollust schafft.

Piz. Nenne sie.

Elv. Sie heißt Beschämung.

Piz. Ich verstehe dich nicht.

Elv. Verzeih' ihm.

Piz. Schon wieder.

Elv. Und noch tausend Mal. Segne mich, denn ich erspare dir der Nachwelt Fluch. Sie wird deine Thaten lesen: er landete mit einer Hand voll Menschen in einem fremden Welttheil, er schlug den König eines mächtigen Reichs, er war tapfer! – er verzieh dem stolzen Feind in Ketten – Ha, er war groß!

Piz. (lächelnd). Und meine modernde Gebeine werden dann im Grabe fröhlich rasseln, nicht wahr?

Elv. Nachruhm ist eine Seifenblase, und der Held ein Kind. Doch dieses Spielwerk eben knüpft den Halbgott an die Menschheit.

Piz. Und wenn ich die gerechte Rache sättige, was spräche man dann?

Elv. Er stieß dem Gefesselten einen Dolch in die Brust, er war ein gemeiner Mensch.

Piz. (kalt lächelnd). Herkules erdrückte den Riesen, und Apoll hat einst den Marsyas geschunden.

Elv. Ha! ha! ha! Bravo! wir wollen ihn schinden. Bläst er doch die Flöte besser als wir.

Piz. (finster). Genug, Elvira!

Elv. Du hast Recht, wer wird in einem Sumpfe Cedern pflanzen. – Laß uns vernünftig von der Sache reden. Ruhm und Nachruhm sind unvernünftige Dinge. Ein wenig Rauch, ein wenig Flamme, es wärmt nicht, es sättigt nicht. Aber unser Vortheil – was meinst du, Pizarro? Wenn wir durch wohlfeile Großmuth theuern Sieg erkaufen konnten?

Piz. Rede deutlicher.

Elv. Alonzo wird und muß Las Casas Lehren versiegeln, ob mit einem heldenmüthigen Tode, der uns wenig Nutzen schafft? oder mit einer Thorheit, die uns frommt? das steht bei dir.

Piz. Wie das?

Elv. Wir wollen einen Schwärmer in seinem eigenen Hirngespinste fahen. Das Unding, das die Menschen hohe Tugend nennen, ist sein Abgott. – Tritt vor ihn hin und sprich: Alonzo, du hast mich beleidigt. Ich verzeihe dir, du bist frei. Was gilt's, der Knabe wird in deine Arme sinken, und den Thron von Quito dankbar dir verrathen.

Piz. Meinst du? ich zweifle.

Elv. Ist das Kunststück dir allein zu schwer, ich helfe dir. Wen als den Schwärmer reißt die Liebe leichter hin zum Guten, wie zum Bösen? – Ich bin schön, ich habe Reiz, Verstand, kann mich in Männerlaunen schmiegen. Du weißt, Pizarro, Tausende gehorchen dir, dem Helden; du mir, dem Weibe.

Piz. Ich dir?

Elv. Kein Wort, die Zeit ist kostbar. Ich gehe zu Alonzo. Hab' ich nicht schon als Jüngling ihm das Herz entwandt? – und wenn ich nun gar als Weib vor ihn trete – wenn meine Hand die seinige hält, meine Augen bittend auf ihm ruhen – wenn der Tugend Bildersprache von meinen Lippen strömt; meinst du, er werde mir widerstehen?

Piz. Deine Eitelkeit belustigt mich.

Elv. Danke mir den freundlichen guten Willen, ehe er mich gereut.

Piz. Laß ihn immer dich gereuen, denn mein Entschluß ist fest.

Elv. Alonzo stirbt?

Piz. Er stirbt.

Elv. Und wenn gleich in seiner Todesstunde Elvira dich auf immer verließe?

Piz. Wenn gleich.

Elv. Wenn sie zu einem edlern Feinde fliehend, mit Alonzo, an dem Glücke der Peruaner arbeitete?

Piz. Es gibt noch Kerker und Banden.

Elv. Nicht für ein Weib, das ohne Las Casas Lehren den Tod verachten lernte.

Piz. Auch der kann dir werden.

Elv. (zärtlich). Pizarro, du liebst mich nicht mehr!

Piz. Wenn du aus dem Feldherrn einen Schäfer machen willst, so irrst du dich.

Elv. Undankbarer! du hast vergessen, daß ich Vaterland und Eltern um deinetwillen verließ; daß ich nur in deinen Armen oder im Schoos der Wellen mich begraben wollte!

Piz. Hab' ich dir nicht Gleiches mit Gleichem vergolten? worüber beklagst du dich? theilst du nicht meine Macht, wie meine Freuden?

Elv. Vergiß nicht, daß ich auch deine Gefahren theilte. Wer war an diesem fürchterlichen Tage dir am nächsten im Gewühl der Schlacht? Wer hat die Brust, des Eisenharnisches ungewohnt, zum Schilde dir geliehen?

Piz. Gut, Elvira, du bist verliebt wie ein Weib, und tapfer wie ein Mann. Dafür gebührt dir ein ganzes Herz und halbe Beute.

Elv. Halbe Beute? Wohl! so ist Alonzo mein Gefangener.

Piz. Mit nichten! die Theilung behalte ich mir vor.

Elv. (sich an ihn schmiegend). Auch nicht, wenn ich süß dich bitte? deine Wange mit meinen Thränen netze?

Piz. (kalt). Auch dann nicht. (Nach einer Pause.) Was soll ich davon denken: hat des Knaben glatte Wange dich bethört?

Elv. O nein. Noch lieb' ich dich. Aber sei meiner Liebe werth! Den Sieg über Feinde konnte ein Zufall dir entwinden; bekämpfe dich selbst, und deine Niederlage wird zum schönern Siege. Dann bist du wieder Held, und nur den Helden kann Elvira lieben.

Piz. Vergebens! Hüte dich, Elvira, daß kein Argwohn seine Krallen in mein Herz schlage, du kennst die Spanier, kennst mich.

Elv. Ja, ich kenne dich; du bist eifersüchtig auf Weibergunst, doch eifersüchtiger auf deinen Ruhm. Du wirst nicht das einzige Band zerreißen, das Elviren an dich fesselt.

Piz. Jedes deiner Worte häuft seine Schuld.

Elv. Wohlan, so sei es zerrissen! Geh' und schleife deine Klinge für den Nacken des Gefangenen, dessen Fesseln dir dein theures Leben sichern. Gern hat Elvira ihrem Helden Staub und Blut nach jeder Schlacht von der Stirne gewischt, doch nicht den Staub der Flucht oder das Blut des Meuchelmords. – Der Arm, der einen wehrlosen Feind durchbohrt, soll nie wieder ein edles Weib umschlingen. Die Lippen, die kalt und spöttisch ein Todesurtheil aussprechen, sollen nie wieder die meinigen berühren. – O ich weiß recht gut, daß Rache ein süßes, herrliches Gefühl ist; aber nur so lange der Feind trotzig da steht: er sinkt – und verschwunden ist die Rache! Wer anders fühlt, den bedaur' ich; wer anders handelt, den veracht' ich.

Piz. (betrachtet sie spöttisch lächelnd. Nach einer Pause). Du bist ein Weib! (Er geht ab.)

Neunte Scene.

Elvira (allein).

Ein Weib? – das weißt du und zitterst nicht? – weißt, daß ich hasse, wie ich liebe, und zitterst nicht? – Wohlan, du! den nicht der Kampf der Elemente, nicht die Wuth des Feindes schreckte, dein Verderben schwur ein Weib! – – Leben soll Alonzo! – und lieben will ich ihn! – nicht weil Anmuth und Jugend ihm frischere Reize leihen – nein! weil der Götze, den ich in Pizarro ehrte, nur ein gebrechlich Machwerk war; weil das, was in der Ferne einem Marmortempel glich, nur eine übertünchte Gaukelbude ist! – Ha, Pizarro! noch hätt' ich dir verziehen, wenn du um eines Thrones willen nur treulos gehandelt hättest, aber du handelst ehrlos – und Elvira ist für dich verloren! (Sie geht ab.)


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