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1.
Celle

Die Stadtkirche. Die Herzogsgruft. Sophie Dorothea und Karoline Mathilde. Das Schloß.


. Es wurde schon Abend, als ich in die alte Residenz der Welfenfürsten einfuhr. Der leichte Nebel eines kühlen Februartages hing in der Luft, und die Lichter der Stadt blickten gedämpft herüber. Schattenhaft standen auch die Bäume der parkartigen Anlagen da, welche die breite Verbindungstraße vom Bahnhofe zur Altstadt, die Trift, begleiten und zieren, und von den eleganteren Bauten dieses neuen Theiles der Stadt mit dem schönen Denkmal des berühmten Landwirthes Thaer war auf der Fahrt zum Hotel nur wenig zu erblicken. In ganz matten Umrissen tauchte zwischen den entblätterten Bäumen zuletzt der mächtige Bau des alten Schlosses auf, dunkel und öde, ohne ein Licht in den vielen Fenstern. «Wer bewohnt das Schloß?» fragte ich, und die Antwort lautete: «Niemand». Verlassen also, der Vergessenheit anheimgefallen, ein schweigender, melancholischer Zeuge vergangener Größe und vergangener Herrlichkeit!

Auf der Treppe des Hotels blickte ich mich verwundert um. War das wirklich ein Hotel? Dies mächtige Treppenhaus, dies massive, schwere, reich geschnitzte Geländer, diese Verschwendung von Raum und Material erinnerten viel mehr an das behäbige Dasein eines reichen Patriziers entschwundener Tage, als an die nüchterne Eleganz moderner Zeit. Ein italienischer Graf vom Hofe habe das Haus ehemals erbaut, erzählte der Oberkellner, und ich glaubte ihm gern, als ich das weite schöne Zimmer betrat, aus dem man heute drei Logirzimmer machen würde, und dessen reiche Stuckdecke vornehm auf den Gast herniederschaute. Vom gräflichen Palais zum Hotel! Also auch hier die Erinnerung an versunkene Größe, auch hier die todten Zeugen entschwundener, glanzvoller Zeiten, an denen die eilige Gegenwart achtlos, oder mit flüchtig wehmüthigem Seitenblick vorübergeht. Sich hineinzuträumen in diese Tage der alten Zeit, welch ein Zauber liegt darin für den, der es versteht! Und so machte ich mir's bequem im behaglichen Lehnstuhl, horchte auf das prasselnde Holzfeuer im Ofen und verfolgte die Lichtflocken, die es hinaufwarf zu dem Blumen- und Früchtekranz an der Decke. Und in dem Geflimmer tauchten bunte Gestalten auf, die einst diese Räume angefüllt hatten mit dem fremdartigen Glanz, wie er das Auftreten der Ausländer an deutschen Höfen begleitete. Draußen murmelte die neugierige Menge, hier drinnen schwirrten galante Reden hin und wieder, dunkle Augen leuchteten auf in südlichem Glanz, und über Treppen und Korridore eilten Lakaien in emsiger Hast. Ich sprang auf, als es an der Thür klopfte. Kam ein Diener des Grafen, mich zu rufen? Wollte er sich beklagen über den Eindringling? Wollte er mich willkommen heißen in seinem Palais? Oh, Gegenwart, wie nüchtern schautest du mich an aus dem schwarzen Frack des Kellners! Da war das neunzehnte Jahrhundert wieder mit seinem Alltagsgesicht, und als ich die Ehre hatte, meinen Namen in das Fremdenbuch einzutragen, wußte ich wieder, daß der Graf todt sei und nichts von ihm geblieben, als die leere Erinnerung.

An einem windigen, unfreundlichen Morgen ging ich hinaus auf die Straßen. Man sieht es der Stadt an, daß sie von ehemaliger Größe zehrt, von einer Größe, die noch nicht lange genug verschwunden ist, um schon vergessen und verschmerzt zu sein. Es ist eine Residenz, der die Fürsten fehlen. Und während in einer großen Stadt das Lärmen der Gegenwart die träumende Erinnerung tödtet, blickt hier die Vergangenheit traurig aus allen Ecken und Winkeln, und auf den stillen Straßen finden wir Zeit, ihren Erzählungen zu lauschen. Trotzdem macht Celle nicht den Eindruck einer sehr alten Stadt. Obgleich seit dem 14. Jahrhundert Residenz, tragen ihre hervorragenden Gebäude doch den Stempel einer späteren Periode. Das im spätgothischen Stil angefangene Schloß wurde am Ende des 17. Jahrhunderts von einem Italiener, Giacomo Bolognese, um- und ausgebaut, und manches andere Gebäude trägt ebenfalls die Spuren importirter Kunst. Die alte Stadtkirche bietet eine Musterkarte derselben. Der ursprünglich gothische Bau hat einen vielgestaltigen Ausputz von Stuck bekommen, und wie die Form des Gebäudes äußerlich durch die überall angefügten Grabkapellen verdeckt und versteckt ist, so sind im Innern all die alten Formen überklebt und verloren gegangen. Es ist dieselbe Mode, welcher auch der Hildesheimer Dom zum Opfer gefallen ist, nur daß hier die Kunst nicht so viel eingebüßt hat, wie dort. Als wollte die Gegenwart Protest erheben gegen jenes Verfahren, hat man der so übertünchten Stadtkirche Fenster mit gelben Backsteinumrahmungen und Pfeilern eingesetzt, die Entstellung und Disharmonie dadurch aber nur größer gemacht. Und in diesem bunten Bau, dem innen ein malerischer Effekt nicht abzusprechen ist, ruhen die Gebeine der Herzöge, die hier geherrscht. Unter dem Chor, der königlich ist, während das Schiff der Stadt gehört – dieselbe Zwiespältigkeit wie im Stil der Kirche –, befindet sich die Gruft, die voll ist von Fürstensärgen, und in den Grabkapellen ringsumher schlafen die Trabanten jener erloschenen Sonnen. Die Wappen und Inschriften auf den Grabsteinen bezeugen, daß es gar vornehmer Staub ist, welcher hier ruht, aber unbekümmert um Adel und Rang rieselt der profane Staub von Decke und Wänden hernieder, bedeckt die Leichensteine, verwischt die Inschriften, macht die Wappenthiere zu unerkennbaren Ungethümen und hängt um die schwarze Trauerfahne an der Wand noch den eigenen, grauen, traurigen Mantel.

Die Gruft ist gefüllt, aber Niemand beansprucht auch mehr einen Platz in ihr. Da sind Särge von Kindern und Erwachsenen, von Männern und Frauen, und da sind auch die Särge der beiden Fürstinnen, deren Namen einen so poetischen und traurigen Klang haben. Im Leben durch ein Jahrhundert fast von einander getrennt, aber durch ein ähnliches tragisches Geschick verwandt geworden, haben sie dort nahe bei einander die Ruhe gefunden: Sophie Dorothea, die «Prinzessin von Ahlden», und Karoline Mathilde, die Königin von Dänemark. Und ohne dort niedergeschrieben zu sein, ohne daß menschliche Lippen sie ausgesprochen hätten, ertönen im Angesichte dieser beiden Särge leise zwei andere Namen durch die dunkle Gruft: Königsmark und Struensee. Die Erinnerungen an sie schlummern hier mit in den Särgen der Fürstinnen, denen sie theuer waren, und die beide den gewaltsamen Tod der Männer erleben mußten, welchen sie Vertrauen und Gunst geschenkt. Sophie Dorothea und Karoline Mathilde verkörpern die Poesie von Celle. Die Erinnerung an ihr Geschick umgiebt das alte Gemäuer der Kirche und des Schlosses mit einem eigenen, poetischen Zauber, und immer wieder kehrt der Gedanke zu diesen beiden Frauen zurück. Jung, schön, zur Freude am Leben geschaffen, mußten sie sterben vor der Zeit, mit gebrochenem Herzen, mit zertrümmerten Hoffnungen, verbannt und einsam.

Von diesem selben Schlosse aus ward Sophie Dorothea hinweggeführt in die Fesseln der Ehe mit ihrem Vetter, dem Kurprinzen Georg Ludwig von Hannover, an einen Hof, wo es keinen Freund und keinen Beschützer für sie gab. Vom Haß ihrer Schwiegermutter, der stolzen Kurfürstin Sophie, zu Boden gedrückt, die in ihr die Tochter einer unebenbürtigen Mutter verachtete, durch die Gleichgültigkeit ihres Gatten erbittert, der ihr gegenüber dem Beispiel seiner Mutter folgte, warf sie sich einem fremden Abenteurer, dem Grafen von Königsmark, in die Arme, um ihn mit sich in das Verderben zu reißen. Mögen die Gelehrten weiter darüber streiten, wie schwer ihr Verschulden in diesem Punkte gewesen, die Tragik der Katastrophe wird dadurch nicht verändert, das Mitleid für die unglückliche, von einem feindseligen Geschick verfolgte Fürstin nicht verringert. Hier in Celle sehen wir die Stätte ihrer Jugend, hier die Mauern, hinter denen sie voll Hoffnung und Lebensfreude geweilt, und hier, nicht weit davon die dunkle Gruft, welche die Leiche der Frau in sich aufnahm, die lebend in ihre Heimath nicht hatte zurückkehren dürfen. Und im Anschauen dieser Dinge gedenken wir jener furchtbaren Nacht zum 1. Juli 1694. Jener Nacht, in welcher Graf Königsmark für immer aus der Reihe der Lebenden verschwand, in seinem Tode eine Reihe von düsteren Erzählungen erzeugend, die, Geistern gleich, das Schloß zu Hannover umschweben. Jener Nacht, in welcher der Fluchtversuch der Prinzessin entdeckt und vereitelt und ihr zukünftiges Schicksal besiegelt ward. Jetzt war die Gelegenheit da für den triumphirenden Haß. Die Ehe geschieden, die einzige treue Freundin, das Fräulein v. Knesebeck, in Gefangenschaft fortgeführt, die Prinzessin zu lebenslänglicher Gefangenschaft auf das einsame Amthaus zu Ahlden verbannt – das war das Ende eines kurzen Traumes von Freiheit und Glück.

Und 45 Jahre, nachdem ihre Leiche in Celle zur Ruhe gebettet war, nahete sich der alten Residenz ein anderer Zug, kaum minder traurig, als jener. Noch war Leben in der gebrochenen Frauengestalt, die hier für den Rest ihres Daseins Zuflucht suchte, aber das Bild des Todes war in ihrer Seele. Noch konnte Karoline Mathilde die Tage zählen seit jenem 28. April 1772, an welchem auf dem Oesterfelde bei Kopenhagen die Grafen Struensee und Brandt grausam hingerichtet wurden. Noch zuckte ihr Herz unter dem Eindruck der Kunde, daß jener Mann, welchem sie ihre Liebe geschenkt, eines entsetzlichen Todes gestorben sei, und ihre Thränen flossen bei der Erinnerung an die Kinder, welche man von ihrer Brust gerissen. Sie war von dem Gatten befreit, der verthiert und halb blödsinnig neben ihr gestanden, aber zugleich mit der Fessel einer unseligen Ehe war auch jedes andere Band zerrissen, war auch der kühne Traum von der Beglückung des Volkes verweht, den sie mit Struensee gemeinsam geträumt, gemeinsam zu verwirklichen gesucht hatte. Aus dem Königsschlosse zu Kopenhagen ward sie in die Verbannung geführt, wie Sophie Dorothea aus dem Schlosse von Hannover. In der Veste Kronborg, auf deren Terrasse Hamlet den Geist seines Vaters erblickte, hatte sie die erste, schrecklichste Zeit verlebt, dort hatte sie die Nachricht erhalten, daß der Minister Struensee seine königliche Gönnerin verrathen habe, um sich selbst zu retten, und dann doch mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht sei. Und nun, nachdem sie mit Mühe einer ewigen Verbannung nach dem unwirthlichen Jütland entgangen, fand sie hier in den hannoverschen Landen ihres königlichen Bruders von England den letzten Zufluchtsort, um in der Einsamkeit zu sterben. Statt des Rauschens der Wogen der Ostsee, die vom Kattegat in den Sund fluthen, vernahm ihr Ohr nun das Brausen des Windes über die Heide und sein Spiel in den Zweigen der alten Bäume vor dem Schlosse von Celle. Dort im Eckzimmer des Thurmes, das den Blick auf die Stadt und darüber hinweg schweifen läßt, über der Kapelle, in der Sophie Dorothea mit Georg Ludwig vermählt wurde, lag das Gemach, in dem sie den Rest ihrer Tage verbrachte. Eine verborgene Treppe führt von dem Zimmer zu dieser Kapelle, und dort in einer kleinen Loge hinter den runden Glasscheiben saß sie oft im Gebet und gedachte der vergangenen Zeit. Und dort wird auch noch das einzige Erinnerungszeichen an sie bewahrt, ein Spruch, den sie mit dem Diamant ihres Ringes in das Glas geschrieben, ein Spruch voll Ergebung und Frömmigkeit: «Die Gottesfurcht ist zu allen Dingen Nutz und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens».

Im Uebrigen bewahrt das Schloß kein Andenken von ihr. Das Jahr 1866 hat hier gewaltig aufgeräumt. Die Kapelle war auf Kosten des Königs Georg prächtig renovirt, ein Gemälde, welches ihn und seine Gemahlin als Stifter zeigt, war vollendet, die Einweihungsfeierlichkeiten waren vorbereitet, als die Katastrophe eintrat. So ist die Kapelle uneingeweiht geblieben, und als dann später die zum Privatvermögen des Königs gehörigen Gegenstände gesammelt wurden, mußte auch die gesammte Ausstattung des Schlosses von Celle fortgeführt werden. In dankenswerther Weise hat die preußische Regierung dafür gesorgt, daß die Zimmer nicht leer und verödet blieben, eine Menge von Möbeln, Bildern und Porzellan ist aus Berlin hierher geschafft, aber die Erinnerungen an die alten Bewohner des Schlosses sind verschwunden. Da ist ein Arbeitstisch von Friedrich dem Großen, da sind auf dem Sims des prächtigen Speisesaales Schüsseln und Teller mit seinem Namenszuge, da sind ehrwürdige Herrschergesichter, die aus bergartigen Perrücken von der Wand herabblicken, aber sie sind Fremdlinge an dieser Stelle, und ihre Urbilder haben hier nicht geweilt. Wer die Erinnerung an Karoline Mathilde vertiefen und befestigen will, der muß, nachdem er in der Kapelle ihrer gedacht und aus dem Fenster geblickt, an dem sie trauernd gesessen, hinabsteigen von der Erhöhung, auf welcher das Schloß errichtet ist, und durch die schönen Anlagen ringsumher zu dem französischen Garten hinwandeln, wo die Stände des Landes der unglücklichen Königin ein Marmordenkmal errichtet haben. An ihr hat der Schmerz die veredelnde und reinigende Kraft geübt, welche ihm so oft nachgerühmt wird und die ihm so selten eigen ist. Durch Struensee war sie hineingerissen in jene seltsame Bewegung des vorigen Jahrhunderts, die als aufgeklärter Despotismus das Glück der Völker erzwingen wollte, bevor die Grundbedingungen dafür vorhanden waren; eine einzige Nacht hatte genügt, das schwindelnde Gebäude zu stürzen, und in Blut waren alle die kühnen Pläne ertränkt. Hier in Celle erkannte sie den wahren Beruf der Frau, im engen Kreise wohlzuthun und Segen zu spenden, und darum wird ihr Andenken als das einer Beschützerin der Armen und Hilflosen noch heute gepriesen und in Ehren gehalten. Drei Jahre nur hat sie dort noch gelebt, und doch haben diese drei Jahre genügt, ihren Namen zu einem geliebten und gesegneten zu machen. Und an dem Denkmal treten die Gestalten derer, denen sie wohlgethan, zu der Aschenurne heran, und Kindergestalten bringen ihr Rosen dar, ihr, welche in der Sehnsucht nach den eigenen Kindern dahinwelken und sterben mußte.

So umspinnt die Erinnerung das alte Schloß von Celle mit ihren feinen Fäden und belebt die Räume, in denen das Echo schlummert. Im tiefen Schweigen lag es da, als ich die Stadt am Abend wieder verließ. Nur unzählige Dohlen umflatterten den massigen Bau, schwangen sich von Ast zu Ast in den ehrwürdigen Bäumen ringsumher, drängten sich in langer enger Kette auf dem First des Daches und schrieen und kreischten unter einander. Der Mond aber stieg empor, und seine Strahlen spiegelten sich in den Fenstern des Thurmgemaches, das die unglückliche Königin bewohnte.


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