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So hatte der Bierfiedler ein Weib. Nun war er ganz der Menschen Auswurf. Sie hießen die zwei Hudelpack und gingen im Bogen um sie herum, und die dickbusigen Fleischerfrauen rafften die Röcke zusammen und schandfleckten dem Pärchen nach: Pfui Deixel! Peters Geige mocht keiner mehr hören. Wie hätt die auch einer ehrbaren Hochzeit angestanden, wenn der Hiesel der Walburg ihr Geld und ihres Alten fetten Hof heiratete? oder wie hätte sie einer ehrbaren Prügelei besoffener Rüpel geziemt, oder einer ebenso ehrbaren Hopserei, wo die Röcke flogen, die weißen Strümpfe blitzten bis hoch an die Kniebänder hinauf und der Jungfernschaften sechzig aufs Schock gingen? – Da ging's an ein Darben für unsere zwei, die nun seßhaft geworden. Was half's, daß das Lenele sich als Magd verdang, den Geiger mocht keiner haben, die Welt ist halt zu keusch und ehrbar. Doch der gütige Himmel wollte, was so licht, so wolkenleicht und wolkenrein wie diese Liebe, nicht in Schmutz und Not verheillosen lassen. Das sollt einmal ein kurzer, lichter Traum, ein Sommertag voll Sang und Schönheit, ein leuchtend Glück voll Ahnung ewiger Dauer gewesen sein. Das Lenele fiel in jähes und hartes Siechtum, kaum daß ein jung Leben in ihrem Schoße zu keimen begonnen, noch eh der Schatten der Not und Schande allzu erkältend ihr heitres Kinderherz, das noch ganz nur ihres Peters voll war, zu berühren vermocht. Sie lag in wildem Fieber, die rotgoldene Abendsonne schien durch das enge Fenster, draußen schlug die Drossel, und die Kinder sangen einen Ringelreihn. Da öffnete sie die lieben, redlichen Augen, die immer nur Wahrheit geblickt hatten, so weit und so glänzend, wie nur Augen schauen, wenn das Haupt in seinem letztem Kissen ruht: »Peterle, die Silberfarbene!« Da deckte der Mann gar sorglich und feierlich die lichten Kleinode auf seiner Geige frei, und dann spielte er, mit tränenden Augen, mit flehender Inbrunst und Wehgewalt. Ihr junger Busen atmete hochauf wie genesen, und die silberfarbenen Wolken nahmen ihre reine, liebende Seele hindann. Wohl ihr, sie hatte nur den Segen der heiligen Weise erfahren, nur den Segen. Wohl ihr.

Ein Zweiglein einer Trauerweide, das vom Nachbargrabe her das Grab des armen Waisenkindes gütig mitüberschattete, nahm Peter mit fort. Die Weide war gütiger denn der Priester, der dies Grab nicht segnen wollen, weil das Weib darunter in unheiligem Bunde gelebt und in Sündenunrat von hinnen gefahren. Peter hatte dem Pfäfflein wild und stolz ins dumme, frommhoffärtige Gesicht gelacht: »Du trauriger Wicht! Wenn dir einst unverdiente Gnade geschehen sollte, so müßt eine heilige Seele wie diese für dich am Throne des Höchsten Fürsprach tun!« Das war nun freilich ein starkes Stück. Der Pfaffe schäumte, tobte und segnete sich, das fromme Volk erhub sich in heiligem Zorne wider den Frevler, der obenein noch ein armer Schlucker und Habenichts. Mit genauer Not rettete Peter sein armes Leben aus der heiligen Wut. Der gute Zorn und gefährliche Tumult halfen ihm hinweg über den maßlosen Schmerz, der, da er ausgetobt, ein unverlierbarer Gewinn worden in seinem Gemüte, das er noch reicher und schöner schuf.

Er hatte wieder lieben gelernt, und hatte das Bild der Frauengüte geschaut und schaute es nun immerdar und wußte: es ist doch in der Welt! Und wußte denn so ein Zweites, was ganz sonder Fehl und Falsch, was über Zweifel und Not im reinen, ewigen Lichte stund, da oben, wo auch die lichte Weise daheim: die Weibesliebe, davon er, zum andern Male ein Auserwählter, einen herzhaften, tiefen Trunk hatte tun dürfen! Und als die Stürme von neuem anhuben wider seine Brust, da faltete er die Hände und sprach: »Wohl dir, Geliebte, Gott hatte es zärtlich mit dir gemeint, da er den einen Sommertag dir vergönnt und dir den grauen Herbst nicht mehr gezeigt.«

*

Und er setzte den Stecken weiter, rastlos weiter. Eine neue und fürwahr eine starke Wurzelfaser seines Wesens und Wachstums reichte nunmehr in schwarze Todesgründe hinab, dahin, wo sein begrabenes Lieb ruhte, und grub da weiter und tiefer, alle Tage und wachen Nächte, und ward stärker mit jeder Stunde Sinnens und Träumens, und zog ihm starke Nahrung empor in seines Empfindens Reich. Des hatte der Einsame fortan ein neues Herz, seine Gedanken liefen gern seinen Wandertagen unter dieser Sonne vorauf, ins Schattenreich, wo sie schon Bürger worden waren. Oft erwachte er morgens und fand das Pfühl seiner Wange feucht: da war seine Seele drüben zu Gaste gewesen, wo sein Weib jetzt daheim, und hatte Hand in Hand mit ihr gesessen. Sie hatten geschwiegen beide, Hand in Hand, in wehmütigem Glück, und hatten in die graue Stille der Ewigkeit gelauscht, ob nicht irgendwoher die Silberweise erklingen wollte. Sie erklang aber nicht. Seltsam still und ernst sah sie aus, auf ihrem lieben Angesichte, so holdvertraut ihm und so fremd zugleich, lag ein verschleiertes Licht rätselhaften Genügens. »Wie geht es dir dort, lieb Herz?« hatte er bebend gefragt. »Wohl, o gar wohl« – sprach die leise Stimme, und es klang so fern, so an ihm vorbei. »Hast mich noch immer lieb?« »Hab dich noch immer lieb. Doch ich bin nicht traurig, gar nicht traurig.« Ihn aber deucht, nichts könne trauriger sein, denn dieser verschollene Ton von einem Jenseitufer, und das stille, das trauerlose und freudelose Angesicht, und tief erseufzend breitete er die Arme nach ihr aus, die scheidend verblaßte und erlosch, und erwachte in heißen Tränen.

Und er setzte den Stecken weiter, rastlos weiter. Immer mehr gen Süden führte ihn das ruhlose Wandern, das nun schon kein Suchen mehr war, nur die krankende Unrast, die steten Wechsels bedarf. In Wien suchte er jenes Haus, von dem sein abenteuerlich Wandern und Irren in Jugendtagen einst seinen Ausgang genommen. Er konnt's nimmer finden. Er erkannte die Straße wieder und die stattlichen Häuser ringsum; an der Stelle, wo er etwa den düsteren Palast gelegen meinte, lief eine Parkmauer hin, über die schwere Zweige wilder Rosen hingen. Kopfschüttelnd ging er zum Portal, zwei verwitterte Steinpfeiler hüteten das reiche Gitter; auf jedem saß ein von Alter zerfallener und halb verstümmelter Wappenlöwe. Seltsam. Das alles sprach von Tagen, die weit vor seiner Jugend lagen! Er trat, wie einem dunklen Zwange folgend, durch das Parktor, schritt einen schattigen Rüsterngang hinauf. Auf den reinlichen Wegen wandelten mit lautlosen Schuhen Leute in verschollener Tracht, zierlich schreitende Edelleute mit reichgeputzten Frauen am Arm. Es war so still, als wär dies alles nicht zu dieser Welt gehörig. Die schlafende Luft unter den üppigen Parkbäumen roch moderig feucht, und die ritterlichen Paare schritten gemessen und feierlich wie Bilder längst Verstorbener und schienen kaum zu flüstern. Einige gingen langsam an ihm vorbei. Sie sprachen, wie seltsam war das alles, von der silberfarbenen Weise, und wenn sie ihn sahen, so blickten sie verstummend mit großen, ehrfurchtvollen Augen auf ihn und grüßten ihn artig wie einen Fürsten und Herrn. Dem Geiger war alles wie ein wahnwitziger Traum. Er kam an einen Weiher, auf dem weiße Wasserrosen schwammen. Ein Herr in dunklem Sammetkleide reichte zierlich einer Dame die Hand, sie drei Steinstufen, die zum Wasser hinab, zur Stelle, wo ein Kahn schaukelte, zu leiten – sie hatte das Brokatgewand überm Knie gerafft, das feine Köpfchen lächelnd geneigt und – dem Geiger stund das Herz still – ihr Antlitz glich dem der ewig Unvergessenen – nein doch! es war das Unschuldgesicht des toten Lenele! Und jetzt sah er auch, daß der Herr, der ihr die Hand reichte, der Meister von dazumal war, doch schaute er nicht so bleich und vollends nimmer einem Unseligen gleich.

Da packte den Geiger die Angst, toll zu werden, und er rannte wie ein Unsinniger durch die Baumgänge, die kein Ende nehmen wollten, immer verworrener und dunkler und schattiger und enger wurden. Zuletzt gelangte er an ein kleines, schmales, efeuüberschüttetes Pförtchen. Das Schloß war verrostet und gab dem Drucke seiner wilden Angst nach. Er fand sich in einem entlegenen, ihm ganz unbekannten Teile der Wienerstadt und hatte Müh, sich nach seiner Herberge durchzufragen.

Am folgenden Morgen wanderte er weiter. Er bedurfte geraumer Zeit, bis er sich wiederfand. Führte sein Weg schon verlorene Jenseitpfade fernab der Welt? Und als er sich wiedergefunden, hatte er für alles, sein Leben und Leiden, nur ein Kopfschütteln; wie sinnlos, zwecklos schien ihm alles, verworren wie ein toller Traum, närrisch wie das Tun und Erleben eines Wahnsinnigen; des Lebens funkelndste Krone der Einsatz, und der Gewinn ein Nichts, zerbröckelnder, grauer Tand und der Hohn eines ewigen Umsonst. Wozu das alles? Sind meine Wanderschuh nicht endlich durchgewetzt? Muß ich, wie jener Büßer, eiserne Sohlen ablaufen, eh denn mir Ruhe wird?

Aber bitterster Spott stieg in ihm auf, wenn er immer noch in allen Landen, in Dorf und Stadt, die Leute die Weise rühmen hörte, um die er allein nur wußte. Er dachte längst nicht mehr daran, zu einer Menschenseele zu sprechen: »Lieber, von der du redest, ich kenne sie, ich nenn sie ja mein! Willst du sie hören?« Er dachte nicht daran! Er war wieder verstummt. Sein täglich Brot erfiedelte er sich schlecht und recht, auch das wenige, dessen er darüber bedurfte: zum Tobak für sein Pfeiflein, das noch immer seiner versonnenen Stunden freundwilliger Genoß, sowie zu einem Schoppen feurigen Terlaners zuzeiten, bei dem sich's gar trefflich von einer besseren Welt träumen ließ; auch das bracht ihm die gute Fiedel ohn Murren ein. Sie mußte ihre Juwelenzier längst wieder verleugnen. Es war gut so, er vermeinte schier, so höre sie selber nicht, was sie zum Spaß der gedankenbaren Welt daherspielen müsse. Doch der geheimen Lust seiner Feierabendstunden tat solches Hehlen ihrer sichtbaren Adelszeichen keinen Abbruch: zu seiner einsamen Seele Erbauung und Stärkung spielte er sich tagtäglich nach wie vor seine Weise, die immer gleiche, immer neue.

Mit der aber geschah ihm mählich ein schnurrig Ding. Suchte er ehedem ängstlich und scheu damit die Einsamkeit auf, so war's ihm jetzo immer weniger darum zu tun: wo er sie spielte, war Einsamkeit um ihn! er hätt sie getrost auf dem helllichten Markte vor wimmelndem Volke spielen dürfen, kein Mensch hätt ihrer acht gehabt! Des kam ihn oft eine bitterlustige Laune an, gleich dem, den der Besitz einer Nebelkappe zu mutwilligem Schabernack verleitet, oder dem Gefeiten, der spielend der blutigen Fährnis trotzt, weil ihn kein Eisen sehrt – die höhnende Lust, so recht sichtbarlich und lässig das Kostbarste dieser Welt durch die Menge zu tragen – sichtbarlich, doch ungesehn, allen vernehmbar, doch von keinem vernommen. Wahrlich, hier war ein Schatz, nach dem nicht die Diebe gruben und stahlen, den durft man am Tage mitten auf die Straße legen, blind und taub rannten die Hunderte an ihm vorbei. Höchstens schrieen sie: »Was Lustiges, Geigenpeter!« Der sei gesegnet, – der sei verflucht! Nun begriff er's ganz, bis zum Bodensatz hatte er's gekostet. Da war's seiner Seele ein erhabener Spaß, daß alle davon sprachen, alle es forderten und wünschten, und ging's ihm auf, warum die Welt, die männiglich, auch die Gedankenärmsten, leichthin eine Narrenwelt heißen, gewißlich und wahrhaftiglich eine Narrenwelt ist. So zog er weiter und weiter, immer herber, größer und düsterer von Angesicht, und zog über das große Gebirge dem farbigen Süden zu. Wo er weilte, es war ihm gleich, er suchte nichts, nichts im Norden, nichts im Süden.

*

Eine blaue, licht- und farbensprühende, eine festliche Nacht war's auf dem großen Kanale in der welschen Stadt Venedig. Um eine Musikantenbarke, über der sich bunte, leuchtende Ampeln wiegten, schaukelten Hunderte von üppig bekränzten Gondeln, drin lehnten schöne rotblonde Edelfrauen, denen stattliche Herren in höfischer Zierlichkeit dienten. Rundum edle Paläste, die näheren rosig angeglüht, die ferneren in ernster, bleicher Schönheit dämmernd. Drunten im spiegelnden Wasser eine zweite festliche Wunderwelt von Formen und Farben; zitternde Linien von Säulen, Pfeilern und hohen Fensterreihn, die ein muntrer Ruderschlag unter einem Sprühregen tanzender Lichter, flimmernden Spiegelgefunkels verschüttete und auslöschte. Hoch über der festlauten Erdennacht die dunkle Wölbung des Himmelsdomes mit der stillen Pracht seiner Sterne. Peter, der mit seiner Geige die Bande der Musikanten anführte, vergaß in all der berauschenden Schönheit schier des Grams, der seines Lebens treuester Weggenoß. Das war einmal wieder Leben! Ein Trunk aus dem schäumenden Horne der Erdenlust, war eine Stunde, wert, gelebt zu werden! Er wunderte sich seiner selbst, daß seine Seelenkraft noch nicht verdorrt, daß es auch ihn noch einmal emportragen konnte auf der leuchtenden, rauschenden Woge der Lust, daß der Feuerkuß einer lebendigen Stunde seinen herben Lippen noch einmal das Geständnis abschmeicheln konnte: Wie schön ist das Leben, die Welt wie schön!

Hoch ragte seine schlanke Gestalt in der Barke, eine Lust den Augen der Männer und Frauen. Sein ernstes, edles Angesicht war angestrahlt vom Licht einer glühroten Ampel, die ihm zu Häupten schwebte, und die Helle von oben her legte scharfe Schatten unter seine Brauen und gliederte bedeutend seine gedankengeprägte Stirn. In seinem Auge wachten alte Zeiten auf. Flimmernd glitt sein Bogen über die Saiten. Er war allein. Hinter ihm blieben die anderen Geigen, die schwirrenden Mandolinen, die Flöten und Hoboen zurück, ihrer Mitte entwand sich, wie ein königlicher Elfenleib sich leuchtend aufschwingt aus dem Reigen niederer Gespielen, seine immer edler und stürmischer aufsteigende Melodei. Sein Auge schweifte, höheren Lebens trunken, über die tönende Geige hin, hinüber zum herrlichen Tempel der Heilbringenden Gottesmutter, über dessen hohe Kuppel silbergleißend das Mondlicht rann. Und er wußte nichts mehr von der Welt und den Menschen umher, und die heilige Weise geriet ihm wie von ungefähr unter den knisternden Bogen. An der Flamme dieser hohen Stunde entzündete sich noch einmal all seiner höchsten Lebensstunden Feuer: das rote Licht der festlichen, schaukelnden Lampen war ihm wie der Schein des Feuers, das in jener Schmiede geloht, und die sprühenden Lichter in den rudergeschlagenen Wassern die springenden Funken der Schmiedeglut – Gewesenes und tief Erlebtes erstund zu höchster Gegenwart. Denn dem Geiste ist alles, was er belebend ergreift, lebendigstes Heut, zeitloser Besitz.

Dis Herde der leichtbewegten Gondeln löste sich auf, er merkte es nicht. Sie glitten schlank vorüber, eine nach der andern, neben der andern; die hohen blanken Eisen, die den edlen Fahrzeugen wie die Köpfe nickender, bäumender Rosse anstehen, glänzten auf und wiegten geschart vorüber; schöne Frauen, Busen und Schultern bloß, schauten staunend zu dem ergriffenen, übermächtigen Antlitz des weltvergessenen Meisters empor, stießen einander flüsternd und kichernd an und meinten, das müsse wohl ein Deutscher sein. Da fiel mit sirrenden, klirrenden Mandolinen und Gitarren ein Chorus junger Edelleute ein, eine Lustbarke näherte sich breit und rauschend, vor deren Bug dehnte sich schimmernd eine goldene Frauengestalt als Galionsbild, mocht die üppige Frau Venus bedeuten, kostbare Teppiche hingen breit über Bord und schleiften im Wasser. Hei, das war, als führe der verbuhlte Lenz samt seinem edelsten Gesinde in allen Prächten daher! Von dem schmetternden Singen und Klingen erwachte der Geiger und sank hernieder zu dieser Welt und gedacht seines Dienstes.

Als das Fest vorüber war, Lachen und werbender Sang in den Schatten der Paläste und Brücken erstarb, der Fackeln Sprühn, der Gewänder Purpurglut und was Sammet und Seide an weißer Schönheit preisgaben, im Dunkel erlosch, und nun die sanfte Nacht und der Silberschimmer des Mondes auf den Wasserflächen wieder Herren werden wollten, da stieß noch einmal eine schlanke Gondel, mit leichtem Bogenschwunge sich Bord an Bord gesellend, an die Musikantenbarke, ein Bursch in der Liverei eines edlen Herrn winkte Petern sittig, bei ihm einzusteigen: »Mein Herr entbeut Euch Gruß und Huld, vieledler Meister, und ladet Euch freundlich ein, noch in dieser Nacht sein Gast zu sein. Folget mir sonder Scheu, er hat's gut mit Euch im Sinn.« – Herrenlaune, dacht Peter verdrossen. Doch hatte ihm der Klang seiner Heimatsprache wohlgetan, und er stieg hinüber in die schwanke Gondel, die, von dem geschmeidigen Burschen geführt, schnell davonglitt.

Sie kamen aus dem Lichtkreis schnell in stilles Wasser, fuhren um einen der dunklen, träumenden Paläste in eine finstere Wasserstraße, hier legte der Führer an einer Rampe an, zog das Fahrzeug an einen schimmernden Pfahl, der aus der dunklen Flut ragte, warf um den eine Kette und half dem Geiger heraus. Sie schritten ein paar Marmorstufen hinan, ein Tor öffnete sich, als der eherne Ring aufschlug. Dann ging's über bunte Marmorfliesen an hohen spiegelnden Wänden vorbei, darauf eine reiche Bilderpracht in schweren Goldrahmen im Wehen des Armleuchters, den der Diener trug, seltsam zu leben und aufzuglühen begann. Eine breite teppichbelegte Treppe stiegen sie lautlos hinan, wieder folgte ein hallender Marmorgang, spitzbogige Fenster ließen durch schlanke Säulen die blaue Nacht hereinschauen ... Der Diener schlug an eine schwere eichene Prachttür. Eine Stimme ward drinnen laut, die Tür tat sich auf, und der Geiger stund in einem Gemach von warmer, behaglicher Schönheit, vor einem hochgewachsenen, blondbärtigen Mannsbilde in vornehm schlichtem Hausgewande. Aus des Dieners ehrfurchtvoller Anrede vernahm er, daß der stattliche Herr ein Herzog sei. Ihm war's gleich.

Der fürstliche Herr musterte den späten Gast, beider Augenpaare begegneten sich, Mann und Mann erkannten und begrüßten einander und meinte jeder: der ist wohl echt. Drauf streckte der Fürst dem Spielmann die wohlgepflegte Hand dar, der schlug ein und ward mit freundlichem Winke eingeladen, niederzusitzen. Ein zweiter Wink ließ den Diener lautlos schwinden und lautlos wiederkehren, auf dem Tische blinkten zwei geschliffene Gläser, und blutrot tropfte edelster, duftatmender Wein in die kostbaren Kelche. Leis schloß hinterm Diener die Tür.

Der Herzog hielt immer noch die stahlblauen, schwermütigen Augen auf seinen Gast geheftet, strich sich dann, eine Bewegung, die ihm eigen, mit der Hand langsam, wie in quälendem Besinnen, über die hohe Stirn, von der das braune, an den Schläfen schon silberschimmernde Haar bereits zurückwich. »Seid mir gegrüßt, lieber Meister,« sprach er herzlich, »Ihr wundert Euch traun, daß ich Euch zu so später Stunde noch herbemüht, und ich danke Euch, daß Ihr gekommen. Schaut, 's ist meine Art geworden, zuzugreifen, wo mich etwas gut und gedeihlich dünkt, denn mählich hab ich's mit Schmerzen gelernt, daß kein Mensch und kein Ding auf uns wartet, und keine Stunde wie die andere ist.« Er schwieg. Peter harrte bescheiden, wo das hinaus solle. »Ich« – hub der Fürst nach einer Weile stockend an, atmete stöhnend und brach ab, stemmte die Faust mit dem schweren Wappenringe aufs Knie und stund auf. Lautlos schritt er auf dem dichten, weichen Teppich mit großen Schritten auf und nieder. Dann blieb er stehn und stieß wie mit Anstrengung hervor: »Ich bedarf Euer.« Nun schien er seine Gelassenheit wieder zu finden und lächelte gütig: »Fürwahr, mir ist, Ihr seid eigens für mich nach der Lagunenstadt verschlagen. Denn Ihr seid doch ein Deutscher wie ich. Ich hab nun gelernt, anders zu denken als fürstliche Herrn wohl gewohnt sind, drum, wenn ich sage, daß ich Euer brauche, so verdenk ich's Euch nimmer, so Ihr sprechet: ›Ich aber Euer nicht.‹ Hört drum zu.« – Dem Geiger tat die redliche Art des hochgeborenen Mannes wohl wie lange nichts, und daß etwas wie Angst und geheimes Leid aus seinen Augen schaute, in seinen offenen, doch seltsam gespannten Zügen zuckte, machte ihn seinem Herzen nicht unholder.

»Ich hörte Euch spielen, Meister,« hub der Herzog wieder an, »auf dem Kanale vorhin, und – wie soll ich's Euch erklären? Nehmt an, ich sei was man einen Musiknarren heißt; 's ist just der Narrheiten schlimmste nicht, und ich wünschte, es wär meine schlimmste! Ich hörte auch, wie Euch da der Boden unter den Füßen versank und Ihr nur für Euch spieltet. Da erkannt ich in Heimwehnot liebdeutsche Art. So hatt ich lang keinen Menschen mehr spielen hören, das war kein Spielen mehr, war schier wie ein Lustwandeln der Seele, da, wo ihr allein wohl.« Er seufzte –

Freudig aufgesprungen war der Geiger, tief betroffen, selig erschüttert. Längst begrabenes Hoffen erstund machtvoll, wie ein Lenz in tausend Blüten, in seinem Gemüte, leuchtete aus seinen Augen, er erzitterte bis in alle Tiefen. »Hoher Herr! Ihr habt's erkannt? Wirklich erkannt? Was hör ich! Was ich schon nie und nimmer mehr zu hören gehofft, geglaubt. Soll ich mein Leben neu beginnen? Warum find ich Euch heut erst! O seid gesegnet! Wehn auf Euren fürstlichen Höhen die Himmelslüfte so rein? Ihr habt's erkannt ...?« – »Daß Ihr ein gar fürtrefflicher Meister auf Eurer Geige, und mehr: daß Ihr ein frommes, starkes deutsches Gemüt; seht, der welschen Musikanten Art, das ist wie ein Balzen und Buhlen, und darum – – was ist Euch, Freund?«

Der Geiger war wieder in den Stuhl gesunken, ließ das Haupt hangen und schüttelte die Locken mit wehem Lächeln. »Nichts, hoher Herr, gar nichts. Ich lern es nimmer, und wenn ich steinalt würde! Ihr ließet mich mehr erhoffen ...« – Der Fürst blickte befremdet auf: »Mehr hoffen? Ich bot Euch noch nichts.« – »Ihr versteht mich falsch. Wie solltet Ihr mich auch recht verstehn? Verzeiht, ich hab's längst bei Hoch und Gering aufgegeben, recht verstanden zu werden.« – »Ihr seid ein Melancholikus?« – »Ach nein ...« Leidenschaftlich erhub er das Haupt, es war, als müsse er endlich einmal nach langem Schweigen sich die Brust freireden. Nun erst, da er vor einem »Menschen« stund, ward's ihm ganz und gar bewußt, was er entbehrt und gelitten. »Herr Herzog! Denket Euch, Ihr müßtet, ein fürstgeborener Mann und fürstlichen Lebens gewohnt, in Schönheit erwachsen, in Reichtum und höfischer Sitte mit all Euren feinen Sinnen, in zierlichen Worten, in adlig kühnen Gedanken und Bildern mit Herz und Geist – denkt Euch, Ihr müßtet Euch bequemen, mit schmutzigem Pack, engstirnigen Hökern und Lebensknausern Eure Tage hinzuschleppen, in Tun, Geberde, Wort und Denken gemein sein wie sie, feig und klein wie sie, neidig und notig wie sie, essen und trinken, was jenen den Bauch füllt, an ihren niederen Späßen und Lustbarkeiten Euch ergetzen, der Not fronen wie sie, der kleinen Werktagsnot, mit krummem Rücken und schmutzig-rauhen Händen – ja, Herr, Ihr müßtet noch des niedrigen Volkes Verachtung dulden, dieweil Ihr Euch in sein Leben nicht mit so viel Anstand zu schicken vermögt wie dort der geringste Knecht! Denket Euch, Ihr hättet zwischen Erwachen und Einschlafen tagüber keinen adligen Augenblick, dürftet auch nie und nimmer aufschrein: ›Was wollt ihr von mir, die ihr nicht meinesgleichen seid!‹ ...« »Nun,« sprach der Herzog, »wo wollt Ihr hinaus?« – Peter runzelte die Brauen: »Ihr hießet mich einen Melancholikus. Ich sage, denkt Euch, edler Herzog, Ihr wäret solchermaßen durch einen bösen Zauberer verwunschen, ein unerkanntes Dasein hinzuschleppen – was tätet Ihr dem entgegnen, der den Ernst Eurer fürstlichen Seele für schwarzgallige Laune nehmen wollte?« – Der Herzog tat einen Schritt zurück und schaute den Gast mit großen, staunenden Augen an: »Geiger!« sprach er tief erregt – »wie sprecht Ihr?« – »Nehmt's für ein Bild, Herr«, sprach achselzuckend der Spielmann.

Wieder nahm der Fürst seine schweigende Wanderung auf durch das hohe Gemach, dann blieb er vor dem Geiger stehn: »Die Menschen rennen aneinander vorbei, achtlos, stumpf und blind. Wem's aber vergönnt wird, von ungefähr einen Blick in ein Menschenherz zu tun, heilig ringend Leben darinnen, adlige Gedanken und jene Ehre zu erkennen, die nicht Kleid noch Wappen hat, die über alle Ehren ist, damit der Kaiser der Treue lohnt – Geiger!« er legte ihm die ritterliche Rechte schwer auf die Schulter – »der ist ein Hundsfott, so er weiter rennt, nicht aufhorcht und weilt, und zu dem wie durch ein Gotteswunder ihm Gewiesenen spricht: ›Laß uns zusammen haushalten, Freund; vielleicht ist dir und mir geholfen.‹ So biet ich Euch, Meister, zum andernmale die Hand. Seid mein Hausgenoß, der gute Gesell einsamer Stunden.« Er fuhr sich wieder seufzend über die Stirn. – »Ihr wisset nichts von der Todestraurigkeit dieser Lagunenstadt an trüben Tagen, und wie die feuchte, warme, weiche Luft den frischen Willen lähmt und löst – Ihr sollt mir zum Feierabend die Grillen wegspielen und reine, starke Gedanken in den weltmüden Sinn.« Er lächelte: »Vielleicht findet Ihr in mir einen Mann, der Eurem geheimen Fürstentum die gebührende Ehre gibt, einen Mann, mit dem sich leben läßt.«

»Herr, edler, teurer Herr, verzeiht meine Bestürzung! Ich bin gütigen Zuspruchs so gar ungewohnt – ich dank Euch, dank Euch tausendmal. Es beglückt mich wie eine Gabe des Himmels, edelster Fürst – nicht was Ihr mir bietet an Friede, Heimstatt und gutem Gemach, mir unstetem Sturmverschlagenen; nein, daß es solche Güte hienieden gibt! Das macht mich froh und zufrieden. Jedennoch – ob Ihr einen Wandervogel in Euren güldnen Bauer sperren dürft? Herr, ich bezweifl' es. Ob Ihr allewege mit mir zufrieden sein würdet? Ich sprech frischweg von der Leber: ob ich mit Euch? Sicherlich nicht. Erwägt es recht: ein Vagant wie ich – das mag als Gast für Stunden wohl angehn; doch ein Hausgenoß? Zum Frühbrot und Vesperbrot? Ich ward zu alt, mein Sein und Wesen noch umzuformen, und achte das Gute dieser Welt zu gering, seinwegen solchem Wandel mich gutwillig zu bequemen. Ihr könntet mir wenig geben, dieweil ich wenig bedarf und begehre, könnt mir nur nehmen, was mir einzige Notdurft meines Daseins: mein bißchen Freiheit, zu gehen und zu kommen, wann ich mag, Sonnenschein und Regen, Sturmwind und Flockentreiben nach Lust gegen der Menschen Gesichter einzutauschen, mich zu gebaren, wie mir's gefällt, dreinschaun, wie mir zu Mut, und zu geigen, was Gott mir eingibt. Das ist schon was, Herr, das ist viel, mag's Euch gleich bettelwenig bedünken!«

»Und eines redlichen Mannes Freundschaft gilt dir nichts?« – »Verzeiht, Herr Herzog. Da seht Ihr's, was für ein Rüpel und unleidlicher Gesell ich bin. Ich träumte oft von solcher Gemeinschaft mit einer adligen Seele, sei's nun eines Fürsten oder Bettlers, ich träumte oft ...«

Er senkte das Haupt und grübelte trüb vor sich hin. – »Gemeinschaft,« sprach er leise und versunken, wie zu sich selber – »Gemeinschaft und rechte Holdschaft ward mir nur einmal, mit einem lieben und einfältigen Weibe, einem Dirnlein, das vielleicht Eurem Stallknecht zu gering wär, der Eures Leibrosses wartet. Sie ist tot. Sie hat mich so geliebt. – Der durft ich mein Bestes offenbaren, die hörte, vernahm und erkannte, was Euch, edler Herr, nicht zu erkennen gegeben ist.« Er stund auf: »Ehrlich, Herr Herzog, wie Ihr ehrlich seid! Als Ihr anhubt zu sprechen, jubelte meine Seele auf: ich vermeinte, Euer fürstlicher Sinn reiche so hoch wie der jener bescheidenen Magd, die an meinem Herzen geruht und drunten im Schwabenlande auf dem Armenkirchhof verscharrt liegt, meines kleinen Lenele – .« Der Herzog warf hier doch den Kopf unwillig in den Nacken. »Laßt's Euch nicht verdrießen, hoher Herr,« sprach Peter, »es wär keinem Manne Unehr, was ich eben sprach, und wenn's der Kaiser wär: bedenkt, ich sprech von einem Weibe, einem liebenden! Vernehmt denn: ich hab die silberfarbene Wolkensaumweise gespielt! – Ihr habt sie nicht erkannt! Hier ist meines Bleibens nicht. Seid von Herzen bedankt, will Euer nie vergessen.«

Der Fürst war wie vom Donner gerührt in den Sessel gesunken und starrte wie entsetzt den Spielmann an. Dann stöhnte er tief auf und bedeckte die Augen mit der Hand.

Peter trat bestürzt näher und drehte angstvoll sein Barett in ratlosen Händen. Was war denn nur geschehn, was hatte er gesagt, das jenen so trostlos darniederwerfen konnt? »Hab ich Euch so weh getan, edler, lieber Herr?« – »Laßt, laßt, guter Geiger – es ist nicht anders.« Er lachte bitter auf: »Ihr habt sie, das war sie! Und ich erkannt sie nicht! Ihr habt recht, laßt mich meiner Unsal, meinem Fluch. Ich erkannt sie nicht! Ihr seid Der, von dem mir gesagt ward! Vorüber geht die Stunde mit ihrem Segen, ihrer Erlösung – und Euch; und ich bleib wo ich war, unerlöst in meiner Nacht. Ich bin gemein wie alle, von denen Ihr sprachet, unter denen Eurer Seele fürstlicher Wert gelitten, gemeinen Stoffs wie sie!« Er sprang auf wie aufgejagt: »Gemein wie er!« schrie er – »der Plagegeist, der böse Dämon meiner Tage!«

Weiter kam er nicht, Peter war ihm zu Füßen gestürzt und küßte seine Hände: »Edel seid Ihr, teurer Herr, so wahr ein Gott lebt, edler denn Eure Geburt, da Ihr solche Worte der Klage fandet! Ihr werdet sie verstehen und erkennen, meine Weise, habt Ihr sie doch schon geahnt! Das war halbes Erkennen, was Euch ans Herz griff, Euch auflauschen machte. Vielleicht fehlt's Euch an Leid, Ihr ruht auf dem Pfühl des Glücks, lebt auf des Daseins Sonnenseite – Herzog, ich bleibe, ich bleibe!«

Der Herzog hub den Geiger liebevoll auf, seine Augen strahlten warm und zuversichtlich. Er ergriff den funkelnden Kelch und hieß Petern ihm Bescheid tun. »Ich dank Euch, guter Meister, dank Euch. Nun will ich Euch ganz vertrauen, will Euch beichten, und Ihr sollt bekennen, ob ich recht beraten war, da ich Euch an mich zog.«

»Ihr wißt ja, wißt ja noch gar nicht, was mir diese neue Mär sagt und bedeutet! Lasset Euch recht anschaun: Ihr seid's! Seht, ich wußt ja von Euch, seit Jahren, von Euch und Eurer Geige und Eurem wunderhehren Besitz! –

Ein Spielmann durch deutsche Lande fährt,
Der führt eine heilige Geige –«

Der Geiger lächelte wehmütig: »Das Lied meint nicht mich, Herr! Ein Wunschlied, ein Traumlied – es träumt an mir vorbei!« – » Es meint Euch! Der also seid Ihr, seid Ihr! Und könntet mir bringen, was einzig mir not! Wär mein Inneres erlöst und entschlossen, Eurer Weise wert, wär ich nicht ganz verloren an den andern – den andern ...« – »Herzog, ich versteh Eure Meinung nicht. Wer ist der andere? Wer konnt Euch Kunde sagen von mir, des wahrlich kein Hund und keine Katze acht hat auf meinen Wegen durch deutsch und welsches Land? Seit mein lieb Mädchen unter dem Weidenbaum schläft, lebt kein Weibgeborner, der von meinem Reichtum wüßte!« – »Weiset mir Eure Geige, Peter der Spielmann.« – »Woher wisset Ihr meinen Namen?« – »Weist sie mir, ob ich recht unterrichtet bin!« – Peter enthüllte die Fiedel, hielt sie dem Fürsten dar. Ein Streifen Pergaments lief quer über ihre Brust. »Was birgt dieser Streifen, Peter? Soll ich's Euch sagen? Zwei edelste Rubinen, wie die Erde nicht schönere kennt, dazu noch eine Perle, mild wie Mondenlicht!« Der Geiger riß mit zitternder Hand die Hülle von den Kleinoden, sie strahlten in überirdischem Glanze. Sie schwiegen beide.

Der Fürst hatte in beide ausgestreckte Hände die Geige empfangen und hielt sie vor sich, wie ein Priester ein Heiltum hält, dem Altarschrein entnommen. »Sie sind noch herrlicher und lichter,« sprach er andachtleis, »als ich in meinen Träumen sie gesehen.« – »Aber nun, um aller Barmherzigkeit willen, vielteurer Herr, nun wollet mir sagen und deuten ...«

»Hört denn zu, Meister. Mir fehl' es an Leid, vermeint Ihr. Seid ihr so weise und wisset nicht, daß das Leid unangefochten durch der Schloßwache und Trabanten Hellebarden und Schwerter stracks hindurchschreitet und ungemeldet im Gemach steht? Teilt Ihr den Wahn der Menge vom schieren Glücke da oben, und dem schieren Elend da unten?« – Peter schüttelte das Haupt: »Ich weiß, Herr, daß hienieden alles seinen Ausgleich findet, alles. Mag ich doch selber, so hart mir das Leben die Schulter drückt, mit keiner Mutter Sohne tauschen. Ja, ja, der sei gesegnet – der sei verflucht! Alles hat seinen Preis, und mein Segen ist mir für meinen Fluch nicht zu teuer.« – »Nun seht Ihr, Geiger, Euch ist's baß gediehen denn mir. Ich bin ein Herzog ohne Land, esse der Verbannung Brot.« Er strich sich über die Stirn. »Ihr wißt nichts davon, wie's den Herrgeborenen so hart ankommt ... lasset mich's schweigen! Das waren des Fürsten Leiden. Jetzt leidet der Mensch. Das andere – hab ich verwunden, lebe der teuren Wissenschaft, der Betrachtung und« – wieder strich er sich seufzend über die Augen und Stirn – »und anderem. Als mir Herrschen und Gebieten noch alles galt, gesellte sich mir ein Mann, der sich der Kunst vermaß, mir die Macht zu schaffen, daß ich mir wieder gewänne, was ich verlor, wieder erkaufe – Ihr versteht mich: ein Goldmacher.« – »Armer Fürst!« sprach der Geiger. Der Herzog stund auf, sein Antlitz war errötet, er sprach mit lächelnder Verlegenheit, die dem stolzen, stattlichen Manne wunderhold zu Gesichte stund, in polterndem Tone, als wär's um ein dummes Ärgernis, nicht mehr, nicht um seines ganzen Daseins Unseligkeit: »Er hat des Goldes mehr gefressen denn ausgespien! – Möcht's drum sein, immerhin, und wär's das Zwiefache, Dreifache, Sechsfache! Hätt mich auch als Junker Habenichts mit dem Leben abgefunden, und so mir ein Gaul, ein Sattel, ein Paar Reiterstiefel und ein Schwert geblieben, mich schlecht und recht durch die Welt geschlagen. Jedennoch, der Böse schlug seine Krallen mir tiefer ins Fleisch! Des fremden Mannes schillernder, giftbitterer Geist tat meiner eigenen Bitterkeit wohl; er reizte mich, beschäftigte mich, wußt in Stunden schwarzer Trauer meinen Geist zu ködern, zu streicheln, zu lenken, in seine Kreise zu bannen, ward mir zuletzt unentbehrlich, ward mir verbunden und verhaftet wie durch Mitschuld und Sündengemeinschaft. Der Himmel weiß, warum er mich so verlassen: in dieser weichen, welschen Luft erschlaffte all mein gesundes deutsches Wollen, ich erlag dem fremden Manne ohn Vaterland und Heimweh, und ... nun, kurz und schnöd herausgesagt: er verstrickte mich all die Jahre mehr und mehr, aus dem besoldeten Knechte zum Gesellen, ja zum Herrn meiner Seele werdend, in leidig Wissen um Dinge – die jedem besser unkund blieben! Er haust, es sind nun schon der Jahre sieben, hier in meinem Schlosse, drüben jenseits des Wasserlaufs, der meinen Park durchschneidet; Ihr seht das kleine Marmorbrücklein schimmern? Dort hat er seine schwarze Küche, mein Hof- und Leibalchimist, den ich lieber heut denn morgen zum Teufel jagte, wo er daheim.« – »Ja, warum tut Ihr's nicht?« – »Ja, warum nicht! Warum wird der Mensch seines Fluches nicht los!« – Der Fürst wanderte mit großen Schritten durchs Gemach. – »Ihr sollt ihn sehen, er ist kein holder Gesell. Doch Euch wird er nichts anhaben, haha! Euch nicht! Seid Ihr doch der einzige auf dieser Erde, den er, wie knirschend immer und widerwillig, scheut und ehrt.«

»Er mich? Herr, wer ist der Mensch? Woher kennt er mich?« – »Er hat mir von Euch gesprochen, oft und viel, mich dünkt, öfter denn er selber gewollt, er war stets über die Maßen finster und knurrig hinterdrein; er mußte wohl, und es waren traun seine wahrsten und redlichsten Stunden, da er in dunklem Zwange das ernste Lied mir sang, das er selbst auf den deutschen Spielmann mit der geweihten Geige gesetzt hatte ...« – »Seltsam, seltsam ...« – »Seht, Meister, ich tu Euch mein Herz auf bis zum dunkelsten Grunde, vertrau Euch wie keinem Menschen noch zuvor – mein Sinn und Sein ist gar wüst! Helf mir Gott, verworren und zerrüttet, ratlos mein Herz! Ausgeplündert hat mich der Schwarze, die Blumen guter Gedanken mir aus meinem Hausgärtlein ausgerauft und mit kaltem Lachen vor die Füße geworfen, und, ich schwör's Euch, sie sahen schwarz und welk aus, wie Unrat und Dreck, wenn sie seine lieblosen Klauen zerdrückt hatten; hier drin« – er schlug sich an die breite Brust, und seine Stimme schwoll an in leidenschaftlicher Klage – »hier drinnen sieht's aus wie auf einer öden Brand- und Trümmerstätte! Die Kirche ward mir fremd und leid, ihr Trost mir ein Spott. Oft komm ich mir wie ein Teufelsbündner vor! Reuig heimschleichen zu den Pfaffen? Dazu bin ich – nicht zu stolz; nur zu ehrlich und männlich, nicht feig, nicht Schelms genug.« Er faßte den Spielmann stark an beiden Armen und schüttelte ihn, der ganze Bau des ritterlich-starken Leibes bebte, und seine machtvolle Stimme klang wie durch verhaltene Tränen: »Mann! Ich möcht einmal wieder weinen! Versteht ihr mich? Vom Sturmhauch Gottes, vom Odem des Ewigen angepackt werden und erbeben in süßem Erliegen; wie ein Weib, ein weiches, reines, gutes Weib: die heilige Ergriffenheit erleben, die der Hund dort mir verekelt und aus dem Herzen gehöhnt hat. O, er selber, mein düsterer Dichter und Hexenmeister, hat das Lied von Euch und Eurer Weise singen müssen:

Wer die silberne Weise vernimmt und erkennt,
Der braucht nicht Priester, nicht Sakrament!

Nach ihr hab ich ausgeschaut in Sehnsuchtnot und in die leere, tote Welt hinausgehorcht, wie ein Pestkranker nach dem Schritte eines wundertätigen Heilands. Ach, und daß ich sie heut nicht einmal zu vernehmen vermocht, das ist mein Gram, meine Verzweiflung!«

»Doch daß Ihr sie geahnt, ihre Nähe gefühlt, daß Ihr mich eingefangen, Herr, sei Euch Trost, sei Euch die Gewißheit, daß Gott Euch väterlich leitet und Euer nicht vergaß! Wer aber ist nun jener Mann, von dem Ihr sprachet? Eine Ahnung will in mir aufdämmern, ein Gedenken wie eines Feindes ...«

»Er ist Euer Feind, muß Euer Feind sein, er Euer Widerspiel, wie die Nacht des Tages, das Böse des Guten. Warum denn rief ich nach Euch? Weil Ihr ihm die Wage halten, ihn in meiner Seele bestehen sollt, weil Ihr mich erretten könnt von ihm, dem Unheiligen; weil ich den Frieden finden kann durch Euch, den der Christgläubige im Dome, beim Wunder der Messe findet ... Ihr lehret mich Gott schauen, Gottes inne werden! Wollt Ihr's versuchen? Geduld üben an mir?«

»Ich will's,« sprach Peter tief erschüttert, »in allem treuen Ernste will ich's!« – Er wußte jetzt, wer der andere sei.

»So sei Euer Einzug gesegnet. Wir wollen zur Ruhe gehen. Ich werde schlummern diese Nacht, als hätt ein Engel des Herrn unter meinem Dache Wohnung genommen, mir nun und immerdar nah zu sein.« Er schwang eine silberhelle, durchbrochene Schelle. Der Diener erschien mit dem Armleuchter. »Gute Nacht, lieber Meister, sei mein Dach Euch hold.«

Draußen schritten die zwei, der Spielmann dem Diener folgend, durch den langen, dunklen Gang. Des Geigers Brust war seltsam bewegt. Ein neu Gefühl seines Wertes war in ihm auferstanden und reckte sich freudiglich. Was starr und herb und kalt in ihm gewesen, wollt weich werden, wollt warm werden; und was er tief zuinnerst stets gewußt, sich nur unter hartem Lebenszwange trotzend zu verhehlen bemüht war, das lebte wieder sieghaft empor als letztes, reifstes Wissen: daß wir für andere da sind, und daß Liebe und Kunst eines! Und er verstund, was er als Kind dem alten Präzeptor in der Dorfschule hatt herbeten müssen: »Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und Erkenntnis und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.« Ein herzlich Entschließen kam heiß über ihn: eine werte Seele redlich liebhaben zu wollen und Treue zu üben. Und eine tiefe Seligkeit, daß ihm doch noch einmal ein Mensch geschenkt ward, den er lieben und betreuen dürfe.

Sie schritten eine Treppe hinan. Wieder lag ein langer Gang finster vor ihnen, das gelbe Licht der Kerzen tastete schmächtig in das Dunkel voraus. »Was ist's, was dort in der Ferne schimmert, wo die Mondhelle zum Fenster hereinfließt?« – »Ein Marmorbild der Vesta, Meister.« – »Seht doch,« flüsterte lebhaft Peter, den Diener am Arm festhaltend, »verschwand dahinter nicht just eine schwarze Gestalt?« – »Ich sah nichts, Herr. Wer sollte zu dieser Stunde hier oben lustwandeln?«

Damit öffnete der Bursche ein Gemach. Gar traulich war's droben und behaglich. Eine Glastür in der Mitte führte auf einen umlaufenden Balkon hinaus. Draußen hallte eines verspäteten Gondolieren Ruf durch die blaue Nacht, auf flachen Dächern schlief das Mondlicht, und drüben ragten unbewegt die schwarzgeballten Wipfel hoher Zypressen irgend eines vornehmen Parkes. In der Ferne schwammen im bläulichen Dämmerlichte die bleichen Bilder von Kirchenkuppeln und Türmen wie in silberblassem Nebel. Der Diener hatte sogleich Fenster und Glastür geschlossen, damit das Kerzenlicht keine schwärmenden Gäste hereinlocke, die dem Schlafe des Menschen nicht hold zu sein pflegen. Nun bereitete er das Lager. Peter schaute mit schmunzelndem Behagen das hohe, breite Bett, überbaut von einem reichen Baldachin, der auf schlanken Säulen ruhte, bewunderte die feine Schnitzerei des gotischen Maßwerks und staunte der kostbaren, flaumweichen Decken und des edlen Pelzwerkes, so ihm des Dieners gewandte Hand auflockerte und glättete. »Das lass ich mir gefallen, Freund,« lachte er, »hab schon manchmal minder herrschaftlich geschlafen, glaubt Ihr's?« – »Ei ja, wichtiger aber sind die Gedanken, mit denen man zu Bett geht. – Meister!« brach er, sich rasch umwendend, stürmisch heraus. »Wie'n Prinz sollt Ihr's haben, so Ihr unserm gütigen Herrn Friede bringet in sein verwüstetes Gemüt! Laßt ihn Euch recht von Herzen empfohlen sein.« Wie tief auch Peter den Ernst seines Amtes hier erfaßt hatte, bei diesen bewegten Worten dienender Treue fiel er ihm noch schwerer auf die Seele. Er hätte gern noch mehr vernommen, doch war's ihm widers Gefühl, den Diener zu fragen, wo der Gebieter begonnen, sein Herz so sonder Scheu und Schonung ihm aufzutun. Da trat der Bursch vertraulich näher: »Seht, seit die selige Herzogin von uns ging, hat der Schwarze«, er schlug ein Kreuz vor seiner Brust – »allzuviel Macht über ihn. Außer dem, was er sonst ist, was nur Gott und Satan wissen, ist er ein Gauner, ein Betrüger! Sein Geschäft ist Ungedeih, ist Vernichtung, seine Lust Schadenfreude. Könnt er's, er möcht das Bild der Schöpfung schänden, bis es seiner düsteren Fratze ähnlich säh! Ha – hab's schon oft erwogen, ob nicht ein guter Dolchstoß für den schleichenden, schwarzen Panther da drüben das Geratenste wäre. Derlei ist ja billig zu haben hiezuland! – Meister,« schloß er, da Peter nichts entgegnete, »Ihr dürft schon alleweil offen mit mir sprechen, ich mein's treu mit unserm Herrn, und Euch wird's recht sein, einen zu wissen, der Bescheid weiß und Bescheid gibt, wo etwa Euch ein Zweifel plagt. – Christ und die Madonna mit Euch, Meister, und laßt Euch was Holdes träumen.«

Die Tür schloß sich hinter ihm. Peter hängte seine Geige an einen der zartgeschnitzten gotischen Bettpfeiler. Es war ihm doch wie in reinerer, leichterer Luft zu atmen, und wie Sonntagsfreude: die lieben Kleinode wieder unverhüllt zu sehn! – Nun kann noch einmal alles licht und gut werden, dachte er. In heiterer Ruhelosigkeit wandelte er noch lange auf und nieder in dem behaglichen Gemache. Ein Madonnenbild an der Wand über einem reichen gotischen Lesepult zog seinen Blick an: die Gottesmutter mit dem Gesicht eines kleinen, süßlächelnden Mägdleins – war da nicht eine flüchtige Ähnlichkeit mit einem lieben, klaren Angesicht, nach dem ihn in schlaflosen Nächten oft so wild wilde Sehnsucht anfaßte, also daß er die Decke seines Lagers sich in den Mund stopfen und darauf beißen mußte, um nicht aufzuschreien in blutiger Entbehrensnot? Nein, sie bleibt zu leer und püppchenlieblich, diese Mutter mit dem Kinde, alles drumher so zier und glau, so purpurn, so blau, so reinlich gülden – nein, das sagt ihm nichts, Kindern mag dergleichen genug sein und kindischer Andächtelei. Sein Blick stieg zur Geige hinauf: da lebte wohl tiefere Andacht, ein männlich Gottschauen. Er reckte die Arme: Abgeben können! Helfen können! Retter sein – nur einem, nur einer ratlosen Seele, gleichviel ob eines Fürsten oder des Ärmsten der Armen. Das hieße doch seinen Preis für Gottes Sonne zahlen, sich nicht mehr so schnöd entbehrlich, so hundeeinsam, so verloren und verlaufen in der Welt fühlen. Einem etwas sein! Das würde ein ganzes Leben lohnen! – Immer klarer ward sein Erkennen. Ja, das würde ein Dasein wie seines, voller Grams und Entbehrens, reichlich, überreichlich aufwiegen – weil es Liebestat! Liebestat! Und birgt seines Lebens Gefäß so köstlich lautren Wein wie den Besitz der seligen Weise – der Wein allein ist nicht des Bechers wert, der Becher nimmer des Weins, so ihn nicht Liebe einem lechzenden Munde kredenzt! »O Geliebte du meines Herzens, die mir einmal die Liebe offenbart, warum bist du nicht bei mir in dieser festlichen, einsamen Stunde, an mein Herz dich zu schließen? – Du bist tot!« Er warf sich knieend mit dem Angesicht auf das weiche Lager – so weich, und ein Lager darbender Sehnsucht! Er reckte sich straff empor: still, still! – Noch einmal will er hinaustreten, eine Brust voll Nachtodems atmen, hinaus in die Klarheit des Mondes. Er öffnet die Tür zur Galerie und tritt hinaus. Drunten schimmert matt die schwarze Flut der Lagune.

Ein seltsames, unwirkliches Traumbild, das schlummernde Venedig. Welch feierlich-strenger Ernst, wie all diese edlen Paläste ins dunkle Wasser blicken, gleich Trauernden, die eine Bahre umstehen. Überall und immer wieder: Trauer und sehnende Not – der tiefste Schönheitszauber der schönen Welt! ewiges Ungenügen! Ihn sehnte es jetzt, seine Geige zu hören, was die wohl zur versonnenen Stille der Stadt der bleichen, flutgespiegelten Marmorpaläste zu sagen hätte ...

Da knirscht ein leiser Tritt neben ihm auf dem Balkone, steht eine hohe, schwarze Gestalt an seiner Linken. Ein langer, schwarzer Mantel, ein schwarzes Samtbarett und ein langer, dunkler Bart machen für einen Augenblick den Fremden für unsern Peter unvertraut; da sieht er in die kalten, stolzen Augen, die auf eines wüsten Lebens Irrfahrten noch unsteter, grausamer, falscher und raubtierhafter zu flimmern gelernt haben, und seine Ahnung von vorhin ist Gewißheit, der Alchimist des Herzogs ist kein anderer als der Totenbeschwörer, der Bakkalaureus grausigsten Angedenkens, sein grimmigster Feind! Jetzt noch unversöhnlicher sein Feind denn je. Er sieht das ekle Schauspiel der bewußtlosen Selbsterniedrigung wieder vor sich und hört die herrische Stirn auf die Diele pochen! – Das hat der ihm nie vergessen! Weiß er doch aus des Fürsten Munde, daß er ein Leben lang die Gedanken dieses heillosen Menschen ruhlos beschäftigt hat. Hier gilt's Leben und Tod!

Die Gedanken eilen und stürzen, wie Soldaten, wenn's durch die Nacht brüllt: »Zu den Waffen!« und der Feind mitten im Lager steht. Rasch hinein, zurück ins Schlafgemach, dort lehnt an der Wand ein spanischer Stoßdegen, dort hat er Arm- und Schulterfreiheit. Da vertritt ihm der Schwarze den Weg. Er steht breit und wuchtig vor der Glastür, im gelben Schein der fünf Kerzen drinnen auf dem Armleuchter. Grauen und Schreck befällt den Spielmann: der schwarze Doktor schaut wahrhaftig dem Wiener Meister von ehemals, der seine Seele um der Silberweise willen verlor und zu Loskauf und Ersatz die seine gesucht, ähnlich wie ein Zwillingsbruder dem andern. Das macht ihn erstarren vor kaltem Grauen. Noch immer fiel kein Wort. Da denkt Peter an Mainz, sein Obsiegen, den Stoßdegen drinnen.

»Gebt den Weg frei, Doktor, wir sprechen uns morgen, 's ist spät in der Nacht.« – »Seid Ihr schon wieder einmal müde? Schließlich, was gilt's? ermuntert Ihr Euch doch wieder und laßt's noch auf eine Kraftprobe ankommen wie dazumal, da Ihr die Bestien zu bändigen Euch vermaßet!«

Er hat recht. Den Geiger übermeistert plötzlich tolle Wagelust. Er muß das Ding kühnlich bei seinem gefährlichsten Namen nennen, ganz die Gefahr heraufbeschwören, heraus aus der Höhle, drin sie schielend wie ein Drache lauert, sie soll ihn nicht zagend sehn. »Ihr wißt wohl noch, wo Ihr hingehöret!« spricht er scharf und gemessen, und jedes Wort fährt hernieder wie ein Peitschenhieb – »geziemt es dir wohl, ein loses Maul wider mich zu führen? Soll ich dich mahnen, Dreckgewürm, wie du vor mir auf den Knieen gewinselt und mit deiner Stirn den Boden geschlagen hast?«

Ein Aufschrei wie eines tödlich Getroffenen, aus dem schwarzen Gewande zuckt ein stählerner Blitz, doch blitzschnell hat Peter des Angreifers Dolcharm am Gelenk gepackt und verrenkt ihm schraubend die Hand, daß der Mann sich stöhnend krümmt und windet; der Dolch klirrt am Boden. Sie haben sich gepackt.

Ein grauses, stummes Ringen hebt an in der stillen Nacht, hoch auf dem schmalen Balkone über dem schwarzen Wasser. Petern schwinden einen Augenblick die Kräfte ... Er hat dem andern das schwarze Gewand vom Halse gezerrt, wo im Schein des Kerzenlichtes die Haut bloß wird, sieht er – sieht er blauschwarze Würgemale an der Kehle des Magiers! »Bist du gezeichnet, Satan?« keucht er, der andere zuckt zusammen. Da packt ihn der Geiger fester. Zur Teufelsfratze verzerrt, das bärtige Kinn wider die Brust gepreßt, die Stirnadern hochgeschwollen, bäumt sich des Alchimisten Angesicht frei über der Steinbrüstung von dem Nacken weg, der schon über der Tiefe schwebt. Peters feste Faust drängt nach, nach, immer weiter lädt der Rücken über den Stützpunkt aus, der Mantel hangt schon flatternd ins Leere hinunter, angstvoll quellen dem Erliegenden die Augen aus dem Kopfe, die Füße verlieren ihren Halt, verlieren den Boden des Balkons – ein gellender Schrei, die Rechte greift fingernd ins Leere, rücklings schlägt er, die Fersen hochaufbäumend, von der Galerie hinunter – Petern steht das Herz still! – Die schwarze Flut unten klatscht hoch auf, und ein paarmal noch, von ringenden Armen geschlagen, von Todesnot zerpeitscht. Dann schließt sich das dunkle Wasser, und die ernste, ungebrochene Stille der Mondnacht herrscht wieder über Palästen, Dächern, Kuppeln, Wasserstraßen und Brücken.

Peter starrte eine Weile ungläubig schier, wie wahnsinnig, über die Balustrade: war das so – wie ihm eben schien? Was war geschehen in der kurzen Frist, seit er hinausgetreten auf die Galerie, einen frischen Atemzug zu tun vorm Schlafengehn? Hatte er bereits geschlafen? Geträumt? War das nur ein Traumspuk? Hatte hier einer gestanden – der tückische Kerl von damals, ihn angegriffen, und lag nun – lag nun wirklich ... War hier einer ertrunken? – Sein Blut wallte noch und rauschte in den Schläfen, seine Hände bebten, seine Knie wankten nach der übermenschlichen Anstrengung: Es war so, es war so! Er wollte schreien: »Helft, helft! Ein Mensch versank, ein Mensch in Todesnot!« und beugte sich angstvoll spähend tief über die Brüstung – totenstill war's drunten, grabdunkel.

Da straffte er sich empor, geballt die Faust: Nein! Nicht rufen, nicht helfen! Untergehen lassen, ersäufen das Gezücht, das dreimal todeswürdige, Haß und Tod diesem menschgewordnen urewigen Hasse und Neide! O, es ist wohl eine Lust zu hassen, eine herrische, berauschende Lust, recht von Herzensgrund zu hassen! Wer darf den guten, herrlichen Hass uns verleiden, und schelten, seine Flamme schwäle trüb und schlackig? Das ist ein rein und reinigend, ein rotlicht Brennen und Lohen, wie's reiner nimmer vom Altar der Liebe steigt! Er atmete unerhörte Lust, wildes Genügen, atmete tief und grimmig-zufrieden und dehnte die Brust. Ihm war, als hätt er Brust an Brust mit dem starken Fürsten der Nacht, dem alten Satan selber gerungen. Nun liegt er drunten erstickt im Schlamme, und frei ist von ihm die Welt – frei! frei! Frei er selber, frei sein edler fürstlicher Freund und Herr!

Doch als der keimende Morgen ins Gemach des Schlummerlosen dämmerte, da waren die Schatten in seiner Seele alles überragend, alles überdunkelnd rundum emporgewachsen, und er meinte ein Leid zu tragen, das sich von keinem Berge überschauen lasse. Er war verflucht! Jede hohe Stunde, die ihm ein Lebensgut in ihrer Rechten darreichte, sie trug in der Linken ein unselig Angebind, mit der Rechten ihn krönend, mit der Linken ihn schändend; jede blaue Welle, die ihm eine seltene Perle an den Strand warf, sie schwemmte ihm breite Schwaden verpestenden Unrats in sein Gefild; jedes Gunstlächeln des Geschicks verzerrte sich ihm allsogleich, wenn eben sein unverwüstlich gläubig Gemüte in Dank erblühen wollte, zur grinsenden Hohnfratze. Nur der Fluch jener Verheißung ward ihm erfüllt, des Segens Schale schnellte leicht empor an der Wage seiner Lebensgeschicke. Er – Frieden bringen? Er – Erlösung und Heil? Nur Unsal haftet an seinen Fersen, und die silberne Weise, die eben noch wie Gottes Stimme klingt und seiner Seraphim Singen aus Himmelsgewölk, sie wird zum Reigen, zur Tanzweise für alle Mächte der Finsternis!

Da, wie ein riesengroß Schattengebild, reckte sich aus all dem Jammer der Gedanke vor seinem Geiste empor: ich trag eine Schuld! Sie gehört, gehört nicht in die Menschenwelt, die Weise, die ich frevelnd als mein Eigen durch diese staubigen Straßen einherschleppe! Schmählich herabgefallen wie durch einen Irrtum Gottes ist sie von einem fremden, weltweiten Stern, und Schuld und Irrung ist's, den hehren Gast hienieden zu hausen und festzuhalten. Es darf nicht sein, darf nimmer sein; drum wird's nicht gut, wird's nimmer gut, bis daß sie heimgekehrt, von wannen sie kam, das Menschenunmögliche, Weltunmögliche wieder unwirklich und zunicht, getilgt der Frevel, gesühnt, und wiedergeschaffen das ewige Recht, das Gleichgewicht dieser Welt.

Aber wie das? Wie nur? – Wenn Wahn und Weh vorbei, wenn er still und tot, wenn dies Hirn verdorrt, dies Herze kalt, in dem wider Fug und Gottes Gebot die verlaufenen Klänge lebendig sind – die Geige zerschlagen, zerschellt; die Juwelen vernichtet, erloschen, versenkt, daß kein Auge mehr ihre Stätte ahnt!

Ausgelöscht, als wär es nie gewesen, war das lichte Liebeserlebnis des gestrigen Abends; dacht er sein, so war's ein Nichts, ohne Farbe und Klang. Das schwarze Geschehnis der Schreckensnacht schloß folgerecht als letztes Glied, eine letzte Vollendung und Sinnerfüllung, an die Kette all der finsteren Stunden, die ihm beschieden gewesen, seit sein Leben so hehren Inhalt barg.

Nicht Graun der Sünde war's, dem er erlag! Er stund heut richtend über seinem Leben wie über einem fremden, und wog fürwahr nicht mit kleinem Maße, mit kleiner Seelen Maß. Der Tod, der für ihn selber kein Schrecknis, kein Übel war, bedeutete ihm nicht mehr, weil er in seiner eigenen wehrhaften Faust gesessen, er empfand wie ein Mann und Krieger – nur dieses ganze Leben mit seinem Wert und Unwert, er verwarf's wie ein tolles Pfuschwerk und Stückwerk, ein häßlich, sinnwidrig Durcheinander, daran wetteifernd Himmel und Hölle gebaut und geschafft hatten. Ekel vor der Wüstheit war es, darein sein Dasein versenkt war! So hatte das Leben selber ihn geschändet, damit er seiner Vermessenheit, seines Frevels inne werde; ihm die Lehre zu geben, dem Hartköpfigen, Schwerbelehrbaren: »Sieh doch, wie närrisch Deinesgleichen des ewigen Lebens Krone zu Gesichte steht!« Wohl oder übel, endlich begreift er's, es soll nicht sein, soll ewig nicht sein; denn sieh, es geht nicht an, daß die Hand, die den andern in die schwarze Tiefe stürzte, den Bogen führe zu göttlichen Klängen. Ausspeien vor sich selber könnt er! Was Schuld und Unschuld, Not und Zwang? Er starrt vom schmählichsten Unrat der Erde! Schlimmeres darf und kann nun nicht kommen. Ganz erfüllt ist der Fluch meines angemaßten Besitzes, meines frevlen Raubes. Nun sei's genug!

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Das war das Ende des wilden Ringens dieser furchtbaren Nacht, eines Ringens, viel heißer und schrecklicher denn der Todeskampf dort über der Tiefe gewesen: er riß seine Geige vom Pfeiler. Draußen auf des Balkones Boden lag noch des schwarzen Doktors Dolch. Er hub ihn auf, küßte die Geige zum schlimmen Ade, und brach die Edelsteine sowie die Perle knirschend und krachend aus dem Holze. Es war, als bräche sein Herz dabei, doch kein Besinnen, nur kein Besinnen! Die köstlich schimmernden Lichter beide füllten wie bebende Blutstropfen seine zitternde Hand, wie eine schwere Träne lag die mondlichtmilde Perle neben ihnen – er drückte die Kleinode noch einmal an seine Lippen, dann warf er seinen unersetzlichen Schatz abgewandten Angesichts in die Flut – dem Ertrunkenen nach, des wildes Neidherz so nach ihnen gegiert hatte. Er wäre am liebsten nachgesprungen.

Doch er steckte den Dolch zu sich, nahm die entehrte Geige und schritt entschlossen hinaus. Draußen auf der Marmortreppe traf ihn der treue Diener, der mit fröhlichem Morgengruß ihm entgegeneilte. Der prallte zurück: »Um Gott, Meister, wie schaut Ihr aus! Ihr seid ein Greis worden über Nacht! Was ist Euch geschehen?« Reichte ihm der Spielmann den Dolch: »Bring den deinem lieben Herrn, er war meines Feindes. Wir haben Wiedersehen gefeiert diese Nacht, der Schwarze und ich, und dies kalte Eisen war meinen Rippen zugedacht; schade, ich war flinker denn er. Und als er mich über die Balustrade schleudern wollte, war mein Arm der stärkere. Nun liegt er drunten im Schlamm ertrunken. Grüß deinen Herrn, ich hab ihn lieb gehabt wie lange keinen Menschen, doch bin ich ein Unseliger, mein Bestes ist Frevel und Fluch. Ich kann ihm keinen Frieden bringen, des ich selber darben muß. Nach einem gütigen, greisen Priester forscht, und Gott schenk ihm Gnade und Genesen.«

Der Diener stund entsetzt, den Dolch in ratlosen Händen, bekreuzte sich, wollte was stammeln – da war der Gast die Stiegen hinab geeilt. Ein sicheres Gefühl führte ihn in dem weitläufigen Schlosse den rechten Weg, er fand die Pforte zum Park, eilte auf die zierliche Marmorbrücke zu und hinüber, an des Alchimisten schwarzer Küche vorbei, wo ein dunkles Rohr an einer Stelle die Mauer durchbrach – ringsum war alles schwarz und giftgelb angeschwalcht – er fand ein Gartenpförtchen, es war verschlossen; gewandt schwang er sich hinüber und schlug sich, als werde er verfolgt, in das Gewirr der schmalen, ölduftigen Gäßchen, Brücklein und Uferstege.

*

So hatte er sich selber seiner Krone entäußert, sich selber unerbittlich verbannt aus seiner Welt. Stunden gab es, da er sich das Haar raufte und in wütender Selbstquälerei seinem Gewissen mit der Frage zusetzte: »Warum tatst du also? Warum?« und jeglich Darum mit wildem Hohnlachen unter die Füße trat: »Du lügst, Alter, du lügst!« Stunden, grausame, da blutige Scham und Reue die große, mannhafte Opfertat strenger Redlichkeit mit einem Schandnamen benannten, als schnöden und dummen Verrat, als läppisch feige Flucht. Nein, auch auf diesem Grabe sproßte ihm nimmer das Blümlein Seelenstill.

Er war wieder einmal ein rechter Bierfiedler worden, und ein alter dazu, dem graue Silberfäden in eine zergrämte Stirn hingen. Er mocht auch nichts Besseres sein und gelten! Tief, tief barg er sein Haupt im Grau seines Elends wie ein weinend Kind im Schoße der Mutter. Nur nicht mehr aufschauen! Er mochte des Himmels heitres Blau nicht mehr ertragen; ihm klang's wie ein vorwurfsvoll Fragen, wenn der Lenz durch die Welt schritt und die Menschenkinder am Kinn faßte und ihnen mit seinen Strahlenaugen ins Gesicht schaute: »Und du? Wo ist deiner Seele Zier?« Wenn die Welt in grauem Regendunst versank und hindämmerte, und in den Dachrinnen das Wasser gurgelte und sang, dann war's ihm eben recht. Lenz, was fragst du mich nach dem, was ewig dahin? Sonne, du quälst mich mit deiner Frage nach dem ewig Verlornen! Laßt mich, laßt mich, ich hab's nicht mehr; Gott weiß, warum! Nur nicht zurückblicken, nicht fragen, nicht grübeln! – War aber der bunte Tag entschlafen, dann besann sich unfehlbar die Seele im Traum ihres Leids und wußt ihm sein Elend im Bilde zu deuten.

Er träumte in dieser Zeit immer wieder einen seltsam-schwermütigen Traum. Er war wieder Kind und fand sich mit bangender Kinderbrust in seinem Heimatstädtchen, vor dem alten, lieben Häuschen, das schon sein Großvater und dessen Ahn bewohnt, das so viel feiner Musika gehört hatte. Er trippelte die ausgetretenen Steinschwellen seines Elternhauses hinauf, stellte sich auf die Zehen, hub den Türring und ließ ihn fallen. Das gab so harten, mitleidlosen, schollernden Ton, daß das ganze alte Häuschen dröhnte, und er im Herzen erschrak. Lang ließ man ihn harren. Endlich tat sich lautlos und zögernd die Pforte auf, der Klingeldraht, der verrostete, rasselte, und die Schelle droben über der Tür lärmte gar unfreundlich, als gelt's einen ungebetenen Gast ansagen, eine Dienstmagd mit blauer Schürze stund im Türspalt, und sieh, es war sein gestorbenes Lieb, das hatte gar verweinte, tottraurige Augen. Sie wich ins Dunkel, und er trat beklommen ein, sah noch, wie sie Schweigen gebietend den Finger auf die Lippen legte. Des Knaben Herz zog sich wehevoll zusammen, als er sich einsam in dem großen, dämmerkühlen Vorplatz seines Elternhauses fand. Kalt hauchte es aus den alten Wänden, die seine Kinderspiele belebt hatten. Nach der Mutter wollt er rufen, doch deren Plaudern und munteres Singen klang nicht aus der Stube, nicht aus der Küche. Mutter ist wohl bei einer Nachbarin, dachte er, oder auf dem Wochenmarkt? Oder – ist sie gar tot? Einen Augenblick wußte er wieder: Vater und Mutter ruhn draußen vorm Tore auf dem Friedhof, wohl unterm Syringenbaum. Wer mag ihres Grabes warten? Nicht doch, er war doch daheim, daheim – oder – er sah sich fragend um: sollt ich fehlgegangen, in ein fremdes Haus geraten sein? Allein dort stund doch im Schatten die alte, hohe Standuhr und tackte wie immer, langsam und gewichtig; und droben an der Wand hingen ja die alten Scheibenbilder noch, ganz recht, die hatte sich Vater gar preislich erschossen; oft hatte er sie angestaunt: der hoch springende Sechzehnender, die schwarze Wildsau dort, und dort der Jägersmann, hoch zu Roß, wie er das Halali bließ. Er faßt sich ein Herz und pocht an die Tür der Wohnstube. Da tritt ein hoher, dunkler Mann heraus. Nicht sein Vater, ein fremder, riesengroßer Mann; sein Antlitz kann er nicht erkennen, doch wohlbekannt ist ihm die dunkle Stimme, die da fragt: »Was suchst du hier?« »Ei, Vater und Mutter doch, wen sonst?« wollt er stammeln – »bin doch allhier geboren; schaut, dort hängt mein Schulranzen an der Wand!«

Da erblickte er, unterm Arme des Gewaltigen hindurch, eine schwebend bewegte, leuchtende Gestalt: Sie war's! Die Unvergessene. Um sie der Raum war nicht das wohlvertraute Zimmer mehr, da sah er ins endlos Weite, da war nur Licht, tiefes, weißes Licht wie auf der Erde höchstem Bergesgipfel, gleißende Helle. Das nackte Frauenbild war so schön, wie er's in seiner Jugend Tagen geschaut, in unwandelbarer Herrlichkeit blühte der adlige Leib. Sie drehte sich, schwang sich im Tanze wie einst; sie spielte die Geige mit leuchtenden Armen; er kannte das Schimmern blutroter Rubinen und der mondmilden Perle; und sie sang zum Tanze und Geigenspiel, und lächelte wieder der Seligen Lächeln, das nichts weiß von Not und von Tod. Alles wie einst – alles wie einst! Nur schien sie ein stummes, bewegtes Bild, er hörte nichts, vernahm keinen Ton, nicht ihres Mundes, nicht seiner Geige. War sie so fern, daß der Raum und die Weite vor seinem dürstenden Ohre die seligen Klänge tranken? Seltsam, wie sah er dann jede Lieblichkeit der nie alternden Glieder, das Spiel der zierlichen Finger, jedes Liderneigen und Liderheben über den strahlenden Augen, die feinen Brauen darüber, die Knospen des Busens und jegliche Saite der tonlosen Geige und jedes einzelne Kleinod auf seiner Fiedel Brust? Wie sah er das alles so nah – und hörte nichts?

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Doch blieb ihm keine Zeit, dem bänglichen Wunder nachzugrübeln. – »Was suchst du?« herrschte ihn die Gebieterstimme des Mannes, des Augen und Antlitz er nicht ersah, zum andern Male an. » Geh, du hast hier nichts zu suchen!« Die Tür schloß sich. Dunkel, kalt und fremd war alles um ihn her wie zur Nacht auf dem einsamen Kirchhof einer fremden Stadt, wo der Herbstwind die letzten Blätter von den Trauerweiden reißt. Er warf sich wider die Tür und schlug mit den Fäusten jammernd dagegen – alles blieb stumm wie das Grab. Irgendwoher aus dem Finstern, da er mit wahnsinniger Angst auf einen Laut des Lebens lauschte, klang es: tack – tack – tack – langsam und gewichtig wie die Uhr der Ewigkeit, wie der Schritt der reisigen Zeit und des nimmer rastenden Todes. Ihm war wie dem Sünder vor der Pforte des Paradieses, sein Herz brach in bitterlichem Weinen grenzenloser Verwaistheit und Heimatlosigkeit. In Tränen wachte er auf und trug ein trauerschweres Herz durch den wolkengrauen Tag.

Also träumte er oft, und da begriff er, was er verloren. Flog dann sein trüber Blick über die Wundenmale seiner entehrten Geige, so krampfte sich's in ihm zusammen wie ein emporquellender Aufschrei, doch er preßte die Lippen fest und spielte – was Lustiges. Was hier, was da! Und einen Schoppen Roten dahinter und noch einen. Wenn er aber die Klugen und die Dummen und die ganz Gescheiten von der silberfarbenen Wolkensaumweise schwatzen und preisen hörte, so lachte er gellend auf. Er wagte nicht mehr, daran zu denken. –

Aber es dachte in ihm, es dachte – –

Einmal, da saß er in der qualmigen Schenke, gemieden und allein, und trank und rauchte, rauchte und trank, ingrimmig. Seine Faust ruhte schwer geballt neben dem Weinkruge. »Na,« höhnte ein Bauer, »hockst ja da, Peter, als hättst 'nen Einbruch vor. Wo willst denn einsteigen zur Nacht? Schier fürchten könnt man sich vor deinem Geschau. Trinkst dir 'ne Kurasch an, he?«

Ja, er trank sich einen Mut: Er trug's nicht mehr! Und ging's um die ewige Seligkeit, er mußte wissen, woran er sei! Als er in der Scheune, wo er nächtigte, auf sein Strohlager gekrochen war, da packte es ihn wie frevle, räuberische Lust: Heut! Jetzt! Ich muß es, muß es einmal versuchen! Er riß entschlossen die Geige ans Kinn – es gelang ihm nicht mehr! Hirn und Busen waren ihm öde und leer, er fand's nicht mehr. Er war und blieb verstoßen aus jener Welt, hatte keinen Teil mehr an ihr. – »Geh, du hast hier nichts zu suchen!«

Da stürzte der Elende auf sein Angesicht, fluchte sich und seiner raschen Tollheit, fluchte dem Tag seiner Geburt und wünschte sich, tot zu sein, begraben zu liegen auf dem Armenkirchhof im Schwabenlande, an der Seite der Einzigen, die ihn geliebt hatte.

Fortan war er halb von Sinnen, kindisch und verstockt, den Menschen ein Grauen und Widerwillen. Hunger und Elend und nagender Gram und fressende Reue zehrten an des Heimatlosen stolzer Kraft, er war wie ein wandelnder Schatten, der arme, weißköpfige Bierfiedler, keinem mehr nütz und wert.

*

Ein armselig Dörflein lag am Walde. Darüber waren die grimmigen Hufe des Krieges einhergewettert, nun war's wie ein geschändeter Leichnam. Die Häuser und Scheunen in Flammen aufgegangen, die Felder wüst und zerstampft, vernichtet die Ernte, das Vieh geraubt oder verbrannt, die Männer erschlagen oder geflüchtet, die Weiber der wüsten Lust roher Reiter erlegen, oder geraubt oder geflohen. Das zertretene Dörflein lag da, ein schmutziger Trümmerhaufen, als könne bis ans Ende der Tage niemals wieder ein Pflänzlein des Lebens dort keimen und Wurzeln fassen. Die Nacht zog herauf, eine stürmische, dunkle Regennacht, die Wasser peitschten hernieder, als sollte all der Greul des Mordes und der Verwüstung hinweggeschwemmt werden vom Antlitz der Erde.

Hinter einem niedergebrochenen, halbverkohlten Zaune, in einer Lache mattblinkenden Wassers lag im Regen ein Sterbender ohn Dach und Hausung – er schien das einzige atmende Wesen rundum. Peter der Spielmann war's. Seine Zähne schlugen in Frost und Fieber zusammen, doch er lachte und kicherte vor sich hin. Er hatte seine letzte Tat getan. Mit dem Kriegshaufen war ein Trupp Zigeuner gezogen, ein baumlanger, schwarzhaariger Kerl mit lachenden, weißen Zähnen hatte dem wehrlosen Alten seine Geige rauben wollen. Der duldete noch heute keine Gewalt! Alles Feindselige, so jemals ihn bekämpft, schien ihm in seinem Fieberwahn noch einmal auferstanden in diesem gelbhäutigen Strolch, alle Gesichter, deren Haß ihn einst bedroht, flossen in dem frechen Antlitz dieses verwegenen Gesellen zusammen. »Bist noch nicht tot? noch immer nicht tot, du neidischer Hund?« lachte heiser der wahnwitzige Alte und stieß dem Räuber das Messer ins Herz. Seine Fiedel war bei dem Balgen und Raufen in Stücke zerbrochen. Nun lag er da in der schwarzen Wasserlache, frierend, lallend und lächelnd, das arme Hirn voll toller, bunter, seliger und unseliger Gesichte, die hagere Rechte hielt krampfig den Geigenhals, der ihm geblieben war.

Zwei Dragoner preschten vorbei, fluchten über das Hundewetter, über das ausgeraubte Nest, drin nicht Feder noch Klaue mehr zu finden, der Kot spritzte unter den Hufen ihrer Gäule dem Sterbenden, des sie nicht acht hatten, übers welke Gesicht. Einer führte im Reiten einen ledigen Gaul am Handseil. Von einem Hufschmied sprachen sie – im Walde müsse eine Schmiede liegen, weiß der Teufel, wo. Weg waren sie, ihr Reden, ihrer Rosse Schnauben und Galopp verhallt.

In den wirren Sinn des zu Tode Erschöpften war ein zündender Funke geflogen, das Wort: Schmiede im Walde! Wie ein Weckruf: »Steh auf und wandele!«, wie der letzten Posaune Ruf, der die Toten aus ihren Gräbern reißt: In irrer, wahnwitziger Hoffnungswonne taumelte er empor, straffte die zerschlagenen Glieder, die wankenden Kniee hielten, trugen ihn noch einmal, übermenschliche Kraft rann noch einmal durch den halbentseelten Leib; ein rotes, lohendes Leuchten vor seinen brennenden Fieberaugen, wie damals, wie damals! In das stürzte, taumelte er hinein – hinein – – –

Ein Schmied hämmerte zur Nacht noch fleißig auf seinen Ambos, zog die fauchenden Bälge, ließ die Lohe tanzen. Hei, war das einmal ein frischer, arbeitfroher Kerl! Hatte auch keinen Grund, unzufrieden zu sein: bei ihm war sein junges Weib und tränkte einen rosigen Buben an der vollen Brust. Draußen rauschte der Regen. Der Schmied hielt ein Weilchen inne mit Schaffen und labte den liebenden Blick an der minnigen Schau. Lachend zog das hübsche Weib das Hemd über die nackte Brust und neckte: »Was gibt's da zu gucken? Gar nichts!« – »Oho!« schäkerte der junge Gatte, beugte sich über Weib und Kind und drückte der Geliebten einen Kuß auf den mütterlichen Busen. Sie zauste ihm den braunen Schopf: »Taugenichts! mach lieber, daß du dein Werk schaffst. 's wird Zeit, schlafen zu gehn!« – »Nur ein paar Schläge noch, Gretel, dann mag's genug sein.« – »Hau nur zu, ich hör's gern und seh gar gern die Funken stieben, und der Bub soll sich beizeiten daran gewöhnen!«

Da wankte ein Bild des Jammers herein zur friedevollen Stätte reinsten Menschenglücks – er hielt, der Greis mit den weitoffenen, schwimmenden Augen, in der Rechten das Bruchstück einer Fiedel und lächelte unsinnig, selig verklärt. »Endlich!« seufzte er erlöst, und hielt sich taumelnd am Türpfosten. Aus seinem weißen Haar troff die Nässe, die ganze hinfällige Gestalt in ihren Lumpen sah aus wie aus dem Wasser gezogen. »Endlich fand ich heim,« lallte er, »und die Tür bleibt offen, bleibt offen! Und da bin ich! Nun schlag mir, Meister Schmied, mein Herz entzwei! Dort lag's schon einmal, dort auf deinem Ambos. Und wieder tanzen soll die Schimmernde, die selige Frau, im roten, roten Lichte! Tanzen und singen, eia, singen und tanzen ...«

Er brach zusammen. Der Schmied hielt ihn in den Armen. Er hatte die Augen in frommer Verzückung weit aufgetan, und flüsterte kaum hörbar: »Still, still doch, Schmied – sie tanzt – die weißen Füße! – Sie singt! Die Geige klingt so schön wie nie – aber die Perle hangt noch zwischen den weißen Brüsten, den ewig jungen, und tanzt mit, tanzt mit! – Die Weise! Die silberfarbene Wolkensaumweise!« – Das Weib kniete neben ihm, achtlos in ihrem erbarmenden Bemühn noch den jungen Busen offen. Durch den Nebel des Todes sah er das Licht ihrer Brust, und lächelte dankbar und nickte beseligt – er vermeinte, die heilige Frau, die Herrin seiner Seele, neige sich über ihn, sein Angesicht an ihrem kühlen Busen zu bergen, daß er ihr Herz in Güte wieder pochen höre wie einst. In dieser Gnade Hochgefühl verschied er.

Der Schmied und sein Weib beteten bei dem Toten. »Ein wundersamer Gast, den Gott uns da gesandt!« sprach still der Schmied, »gelt, Gretel, wollen Christenpflicht an ihm tun.«

Tags darauf begruben sie ihn, der Schmied und sein Weib, und der Priester sprach ein kurzes Gebet über dem Heimatlosen, den keiner kannte. An des Freithofs äußerster Ecke lag er, wo die Ärmsten ruhen, doch er ruhte dort gut. Weiter brauste und verbrauste der Krieg, dorten blieb's Friede. Der Flieder blühte im Lenz auch dort, und die Menschen gingen vorbei in wilden und stillen Tagen, dort an der Mauer führte der Weg des Lebens entlang. Und was sprachen sie? Von der silberfarbenen Weise – und wie die schön sein müsse; ja, wer die meistern könnte! Aber noch keiner, den ein Weib gebar, hätte sie je besessen noch gehört.

 

Die fünfte Auflage dieses Buches wurde von F. Ullmann G. m. b. H., Zwickau im Manuldruckverfahren hergestellt. Alle Rechte vorbehalten. Copyright by Erich Matthes Verlag, Leipzig 1917.


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