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Schwül, warm und feuchteschwer wehte der matte Atem der lichtlosen Sommernacht. In der Ferne schwankten über den finsteren Himmel die Unruhgedanken flatternden Wettergeleuchts.

Unruhgedanken wechselten so mit farbigem Aufleuchten und zagem Erlöschen auch in der Seele des einsamen Mannes, der müden Fußes die dunkle Landstraße hinabschritt. Er war der einsamen Nachtwanderungen gewohnt, für ihn hatte es keinen Schrecken, zwischen Erd' und Himmel meilenweit das einzigwache Herz durch die Nacht zu tragen – wenn die Gnade der Sternenpracht über seiner Straße leuchtete, oder in dunklen Nächten gleich dieser; oder bei Regen, Sturmgebraus und weißem Flockentanz. Zudem – zu geschweigen, daß er ein tapferer, mannlicher Gesell – zum rechtschaffenen Fürchten bedarf's der Muße und guter Weile, wie denn alle Dummheit in einer leeren Seele geil ins Kraut schießt. Leer aber war mit nichten unseres Fahrenden Seele, am wenigsten heut, in dieser schwülen Nacht: Starke Träume und ernste, leidenschaftliche Gedanken trieben sich da drinnen fieberwild durcheinander. Auf dem Rücken trug er eine dunkle Last, ihr möchtet's schwerlich in dieser sternlosen Nacht erkennen, was es ist – bei Tageslicht ist's ein grüner Leinensack, was drinnen steckt, ist sein Ein und Alles: seine Geige, und der nächtliche Wanderer ist Peter, der Fiedler, der drunten im Dorf heut bei einer Hochzeit aufgespielt hat und nun verdrossen, müde und erregt seiner fernen Herberge zustrebt.

Es ist eine in die Maßen feine, köstliche Geige. Drunten in der großen, lustigen Kaiserstadt an der Donau der Meister mit dem blassen Gesicht, der hat's ihm bezeugt; und nicht nur mit preisender, eitler Rede! Der hatte ihn eigens in sein stattlich Haus entboten, und dort in dem reichen, halbdunklen Gemach, für dessen weiche Teppiche unser Fiedler sich am liebsten seine landfahrenden Stiefel ausgezogen hätte, dort hatte der fürnehme Herr wie von ungefähr ein paar meisterliche Striche auf des demütigen Gastes Instrumente getan. Das klang – das klang, als wär's nicht von dieser Welt! Der schüchterne Gesell, dem die herrische Pracht dieser fürstlichen Räume fast bis Rede verschlug, war täppisch auf den Meister, der ihm wie ein Hexenmeister vorkommen wollt', zugefahren mit flehenden Händen: »Meister, o Meister, was war das? Um aller Gnaden willen spielt weiter, spielt noch einmal!« – Der schüttelte lächelnd das Haupt, daß die dunklen Locken sich leis um die blassen, schmalen Wangen wiegten, und sprach mit verschleierter Stimme: »Die silberfarbene Wolkensaumweise! Ist nichts für dich, guter Gesell, was willst du damit?« – Das hatt' ihn bitter gekränkt, dieses »Nichts für dich«; was wußte der fremde, hoffärtige Herr von Peters einsamen Stunden! – Dann mag er auch meine Geige wieder hergeben! Die aber drehte der, als könnt' er sich nimmer von ihr trennen, schweigend, prüfend ohn' Ende zwischen den schlanken, weißen Händen, daß ihm die Stirnlocke wie ein schwarzes Schlänglein tief vorm Gesicht hing, endlich fragte er, ohne aufzuschaun, wie von ungefähr und als läg ihm kaum an der Antwort: »Ist sie dir feil?« Der arme Dorffiedler, wie in plötzlichem Erschrecken, riß ihm statt aller Antwort sein teures Eigen aus den liebkosenden Händen und weg damit in das grüne Säcklein; fein und artig war's just nicht. Drauf warf der andere lächelnd die Locke aus der hohen Stirn, stund auf und erschloß einen prachtvollen Schrein, in des blanken Flächen und zierlichem Metallbeschlag sich das Prasselfeuer des breiten Marmorkamins rotzitternd spiegelte, hub daraus ein schweres Kästchen, erschloß auch dies – heut noch hört er das harte Knacken, wie's aufsprang! – und zählte daraus eine stattliche Reihe von Golddukaten auf den Tisch, daß es dem Armen vor den Augen flimmerte und das Herz ihm seltsam pochte, wie in Sündenangst. Zwei dunkle Augen glühten ihn an: »Willst du?« – Der Musikant biß sich auf die Lippe, schüttelte trotzig, wie ein dickköpfiger Bauernjunge, das Haupt und trat drei Schritte hinter sich, der Türe näher. Wär' ich nur heil heraus hier, dacht' er, in seiner Angst ging ihm was durch den Sinn von Falltüren, Häschern, Gefangennahme, unsauberen Künsten. Griff der Meister zum andern Male in das Kästchen und verlängerte die goldfunkelnde Reihe auf dem Tische um gut die halbe Länge: »Willst du?« – Da schoß dem guten Fiedler das Wasser in die Augen, und heißer Grimm stieg in ihm auf, wider den lächelnden, reichen Mann, der sich des Dinges so höhnisch sicher gebarte. Freilich wär' ich aller Not und Mühsal mit einem Schlage ledig; das weiß der Hund! In seinen Augenwinkeln zuckt was Boshaftes, als wie: »Wozu dich zieren, Geigerlein, mußt ja doch!« – »Verrat wär's, Untreue!« rief sein guter Geist darein. – »Das ist der Teufel,« raunte es dunkel aus einem Schattenwinkel seines Herzens – »er will deine Seele!« – »Narrheit, ein Gauner ist's nur,« klang's frisch und hell darwider, sein Stolz steifte sich: »Ich muß, meint das Herrlein, weil ich ein armes Luder bin? Oho!« Er warf den Kopf in den Nacken. Doch plötzlich fuhr's ihm durch den Sinn, zu sprechen: »Wohl, es sei – so Ihr mir jene Weise spielt, die Ihr anhubt, die Weise mit den sehnsuchtsüßen Klängen, dem sehnsuchtsüßen Namen!« Da sah er, daß jener seine Gedanken belauerte, oder meint's zu sehen, und sah Triumph in den dunklen Augen blitzen. – Narr, dacht' er, was frommte dir die Weise, so deine liebe Fiedel dahin, du härmtest dich gar zu Tode! – »Gott befohlen, Meister!« – und schritt aufrecht hinaus.

Keiner hielt ihn, kein Diener noch Häscher, tat sich auch keine Falltür auf; froh aber war er doch, da er draußen wieder die leichte Luft des hellen Lenzes trank, und tiefbewegt schloß er seine Geige ans Herz.

Das sind nun Jahre her. Hunger und Not, Frost und Hitze hat der fahrende Gesell gelitten, sein Nein aber hat ihn nie gereut. Doch seit jener Stunde ist ihm seine Geige gar wie eine angetraute Liebste, und hebt er sie auf einer Dorfkirchweih aus der grünen Hülle, so streichelt er erst leise die blanke, gewölbte, die klangvolle Brust, sie um Verzeihung zu bitten, weil er hier just sie nötigen müsse, ein Lied zu singen, ach, nicht immer ein Lied nach ihrem, nach seinem Herzen! »Was dudelt doch der Fiedelpeter heut so langweilig und verschlafen daher! Was Lustiges, Peter, was Lustiges!« so schallt es oft durch den heißen, blauen Brodem der vollen Schenke aus trunkenen Kehlen zu ihm herauf, wenn seine Seele der Welt entglitt und sich mit sich selber verlor; dann schrickt er auf, runzelt die Stirn und, Scham und Not im Herzen, spielt er – was Lustiges. Ist er dann endlich allein, dann sucht und sucht er auf den Saiten die paar verlorenen Klänge der silberfarbenen Weise von dazumal, sucht und sucht, als hinge sein Heil und seines Lebens Sinn daran, und kann sie doch nicht finden. Das ist seit jener Zeit seines schweren Erdenlebens schwerster Kummer und Gram, das macht ihn trübsinnig, weltfremd und versonnen, daß die Leute oft einander stumm bedeuten, es fehle dem guten Geigerlein wohl was im Kopfe, und er gar oftmals sein selber erschrickt: Soll ich denn darob noch närrisch werden?

Was aber mit gutem Fug zum Närrischwerden ist: Was er vor Jahr und Tag drunten in der Donaustadt in jenem einsamen Prunkgemach wie ein flüsternd Geheimnis nennen hören – »silberfarbene Wolkensaumweis'« – seitdem läßt es ihn nimmer aus, spricht alle Welt davon, nächstens, scheint's, werden's die Spatzen von den Dächern pfeifen. Die Bettler und Handwerksburschen auf den Landstraßen, die Soldaten auf dem Marsche und am Lagerfeuer, die Gelehrten in den Städten und die Kaufleute, alle, alle, vom Ratsherrn mit dem Gnadenkettlein bis zum Schuhflicker – jeder weiß mit gar schlauem und andächtigem Gesicht davon zu sagen: »Die silberne Wolkensaumweise! Ja freilich, die!« Wo er auch hinkam auf seiner Fahrt, allerorten war jene Kunde und jenes Wort vor ihm da.

Und weit war er seit jener unvergessenen Stunde herumgekommen im heiligen Römischen Reich, hatt' sogar eine Zeit in der Kurmainzischen Kapelle die Fiedel gestrichen und vermeint, jetzo hätt' ihn Frau Fortuna selber am Bändel fest, er brauche nur fein nachzutappen, wie sie huldvollst ihn gängle. Gängelte ihn auch richtig hübsch verquer an eines adligen Fräuleins lichtweißen Busen allda in der üppigen Stadt; der hatte er's angetan mit seiner herzgetreuen Kunst – freilich sie ihm nicht minder mit ihrer Kunst, was so die feinen Künste schöner Weibsleute sind, die da wissen, wie sie am Leibe wohlgetan, und wie man mit Speck die Mäuse fängt. Und siehe da, auch sie hatte jener Weise Wissenschaft, deren heiliger Name in allen unheiligen Mäulern. Und in einer gar lieblichen Nacht, im duftenden Garten, da hatte er, der Schlanken zu Lieb und Ehr, und dieweil seine minnende Sehnsucht stark und kühn nach dem Höchsten griff, da hatte er gerungen, die edlen, fernen Töne vom Himmel in die irdische Liebesnacht herniederzuzwingen, war auch schon, vermeint er, dicht daran gewesen – da war der Feind und Friedenstörer nicht weit: Ein welscher, dunkellockiger Kavalier, wohl auch ein Bewunderer der Frauenkünste jener Holden und ein Gimpel auf demselben Leim, der gedacht, das lumpige, deutsche Geigerlein mit Spott und Schanden fein aus dem Paradiese zu fuchteln; er wähnte, seine Hand könne nichts als den schlanken Bogen meistern. Während im Holunderbusch die Nachtigall sang, als müsse ihr die Lust die kleine Brust zersprengen, klirrten die tödlichen Klingen, eine schäumende Wut wie aus uraltem Hasse lenkte dem Deutschen die Faust – gleich ward er inne, warum: als der Welsche verröchelnd auf dem Kies lag, sein dunkles Auge starr ward, seine Wangen weiß, da meinte er mit Entsetzen ein bekanntes Antlitz vor sich zu sehen, und das tote Auge schien noch immer zu fragen: »Willst du?!« und um den in Todesnot verzogenen Mund schien jenes spöttische Lächeln noch zu geistern, zu dem die Worte gehörten: »Ist nichts für dich, guter Gesell; was willst du damit?« – Peter blieb am Leibe heil und ganz, seine Seele blutete aus schweren Wunden, wovon die, so ihm das falsche Lieb geschlagen, die leichteste war. Doch Hals über Kopf mußt' er aus dem Kurmainzischen verschwinden, und das rosenfarbene Bändchen, dran ihn Frau Fortuna emporführte, war jählings zerrissen.

Er war nun wieder heimatlos, spielte heute auf Schlössern und Burgen, vor Rittern und Junkern, morgen im Stall vor den Troßknechten, ein andermal in einer leutereichen Stadt auf dem Jahrmarkt, oder gar vor eines Wunderdoktors Bude, der seine Purganzen ausschrie, oder auch unter der Dorflinde oder in den Bauernschenken, wie's sich eben schicken mochte. Kam ihn auch nicht allzu hart an, das wildfreie Vagantenleben, war ihm gleich, wo er sein Haupt bettete, zu einem Imbiß und einem Schoppen Wein reichte es noch alleweil, auch sonst trat ihn kein Darben an, und manche schlanke Dirne schmiegte sich gern an des männlichen Fiedlers Brust und war mit der Nadel treulich zur Hand, wenn an seinem schlichten, sturmbefahrenen Gewand gar zu arger Zergang geschehen wollte. Die Wahrheit zu sagen, war's ihm maßlos gleichgültig, wie es ihm erging, all sein Leben saß ihm nur noch tief innen. Schwer trug er an dem, was er erlebt und getan, schwerer an dem, was ihm ewig fehlte und doch über sein Dasein schicksalvoll Gewalt hatte. Sein täglich Brot aber war Not, Verdruß und Ärger über die vielbeschriene silberfarbene Wolkensaumweise: »Zum Tollwerden ist's,« rief er oft, »ihrer ist die Welt voll, der wundersüße Name muß mit den Winden reisen wie das segelnde Krönchen der gelben Ringelblume; jeder Narr, arm und reich, dumm und gescheit, hoch und gering, fein und grob, Mann und Weib – alle sprechen sie davon, als wär's das gemeinste Ding dieser gemeinen Welt. Keiner hat sie je gehört, wird sie jemals hören, gehabt sich aber männiglich wie ein gewitzter Kenner, als bliesen's zu jedem Sonntagmorgen in jedem Spießbürgerneste die Stadtpfeifer vom Rathausaltan. Was sollen auch die Menschen damit? Mögen sie hökern und scharwerken die sechs Wochentage und am Sonntag zu ihrem alten Schrumdada die Beine heben!«

*

Warum muß er heut just aller dieser Dinge denken? Warum spukt ihn heut nacht wieder ein quälender Kobold, der sein Haupt aus dem Dunkel streckt und ruft: »Da bin ich!« und gleich, eh man sich umschaut, verschwindet, in dem brummenden Schädel? Greifbar, als müsse er sie heute fassen, wie die Sommerfliegen um die Nase eines Karrengauls auf schwülem Waldwege, so tanzen und taumeln ihm die verwünschten Töne um die Ohren! Es zuckt ihm wahrlich in der Hand auf der Stelle, todmüde wie er ist, sein Säcklein aufzubinden, die Fiedel ans Kinn zu reißen und hier mitten auf der finsteren Landstraße zu versuchen, ob er der seltsamen Tonfolge Meister werde. Wie Angst packt es ihn! Er reißt den Filz vom Kopfe, trocknet sich mit dem groben Sacktuch die Stirn. Und immer eilender schreitet er zu, immer dem Wetterleuchten entgegen. Gewiß, es liegt an der Schwere der Gewitterluft, an der feuchten Nachtschwüle, daß ihm so eigen-bang, daß ihm so wahnsinnige Unruhe in allen Gliedern zuckt. Er darf doch zufrieden sein. Er tastet nach dem Geldbeutel, brav Batzen hat's geregnet heut, auf der reichen Hochzeit drunten im üppigen Dorfe, wie lange nicht! – Was liegt daran? Schade nur, daß er heut in seiner Herberge sich nicht mehr gütlich tun kann, hat er doch Speis und Trank gehabt vollauf, hol's der Teufel, plumpsatt ist er; er schnallt sich den Leibriemen weiter und lacht sich selber aus: Wie manche Seelennot kommt aus dem leidigen Bauche, meist vom Zuwenig, heut mal zur Abwechslung vom Zuviel! Er wird sich eine Pfeife anbrennen, das beruhigt das wilde Blut. Da lauscht er auf.

Prasselnde Hufe, Singen und Johlen hinter ihm im Dunkel der Nacht. Näher kommt's und lärmt's. Peitschenknallen darein. Er unterscheidet eine grobe Bauernstimme, die ihn heut schon redlich verdrossen hat und gequält mit: »Spiel auf, Peter; lustig, Peter!« Dabei war ihm ein harter Taler an den Kopf geflogen zu allgemeinem Lachen und Hallo. Hart hinter ihm sind sie, er weicht an den Rand des Grabens, sie vorbeizulassen. Wetterleuchten – die Gäule scheuen; im ungewissen Flammenschein sieht er ein Wimperzucken lang eine dunkle Gestalt über den Rücken der hochsteigenden Rosse langen, er springt in den Graben hinab, eine Peitsche saust und klatscht, der Wagen ächzt und kracht, wie wahnsinnig stürzen sie vorbei und von hinnen – Hufgeprassel, Angstgekreisch, Lustgeschrei, brüllendes Gelächter – ein fliegender Spuk wie die wilde Jagd. In der Ferne vertobt der wüste Lärm der letzten Hochzeitsgäste.

Peter sitzt im Graben. Die Stille, die ungeheure, die den sinnlosen Tumult verschlang, legt sich wohlig an seine Schläfen, darinnen sein Blut ungestüm pocht. »Spiel auf, Peter!« klingt's in seinem Herzen. Alle Wetter, warum auch nicht? Er kann nicht anders, er nestelt mit zitternden Fingern die Schnur des Geigensacks auf und spielt seiner Seele in schwüler Nacht, allein auf weitem Felde, im Straßengraben bei zuckendem Wettergeleucht, – spielt seiner Seele eins auf! Dabei schielt er lauschend stets nach jenen flüchtigen, scheuen, edlen Klängen, nach denen sein Ohr, sein innerer Sinn zu jeder Stunde, in Wachen und Träumen, fahndet, als könne er sie herbeilocken, sich dem Reigen der anderen zu gesellen, wenn diese nur recht heilig, rein und seelenvoll wären; als könne er jene in der Wilde weidenden mit seiner eigenen Herde fangen, unmerklich, leise, sie still und behutsam überlisten, herüberschmeicheln in seiner Töne Bereich – umsonst! –

» Umsonst!« spricht eine dunkle Stimme dicht neben seinem Ohr, daß er entsetzt aufspringt: »Du findest sie nicht. Was willst du auch damit?« – Wie ein eiskalter Kamm fährt's ihm über den Schopf. Man hört's dem Ton der Worte an, der Mund, der sie spricht, lächelt dabei, und den Ton kennt er und dies Lächeln auch! »Seid Ihr's?« flüstert er und möchte das Wort zurückrufen, so wahnwitzig dünkt ihn die Frage, so gräßlich. Seltsam heiser antwortet's: »Ist sie dir heute feil?« » Nein!« Er ist aus dem Graben gesprungen, hat die Hülle über die gefährdete Fiedel gestreift und schreitet hurtig zu. Des andern Tritte hört er nicht, doch jetzt fragt's plötzlich zu seiner Linken: »Hundert?« »Nein.« – Jetzt mit überschnappender Lache zu seiner Rechten: »Zweihundert?!« – »Nein, bei allen Teufeln! packt euch, ihr seid ...« – »ihr seid mir unheimlich«, will er sagen, doch er fürchtet sich vor dem Wort. Doch der andere antwortet auf das Ungesprochene mit krächzendem Auflachen: »Bin ich? – Fünfhundert!« – Diesmal scholl es dicht vor ihm. Da nimmt der Fiedler seinen Knotenstock und tut stracks vor sich, woher soeben die häßliche Stimme kam, einen machtvollen Hieb, und hui, einen Reiterhieb rechts und hui einen links – dreimal hieb er pfeifend in die leere Luft. Dann schritt er beschleunigt zu, und schien des greulichen Geleites ledig. Leise rollte Donner in der Ferne. Doch nach kaum zwanzig Schritten klang's wieder rechts von ihm, und diesmal mit ruhigem, männlichem Wohllaut, als spräche ein anderer: »Du bist ein wackerer Bursch. Du gefällst mir.« – »Du mir gar nicht«, schnob Peter in Galgenlaune. Der andere fuhr fort: »Fast fang' ich jetzt an zu glauben ...« Er verstummte. »Was denn?« fragte Peter. – »Nichts. Du verstehst mich doch nicht.« – »Ihr seid ein hoffärtiger Narr!« – Das muß der Wein machen, dessen der Geiger heut mehr als ihm gut, getrunken, daß er sich solcher Reden erdreistet. Der andere aber spricht gelassen: »Mag sein. Also die silberfarbene Wolkensaumweise möchtest du erwischen? Weißt du, Freundchen, ich auch dereinst. Aber ist's nicht zum Tollwerden? Ihrer ist die Welt voll. Der wundersüße Name muß mit den Winden reisen wie das segelnde Federkrönchen der gelben Ringelblume; jeder Narr, arm und reich, dumm und gescheit, hoch und gering, fein und grob, Mann und Weib – alle sprechen sie davon, als wär's das gemeinste Ding dieser gemeinen Welt. Keiner hat sie je gehört, wird sie jemals hören, gehabt sich aber männiglich wie ein gewitzter Kenner, als bliesen sie zu jedem Sonntagmorgen in jedem Spießbürgerneste die Stadtpfeifer vom Rathausturm. Was sollen auch die Menschen damit? Mögen sie hökern und scharwerken die sechs Wochentage und am Sonntag zu ihrem alten Schrummdada die Beine heben!« –

Peter war starr, war wie vor den Kopf geschlagen: Seine Gedanken! Seine Worte! Kein Zweifel länger, in dem unheimlichen Fahrtgenossen steckt der Gottseibeiuns oder mindestens einer von dessen sauberer Zunft. Hat er nicht tot und kalt im Mainzer Liebesgärtlein auf dem lichten Kies gelegen? »Alles, was recht ist, lobt Gott den Herrn!« wollte er sagen, oder was der Christgläubige sonsten in ähnlicher Fährnis zuhanden hat. Doch, närrisch war's, er zuckte die Achseln und sprach nichts dergleichen, alswie: »Wozu erst? Der Teufel will auch leben!« Über Angst und Bangnis vor allem, so dem Menschen Ungrades unter Mond und Sonne widerfahren mag, war er seltsam hinausgewachsen; stunden ihm ein wenig die Haare zu Berg und rann's ihm gänsehäutig übern Nacken, je nun, so war das halt noch aus alter Gewohnheit gleichsam. Hatt' aber mit dem eigentlichen Peter verdammt wenig zu tun. Das war euch ein schnurrig dickfelliger Gesell, hatt' beide Fäuste in die Hosentaschen gebohrt, sog an seiner Tabakspfeife, und wenn er ab und an mit Nachdruck ausspuckte, so galt das der Welt drum herum. Ihn grämten ganz andere Dinge und nahmen sein ganzes Gemüt ein, und die waren nicht von dieser Welt. Und so dacht' denn Peterlein ernstlich, schnell des ersten Schrecks jener vergnüglichen Gewißheit genesen: »Nun und wenn's denn schon der Teufel in Person wär ...?« Das Ding war ihm minder bedrohsam und ängstlich denn schnurrig: Gespannt war er, wie's nun wohl weiter laufen möcht'! Teufel hin, Teufel her; der Teufel gehört wohl auch zum großen Ganzen, auch wo der zu Hause, wird vermutlich mit Wasser gekocht; und tät sich schon von ungefähr jetzo hier so eine Art Kellerhals höllenabwärts auf, und er selber, Ehren-Peter, käm' ins Rutschen, sein Gedanke wär: »Bin zwar neugierig, wo wir landen – immerhin! Ich purzel wohl nicht aus der Welt.«

So schritt er, die Wahrheit zu gestehen, leidlich gemütruhig fürbaß und wartete der Dinge, die etwan kommen möchten. Das war denn zuvörderst das Gewitter, das näher und machtvoller heraufzog. Jetzt schlug ein hellblaugreller Blitz einen breiten Flammenfächer auf, vom Horizonte her über den halben Himmel weg. Da sah er den Nachbar! Ach du liebes Herrgöttl, was da neben ihm hertrottete, das war nicht das gepflegte Herrlein aus dem Wiener Zauberschloß, war auch mitnichten der rauflustige, verbuhlte Kavalier unseligen Mainzer Angedenkens, das war ja ein halb verhungerter Haderlump, ein ruppiger Strolch, gegen den sich unser armer Fiedler schier wie ein Hochzeiter vorkam. Welch neue Überraschung! Doch dem Geiger war jetzo schon alles recht, er war in so galgenlustig-verwegener, abenteuerlicher Laune, daß ihn nichts mehr rechtschaffen entsetzte noch verwunderte, er sprach nur: »Hm, Ihr schaut mir nicht aus wie einer, der ein halbtausend Gulden übrig hat!« Er erhielt keine Antwort – auch recht, dacht' er. Kein Tritt war hörbar in der Stille als der seine. Ein neuer Blitz erhellte die Nacht – da war freilich auch niemand, der ihm hätte antworten können; er war allein! Packte ihn doch der kalte Schauer des grassen Aberwitzes: »Gott steh mir bei, ich bin verrückt – oder gar betrunken? Hätten die Malefizbauern mir den Wein mit Tollkraut versetzt? An diese Nacht will ich denken. Jetzt aber schnell eine Pfeife Tobak, auf daß ich mein selber inne werde und wisse, ob ich träume oder wache!« Damit stund er an einer Stelle, wo die Landstraße über einen Bach führte, er kannte den Ort wohl und wußte, daß da ein niedrig Mäuerlein die Straße gegen den Wasserlauf sicherte, und darüber ein hoher, knorriger Weidenbaum wuchs, der von jenem Bache trank. Er setzte sich also auf die Mauer – es tat ihm wohl, die Knie krumm zu machen, – und hub an, sein Feuerzeug zu streichen. Als die Flamme aufschlug und in engem Kreise eine matte Helle ward, sah er dicht vor seiner Nase zwei mißgeschaffene Stiefel baumeln, aus deren einem ein paar Zehen lugten, eine zerfranste Hose darüber. Er sprang entsetzt auf – im Weidenbaum hing der Kumpan von vorher, steif und kalt – richtig zum andern Male steif und kalt! »Verfluchtes Affenspiel! Stirb du meinethalben zwölfmal im Jahr!« erboste sich Peter, da sah er unter den Füßen des Gehängten was Weißes schimmern. Es war ein beschriebenes Blatt. Er schlug wieder Feuer und las:

»Wer in Ängsten die ewige Weise sucht,
Der sei gesegnet, der sei verflucht.«

»Gott sei dir und mir gnädig!« seufzte der Spielmann und steckte kleinlaut Tabaksbeutel und Feuerzeug wieder an seinen Platz: »Warten wir bis zum nächsten Unterstand, hier ist nicht gut sein.«

»Wer in Ängsten die ewige Weise sucht,
Der sei gesegnet, der sei verflucht –

Ich glaub', halb und halb versteh ich's. Herrgott im Himmel, rund geht's mit mir, drehwirbelrund! – – der sei verflucht! Holla, der Wind steht auf, jetzt wird der dicken, spukträchtigen Schwüle bald ein Ende sein! – »Dageblieben!« Das galt seinem Hütel, das sich just mit einem heißen Windstoße empfehlen wollte, als er's noch erwischte. Er schritt jetzt zu wie gejagt, oft von Blitzen seinen einsamen Weg erhellt, denn wild und ungeberdig ward die Wetternacht! Das Toben, Krachen und Poltern droben tat ihm wohl, es klang wie Zerstörung und Zusammenbruch. »Schlüg's mich zu Boden, daß alles aus wär', alles Sehnen und Wähnen, alle Narrheit und aller läppische Spuk um uns und in uns!« Mit breiten Sauseschwingen fegte jetzt der Wind über die finsteren Felder daher und orgelte in den Pappeln. Peter riß Rock und Hemd auf, daß der Sturm ihm den Schweiß seiner beklommenen Brust kühle, nahm den Filz ab, stopfte ihn zusammengeknüllt in die Hosentasche und ließ sich von den derben Fäusten des Gewittersturmes mit Lust den strobeligen Schopf zausen. Schwer fielen da die ersten Tropfen, er barg seinen Geigensack unterm Röcklein, und alsobald drasch es wütend hernieder, unter immerwährendem Blitzfeuer. So schritt er in Flammen und Fluten dahin, und freier und ruhiger schlug sein Herz.

Am Eingang des Dorfes, durch das er hindurch mußte, ehe sein Weg in den Wald einbog, der ihn bis zu seinem Herbergdorfe noch eine Stunde etwa begleiten sollte, stund ein leerer, halbverfallener Schuppen. Der war ihm eben recht. Stroh lag, noch leidlich trocken und dicht, darunter am Boden. Hier kroch er unter und warf sich seufzend aufs Lager, wirr und zerschlagen das Haupt, schlaftrunken und fiebrig erregt zumal. Er hörte sein Herz schlagen. Herrlich, wie das rauschte und strömte, wie Segen und wie Verschwendung. Keine zehn Schritt von ihm fuhr der Blitz knatternd und wie mit gellendem Koboldlachen in eine Eiche, daß der Boden erzitterte und ein Schwaden Schwefeldunstes unter das Schindeldach schlug. »Nur zu,« sprach er, »nur zu! Das nächste Mal triff besser!« Ah, das war wie Gesunden, sich wehrlos dem Ewig-Starken, dem, was überwältigend groß, dahinzugeben, die Augen zu schließen, die brennenden, und der Stimmenfülle der verzehrenden Allmacht zu lauschen. Nicht die Fürstenstimme des Donners war's, die es ihm antat mit Lust und Weh, es lebte im großen Flutrauschen himmelhernieder meilenum im Land ein wundersamer Chorgesang: ein Chor der Vernichtung, des Todes, und doch ein tausendstimmiger Sang vom ewigen Leben, ein hehrer Lobgesang auf alle Gnaden Himmels und der Erden. Unter dem großen schwellenden Rauschesang aber klang's fein und unmaßen lieblich wie Elfenstimmchen, wie's summende Singen der Heimchen im Berg, der Kinderseelen, die Frau Holle hütet – ein wunderherrlich Zusammenklingen war's so von Dunkel und Hell, Stark und Fein, und eine überirdische Lust, der Harmonie zu lauschen. Peter lächelte wie im Traum, lichte Sternlein kreisten im Schwarz vor seinen Augen, und sein Ohr und alle seine Sinne wurden feiner und edler und lauterer, und jetzo – vernahm er gar unter diesem tiefbrausenden Strome von Licht und Dunkel, Lieblichkeit und Erhabenheit noch ein Letztes, Allerfeinstes, Allerherrlichstes, was nur den Sinnen eines Sonntagskindes zu guter Stunde einmal vernehmbar werden mag: Es war erst ein ganz lichtheller, überfeiner, langschwebender Ton, ein Ton wie ein langes, schimmerndes, zartgesponnenes Silberfädchen, wie der feinste Lichtstrahl, den wohl der Mond in der Johannisnacht zur Erde spinnt – dann hub der langfließende Silberfaden an, sich in schimmernden Wellenlinien zu schwingen, zu heben, zu beugen, zu schlingen, und nun klang's wie ein fernes Singen von Engeln und ward immer mehr Gestalt und Melodie – und war nichts anderes als die silberfarbene Wolkensaumweise, die Peters Seele jahrelang gesucht!

Von einem seligen, herzbrechenden Schluchzen erwachte er. Weiß Gott, er war eingeschlafen und hatte, unter Tausenden ein Begnadeter, Musik geträumt! Nur Musik, sonder Musikanten und Instrumente: Musik, die noch keiner ganz herniedergeholt, davon nur hier und da ein abgerissen Fädchen wie fliegendes Silbergespinst von Frau Holles Rocken einem edlen Meister der Menschen einmal ums Haupt weht, daß er es auffange mit geweihter Hand und ein wunderbar Gewebe daraus zaubere, aus dem einen Silberfaden, die Menschen zu entzücken und dahin zu entrücken, wo das erdverlorene Klingen daheim. Eine Musika hatte unser Geiger geträumt, frei schwebend und webend über silberfarbenen Wolkensäumen, alles Tönenden und Klingenden ewige Seele ohn' alle Leiblichkeit, ein Tönen und Singen ohn' Kehlen, ohn' Geigen, Zimbeln, Flöten, Hoboen und Klarinetten. Dergleichen hört nur ein Auserwählter, hört's nur mit heißen Herzenstränen, Tränen der Scham und Reue.

Er saß auf seinem Strohlager auf, das Herz wohlig entschwert und ausgeweint, wie ein Mensch, der der Mutter Schuld und Weh vertraut, ihren Kuß gefühlt, ihre Hand auf seinem Haar, – ihr Verstehen, Verzeihen und nimmer endendes Lieben.

Nur leise noch strömte der Regen. Die Luft war duftiger Reinheit und herzhafter Erquickung voll, er trank sich dran gesund. Am Pfosten des Schuppens lehnte er und dachte gerührt und friedebeglückt dem köstlichen Traumerlebnis nach. »Der sei gesegnet, der sei verflucht –« sprach's in ihm, aber da war nichts, was ihm weh tat, einen Schatten in sein erhelltes Innere warf. Stilles Wetterleuchten lichtete ab und an noch den Himmel, jetzt in der Gegend, von wannen er daher gekommen. Er reckte seinen Leib, streckte die beiden Arme und atmete die gesunde Brust des Duftes der erquickten Erde voll und dachte: »Jetzo aber wird ein Pfeifchen gut tun.« Vor dem Schuppen lag ein Baumstumpf, vielleicht einmal als Hauklotz hier gebraucht, den rollte er mit einem Fußtritt unter den Schutz des Daches, saß darauf nieder und träumte beim Rauchen in die milde Regennacht und die dunklen Felder hinaus.

*

Rot glühte es in seinem Pfeifenkopf, ward blasser unter der Asche, und versank im Dunkel. Dies Spiel war seinen Augen, indes er die Erlebnisse dieser wunderlichen Nacht bedachte und ihren Sinn erwog, eine liebliche Kurzweil. Immer trat das rote Fleckchen ins Schwarz der Nacht, atmete sich glühender und erlosch. Immer wieder – immer wieder – zuletzt wußten seine Augen nichts mehr davon, wie weit es sei bis zu der Stelle des Glimmens und Leuchtens, und daß es ja eigentlich nur der glühende Tabak im Pfeifenkopf in der Hand des Träumers sei, auf Armlänge nur entfernt. Wie er darauf starrte, rückte es ferner und ferner in die Tiefe der Nacht, das glühende Fleckchen, immer tiefer und ferner, und wäre wohl zu einem rotfunkelnden Sterne im Weltall worden – wenn nicht der Peter ganz genau gewußt hätt', daß ein rüstiger Wanderer etwa eine Stunde daraufzuschreiten müsse, bis er an die Quelle dieses Aufleuchtens käme. Er wußte ebenso genau, dies Licht sei nichts als die offene Tür einer weltverlorenen Schmiede tief im dunklen Tannenwalde, wo stetig ein Blasebalg in die Feuerstatt schnob und die Glut anfachte, die immer wieder zusammensank; wußte aber auch, daß er dort heute noch hinmüsse. Da gab's kein Verweilen, gehorsam strebte er mit kräftigen Schritten auf das rotleuchtende Ziel zu; immer durch den stockfinsteren Tannenwald – die Stunde Wegs dünkte ihn traumhaft kurz. Grösser und grösser ward der rote Lichtschein, schon erkannte er den Rahmen der offenen Tür, schon sah er eine Lichtgarbe in das Dunkel des Waldes herauslangen, sah eine hohe Gestalt dunkel sich in der feurigen Helle regen, fing an, über Wurzeln zu stolpern und an die nassen Äste zu rennen, weil seine Augen geblendet waren, hörte es aus der Schmiede klingen, klirren und singen –«Gott zum Gruß, Meister Schmied!« sprach er und schritt über die Schwelle.

»Bist du da?« sprach mit dunkler Stimme der Schmied – »nun, du mußt es wissen!« Damit tat er einen ungeheuren Hieb auf den Ambos, davon Petern das Herz im Leibe wehtat, der Schädel dröhnte und schwindelte. Dabei schaute der Gewaltige nicht auf, Peter sah nur seine braunen, muskelstarken Arme und Schultern, den festen Nacken, den herrlichen Rücken, auf dem die Muskeln spielten. Sein dunkelhaarig Haupt war über die Arbeit geneigt und blieb im Schatten. Auch was der Riese schuf, sah der Geiger nicht. Wie er sich aber jetzt zur Feuerstätte wandte, eine Eisenstange in die prasselnde Glut stieß, daß sie hoch auflohte, erblickte unser Freund, was ihm das Herz stillstehn machte.

Dicht neben der funkensprühenden Glut, rotangeglüht wie ein Schneefeld vom Abendlicht, saß auf einem Wolfsfell ein wunderherrlich Wesen, ein überirdisch schönes Mädchen, nackten Leibes. Das eine der schimmernden Kniee lag anmutig-lässig über dem andern, leichtvorgeneigten Leibes hielt sie darüber die Hände verschränkt, ließ den einen freischwebenden weißen Fuß behaglich wiegen und wippen, daß er jetzt in den roten Lichtschein, jetzt in den Schatten tauchte, und schaute mit lichtblauen, großen Augen lächelnd gradaus, wie in weite, weite leuchtende Fernen. Man sah es den himmlischen Gliedern an, die nicht irdische Speise zu nähren und zu ründen schien, daß sie nicht etwa hier die Kleidung abgestreift hatten, sie wußten nichts von Gewand, und die seligen Augen nichts von dieses unverhüllten Leibes Wonne. Wer war dieses Weib? War es menschlicher Art?

»Schaff zu, lieber Meister,« sprach sie lächelnd. Peters schien sie gar nicht wahrzunehmen – »schaff zu!« – »Geduld, du Närrin,« sprach der Riese und tat am Ambos einen letzten Schlag, daß der Boden zitterte, und immer ohne daß der menschliche Gast seines Angesichts gewahr werden konnte, huben die zwei gewaltigen Arme eine rasselnde, schleifende, klirrende Last von Ketten hoch empor, eine Last, wie sie Peters kräftige Arme nimmer halten konnten, mit der trat er vor das elfenhaft liebliche Wesen, sie neigte das anmutige Köpfchen, daß das goldige Gelock ihr über die Stirne fiel – »halt ein!« wollte der Geiger schrein, doch lag's wie Alpdruck auf ihm, daß ihm der Schrei im Halse erstickte – da warf der Gewaltige die Wucht krachenden und klirrenden Eisens über ihre blanken, runden Schultern. Sie lachte: »Dank, Meister, Dank, nun bin ich wieder fein«, und ihre schlanken Finger liebkosten ein zierlich schimmerndes Halsgeschmeid mit funkelnden Rubinen besternt, die gar köstlich auf dem weißen Busen ruhten, und zwischen den feingewölbten Brüsten hing eine große, mondlichtmilde Perle. Der Geiger atmete auf. Da schaute sie ihn strahlenaugig an und streckte ihm beide leuchtenden Arme entgegen, als begehre sie etwas von ihm. Dann hub sie mit klugem Lächeln leis an zu singen – dabei regte sie wiegend die rechte Hand, als spräche sie: »Horch, kennst du das?« – zu singen! Wo hatte der Geiger je solches Singen gehört? Es fiel ihm nicht ein, daß es jüngst erst gewesen, im Traum, hatt' auch nicht Muße, dem nachzusinnen. Ihre heischende Geberde aber wußt' er sich nicht anders zu deuten, als daß er seine geliebte Geige aus ihrer Hülle nahm und sie dem Wunderwesen mit verehrendem Neigen darreichte. Er hatt' es wohl getroffen, sie nickte ihm gar traulich zu und hub die Geige ans Kinn.

Nun aber geschah ein Schauspiel, so wunderlieblich, daß Menschenaugen, einmal durch solchen Anblick begnadet, nie und nimmermehr danach weinen dürften. Düster ragend, ein schwarzes Riesenbild auf der rotlohenden Helle, stund am Ambos der Gewaltige, schwer auf den mächtigen Hammer gelehnt, das Haupt mit dem beschatteten Antlitz wie in dunklem Sinnen geneigt. Um den Regunglosen drehte sich die leuchtende, die blühende Frühlingsgestalt des nackten Mägdleins in schwebendem Tanze, vom wechselnden Schein des flackernden Schmiedefeuers kosig überhaucht und umschmeichelt. Und sie spielte im Tanze die Geige und sang und sang dazu; sang – die silberfarbene Sehnsuchtweise!

Der Spielmann lag überwältigt am Boden auf den Knieen und weinte, lachte und weinte, und wußte nicht: ist hier Schauens oder Lauschens Zeit? Er sah die kleinen, weißen Füße sich federnd heben, sich drehen im leichten entschwerten Anmutspiel, und da er sie sah, gab's nichts auf der Welt für ihn, als das ziere Schreiten und Wiegen und Gleiten dieser silbernen Füße, dieser schlanken Schenkel. Da glitt sein ratlos, sein trunkenes Auge empor an der holdbewegten Schönheit: Neues Entzücken – der schmiegsame Leib, sanft in den Hüften gewiegt, jetzt in seligem Hinschweben lässig hintübergeneigt wie in weltvergessener Lust: sieh, hingebend hält sie die Augen geschlossen, als dulde der blühende, schwellende Mund ersehnten Kuß. Da dreht sie sich: Sieh den Glanz des weißen Ellenbogens, den runden Arm, der kraftvoll und schwungvoll den gleitenden, tönenden Bogen anhebt – sie schwebt vorüber, ihr blaues Augenpaar schaut jetzt weitoffen über die Geige her, andachternst, tiefen Dunkels vollgetrunken – wieder setzt sie den Bogen ein: welch biegsames, zartes Handgelenk, und nun sieh, seligster der Geiger, das schwellende Rund dieser Brust unter dem gehobenen Arme, der so edelbewegt den Bogen führt. Und deine Geige ist's, die an den schönsten Busen sich schmiegt! Jetzt wieder ist's die goldflimmernde Flut des seidigen Haares, das im Schwung des Reigens weich über den weißen Rücken weht. Doch alle Wonnen der Augen versanken zuletzt in der Seligkeit des Lauschens, bis auf einmal, o Erfüllungsglück, beides eins geworden: Die schmiegsame Anmut und holdbewegte Blüte dieses Leibes – sie schien zu klingen; und der Sinn der heiligen Klänge und das Gestaltwerden ihrer Verheißung – schien die heilige Schönheit dieses Frauenbildes zu sein. Dem Geiger war's wie zu sterben, zu erliegen in weltweitem, vernichtendem Glück, er barg das Angesicht in beiden Händen, und warme Tränen quollen ohn Ende aus seinen begnadeten Augen, als müsse so in Tränenflut sein ganzes Wesen sich wohltätig auflösen, in seligem Hinsterben.

Als er aufschaute – es gab nicht Zeit noch Dauer mehr, da Ewigkeitfülle durch Augenblicke rauschte – aufschaute, noch immer auf beiden Knieen liegend, da sah er mit Staunen, daß Sang und Tanz wohl längst zu Ende seien: das süße Bild saß wieder auf dem Wolfsfell und reichte soeben des Fiedlers Geige dem Schmiede hin. »Darf er?« fragte der – es war, als sei sie des Düsteren Herrin. Da faltete sie die Hände und sprach gar ernst und gewichtig: » Einmal. Dieser eine

Der Schmied ergriff die Geige, legte sie quer auf den Ambos und hub den schweren Hammer an. Peter sprang mit einem Angstschrei auf und stürzte, er wußte selbst nicht, wie's geschah – in die liebevoll geöffneten Arme des Mägdleins. Er hörte einen dröhnenden, zermalmenden Hammerschlag, es war ihm, als träfe der ihn mitten ins Herz, er empfand Tod und Vernichtung; und einen zweiten furchtbaren, wetternden Hieb, und es war, als schrie' Leben und Liebe gellend in Sterbensnot darin auf. Sein Haupt aber, sein schmerzbetäubtes, hielt die Wundersüße fest in ihren weichen Armen und preßte sein tränenfeuchtes Angesicht innig an ihren duftenden Leib. Da fühlte er an seinen Lidern ihre weichen, kühlen Brüste, hörte ihr Herz pochen, und wieder überkam ihn jener Friede, als tröste ihn Mutterliebe. »Halt aus, halt immer aus!« flüsterte die Gütige. Dann fühlte er sein Haupt von ihren milden Händen, die auf seinen Schläfen ruhten, emporgehoben, er sah wie in ewiges Licht in den Glanz ihrer Augen, sie zog ihn näher, neigte sich näher und küßte seine Stirn; dann sprach sie: »Geh und sei getreu in Segen und Fluch.« Sie ließ ihn frei und hielt nun seine Geige in den Händen, die geliebte – »sie lebt!« schrie er in kindischer Freude auf. Sie lächelte: »Sie lebt! – dieselbe und eine neue doch.« –

Da polterte etwas zu seinen Füßen – es war sein Pfeifenkopf, der ihm entfallen war. Nun war er zerschellt. Er rieb sich die Augen. Im Osten hellte sich der Himmel, kühler Morgenwind strich über die Felder und Höhen, ihn fröstelte bis ins Mark. »Traumspuk und kein Ende!« Er erhob sich ärgerlich, steif und zerschlagen in allen Gliedern, gähnte und gähnte und reckte sich. Fiel's ihm wie tödlich Erschrecken auf die Seele: Meine Geige! Da lag der Sack, sie war nicht darinnen! Aber wann hatte er sie denn gestern noch einmal ...? rein von Sinnen mußt' er gewesen sein! Dort hatte er sie doch wohlverwahrt geborgen! Im Stroh? Er wühlte alles durcheinander, himmelangst ward ihm: »Helf mir Gott, sie ist mir gestohlen!« Da erblickte er sie hinter dem Baumstumpf, auf dem er, an einen Pfosten gelehnt, gesessen und geschlummert hatte ... Gottlob, sie schien unversehrt, blitzblank – ja, aus der Maßen blank und glänzend, seltsam glänzend, und was war das? Um den Steg ein Funkeln und Blinken: Zwei Rubine, rotleuchtend wie Schmiedeglut, zwischen ihnen eine große Perle, mondmilden Glanzes! Da fingen seine Hände an zu zittern – er wußte ja den lieblichen Ort, wo diese Perlen geruht; er spürte noch den Duft des edelsten Leibes – und sieh, auf einmal stund alles, alles was er erlebt, gewiß und wirklich erlebt, beglückend vor seiner Seele. Da stieg die erste Lerche trillernd empor, sein selig irrender Blick schweifte zu des Ostens Morgentoren, silberweiße Wolkensäume weiteten sich steigend über dem nachquellenden Lichte – da ward er erschauernd des heiligsten Besitzes inne, der Gnade, die über allen Gnaden ist: Er fühlte, wußte es: Er besaß sie, besaß sie ganz mit ihrem Segen und Fluch – die silberfarbene Wolkensaumweise! Da war ihm, als sei er zum Fürsten dieser Welt gekrönt, und er sank in die Kniee und betete ein schluchzend Dankgebet!


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