Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Frau Brigitt, die wohlbeleibte Rautenkranzwirtin, war außer sich. Längst hatten Knechte und Mägde ihre Speislöffel, fein abgeleckt, in die Tischlade getan, jeglicher an seinen Platz, ihr Ehewirt hat sein »Gesegn's Gott« gesprochen und war stöhnend und, mit Verlaub, rülpsend, weil ganz außer Geschick gefressen, mit Mannsen und Weibsen hinaus aufs Feld getrottet, in den leidigen, so gar nicht verdausamen Sonnenbrand – da stund sie, die Frau des Hauses mit dem Rautenkranze, schon eine geraume Weile verzweifelt und ratlos am Bett ihres Schlafgastes, der bei ihr seit Monatfrist sein Losament hatte, Peters des Geigers, und seufzte, die Hände auf dem Bauche gefaltet, den runden Kopf mit den Kleinen, fettversunkenen Blinzeläuglein kläglich aus dem Lot, einen langen, knickbeinigen Gesellen an, den sie die engen, klapprigen Stiegen nach ihrer Bodenkammer um Jesu willen mit heraufklettern heißen, auf daß er dort oben mit Leibesaugen mal das Elend mit anseh und männiglich erzählen könne, was sie, die herzensgute Rautenkranzwirtin, sich mit diesem fiedelnden Haderlumpen und Nachtvogel quälen und herumschlagen müsse. Es war ein Bursch aus Hinter-Pframpfingen, einem Nachbardorfe, Barthel geheißen, ein Jüngling nicht gar weisen Geschaus; und solchermaßen seufzte sie dieser Hinter-Pframpfinger Seele was vor: »Nun schau dir dies Unglück an, Barthel, ich sag nur immer, schau dir's recht an, und sag mir dann, ob's nicht 'ne Sünde und 'ne Schande ist!« Barthel kratzte sich lange hinter einem seiner beiden ausführlichen Ohren und brummelte dann unschlüssig: »Das soll wohl sein« – offenbar nannt' er's im verschämten Gemüte weniger eine Sünde und Schande denn eine gar beneidenswerte Himmelsgnade, so wie der Geigenpeter bis in die hohe Mittagsonne den Strohsack drücken zu dürfen, und dieses in so urgesundem, unerschütterlichem, wangenrotem Schlaf! Peter lag wie ein schwerer Sack, rückte und rührte sich nicht. Im Nussbaum vorm offenen Fensterlein jagten und lärmten die Spatzen, goldene Lichtflecke tupfte durchs leisbewegte Laub hindurch die heiße Mittagssonne auf das blaugewürfelte grobe Bett, einer hupfte gar auf des Schläfers entblößte Brust, vermochte ihn aber nicht wachzukitzeln. Er lag und schlief wie ein Landsknecht im ersten Heimatquartier nach der großen, großen Schlacht, oder als hätt' er zwanzig durchwachte Nächte nachzuholen. Wir, die wir wissen, daß er durch Hölle und Himmel gewandert, begreifen gar wohl, wie gut es Mutter Natur mit ihm gemeint, da sie ihn in so tiefen, tiefen, traumlosen Schlaf gebettet. Doch davon ahnte Mutter Brigitte nichts, ach, die dacht' sich ganz was anderes von ihrem Schlafburschen! »Barthel, du kannst mir's glauben,« klagte sie, »ich bin wie 'ne leibliche Mutter zu ihm gewesen, mein Mann hat mir's verdacht, kannst ihn drum fragen – wie 'ne leibliche Mutter; aber guck, er bessert sich nicht! Gott verzeih mir's: wenn ich ihn so anseh' – man muß ihm halt immer wieder gut sein, dem heillosen Strick; schau ihn dir an, Barthel, liegt er nicht da wie die liebe Unschuld, wie ein Milchkindl? Ob er denn wirklich so'n ausbündig gutes Gewissen hat? Ein Mensch, Barthel, der keine Nacht heimkommt! Der sich bis auf den nächsten Abend schier, wo das Lumpen wieder mit neuen Kräften anhebt, ausschlafen muß?« – »Er wird halt zum Tanze aufgespielt haben, bei der Hochzeit drüben in Knallprotzenhausen!« wandte Barthel ein. »Krrr« machte Peter, er war wohl an einen Ast geraten. »Schon gut,« winkte Mutter Brigitte ab, »du bist wohl auch so einer, und eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus.« Barthel schaute dumm-geschmeichelt. »Guck, ich bin, gottlob, 'ne alte Frau, und weiß ja doch, wie's zugeht in dieser nichtsnutzigen Welt! Betrunken kann er nicht gewesen sein: Säuberlich hat er all sein Bißchen Gewand auf den Schemel gebreitet, da über seinem Kopf hängt fein sorglich seine Geige; das kenn' ich von meinem Alten, du! Dann schaut's anders aus in der Schlafkammer, na – Gott besser's! – Aber schau mir eins: Stroh hat er am Kittel! So ein Luderzeug, das schämt sich nicht: Im Stroh haben sie gelegen!« Sie seufzte tief auf und schüttelte bekümmert ihr mütterlich Haupt. Barthel aber leckte sich das Maul, grinste wie ein alter, in Unehren ergrauter Sünder, und meinte billigend: »Jungvieh, Mutter Brigitt, Jungvieh!« Ihr Blick, der vorwurfsvoll auf des Schläfers friedlichem Angesicht ruhte, ward immer weicher und zärtlicher. Sie seufzte wieder. Sie war eine alte Frau, jedennoch, so alt war sie doch noch nicht ...!

Plötzlich ward sie falsch – aus welcher Gedankenfolge heraus? Wer kennt das Herz einer Frau in gesetzten Jahren? Sie packte ihn ohn' Erbarmen an der Schulter: »Peter, he, Peter! Schäm Er sich doch!« Peter dachte nicht daran, sich zu schämen. »Barthel,« rief die Mütterliche grimmig, »Barthel, so hilf mir doch, den Faulpelz aus diesem Brunnenschacht zu seilen.« Uf! Der half und schüttelte mit und peterte und zeterte mit, daß es eine Art hatte. »Mein Gott, er wird doch nicht tot sein, der gute Junge?« schrie Brigitte. Da schlug endlich der Peter zwei maßlos blöde, verdutzte und fragende Augen auf, starrte die Balken der niederen Decke an und sagte, sichtlich enttäuscht: »Ach so ...« Dann setzte er sich auf und gähnte. »Ist denn schon Aufstehenszeit?« Lachten die zwei: »Eins hat's geschlagen, so Er nichts dagegen hat, der halbe Tag ist hin!« – »Donnerwetter!« meinte Peter, es klang aber weniger nach Beschämung denn wie 'ne Anerkennung der eigenen Leistung. Er legte sich in das Kopfpfühl zurück, gähnte wieder und meinte gelassen: »Was soll denn ich dagegen haben, daß es Eins sei? Sie hätt' mir's nur eher sagen sollen.« – »Schau! Da wars doch noch nicht Eins«. – »Ja, richtig.« gähnte er nochmals, »da war's ja noch nicht ... Hu jah! Nun sieht Sie, so ist ja alles in schönster Ordnung.« Die Mütterliche schaute den Hinter-Pframpfinger Jüngling bedeutend an, als wie: Was sagst du zu der Dickfelligkeit? Peter aber blickte mit hellen Augen zur Decke empor:

Klar wie ein weites, besonntes Gelände, sonntäglich heiter lag all sein großes Erleben, sein unermeßlicher Besitz und seines begnadeten Daseins neuer Inhalt, Wert und Sinn vor seiner dankerfüllten Seele. Er fuhr schnell mit dem Kopfe herum: Richtig, da hing sie zu seinen Häupten, da blinkte es in Rubinen- und Perlenschein! »Jawohl« knurrte die Pflegemutter, »sie ist noch alleweile da!« Er bekam einen roten Kopf. Sie sah's und dacht' ihr Teil. Das Richtige tat sie weder sehen, noch denken. »Na, ist wohl hübsch übereck gangen heint, mit Weingeschlamp und liederlichen Weibsleuten, he? Daß Er solche Heidenangst hat, seine Fiedel könnt' ihm abhanden kommen sein, was freilich kein Wunder nicht wär? Er hat halt mehr Glück als Tugend.« – Der solchermaßen Angeklagte oder Ausgeholte lag wiederum mit reinem Lächeln in den Kissen, vernahm und verstund kein Wort. Er fand sich just beglückt in seiner neuen Welt zurecht. Ihm war, als habe er erwachend eine Krone, eine traumbescherte, auf seinem Deckbett gefunden. Welch eine Morgenwanderung war das gewesen! An den Hängen und Höhen stiegen die Nebel empor, immer tiefer ward der blaßblaue Himmel, in den Gräsern und Blumen zitterte funkelnder Tau, doch nichts blinkte köstlicher denn die Kleinode auf seiner glänzenden Geige Brust, dicht vor seinen Augen: Er mußte sein neugewonnen Lied dem jungen Tage zum Gruße aufspielen, und spielte und schritt, und sein Schreiten war wie ein leichtes Reigentreten; und die silberfarbene Weise war wie die tönende Seele dieses wonnigen Morgens, dieser weiten, leuchtenden Welt. Er wußte, sie werde sich wandeln, allezeit und allerorten, mit dem Antlitz der Welt und der Stunde – sie werde in der Mondnacht mondennächtig erklingen; am Meere weit und unendlich, als sei sie der Sang der ewig anrollenden Wogen; an grauen Wintertagen wie die geheime Kunde vom ewig wachen Leben unter dem weißen Tode; über Gräbern wie ewige Totenklage und ewiger Auferstehungstrost. Freuet euch, Menschenbrüder, wo ihr glücklich seid und wo ihr klagt, wo ihr in Dumpfheit front und in Gemeinheit versunken seid, wo ihr in Liebe geht und in Verstocktheit Haß tragt und Neid: Ich will euch erheben, erhellen, trösten, besser und freier machen. Der Priester und Pfaffen sollt ihr lachen und meiner Geige lauschen und mit mir den Herrn des Lebens preisen!

Frau Brigitte war erbost ob seines dickköpfigen Schweigens, wie eine Närrin kam sie sich vor! »Ich bin's jetzt satt, Freund Peter, das sag ich Ihm. Und ich geh jetzt, und meinetwegen lieg Er und schmor Er, bis es wieder Nacht wird, und steh Er mit dem Nachtwächter auf! Und da steht der Barthel aus Hinter-Pframpfingen, und der will fein was von Ihm. Frag Er ihn selber. Schämen sollt Er sich, so jung ist Er nicht mehr. Ein Luderleben ist's, ein Luderleben, sag ich!« – » Still jetzt!« herrschte sie Peter an, im Bette aufgerichtet, seine Stirn rötete sich: »Hirnlos Gewäsch! Was weiß denn Sie?« – Sie erschrak und faßte beklommen auf ihren Busen, unter dem, o, tief unten, gar weit entfernt von der üppiggerundeten Oberfläche, das treue, mütterliche Herz in gekränkter Liebe pochte. Das hatte er noch nie gewagt, sie so anzufahren: Gott erbarm dich! – » Wer ist das? Barthel? Aus Pframpfingen? Kenn ich nicht.« – »Aber Peter,« polterte betreten der Abgesandte des nahrhaften Nachbardorfes – weiß der Kuckuck, der Geiger hatte heut so was! So was – hm, wie'n feiner Herr! – »Herr Peter,« stammelte er, »Er kennt mich doch? Ich bin doch dem Knödelstopfbauern Seiner, drüben in Pframpfingen, bin doch fein der, wo auf der letzten Kirmeß so besoffen gewesen ist« – grinste er stolz – »und so arge Prügel kriegt hat, und nausgeschmissen haben sie mich auch! Ei freilich, Er wird schon noch wissen. Er hat ja doch aufgespielt dazu! Na, daß ich's also sag': Beim Schellenkönigswirt, was der kropfete Wendel ist, mein lieber Ohm, da hat's doch heut großes Vogelschießen; und hernach da kommen doch die Weiberleut, na, und dann wollen sie tanzen – nu, das ist schon nicht anders! Und daß ich's sag: Da soll halt der Geigenpeter wie damals – wieder aufspielen soll er, der Geigenpeter, hat der kropfete Wendel gesagt, soll er den Pframpfingern; aufspielen! Und es blieb' bei dem alten Satz wie damals, meint der Wendel, der Geigenpeter wüßt' schon, und frei Schnaps und Bier gäb's drein. Denn er ließe sich nicht lumpen, der Wendel, da gäb's nix. Na, und so wär's denn wohl abgemacht, gelt, Geigenpeter? und gelt ja? so in der siebenten Stund, und behüt Gott derweil, und nun muß ich heim, unsere Bläß hat gekalbt.« Das war nun zwar eine lange und für die schwachen Kräfte Barthels gar wohlgesetzte Rede, aber der Eindruck war wider alle menschliche Berechnung, und schwer ist's zu sagen, wer ob der Wirkung verblüffter und entsetzter war: die mütterliche Brigitt oder der verständige Jüngling aus Pframpfingen.

»Was!« schrie der Peter, der schreckliche Peter, und fuhr mit beiden nackten und gar wohlansehnlichen Beinen aus dem Bette: »Was? Vogelschießen? Pframpfingen? Wendel? Bier und Schnaps? Bist du ganz und gar von Sinnen, du dummes, gottverlassenes Bauernluder? Meinst du, ich sei ein Bierfiedler? Meinst du ... Hahaha!« Er brach in ein lautes, langes Gelächter aus – zuerst klang's wütend und zornig – dann heiter und frei – zuletzt gar bitter und weh – bitter und weh; dann ward er stille, seltsam still, und – »schon gut, Barthel, 's war nicht bös gemeint, du kannst nicht dafür – ich auch nicht!« schrie er sich selber zornig darein, der schlimme Peter – »geh nur, sag deinen – deinen Leuten, ich – ich – sag ihnen, was du magst, in drei Teufelsnamen: ich sei anderweit gebeten. Nein, das sagst du nicht!« – »Das sag ich nicht,« nickte der Barthel. – »Sag, ich sei krank, sei tot – heiliges Gewitter, mach nicht so ein blitzdummes Gesicht, dabei kann einem freilich nichts Gescheites einfallen. Sag halt, ich käm nicht! Und, hörst du, sag's jedem, der's hören mag: mit dem Geigenpeter in den Schenken, auf den Hochzeiten und Kirchweihn, beim Vogelschießen, Schweineschlachten, Kalbauskegeln sei's aus, aus und gar!« – Frau Brigitt schlug die Hände überm Kopfe zusammen, soweit ihr solches bei ihrer umständlichen Leibesbeschaffenheit vergönnt war: »Aus und gar? O du grundgütiger Gott! Aus und gar mit dem Geldverdienen!« – »Ja, Mutter Brigitte, damit ist's aus. Warum – das begreift Sie vielleicht später mal, vielleicht auch am Nimmermehrstage, mir soll's gleich sein. Gehabt euch also wohl, Mutter Brigitt und Freund Barthel: ist kein Most zu holen beim Peter; ich aber muß schaun, daß ich in die Hosen komm.« – Da zog die mütterlich Fühlende heulend ihre blaue Schürze vor die Augen und eilte wehüberwältigt, an Gottes Gnade verzweifelnd, aus der Kammer, der verdutzte Pframpfinger torkelte hinterdrein.

Mit dem In-die-Hosen-kommen schien's der Peter nicht eben eilig zu haben. Denn er saß noch lange, lange nacktbeinig auf dem Bettrande, kratzte sich den ungekämmten Schopf und starrte vergrübelt ins Leere. Bannten ihn die hüpfenden, flimmernden goldgelben Sonnenflecke auf der rissigen Diele und auf seinen Waden? Ach nein. – Das war doch auch ein Erlebnis, eben das alberne Geschwätz mit dem Sendboten vom Pframpfinger Vogelschießen, und er durft' sich's nicht verhehlen: es war mehr als albern, ein recht bedeutsam und besinnlich Erlebnis war's! Da klopfte was leis und schüchtern, doch immer beharrlicher an die Lebenstür, das hatte die Stirn gar faltig emporgezogen und starrte mit großen Sorgen- und Notaugen drein! Ja, scheint denn die liebe Sonne dunkler mit eins? ist die Luft kühler worden, die Welt ärmer und öder? Ihn fröstelte. Er raffte sich auf. Da gab's nur eins: Er riß die Fiedel von der Wand und spielte, barbeinig und im Hemde, wie er war – was konnt' er jetzo anderes spielen als die silberfarbene Wolkensaumweise! Sie klang gar ernst aus dieser Stunde heraus, wie uralter Schmerz, uralter, edler Trotz und männlich Erkühnen, heldisches Steigen zu Freiheit und Licht, stolzes, seliges Flügelspreiten und sieghaft-herrlich Dahinziehen in hohen, lichten Kreise, hoch über Ängste und Not, über silberfarbenen Wolken. Des ward sein Herz wieder stark und frei, davon erwuchs ihm aufs neue lachender Mut!

Er trat ans Fenster. Unten saß auf der Bank vorm Holzstall der alte, lahme Heinz, der klopft einen neuen Stiel, den er zurechtgehaun und geschnitzt hatte, in eine Axt. So Bastelwerk, das war sein Geschäft, er war zu rechtem Schaffen nicht mehr nütz. Der mußte sein Spiel gehört haben! – Tat aber gar nicht dergleichen. Schaute ja nicht mal auf! Das verwunderte unsern Peter. »Heinz«, rief er hinunter, »hast mich geigen hören?« – »Guten Tag auch, Geigenpeter! Hallo, schon so früh auf den Beinen?« – »Hast du mich geigen hören?« – »Meinst, ich wär taub? Du, der Barthel aus Pframpfingen ist da, der Depp, sollst drüben aufspielen zum Vogelschießen.«

Tief betroffen trat Peter in sein Kämmerlein zurück und hängte still seine Geige, die geweihte, kleinodiengezierte, an die kahle Wand.

*

Drunten in der großen leeren Wirtsstube, wo die vielen Fliegen die kleinen, engen Scheiben auf und nieder schnurrten, gab's Zank und Herzeleid. Frau Brigitt, nachdem sie sich die Tränen getrocknet und umständlich die kleine, runde Nase geschneuzt hatte, war in ein tiefes Nachdenken verfallen; drauf so hatte sie ihrem bockbeinigen Pflegekinde einen Palmsonntags- und Ehrenbesuchskaffee gebraut, gesonnen, ihn durch ein Übermaß von Liebe und Mütterlichkeit und verzeihender Milde zu rühren und seinen erschrecklichen Koller zu heilen. Er war doch ein fügsamer Junge, mit dem noch allweil fertig zu werden war, ein guter Kerl bei aller Querköpfigkeit, der sich zuguterletzt doch um den Finger wickeln ließ! Und dieser Kaffee! Ihr Eheliebster, der ein sotanes Staatsgebräu niemalen vorgesetzt bekommen, ei, der hätt' nicht hereinriechen dürfen! Dazu hatte sie ihm ein Butterbrot gestrichen, wie nur treuste Mutterliebe eins zu streichen versteht. Da saßen sie soweit recht behaglich, ihm schmeckte es offensichtlich, wie er denn nach so vielen Erlebnissen redlich ausgehungert war; und sie, sie freute sich, wie er, nach ihrer Rede: »die Backen schmiß«, und wie ausbündig gescheit sie doch einmal wieder das Ding angefaßt habe. Hub drauf mit Behutsamkeit an, ihm liebevoll Vernunft zu predigen. Scheinbar ganz zahm und erbaut hörte er zu – heißt das, so lang als das Butterbrot reichte. Als der letzte Bissen ihm noch die Backe polsterte, krauste der Undankbare bereits die Stirn. Flugs strich sie ihm ein neues. Doch auch das ging zu Ende, und schließlich war gar der Kaffee, der Trunk der Seelenmilde, versiegt, da fing er an, darwider zu reden. War natürlich alles weder gehaun noch gestochen, was er vorbrachte, ihr klang's wie Welsch und Sarazenisch – nein, was denn? schlechthin verrückt war's! Oho, Bürschchen, jetzt faßt sie derber und streitbarer zu, jetzt geht's an ein Kopfwaschen: bare Bockbeinigkeit war's und dummdreiste Geheimtuerei! Sie kennt sich aus: da steckt wieder ein liederlich Weibsbild dahinter! Nun herzhaft alle Register gezogen, tapfere Brigitt: Bierfiedler! Was heißt Bierfiedler? Den wackren Bauern heißen sie Knollfinken und Miststiefel, den redlichen Schulmeister Hosenstrammer und ich will nicht sagen, was für 'nen Pauker, den Schneider 'nen Geisbock, den Soldaten Kriegsgurgel und Schwartenhals: so hängt die Welt halt jeglichem ehrlichen Gewerbe seinen Schimpf an. O du großer Gott im Himmel droben, wovon er denn leben wollt, der Herr Haderlump, so er des Bierfiedelns sich entschlagen tät? Zuletzt sei's doch ewig schade um ihn, der doch ein so schmucker und gut zu leidender Bursch, sie, als alte Frau, dürfe so was ja sagen! Mit sachtem käm' er doch in die gesetzten Jahre; o du großer Gott im Himmel droben, was sollt' nur aus ihm werden! – und was der trefflichen Lehren mehr waren. Und das muß wahr sein: recht hatte die gute Alte, so gewißlich recht, wie ein Viergroschenbrot vier Groschen kostet, da beißt die Maus keinen Faden ab. Das ist ja eben das Heillose, daß die Menschen hüben und drüben beiderseits recht haben; was Betrüblichers gibt's eigentlich nicht unter der Sonne! So recht die Gute hatte – Petern ging das ganze Gesalbadere nichts an, aber auch gar nichts; er konnt' sich nur verzweifelt in die Haare fahren und beten: »Herr, gib, daß sie endlich aufhöre!« Sie hörte aber mit nichten auf, und da – da lüpfete er noch einmal den Deckel von der Kaffeekanne: Hol's der Teufel, sie war und blieb leer! Was soll er, um aller Heiligen willen, der dicken, dummen Alten sagen – was?! Sollt er ihr etwa ...? Der wundersüße Name fänd wohl nimmer den Weg über seine Lippen, hier, angesichts der feisten, zitternden Backen dieser schrecklich guten Frau, die eigentlich recht lächerlich aussah – Gott verzeih mir's, eigentlich recht gemein. Oder sollte er vom düsteren, bitteren Schmiede im schwarzen Irrwalde künden, mit dem Angesicht und den Augen, die noch kein Sterblicher sah – warum wohl nicht? Was war's eigentlich mit dem? War's über Menschenkraft, dem Bittren ins Auge zu schaun? – Hart schlug die Alte auf den Tisch und schreckte ihn auf: ach richtig! er lächelte: oder sollt' er gar von den edlen, kühlen Brüsten der Unnennbaren sprechen, zwischen denen die milde Perle gehangen, die jetzo seine Geige ziert und heiligt? – Da schluchzte sie auf. Er stund auf, himmelanflehend die Augen, und trat ans Fenster. Da flogen ihm die Fliegen um die Nase. Er setzte sich wieder. Rack! machte die alte Uhr an der Wand, und im wurmstichigen Gehäuse tackte es hart. Sie ergoß sich in Klagen gekränkter Liebe. Er sei ein herz- und gefühlloser Bursche! Da schlug er wütend auf den Tisch, daß die grellbeblümte Kaffeeschale in der Untertasse hupfte und erklirrte. Sie schob das gefährdete Gut aus seiner Nähe und sagte, er sei ein Ruppsack und ein ... da hielt er sich die Ohren zu. Da schlug die alte Wanduhr just nach langem Räuspern und Rasseln Drei, und Frau Brigitte war noch im besten Zuge und schimpfte just so maßlos wie ländlich drauf los. »Heil'ges Kanonenrohr!« schrie er, »halt Sie endlich Ihr Maul und laß Sie mir meine Ruh! Was hab' ich mit Ihr zu schaffen? Nichts! Nichts! Nichts!« – Kam zum kläglichen Beschluß eine lange Liste all ihrer Wohltaten und Liebesopfer, immer mit dem Kehrreim: »Und das ist nun der Lohn!« Sogar ihres Mannes Eifersucht habe sie dulden müssen, und sie sei ein ehrbar Weib, oder ob etwa er, der Peter, anders von ihr dächte? »Kann ich dafür, wenn Ihr Alter ein Esel und Sie ... was weiß ich! Meine Ruh' will ich haben!!« – »O du großer Gott im Himmel droben!« – »Närrisch ist Sie, närrisch!« – »Und Er ein schlechter Kerl!« – So sollt sie ihn doch in Satans Namen laufen lassen! – »Das tu ich auch, tu' ich auch! Aber das laß Er sich gesagt sein, und Er soll an mich denken einst auf dem Elendstroh: Ein stinkend Ende wird's mit Ihm nehmen!« – »Sela – Punktum – Streusand! Gottlob, das klang doch wie 'ne Schlußfigur! Und somit – Gott befohlen, Frau Wirtin!«

Als der grundschlechte Kerl, zum Auszug und Valet fertig, zum letzten Male die steile Bodentreppe herunterpolterte, seine Siebensachen schlecht und recht zusammengebündelt, da stund drunten am Fuße der Bodenstiege mit versteinter Leidensmiene noch einmal Mutter Brigitt und streckte ihm, den Entsagungsblick abgewandt, eine Geldkatze dar: »Hier« – sie schluckte – »Sein Reisepfennig«. – Peter hub abwehrend die Hände: »Frau, was denkt Sie von mir?« – »Nehm Er's getrost,« knurrte sie, »'s ist Sein wohlverdientes Eigen. Ich hab's Ihm nach und nach gestohlen – Er macht's einem ja leicht, wie Er Sein Sach in Ordnung hält. Ist kein Heller drin, der nicht Sein. Gedacht's Ihm an einem Tag wie dem heutigen auszuhändigen. Denn Er denkt doch an kein Sparen!« Plötzlich erhub sich ihre Stimme wieder im Bußpredigerton, es lief halt mit ihr davon: »Peter, Er muß und muß ein besserer Wirt werden ...!« sie wischte sich erschrocken übern Mund: »Nein doch, ich schweig schon still! Was geht's auch mich an? Doch – es schaut Ihm schon gleich, daß Er nichts gemerkt hat all die Wochen vom Abgang an Seinem Gut!« – Peter wägte gerührt den Beutel in seiner Hand, und der Gedanken waren zwei, die er dabei dachte – der erste: Ist eigentlich ein kreuzbraves, altes Tier, die Mutter Brigitt – der zweite: Schau einer, was ich für'n Kerl bin! Solch einen Berg Geldes hab' ich verdient! Er drückte der Alten fest die Hand: »Vergelt's Gott, Mutter Brigitt, wie Sie's alleweil treu mit mir gemeint hat. Will's Ihr nimmer vergessen.« – Da strömten der guten Frau schon wieder die bitteren Tränen »... und den Beutel hab' ich auch gewirkt. Nehm er ihn zum Gedenkemein.« – »Dank, Mutter, will ihn in Ehren halten. Gott mit Ihr, und grüß Sie mir Ihren Ehewirt.« Nicht lang stund's an, zog unser Spielmann, kräftig den Wanderstab aufsetzend, zum Dorfe hinaus. Hinter ihm bellten ein paar Hunde, zischten etliche Gänse, tuschelten ein paar junge Dirnen, weinte eine untröstliche dicke Frau, und sprachen in den Schenken die Leute: »Er war ein Drehstrumpf.« – »Ein kreuzverdrehtes Luder,« bestätigte der Nachbar und trank aus – »Wirt, noch einen!«

Er aber zog von hinnen, hohen Sinnes, stolze Zuversicht im Herzen: Wem ward seines Wertes hienieden je höhere Gewähr? Was er besaß, wie unmittelbar aus Gottes Hand, es erhob ihn über Tausende! Des müßte selbst des Kleinmütigsten Herz getrost sein! Hinter seiner lichten Freude stund in Wehr und Waffen straffe Entschlossenheit, der harte, herbe Ernst des Mannes, der da weiß, daß zu einer hohen Gnadengabe heldenstarke Schultern gehören wie zur Bürde schwersten Leids, der weiß, daß Gnade empfahen – Pflicht empfahen bedeutet, und der treu und redlich zu kämpfen gewillt ist.

*

»Holla, guter Gesell, nehmt mich fein mit!« Der Angerufene wandte sich und stund. Die Abendsonne färbte sein braunes, schwarzumlocktes, kühnes Gesicht, daß es wie erzgegossen erschien in scharfer, strenger Schöne; ihr Goldlicht fing sich im blanken Rund einer Laute, die ihm an einem perlgestickten Bande zur Seite hing. Schlank und hochgereckt, die langen Beine gespreizt, stund er und musterte mit hochmütig prüfendem, halboffenem Auge den Nachkommenden. Peter hatte ihn mit kräftigen Schritten eingeholt, rückte seinen Filz höflich und sprach: »Gott grüß die Kunst!«

»Danke. Welche Kunst meint Ihr?« sprach mit steifnackiger Würde und seltsamem Vollton der Fremde, und schon war's unserm Freunde leid, ihn angerufen zu haben. Wenn der kein fahrender Komödiant ist, ist er ein Geck, dachte er. – »Welche Kunst?« fuhr der mit der schönen Nase und dem gefällig-weitentblößten, sehnenkräftigen, bronzebraunen Halse fort: »Gedenk ich doch über Jahr und Tag der sieben freien Künste Magister zu heißen. Bracht's bis heute erst zum Bakkalaureus. Wüßt übrigens, wenn's verlangt würde, allenfalls noch mit einer achten aufzuwarten.« – »Nun, der nimmt's Maul voll,« dachte Peter und lachte: »Gott sei mir gnädig, sieben wären mir zu viel, und die achte könnt' höchstens die vermaledeite Passauer sein. Nichts für ungut – ich meint' eben nur die,« und er griff auf des andern Laute einen schwirrenden Akkord. »Und somit«, sprach der Fremde stolzen, unbewegten Angesichts, »tragt Ihr kein Ferkel da oben in Eurem Leinensack. Wenn's eine Geige ist, so könnten wir zwei heut nacht einer Schönen in dem Nest da drunten eine Serenade bringen. Hierzuland heißt man's Ständchen, in Bologna sagten wir Serenata.

Siehe, die Frühlingswelt
Dehnt sich im Mondenlicht;
Fühlt ihres Lebens quellende Fülle,
Atmet beseligt und stille –
Schläft aber nicht.

Ist wie ein bräutlich Weib
Vor ihrem Hochzeittag,
Das ihres Blutes rauschendem Sange
Schämig lauschet und bange –
Schlafen nicht mag.

Komm doch, Schleier und Kranz
Segnend der Mond dir flicht,
Silbern erglänzt deines Haares Seide,
Nachttau dein Perlengeschmeide!
O schlafe nicht! –

Das war freilich mit meisterlicher Kunst und weichem, dunklem Wohllaut gesungen, und verklang gar sehnsüchtig und zärtlich hinter den Hecken und Mauern der ersten Gärten der Stadt, also daß es dem Singer bei seinem Einzuge voraufgehn mußte wie ein lüstern-neugierig Fragen aller liebwarmen Weiblein: »Wer kommt denn da?« Auf den duftwehenden Wiesen, in den Gemüsefeldern und Würzgärtlein legten die Frauen die Hand über die Augen wider das blendende Abendlicht, den schlanken Burschen genauer zu sehn, der, solchen Aufsehens gewohnt, nicht rechts noch links blickte; und in den Häuschen und Sommerlauben fuhr manch blonder Scheitel aus Tür und Fenster. Peter sprach bescheiden still: »Wer auch so singen könnt!« Als er aber des Gefährten hochmütige Geberde sah, der dreinschaute, als säß' er zu Pferde, ward er wortkarg und der Gesellschaft unlustig. Guck einer das Weibervolk! Ja, ja, ist ein rechter Rattenfänger! Nun, und allzusehr quälen brauchst du den nimmer, daß er singen soll. Er stellt sein Licht nicht untern Scheffel. Das kann lustig werden. Die Bursche seines Schlags kramen nach dem ersten Grüß Gott allsogleich alles aus, was sie haben. Darfst aber zuletzt drauf schwören: was sie auskramen, ist halt auch ihr Ein und alles, mehr besitzen sie nicht. Schwieg der Geiger, so ließ sich jetzt der Begleiter zu leutseliger Gesprächigkeit herbei, mit erschrecklich vielen Sacrebleu und Santo Dio, wovon das eine die Hochschule in Frankreich, die er besucht, das andre die im schönen Italien bedeuten sollte. Er sprach eine Weile nur von sich und seinen Vorzügen, Wissenschaften und Fertigkeiten; seiner Liebschaften in Wien, Ingolstadt und Krakau, Orléans und Bologna, sowie auch seiner Bekanntschaft mit hochgelahrten, hochmögenden, auch fürstlichen Männern in aller Herren Ländern nicht zu vergessen. Dann gedacht' er gnädig, daß der Nachbar zur Linken auch noch da sei: »Also ein Geiger! Hm – ist freilich wenig, so man sonst nichts ist.« – »Ihr redet, wie Ihr's versteht, Herr Bakkalaureus,« wies ihn der andre, mit roter Stirn, zurecht. »Das ist viel! Ist mehr, denn all euer »sonst was«, mehr denn ein Magister der sieben freien Künste, mein' ich – so man nämlich ein rechter Geiger ist!« – » Cospetto! Hör einer! Ihr tragt hohen Mut, Herr Musikant.« – »Ich weiß, warum.« Der Student lachte: »Was, mit Verlaub, nennt ihr einen rechten Geiger?« – »Das mag ich dem nicht beantworten, der bei dieser Frage lacht. Man soll über sein Bestes nicht mit Leuten auf der Straße reden und sich nicht gemein machen.« Der Student hatte weder der Zurechtweisung noch der obwaltenden Verstimmung sonderlich acht, plauderte frischweg, als seien sie die besten Freunde, darauf los von seinen Fahrten, Abenteuern und Erlebnissen. Mit halbem Ohr nur hörte der tiefverdrossene Geiger hin – bis ihn mählich doch die bunten, fremdartigen Mären, dergleichen er, sie seien nun wahr oder gelogen, über alles liebte, fleißig lauschen machten. Und wie sein Ohr feiner ward und schärfer, erlauschte er unter all der lärmenden Lustigkeit noch etwas – was diesem Menschen zutiefst eigen sein mußte: etwas wie eine Unrast und Unseligkeit, einen dunklen Abgrund, über den sein Schwatzen und Possenreißen hinweg tanzte; schien dem Schwätzer aber selbst nicht wohl zu sein dabei, er schien nicht ganz bei der Sache. Er ward ihm unheimlich.

In währendem Fabulieren und Zuhören gelangten die zwei durch Straßen stattlicher Giebelhäuser, für deren Reiz der Erzähler kein Auge hatte, am stattlichen Rathaus, an stolzen Zunfthäusern vorbei, über den Markt hin, bis zu ihrer Herberge, es war der Güldene Anker; Peter trottete mit dem ortskundigen Studenten mit, als müßt's so sein, und eh er sich's versah, saßen sie in der Gaststube beim Schoppen Roten. Aber nicht mehr selbander! Um den unermüdlichen Erzähler rudelten sich, neuer Zeitung und munterer Unterhaltung froh, der Wirt und seine Gäste allzumal, sogar der Küper hinterm Faß und der Kellner hinterm Schanktisch reckten ein langes Ohr herüber, nichts von den vergnüglichen Geschichten und Possen durchwischen zu lassen. Die braunen Wände hallten wider, und durch die Gläser und Zinnkrüge der funkelnden Kredenz rann ein Klirren von dem unbändigen Gelächter und Hallo der entzückten Trinker. Der Bakkalaureus mußt' seinen großen Tag haben, aber seinen ganz großen!

Noch nie war unserm Musikus ein Mensch so zuwider und so anziehend zugleich gewesen, wie dieser Hansdampf, dieser unheimliche Teufelskerl. Es warnte ihn dauernd vor ihm wie ein Gefühl: der kann mehr denn Brod essen! – und doch war ihm, als dürft' er sich nimmer von ihm trennen; dabei wußt' er gewiß, daß der Kumpan gar kalten, engen und ungütigen Herzens sei, und daß all seines schillernden Wesens Sinn und Seele nichts als freche Hoffahrt und Eitelkeit. Solchen Hansen aber läuft die Welt getreulich nach, und ob sie noch älter werde und es dreiviertel auf Jüngsten Tag schlage; sie sind einmal so was wie Gottes Lieblinge. Sie geben sich nicht zufrieden, die närrischen Menschen, sie fänden sich denn bis an ihr selig End' immer aufs neue betrogen und hätten Ursach, über schnöden Undank und Lieblosigkeit zu klagen; und hat doch zu heilsamer Warnung Mutter Natur einem jeglichen auf die Stirn geschrieben, wes man sich zu ihm zu versehen hab'!

Hei und Hallo! Solchen Gast wie den witzigen, unterhaltsamen Herrn aus Wien, Ingolstadt, Krakau, Orléans und Bologna, und wer weiß, wo sonst noch her, den wünschte sich der Ankerwirt traun Tag für Tag in seiner Schenkstube! Und was der Kerl saufen konnt', Blitz, wie 'n Reitersmann oder Landsknecht, und immer ohn' Zieren, bis auf den blanken Grund, und schmiß allemal die andren mit raus, da half kein Zinnkauen, sie mußten Bescheid tun, durften sich nicht lumpen lassen, und umgestülpt Humpen und Becher und fein die Nagelprobe gemacht. Der Wetterkerl hatte drei Leben! Da dachte keiner ans Heimgehen, und manchem mag die Eheliebste schlimmen Willkomm entboten, sicherlich aber den Gutenachtkuß geweigert haben – wenn sie klug war, schlief sie und sah und hörte nichts.

Unser Freund saß derweilen schier unbemerkt an der Seite des volltönenden, anmutreichen Schwätzers, an dem aller Augen lachend hingen, hatt' keiner des stillen, ernsten Gastes recht acht. Der bedachte die Welt und die Menschen, wie sie so dumm und gemein, wie sie gleich Kindern mit Flitter zu ködern, dem Bauern gleich auf dem Tandelmarkt in der witzigen Stadt; bedacht' auch sich selbst neben jenem, und was in der Welt Wirkung schaffe und große Augen, wie dort das Plumpste, Rohste und Durchsichtigste noch immer nicht roh und plump und beleidigend genug – und dachte da seiner keuschen Kunst und der heiligen Weise, deren er Herr war. Wann und wo – ja, wann und wo wird einmal seine – ihre Stunde kommen, da es an der Zeit, das Göttliche zu enthüllen, das Ewige zu den Menschen reden zu lassen? Zu den Menschen? Zu welchen denn? Solchen wie diesen hier, die sich eben wiehernd und tobend über eine Zote des Possenreißers da wider die Stuhllehnen bäumen, daß die knacken und krachen? Ihm ward gar bang und weh und angst ums Herz, und so einsam, so hundeeinsam!

Plötzlich horchte er auf. Der Student erzählte, zwischen zweien Schnurren, von fürtrefflicher Musika, so er in allen Landen deutscher und welscher Zunge genossen – das Schönste und Herzbeweglichste aber, das sei in Rom zur Ostermesse in der Sixtinischen Kapelle der päpstliche Sängerchor gewesen: »Das war euch, ihr Herren, als vernehme man mit Leibesohren die silberfarbene Wolkensaumweise!« – »Was wisset Ihr von der?« fuhr eratmend Peter dazwischen, und alles blickte unwillig auf den Störer. Der Bakkalaureus zuckte die Achseln: »Vermutlich just so viel wie Ihr, Freund Geiger. Man sagt das so. Hab auch die Englein im Himmel noch nicht singen hören. Ist das Wort hierlands nicht im Schwang, ihr Herren, von der silberfarbenen Wolkensaumweise?« – »Freilich, das kennt hier jedes Kind,« meinten lachend die Gäste, » Ergo – Geigerlein, kommt erst mehr herum in der Welt, so hört Ihr's auch öfter.« – »Jawohl, Fiedelmännlein,« lachte, prustete, schnaufte und hustete ein schwerer Sattlermeister von doppelter Mannsbreite, der in Jugendtagen, da ihm die Luft noch leichter ein und aus ging, auf und ab im Reiche und im Welschland draußen das Handwerk gegrüßt hatte und in der kleinen Frankenstadt nun als Ausbund von Weltbefahrenheit geachtet ward: »Kommst erst mal herum, hoho!« – »Woher wißt Ihr, Meister, ob und wie weit ich herumgekommen? Jeder trägt nicht alles, was er hat, weiß und kann, im offenen Kasten quer durch die Leute, als wollt er's feilbieten.« – »Da hat jetzt der Geiger recht,« sprach der Schulmeister, »nein, da hat er recht.« Der hatte sich längst im geheimen ob der Großmäuligkeit des Fremden geärgert, heißt das: weil inzwischen seine eigenen Weisheitsprüche arg im Preise fallen mußten. Er stund hoch und lang auf, nahm seinen Hut vom Riegel und stelzte verdrossen hinaus. Draußen schwenkte er erst noch mal zur Küche, der Ankerwirtin seine Meinung zu sagen über das leidige Raspelmaul: Sie solle ja auf den ein wachsam Auge haben. Mit dem sei's nicht geheuer – ein Leutebetrüger, Bauernfänger und wer weiß, was Schlimmeres noch!

Drinnen aber hatte Peter zu seinem Nachbarn halblaut gesprochen: »Herr Bakkalaureus, hernach, wenn wir auf unserer Kammer allein, dann laßt uns zwei, so es Euch genehm, noch etliches über die Sache reden.« – »Wüßt nicht, was da lang und breit zu reden wär; wird wohl nicht mehr dabei herauskommen als meinem mehlsuppenblassen Meister in der Wienerstadt herausgesprungen ist, nämlich plus und minus nichts. Der arme Kerl ist ob der silbernen Weise närrisch worden, behauptete wider alle Welt, ihrergleichen gäb's, gäb's so gewiß wie Not und Pein, er könnt's am Altar beschwören. Er wollte sogar mal einen Zipfel davon erwischt haben, hat mir die paar Töne auch mit großer Feierlichkeit vorgegeigt. Dann rang er die blassen Hände, klagte sich selber an, daß er sein Heil verscherzt, gehub sich wie ein Tollhäusler, zuletzt besoff er sich ganz ungeheuer in rotem Ungarwein und lumpte wie ein Türke mit losen Weibern herum. Er soll sich rite dem Satan verschrieben haben, der ihn auch richtig geholt hat. Das war der Fluch der silberfarbenen Weise. Er ist elendiglich verdorben und gestorben.«

»Dreimal,« fuhr's Petern wider seinen Willen heraus. Alle lachten. Der Student sah ihn an, als hielte er ihn für übergeschnappt. »Kanntet Ihr ihn?« Der Geiger nickte, ohne aufzusehen. »Hernach davon, hernach!« flüsterte er hastig. »Erzählen, erzählen!« schrien die Gäste. Peter zauderte geraume Weile. Von seines Herzens Ernst konnt' und wollt' er hier nicht reden, vor diesen wahrlich nicht, sein Tiefstes, Eigenstes zur Kurzweil preisgeben! »Ist nicht gar viel zu berichten,« sprach er stockend und widerwillig – »genug, ich kannt' ihn, war bei ihm in seinem düstren Gemach, ist mir nicht heimelig gewesen in der schweren Pracht dazumal. Es war meiner Geige wegen, daß er mich berufen, er wollt' sie kaufen, als wüßt er ... als säß' es in der Geige, was doch ... genug, er bot mir Geldes die schwere Menge – – was dann weiter noch gewesen ...? Der bleiche Mann hat an jenem Tage seltsam Gewalt genommen über mein Dasein ...« Er verstummte.

Pfiff der Bakkalaureus durch die Zähne, mit einem raschen Blick den Nachbarn ins Auge fassend: » Sapristi! Damit kann viel gesagt sein! Schau, schau, so einer seid Ihr?« – Wieder der lauernde Blick. Der Geiger blieb stumm und hatt' es kein Arg. – »Ging's im Ernst um die Silberfarbene? Seid mir da in vermaledeite Zirkel hineingeraten, Freundchen – hm – guckt, die Herren schauen ganz dumm und rücken fein ab, haha! Wollen wirklich unter vier Augen noch eins davon sprechen nachher. Doch weiter nur, weiter!«

»Was weiter?« fuhr Peter auf, ihm war's leid, daß er die Mär begonnen, die er nun nicht mit rechter Art hinauszuführen wußte, sintemalen ihm des Bakkalaurei feine Kunst, zu lügen und ins Blaue hinein zu fabulieren, nicht handlich war. »Daß wir zu Ende kommen: später dann – hm – in Mainz war das – da sah ich ihn – in seinem Blute. Von einem Nebenbuhler war er in ehrlichem Waffengange zu Tode gefällt.« – »Ein verliebter Kater war er,« meinte der Student. »Er trug sich freilich dermalen als ein wallonischer Kavalier ... hm –« – »und war's überhaupt gar nicht,« witzelte der Student dazwischen. Peter sprang auf, ihm ward heiß unterm Wams: »Wozu erzähl' ich Euch alles dieses hier!« ... »Und das dritte Mal?« schrie der Bakkalaureus darein. – »Laßt mich in Ruh! Was mir das Herz im Leibe gewendet hat, ist mir zu teuer für Kurzweil am Zechertisch. Nichts für ungut, ihr Herren, und gebt euch zufrieden. Bakkalaureus, 's ist wieder an Euch, laßt Eure Schnurren, Schwänke und Possen weiterlaufen, wie's der späten Stunde und dem Roten, von dem der Eichentisch schwimmt, baß geziemt. Eure Spule, acht' ich, ist wohl noch lange nicht leer?«

»Jawohl,« schrie ein Gelbgießer vorlaut, »erzählt Ihr und laßt den Duckmäuser, 's war eh ein Gehacktes, was der zu Markt gebracht, und hatt' nicht hinten noch vorn!« – »Nein, Doktor, jetzo singt uns eins!« rief ein zweiter. »Bravo, herrlich!« ging's im betrunkenen Kreise: »Wozu führt er die Laute an so zierlich gewirktem Bande? Gesteht's nur, Ihr Schlecker, ein Angebind von trauter Hand?« – »Was sonst?« näselte fürnehm gelassen der Bakkalaureus zu den lüstern-vertraulich wiehernden Tröpfen, zog das linke Bein hoch und stimmte die Laute.

Stunde um Stunde rief draußen der Nachtwächter ab, der unverwüstliche Bakkalaureus schwelgte und plätscherte im eitlen Behagen seiner lustig-frechen Kunst, sang Scherz-, Schimpf- und Spottlieder, Vaganten- und Buhlweisen, welsche wie deutsche, feine und unflätige, dazwischen Kriegs- und Landsknechtslieder, die neueste Zeitung von Kriegstaten, von Fürsten und Herren nach alten Weisen, wie sie just als fliegend Blatt durch die Christenheit flatterte, dabei auch manch keckes Stücklein, das aufs Haar einer groben Verhöhnung der Zuhörer glich, gleichwohl von den ehrbaren Bürgersleuten am wildesten bejubelt ward. Wohl war es kennlich und offenbar, wie der feine Sänger die immer betrunkener sich geberdenden Zuhörer recht von Grund seines üppigen Herzens aus verachtete als greuliche Spießbürger, Nachtwächter, Kümmerlinge und lächerliche Tröpfe, doch schnurrig – derselben Tröpfe grobes Beifallsgebrüll deucht' ihn himmlische Musik! Als wär ein Bravo eben ein Bravo, vollgewichtig, wie ein Gulden eben einen Gulden gilt. Und den hab ich guter Narr erst für meinesgleichen genommen! dacht Peter und schüttelte den Kopf.

Als zwischen zwo Weisen der Student die flinken Finger über die Saiten klimpern ließ, mit lustig schweifenden Augen erwägend, was nun wohl an der Zeit wär' da hatte einer Peters Geigensack hergenommen und legte ihm den vom Rücken her vor die Nase auf den Tisch: »Spielt Ihr nun auch eins, Freund, was der Laute recht, ist der Fiedel billig!« – » Optime!« rief der Bakkalaureus, »zeigt Ihr uns nun auch, was Ihr könnt. Rühmtet Euch ja, ein rechter Geiger zu sein. Hic Rhodus! Allons!« – Ach du heilige Cäcilia, was nun? Unser guter Fiedler wär am liebsten gleich auf und davon gelaufen wie der, der dem Schlangenkönig das Krönlein gestohlen, nichts konnt ihm zur Stund mehr verquer und zuwider sein. »Was Lustiges, Peter!« wie er's zum Überdruß jahrelang hören müssen, klang's wieder in seinem Ohr – sein ganzes Innere schrie Nein darwider! Ihm war am Beifall oder an der Meinung des sauberen Konvivchens hier verdammt wenig gelegen. Wußt er gleich manch artig Stücklein, des sich auch ein edler Meister nicht zu schämen brauchte, und hätt er bis zum Morgen spielen können, ohne in Ton und Art des Bierfiedlers zurückzufallen – seltsam, seit jene drei Kleinode auf seinem Geigenholz blinkten und im Spiel seine Blicke bannten, gab's für ihn nichts mehr auf der Welt als die heilige Weise, die ihn ja zu jeder Stunde neu überraschte, neu beschenkte und segnete, dieweil sie zu jeder Stunde anders, immer neu und immer machtvoller, die ewige Offenbarung von Dem, was über Welt und Leben dauert und wahr und wert ist, zur Menschenseele zu sprechen wußte. Nicht minder aber war's ihm wider sein Gefühl, hier seine Geige zu enthüllen, vor den stumpfen, stieren, dummen und frechen Augen die heiligen Zierate strahlen zu lassen, bei deren Anblick ihm immer das süßeste und keuscheste Bild erstund. Wie Schändung und Verrat an dem reinsten Wesen wär's ihm. Das Gefrag dann: woher? wozu? Des Bakkalaureus kalte, schlaue Augen, seine Witterung für Unsauberes – nie!

Er knüpfte die Schnur an der grünen Hülle fester und sprach entschieden: »Mir steht der Sinn nicht danach, laßt mich. Ich bin auch müde.« – »Hoho! Das nenne ich 'nen Spielverderber und Sauertopf!« ging's da über ihn her – »was müde! Wir lassen's nicht gelten!« – »Faule Fische, faule Fische; nichts da! Raus mit dem Seufzerkasten!« – »Haha, das Herrlein scheut nur den Nebenbuhler hier; da mag er freilich schweren Stand haben!« – »Nehmt's immer an, Ihr Herren,« sprach Peter kalt. – »Ist wohl nicht weit her mit Eurer ganzen Fidelei, he?« – »Müde! Was ein Kerl ist, geht überhaupt nicht zu Bett!« brüllte und schnob die doppelte Mannsbreite. Der Student sprach nichts. Er trommelte mit niederträchtigem, mit hinterhältigem Lächeln leis auf dem Schallkasten der Laute und summte dabei kaum hörbar was zwischen den zusammengekniffenen Lippen. Peter sah's, und es machte doch sein Blut brennen. Und all diese Blicke sah er, darinnen Spott, Mißtrauen, Geringschätzung, gedankenlose Lüsternheit, Weinseligkeit und Tollheit flimmerten, nur leider so gar nichts Edleres, Sauberes, menschlich Gutes zu ihm sprach, und sieh, eine Not wie eines Versinkenden, Ertrinkenden befiel ihn: das sind die Menschen, die ich meine, zu denen ich mich gesandt weiß! Mein Gott, mein Gott! Bin ich denn, gesegnet wie ich mich wähnte, der überflüssigste, untauglichste Wicht auf der weiten Welt zusamt meiner Weise, meinem Ein und alles? Ist's denn zu denken, der neidische Satan hätt', nur mir das Herz im Leib zu enthoffen und verzagt zu machen, mit sonderlichstem Fleiß just die schäbigsten Probstücke der Menschenart hier zu dieser Saufrunde ausgelesen und zusammengeschleppt? Nein, nein! 's ist schon 'ne ehrliche Stichprobe aus dem großen Faß: so sind sie allerenden, bis auf die paar, die einsam werden, darum sie denen da Narren und Querköpfe heißen. Wo – wann – finde ich je und je hienieden die Menschenbrüder, für die ich mein Bestes, Eigenstes in mir trage, denen ich's offenbaren darf und mag? Ich kann's doch nicht vergraben, verhehlen vor der Welt, mein heilig Gut! Bin ich denn genarrt, der ich mich reich wie ein Fürst über alle Seelen deuchte, und mich als Bettler finden muß? Bin ich grausam getäuscht, der ich einen Hort in geprägter Münze gewann, und nun sagen die Leute: die Prägung kennen wir nicht, deine Münze ist nicht gültig hiezuland, dafür gibt dir kein Bäcker eine Weizensemmel. »Der sei gesegnet, der sei verflucht!« War's so gemeint? Wie sie grinsen, feindselig schielen, die ewigen Feinde des Göttlichen, am feindlichsten er, mit seinem Hohn, der ewige Judas am Göttlichen, der Verräter, der eitle, am Heiligen! – Trotz, Zorn, Empörung, Kampflaune lohte durch sein Blut, er hätt' kein wehrhafter Mann sein müssen! Doch noch einmal überbrandete alles Ermannen trostlose Verzweiflung: wie soll das werden? Wofür leb' ich? – Da erglühte er plötzlich im Rausch und Taumel gewaltsamen Erkühnens, als sei ein zündender Blitz in sein Gemüt gefallen, ein »Ich wag's!« riß ihn wild und jählings empor. Nicht hochmütige Vermessenheit war's, die der eigenen Seelenkraft das Unmögliche zutraut, es war mehr der fromme, eifernde Glaube, die edle Gewißheit von der hinreißenden Sieghaftigkeit und Unwiderstehlichkeit Dessen, was er wie eine erhabene Lehre, Heilswahrheit, wie ein Evangelium empfand, und war der jugendreine Glaube an hohe Wunder, des Geistes Wunder, dem adligen Gemüte eingeboren und unverlierbar. – Was aber Menschen mehr denn Geburt, Hab und Gut, Wissen und Ehr', leibliche Zier und Gewand trennt und fremd einander macht, das ist die Gabe der Ergriffenheit, die ihnen gar verschieden zugemessen ward: da sind nur wenige, in denen lebt sie stark und rein und unbedingt; bei den vielen aber kümmert und siecht sie dahin, erstickt in staubiger Armseligkeit des Denkens und Strebens, verkrüppelt und verzwergt durch Gemeinheit, Feigheit, Dumpfheit und Erdstoffschwere. Das bedacht' unser Geiger nicht, das bedacht er nicht!

Da stund er schon, zuhanden die Geige, weitab vom weinüberschwemmten Tische und dem Zecherkreise, im Schatten der dämmertiefen Wirtsstube, darin nur der Tisch mit den späten Gästen in trübdunstiger Helle lag; da stund er gar mannlich und kampflich, daß der naseweise Gelbgießer erstaunt loskrähte: »Hallo, unser Geigerlein kriegt ja ordentlich ein Gesicht!« Seltsam hell und scharf leuchtete sein Antlitz aus der Dunkelheit. Ihm war's wie einem Rittersmann, der den Helm aufgebunden, in den Steigbügeln sich aufstellt und seiner Dame gedenkt: den Fiedelbogen hielt er in der Rechten wie ein nacktes Schwert. Da hub er in Andacht die Geige zur Brust, im Halbdunkel erglommen die Kleinode und bannten seinen Blick, und – die Silberwolke der heiligen Einsamkeit sank auf ihn und um ihn und nahm ihn von hinnen.

Er war allein, war ganz für sich, und sah und wußt' und vernahm nichts mehr, was ihn hätt' kränken können.

Links von ihm, hinterm Faß, lag mehr denn er saß der Küper mit dem grünen Schurz über den lang ausgestreckten Beinen, die Schultern wider die braune Wand gelehnt, das kahle Haupt tief über die Brust baumelnd, weit vorgestülpt die dicke Unterlippe, mit einem langen Speichelfaden dran, und schlief den Schlaf des Gerechten. Das Bild der edlen Zecherrunde im bräunlichen Lichtkreis der müde blinzelnden und schwelenden Unschlittkerzen war auch nicht das reiner Andacht und frommer Sammlung. Sie räkelten auf den Ellenbogen mitten in den Weinpfützen; einer lag gar an der Wand auf der langen Bank, man sah von ihm nur das grobbeschuhte rechte Bein, behaglich über dem Knie des hochgestellten linken wippend; einer hatte beide Arme auf dem nassen Tische liegen, den schweren Kopf darauf, und hub eben an zu schnarchen. Ihm tröpfelte ein neckischer Nachbar seine Weinneige in den Nacken. Zwei steckten just grinsend und schwatzend die roten Köpfe zusammen, andere glotzten gläsern ins Blaue, unwissend und ahnunglos dessen, was vorgehen sollte; der gähnte jaulend bis zum Kinnbackenkrampf; die zwei dort stießen klirrend mit den zitternden, überschwappenden Bechern an. Der Bakkalaureus aber thronte hochgereckt in der Mitte, die Arme über der Brust gekreuzt, die dunklen, großen Augen kalt und prüfend gradaus gerichtet auf den Spieler drüben im Halbdunkel, scharf und dräuend wie zween eingelegte Speere, als wolle er ihn durch seinen Blick verwirren, und noch immer niederträchtig und überlegen lächelnd.

Nichts von dem allen nahm er wahr, der Weltentrückte. Er sah in die rote Lohe der Waldschmiede. Um den düster-starren Todes- und Schicksalsernst des Riesen am Ambos schwang sich mit Wiegen und Drehen die morgenlichte, die nackte Huldgestalt, im Tanz der Erlösten auf himmlischen Blumenaun, führte den klingenden Bogen und sang und sang. Jede Anmutgeberde, jede flüchtige Linie, jede Regung der weißen Glieder, jeden Leuchteblick des blauen Augenpaars – jeden Zauber jener höchsten Lebensstunde erlebte er neu. Und Singen und Sagen von dieser Stunde war sein Geigenspiel, und ein Danken dafür und ein Jubeln darob, und dann war's ein machtvoll Verkünden, ein inbrünstig Werben und stürmisch und schmeichelnd und beschwörend Überreden im Sang seiner Saiten, ein Aufsteigen ohnegleichen wie auf lichtflutender Sonnenbahn. Und hell, in allen Weiten und Tiefen erhellt, war die Welt des Lebens und Sterbens, und drüberher in hohen silbernen Wolken zog's schwingenbreitend wie singende Schwäne von Aufgang gen Niedergang, und die Schwingenrauschenden, die Silberleuchtenden, sie waren die Herolde eines gewaltigen Heilandrufes, der alle Räume füllend hinter ihrem Weltfluge herjauchzte: Glaubet, glaubet! Ich bin ewig, es ist kein Sterben und keine Not! – Der Bakkalaureus schaute dem geistbeschwingten Entschweben nach mit gerunzelten Brauen, wie ein Flügelloser, ewig an den Boden Verhafteter: er empfand nur zu deutlich, daß da sich etwas offenbare, stärker, geistiger, reicher und reiner denn sein neidenges Wesen, aber er empfand's wie einen Widersacher, der gekommen, ihm obzusiegen, ihn zu beschämen, ihn zu zwingen, daß er, die Stirn im Staube, bekenne: ich bin gemein! Und immer voller sog sich seine Seele, die bewundern wollte, der schwarzen Finsternis von Haß und Neid, des alten, schlimmen Neides von seinesgleichen auf jenesgleichen. Seht, weil ihm die Liebe versagt war, und der Liebe hingegebenes Glück, darum erkannt und verstund sie der Kluge, der Künstereiche nicht, die silberfarbene Weise, er ahnte ihrer nur so viel, um sie zu fürchten!

Die andern aber? »Kinder, Kinder, das überleb ich nicht,« schnob der Sattler los – »der fiedelt ja, bis wir alle Viere von uns strecken! Die Hähne krähen, wir müssen heim.« – »Er fiedelt uns tot,« meinte der Gelbgießer, der eine Stimme wie ein Hämmling hatte, »er hat einen endlosen Faden im Leib, wie 'ne Kreuzspinne, der reicht von hier bis an den Mond. Bis er den abgehaspelt, hat mein Weib einen andern genommen, und ich komm heim wie der Ritter auf dem Löwen; Bakkalaureus, da gibt's 'nen schnurrigen Singsang drüber, den müßt Ihr Euch zulegen!« – »Ui je, meine Alte!«, schrie ein anderer, ein dritter hub an zu trällern:

»Das macht der Muskateller,
Den's in der Schenke hat,
Drum blieb mir heint mein Bettchen
Fein schier und glatt.«

Dazwischen schrien andere: »Aufhören, Geiger, Erbarmen! Hier sind auch noch Menschen.« – »Trinkt mal eins, stärkt Euch! Seid wohl in Schwitz geraten, he?« – »Brav, brav, Geigerlein,« prustete der doppelte Sattler, »bloß, viel zu lang – und zu waschlappig, alter Freund! Damit lockt Ihr keinen Hund hinterm Ofen vor. Da kann sich kein Christenmensch nix dabei denken, ist nix, um die Beine zu heben und mitzusingen. Na, trinkt mal. Donnerwetter, Doktor, da bist du doch ein anderer Kerl, sollst leben, Bruder Doktor!« – »Ihr habt was gelernt, Geiger«, sprach der Student kalt, und alle horchten zu der Meinung des Kundigen auf, »ich muß es rühmen, versteht Euer Handwerk wohl und habt fleißig geübt. Ich tu Euch Bescheid.« Alle tranken voll Hochachtung dem also Ausgezeichneten zur Ehr' ihren Schoppen aus.

Peter stund wie aus hohen Wolken gestürzt, erwacht, erwacht! Stund taumelnd wie vor einem Abgrund, draus erstarrende Todeskälte emporhauchte, seine Kniee zitterten, vor seinen Augen kreisten flammende Ringe, seine Faust ballte sich – »Schweine« ... hauchte er heiser und tonlos – » Schweine!« ... Da tat sich der schwarze Abgrund klaffender auf, er stürzte hinein. Lang schlug er auf den Boden.

Hallo, gab's da einen Aufstand! »Bringt ihn zu Bette, der Kerl ist besoffen, so einem dürft ihr nichts übel nehmen.« – »Haha! Kann nichts vertragen, der arme Schlucker!« – Sie waren aufgesprungen zumal, der Küfer taumelte empor, gähnte, reckte sich. Indes er und der Bakkalaureus den ohnmächtigen Geiger die Stiegen hinaufschleppten, brachen die trunkenen Gesellen auf, tauschten ihre mehrfach verwechselten Hüte und Mützen unter dröhnendem Lachen aus und torkelten lärmend und randalierend in den bleichen Morgen hinaus.


 << zurück weiter >>