Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III. Teil. Der Kaiser

»Morgen muß dies Gerumpel fortgeschafft werden«, sagte Agrippina, auf den so sehr von ihm geliebten alten Tisch ihres verewigten Gatten weisend. »Die Büste des Augustus mag bleiben, aber das ist auch das einzige. Der Kaiser und ich brauchen Raum zur Arbeit.«

Agrippina war unter ihrem Witwenschleier, den sie nun zum dritten Male trug, schöner und stolzer als je.

Seneca stand neben Neros Sessel. Zum erstenmal saß der Schüler in seiner Gegenwart, der Philosoph strahlte vor Glück. »Dies ist ein großer Tag in der Geschichte«, sagte er.

»Und es soll ein freudiger Tag für dich sein, Seneca!« sagte Nero, der sich immer noch von seinem Purpurmantel und Diadem nicht hatte trennen können. »Endlich ist es mir vergönnt, der immer nur von dir empfangen hat, dir für unschätzbare Gaben deines Geistes wenn auch nur mit sehr viel geringeren Gaben zu danken. Meine Mutter und ich, wir bitten dich, die Liegenschaften zu Antium, die unter dem Namen der Livischen bekannt sind, als die deinen anzusehen.«

»O Agrippina!« rief Seneca, den der königliche Besitz mit einem Schlage in die Reihen des reichsten Adels hob.

Und Agrippina sagte, mit ihrem bezauberndsten Lächeln den Spott für seine Schwäche mildernd: »Darf ich mir als Gegengabe dafür deinen Philosophenmantel ausbitten?«

»Er hat mir nicht einmal gedankt«, dachte Nero, »es würde sich empfehlen, die Gaben meiner Großmut nicht unter gemeinsamer Flagge segeln zu lassen.«

»Präfekt Burrus! Der Kaiser dankt dir für deine Treue und belohnt sie durch seine Güter in Capua.«

Agrippina wandte sich zu Nero, streichelte seine Wange und flüsterte: »Pallas!«

»Otho! Der Kaiser gedenkt deiner Freundschaft und bittet dich, sich seiner Villa in den Sabinerbergen zu erfreuen! Serenus! ...« Zwischen Agrippinas dünnen, schön gewölbten Brauen zeigte sich eine Falte, sie flüsterte: »Du darfst Pallas nicht vergessen!«

»Nein«, dachte Nero, indem er das wohlgenährte Gesicht ansah, das zu hochmütig war, als daß man abzulesen vermocht hätte, ob er des Kaisers Vergessen bereits für Absicht nahm oder als Irrtum überbürdeter Jugend auffaßte. »Nein, Mutter, Pallas nicht, deinen Pallas um keinen Preis!« Aber er kehrte zur früheren Formel zurück und sagte, zu Serenus gewandt: »Meine Mutter und ich bitten dich, unsere Villa zu Herculaneum als Dank für deine Freundschaft anzusehen.«

»Der Kaiser und ich«, sagte Agrippina langsam und hart, ohne den forschenden und drohenden Blick von Neros Antlitz zu nehmen, »schenken dir, Pallas, als Zeichen unserer Gnade den claudischen Landbesitz zu Ostia!«

»Aber ich habe es nicht gesagt!« dachte Nero. »Ich hab's doch nicht gesagt!«

Pallas trat, sich verbeugend, vor und nahm aus den Händen des Sekretärs die Schriften.

»Cäsar! Es stehen Unterschriften aus«, sagte er, und Agrippina trat magisch herangezogen hinter Neros Sessel, um besser zu sehen.

»Hier ist die Steuerverminderung für die Stadt Bononia, die im Herbst ein Brandunglück betraf.«

»Ich weiß, ich weiß!« sagte Nero und sah sich jählings vor dem Spiegel in griechischem Hymation. – Wie lang war das her!

»Die Rede hast du ja selbst gehalten«, sagte Otho.

Nero nahm das schwere kaiserliche Siegel auf den viel zu schlanken Finger, siegelte und schrieb.

»Der Geschenksold für die Lagersoldaten«, sagte Pallas und legte die neue Schrift vor.

»Der Beschluß zur Göttlichkeitserklärung weiland Kaiser Claudius', unterfertigt von allen würdigen Vätern des Senats.«

»Es bedarf keiner Ansage, ich vermag zu lesen«, sagte Nero kalt.

Es sah aus, als wollte Agrippina sprechen, aber sie sprach nicht.

Pallas legte schweigend das nächste Blatt vor. Nero überflog es nahgebeugt und schrak zurück. »Was ist das?« stammelte er. Er war sehr blaß.

»Das Todesurteil des Soldaten der sechsten Legion, Priscus, der seinen Kameraden erstochen hat«, sagte Pallas genau wie vorhin an.

»Aber das ist ja meine Legion! Die mich gestern ausgerufen hat!« rief Nero. Seine Augen schienen fast schwarz. »Nein! Das unterschreibe ich nicht!« – Und plötzlich wirklich seine siebzehn Jahre alt, wandte er sich Agrippina zu: »Was muß ich tun, damit er nicht sterben muß?«

Agrippina lächelte mit Augen und Mund ihm entgegen: »Schreibe ›Begnadigt‹ und deinen Namen.«

Nero zog heftig einen so dicken Strich unter seinen Namen, als tilgte er damit Thanatos selber aus der Welt aus.

Pallas legte schweigend das neue Blatt vor. »Nein! Noch eines?« fragte Nero, als mache jener einen schlechten Scherz.

Und Pallas sagte gleichmütig: »Todesurteil gegen den Raubmörder Saginth, der zu Ravenna einunddreißig Menschen geschlachtet hat, darunter acht Kinder.«

Agrippina öffnete hastig die Lippen, aber Seneca machte eine sanft abhaltende Gebärde.

Nero sah starr auf das Blatt. »Und ich sitze hier auf Claudius' Sessel! Haben wir das Recht, einen Mörder zu richten – Mutter und ich –? Aber wenn ich solch ein Untier begnadige, nun, da ich Kaiser bin, welch ein Auftakt zur neuen Regierung! Was würden die Drumios dazu sagen? ›Ein Weib und ein siebzehnjähriger Bengel, wo soll da die Gerechtigkeit herkommen? Uns pressen sie mit Steuern, und Raubmörder sprechen sie frei!‹ Übrigens, könnte man nicht wirklich einmal im Senat für die Drumios sprechen? Ja, aber jetzt muß ich wohl unterzeichnen! Ich muß – ach, ich wollte, ich hätte nie schreiben gelernt!« dachte er, und das sprach er aus.

Er unterschrieb, warf die Feder fort, begegnete Senecas begeisterten nassen Augen und dachte: »Der Dummkopf mit seinem Hennengegacker über das gelungene Ei könnte einem wirklich jedes bißchen Anständigkeit abgewöhnen!«

Aber er hielt verlegen still, als Agrippina ihn zum dritten- oder viertenmal seit ihrer Wiederkehr küßte.

Ein Höfling glitt durch die Türe, verneigte sich und meldete halblaut: »Der Schatzkanzler Narcissus ist soeben zurückgekehrt und bittet um eine Audienz.«

Nero sah Agrippina an.

Er sagte rasch: »Melde, daß der Kaiser des Kanzlers Verlust an seinem eigenen ermißt und ihn zu sich bittet.«

»O nein!« unterbrach Agrippinas Stimme schroff. »Sage, der Kaiser und ich seien zu erschüttert von unserem Verlust, um empfangen zu können!«

Der Höfling sah von Agrippina zu Nero und zurück zu Agrippina. Er neigte sich und ging.

»Mutter hat nicht recht, Narcissus so zu reizen, wenn ich mich vielleicht doch bei ihm hätte lieb Kind machen können. – Was nun, wenn er Rom jetzt die Geschichte von dem Testament erzählt, das da war und verschwunden ist?«

Die Türe öffnete sich vor klirrendem Schritt. Ein Tribun trat ein, ganz jung, mit olivenfarbenem Teint und neronisch in die Stirn gekämmtem schwarzem Haar unterm Helm. Er kam mit gezogenem Schwert auf den Kaiser zu, strahlte ihn aus südlich brennenden Augen an und meldete:

»Tribun Pollio der Palastwache, gestellt von der siebenten Kohorte der zweiten Legion, bittet um die Parole!«

Nero sah ihn an und lächelte nachdenklich. Dann hob er rasch den Kopf, wies zu Agrippina hin und sagte sehr laut: »Die beste Mutter!«

 

Der neue Anführer der Prätorianer, Pollio, hielt den Türvorhang einladend vor Piso zur Seite. Pollio strahlte in goldener Rüstung. Der goldene Helm mit dem kauernden Löwen, der den scharlachnen Roßkamm trug, deckte sein neronisch geschnittenes schwarzes Haar.

»So komm doch, Piso!« lockte er. »Auf meine Verantwortung! Sei doch nicht kindisch! Wenn ich dir sage, daß wir Zeit genug haben!«

Und da Piso nach einem Umblick in dem leeren Thronsaal von der Schwelle her immer noch zu zögern schien, hatte Pollio eine Miene raschen Beleidigtseins, die ihm den Anschein gab, als wären seine Wangen zuseiten der Lippenwinkel auf einmal angeschwollen.

»Ich dachte zumindest, du wolltest mir Gelegenheit geben, deine Voreingenommenheit zu bekämpfen!«

Piso trat sogleich ein. Er, der sonst sehr still zu lächeln pflegte, hatte plötzlich ein lautes heiteres Lachen.

»Voreingenommenheit? Gegen unseren Kaiser Nero? Weiß du nicht, daß ich über den jugendlichen Gott genau so denke wie alle? Und daß ich mich von Herzen darüber freue, dich das Amt bekleiden zu sehen, für das du geboren zu sein scheinst?«

Piso sah zu der herrlichen Wandmalerei des Titanenkampfes auf, die er sehr liebte, und dachte belustigt: »Oh, ihr Götter, wenn ich mit diesem Hohlkopf so leicht fertig werden könnte wie ihr mit eueren Ungeheuern!« Er sagte: »Ich bitte dich, hört man den zerschmetterten Titanen nicht laut schreien?«

»Was für einen Titanen?« Pollios Gesicht zeigte blankes Staunen.

»Unter dem Fels, hier unten links!«

»Ach so, auf dem Bild da! Komisch, was du für eine Art hast, plötzlich von irgendwelchen ganz fernabliegenden Dingen zu reden!« Pollio stand breitbeinig da. Er war höher als Piso, und Roßkamm und kothurnhohe Schuhe verstärkten noch den Unterschied. Trotzdem schien Piso der Ältere von den beiden.

»Nein, weiß du, du mußt mir schon glauben, ich verstehe mich auf Menschen! Kluges Köpfchen, das hier!« Er tippte auf den Helm, und Piso, der, das Kinn auf die Brust gesenkt, zuhörte, dachte: »Wieso kommt es, daß jeder Tor glaubt, daß er weise ist, und jeder Weise weiß, daß er ein Tor ist?«

»Siehst du, ich muß dir recht geben, wenn du findest, daß ein Kerl wie dieser Paris nicht würdig ist, die Güte unseres Kaisers auszunützen.«

»O Götter, morgen erzählt er Nero, ich hätte meine Zunge über Paris gewetzt, und Agrippina hat einen Vorwand, meinen Einfluß auf Britannicus für schädlich zu erklären!« Piso sagte laut und bestimmt: »Das finde ich ganz und gar nicht! Cäsars Interesse für die Kunst ist rühmlich offenbar geworden. Warum sollte da gerade ein Mime am Hof fehlen?«

»Na, aufrichtig, schätzest du Paris vielleicht besonders? Na, siehst du! – Und Otho, dieser Speichellecker und Profitmacher, wenn du gegen den Einwände hast, das begreife ich!«

»Ich mag Otho gern leiden«, sagte Piso, der das zwinkernde Gesicht des jungen, vor lustiger Sinnlichkeit wiehernden Kentauren vor sich sah.

»Na ja, jedem, was er mag! – Aber eines mußt du mir doch zugeben«, auf schöngeformten, goldgeschienten Beinen sich wiegend, wies Pollio nach dem Thron, als säße Nero dort, »daß unser Kaiser deinem Britannicus überlegen ist, also bitte, das mußt du mir doch zugeben.«

Piso sah bezaubernd liebenswürdig zu ihm auf, mit anscheinendem Impuls der aufrichtigsten Herzlichkeit die Hand auf des Vetters Schulter legend. »Ich sagte dir ja schon, wie selig ich bin, dich mit deinem Amte so zufrieden zu sehen.«

»Dienst, lieber Freund! – Dienst! Ich bin Soldat und diene unserem Kaiser. Und da er Kaiser ist, müßt doch auch ihr – ihr Britannicäer –«, Pollio lachte schallend zu seinem Witz – »endlich aufhören zu glauben, daß Nero in ihm einen – was weiß ich – einen Gegner sieht oder Konkurrenten!«

»Oh! Dich hat also Nero geschickt?« dachte Piso. »So billig schätzt er mich ein, daß er dich auswählt, um mich auszuhorchen?«

Er lachte mit höflichster Liebenswürdigkeit wie zu einem entzückenden Scherz, und Pollio, der wütend dachte: »Maultier, stütziges! Es ist nichts aus ihm herauszubringen!«, fuhr heftig fort: »Denn was ist er denn schon, euer Britannicus? Eine Null! Ein kleiner Affe, der dem Publikum seine Kunststückchen vormacht – ein dummer Junge von vierzehneinhalb Jahren.«

Piso streckte rasch seine schöne Hand, mit gegabeltem zweiten und dritten Finger, das Unheil abwehrend, gegen den Sprecher aus, der das Alter gleichsam abschließend und ohne Segensspruch für langes Leben des Britannicus genannt hatte.

»Hahaha! Abergläubisch?« lachte der Prätorianer sehr belustigt.

»Unendlich! Wie eine alte Vettel«, lachte Piso zurück. »Was hast du übrigens mit den Kunststückchen gemeint?«

»Nun, du warst doch neulich beim Pfänderspiel dabei, als Britannicus das –«, Pollio verdrehte die Augen und ließ seine Stimme zittern – »rührende Lied vom entthronten Fürstensohn sang.«

» Das hat Nero mehr als alles gekränkt, daß Britannicus sich dabei nicht lächerlich gemacht hat«, dachte Piso. Aalglatt und höflich sagte er: »Cäsar ist ein so ausgezeichneter Sänger, daß er dem dummen Jungen das bißchen intimen Beifall wohl gern gegönnt hat.«

»Ja, aber es war reichlich taktlos, dies Lied zu wählen«, beharrte Pollio beleidigt.

»Es dürfte ihn zufällig irgend etwas daran erinnert haben«, hatte Piso schon auf der Zunge, aber er neigte das Kinn zur Brust und wartete.

»Piso, Piso, du wirst es einmal bereuen«, prophezeite Pollio dumpf.

Piso fragte: »Was denn, mein Guter?«

»Daß du dich nicht für unseren Kaiser entschieden hast wie ich. Es muß ja nicht Soldatendienst sein obzwar der natürlich am schönsten ist, aber dazu taugt nicht jeder! Aber unser Kaiser hat schließlich allerlei Ämter zu vergeben!«

»Sicherlich!« dachte Piso, »wenn Agrippina noch mehr Männern den Selbstmord so wünschenswert erscheinen lassen wird wie Silanus und dem armen alten Narcissus! Aber ich sehe, daß es nicht bloß gilt, Britannicus in mir einen Freund zu nehmen, sondern mehr noch, Nero einen Freund zu gewinnen! Es gilt doppelt auf der Hut zu sein!«

»Na, du sagst gar nichts?« drängte Pollio.

Piso strahlte den Vetter an, kopfschüttelnd vor innerer Rührung ihm die Hand drückend. »Pollio, du bist wirklich ein guter Mensch. Kaum hast du dich selbst in den Sattel geschwungen, so denkst du sogleich daran, mir zu helfen! Ich danke dir von Herzen, mein Pollio!«

Pollio schüttelte die dargebotene Hand. »Du weißt, wenn ich etwas für einen anständigen Kerl tun kann, tue ich's gerne!«

»Ich kenne dich, mein Pollio, ich kenne dich! Aber du, ich fürchte, die Armenier werden kommen, und ich werde noch immer nicht erfahren haben, wozu du mich hierher geschleppt hast.«

Pollio stieß einen Laut des Sicherinnerns aus und sprang goldklirrend zum Throne hin.

»Preis den Göttern, ich habe ihn von der Spur abgebracht!« dachte Piso. »Was sucht er denn hinter dem Thronsessel?«

»Jetzt frage ich dich, ob jemals eine Mutter einen besseren Sohn besessen hat?« posaunte Pollio und zog den Purpurteppich hinter dem Thron aus Gold und Elfenbein zur Seite. Alle Munterkeit in Pisos schönen Augen erlosch. Er sah, daß die Mauer hinter dem Thron durchbrochen worden war und daß der Lauscherin, die den breiten Sessel hinter dem Teppich einnehmen würde, kein Wort im Saale entgehen konnte.

»Da staunst du? Was? Nicht einmal Livia, von der man sagt, sie sei mehr Cäsar gewesen als Cäsar Augustus, hat so an der Regierung Anteil gehabt wie Agrippina!«

»Vielleicht ist darum Augustus der große Cäsar geblieben«, dachte Piso.

»So ist unser Kaiser!« sagte Pollio und ließ den Teppich fallen. »Und darum sind wir auch bereit zum rücksichtslosen Kampfe gegen den äußeren Feind – und den inneren!« Pollio streifte Piso mit einem raschen Blick.

»Aha, der innere Feind, das bin ich«, dachte Piso. Er hob den schönen Kopf gegen den Vorsaal: »Ich glaube, da sind deine Freunde, die Armenier.«

Pollio lächelte: »Der Empfang kann ohne mich so wenig beginnen wie ein Zirkusspiel ohne den Herold!« Und da Piso schon fast zur Türe hin entschlüpft war: »Also – wirst du dir das mit dem Dienst überlegen?«

Piso schlug wie zur stummen Bejahung lächelnd die Wimpern nieder. Er hob grüßend die Hand und war im Vorsaal verschwunden, aus dem das Murmeln vieler fremdklingender Stimmen drang.

»Ein stütziges Maultier! Was soll ich also jetzt unserem Kaiser sagen?« dachte Pollio mißvergnügt. Die Prätorianerwache marschierte zu zweit auf, zog die Schwerter vor dem Anführer, besetzte die Türen, reihte sich schimmernd an der Thronwand. – Pollio nahm den vergoldeten Speer entgegen. »Ich werde ihm sagen, daß Piso entzückt gewesen ist«, dachte er schlau, fiel in Stellung und stieß mit dem Speer auf den Estrich. »Wolfspack! Hammeltalgfresser!« dachte er mit der ganzen Ungunst des Römers, als die Armenier in den Saal strömten. Klein, schwarz, fellmützig, in Lederpanzern, die mit erzenen Dreiecken benagelt waren, staunten sie den Marmor der Wände entlang zur Spiegeldecke auf, zu den ausgewählt schönen Wachen hin, immer wieder nach dem Gürtelschal fahrend, denn die beiden Dolchmesser, die sie sonst zu tragen pflegten, waren ihnen draußen abgenommen worden.

Mit dem Gefühl mehr als mit dem Ohr erriet Pollio des Kaisers Kommen. Die Brust gewölbt, das Antlitz starr, die Augen Nero entgegenbrennend, stieß er dreimal gegen den Estrich. Nero hatte längst – noch vor seinem ersten Senatsempfang – mit Paris seinen Auftritt durchgeprobt. Jetzt wußten seine Glieder gleichsam blind, ohne die Führung der kurzsichtigen Augen zu erwarten, die Distanzen, Stufenanzahl und Stufenhöhe auswendig. – Er saß auf dem Thron der Welt, schmal, jung, blaß, die ungewöhnlich langen rötlichen Locken strahlend über dem Amethyst des cäsarischen Purpurs. Seneca und Burrus hielten ihm zur Linken, Pallas und Vitellius zur Rechten, und statt des »tiefbetrauerten« Narcissus stand hinter Nero Corbulo – riesisch und schön wie Mars –, im Schmuck der Triumphzeichen seiner Parthersiege.

Die Gesandten fielen auf die Knie, den Estrich, den ihre starrgeflochtenen Schläfenzöpfe streiften, zwischen ihren Handflächen küssend. Nero lächelte und machte ihnen mit vollkommener Gnadengeste das Zeichen, sich zu erheben.

Der Anführer, ein knorriger Alter, begann in unverständlichem Barbarenkauderwelsch zu sprechen. Nach jedem Satze schwieg er, aus klugen gelben Augen den Dolmetscher anfunkelnd, der die Bitte des Armenierkönigs um Waffenhilfe Roms in klingendes Latein übertrug.

Seneca konnte die Blicke nicht von Neros lauschendem Profil wenden. »Wie schön er ist«, dachte er. »Wie schön an Leib und Seele. Als Kind störte das rote Domitierhaar, aber jetzt hat es sich köstlich aufgehellt und scheint mir röteres Gold neben dem Gold des Diadems. Und seine Haltung, seine Rednergabe, die sich endlich frei entfaltet. – Man wird wohl nicht sagen, daß er einen schlechten Lehrer gehabt hat. Oh, ihr Götter, ihr habt meine schönsten Träume erfüllt! – Unlängst, als er zur Überraschung von uns allen im Senat aufsprang – der geliebte Junge! –, um Steuerfreiheit für ganz Italien vorzuschlagen – zum Entsetzen sehr vieler der würdigen Väter, da hat selbst der beste Mann von Rom, Thrasea Pätus, nasse Augen bekommen. – Und wie hat das Volk um seine Sänfte gejubelt! ›Püppchen!‹ haben sie ihn genannt und gesegnet, er möge nie auf einen ›schlechten Stein‹ treten. ›Kleiner Gott!‹ haben sie geschrien, ›junger Gott!‹«

Seneca schrak auf, als Burrus ihn anstieß. Er begriff nicht gleich, er merkte nur staunend, daß Burrus plötzlich fahl war, so fahl wie sein wettergebräuntes Soldatengesicht es werden konnte –, er erfaßte, daß der Dolmetsch jählings ins Stottern geriet, daß die Armenier die Köpfe wandten, und folgte der Richtung all dieser Blicke.

Da sah er, daß die drei Lictoren eingetreten waren, die vor wenigen Wochen erst der Senat der erhabenen Kaiserinmutter zugesprochen hatte. Die germanische Leibwache unter ihrem Führer Creperejus zog auf. »Unmöglich, sie kann es nicht wagen, nachdem sie geheimen Zugang hat, sich auch öffentlich in den Staatsempfang einzudrängen!« dachte Seneca.

»Sie kommt, um sich auf meinen Thron zu setzen, sobald ich mich erhebe, sie zu begrüßen«, dachte Nero und seine Hände wurden feucht. »Was soll ich tun, ich kann doch nicht sitzen bleiben!« Und gebannt, verwirrt, kurzsichtig schielend, sah Nero die Mutter in den gleichen Saal einziehen wie vor sechs Jahren, als er, unter dem Bilde stürzender Titanen stehend, die Hand vor den Fleck im Knabenkleid gehalten hatte. Er fand die Frau im Diadem und Purpur, die achtlos an dem wölfischen Rudel vorüberschritt, magisch vom Throne angezogen, hundertmal größer als damals. Er sah, daß keine ihrer Damen, keiner ihrer Kämmerer ihr folgten, daß sie allein in den Männerrat ging wie ein Mann. »Was nützt es, Mutter ist stärker als ich –« dachte er und plötzlich sah er in Senecas von innerem Kampf verzerrtes Gesicht. Auf der hohen Stirne stand kalter Schweiß. »Soll ich wählen müssen?« dachte Seneca. »Aber gibt es noch eine Wahl? Nero schutzlos! Roms Ansehen vor den Barbaren gefährdet!«

Seneca zischte atemlos an Neros Ohr: »Entgegengehen! Du mußt ihr entgegengehen, Nero. Schnell, um sie fortzuführen!«

Ohne daß jemand gesehen hätte, wie es geschah, aus statuenstiller Herrscherpose verlebendigt, war Nero schon drunten bei Agrippina.

»O gute Mutter!« sprach er atemlos vor rasenden Herzschlägen, aber so klar, wie Terpnus ihn zu sprechen geschult hatte. »Du kommst, um ein Wort der Fürsprache für deine geliebten Armenier bei uns einzulegen? Sei beruhigt! Wir haben beschlossen, den frechen Übermut unserer alten Feinde zu bestrafen. Armenier! Corbulo hat dreimal die Parther aufs Haupt geschlagen – zum viertenmal wird er sie vernichten!«

Die junge Stimme schlug vor tollem inneren Jubel um. »Sie muß gehen!« dachte Nero. »Sie muß! Sie zittert am ganzen Leibe. Ich habe gewonnen. Oh! Oh! Zum ersten Male habe ich gegen Mutter gewonnen! Welch ein Omen für mich, dieser Titansturz!« Niemand ahnte, wie eisern der Griff war, mit dem er Agrippina zur Türe zwang. Agrippina dachte taumelnd immer wieder: »Keine Tränen, nur jetzt keine Tränen!« Sie ging und hatte kein einziges Wort gesprochen. Die Wache unter Creperejus, die drei Lictoren folgten ihr wie an Schnüren gezogene Puppen. Nero stand, den Mund atmend offen, daß man zwischen feuchtschwellenden Lippen die spitzen, weißen Zähne sah. – Die Brust von einem tiefen Atemzug geschwellt, dachte er: »Seneca! Gegen die Mutter mit mir! Das vergesse ich ihm nicht! Mir schwanken die Knie! Wie werde ich jetzt durch diese Horde von Barbaren auf den Thron zurückgelangen?« Aber die Barbaren wichen zur Seite und ließen eine Gasse vor ihm frei.

Da stand der Anführer, der alte Mann mit den klugen gelben Schakalaugen und perlendurchflochtenen Schläfenzöpfen unter der Fellmütze. Der sprach jetzt in plumpem Latein, aber es erwies sich, daß er keineswegs des Dolmetschers von vorhin bedurft hätte.

»Unserm König Rhadamistus haben die Späher berichtet, es sei Torheit, nach Rom um Hilfe gegen die Parther zu senden, denn zu Rom sitzt ein Weib auf dem Thron, und die Männer spielen dort Harfe. Und Rhadamistus hat gesagt: ›Haltet eure Augen offen! Denn ist es so, dann will ich lieber vor dem Partherkönig knien als vor einem Weibe!‹ Aber wir haben die Augen aufgetan und gesehen, daß das Adlerjunge Klauen und Schnabel hat!«

Von dem wilden Wolfsgeheul der Armenier umtost, stand Seneca und dachte: »Nie, nie werde ich es vergessen, wie sie nach dem Takt einer Triumphmusik – die nur sie zu hören vermochte – herankam, mit entrücktem, wollusterfülltem Lächeln. Und nie werde ich es verwinden, daß ich an ihrer Demütigung Schuld trage, ich, der am liebsten wie die Barbaren auf die Knie stürzen würde, den Estrich vor ihrem Fuß zu küssen.«

Nero stand furchtlos mitten unter fünfundzwanzig brüllenden Barbaren. Er hatte aus dem Augenwinkel gesehen, daß Pollio und Corbulo ihm den Rücken deckten.

»Ein Schlußwort! Ich brauche ein Schlußwort!« fühlte er. Er warf den Arm hoch und rief klingend über ihr Toben hinweg: »Armenier, vertraut Corbulo und dem Waffenglück Roms!« Er wandte sich und sagte in Pollios Ohr: »O Götter, wie sie stinken! Führ mich ins Bad, rasch! – Es ist kein Faden an mir trocken!«

 

Die Schmucksklavin nahm die Citrusbrettchen aus der Schatztruhe, durch deren Ausschnitte die Ringe gesteckt und auf deren Rückseite sie durch Schiebehölzchen befestigt worden waren. Sie hielt die Schmuckplatten zum Fächer geordnet vor Agrippina, und die Kaiserin-Mutter wies flüchtig wählend auf die Smaragde. Sie hielt die vorgestreckten Hände still, diese nervösen, festen Hände mit den zarten Gelenken, und ließ sich von der Sklavin mit geübten, flinken Dienergriffen den unschätzbaren Reichtum der Ringe anstecken.

Akte stand mit dem Gegenspiegel hinter ihr, und Agrippina wendete den Kopf auf dem schönen Nacken hin und her, um die griechische Haartracht aus traubigen Locken zu besehen.

»Die Spange sitzt ja nicht!« sagte sie.

»Doch, Erhabene!« antwortete Aktes sanfte Stimme.

Agrippina rückte im Sessel vor und sah sich an. »Ich sehe müde aus«, dachte sie, »die Falten, die von der Nase zum Mund laufen, wie scharf werden sie jetzt! Seit vierzehn Tagen habe ich keine Nacht mehr ohne Mohntrunk geschlafen.« »Etwas von dem persischen Öl auf die Lider!« befahl sie und hielt mit geschlossenen Augen und zurückgelegtem Kopf still, während die Schminksklavin den wächsernen Glanz der Jugend auf ihre Lider zauberte.

Als sie zwinkernd die Augen aufschlug, stand Nero neben ihr, der es so sehr liebte, sie unangemeldet zu überfallen. Daran, daß sie plötzlich schön wurde, erkannte Nero, daß sein Kommen die Mutter freute. Er fiel ihr um den Hals und küßte sie.

»Meine Frisur!« sagte Agrippina halb zornig, halb glücklich und dachte: »Er hat wieder so tiefe Ringe um die Augen!«

»Bist du gestern spät zu Bett gegangen?« fragte sie.

»Gefährlicher Moorgrund«, dachte Nero. Er lächelte sie an.

»Ziemlich. – Es ist anstrengend, Mutter, zugleich der beste Schüler von Rom und Cäsar von Rom zu sein!« Er nahm eines der Schminkschälchen aus Rosenquarz von ihrem Tisch auf und roch daran. »Ach«, sagte er, und die Nüstern seiner Nase dehnten sich, »wie ich euch Frauen beneide!«

Wenn Nero die Mutter besuchte, trug er Sorge, ungeschminkt zu kommen wie eben jetzt. Aber Agrippina konnte trotzdem auf seine Bemerkung nicht schweigen, sie sagte scharf: »Ich wüßte nicht, daß eine von uns Frauen in irgendeiner Beziehung noch etwas vor dir voraus hätte.«

»Das ist ein Doppelschlag. – Da haben wir sie also bei den Armeniern! Kein offenes Wort hat sie gesagt, aber wann immer wir uns sehen, trifft mich ein Dolchstich!«

»Er steht da und schiebt meine Döschen hin und her, aber er denkt seit vierzehn Tagen nicht daran, offen über die armenische Geschichte zu sprechen. – Wenn er es jetzt tut, ich gelobe es, dann will ich es eingestehen, daß ich vielleicht wirklich zu weit gegangen bin. – O Götter –, Nero – wenn er nur ein kleines Wort des Bedauerns äußern wollte. – Steht da und spielt wie ein dummer Junge! Ach, die Pferdchen –«, erinnerte sie sich plötzlich.

»Nero, man meldet mir, daß der Kaiser von Rom auf seinem Tische elfenbeinerne Pferde stehen hat, mit denen er während des Unterrichtes und der ihm erstatteten Berichte unentwegt zu spielen pflegt. Das ist unmöglich!«

»Wer hat ihr das zugetragen? – Man müßte mit einem Schlage alle Personen der Umgebung Cäsars wechseln. – Aber ist man denn Cäsar?« dachte Nero.

»Ferner meldet man mir, daß Cäsar heimlich die Rennbahn besucht und durch die Gitterlöcher der Loge drei Wagenrennen mitangesehen hat.«

»Es waren sogar vier«, sagte Nero mit seinem kalten, angehefteten Lächeln, während er aufmerksam die Döschen zu einem Sternmuster anreihte.

Agrippina hielt den Kopf gesenkt und atmete schwer. Sie fürchtete ihre mühsame Beherrschung zu verlieren. Sie ballte beide Hände, bis ihre Knöchel weiß wurden und sie trotz aller Schmalheit Männerfäusten glichen; und weil die Demütigung sie um so mehr schmerzte, als ihr Verstand ihr sagte, sie sei nicht ganz unverdient gewesen, suchte sie gegen Nero Anwürfe, bei denen das Recht auf ihrer Seite stand. Sie sagte: »Ich habe heute die Kaiserin Octavia besucht, Claudius Nero!«

Nero lächelte gezwungen auf das Döschen herab, auf das er das goldene Deckelchen mit dem Amor als Griffknopf spielerisch paßte.

»Sie sticht und sticht«, dachte er.

Laut fragte er: »Wie geht es der Kaiserin?«

Kein anderer Mensch brachte Agrippina so um alle Ruhe, allen Verstand, und keinem anderen Menschen auf der ganzen Welt gegenüber wünschte sie so sehr ihre Ruhe, ihren Verstand zu bewahren. Ein atemraubender Druck in der Magengegend kam über sie, wie neuestens immer bei solchen Unterredungen mit dem Kaiser. Ihre Stimme bekam durch die Atembeklemmungen einen gepreßten, flackernden, kläglichen Klang, den sie selbst verabscheute. Diese erregte Stimme machte auch aus dem Satz, den sie nebensächlich hinzuwerfen strebte, einen anklagenden Vorwurf.

»Du magst wohl nach ihr fragen, da du sie niemals siehst!«

Höflich angestrengt lächelnd, den Blick unter dichten roten Wimpern auf die Döschen gesenkt, die jetzt in Prätorianerreihen aufzogen, fragte er: »Wieso denn, Mutter? Speise ich nicht alle Tage mit ihr und Britannicus?«

Agrippinas Kopf fuhr auf, daß die an Perlenfäden hängenden Smaragdschüsselchen ihrer Ohrgehänge schwankten: »Ja, du liegst bei Tische mit ihr! Aber nicht im Bett! – Akte! Du bleibst, Akte! – War das je erhört, daß der Kaiser von Rom seine Kaiserin im jungfräulichen Bett allein läßt?«

Nero sprach zu der Pyramide von Döschen herab, die er jetzt zu bauen anfing: »Mutter, entsinnst du dich des Pferdes Incitatus, das Oheim Caligula zum Konsul machte?«

»Was soll's damit? Was sind das wieder für Possen?« fragte Agrippina und dachte: »Ich möchte ihn prügeln!«

Nero versuchte vorsichtig das krönende Büchschen, das nicht halten wollte, auf die Pyramide zu setzen. »Keine Possen, nur ein verdeutlichender Vergleich. – Octavia geht es wie dem Hengst mit seiner Konsulschaft. Sie muß sich mit den äußeren Insignien ihrer Frauenwürde begnügen.«

»Wirst du endlich zu spielen aufhören, du dummer Junge?«

Agrippinas smaragdbeschwerte Hand fegte die Pyramide um. Rollende, klirrende, brechende Döschen, goldene Deckel kreiselten, klingelten. Salben, Schminken, Öle ergossen sich, es duftete betäubend nach Narzissen.

»So viele Möglichkeiten der Schönheit«, sagte Nero ruhig, während Akte kniend die weißen Felle, die weißen Wollteppiche zu retten versuchte.

»Hör auf!« herrschte Agrippina sie an. Es sah einen Augenblick aus, als habe sie Lust, Akte an dem blonden Haarknoten zu fassen und ihren geneigten Kopf in all die Scherben hineinzustoßen. »Mach, daß du fortkommst! Geh! Laß uns allein!« Akte erhob sich. Sehr bleich stand sie da, die Handflächen ihrer von Schminke und Blut befleckten, von Scherben verletzten Hände nach außen gekehrt, und ihr blauer Blick begegnete voll Neros Blicken. Dann senkte sie das Haupt und ging zur Türe. »Armes Mädchen!« sagte Nero. »Vorhin wollte sie gehen, da hieltest du sie zurück.«

Der Blick des Einverständnisses zwischen ihrer Sklavin und ihrem Sohne, der ihr selbst immer rätselhafter schien, hatte Agrippina zutiefst verletzt. Neros Fürsprache machte sie rasend.

»Tut sie dir leid, du gutes Herz? Octavia tut dir nicht leid? – Und ich –«

Nero stand auf – das hatte fast wie ein Schluchzen geklungen. Er trat näher, um genauer zu spähen, und sah, daß ihr Gesicht gar nicht Mutters gewohntes kühles Gesicht war, sondern ein neues, nacktes, und plötzlich dachte er: »Was für eine prachtvolle Leidenschaft hat diese Frau noch mit fast vierunddreißig Jahren! Ich bin noch keine achtzehn, wenn ich mich nur einmal so über mich hinaus brennend fühlen könnte!«

Agrippina dachte: »Nein! Er darf nicht wissen, wie ich um ihn leide! Nie!«

Mit aller Willenskraft sich zur Kälte zwingend, sagte sie: »Ein Narr, der, statt einen Sohn zu zeugen, Britannicus die Nachfolgerschaft offen läßt!«

»Britannicus, immer Britannicus!« dachte er. »Wenn ich nie mehr diesen Namen hören müßte!«

Neros Schweigen machte Agrippina rasend.

»Und mit wem verbringst du deine Zeit? – Als Messalina darauf verfiel, einen Tänzer zu begehren, warf man Steine auf sie, der man hundert adelige Buhler verziehen hatte! Und Mnester war ein Gott des Tanzes, ein Genie! – Aber solch ein Provinzgaukler, ein Tor, ein Tropf wie Paris als Gesellschaft Casars!? Der Liebling Tante Lepidas, dem sie zum Dank für schöne Stunden die Freiheit gab –« Agrippina hörte selbst, daß ihre Stimme schrill und kneifend klang, und brach ab.

»Das ist gemein. Paris ist ein Künstler!« dachte Nero. Er hob den Kopf, ohne sie anzusehen.

»Es ist spät. Ich muß arbeiten, Mutter. Leb wohl!«

In Agrippinas Herzen tat es einen Riß. – Er war fort. – »Und als er kam, hat er mich geküßt«, dachte sie, »und all die Zeit habe ich ihm nur harte Worte gegeben! Warum tue ich das? Welch ein böser Genius läßt sie mich sagen?! Was tue ich, was tue ich nur!«

Sie sah auf die zerscherbten Döschen hinab, mit denen seine Hände gespielt hatten. Sie sah im Spiegel ihr fahles Gesicht mit den riesigen wilden Augen. Nie im Leben hatte Agrippina etwas in so wütendem Schmerz gehaßt wie ihr Bild im Spiegel, nie jemanden mit so wütendem Schmerz geliebt wie Nero, der gegangen war.

Er war nicht weit gegangen. In dem leeren, dämmrigen, kalten Empfangssaal der Kaiserin-Mutter, in dem nur eine Wandfackel verloren brannte, stand er, an die Wand gelehnt, seine Wange an ihrem Marmor kühlend. Einen Augenblick dachte er, er hätte die Mutter rufen hören. Aber Mutter? Oh, die rief ihn nicht zurück. Erz, Granit, Marmor war ihr Herz. – Rom. Macht. Das war, was sie bewegte. Im Grunde verachtete sie ihn und liebte Britannicus.

»Auf der ganzen weiten Welt habe ich keinen Menschen, keinen einzigen Menschen, dem ich vertrauen kann«, dachte Nero. »Ich bin siebzehn Jahre alt und ärger verlassen, enttäuscht und verstoßen als Ödipus, denn dessen Blindheit hat die Tochter geleitet.«

Nero stand da, an Brust und Wangen durchkältet vom Marmor, und jählings war er Ödipus zu Kolonos, verstoßen von den Göttern, in Schuld verstrickt, geblendet.

Mit geschlossenen Lidern machte er tastende Schritte – große, tönende Verse der Klage im Ohr. – Da fühlte er plötzlich weiche Lippen auf seiner ausgestreckten Hand. Er schlug die Augen auf, erstaunt, in der schlecht erhellten Pracht des Saals Aktes im Knien aufgekehrtes Gesicht zu sehen.

»Herr!« murmelte Akte. »Du weinst ja! – Weine nicht!«

Erinnerung überkam sie beide zugleich, Nero war sie erstaunlich süß.

»Das hast du mich schon einmal gebeten«, flüsterte er und kam sich alt und groß vor und strich ihr über das blonde Haar, das ihre Schönheit war.

»Ja. Und seit damals schon liebe ich dich«, sagte Aktes griechisch schwebende Stimme. Sie sah anbetend in sein Gesicht auf, und dies Gesicht schien ihr so süß, so weich, daß sie es endlich, endlich wagte, ihn in ihre Arme zu ziehen. Seine Wange ruhte nicht mehr an dem kalten Marmor des Saales, sondern an dem warmen ihrer Brust, und er fühlte neue Küsse, während er dachte: »Wie stark ihr Herz schlägt, und ich dachte, es liebte mich niemand! – Ganz anders küßt sie – beinahe mütterlich. – Oh Jokaste!«

Und er war nicht mehr der geblendete Büßer, sondern der strahlende König Ödipus, der unschuldigschuldige Sohngemahl.

 

In Aktes schmalem, ordentlichem Zimmer, auf Aktes schmalem, sehr unordentlichem Bett lag Nero. Neben ihm kniete die Freigelassene, das weiße, breite, gutmütige und anbetende Gesicht verschönt von den gelösten Fluten hellen Haares.

Nero hatte die Arme über der Brust gekreuzt, wie in Abwehr und Ergebung zugleich. Seine rechte Hand umfaßte die linke Schulter, seine linke Hand die rechte. Manchmal schauerte er unter den hungrigen Küssen, die seinen Körper bedeckten, zusammen, aber er öffnete die Augen nicht. Seinen großen, feuchten Mund umspielte ein selbstsicheres, triumphierendes Lächeln, das glücklich war und vielleicht ein bißchen verächtlich.

»Mein kleiner Junge«, sagte Akte, »mein junger Gott, mein Herr, mein Meister!«

Ihre Lippen saugten sich, ein kleines, stechendes Schmerzgefühl erzeugend, an seinem Halse fest.

»Paris wird das Mal sehen!« dachte er, und dann mit Triumph: »Mag Paris es sehen!«

»Wie schön du bist!« sagte Akte, und Nero ließ sogleich die Arme zu Seiten des Körpers liegen und spannte die Muskeln an.

»Mein Hals ist zu dick!« sagte er entschuldigend. »Ich habe mit Bleiplatten auf der Brust schlafen müssen, um meine Stimme zu stärken.«

Aktes sanftes, bleiches Gesicht, das so helle Brauen und Wimpern hatte, strahlte ihn an, ein Vollmond der Verzückung. »Du hast eine so wunderbare Stimme, Herr!«

Nero öffnete zum erstenmal die Augen und richtete sich auf den Ellbogen auf.

»Du hast mich doch nie singen gehört«, sagte er überrascht, mißtrauisch und geschmeichelt.

»Natürlich, Herr! Beim Ceresfest im Park und bei den Juvenalien hast du gesungen.«

»Und du hast gelauscht, weiße Nymphe im Busch?« Er zog sie an den dichten, knisternden, duftenden Haaren zu sich heran. Er war vergnügt. Er lachte. Niemals noch war er mit einem Menschen so frei und gedankenlos umgegangen und niemals war er noch so entzückend gefunden worden. Zum erstenmal fühlte er sich völlig sicher.

»Was schwärmst du mich so an, du Törin?« fragte er fast zärtlich, und leiser: »Bist du glücklich?«

Sie nickte, die blonden Wimpern niederschlagend.

Er streifte das Gewand von ihrer runden Schulter. Ihre volle, bläulich geäderte Brust schien ihm keineswegs schön und keineswegs schien sie ihm erregend, aber dies war Aktes Körper und Akte war seine Geliebte.

»Wenn mich jemand vor drei Tagen gefragt hätte, ob ich Aktes Geliebter werden wolle –«, dachte er, »und es ist nicht zu leugnen, seit drei Tagen bin ich Aktes Geliebter. – Wie Burrus heute gegrinst hat, als ich beim Barrenschwung stürzte. Auf die Schulter hat er mir geklopft, der alte Affe. – Und wie Seneca gestrahlt hat. Sonderbar, womit man die Leute erfreuen kann. Sie tun alle, als hätte der Senat die Fasces meiner Lictoren für meinen Triumph in Aktes Bett bekränzt und nicht für Corbulos Triumph über die Parther! – Der ganze Palast – den Göttern sei Dank, Mutter ausgenommen! – weiß jetzt, daß Cäsar heute zum drittenmal bei Akte schläft, daß er ein Mann ist wie die anderen auch – ein Kettenglied der ewigen Kette. Sonderbar, daß bis zum Pontus hinab und bis zu den blaugefärbten Barbaren, von denen der Bernstein kommt, zu dieser Stunde Millionen von Männern dies gleiche zärtliche, ja – und auch süße Körperglück genießen und nichts von der panischen Gewalt, der verfluchten Lockung des anderen Eros ahnen. – Jetzt aber hat Britannicus nicht das Recht mehr, ein schiefes Maul zu ziehen. Ich habe, was sie haben, ich bin, was sie sind, und mehr als sie – viel mehr. – Und Octavia mit dem scharfen Blick dunkler Affenaugen, Octavia, einsam und für alle unantastbar – jetzt ist sie ausgestoßen und lächerlich. Oh – aber Mutter? – Wäre Mutter klug, sie würde Aktes Füße dafür küssen«, dachte Nero lächelnd, dies wahnsinnig-unmögliche Bild sich ausmalend.

»Was denkst du, Herr? Du bist so weit von mir fort!« murmelte Akte.

Er hatte beinahe vergessen, daß sie neben ihm kniete. Jetzt schloß er die Augen und sagte, als zitiere er ein Gedicht: »Ich liebe dich, meine blonde Geliebte!«

»O Herr!« stöhnte Akte hinschmelzend.

Er runzelte die Stirn, in die das von ägyptischen Wassern zu Goldglanz aufgehellte Haar fiel.

»Sag mir nicht Herr! Sag mir etwas Liebes. Kein Mensch ist zärtlich zu mir.«

»Mein Kind, mein Glück, mein Leben, meine Sonne –«, sagte Akte. Neros Finger griffen in die zarte goldene Kette, die Akte um den Hals trug und an der als Zierat ein elfenbeinerner, winziger Fisch mit rubinenen Augen hing, und an ihr zog er sie zu sich herab.

 

Agrippina war, von der Gluthitze des Tages und dem rhythmischen Schaukeln der Sänfte eingewiegt, in Halbschlummer verfallen.

Als ihr Zug vor dem Palasthügel hielt und Creperejus die Vorhänge für sie zurückschlug, konnte sie kaum die Entschlußkraft finden, sich vom Lager aufzurichten.

Die Germanen ihrer Leibwache, achtundzwanzig ausgewählte Riesen in Flügelhelmen, schwangen sich zugleich in einer großbewegten Welle von den hohen Schimmeln.

Als Agrippina den Schuh zu Boden setzte, war der Platz bereits angefüllt mit einer drängenden, stoßenden, murmelnden Menge, die herbeigeströmt war, die Kaiserin-Mutter zu sehen.

»Goldene Mutter! Juno soll dich segnen!«

»Bitte für uns, Priesterin!«

»Mütterchen, das uns den kleinen Gott geboren hat!«

Agrippina, jählings aus dem Halbschlaf gerissen, mühte sich zu lächeln. In der unerträglichen Glut dieses Julinachmittages zwang sie ihr Opferamt am Altar des zu den Göttern erhobenen Claudius, das schwerfaltige Gewand, die Haarbinde, die Schleierhülle der Oberpriesterin zu tragen. Sie hätte im Tempel des Gottkaisers den Abend abwarten und in den Hainen und Bädern Erfrischungen suchen können.

Statt dessen hatte sie Läufer und Träger heimgehetzt, um Neros Besuchsstunde nicht zu versäumen, zu der sie ihn nach Bad und Kleiderwechsel zu empfangen wünschte.

Sie folgte den Lictoren durch das Spalier der Germanen, die ihre Pferde kurz am Zügel hielten, sie faßte den Hauptschleier wie Matronen des vorcäsarischen Roms züchtig unterm Kinn mit der Rechten zusammen und hatte den Blick gesenkt. Hinter ihr folgten die sechs Hofdamen der Begleitung, die Freigelassenen.

Als Agrippina in die schattenkühle Halle eintrat, holte sie Atem. Sie sah Aceronia, die Oberste der Hofdamen, wartend stehen, den alten Haushofmeister mit Rechnungen, den Ansager mit Listen für den nächsten Empfang, ihre beiden Schreiber mit Akten, den Almosenier mit den Armen voll Bittschriften wie gewöhnlich, und sie meinte, vor Hitze, Müdigkeit und Ungeduld zu vergehen.

»Später! Später! Alles hat Zeit!« sagte sie schroff. Der Haushofmeister, den Bauch würdevoll vorschiebend, verbeugte sich, ein Wort schon auf den Lippen. – Sie wies ihn heftig fort. »Zuerst mein Bad!« befahl sie, den Hauptschleier so heftig abschüttelnd, daß die Binde, an der er befestigt war, sich mitlöste und verwirrte Strähnen des zurückgekämmten Haares herabfielen. – Im gleichen Augenblick fühlte Agrippina sich beobachtet und wandte das Gesicht. Links, zwischen den Vorhängen zum kleinen Empfangssaal, stand eine Frau und lächelte. Die Frau war wunderschön anzusehen, sie war meisterlich geschminkt, mit Geschmack gekleidet und wie ein Weihebild mit Juwelen geschmückt – und doch weiteten sich Agrippinas dunkle Augen, als sähen sie Unheilvolles.

Aber schnell gefaßt fuhr sie, wie in einer Geste überraschter Freude, glättend über das Haar, richtete sich auf und lächelte strahlend: »Lepida, was für eine Freude! Und was für strafbar lässige Diener, die versäumen, sie mir zu melden!« Agrippina sah das gekränkte mundspitzende Schweigen ihres Majordomus, entsann sich, ihm das Wort abgeschnitten zu haben, und sagte begütigend: »Ich weiß, ich weiß, ich selbst bin schuld gewesen, ich habe dich schweigen heißen!«

»Oh, aber du bist müde, Schwägerin, und sicherlich hat es dich erschüttert, an den armen Claudius zu denken! Ich werde zu gelegener Stunde kommen!« sagte Lepida und dachte erheitert: »Ihr Götter, als sie hereinkam und sich ritsch-ratsch wie ein Fischweib das Kopftuch abriß – welch ein Anblick!« Agrippina küßte Dame Lepida auf beide rosenweiche, rosenduftende Wangen, das gab ihr Zeit nachzudenken: »Welch Unglück ist geschehen, daß Lepida kommt, mir die Nachricht wie ein Gift der Locusta einzugeben? Nero – ihr Götter, hat es mit Nero zu tun? Ich muß es erfahren! Sie wird mich auf die Folter spannen –«

»Kann eine Stunde mir gelegener sein als die, die so lieben Besuch gebracht hat? Nero wird gleich hier sein – und wird sich freuen, die geliebte Tante bei mir zu finden!«

»An der ›geliebten Tante‹ ist sie fast erstickt, die Süße«, dachte Lepida, ihrer Freigelassenen winkend, die Fächer, Schweißtuch und Parfümfläschchen hinter ihr hertrug und ihr nun Luft zuzuwehen begann. Laut fragte sie: »Kommt er immer noch täglich, dieser vorbildlichste aller Söhne?«

Agrippinas Gesicht wurde weich im bejahenden Lächeln, sie nahm neben der Gastin im Empfangssaale Platz. Sie dachte: »Nun kann ich mich nicht mehr umziehen, weil ein böser Wind die Vettel dahergeweht hat!«

»Sie weiß nichts! Sie weiß noch nichts!« dachte Lepida triumphierend. »Und wie staubig und heiß sie aussieht und wie alt! Kein Mann, der uns hier zusammen sähe, würde uns das gleiche Alter geben, obgleich ich gerecht bin und zugestehe, daß sie noch immer eine gute Figur hat.«

Agrippina dachte: »Sie sieht so zügellos aus, wie sie ist! – Sie wird stark, die Dame Lepida, das macht sie alt. Alle Domitier werden dick! Wenn nur Nero die Anlage vom Vater nicht geerbt hat. – Dieser Busen! Sie sollte etwas dagegen tun! Wie sie lächelt! Sie ist gekommen, um mich in irgendeiner Weise, die ich noch nicht ahne, zu überrumpeln! Aber bei den Göttern, es wird ihr nicht gelingen!«

»Welch hübscher Einfall, mein Herz, mich so ungezwungen aufzusuchen!« sagte Agrippina bezaubernd liebenswürdig, während Sklavinnen auf einen Wink ihr den Spiegel vorhielten, ihr Haar glätteten, ihr das Oberkleid abnahmen. »Du entschuldigst, daß ich mit Ungezwungenheit vergelte?« Agrippina ließ ruhig einen Augenblick lang ihren herrlichen Nacken sehen, die Arme, die rund und schlank wie die einer Bildsäule schimmerten, den Busen ohne Makel, ehe die Dienerinnen, nebeneinander stehend, Lepida gleich einem Wandschirm den Blick auf sie verstellten, während sie die Kaiserin mit essenzgetränkten Tüchern abrieben.

»Sagtest du nicht eben, du erwartest den Kaiser?« fragte Lepida mit betontem Erstaunen.

Agrippina lächelte sie fast zärtlich an, als sie antwortete: »Du tadelst mich meiner Schamlosigkeit wegen mit Recht, süße Lepida. Gönne mir nur einen Augenblick, ehe ich meine Brust genau so keusch wie du verhülle!«

Die Gewandsklavinnen hatten ein weißes, golddurchwirktes Tuch mit eingeschnittener Halsöffnung behutsam über Agrippinas Haupt gezogen, die Schmucksklavin gürtete es unter der Brust mit einer schweren Goldkette. Die lebende Mauer teilte sich, Agrippina trat zu ihrem Gaste.

Ägypterinnen, unter durchsichtigem, gefälteltem Linnen nackt, brachten wohlriechende, stark gesüßte »Bissen der Ruhe«, Negerinnen, granitschwarz schimmernd neben dem Gold ihrer Krüge, schenkten schwerflüssigen Wein.

»Wie lange wir uns schon nicht gesehen haben! Und du wirst immer jünger, meine Süße!« schnurrte Lepida zerstreut. Ihr ganzes Interesse galt im Augenblick den Süßigkeiten. Ihre erlesene Hand, die ihr Leben lang nie nach Geräten der Arbeit, des Gebrauches gefaßt hatte und die so weich und glatt geblieben war wie das Händchen eines Säuglings, schwebte eine wählerische Weile über der Goldplatte, deren Gewicht die kniende Ägypterin mit angestrengt zitternden Armen stemmte. Dann fischte Lepidas Hand den köstlichsten Bissen und führte ihn ihren schon genießerisch halboffenen Lippen zu. Agrippina, bebend vor Ungeduld, winkte die Süßigkeiten fort, trank nur den Wein.

Lepida nippte, fuhr mit dem Zünglein über die geschminkten Lippen, wählte schon die nächste Süßigkeit mit den Augen und fragte zugleich grübchenlächelnd, vertraulich flüsternd: »Wo ist denn sie

»Wer?« fragte Agrippina gerade aufgerichtet, die Falten um den Mund scharf angespannt, denn sie fühlte, daß es jetzt kam, jetzt –

»Aber meine Süße! Mir gegenüber brauchst du nicht so verschwiegen zu sein! Und am Ende weiß es ja doch schon ganz Rom!«

Agrippina sah zu, wie Lepida vorsichtig an der honiggefüllten Süße knabberte, und dachte: »Was ist geschehen? Hat man Nero – nein, sie ist keine Heroldin von Todesnachrichten! Aber von Nachrichten, die tödlicher sind als der Tod! Wie sie sich freut! Nein! Sie soll mich nicht schwach sehen, nein!«

Und Agrippina brachte es über sich, lächelnd zu fragen: »Willst du nicht von diesen gefüllten Datteln versuchen? Mein Koch bereitet sie vorzüglich.«

»Jetzt zittert sie!« genoß Lepida. »Aber sie gibt nicht nach. Nero hat recht, sie ist härter als der Basalt der Ägypter. Aber heute kommt an mich die Reihe! Heute werde ich dich weinen sehen wie du damals mich!«

Und sie schwatzte unter fortwährendem genießerischen Abbeißen ihrer entzückenden Zähne von der Mandelpaste. »Ich dachte sogleich an dich! Ihr Götter, wie glücklich muß Agrippina sein! Und die arme Octavia! Also aufrichtig: du weißt nicht, wie leid mir dieses arme Kind getan hat, das seine schönsten Jahre vertrauert. Jetzt hat sie doch Hoffnung! Nicht?«

Agrippina, die während ihrer Folterqualen angestrengt lächelnd und steif wie eine etruskische Göttin dagesessen war, fragte: »Was hat das mit Octavia zu tun?«

»Aber meine Geliebte! Jetzt (ihre Augen! Sie wird doch nicht mit dem Dolch auf mich losgehen) – jetzt, da Nero für weibliche Reize empfänglich geworden ist.«

Agrippina feuchtete die Lippen an, um zu sagen: »Wovon sprichst du da eigentlich?«

»O Venus! Von Akte natürlich!«

»Akte ist die Geliebte des Serenus!!«

Lepida legte vorgebeugt ihre Hand auf Agrippinas Arm.

»Liebste, du brauchst wirklich nicht so verschwiegen zu sein! Ganz Rom weiß, daß Serenus bloß der vorgeschobene Mann ist und Nero der wirklich Beglückte!«

Agrippinas Schrei war so wenig zurückzuhalten wie der einer Kreißenden: »Akte?«

»Mir persönlich ist ja die gute Akte nie gerade so besonders anziehend vorgekommen. – Aber, weißt du, es haben gerade die Frauen den wahren Erfolg bei Männern, über deren Wirkung wir anderen am meisten den Kopf schütteln. Ja – Agrippina, meine Teure, du starrst mich so an! Ja, sage einmal, bist du denn vielleicht die einzige in Rom gewesen, die an das Serenusmärchen geglaubt hat? Oh, dann hätte ich dir wohl nichts sagen sollen? Verzeih! Aber wie konnte ich ahnen, daß ein so zärtlicher Sohn gerade seine Mutter in Unkenntnis –« Die Vorhänge klirrten zurück. »Ich höre von einem zärtlichen Sohn sprechen und fühle mich getroffen«, sagte Nero eintretend und dachte nach dem ersten Blick auf die Frauen: »Jetzt weiß Mutter es also! Zum Hades die Lepida! Mutters Gesicht! Oh! Sie wird toben!«

Er küßte die Wange der Mutter, die merklich fortzuckte, und die grübchenlächelnde der Tante, die sich ihm merklich darbot. »Welch schöne Überraschung, dich bei Mutter zu finden, Tante Lepida«, sagte er bezaubernd.

Agrippina schwieg.

»Ja, aber ich will nun die Zeit eures Beisammenseins keineswegs verkürzen!« sagte Lepida, und sie dachte: »Guter Junge, ich möchte jetzt nicht in deiner Haut stecken, wenn ihr allein bleibt. Sie kann's, Agrippina, oh, sie kann's, soviel mir Domitius erzählt hat. – Hübscher Junge. – Hübscher kleiner Mann.«

Sie lächelte zwischen bewegt zitternden langen Perlen-Ohrgehängen zu ihm auf und schnurrte: »Vergiß nicht, daß die einsame alte Tante dich übermorgen zum Speisen erwartet!«

»Bleib doch, Tante! Ich bin doch nicht gekommen, um dich zu vertreiben!« bat Nero mit verzweifelter Dringlichkeit.

Agrippina schwieg.

»Ich muß gehen, ich muß, o Vater des Vaterlandes!« lächelte sie zu ihm auf.

»Die würde auch nicht herb sein wie eine Vestalin!« dachte Nero, und sein neuer Blick glitt an ihr entlang. Laut wehrte er ab: »Nein, nein, diesen Würdenamen habe ich vor dem Senat abgelehnt, bis meine Jahre dazu passen!«

Lepida empfahl sich rasch von Agrippina, sie hatte, als sie in ihr Gesicht sah, Angst, ihre Wange zum Abschiedskuß zu bieten. »Du siehst aus, als würdest du mich beißen«, dachte sie. »Jetzt, Schwägerin, sind wir quitt für Passienus! – Dein Nero! Ein leutseliger Junge! Mein Sklave Paris, deine Sklavin Akte! – Ich bin's zufrieden, keine Kinder geboren zu haben!«

Sie schwebte von innerem Glück getragen zur Türe, an der ihre Begleitdame, ihre beiden Sklavinnen, ihre zwei Freigelassenen warteten. Nero geleitete sie und sein Lächeln erlosch, als er sich wandte.

Der Ausdruck von Qual, von verletztem Stolz, von fassungsloser Verstörtheit in Agrippinas Gesicht bewegte ihn. Er streckte die Hand schüchtern nach ihr aus, die hastig und stoßweise atmete. – »Mutter!« murmelte er.

Sie fuhr herum. »Rühr mich nicht an! Mit Händen, die meine Sklavin angetastet haben!«

»Mutter, du solltest Akte –«, begann er.

»Geh doch zu ihr! Was suchst du noch bei mir? Eine Sklavin ist meine Nebenbuhlerin in deinem Herzen! Eine Magd ist meine Schwiegertochter! Akte! Wenn sie wenigstens strahlend wäre! Und jung! – Nein, eine Dreißigjährige mit einem nichtssagenden Gesicht, dick, ohne Grazie, kaum genug, die Lust der Prätorianer zu stillen!«

»Mutter, was ich wähle, hat nicht das Glück, deinen Beifall zu finden!«

»Nein! Hast du gedacht, die Tochter des Germanicus würde deinen Schändlichkeiten Beifall klatschen? – Soll es einer Mutter recht sein, ihren Sohn als Beutelschneider zu sehen – nur weil er vordem als Mörder im Wald gelebt hat?«

»Von Mördern sollte zwischen uns nicht die Rede gehn, Mutter«, sagte Nero gesenkten Blicks und leise.

»Was?« blitzte Agrippina. »Willst du dich zum Richter aufwerfen über mich? Willst du der Mutter vorwerfen, was sie für dich, für deine Zukunft, für deine Herrlichkeit getan hat?«

»Nein, Mutter! Du hast es getan, aber es ist nicht für mich getan worden!«

»Was sagst du da? Nicht für dich?«

»Nein, Mutter! Denn du wußtest, daß ich nicht zum Cäsar geboren bin!«

»Lächerlich! Du mit deinen Gaben!«

»Ich habe Gaben. Aber die des Cäsar sind es nicht.«

»Du? Niemand hat einen wilderen Ehrgeiz, vergöttert als einzelner aus der Menge zu ragen, getragen vom Beifall der dunklen Masse!«

»Ja, Mutter. Ja! Das will ich!«

»Nun, also!«

»Aber nicht als Cäsar! Als Künstler will ich es! Ich würde mein Leben dafür geben, im Amphitheater beifallumrauscht den Kranz zu empfangen. Ich gäbe mein Leben dafür, tanzen, deklamieren, Kythara spielen, singen zu dürfen, und ich weiß, daß ich es kann!«

»Sonst hast du keine Narrenreden im Vorrat, um deiner Mutter das Herz zu brechen? Du undankbarstes Geschöpf der ganzen Erde! Man hebt ihn auf den Thron der Welt und erntet nichts als Kränkungen! Was für ein Glück, ihr Götter, daß noch der wahre Erbe lebt!«

»Mach ihn zum Cäsar, Mutter, deinen Britannicus! Meinst du, das schrecke mich? Laß mich mit Akte nach Griechenland gehen! Ich will in Rhodos leben und von nichts als meiner Kunst wissen!«

Agrippina war mit zwei Schritten bei ihm, ihre Blicke in die seinen bohrend.

»Akte – so liebst du sie?« stammelte sie.

»Ich liebe die Kunst, Mutter!« schrie er, als wolle er sich einer Schwerhörigen verständlich machen.

»Du willst Britannicus den Thron – um mit Akte nach Rhodos –«, stammelte sie, der Sprache kaum noch mächtig.

»Nein, Mutter – also ohne Akte, wenn du willst! Aber nach Rhodos, wo die besten Musiker leben!«

Geschüttelt von Angst, die Hand an der Stirne, hinter der die Gedanken kreisten, sagte Agrippina:

»Nero – ich – ich bin heftig zu dir gewesen. Vielleicht war ich immer zu hart gegen dich – aber ich dachte, einen vaterlosen Knaben dürfe Frauenwirtschaft nicht verwöhnen. Nero, ich werde euch mein Haus an der Appischen Straße schenken, damit du sie nicht in Serenus' Haus sehen mußt. – Ich werde ihr verzeihen, Nero. Ich will tun, was du willst. Aber um aller Götter willen, Nero, sage mir, daß du nicht mehr an solchen Wahnsinn denken wirst, der mich tötet!«

»Woran, Mutter?«

»Daß du dem Britannicus – daß du dem Diadem entsagen – o Nero, sage, daß du mich nur schrecken wolltest, weil ich ungerecht und streng war. Sag es, und ich will nie mehr – nie mehr deinen Wegen nachfragen. Liebst du Akte so sehr?«

»Man soll nicht versuchen, wahr zu sein«, dachte Nero. »Man soll nicht versuchen, sich einem Menschen verständlich machen zu wollen –«

»Ja, Mutter«, sagte er müde.

 

Das Haus, in dem Lepida wohnte, seit die Volljährigkeitserklärung Nero das Besitzrecht auf den Palast der Domitier gegeben hatte, schien klein und ärmlich neben dem säulenprunkenden Venustempel. Von der Straße her sah man nichts als die Ziegelmauer, die auf den Quaderresten des uralten Schutzwalles aufgeführt war, und die schwarze Silhouette von Zypressenwipfeln.

Aber hatten die Sänftenträger keuchend die unzähligen Stufen erklommen und tat sich das Bronzetor auf, sah man wohl, warum Lepida dies Haus gewählt hatte. Die Säulen des Vordachs, die aus einem hellenischen Heiligtum stammten, waren umwuchert von Rosen. Der reife Sommer spannte seine Triumphbögen strotzender Rosenranken über die Wege. Der Durchblick durch alle weit offenen Türen bis zum statuenleuchtenden Innenhöfchen und dann ganz hindurch bis auf die römische Lasur des freien Himmels gab ein Gefühl von Weite und Inselhaftigkeit zugleich, als befände man sich auf Deck eines schwimmenden Schiffes. Der winzige Garten, dem ein alter ägyptischer Gärtner seine ganze Kunst geschenkt hatte, war berühmt. Und berühmt war der goldhaltige Bronzeguß des Knäbchens, auf das alle Springbrunnen des Beckens rundbogig zielten, während der Kleine mit Grübchenarmen und fettfaltigen Knien bemüht schien, einen schweifschlagend entgleitenden Lachs festzuhalten. Die weißen Tauben des nachbarlichen Venustempels füllten die Luft mit Rucksen und Gurren.

Die ägyptischen Katzen der Lepida, zahllos und in der göttlichen Unbekümmertheit von jahrhundertelang verwöhnten Lieblingen, bevölkerten Dächer, Podeste und Wege.

Nero dehnte sich wie sie in einem trägen Gefühl des Friedens. »Ach, es ist schön, sich von dir verwöhnen zu lassen, Tante Lepida!« sagte er.

Sie lagen Seite an Seite auf Schilflagern unter einem Schirmdach, das rötlich verjüngende Lichter auf Lepida warf. Eine Negerin, eine Nubierin, eine Ägypterin, die neben ihr knieten, gaben Farbenübergänge zu dem Schleierweiß ihrer Schultern. Sie schüttelte lachend den seit gestern germanisch-blonden Kopf, und die Glöckchen ihrer Ohrreifen klingelten. Sie drehte ihre hellbraunen, lachenden Augen zum Himmel und hin und her, daß man das klare Weiß um die Iris sah. »Oooch, wie er die arme Lepida verspottet, der große Cäsar – und ihr armseliges Hügelhäuschen und die Langeweile der Stunden bei ihr, die nur seine Großmut ihn ertragen läßt.« – Ihre leichte Hand mit geschminkten Nägeln, die wie lange, sehr schmale Goldovale wirkten, streichelte seinen Nacken hinterm Ohr.

»Verrate es mir, Cäsar, wie fängt man es an, dir zu gefallen? Belehre eine einsame, alte Frau« – Nero zwinkerte ihr zu und ließ seine Zunge schnalzen –, »denn meine ganze, mühsam gesammelte Erfahrung bei Männern versagt! – Wie, beim Eros, muß man es anfangen, um den ersten Mann von Rom zu fesseln? Einen Mann, der lieber des Hermes verschlungene Wege ging als die der Nachbarin Venus? Einen sehr jungen Mann! Einen recht klugen jungen Mann! Einen – man darf wohl sagen – nicht unebenen jungen Mann! Einen Mann mit der bezauberndsten Baritonstimme! Den jugendlichen Gott aller Frauen von Latium, nach dem alle Schönheiten in den Sänften lange Hälse machen –«

»Tun sie das?« lächelte Nero.

»Sie tun es. – Und diesen Mann erobert eine Frau seien wir doch ehrlich! – zwar gebildet, aber keineswegs etwa geistreich – zwar äußerst sympathisch, aber keineswegs etwa schön! Voll Güte und Herzensanmut, aber keineswegs etwa hochgeboren! Sage mir, Goldener, wie also vollbringt man dieses Wunder?«

Nero schien nicht zu hören. Er gähnte, er dehnte sich.

»Nero?« fragte Lepida und näherte ihr lächelndes, fragendes Gesicht dem seinen.

»Man liebt ihn. Man begehrt ihn«, sagte Nero. »Tun das nicht viele?«

»Nein. Nicht so besessen. Nicht so fürs ganze Leben. Für ihr ganzes Leben, wohlverstanden.«

Er nahm einen der Kuchen, schloß zielend ein Auge und warf ihn wie einen Stein mitten unter die Schar der Tauben, die sich in einer einzigen knatternden Flügelwolke emporwarfen, um sogleich zurückkehrend zu kröpfen.

»Und du? Liebst du sie?«

»Manchmal«, lächelte Nero zweideutig. »Du hast angenehme Hände, Lepida.«

»Und – die andere Person – die frühere Person, meine ich?«

Nero öffnete blitzschnell die Augen. »Wie, wenn ich dich das fragte?«

Lepida lächelte und zuckte mehrmals die Schultern.

»Das freut mich«, sagte Nero, die Augen wieder unter der Liebkosung ihrer Hand schließend. »Denn jetzt habe ich die Absicht, dir Paris endlich ganz fortzunehmen. – Laß!«

Lepida hatte die Hand zurückgezogen. Sie überlegte einen kleinen Augenblick. Dann sagte sie, ihr bezauberndes Gesicht seinem beobachtenden Blick zugekehrt: »Das kann Cäsar nicht tun. Cäsar kann doch nicht gegen das Freigelassenengesetz verstoßen!«

»Kann Cäsar nicht? Cäsar kann alles. Sogar das Freigelassenengesetz ändern!«

»Auf keinen Fall Schärfe! Davon hat er genug bei Agrippina! Vielleicht besteht er dann nicht darauf!« dachte Lepida. Und sie sagte gleichgültig liebenswürdig: »Das Lamm des Armen ist der Götter liebstes Opfer! Also liebt der jugendliche Gott das Lamm wahrhaftig?«

»Ach!« machte Nero ärgerlich. »Ihr redet so viel von Liebe. Ihr liebt immer alle so vielerlei! Blumen! Und Gärten! Und Katzen und Hunde! Und die süßen Kinderchen! Und was weiß ich alles – ja natürlich: Rom, Rom vor allem! Könnt ihr euch nicht vorstellen, daß man einen Menschen einfach brauchen kann, daß man an ihn gewöhnt ist? Ich dachte, du zumindest wärest dazu imstande. Mutter kann das nicht. Übrigens, da wir gerade von ihr reden – warum hassest du Mutter so?«

»Ich? Aber Goldener! Was fällt dir ein?«

»Ist es wegen meines Vaters? – Oder wegen Passienus?« Er sah plötzlich um Lepidas entzückenden Mund eine harte, bittere Falte entstehen und sagte: »Also wegen Passienus! – Warum? Weil er sich von dir scheiden ließ, um Mutter zu heiraten? Sonderbar! Ich hätte nicht gedacht, daß du weinen kannst!«

Lepida schnippte, und Eje, die Ägypterin, tupfte ihr mit einem Byssustüchlein die Tränen von den Wangen. »Ich muß dich bitten, zu verzeihen!« sagte sie, vor dem Spiegel ihre Locken zurückstreichend, »das sind alte, lang versunkene Geschichten.«

»Nur noch eines. Passienus starb während Mutters Verbannungszeit?«

»Er brachte sich um, wenn du es wissen willst.« Wieder der bittere Zug um den schönen Mund. »Viel Glück hat Agrippina ihren drei Gatten nicht gebracht.«

Nero sah den Batiskätzchen zu, die spielend über den roten Kies tollten. Er sagte seufzend:

»Man kann mit Mutter nicht leben.«

In Lepidas Lachen klingelten ihre goldenen Ohrglöckchen.

»Schon dein Vater war genau der gleichen Meinung, mein Goldener!«

»Ich mag tun, was ich will, es ist umsonst!« sagte Nero.

»Du kanntest sie doch, wußtest du nicht, daß wenn du ihr das Prunkdiadem und Festkleid der großen Livia schenktest, sie nur darauf antworten würde: Du hättest sie mit einem Bruchteil des Schatzes abgespeist, der ihr doch ganz gehöre?«

»Es scheint, die Spione der Dame Lepida stehen hoch im Sold?«

Lepida schüttelte ganz nah vor ihm ihren schönen Kopf. »Die Dame Lepida hat das keineswegs nötig! Agrippinas tragendes Organ überhebt sie der Mühe!«

Nero sagte unmutig: »Ich hatte wirklich gedacht, das Geschenk würde sie freuen.«

»O du armer Junge! Mein armer, süßer Junge! – Beiß nicht an den Nägeln, Herr! Cäsaren tun das nicht! – Komm! Ein Küßchen zum Troste!«

Und nach dem Kuß auf seine vollen, feucht sich teilenden Lippen sagte Lepida leicht und heiter plaudernd: »Ich bewundere deine Großmut und Güte, Cäsar! Wirklich, ich bewundere sie von Herzen! Welcher andere Fürst an deiner Statt würde soviel Geduld aufbringen, wenn ihm unablässig mit einem anderen Thronprätendenten gedroht würde. Britannicus, dem wahren Erben, dem echten Reis, dem wirklichen Cäsar?« Sie wich Neros brennendem Blick aus, während sie mit dem Finger über die schuppige Vipernhaut in seinem Goldarmband hin und her strich. »Es zeugt wirklich von deinem braven Herzen, wie du dies hinnimmst, das ewige Drohen, dem schlimmen Kinde die Cäsarenwürde, das geliehene Spielzeug, wieder fortzunehmen, falls es ungehorsam ist. – Wirklich!« Lepida neigte sich schnell und küßte seine Hand. »Man muß dir dafür die Hände küssen. Jeder andere Cäsar hätte Agrippina längst die Möglichkeit genommen, mit einem zweiten Erben drohen zu können –«

Nero sprang auf, und Lepida erhob sich süß lächelnd.

»Oh! Entführen uns wichtige Staatsgeschäfte schon den hohen Gast? – Wie immer Cäsar seine Gaben zumißt, der Dank ist unser!«

»Lepida!« stieß Nero hervor. Seine Augen schienen fast schwarz in dem fahlen Gesicht.

Er begegnete ihrem spöttisch wartenden Blick. Er brach ab und wandte sich ohne Abschied.

Sie sah ihm nach – sah ihn durch das ganze offene Haus hin nach der Vorhalle stürmen, wo die Lictoren und Wachen warteten. Sie begegnete dem verschmitzten, wachen Blick der ägyptischen Sklavin und befahl, sich aufs Ruhebett zurücklegend: »Geh, Eje, Paris soll kommen. Heute wird Cäsar ihn nicht rufen lassen.«

 

Der Claudianische Speisesaal war überschwemmt von gelben Hyazinthen. Gewinde hingen wie Tropfgestein von der Decke. Girlanden schlangen sich von grüner Säule zu Säule, lose Glockentrauben übergossen die Tische – Kränze schmückten die Aufwärter, die Krüge, die Tafelnden.

An der »langen Tafel« lag Agrippina auf dem Hausfrauenplatz zwischen Neros Gast Lepida und ihrem Gaste Pallas.

An der »kleinen Tafel« hatte Nero sitzend den Ehrenplatz inne, der dem Fürsten der Jugend gebührte, zwischen ihm und Britannicus, Piso gegenüber, saß Octavia, stets aufs höflichste bei ihrem Erscheinen von Nero begrüßt und aufs unhöflichste abendlang von ihm übersehen. Seit Tagen war man gewöhnt gewesen, Nero beim Mahle mit unmutig vorgeschobenen Lippen brütend zu sehen. Er hatte sogar den Verstoß begangen, an diesem Tisch der Jungen – an dem Wein verpönt war –, seinen Schenken herbeizuwinken und, wenn er getrunken hatte, mit Pollio, Otho, Senecio flüsternd sich zu unterhalten, hie und da in Gelächter einer geheimen Heiterkeit ausbrechend, von der die anderen ausgeschlossen blieben.

Heute aber schien Nero freundlich und festlich gelaunt. Er hatte bei seinem Eintritt den erstaunten Britannicus mit einem gehauchten Doppelkuß begrüßt, Piso zugewinkt, Octavia strahlend angelächelt.

Britannicus hatte, die Nüstern weitend, ausgerufen: »Oh! Hyazinthen! Die lieb' ich am meisten!« Und Nero hatte weithin hörbar Senecio mit der Miene eines guten Erbonkels zugeflüstert: »Darum sind sie ja bestellt worden!«

Piso sah Octavias dunkle Augen in sprechender Sorge auf sich gerichtet und seine Augen lächelten Beruhigung. Dann wandte er keinen Blick mehr von Nero ab, um zu erforschen, was diese jähe Veränderung besagen wolle.

»Gestern hockte er da wie eine stumpfäugige, geduckte Kröte. Heute scheint er zauberisch verwandelt, belebt und angeregt, bemüht, Wohlbehagen und Interesse zu erwecken. Dem, der ihn heute zum ersten Male sähe, schiene er schöner als der schöne Senecio. Und doch ist mir, als gehörte dies alles nicht zu ihm, sondern gleichsam nur zu einer Rolle, die er heut eben darstellt! – Trotzdem, er spielt sie gut, die Rolle des Hexenmeisters, das will ich nicht leugnen. Was aber ist der Grund? Will er Agrippina versöhnen, nach der er jetzt eben mitten im Reden geschielt hat wie ein kleiner Klient nach seinem Gönner? – Er erzählt überlegen und wirkungssicher, seine ganze frühere Schüchternheit hat er abgelegt! Ausgezeichnet, wie er Thrasäa Pätus als Senatsredner nachahmt! Wahrhaftig, sein dicker Hals ist plötzlich lang und dürr geworden! Und die Kopfhaltung! Die Stimme! Ganz Pätus, ›der letzte Republikaner‹. – Man hat so viel über Neros Wunsch, Mime zu werden, gelacht, aber es ist vielleicht wirklich möglich, daß er alle Welt hingerissen hätte –«

Und Piso klatschte Beifall wie der entzückt kichernde Britannicus, wie die strahlende Lepida, wie der schöne Senecio, der kentaurenhaft lachende Otho, der dienstlich zusammengenommene Pollio, der vornehme Pallas.

Nur Agrippina und Octavia klatschten nicht.

Nero sah es. Er begann jetzt, ganz zu Agrippina gekehrt, von der Gerichtssitzung zu berichten, der er heute beigewohnt habe, »wie es zur Zeit seines Erdenwandels des göttlichen Claudius Brauch war«.

Oh, es sei kein besonderer Fall gewesen, bloß eine Klage sämtlicher Mieter eines Hauses in der Suburra gegen den Hausherrn, der die halbeingestürzte Stiege herzustellen ungebührlich zögere. »Der Hausherr ist der würdige Senator Mamilius«, erklärte Nero – und jählings war er Mamilius, feistbäuchig unter der Toga, mit einer schlagflußdrohenden Fettwulst im Nacken, schnaufend vor Empörung, daß man von ihm, dem Manne mit dem Patrizierring am Finger, verlange, für solche Plebs seine guten Sesterzen auszugeben. – Er war der Richter, bestrebt, seine servile Angst vor dem großen Herrn mit seinem bißchen Amtswürde in Einklang zu bringen. Er war der fuchtelnde Fleischer mit der Säufernase, der rührend-verhungerte Philosoph, die Fischhändlerin von der Ecke drüben, die Dirne, die Mamilius und aller Welt schöne Augen macht, und er war sie alle zusammen, ihr keifendes Stimmengewirr in einem Chor, den am Ende der Richterspruch zugunsten des großen Herrn zu einem tückisch-empörten Murmeln verebben ließ.

Und Nero stand da, erhitzt, mit feuchten Lippen lächelnd, und dachte: »Wenn ich will, so hab' ich euch ja doch alle, alle, selbst Mutter!« und er vergaß alles andere über diesen Triumph. Britannicus bog sich weit vor, noch die Lachtränen in seinen hübschen Augen. »Nero!« stieß er hervor. »Wundervoll, Nero! Nein! Was du für Histörchen weißt! Ich bitte dich, guter, süßer Nero, erzähl uns noch ein Histörchen!«

Nero fuhr mit seiner runden weißen Hand über den Kopf des Knaben. »Ich weiß keine mehr«, zögerte er.

»Bitte! Ich seh doch, daß du noch eines weißt! Bitte! Bitte! Er soll uns noch ein Histörchen erzählen!«

Lepida, an der langen Tafel, beugte sich vor und lächelte: »Freut's dich nicht, Agrippina, wie sich die Kinder vertragen?«

»Also gut«, nickte Nero.

Britannicus jubelte auf, lehnte sich gespannt zurück und rief händeklatschend: »Hylas! Durst! – Also, Nero?«

Lepida allein sah Neros Augen dunkel werden.

»Als ich aus dem Gerichtssaal ging«, begann er – seine Stimme war gepreßt.

Der alte Sklave Hylas kam mit dem Becher warmen Wassers und kostete vor, Piso sah, daß Rauch aus dem Kelch aufstieg, »zu heiß!«, warnte er, und der Alte schlurfte zurück, um Schneewasser nachzugießen.

»Also, Nero? Weiter!« drängte Britannicus.

»– da hatte ich eine sonderbare Begegnung«, fuhr Nero fort, die Augen halb geschlossen – ein rätselhaftes Lächeln um den unziemlichen Mund.

»Ihr habt wohl alle von der berühmten Locusta gehört?« fragte er mit plötzlich scharfer Stimme, ohne jemanden anzusehen, und zog dabei fast unmerklich das gelbe Seidentuch ab, das er um den zu starken Hals geschlungen trug. – »Nun, sie war eben wegen einer ihrer Giftmischereien verurteilt worden und hätte gehenkt werden sollen, aber wer immer sich auch für sie verwendet haben mag – der Tribun ließ sie da eben frei.«

In der atemlosen Stille hörte man das Knacken der Lagerstätten, da die Hörer unruhig ihre Lage wechselten.

»Ich hatte sie nie vorher gesehen«, erzählte Nero völlig ruhig, völlig zusammengenommen, »und als ich ihr jetzt begegnete, versagte mir der Atem. – Sie ist einst die schönste Hetäre von Rom gewesen, sagte man mir –« Nero sah Hylas mit dem Becher, den er um keinen Preis vorkosten durfte, heranschlurfen, und plötzlich tat er die Augen groß auf und sprach Piso unvermutet an: »Und deinen Vater, Piso, hat sie geliebt! Er verließ sie, wie das nun eben vorkommt, und da braute Locusta für ihn den ersten ihrer Tränke. – Aber die überhitzte Phiole barst in der Flamme, das gräßliche Gift spritzte in ihr Gesicht, brannte das eine Auge aus, verzehrte ihre Schönheit zur Fratze der Phorkyas. – So!« Nero hatte mit kaum wahrnehmbarer Bewegung das Halstuch über die eine Gesichtshälfte gezogen – jetzt verknotete er es unter dem Kinn.

Irgendeiner der Schenkknaben schrie auf.

Denn dämonisch drohend glotzte aus dem einen weißen Augenball ein ungeheuerlich versehrtes, verschwollenes, verdorbenes, böses Traumgesicht – verzerrte Lippen klafften grinsend über den Eberzahn. Fingerstümpfe schienen nach dem Schaudernden krallig zu fassen.

»O Götter! Nero! Nein! Das ist aber eine alte Gifthexe!« Britannicus wandte sich nach Hylas, der mit dem Becher hinter ihm stand. – Und Nero, langsam die Schleife aufknotend, das Tuch vom Antlitz ziehend, das aufs neue sein Antlitz war, sah zu, wie Britannicus ansetzte und trank. – Britannicus trank, endlich trank Britannicus!

Hastig, eifrig, als wollte der Knabe weitersprechen, wandte er sich Nero zu – da schien es, als habe er sich verschluckt. Er zog krampfhaft und röchelnd den Atem ein, mit aufgerissenen Augen schien er nach einem Wort zu ringen. Er tat, die Hand am Halse, zwei, drei taumelnde Schritte – dann sackte er hin. »Britannicus!!!« schrie Agrippina gellend auf. Es sah aus, als wolle sie zu ihm stürzen. Nero lehnte sich in seinen Sessel zurück.

»Störe dich nicht, Mutter!« sagte er. »Das ist seine alte Fallsucht, die ich seit Jahren an ihm kenne! Wenn wir ihm ein wenig Ruhe gönnen, so werden Blick und Sprache bald wiederkehren. Otho und Pollio werden so freundlich sein, meinen Bruder auf jenes Lager drüben zu betten!«

Dienstlich klirrend sprang Pollio auf und er und Otho, der die Muskeln eines Athleten besaß, hoben den armen, starren Körper, betteten ihn, deckten ihn mit Pollios Reitermantel zu. Lepida lag auf ihrem Lager und genoß die Gesichter. Sie sah, wie der dicke Vitellius und Pallas aus dem Saale schlichen. Sie sah die fassungslose Agrippina an und dachte: »Sie sieht aus, als wollte sie Britannicus den Mantel abreißen und allen sein verfärbtes Gesicht zeigen! – Kein Wunder! Ich habe Fechterszenen genug gesehen, aber dies Kind, das eben noch gelacht hatte – wahrhaftig, mir lief es eisig über den Rücken. Ja, meine liebe Agrippina, so steht's! Jetzt hast du keinen zweiten Erben mehr, um Nero gefügig zu machen! Wie schade, daß du niemals sicher sein wirst, daß das mein Werk war!«

Lepida sah süß zu Nero hinüber, der ungemischten Wein trank. »Es gibt ein gemeinsames Geheimnis zwischen uns beiden«, sagte ihr Blick.

Neros Gesicht begegnete ihr eiskalt.

»Du irrst, es gibt nichts Gemeinsames zwischen dir und mir –«, sagte Neros Gesicht.

Im völligen Schweigen hörte man Agrippinas keuchenden Atem gehen.

»Wirklich, dieses geringe Unwohlsein scheint alle Tafelfreude verjagt zu haben«, sagte Nero angestrengt lächelnd. »Wo bleibt die Musik? Wo bleiben die griechischen Sängerinnen?« Und er dachte: »Sie haben seine Wange schlecht zugedeckt! Und jetzt wird die Wange blau – ihr Götter! – Hat Mutter es gesehen? O ja! O ja! Wie sie mich anstarrt. Was ist das für ein neuer Blick? Haß? Nein, es ist nicht Haß. Verachtung? Pah! Wie sollte sie? Sie kennt Locusta von früher her. – Der Vorkoster Hylas muß auch weg, er hat geweint, der Tölpel – der verrät mich jedem, der fragt – er muß weg! Angst? Oh! Mutter hat vor mir Angst! – Das ist es! Die große Julia Agrippina Augusta hat Angst! – Endlich bin ich Kaiser von Rom. Endlich! – Octavia allein hat keine Miene verändert. Wie sie dasitzt, totenweiß – das heißt, es gibt auch totenblaue Tote! Aber es sieht wahrhaftig aus, als äße sie ihr Zuckerwerk weiter! Langnäsiges, versteintes, verhaßtes Gesicht! – Oh! Aber da funkelt nackter Haß mich an! Piso! – So haßt mich Piso? – Es sieht aus, als wollte er mich morden – Mord! – Ich habe einen Mord begangen! – Siebzehn Jahre alt und schon ein Mörder! Oh! – Meine Knie zittern, meine Hände zittern – ich sollte nicht immer nur trinken, sondern sollte reden, sollte lachen! – Ich habe Fieber – meine Stimme versagt mir, hat man vielleicht auch mir Gift –? Unsinn! Ich muß mich beherrschen! – Pah! Auch Mutter hat gemordet – nun und? – Lebt sie nicht vergnüglich weiter? Vielleicht werden sie mich zum Oberpriester des Gottes Britannicus machen! – Oh! Wie Piso jetzt eben Octavia angesehen hat! So, als liebte er sie! – Ach, das ist aber interessant! – Nein, nein, ich täusche mich, er ist seit einem halben Jahr erst mit der prallen Galla verheiratet und sollte die Octavia lieben? – Was! Ich täuschte mich nicht! Er liebt sie, der Narr, liebt die Entenschnabel-Octavia! Götter! Wenn das wahr wäre! Wenn sie ihre Jungfräulichkeit verlöre – ich könnte sie ja auf Ehebruch und Scheidung klagen – welche Wonne! – Was tut man nur, was macht man nur, damit sie sie verliert? Man müßte ihm Eingang bei ihr verschaffen als Tribun ihrer Leibwache, oder sonst! – O Fortuna, dann wäre ich den Bruder und die Schwester los!«

Agrippina lag da und sah auf dies Stückchen blauverfärbte Wange.

»Claudius!« dachte sie. »Genau wie bei Claudius! Ich höre das Viperngezisch, da ihr eure Locken schüttelt, Eumeniden! Claudius war alt. Aber dies Kind von einem anderen Kinde hingemordet! – Wie Nero mich unverwandt ansieht. Er wird mich töten, die Chaldäer haben es mir gesagt, er wird seine Mutter töten! – Nein, nein, nein! Er wird es nie tun, nie, – er weiß doch, daß er mein Alles auf Erden ist! Ich trage die Schuld am Mord des Britannicus, denn ich habe Nero ihn fürchten machen! Oh! Hätte ich es doch nicht getan! Ihr straft schnell, ihr straft hart, ihr großen Götter!«

»Mutter weint!« dachte Nero. »Ist das möglich? – Wen beweint sie? Britannicus? Oder sich? Oder mich?«

Lepida sah gebannt wie von einem seltenen Zirkusspiel zu, wie die schweren Tränen in Agrippinas scharfen Mundwinkeln abwärtsliefen.

 

Piso kam raschen Schrittes von der Hauptwache her über den weiten Hof, der von winterlichem Mondlicht überflutet lag. Die Wachen, die im klirrenden Gleichschritt, ihre Speere geschultert, aufeinander zustrebten, rissen sich zum Gruß zusammen, als sie Helmbusch und goldene Rüstung des Befehlshabers erkannten. Piso grüßte stumm, maß mit scharfem Blick Ausrüstung und Waffen und ging weiter. Die Germanenwache beim Torbogen zum Innenhof hatte er sich als letzte der Runde vorbehalten. – Aber als er auch ihre Parole abgenommen hatte, kehrte er trotzdem nicht um, sondern schlenderte nach dem gedeckten Torgang weiter.

Hier brannte eine einzige Öllaterne, denn die Kaiserin verließ des Abends niemals ihre Gemächer, und der Besuch der Kaiserin-Mutter war nicht zu erwarten. In der fast völligen Finsternis stand Piso ungewiß still, da sagte eine junge griechische Stimme: »Hier bin ich, Herr!« und zugleich fühlte Piso, daß der bereitgehaltene Mantel ihm um die Schultern geworfen wurde, ein Sklavenmantel, der kratzte und dessen Loden roch wie ein Hund, der aus dem Regen kommt. Piso nahm den Helm ab, den eine Hand ergriff, und zog die Kapuze über.

»Vier Stufen abwärts, Herr!« warnte der Führer, und eine Hand faßte leitend Pisos Ellbogen. Sie gingen stufenab, stufenauf, passierten eisigkalte Gänge, kamen an einem Fensterbogen vorbei und sahen im unwahrscheinlich blauen Mondlicht die Flügelhelme der Germanenwache drunten glitzern. Eine Türe schwang auf und stieß an Pisos Fuß. Das halbe Dämmern eines Sklavenganges.

»Jetzt müssen wir nur noch trachten, an der Wache vorbeizukommen!« lächelte der junge Grieche Piso an. Sie besahen einander mit Sympathie.

»Das ist ein Gesicht, dem man vertrauen kann«, dachte Piso. Und: »Natürlich liebt sie einen, der so aussieht!« dachte Eucerus.

Sie gingen schweigend und schnell den endlosen Gang hin. Plötzlich fluchte der Grieche leise und blieb stehen. Aus einer weit offenen Türe brach heller Lichtschein. Man hörte Würfelkollern. »Vier! Fünf!« sagte drinnen eine Baßstimme in fremdem Dialekt.

»Wir müssen vorbei, Herr!« hauchte der Sklave.

Piso nickte.

»Drei! Zwei! Hurenpech, verdammtes!« fluchte es drinnen.

»Na also, jetzt kommt Galba mit dem Wein!« Ein riesiger Gallier sprang vom Tische auf und kam zur Türe. »Daß du endlich kommst, fauler Tölpel! Dich sollte man um den Tod schicken!«

»Ich bin es nur, Eucerus! Der Flötenspieler der Kaiserin!« lachte der Grieche den Soldaten an. Stimmen fragten drinnen, und der Gallier sprach über die Schulter zurück: »Der Grieche, der dem armen Hühnchen zur Gesellschaft was vordudelt. – Na, geh nur!« und da Piso vorüberglitt: »Halt! Wer ist denn der da?« »Mein Bruder Eumetos«, sagte der Grieche schnell, »er soll die Kythara spielen!«

»Geht nur, macht es gut, damit sie auch einmal ein bißchen Vergnügen hat, die Octavia!« sagte der Gallier freundlich und ging zu seinen Würfeln zurück.

Piso dachte mit brennendem Schmerz im Herzen: »Die erste Frau von Rom, die Frau, die ich liebe, hängt von dem plumpen Mitleid solch eines Barbarentölpels ab.«

»Hier ist schon Charis, Herr!« sagte der Flötenspieler. Eine Sklavin glitt heran und nahm Piso den Mantel ab. Schöne Augen strahlten ihn an, die aussahen, als hätten sie viel geweint. Piso sah sich unter der Platane liegen und hörte Britannicus sagen: »Ich bin ein Mann!«

Dann ging die Türe zu einem stillen, weißen Gemach auf, mit einer riesigen, blühenden roten Blume, einem Kohlenbecken und einem kleinen, ganz niedrigen Kindersesselchen davor, und vor dem Sesselchen, aus dem sie sich erhoben hatte, stand Octavia. Sie stand schmal und weiß und still da, wartend die Hände gefaltet, und sah ihn aus schwarzen Augen an, und er meinte, das wilde Donnern seines Herzens müsse die Wache herbeischrecken. Piso sank langsam vor ihr aufs Knie. Sie ließ ihn nicht aufstehen, sie glitt in ihr Kindersesselchen zurück, so daß ihre Gesichter sich auf gleicher Höhe befanden. Ganz nah waren ihre gebrechlichen Hände, deren Finger sich wie betend verflochten. Ganz nah die bleiche Klarheit ihrer durchsichtig zarten Haut, ihr längliches Gesicht mit dem tragischen Dunkel ihrer Augen, deren Weißes man nicht sah. Sein Körper strebte in solchem Ausbruch des Gefühls zu ihr hin, daß er die Augen schloß und den Kopf gegen ihr Knie neigte. Eine Flöte begann draußen in meisterlicher Klage zu tönen. Octavia flüsterte: »Daß du wirklich da bist! Nicht nur im Traum! Daß du es wirklich bist!« Sie sog mit einem Blick voll gieriger Intensität, als wolle sie das alles für spätere Zeiten der Armut festhalten, das edle bräunlich-blasse Profil ein. Sie streckte scheu die Hand aus, um das Aderzeichen seiner Stirn zu berühren, und schrak wie verbrannt zurück, als er dabei die Augen aufschlug. »Wie ich dich liebe, Herrin!« hörte sie ihn murmeln und fühlte durch den Stoff ihres Gewandes die Glut seiner Wange an ihrem Knie.

»Du hast es mir geschrieben«, flüsterte Octavia, »aber du hast mir nicht gesagt, seit wann. Sag mir, seit wann!« bat sie. Er lächelte mit geschlossenen Lippen, ehe er sprach, und mit dem gleichen Genuß, als läse sie ein geliebtes horazisches Gedicht nochmals für sich selbst, nachdem der Vorleser gegangen war – erkannte sie jetzt nah sein Lächeln wieder und seine so oft gehörte Stimme und seine erlesenen Hände, die schönsten Männerhände von Rom.

»Seit ich hinter dir im Thronsaal stand, und Domitius kniff dich in den Arm und du gabst ihn nicht an und schriest auch nicht!«

»So lange schon?« staunte Octavia über ihn gebeugt – und jetzt lächelte auch sie.

»Ich habe sie ja noch niemals lächeln sehen!« dachte Piso entzückt. Staunend sah er, wie die Süße dieses ungewohnten Lächelns ihr ganzes Gesicht verschönte. »Man hat ihr wenig Grund gegeben zu lächeln«, dachte er.

»So lange liebst du mich! Mich? Und ich bin doch so häßlich!« sagte sie still.

»Bei der Herzwenderin Venus! Weißt du nicht, daß du für mich schöner bist als Poppäa Sabina!«

Sie fragte ehrfürchtig: »Ich habe von ihr gehört. Ist sie wirklich so wunderschön?«

»Man nennt sie die schönste Frau von Latium. Aber, was geht sie uns an, die böse Knäbin? Ich liebe dich, nur dich!« Er wand seine Arme um sie, und zum erstenmal küßte Octavia ein Männermund. Gelehrig und leidenschaftlich boten sich ihm die zarten Psychelippen, ihr bleiches Gesicht färbte sich, sie glühte. Aber als seine Lippen ihren Nacken, ihre Brust suchten, drängten ihn ihre schwachen Hände fort.

»Warum?« forschte er, »warum?«

»Was wir tun, ist übel!« hauchte sie. »Ich bin die Kaiserin von Rom, und du bist vermählt, sagen sie?«

Seine schönen, ernsten Augen begegneten ihrem angstvoll fragenden Blick.

»Ja, Herrin. Durfte der Erbe des calpurnischen Geschlechtes unvermählt bleiben?«

»Und Galla?« fragte sie.

»Herrin, ich bin ein Mann und ich ehre in ihr die Mutter meiner künftigen Söhne. Aber was hat das damit zu tun, daß ich dich liebe, seit sechs langen Jahren? – Damit, daß ich mein Leben hingäbe, deine immer traurigen Augen leuchten zu sehen wie jetzt, daß ich unter deine schmalen Füße meine Hände legen möchte. Warum weinst du, meine Herrin, meine goldene, warum weinst du?«

In seinen Armen, unter seinen Küssen stammelte sie mit verzerrten Lippen: »Weißt du, wer mir zuerst sagte, du liebtest mich?«

»Britannicus!«

Er umschlang sie fester und sie weinte lautlos schwere Tränen. Dann die Augen trocknend, brachte sie schaudernd hervor: »Am gastlichen Tisch und unter den Augen der Götter –«

»Und verscharrt noch in der gleichen Gewitternacht«, sagte bitter vor sich hinstarrend Piso.

»Ja, es donnerte, es blitzte, als drohte Jupiter aus seinen Himmeln mit der Rache der Götter!«

»Die Götter haben Zeit und Geduld, sie schlafen indessen.«

Octavia legte die leichten Finger erschrocken auf seinen Mund, und er ergriff sie mit beiden Händen. Sie hob diese Hände an ihr tränennasses Gesicht und schloß die Augen. »Erinnerst du dich der Könige von Mykene, denen man im Grabe Goldmasken vors Gesicht legte? – Ich habe oft gedacht, daß ich so sterben möchte, deine Hand als schönste Maske über mein Gesicht gelegt.« Und sie küßte diese Hand, den schweren, alten Siegelring der Calpurnier.

»Was sprichst du so vertraut vom Tode?« murmelte er erschrocken.

»Weißt du, Piso«, sagte sie, »als Mutter noch lebte, da brachte Corbulo ihr aus Parthien einen süßen jungen Löwen mit, ein blondes, schwermütiges Wollknäuel, und Britannicus und ich liebten ihn. Vater gab ihm eine seiner riesigen Molosserhündinnen zur Amme, die vier prächtige Junge hatte.« Piso sah kniend zu ihr auf, und Octavia fuhr sachte über sein zurückgestrichenes Haar. »Es begann damit, daß zwei Hündchen starben, weil sie nicht mehr genug Milch bekamen, das dritte trug von einem Krallenschlag eine Wunde davon, die nicht heilte, und ward vertilgt. Das vierte starb ein paar Monate später mitten im Spiel, der Löwe hatte ein wenig zu fest zugebissen. Und als es schon einmal tot war, fraß er es auch auf. Zum Schluß kam die alte Hündin dran. Der Löwe liebte sie zärtlich, aber sie wollte ihn erziehen wie ihre eigenen Welpen, sie bellte und knurrte, und das haßte er. Und eines Morgens fand man sie nicht mehr im Käfig vor. – Weißt du, daran muß ich seit Britannicus' Tod immer denken. Wir alle werden nacheinander gefressen werden, Piso!«

»Nein!« sagte Piso hart. »Er wird nicht wagen, an dich zu rühren. Man liebt dich in Rom zu sehr!«

»Britannicus hat man viel mehr geliebt als mich.«

Er riß sie an sich, küßte sie wieder und wieder, voll irrender Gedanken des Hasses für Nero, der Trauer für Britannicus, des Begehrens für Octavia, die er in seinen Armen glühen und zittern fühlte.

Sie schlug die Hände vors Gesicht: »Himmel – nur einmal, nur einen einzigen Augenblick lang glücklich sein!« flüsterte sie, als sei es zu den lauernd im Hinterhalt liegenden Erinnyen gesprochen. Sie schmiegte die glühende Wange an den kühlen goldenen Panzer. Ihre zarten Finger spielten um das getriebene Medusenhaupt des Bruststückes. Und zu Pisos Überraschung hörte er sie erstickt und kaum verständlich fragen: »Drückt dich der Panzer nicht zu sehr?«

Eilig und erregt versuchten Pisos ungewohnte Finger die Achselriemen zu lösen. Da kamen Octavias Hände und halfen ihm dabei. Und als er im roten Panzerhemd vor ihr stand, zupften wieder die zarten Finger an der Purpurseide.

Piso stand nackt, bis auf den lederbeschlagenen Lendengurt, und wie alle nackten Männer spannte er die Muskeln. Da stieß die stille Oktavia einen heißen, kleinen Laut aus, den er nie wieder vergaß, ein halbes Stöhnen, ein halbes Gurren. Sie schlug die Mädchenarme um ihn, sie schmiegte sich an dies nackte, junge, wie griechischer Marmor glitzerkörnige Fleisch, sie küßte es mit vielen schnellen, kleinen, hungrigen Küssen, sie hielt verzückt inne, sie strich mit den Fingerspitzen über seine ölglatte Haut, sie lehnte schwindlig, geschlossenen Auges an ihm, schwer atmend, hingerissen lächelnd.

»Nur einen Augenblick!« beschwor ihre kleine, schwankende Stimme.

»Warum?« fragte er gepreßt, »warum nur einen Augenblick, warum nicht die ganze schöne Nacht? Octavia?«

Da sah er in ihre schwarzen Augen, die ihn voll Tränen ansahen.

»Nein, mein Geliebter, mein Leben! Es gibt keine Nacht für uns. Ich bin Kaiserin von Rom und – bin doch noch Jungfrau!«

Piso zuckte zurück.

»So ist es wahr, was sie sagen! Dieser Schuft! Dieses Tier! Ich hätte es nicht geglaubt! Oh, mein armes Herz, mein süßes Herz! – Aber, Octavia, höre mich an! Er mag nur aufstehen, wenn er wagt, uns anzuklagen! – Laß mich an dir gutmachen, was er verbrochen hat! Laß mich dich mit Liebe überschütten, Octavia!«

»Nein, mein Piso. Es ist nicht nur darum, daß wir sterben würden. Früher oder später wird er uns alle töten, dich und mich und Agrippina und Seneca. – Aber sieh, es ist meiner Mutter wegen.« Die Wange an seiner Brust, ihre Lippen seinem Fleisch so nah, daß jedes Wort zum Kuß ward, sagte sie mit niedergeschlagenen Lidern: »Du weißt es ja, wie sie von meiner Mutter sprechen. Mutter war zu schön. Häßliche haben es viel leichter, keusch zu sein. – ›Eine Messalina‹, sagt man jetzt von jeder Frau, die unkeusch lebt. Würden wir freveln, man sagte: ›Kein Wunder! Die Tochter einer Messalina!‹ Und ich kann auf Mutters Grab keine Steine werfen, Piso! Ich liebe dich. Mein Herz schmerzt vor Sehnsucht nach Glück. Ich träume von dir Nacht um Nacht, aber ich kann dir nicht gehören, nie, so wenig, als hätte man mich der Vesta zugeschworen!«

Die Flöte draußen schwieg. Die Sklavin Charis glitt abgewandten Gesichtes durch die Türe und murmelte: »Herrin, du hast befohlen, dir zu melden, wenn die gewohnte Zeit vorbei ist!«

Octavia wischte ihre Tränen fort und richtete sich auf.

»Ich danke dir, gute Charis! Hilf Piso den Panzer anschnallen.« Sie sah Vorwurf und Enttäuschung in Pisos Augen und lächelte ein zugleich tapferes und trunkenes Lächeln.

»Geh!« sagte sie nah. »Und wenn Galla dir einen Sohn gebiert, dann nenne ihn –«

»Octavianus –«, murmelte Piso.

»Nein«, verbesserte sie hindeutend, »Britannicus!« Und er, der all die Zeit nichts als sie im Saal gesehen hatte, sah nun erst die voll Lebendigkeit lachende Knabenbüste, vor der Weihrauch nebelte.

»Wann darf ich wiederkommen, Herrin?« murmelte Piso und sah sie stumm den Kopf schütteln.

Die Flöte dudelte mahnend auf. »Geh!« hauchte sie.

Er riß sich los und hörte ihr wildes, fassungsloses Schluchzen noch, als er schon in der Sänfte lag, um in den Palast der Calpurnier und zu seinem Weibe Galla zurückzukehren.

 

»Höre, Pollio!« sagte der Kaiser und legte seine Hand auf die Schulter des Tribuns, der größer gewachsen war als er selbst. »Seneca hat um eine Unterredung angesucht. Wenn er mich länger als eine halbe Stunde langweilt, dann kommst du und meldest – ach, irgend etwas wird dir schon einfallen, damit wir zu Othos Fest zurechtkommen!«

Der Tribun zeigte kein Einverständnis, veränderte keine Miene. Er riß sich in klirrendem Gruß zusammen und verließ den Kaiser. Nero sah ihm zufrieden nach.

Er trat zum Tische mit den zu erledigenden Akten und dachte unmutig: »Pallas habe ich gehaßt, aber er hat gearbeitet. Seit er gestürzt ist, scheint es, als wären lauter kopflose Narren am Steuer! Welche Genugtuung für Mutter, wenn sie diesen Wirrwarr sähe!« Er nahm ein Aktenbündel auf, um es sogleich angeekelt gähnend wieder fallen zu lassen. Der Centurio vom Dienst meldete: »Lucius Annäus Seneca!«

»Sofort vorlassen!« sagte Nero in seiner hohen Stimmlage, von der er wußte, daß sie im Vorgemach zu vernehmen war. In dem winzigen Zeitraum, den der Centurio brauchte, um die Türe zu erreichen, glitt Nero um den Tisch herum in den Lehnsessel, und als Seneca eintrat, erhob er sich von der Arbeit, um sich ihm entgegenzuwerfen.

»Mein Lehrer und Wohltäter!« lächelte Nero strahlend und voll einschmeichelnder knabenhafter Ehrerbietung. Er beobachtete Senecas angespannt ernste Miene, die Zurückhaltung seiner Begrüßung und dachte: »Wußt' ich's doch, daß er gekommen ist, mir Buße zu predigen wie Aktes Hebräerpriester.«

Seneca hielt Neros Hand fest, die dem Centurio ein Zeichen gab. »Cäsar, keine Bewirtung, keine Sklaven, ich bitte dich! – Gönne mir einen Augenblick Gehör von Mann zu Mann!«

»Wenn's nur bei dem Augenblick bliebe!« dachte Nero und setzte sich mit verhohlenem Seufzen, nachdem sein Gast Platz genommen hatte. »Mutter hat ihn geschickt, das ist klar! Und nicht einmal Wein, der ihn milder stimmen könnte!«

Er saß aufmerksam vorgebeugt, als wolle er Senecas Worten auf halbem Wege entgegenkommen, beide Hände um das linke Knie geschlungen, den Blick Seneca wach zugekehrt.

»Ich freue mich, dich bei der Erledigung deines Einlaufs anzutreffen, Cäsar. Man sagte mir, es bleibe seit Pallas' Abgang manch wichtiges Stück unerledigt zurück!« Nero senkte die Lider. »Stillhalten wie der Wachhund im Regen«, dachte er.

»Ich gäbe viel darum, die Gedanken hinter dieser glatten, jungen Stirne lesen zu können«, fuhr Seneca fort. »Vielleicht sagt dir deine eigene Klugheit, deine eigene Selbsterkenntnis, daß deine Zeit mehr mit wichtiger Arbeit angefüllt werden könnte, wenn du sie minder gern deinen Vergnügungen vorbehieltest.« Seneca legte die Hand auf Neros ums Knie geschlungene Hände und sagte leise und schmerzlich: »Ich bin nicht zufrieden mit meinem Zögling, Nero!«

»Sieh einmal an!« dachte Nero und sah auf diese gepflegte, beringte Hand. »Früher, als du noch den berühmten löchrigen Mantel trugst, waren deine Hände rauh und rot von der grünen Seife. Jetzt duften sie nach persischen Essenzen und prunken mit Ringen, für deren jeden man ein Landgut kaufen könnte! Aber du bist nicht zufrieden mit deinem Zögling! – Du alter Narr!«

»Es ist schwer, Nero, tadelnd zu dir zu sprechen, wenn man so viel deiner Großmut zu verdanken hat wie ich. Zuviel vielleicht – denn als du nach deines armen Bruders Tod seine Güter aufteiltest –«

(»Was? Was? – Er hat Mut, der Alte!«)

»– da gab Rom deiner Großmut noch ganz andere Namen. Mich dünkt fast, als hätte ich mehr Rechte zum Tadel besessen, da ich noch meinen zerfetzten Philosophenmantel trug.«

(»Er ist nicht so dumm, der Alte, wie ich dachte!«)

Senecas bekümmerte Augen suchten die hellen des Kaisers zu durchdringen.

»Nero! Du hast dich sehr verändert!« mahnte seine dringlich warme Stimme.

»Ich will mich nicht einfangen lassen«, dachte der Kaiser. »Ich muß kalt bleiben. Und überhaupt, ich will zu Othos Fest zurechtkommen!«

»Ich habe meinen ganzen Traum an dich gehängt, Nero! Ich glaube an dich! An deine großen Talente, an deine große Seele, an deine Güte, die mit glänzendem Verstand gepaart ist –«

»Sieh an! Lange schon hat er mir kein gutes Wörtchen gegönnt!« dachte Nero, dem es warm ums Herz wurde.

»Es wäre viel leichter, dich mit Lob zu füttern, wie alle anderen es nur zu willig tun. Aber, Nero, Lob begrenzt uns – beschränkt uns auf schon erreichtes Maß –, Tadel allein fördert uns, indem er uns weitere Ziele steckt.«

Wenn er so fortfährt, komme ich nie zu Otho!« dachte Nero.

»Du schweigst. – Ich habe deine Offenheit früher immer geschätzt«, sagte Seneca vorwurfsvoll. »Ich kam, um mit dir über dein Benehmen zur Kaiserin-Mutter zu sprechen! – Das Volk urteilt ungünstig darüber.«

»Das Volk?« wiederholte Nero scharf, wach, rasch. »Das ist ernst. Das ist unangenehm, wenn der Alte recht hat«, dachte er. »Das ist ein Argument, das gilt. Ich will nicht aufhören, der jugendliche Gott des Volkes zu sein! Ich darf nicht aufhören, es zu sein!«

Seneca nickte. »Man spricht darüber, daß du Agrippina aus deinem Palaste verstoßen hast –«

»Das habe ich nicht! Ich habe ihr den Palast der großen Antonia eingeräumt, der gut genug war für die Mutter des Germanicus –«

»Nero, du willst mich und dich und das Volk betrügen, und wir alle wissen, warum du es getan hast! Still! Du tatest es, um die Flut der Aufwartenden abzudämmen, die, wenn sie zum Kaiser kamen, auch zugleich seiner Mutter Ehre zu erweisen pflegten. Du tatest es, um die Mutter von dir abzurücken, deren Gegenwart sich dir – nur allzusehr, das mag sein – fühlbar machte. Aber die Mutter, die in dem alten, unwirtlichen Palast haust, in den des Sohnes Ungnade sie verwiesen hat, spricht zu der Phantasie des Volkes weit mehr, als die grandiose Herrscherin es je getan hat. – Ich habe Agrippina besucht, Nero! Sie ist sehr allein. Sie könnte den Abfall ihrer Schmeichler verwinden, das Fernbleiben der Feigen, die des Kaisers Gunst sich zu erhalten wünschen – trauriges Los einer Mutter, die sieht, daß ihr Treue zu bewahren in den Augen ihres Sohnes als Vergehen angerechnet wird! – Aber sie kann des Sohnes Besuche nicht entbehren. – Agrippina ist einsam, Nero!«

»Dann soll sie nicht, wenn ich zu ihr komme –«, begann Nero heftig. Da trat Pollio ein und meldete soldatisch: »Cäsar, die würdigen Väter des Senats –«

»Kann man denn niemals Ruhe haben?« schrie Nero in sein verdutztes Gesicht. Im nächsten Augenblick dachte er: »Ich darf mich vor Seneca nicht so gehenlassen, das ist Wasser auf seine Mühle.« Er bezwang sich und sagte sanft: »Vergib, aber du weißt, mein Pollio, daß mein Lehrer das erste Anrecht auf mich und meine Zeit hat! Ich bitte dich, für unsere Ungestörtheit zu sorgen!« Er wandte sich Seneca zu, sein schönes Gesicht war zuckend zerrissen. Er wartete ungeduldig, bis sie allein waren. Dann brach er aus:

»Seneca, du weißt nicht, was es für mich heißt, zu ihr zu gehen. Wenn ich eintrete, horche ich, ob ihr Gruß heute weniger bitter klingt, weniger krampfhaft beherrscht, weniger mit Zorn geladen als gestern. Ich frage mich, was es heute geben wird, Vorwürfe oder Tränen? Wenn sie versucht, von Dingen des Alltags zu sprechen – der kalte Blick, die harten Falten um den Mund –, alles ist Vorwurf für mich. Vorwurf, daß ich lebe und nicht Britannicus! Vorwurf, daß ich ein Mann bin und das Diadem trage, und sie ein Weib, dem die Herrschaft nicht gegönnt ist, die sie – ich gebe es zu – besser, gerechter, klüger als ich zu üben wüßte, hätten die Götter ihr nicht bloß die Tugenden des starken Geschlechts verliehen, ohne sie doch als Mann geboren werden zu lassen. – Es ist ein Jammer für Rom, daß auf seinem Thron nicht Herrscherinnen sitzen wie auf jenem von Ägypten! Aber wir sind nun einmal zu Rom und nicht zu Theben! – Ich habe mir ihn nicht gewünscht, diesen Thron, das wissen die Götter! – Aber da sie ihn mir selbst nun einmal erkämpft, erschlichen, mit Mord erkauft hat, diesen Thron, nun soll sie mich auch nicht davon verdrängen, so wahr ich Nero heiße!«

In der langen Stille, die folgte, hörte Seneca seine keuchenden Atemzüge.

Was soll ich antworten«, überlegte Seneca erschüttert. »Was kann ich antworten? Ich kenne Agrippinas Güte und Großmut gegen die vielen Menschen, an denen ihr nicht gelegen ist, und ich kenne ihre Gabe, die sehr wenigen leiden zu machen, an denen ihr liegt, die sie mit einer vergifteten, eifersüchtigen, usurpatorischen Liebe festzuhalten strebt. Meine Wunden schmerzen heute noch! O Agrippina, welch einem Ende steuert das zu – welch einem Ende?«

»Sie ist so groß, daß sie nach der Macht strebt mit allen Mitteln«, hörte er Nero sagen. »Wenn sie aber so groß wäre, die Macht nicht mehr zu begehren, was für ein Glück wäre es für mich, das Szepter in ihre Hände zu spielen! Schenken ist eine Form meiner Liebe. Mutter kann man nichts schenken, sie reißt einem alles aus der Hand.«

»Das hat sie gesagt!« murmelte Seneca. »Er schenkt mir nichts mehr, also liebt Nero mich nicht mehr! Und doch bist du der einzige Mensch auf Erden, den sie liebt!«

»Liebt sie mich? Akte sagt es auch und liegt mir in den Ohren mit einem ihrer aramäischen Sprüche, der so ähnlich lautet wie, daß man seine Mutter ehren müsse, damit es einem wohl ergehe auf Erden. Kann ich Mutter ehren, wenn ich mich immer davor fürchte, ihre Laune im Fieberwechsel aufschnellen und abfallen zu sehen, wenn ich nichts, nichts von der Ausgeglichenheit, der Größe und Klugheit zu sehen bekomme, die alle an ihr preisen, während sie für mich langsam bloß eine lästig Tobende zu werden beginnt, eine gefahrdrohende, unheilbar Kranke?!«

»O Agrippina«, stöhnte Seneca im stillen, »ist es so weit gekommen? So furchtbar weit? Ich soll ihn tadeln und muß ihn bedauern, ich, der weiß, wie deine Dolchstöße treffen!«

»Du sagst, sie liebte mich? Ist das Liebe, die nie in dem ruht, was wir sind, nur ungestüm fordert, was wir sein sollten? Ist das Liebe einer Mutter, die mir jede, jede Freude mißgönnt, die nicht von ihr allein stammt? Und was gibt sie mir für Freude? – Als ich Paris liebte, nahm sie ihn mir. – Als ich Akte liebte, raste sie. – Da sie ahnt, ich liebe sie nicht mehr, macht sie mir erbittert meine Wandelbarkeit zum Vorwurf. Wann aber darf man wandelbar sein, wenn nicht in meinem Alter? Darf ich allein von allen Geschöpfen der Erde nicht mein kurzes bißchen Eintagsfliegenleben für mich haben, für mich genießen, Seneca?«

»Nero, sei gerecht. Ich mag mir denken, daß eine stolze Mutter sich einen anderen Gefährten für ihren Knaben wünscht als Paris, eine andere Geliebte als Akte.«

»Warum?« fragte Nero mit nassen Augen. »Akte war eine Zeitlang meine ganze Heimat. Sie war die Schlechteste nicht – solange sie nicht von mir verlangte, ich sollte in die Katakomben kriechen, um ihre Juden und Nazarener, die stanken und die ich haßte, ihre Göttergeschichten auskramen zu hören. – Und Paris? Paris ist der einzige Mensch, der mich nimmt, wie ich eben bin. Der nie mehr von mir verlangt, als ich zu geben willens bin, höchstens ein paar lächerliche Sesterzen mehr, der mich nie besser haben möchte, nie anders, nie größer, als ich bin – ich, ich, der Mensch Nero –, nicht ein jugendlicher Gott, wie Mutter ihn ersehnt und das Volk – und auch du!« Neros Stimme brach in wildem Schluchzen.

»Nero!« sagte Seneca, »mein geliebter Junge! – So höre doch! Denk nach, ob wir, die wir dich lieben, nicht Grund haben, dich anders und besser zu wünschen! Laß diese Stunde den Anfang einer neuen, guten Zeit zwischen uns bedeuten! – Du hast dich von mir zurückgezogen, Nero, weil ich nicht zu schmeicheln willens bin wie andere! – Man sagt, Nero, daß du neuestens Bittsteller zwingst, sich vor dir zu entwürdigen, indem sie dir wie den persischen Satrapen huldigen. Man sagt, daß die Lobpreisung deiner Stimme Güter und Ämter einträgt! Man sagt, daß du im Jähzorn Höflinge beleidigst – und dein Ton gegen diesen Tribun vorhin ließe es mich glauben! Ich warne dich, Nero. Die Thronstufen, die dich erheben, machen dich zugleich weithin allen Augen sichtbar!«

»Warum sind alle so untertänig? Sie verführen mich ja geradezu, zu erproben, was sie alles sich noch bieten lassen werden!«

Seneca erhob sich und rührte sanft an die schütternde Schulter des Weinenden.

»Vergönne mir nun, daß ich Abschied nehme.«

Nero erhob sich wie er und warf sich an seine Brust.

»Vergiß diese Stunde nicht so schnell!« bat Seneca. »Und vergiß auch nicht, daß, wenn du das Böse mit Lust tust, die Lust vergehen wird und das Böse bleiben. – Tust du das Gute mit Unlust, so wird die Unlust vergehen und das Gute bleiben. – Lebe wohl, mein Nero!«

Nero stand und starrte auf die Türe, die die Prätorianer hinter Seneca geschlossen hatten.

»Ich habe zuviel geredet«, dachte er. »Immer rede ich und rede, und sie verstehen mich ja doch nicht. – Alter Esel, ist ihm jetzt wohler, weil er mich weinen gemacht hat? – Ich kann mich jetzt noch einmal schminken lassen. – Wie soll ich so verschwollen vom Weinen zu Otho gehen und meine Verse vortragen? – Mich zu loben trägt Landgüter und Ämter ein? Lächerlich! Gebe ich Seneca nicht Landgüter und Ämter und Reichtümer für seinen Tadel?! – Tugend! Meint ihr, ihr machtet mir alle solch sonderliche Lust auf eure ranzige Tugend? – Ich werde bekränzt und von Flötenspielerinnen begleitet zu Othos Fest kommen! Denn ich bin Alkibiades, aber du bist noch lange, lange kein Sokrates, mein Seneca!«

 

Aktes Sänfte hielt vor dem Palaste der Antonia, und Akte stieg langsam und zögernd aus, gelähmt von der Angst vor dieser Unterredung, zu der sie entboten worden war.

»O Vater unser!« betete sie, als sie mit ihren Sklavinnen die altertümlich überhohen Stufen erstieg, und sie nahm fürs erste nichts von ihrer Umgebung wahr, so sehr war sie erfüllt von der Erinnerung an Agrippinas kaltes, zürnendes Gesicht bei ihrem Abschied.

Aber als in der zugigen Empfangshalle die Hofdame Aceronia sie empfing, war Akte sich über die Veränderungen klar geworden, die sie so sehr bewegten, daß sie alle Angst vor Agrippina vergaß.

Ihr gutes, flaches Gesicht gerötet, ihre Augen vor Erstaunen rund, rief sie: »Oh, Aceronia, wo sind die Lictoren geblieben? Und wo ist die germanische Leibwache?«

Aceronia bekam nasse Augen und zog Akte an ihre Brust. Creperejus, der, auf den Silberstab des Majordomus hochgreifend aufgestützt, in dem völlig leeren Empfangssaal stand, nickte bitter. »Dafür ist die Prätorianerwache verdoppelt wie vor einem Kerker.«

Eine ältere, reich gekleidete Sklavin kam durch die Türe. »Die Erhabene schickt mich zu fragen, ob Akte gekommen sei!«

»Gegrüßt, Alexandra!« sagte Akte und küßte sie.

Und Neros Amme sagte leiser: »Wir müssen gehen, sie erwartet dich ungeduldig.«

»O Alexandra«, murmelte Akte und sah sich in der düsteren Halle um, in der Agrippinas Statuen und Vasen so verloren standen, »es scheint sich manches hier verändert zu haben!«

Aber das Gemach der Antonia, mit dem Blick auf den großen Garten und den vielen eingebauten Schriftschränken war hell und freundlich, und Agrippina zum Empfang gekleidet und mit fürstlichen Juwelen geschmückt wie stets.

»Sie sieht schlecht aus, o Christ! Und gealtert!« dachte Akte und glitt überwältigt von Empfindung neben Agrippinas Lager ins Knie.

»Ich grüße dich, Claudia Akte! – Lege dich hierher und laß uns plaudern. – Sieh zu, Alexandra, daß wir nicht gestört werden.«

Akte sank scheu auf das Speiselager, wie an dem Tage, da ihre Einladung, an der Tafel der Herrin teilzunehmen, den Akt ihrer Freilassung beinhaltet hatte.

Sklavinnen brachten Früchte und honigsüßen Wein.

»Wie geht es dir, Akte?« fragte Agrippina so freundlich wie vorhin, doch Akte, die jeden Klang dieser metallischen Stimme kannte, bemerkte den Unterton der Ungeduld darin, und ihre Angst wuchs von neuem.

»Wohl! – Dank deiner Großmut, Herrin!« Und die beiden sprachen eine Weile von Agrippinas Gabe, Aktes Häuschen an der Appischen Straße, das unter Glyzinien ertrank, und von den köstlichen langbeerigen Trauben, die an der Südmauer zu reifen pflegten. Als nur mehr Alexandra zugegen war und den Platz an der Türe einnahm, der einst Aktes Platz gewesen war, lehnte sich Agrippina vor und sah ihrer Gastin voll in die Augen: »Hast du gesehen, daß meine Lictoren fort sind? Ja? Und meine Barbarenwache? Sie zogen gestern mittag mit Hörnerschall ab wie immer. Aber die Ablösung zog nicht mehr auf. – Befehl des Kaisers, Akte. Du wußtest also nichts davon?«

Aktes Gesicht sprach deutlicher als ihr »Nein!«

Agrippina senkte sinnend den Kopf, und Akte sah die ersten grauen Haare an ihrer Schläfe.

»Akte!« begann die Kaiserin-Mutter mit Entschluß. »Ich habe dich rufen lassen, um ein paar Fragen an dich zu richten, wenn es mir auch nicht ganz leicht fällt. Aber du kennst ihn jetzt vielleicht besser als ich. Er hat mich in den letzten drei Wochen zweimal besucht und jedesmal war er von seinen Centurionen umringt. – Sage mir, ist die Veränderung, die ich bemerke, auch dir aufgefallen, oder bezieht sie sich nur auf mich?«

In Aktes Gesicht stieg jähe Röte. Sie schüttelte den Kopf. » Er ist verändert, Erhabene«, flüsterte sie. Und als habe sie damit Verrat und Ungerechtigkeit begangen, setzte sie überstürzt und laut hinzu: »Aber das hat nichts an meinem Gefühl geändert!«

Agrippina hob kaum merklich die vollendet gezeichneten Brauen, als wollte sie damit sagen: »Das ist deine Sache!«

»Und jetzt – hält man ihn im Volk für einen guten Herrscher?«

Akte stutzte. »Natürlich!« sagte sie hastig und erleichtert.

Agrippina wiegte langsam den Kopf. »Ist das deine Meinung oder die der anderen?«

»Herrin, wie kannst du nur zweifeln? Hast du nicht gesehen, wie gut er gegen Burrus und Seneca und Serenus ist? Und gegen Otho? Und hast du nicht gehört, daß es nur allein dem Widerstreben des Senates zuzuschreiben war, daß er nicht endlich alle Zölle in Latium abgeschafft hat?«

»Die Geschichte mit der Senatsrede über die Zölle habe ich vernommen. Sie ist, wie seinerzeit jene über die Aufhebung der Steuern, eine große Torheit. Ich hätte ihm sagen können, daß genau ein Drittel des Soldes von Corbulos Armee in Parthien allein durch die Zölle für griechische Weineinfuhr und ikosische Schafwolle gedeckt wird. – Und was die Verteilung der Güter nach dem Mord an Britannicus betrifft, so glich sie weit mehr der Beuteteilung eines Räuberhauptmannes unter seine Bande als der gnädigen Belohnung gerechter Verdienste!«

»Herrin – was sprachst du da?« stammelte Akte.

»Ich sprach vom Mord an Britannicus! Ja, ja, Akte! – Und wenn du nicht an Mord glaubst, dann sind du und Seneca die einzigen Menschen in Rom, die es nicht glauben, weil dies eben weit bequemer für ihren guten Schlaf und ihr gutes Gewissen ist!« Akte saß gebeugt und sah auf ihre im Schoß gefalteten Hände hinab.

Agrippina starrte sie an. Sie sah müde aus, traurig und alt.

»Akte –«, begann sie hart, aber Akte sah sie an und hob beide flehend gefalteten Hände zum Mund, und Agrippina nickte sanfter: »So sprich!«

»Ich habe davon reden hören«, begann Akte leise. »Aber, Herrin, so wahr ich glaube, daß mein Gott der einzige Gott und sein Sohn das Licht der Welt ist, so wahr ist es, daß mein Herz nicht glauben kann, Cäsar sei ein unwürdiger, verworfener Mörder!«

Agrippinas Brauen runzelten sich in stolzer Ungeduld. Bis nun hatte immer sie allein leidenschaftliche Anklage gegen Nero erhoben und war dem begütigenden Zuspruch der Verteidiger begegnet. Es schien ihr völlig unerträglich, nun Anklage gegen ihn erhoben zu hören und vor allem aus dem Munde der Sklavin. Sich in die Rolle des Verteidigers stürzend, fragte sie: »Was nennst du ›verworfen‹? Und was ›unwürdig‹? Einen politischen Mord? Lächerlich! War Romulus, als er Remus tötete, verworfen? War Brutus unwürdig?« Und während sie sprach, dachte sie fassungslos: »Ihr Götter! Ich habe das ja niemals noch mit Neros Augen gesehen. Immer nur mit meinen – mit meinen!«

»Wir haben alle großen Herrscher morden sehen, ich verarge ihm nicht den Mord, nur, daß er kein großer Herrscher zu werden scheint.«

Sie schwiegen und sahen einander an, und Akte senkte zuerst den Blick.

»Akte? Bin ich dir eine schlechte Herrin gewesen?«

Akte faßte mit einem Tränenlaut Agrippinas Gewand. »Verzeih mir, Erhabene, was ich dir tat, du bist mir immer wie eine Mutter gewesen!«

»Dann antworte mir wie einer Mutter. Schläft Nero immer noch bei dir?«

Akte wandte sich ab, die aufschießenden Tränen zu verbergen.

»Ich dachte es mir!« sagte Agrippina leise und legte der Weinenden die Hand auf den Arm.

»Die Schuld ist mein«, schluchzte Akte. »Er ist unsagbar gut. Nie noch ist ein Mensch so gut zu mir gewesen. Ich habe viel zu spät begriffen, daß nicht ich die Gebende war, daß er es war, der gab.«

Wieder runzelte Agrippina abwehrend die Brauen. »Höre, Akte. Es gab eine Zeit zu Beginn, da habe ich dich gehaßt. Ja, ja, dich, mein gutes Kind. – Ich habe gedacht, da er dich liebt, sei er für mich verloren. Jetzt erst weiß ich, daß er mir nie näher war als damals unter der Regentschaft der guten Cinara«, zitierte sie lächelnd. »Ja, damals habe ich dich ernstlich gehaßt, Akte. Mein ganzer herrschsüchtiger Zorn stand auf, ich hätte dich erdrosseln mögen mit diesen Händen«, sagte sie, die Hände vorstreckend, und war die stolze Löwin wieder. »Ich hätte mich lieber selbst nackt in sein Bett gelegt, als ihn der Sklavin zu überlassen!« Und da sie Akte angstvoll und stumm ein huschendes Zeichen über die eigene Stirn, die eigene Brust ziehen sah, schmolz ihr böses Gesicht in einem ganz neuen, ernsten Lächeln.

»Ich will dir etwas sagen, Akte, was ich niemandem sonst sagen könnte – weil du gut bist und weil du ihn selber lieb hast. Ich habe Zeit gehabt nachzudenken und habe erkannt, daß ich ihn schlecht geliebt habe, eifersüchtig und herrschsüchtig. – Man liebt nie genug, Akte! Man sollte immer so bewußt lieben, so zur Güte beflissen, so bemüht, die ganze Unendlichkeit der Empfindung den anderen fühlbar zu machen wie im letzten Augenblick, da Hermes, der Seelenführer, uns antritt. Statt dessen: wie habe ich ihn mit dir gequält, wie mit seiner alten Neigung für Paris!«

Aktes gerötetes, verweintes Gesicht ward hart.

»Herrin, möge Gott mich davor hüten, meine ewige Seele zu beschmutzen, aber diesen Paris könnte ich hassen! Er allein ist zu tadeln! Er allein ist daran schuld, daß Nero sich mit ekler Sünde befleckt.«

»Mit Sünde?« lachte Agrippina auf. »Hat etwa Julius Cäsar nicht dieser Sünde gehuldigt? Und er war doch der große Cäsar! Nein, Närrchen! Ich bin in diesen Wochen sehr viel allein gewesen – obwohl ich vielleicht nie mehr geliebt worden bin als in dieser Zeit meiner Einsamkeit. Jedenfalls hatte ich Muße nachzudenken, und ich habe auch über Paris nachgedacht. – Sieh, die Lust strömt durch unser Leben wie ein breiter, dunkler Fluß. Sind nur die Blumen, die diesseits blühen, schön – und die am anderen Ufer wachsen, giftig? – Ich hätte mehr Ehrfurcht vor dem Gefühl als solchem haben müssen, aber nie habe ich Nero die Lust verargt oder mißgönnt, nur denen, die sie ihm bereiteten – die Macht über ihn!«

»Herrin, sage ihm dies doch einmal, wie du es mir sagst, und er wird in deine Arme stürzen.«

»Es ist zu spät. – Wir haben einander morden sehen, wir vertrauen einander nicht mehr. Und wie stünden mir solche Geständnisse an? Ich habe nie wie Lepida mit Zuckerplätzchen um ihn geworben. Ich tat es mit dem Thron von Rom. Ich dachte, was ich für ihn getan habe, müßte ihn ewig an mich schmieden. Aber er, er hat mir ein Wort gesagt, das mich wie Eis durchkältet, sooft ich daran zurückdenke. – Er hat gesagt, Akte – und ich begriff es gar nicht sogleich –, daß er sein Diadem dafür gäbe, in der offenen Arena vor der Plebs von Rom niederzuknien und zu singen! Akte, ich bitte dich, ich beschwöre dich! Hat er dir das jemals angedeutet?«

Akte nickte.

Agrippina lehnte sich zurück, mit beiden Händen zur Stirne fahrend. »Er wird wahnsinnig wie mein Bruder!« hauchte sie entsetzt.

»Herrin, er hat wirklich die schönste Stimme! Wenn du ihn nur einmal hören wolltest.«

»Närrin! Braucht Rom Cäsars schöne Stimme? Es braucht seine Gesetze! Habe ich ihn geboren, Schuster und Straßenkehrer zu belustigen oder sie zu regieren? Und so wahr ich die Tochter des Germanicus bin, eher nehme ich ihm das Leben, das ich ihm gab! Oh, alle meine Träume! Wir sind beide Törinnen, meine gute Akte, und beide sind wir verlassen und allein! Habe ich gemeint, man könne ein Kind erziehen? So wenig, wie man eine junge Hyäne zum Lamm wandeln kann! Hast du gemeint, du könntest ihn ›von der Sünde‹ heilen? Man kann keinen Menschen heilen, man kann keinen Menschen ändern und man kann auch keinen trösten es gibt keine Brücke zwischen Mensch und Mensch!«

»O doch!« sagte Akte, glühend unter Tränen. »Paulus kann heilen, kann ändern, kann trösten! Der Glaube ist die Brücke zwischen uns Menschen. Herrin, ich liege vor dir und fasse deine Knie! Komm mit mir zum Apostel und lerne das Licht der Welt kennen!«

»Das Licht der Welt? Du sagtest es schon einmal. Du betest zu Serapis?«

»Ich bin Nazarenerin, Herrin. Das Licht der Welt ist Jesus der Christos!«

»Ach – sitzest auch du in den Katakomben und betest den Eselskopf an?« fragte Agrippina mit dem vorurteilslosen Interesse der Römer für jede fremde Religion.

»Herrin, ich bitte dich, höre die Verleumdungen nicht – es ist nichts Dunkles in unseren Herzen. Wir sind alle Brüder und Schwestern! Komm zu uns und du sollst der Liebe guter Menschen begegnen.«

Agrippina neigte sich und küßte Akte überraschend auf den Mund.

»Akte, du bist gut und ich kenne dich von Kindheit an, aber heute habe ich dich zum letztenmal im Leben gesehen. Warum starrst du mich so an? Wähntest du, ich hätte sonst so offen mit dir über mich und über den Kaiser von Rom gesprochen?« Sie zog den Königsrubin des Mithridates von ihrer Hand und steckte ihn an Aktes Linke. »Danke mir nicht! Danke ihm! Männer sind Verräter, bleib du ihm treu. – Nein, Akte! Ich steige nicht in die Katakomben hinab. Ich muß mein schweres Leben allein leben, wie ich wohl meinen schweren Tod allein sterben werde. Leb wohl, ich bin dir geneigt. Aber wie kann ich, Julia Agrippina Augusta, Schwester, Gattin, Mutter von Cäsaren, an einen Gott glauben, der dich, Akte – zu meiner Schwester macht?«

 

Die Negertrommel dröhnte ihren barbarischen Rhythmus immer toller. Der Leib des Knaben Sporus straffte sich zwischen den gezückten Schwertern der acht Negertänzer in der Schlußapotheose wie der rote Stempel einer tropischen Blüte zwischen starrenden Blumenblättern. Die Lagernden begannen laut zu klatschen.

»Sporus! Sporus!« rief Nero taktmäßig und die Festfreunde stimmten ein.

Der Tänzer in seinem langen roten Gewand, das ihn von der Kehle bis zur Zehe einhüllte und nur manchmal im Wirbel einer Drehung den zartbemuskelten Schenkel gezeigt hatte, sank jetzt auf beide Knie. Er hielt die Hände mit den goldgeschminkten Nägeln über die heftig atmende Brust gekreuzt.

»Komm und trink! Ich weiß am besten, wie durstig das Tanzen macht!« sagte der Kaiser gnädig und bot Sporus seinen eigenen Becher. Er sah vorgeneigt zu, wie der Epheser trank. Man meinte jeden Schluck des ungemischten Weines, der die Lippen feuchtete, die zarte, blaugeäderte Kehle hinabrinnen zu sehen. Die glücklichen, schönen Tieraugen, von Schminke noch vergrößert, glitzerten ehrfürchtig zu Cäsar auf.

»Ich war mit deiner Volte zufrieden!« lobte Cäsar fachkundig. Mit blitzschneller Handbewegung berührte Sporus den Mosaikestrich, nahm sinnbildlichen Staub auf, um ihn in sinnbildlicher Demut sich übers Haar zu streuen, ehe er in wenigen weiten Sprüngen den abgehenden Negertänzern nachsetzte. »Die Götter wissen, Otho, wie ich dir diesen Kauf neide!« sagte Nero. »Ich weiß nicht, welcher Dämon mich damals ritt, daß ich dir die Vorhand beim Kaufe ließ!«

Otho hockte mit gekreuzten Beinen auf seinem Lager und hielt die Gelenke seiner nackten, schmalen, erlesenen Füße mit seinen von Leibesübungen vergröberten und verhäßlichten Händen umspannt. Sein kurznäsiges Kentaurengesicht grinste unter dem Kranz unvorstellbar kostbarer Rosen, die in Schneekörbchen aus Persien für sein Fest herbeigeschafft worden waren.

»Cäsars ist, was Cäsar wohlgefällt«, sagte Otho und nahm seine Rechte vom linken Fuß, um eine weite Gebergeste gegen Nero zu machen.

»Cäsar kann cäsarische Geschenke machen, aber nicht annehmen!« lächelte Nero und trank.

»Nimm an, Cäsar, nimm ruhig an!« rief mit seiner hämischen Stimme der schöne Senecio. »Es kostet Otho nichts in diesem Falle, großmütig zu sein. Und er meint wohl, daß deine Güte solche Dankbarkeit verdient habe!«

»Bei allen Göttern, hat es nicht Vorteile, Cäsars Freund zu heißen?« schrie Serenus, der nicht mehr nüchtern war. »Nicht nur, daß man vor allen anderen die schönsten Gedichte der Welt von der schönsten Stimme der Welt vorgetragen hört.«

»Nero! Nero!« rief Pollio Beifall und die anderen stimmten taktmäßig ein.

Nero runzelte die Stirn und wehrte scharf ab. »Lob besticht mich nicht. Ich kenne am besten meine künstlerischen Schwächen!«

Serenus und Pollio wechselten Blicke begeisterten Einverständnisses. »Der größte Künstler ist auch der bescheidenste!« warf Pollio ein.

»– nicht nur, daß man ferner das Glück hat, die glanzvollen Talente des jungen Herrschers sich entfalten zu sehen«, fuhr Serenus fort, »Cäsars Güte verschickt auch den lästigen Hahnrei für eine Nacht nach Ostia, wenn die Reize der schönen Frau unseren Otho betören!«

»Eine Nacht! Was ist eine einzige Nacht mit Poppäa! Und was ist Ostia!« lachte Otho, und die Anspannung seiner starken Kieferpartien, die Blähung seiner breiten Nüstern straften seinen spöttisch leichten Ton Lüge. »Du solltest den Crispinus als Statthalter nach Gallien verschicken, oder nein, weiter noch, bis nach Lusitanien!«

Nero sah mit eingekniffenen Augen den drei Mädchen zu, die elfenbeinern nackt und mit goldgehämmertem Haar den Reigen der Grazien darstellten. Er schob seine feuchten, tiefpurpurnen Lippen vor. »Vielleicht demnächst! – Otho, die Große links hat keinen vollendeten Busen!«

»So schön wie der von Akte dürfte er wohl noch sein«, raunte Senecio belustigt hinter seinem Becher.

Otho sprang elastisch auf und schrie über Musik und Gespräch der Tafelnden hinweg: »Auf Poppäas Busen, den schönsten der Welt!« Und wie ein manisch Besessener lachend, goß er den Wein in einem Zuge hinab.

»Paris! Endlich! – Sporus' Tanz hast du versäumt!« rief Nero dem Eintretenden entgegen.

Paris kam zwischen den Scharen von Aufwartenden hindurch, an den Tänzerinnen vorbei, selbst im Tanzkleid, aber schon mit den persischen Rosen bekränzt und mit dem wie Edelsteine seltenen Rosenöl besprengt.

»Ihr laßt es euch ja recht wohl ergehen!« sagte er laut und bitter. »Ihr denkt, der gute Paris wird schon dafür sorgen, daß Cäsar nichts widerfährt!«

Nero sah das töricht schöne, schon leicht verlebte vertraute Gesicht von bedeutsamem Ernste angespannt – er riß die Pastete, die der Vorkoster ihm eben dargereicht hatte, nach dem ersten Bissen von den Lippen und fragte bestürzt als erster: »Was ist geschehen, Paris?«

»Was willst du damit sagen? – Hat sich etwas begeben? Wir wissen von gar nichts!« schrie der Chor. Und ohne die düstere Bedeutung seiner Miene aufzuhellen, in verachtungsvollem Vorwurf die Mundwinkel senkend, fuhr Paris fort: »Wenn ihr nur eure Feste feiern könnt! Was kümmert's euch, wenn Feinde Cäsars Untergang planen?«

»Was?« schrie Nero keuchend auf. Er starrte auf die angebissene Pastete in seiner Hand, faßte den gleich den anderen lauschenden Vorkoster brutal am Arm, drehte ihn zu sich her und schrie: »Da! Friß noch einmal!« Die durchbohrenden Blicke auf den Alten geheftet, sah er ganz nah, halboffenen Mundes zu, wie das einfältige Sklavengesicht in der unerhörten Wonne des ganz genossenen Tafelbissens zerschmolz – holte erlöst Atem und stieß den Alten fort, daß er taumelte.

»Cäsar!« sagte Paris feierlich. »Heute ist es der armen kleinen Maus vergönnt, dem Löwen seine Großmut zu vergelten! Heute rettet Paris Cäsar das Leben!«

»Das Leben?« schrie Pollio zu Cäsar hinstürzend.

»So rede endlich!« brach Nero aus, die Augen völlig irr vor Angst und Ungeduld. »Hat sie Mörder gedungen? Wen hat meine Mutter gedungen? Wieso kamst du hinter ihren ganzen Plan?« – und er stampfte mit den Füßen.

»Was?« schrie Serenus: »Mörder?«, und wollte wie Pollio zu Nero hin. Aber Nero war mit einem Sprunge hinter den Schenktisch geflohen. »Zurück!« schrie er gellend. »Alle außer Pollio zurück!«

»Cäsar!« klang Othos ruhige Stimme in das sehr betretene Schweigen. »Wir wollen Paris' Bericht hören und dann erst unser Urteil fällen! Bis nun wissen wir ja gar nicht, was für Geschehnisse seine Sorge erregt haben! Willst du nicht klare Tatsachen bringen, Paris!«

»Cäsar –«, begann Paris, »die Herrin Lepida –«

»Pah!« lachte Otho erlöst auf. »Dachte ich's doch! Paris ist einer Weibergeschichte aufgesessen.«

Nero verzerrte das zuckende Gesicht zu einer Grimasse gegen Otho hin.

»Halt die Fresse«, schrie er mit einer Stimme, die sich überschlug, »und schaff endlich die drei nackten Kühe aus dem Saal!«

»Ich weiß nicht, was Otho daran so heiter stimmt, aber genug davon; Lepida hat öfters ihre Besuche im Palast der Antonia abgestattet. Und es fiel ihr auf, daß ihr jedesmal, wenn sie spät abends fortgetragen wurde, eine völlig verschlossene Sänfte in der Straße der Schwertschmiede begegnete.«

»Eine verschlossene Sänfte? Mann oder Frau?« fragte Nero.

»Eine völlig verschlossene, vornehme Sänfte. Die Herrin setzte endlich ihre Klienten Iturius und Calvisius auf die Spur. Die Sänfte kam jeden Abend an und wartete in der Seitengasse die ganze Nacht!«

»Ah!« stöhnte Nero.

»Ja, du magst wohl ›ah!‹ sagen. Endlich erkannte Iturius den jungen Mann, der heimlich den Palast der Antonia besuchte.«

»Ein Patrizier?« fragte Nero atemlos.

»Mhm!« nickte Paris.

»Des Nachts bei meiner Mutter? Ich muß erfahren, wer es war, Pollio!«

»Unnötig, Cäsar, ich weiß es bereits. Du errätst es nie! Plautus!«

»Plautus?« Nero schlug mit der runden Faust auf den Schenktisch, daß die Krüge klirrten. Ein Becher stürzte und näßte sein Festkleid mit Wein.

»Oh, all ihr Dämonen der Hölle! Von allen Männern – Plautus!«

»Der einzige Mann, der mit Augustus genauso verwandt ist wie Cäsar und den das Volk vergöttert«, sagte laut die hämische Stimme des Senecio.

Nero warf einen rasenden Blick nach ihm. »Was, wenn sie Plautus regelrecht heiratet?« sagte er mit zitternder Stimme, als richte er die Frage an sie alle. »Was, wenn sie Plautus Söhne heckt? Sie ist noch jung sie kann ihm noch sechs Söhne gebären – sechs Britannicusse!« Er sank auf den Schenktisch, mit beiden Fäusten auf die begossene Platte hämmernd, daß seine seidenen Ärmel naß wurden. »Ich sag' es ja immer, sie wird nicht ruhen, bis sie mich von meinem Thron stößt. Sie wird nicht ruhen, bis sie mir das Diadem raubt, sie wird nicht ruhen, bis sie mich unter die Erde bringt!« Und schluchzend, stöhnend, keuchend, würgend wiederholte er achtmal, zehnmal, zwölfmal: »Sie wird nicht ruhen – ich sag' es ja immer, sie wird nicht ruhen!«

Serenus raunte: »Sie sprechen so viel von Unzucht wider die Natur! Das ist Unzucht wider die Natur, wenn der sechsundzwanzigjährige Plautus dieser grauhaarigen Harpye beischläft!«

Nero hing immer noch über dem Schenktisch, den in die aufgestützte Rechte gelegten Kopf schüttelnd, stammelte er: »Sie wird nicht ruhen – ich sage es ja!«

Paris stand da, sehr unzufrieden, beleidigt, weil Lob der Treu und Botenlohn auszubleiben schienen. »Und als ich dies vernahm, da wußte ich, daß der Tag gekommen war –«, begann er von neuem. Aber Nero hörte nicht.

»Deshalb war sie in der letzten Zeit so süß und sanft! Jetzt erst begreife ich alles. Deshalb sagte sie, sie bereue ihre Herrschsucht und Heftigkeit und was weiß ich und sie habe mich nicht genug geliebt, o ungeheuerlich! Ungeheuerlich! Und ich Narr! Ich Narr ging hin und glaubte schon halb an dies alles – ich, der ich sie ihren eigenen Gatten locusten gesehen habe! – O ihr Götter! Ihr Götter auf hohem Olympos! Aber ich bin nicht ganz ohne Waffen gegen diese Heimtücke! Pollio! Du schickst einen Centurio zu Seneca; und wenn er schläft, er muß kommen. Er muß sofort kommen! Und Burrus soll – nein! Burrus hat sie zum Präfekten ernannt, er ist ihre Kreatur, der Burrus! Man muß ihn absetzen, wenn man der Prätorianer sicher sein will! Eine Schreibtafel, Otho! – Rede nichts, ich will nichts hören, ich will nicht! Eine Schreibtafel! Tuscus soll Präfekt werden für sein Verdienst, sie zu hassen! Ein Centurio zu ihm! Er ist der Sohn meiner Amme, der wird mich nicht verraten wie –« er begann fassungslos zu schluchzen, »wie meine eigene Mutter! – Oh!« schrie er auf und warf sich Seneca, der eben eingetreten war, entgegen: »Schütze mich, schütze mich vor dieser Mutter!«

Seneca stand totenblassen Gesichtes da und sah auf den Fassungslosen herab.

»Die Götter haben es gefügt, daß der Centurio meiner Sänfte auf dem Heimweg begegnete. Welch ein Aufruhr, Nero, um wie wenig Tatsächliches! Auf den ersten Warnungsschrei entlassest du deinen alten Lehrer Burrus, schreibst der, die dich geboren hat, die furchtbarsten Pläne zu! Ist das der Schüler der Philosophen, Nero? – Ist das ein Richter, der urteilt, ohne zu verhören? – Es ist spät in der Nacht und wir sind alle nicht unbeeinflußt vom Wein geblieben, soll das Volk von Rom hören, daß Cäsar in solcher Stimmung solcherlei Verantwortung auf sich lud? – Laß mich und Burrus sie verhören, und so wahr ich Roms Bürgerfrieden wünsche, Cäsar, sie soll sterben, wenn wir sie schuldig finden –«

Nero hob sein tränennasses Gesicht, und es war völlig verwandelt. »Ich habe Angst, Seneca!« stammelte er rührend, »ich habe immerwährend Angst vor meiner Mutter, kann man so leben?«

 

Eilige Schritte im Vorgemach. Unterdrückt flüsternde Stimmen weckten Agrippina. Sie hatte sogleich das Bewußtsein einer großen drohenden Gefahr. Sie lauschte aufgerichtet. Nebenan im Ankleideraum fiel polternd ein Kleiderrahmen um, jemand weinte.

Agrippina fragte ins Dunkel: »Alexandra! Was gibt es? – Mach Licht!« – und hörte, daß ihre Stimme schwankte.

»Warum zittere ich?« dachte Agrippina bitterböse über sich selbst. »Was kann es mehr sein als der Tod? Und haben mir den nicht die Chaldäer vor achtzehn Jahren schon geweissagt?«

Die Hofdame vom Dienst stürzte herein, ihr verweintes und fahles Gesicht grotesk unter dem roten Netz, das die hundert Hyazinthenlöckchen ihrer Turmfrisur unversehrt bewahren sollte: »Wachen des Kaisers – Augusta! Oh! Was wird mit uns geschehen!«

Agrippinas Herz tat einen starken, schmerzenden Schlag. Sie sagte sehr ruhig, wie immer, wenn andere erregt waren, und zugleich gereizt über deren Erregtheit: »Wir werden morgen länger schlafen müssen, um die Störung wettzumachen!«

Die Amme Alexandra trieb zwei Lampenträgerinnen vor sich her. Ihr gutes, dickes Gesicht war gerötet, aber sie sagte voll felsenfesten Vertrauens: »Ein Mißverständnis, Herrin! Denn das sieht unserem Herrchen nicht ähnlich!«

Agrippina hörte zugleich das Waffenklirren im Vorsaal. »Anziehen, rasch!« befahl sie. Da stieß Pollio ohne Pochen die Türe zum Schlafraum auf, der Flügel fuhr krachend an die Wand. Ohne Gruß, den Kopf mit dem Helm duckend, dessen Roßkamm den Türrahmen fegte, trat er ein. Fünf Centurionen folgten ihm und besetzten mit gezogenen Schwertern den Zugang zum Zimmer der Hofdame vom Dienst, zu den Bädern, zum Ankleideraum, zum Vorraum, zum Sklavengang.

Pollio machte, immer noch ohne Gruß, drei Schritte auf das Bett der Kaiserin-Mutter zu und schnarrte: »Im Namen des Casars Tiberius Claudius Nero!«

Agrippinas schneller Blick erhaschte in der offenen Tür einen Schimmer von Burrus' rotem Mantel.

»Burrus!« dachte sie. »Es hätte schlimmer kommen mögen!« Sie hatte nur von der seidenen Decke verhüllt geschlafen. Wie sie auf beide Arme gestützt aufgerichtet saß, war ihr Oberkörper völlig nackt. Sie machte keine Bewegung, ihn zu bedecken. Sie sah Pollio voll und groß an und wiederholte: »Cäsar Tiberius Claudius Nero? – Meinst du, daß es diesem Namen sehr viel Ehre macht, wenn sechs Männer seine Mutter nackt im Schlafzimmer überfallen?«

Agrippina sah ein Zucken und Zögern über Pollios gebräuntes Gesicht gehen. – Er riß den Kopf hoch – und gab den Centurionen einen Wink. »Zugänge von außen besetzen!«

Und mit der wilden Genugtuung des ersten gewonnenen Gefechts sah Agrippina die Wachen abziehen.

»Mach schnell«, schnarrte er, »wir dürfen Cäsar nicht warten lassen!« und wieder fegte der Roßkamm den Türrahmen. Als die Türe zuklappte, sprang Agrippina aus dem Bette. Mit der methodischen Raschheit eines langgedienten Legionärs bei Alarm machte Agrippina Toilette. – Sie sah in den Spiegel, entschlossen, die Blässe ihrer Wangen nicht durch Schminke zu beleben.

Tief Atem holend winkte sie, die Türe zu öffnen. Alexandra stieß sie auf, und Agrippinas erster Blick fiel auf Seneca. Mit einem Gefühl des Gerettetseins, der Geborgenheit fast rauschte sie zwischen den Centurionen hindurch in den Saal, in dem alle Lichter brannten.

»Ich grüße den Präfekten der Prätorianer und den ersten Ratgeber meines Sohnes!« sagte ihre schwingende, klare Stimme.

Seneca hatte sich bei seinem Eintritt in den Schatten der Bildsäule des Germanicus geflüchtet, und so stand er noch immer. Er fühlte das Herz in seiner Brust sich schmerzhaft ausdehnen und schmerzhaft zusammenziehen wie die Quallen, die er in submarine Strömungen hatte geraten sehen. »Ich habe nicht gedacht, je wieder diesen Körper nackt zu sehen«, dachte er, »und ich habe nicht gedacht, daß sechs – o nein – sieben Jahre ihm so gar nichts würden anhaben können. – O Eros, Eros! Ich bin das, was sie einen alten Mann nennen, warum strafst du mich mit allen Qualen der Jugend? Ich bin das, was sie einen Philosophen nennen, ich bin Paullinas Gatte seit einem Menschenalter und möchte vor dieser einzigen Frau der Welt im Staub liegen wie ein Sklave. Ich sollte sie retten, ich sollte ihr helfen, ich sollte diese Lähmung abschütteln, die wie böser Zauber über mir liegt, und ich kann nichts anderes tun, als an die Nächte denken, von denen ich annahm, endlich, endlich – wäre ihr Gift aus meinem Blut gewichen.«

Seneca hörte Burrus' lange Anklage – die Namen der Kläger – nur wie ferne Brandung, er wußte, daß es Agrippinas Leben galt, er hatte noch den eisigen Schrecken dieses Gefühles, mit dem er gekommen war, im Sinn, er rang nach Verständnis, nach Klarheit, nach Kraft mit der wilden Anstrengung, mit der ein ins Bebemoor geratener Wanderer nach festem Halt ringt. »– demnach des Staatsverrates beschuldigt, der geheimen Anschläge gegen die Majestät, der frevlerischen Absicht, einen Gegenkaiser zu erheben – Rom in den Schrecken des Bürgerkrieges zu verstricken! Du kennst nun deine Ankläger, du kennst die Strafe, die diesen Verbrechen droht. – Wir sind gesandt, sie zu vollziehen, wenn du dich nicht zu verantworten vermagst!«

Agrippina hatte stehend die Anklage vernommen, kein Muskel regte sich in ihrem bleichen Gesicht.

Sobald Burrus schwieg, begann sie, ohne sich zu bedenken, ohne den leuchtend klaren Blick für die Zeit eines Wimperzuckens von Burrus' Antlitz zu nehmen: »Ich wundere mich keineswegs, daß Domitia Lepida, die nie ein Kind geboren hat, die Gefühle einer Mutter für ihren Sohn nicht abzuschätzen vermag, die nicht aufflammen und abflauen wie die Liebe eines liederlichen Weibes zu ihren Buhlen!«

»O Eros! Sie ist die Fürstin der Welt. Alle anderen Frauen sind nicht wert, ihre Schuhriemen zu küssen. Wie kann man solch ein Weib besessen haben und verloren und dies Kriechtierleben weiterleben, sieben elende Jahre lang!« dachte Seneca.

»Es scheint«, fuhr Agrippina fort, »daß Iturius und Calvisius die Wohltaten der ältlichen Dame Lepida nicht besser als durch eine gegen mich erhobene Anklage zu vergelten wußten. Aber deshalb gedenke ich noch nicht, die Schmach eines Staatsverrates auf mich zu nehmen, und deshalb braucht des Kaisers Gewissen noch nicht das Verbrechen eines Muttermordes auf sich zu laden! Ich würde meiner Schwägerin Dank wissen, wenn sie mit mir in Wohlwollen für meinen Sohn wetteifern wollte, anstatt gegen mich jene abgeschmackte Komödie mit Hilfe ihrer Günstlinge in Szene zu setzen. – Die Zeit meiner Verbannung, da Nero unter ihrer Obhut stand, bot eine einzigartige Gelegenheit, ihre zärtliche Fürsorge zu beweisen. Damals erschien Domitia Lepida die Vergrößerung der Fischteiche in Bajä wichtiger als die Pflichten gegen ihren Schützling. Alle Vorbereitungen zu Neros Thronbesteigung jedoch sind einzig und allein nach meiner Rückkehr und von mir getroffen worden.«

»Es gibt manchen Senatsredner, der von ihr zu lernen vermöchte!« dachte Burrus ergriffen.

»Als Britannicus noch lebte, sagte der Unverstand mir nach, ich hätte die Absicht, ihn zum Gegenkaiser zu erheben! Hätte ich nicht wahnwitzig sein müssen, zu denken, daß der Sohn meiner Feindin Messalina –« sie machte eine Pause und hob die Brauen, ohne den Blick zu senken »– und der des Kaisers Claudius mich hätte leben lassen können, falls er Kaiser geworden wäre? Und wie hätte Britannicus meinem Herzen näher stehen können als mein eigenes Kind? Mein Fleisch und Blut? – Und dieser Plautus –«, jetzt senkte sie den Blick, um ihn ernst wieder zu heben, »– dessen Hand ich vor acht Tagen ausschlug! Wenn er oder irgendein anderer als oberster Richter an die Spitze des Staates träte, fehlte es dann wohl an Anklägern, die mir nicht nur unvorsichtige Äußerungen meiner gekränkten Mutterliebe, sondern Verbrechen vorzuwerfen hätten, von denen bloß mein Sohn mich freisprechen kann?«

»Wie klug!« dachte Burrus. »Und wie tollkühn! Diese Frau ist der einzige Mann in Rom!«

»Nun also!« dachte Pollio. »Wenn sie ihn abgewiesen hat, dann ist ja alles in Ordnung! Um so besser! Abmarsch, Abmarsch zur Meldung an Cäsar! – Eigentlich ähnelt sie unglaublich meinem Herrn!«

»Augusta!« sagte Burrus ehrfurchtsvoll. »Ich bin sehr glücklich, dem Kaiser deinen lichtvollen Bericht weiterleiten zu können! Ich gehe sehr viel fröhlicher fort, als ich kam. Vergib einem alten Diener des Staates die Ausübung seines harten Dienstes.«

»Ich bin noch nicht zu Ende, Präfekt!« sagte Agrippina und ihre Wangen und Augen flammten. »Ich bin unschuldig angeklagt worden. Ich verlange eine Unterredung mit meinem Sohne – diesmal ohne Beisein von Tribunen und Centurionen!«

»Ich werde deinen Wunsch vor Cäsar bringen«, versprach Burrus.

»Wache! Antreten!« schnarrte Pollio. Alle Türen flogen auf. Die Offiziere leisteten wie ihr Präfekt vor der Kaiserin-Mutter den Waffengruß.

»Abmarsch!« befahl Pollio, und die taktfesten Schritte verklangen.

Seneca trat aus dem Schatten der Bildsäule.

»Das war ein Sieg!« murmelte er erstickt.

Agrippina fiel in den nächsten Sessel, als versagten ihre Knie den Dienst.

»Nur der Abschluß eines Waffenstillstandes!« sagte sie und schlug die Hände vor das Gesicht.

 

Die Vorläufer hielten wie zurückgezügelte Rosse an und zwangen die zwölf Lictoren und die reitende Leibwache, stillzuhalten. Nero, der allein in der Sänfte lag, richtete sich auf und lugte mißvergnügt und ungeduldig durch die Vorhänge. Er gewahrte, daß die Priesterin der Vesta von ihrem uralten Recht Gebrauch machte, das ihrem Tragstuhl als dem einzigen Vorrang vor dem Cäsars sicherte.

Und wie Nero halb unwillig über diese Demütigung, halb für die willkommene Verzögerung dankbar, durch den Vorhangspalt sah, traf sein Blick gerade den scharfen und weisen Blick der winzigen Alten. Die Vestalin Lälia zählte fast achtzig Jahre und ward vom Volke als Wundertäterin des Herzens angebetet. Nero hatte das Gefühl, als müsse er feig den Vorhang schließen, um sich vor ihr zu verbergen. Aber zu seinem Erstaunen hob Lälia ihre welke Hand zum Gruße: »Gesegnet seist du, der du zu deiner Mutter gehst, um dich mit ihr zu versöhnen«, sagte die erstaunlich lebendige alte Stimme.

Nero neigte verblüfft das rote Haupt, da war die Vestalin schon vorübergezogen und er fühlte das Bett, auf dem er lag, wieder vom Gleichtrab der acht Träger geschaukelt.

»Sieh an! Welch eine Gnade! Nie vorher hat sie mich auch nur zu bemerken geruht, wenn ich ihr begegnete. – Und daß sie wußte, wohin man mich trägt. Diese Priester stecken doch ihre Nase in alles!«

Man bog zum Forum ein, und die Läufer hatten Mühe, einen Weg zu bahnen.

»Da stehen die guten Bürger und glotzen nach Cäsar!« dachte er. »Anfangs hat es mich gefreut, jetzt ist es mir so lästig wie das Dutzend langer Kerle mit den umbündelten Beilen da vorne. Was gäbe ich darum, einmal allein mit Otho – ach nein, schade um Otho, er hat allen Verstand in Poppäas Bett gelassen. Welcher Narr, wahrhaftig! – eine Poppäa zu ehelichen! Statt Crispinus zum Hahnrei zu machen, selbst einer zu werden! – Nein, also was gäbe ich darum, einmal mit Senecio abends allein so durch die Stadt zu gehen! Wie sie glotzen! Ich muß sie doch einmal anlächeln! Der dort hebt den Knaben auf den Nacken – recht so, zeig ihm ihn nur, euren jugendlichen Gott! Er ist gar nicht uneben anzusehen! – Ich wette, das dort ist ein kleiner Dichter, er streicht so um den Laden des Cressus, um zu sehen, ob seine selbstgeschriebenen Verse verkauft sind – und diese strenge Matrone hat sicher blutig um die fette Gans und die Melonen gefeilscht, die die Sklavin ihr nachschleppt. Was sagten sie wohl, all diese, wenn Cäsar jetzt aus seiner Sänfte heraus zu singen begänne? – Wie sie Heil schreien, die Guten! Was rufen sie? ›Heil dir, der du zu Agrippina gehst!‹ O all ihr Dämonen! Erst war es Britannicus, dessen Name mich verfolgte – jetzt ist es Agrippina! Was will da die Alte – ist sie toll? Ich will nicht, daß sie Blumen werfen! Wo bleiben die Heruler?«

Eine geschürzte dicke Blumenhändlerin stand da, hielt einen riesigen Strauß ihrer schönsten campanischen Rosen hoch, die sie in die Sänfte zu werfen strebte. »Bring sie Mütterchen Agrippina!« schrie sie.

»Die beste Gelegenheit für die Plautusse! Man braucht nur einen Stein in die Blumen einzubinden«, dachte Nero und duckte sich in eiskaltem Schrecken aufs Bett. Der Anführer der Heruler kam, fing den Strauß im Wurf auf. »Nein, nur törichte Blümchen der Volksseele!« grinste Nero für sich. Die Reiter hatten endlich den Verstand, die Menge abzudrängen. Man bog in die Straße der Waffenschmiede ein.

Gleich darauf sah Nero vor dem Seitentor des Palastes eine andere, neue Menge sich stauen. Hohlwangige Weiber mit zerlumpten Kindern an der Kleidfalte und neugerundeten Leibes, schmutzstarrende Alte, Greise an hohen Stäben. Er ließ den winzigen Hammer aufs silberne Läutschild fallen, und sofort zeigte sich der beflügelte Helm am Fenster der Sänfte. »Was sind das dort für Leute? Worauf warten sie?«

»Auf ihre Suppe, Herr! Die Augusta speist sie täglich.«

»Wie lange tut sie das schon?«

»O Herr, fast so lange, als die Erhabene den Palast bewohnt.«

Nero unterdrückte einen Fluch. »Und so etwas meldet mir niemand!« dachte er. »Kein Wunder, daß sie schreien: ›Mütterchen Agrippina‹« – er äffte ihnen in Gedanken nach. Die Bettler warfen sich der Sänfte entgegen.

»Segen über Nero! Segen über den, den Agrippina geboren hat!«

»Sie stinken! Streu ihnen Geld und mach, daß sie fortkommen!« zischte Nero. Der Kupferregen fiel. Nero sah mit einem feuchtlippigen Grinsen zu, wie sie sich zu Boden bückten – eine Schar pickender Hühner mit zum Himmel gekehrtem Sterz –, dachte er und dann lachte er laut, als zwei Weiber einander an den Haarzotteln zu zerren begannen.

Sein Lachen erstarb, als er in den Saal mit dem Standbilde des gepanzerten Germanicus eintrat.

Agrippina erhob sich, ihn zu grüßen. Er stutzte. Dies hatte sie sonst nie getan. Auch in ihrer Erscheinung befremdete ihn etwas Neues. Dann gewahrte er, sie hatte zum erstenmal Matronentracht angelegt. »Will sie mich mit so billigen Kniffen fangen?« dachte er verärgert.

Agrippina fühlte ein Schluchzen in ihrer Kehle aufsteigen, als sie Neros Gesicht wiedersah. Sie hätte ihm, der kleiner war als sie, die Arme um den Hals werfen – sie hätte ihn küssen mögen, ihm sagen, daß sie ihm verzeihe, sich eigener wilder Schuld bezichtige. – Sie überwand sich und lächelte. »Nero, ich habe dich um diese Unterredung bitten lassen, die – wenn meine Absicht Cäsars Billigung findet – zugleich ein Abschied für einige Zeit sein soll!« Sie sah Neros Augen sich weiten und fuhr fort: »Ich gedenke, mich nach Tusculum zurückzuziehen. Ich habe Erholung sehr nötig, Nero.«

Nero öffnete die Lippen, um das Aufseufzen der Erleichterung in eine Geste fassungslosen Staunens zu wandeln. Er hielt den Blick nicht auf sie gerichtet, weil er fürchtete, sie werde das unendliche Erlöstsein darin lesen, sondern auf den Becher, in dem der dunkle Warmwein, den der Schenke eingoß, höher und höher anstieg.

»Ich bin auf Kampf, auf Flüche, auf Vorwürfe gefaßt gewesen, auf alles Böse, nur nicht auf dies Wunderbare!« dachte er. »Ich wage auch noch nicht, es zu glauben, nein! – Sie will vielleicht nur, daß ich ihr abrede, um dazubleiben.« Er trank gierig den vorgekosteten Wein und dachte dabei an die Bettler, die dann umsonst auf ihr Süppchen warten würden.

»Vielleicht ist das kein so übler Gedanke, Mutter!« sagte er zurückhaltend. »Denn dein Aussehen ist nicht so gut, wie ich es wünschte! Dein Wohl geht allem vor, selbst meiner natürlichen Trauer, dich entbehren zu müssen!«

Agrippina senkte die Lider, um den Schmerz zu verwinden, ehe sie weitersprach. »Wie er sich freut!« dachte sie. »Wie er sich freut, daß seine Mutter ihn verläßt. Aber er darf mir nicht anmerken, was es mich kostet, in die zweite – oh, in die viel schwerere Verbannung zu gehen!« Sie lächelte. – »Du weißt, jedem Scheidenden ergeht es ein wenig wie Odysseus, den, als er wiederkehrte, nur sein Hund noch erkennen wollte. – Ich weiß nicht, wie ich dich wiederfinden werde, Nero, und ich möchte die Abschiedsstunde nützen, um dir noch einiges zu sagen.«

»Jetzt kommt es. Aber mag sie heute predigen, mag sie, wenn sie nur morgen wirklich reist! – Oh – dies Gesicht kenne ich! Wird sie die gekränkte Spenderin meines Lebens spielen? – Oder wird sie die bis zum Ekel bekannten Drohungen erneuern? Oder – noch viel schlimmer – wird sie versuchen, sich zu verteidigen? – Nein, ich hätte mich doch nicht bereden lassen dürfen, in diese Falle zu gehen –«

Agrippina holte Atem.

»Die Parther haben diesen Sommer eine ungeahnt reiche Ernte gehabt«, begann sie überraschend. »Das bedeutet, daß sie den Krieg neuerdings aufflammen lassen werden. König Vologäses wird seinem Bruder Tiridates ein Heer zu Hilfe senden. Im Frühling sind die ersten kriegerischen Maßnahmen des Feindes zu erwarten. Der Feldherr Pätus, Thrasäas Neffe, ist vollkommen untüchtig. Er wird schweren Stand haben, und wir werden geschlagen werden. Er hat schlechte Soldaten, die Hälfte der Elften, die zu lang in Syrien gelegen ist und die das Wohlleben dort schlaff gemacht hat. – Falls du mir erlauben willst, dir eine kleine Anregung zu geben –« Agrippina schwieg und sah ihn fragend an. Und fassungslos vor Staunen, vor Interesse völlig unsicher geworden, murmelte Nero: »Gewiß, gewiß, Mutter!«

»– so sollten in Kappadokien und Galatien Aushebungen gemacht werden«, fuhr sie rasch fort. »Das sind die Soldaten, die Corbulo braucht. Ich weiß, daß Eifersucht und Neid ihn von dir zu verdrängen strebten, aber doch ist Corbulo allein der Mann, der dort nottut! – Er müßte des Geländes wegen auch eine Legion vom Rhein mit ihrer Flankenreiterei haben, und mindestens zwei Hilfskohorten müßten an ihn gesandt werden – aber nicht erst im Herbst – jetzt, gleich, sofort! Solang es Zeit ist!«

Neros zwinkernder Blick schweifte umher, um zu Agrippinas glühendem Gesicht zurückzukehren.

»Mutter!« stammelte er. »Du lebst hier – hier« – er dachte: »Ich spreche es aus, jetzt hat sie es verdient« – »in deiner Verlassenheit, woher weißt du, was meine Generäle und Feldherren nicht wissen?!« – »Von Plautus!« fiel ihm ein, und sein Gesicht verzerrte sich.

»Nicht von Plautus!« lächelte Agrippina mit einer ganz neuen, verstehenden, verzeihenden Anmut. »Sieh, deine Generäle kaufen kein persisches Rosenöl von griechischen Händlern. Sie erfahren nicht, daß das Rosenöl dies Jahr den doppelten Preis hat, weil die märchenhafte Ernte alle Landeigenen so reich gemacht hat, daß sie es selbst ihren Frauen kaufen, statt es ausführen zu lassen. Und sie erfahren auch nicht, daß die Händler – wie mein guter Lysippos – als Rücklast Waffen in Massilia laden. – Ich habe viel Zeit und da plaudere ich gern nach dem Handel mit Lysippos. Er kommt weit umher und hat den scharfen, schnellen Blick des Mannes, der gewillt ist, sich an guten Gelegenheiten zu bereichern!«

»Ja, aber du erwähntest die syrischen Kohorten! Pätus klagt und zetert allerdings in allen seinen Briefen über sie. Mutter – du hast vielleicht –«

Agrippina runzelte die Brauen und biß die Unterlippe. »Wozu sitzt er da und redet mit mir, wenn er ja doch jedem meiner Worte mißtraut?« dachte sie und sie fuhr blitzenden Auges auf: »Meinst du, ich zahlte deine Boten? Oder ich bestäche deine Geheimschreiber?«

Nero sah sie an und dachte enttäuscht und triumphierend zugleich: »Nun wirft sie die Maske ab! Nun also, ich habe ja gewußt, daß sie die Abgeklärte nur mimt!«

Agrippina las dies alles auf seinem Gesicht, das sie so gut kannte. »Wenn ich mich jetzt nicht beherrsche, wird er mich für immer verachten!« fühlte sie mitten in ihrem alten Zorn und Trotz. »Viel schlimmer! Ich selber werde mich verachten!« Und mit einer in ihrer Ungewohntheit übermächtigen Anstrengung, die ihr Gesicht einen Augenblick zerriß, zügelte sie ihre eigenen wilden und herrischen Instinkte wie ein Wagenlenker das scheuende Viergespann. – Vorsichtig die Stimmlage wählend, um die von rasendem Herzklopfen atemlose Stimme in ihre Gewalt zu bekommen, begann sie: »Ich habe Arme, die ich speisen lasse –« Nero hatte staunend die Veränderung gesehen und halb aus Ärger, weil er sich der Bettlerschar erinnerte, halb aus boshaftem Unglauben, der Agrippina doch zum Ausbruch reizen wollte, sagte er in einem Ton, der alles andeutete, was er darüber gedacht hatte: »O ja, – die habe ich gesehen.«

»Ist es mir nicht erlaubt, von meinem eigenen Vermögen die Dämonen der Hölle zu speisen, wenn ich es für gut erachte?!« dachte Agrippina – aber sie senkte den Kopf und sprach es nicht aus. – Sie besann sich, und dann war plötzlich ihr neues Lächeln um ihren Mund. »Gönn es mir und ihnen, mein Guter! Sie sind wirklich arm. – Und höre, vielleicht dankst du der lahmen alten Lucia, die meine Suppe löffelt, deinen Feldherrenruhm! – Sie holt sie sich nämlich, weil sie sonst daheim verhungern müßte. – Neun Jahre hat sie von der Heimkehr ihres Sohnes und von besseren Zeiten geträumt. Und nun, da er vom Legionsdienst bei der Elften in Syrien zurückgekehrt ist, muß sie ihn noch von ihrem Spinnlohn erhalten. Und sie schwört mir, er wäre in diesen neun angenehmen Jahren auch nicht einmal auf Wache gezogen, habe nie einen Panzer angeschnallt, nie Schanzen und Gräben gesehen, habe nichts gelernt als zu trinken, zu würfeln und Weibern nachzuhangen! – Nun, Cäsar, ist, wenn man meine Lucia gehört hat, der Rückschluß schwer, daß Corbulo – und gar Pätus! – mit solchen Soldaten niemals zu siegen vermöchten?«

»Mutter, ich muß dich bewundern! Mutter, du häufst glühende Kohlen auf mein Haupt!«

Agrippina entzog sich ihm.

»Bist du für einen kleinen Ratschlag so dankbar?« sagte sie, ihn mit ihren großen Augen anschauend. »Dann vergilt es mir und grolle meinem letzten Anbeter nicht allzusehr. Bestrafe Plautus nicht zu hart dafür, daß ich ihm meine Hand versagt habe –«

»Er ist nicht dein letzter, Mutter! Alle Männer müssen dich anbeten, und am meisten tut dies dein eigener Sohn. Ich schwöre dir, daß Plautus nichts zu befürchten hat, so wahr ich Cäsar von Rom bin – so wahr du mich zum Cäsar von Rom gemacht hast!« sagte Nero in überschäumender Bewunderung.

»Gut!« sagte Agrippina. »Dies wäre alles, was ich zu erinnern und zu erbitten hatte.« Sie sah Nero ruhig in die kurzsichtigen Augen. »Im übrigen wird Cäsar selbst entscheiden, was jene Verleumder an Strafe verdienen, die seine Mutter bei ihm anklagten!«

Nero erhob sich wie sie. »Mutter – willst du denn wirklich von mir fort?«

»Ich reise morgen bei Tagesanbruch«, sagte Agrippina, und nun fiel es ihr wunderbar leicht, da sie das heftige Bedauern in seinen Zügen las. »Lebe wohl, mein Sohn!«

»Lebe wohl, Mutter!« brachte Nero mit zuckenden Lippen hervor und er dachte: »Ich stürze mich ihr zu Füßen! Ich flehe sie um Verzeihung an –«

Aber Agrippina, streng in das Oberkleid der Matrone wie in einen Panzer gehüllt, trat zurück. Ihr Gesicht strahlte vor großer inneren Genugtuung. »Sei glücklich, Cäsar«, sagte sie.

Nero neigte sein rotes Haupt tief vor ihr und ging schwankend wie unter schwerer Last.

»Ich Narr! Warum gräme ich mich denn? War es nicht dies, was ich insgeheim für das Ziel meiner Wünsche gehalten habe?« dachte er zornig über sich selbst, über den nicht wegzuleugnenden Schmerz in seiner Brust. »Jetzt endlich werde ich leben können, wenn sie fort ist! – Unausdenkbar – Rom ohne Mutter! – Wird es mich nicht ewig treiben und ziehen nach Tusculum? Tote kann man nicht erwecken – aber jemand Erreichbaren zu missen – eine Reise weit – oh, sie hat recht – ich muß endlich frei atmen –«

Er stand still und sah sich um, aber er war, Burrus' Drängen folgend, allein gekommen, es war niemand mit einer Schreibtafel zur Hand.

»Also die Kappadokier, die Galater – die rheinische Reiterei – am besten die aus ihrer Stadt, aus Colonia Agrippinensis – und was war es noch – ja – die Hilfskohorten! – Welcher anderen Frau, ach was, welchem anderen Menschen auf der Welt fiele es ein, einem dies zu raten, an dies alles auch nur zu denken! Wäre sie doch – oh! Wäre sie doch nur mein Ratgeber hinter dem Vorhang geblieben! – Eines ist gewiß, daß heute eine neue Epoche für mich beginnt, und es ist hart für einen Mann von achtzehn, so allein zu sein! – Es wird immer Menschen geben, die ich achte und dabei hasse, wie Thrasäa Pätus – es wird solche geben, die ich achte und belächle, wie Seneca – es wird Menschen geben, die ich begehre – o viele! – und solche, die ich gebrauche – aber wen werde ich je wieder zugleich lieben und achten und hassen und brauchen wie heute meine Mutter? Wen auf der ganzen Welt?!«


 << zurück weiter >>