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Wie Gudrun und Hildburg Wäsche wuschen für Hartmuths Ingesind – Frau Hilde weist Frute die Schätze von Hegelingeland – Herr Herwig und Herr Ortwin

*

Am Abend entbot Hartmuth Ortrun, seine junge Schwester, und da er vor ihr stand, da sah er, wie lieblich das Kind sich zur Jungfrau zu wandeln begann. Er bat Ortrun mit Stocken und vielen Fragen, ihm zu helfen, daß Gudrun ihres Leides vergäße. Und gelänge ihr dies, dann wolle er ihr viel wundersames Geschmeide schenken und fremde Gewänder, wie er sie von der Heerfahrt heimgebracht habe. »Gern will ich zu ihr gehen und von ganzem Herzen«, sprach Ortrun, »denn lange schon reut mich ihr Jammer. Ich will ihr mein Haupt neigen, und all meine Frauen sollen ihr dienen, als wären sie ihr zu eigen.«

So ward Gudrun in Ortruns Gemach geführt, und Hartmuths junge Schwester bot ihr tiefroten Wein, wie sie ihn lange nicht mehr gekostet hatte. Und als zarte Röte in Gudruns Wangen stieg, da schien sie Ortrun so schön, daß diese sich nicht satt zu sehen vermochte. Und mitten im Wort begann sie zu weinen, daß Gudrun sie in die Arme nahm, sie zu trösten. Da brachte das Kind unter Weinen hervor, wie sehr sie Gudrun als Schwägerin wünsche und ob Hartmuth denn so ganz abscheulich sei und ob Gudrun in Ewigkeit die zwingen werde, böse zu ihr zu sein, die doch so gar nicht böse wären? Gudrun koste sanft ihr helles Haar und sprach still in ihr Weinen: »Zu jung bist du und weißt es nicht, wie einer Jungfrau Herz an dem hängt, mit dem sie den ersten Kuß getauscht hat. Herwig liebe ich, Herwig bin ich anverlobt, und Herwig will ich Treue halten, bis ich sterbe!«

Da erschrak Ortrun und dachte, daß sie nie und nimmer die sein wolle, die ihrem Bruder solche Botschaft brächte. Und sie fürchtete ihrer Mutter erneuten Grimm gegen die Jungfrau von Hegelingeland.

So brachte sie halbe Antwort wieder und listigen Spruch und erwirkte, daß sie selber nun Gudrun pflegen durfte durch viele Wochen. Da wurden Gudruns arme Hände zart wie je, und ihre herben Wangen gewannen sanfte Farben. Aber wenn Herr Hartmuth sie grüßte, gab sie kalten Blick zurück und unwillige Rede, bis Hartmuths bange Hoffnung versank, trotz Ortruns tröstlicher Sprüche. Da rüstete er neu, zu noch längerer Fahrt, denn die Heimat war ihm verhaßt geworden. Er brach auf, und Ortrun weinte ihre hellen Augen rot beim Scheiden, denn nun kamen Einsamkeit und Winter wieder und das alte Leben.

Als Gerlind vom Fenster den letzten Schein der Waffen verschwinden sah, ging sie hinab und rief nach Gudrun.

»Nicht mit Zucker reitet man den Jährling zu«, sagte sie, »sondern mit Peitsche und Sporen. Ist dein Starrsinn nicht zu brechen, du Hagen Walants Enkelkind, dann sollst du mir jetzt Dienste tun, wie du sie niemals tatest!«

»Gerne, Frau Gerlind, tu ich, was Ihr mich heißet.«

Gerlind sprach langsam, Aug in Aug, mit wölfisch funkelndem Blick. »So sollst du alle Tage meine Gewänder waschen und die von meinem Ingesind. Und du magst dich hüten, wenn ich dich dabei müßig erachte. Denn dann sollst du die Rute schmecken, so wahr ich Gerlind heiße!«

Einen einzigen Augenblick lang schien es Gerlind, als schwanke Gudrun, als würde sie nun – nun endlich – laut aufweinen und flehen und ihre Füße umklammern. Aber Hagen Walants Enkelkind schloß die Augen. Und als sie sie golden wieder auftat, da lächelte Gudrun: »So heißet noch heute jemand mich lehren, wie ich waschen soll, denn dies lernte ich niemals bei meiner Mutter. Ich aber bin Euch dankbar, Frau Gerlind, daß Ihr mich meine Zehrung erwerben lehrt: Denn ich wollte nicht in Eurem Hause sein, ohne zu bezahlen, was ich zehre!«

Gerlind ließ eine der Wäscherinnen herbeiholen, die kam, wie Waschweiber einhergehen, klappernd in hölzernen Schuhen, mit zerfetztem Gewand, wirren Haares, und Antlitz wie Hände von Wind und Salzwasser zersprungen. Sie setzte nicht aus, Gudrun anzusehen, da sie mit ihr zum Strande hinabging, um sie zu lehren, wie sie aus den Kleidern der Mannen Eisenrost waschen solle und Schweiß und Blut, kniend auf scharfen Kieseln, umweht vom eisigen Wind, in dem Meerwasser, das salzig war wie die eigenen Tränen.

Als die Geiseln von Hegelingen Gerlinds neue Bosheit erfuhren, da war ihnen allen, als seien sie von Gott und dem Leben ganz vergessen. Und viele fluchten ihrem Frauentum und wünschten nichts als ein Mannesherz und ein gutes Schwert, um Frau Gerlind im Schloßhof zu erschlagen und die rote Heregart dazu, die mit dem schönen Schenken lachend zum Strande hinabgeritten war, um Frau Gudrun waschen zu sehen.

Am Abend, da Gudrun stolpernden Schritts heimkam, so müde, daß sie hätte sterben mögen, ging Hildburg von Friesenland heimlich zu Frau Gerlind.

»Ihr sollt Gudrun nicht allein waschen lassen, so wahr mir Gott helfe! Mein Vater ist ein König, wie der ihre. So übel der Dienst uns beiden ansteht, will ich doch leiden, was Gudrun leidet!«

Gerlind sah Hildburg an, die klein war, wie ihre Mutter es gewesen, zart von Wuchs und braun, wie Rehlein sind.

»Das kann nicht sein«, sprach sie barsch. »Dir würde allzu weh geschehen. Der Winter ist nah, du müßtest auf dem Schnee knien im eisigen Wind, wenn du lieber im warmen Gaden sitzen wolltest und Edelsteine auf weiße Gewänder sticken!«

Da zitterte Hildburgs zarter Leib vor Zorn und Haß, und sie rief: »Habt Ihr für mich so viel Erbarmen und habt keines für Gudrun? Was sie erleidet, werde auch ich leiden!« Und sie lief zu Gudrun und lachte: »Ich habe der bösen Wölfin gesagt, ich würde mit dir waschen!«

Da umfing die Heimatlose sie sanft mit beiden Armen: »Das lohne dir der liebe Christ, daß du trauerst um meinetwillen! Dies wird uns die Weile kürzen, wenn wir zu zweit am Strande stehen.«

Und es kam ein neuer Morgen, und die beiden Königskinder wuschen der Normannen schmutzige Kleider rein, und Nächte kamen und immer neue Morgen. Bis das siebente Jahr sich vollendet hatte seit der großen Schlacht am Wülpensand ...

Als aber sieben Jahre vergangen waren, da kam Herr Frute nach Hegelingen. In jedem dieser sieben langen Jahre war Frute an Hildens Hof gekommen, und Mal um Mal hatte sie ihn zum Hafen geleitet und angstvoll gefragt, ob er der Schiffe noch immer nicht genug finde und noch nicht genug der Waffen. Denn da war kein Wald in Hegelingeland, in dem nicht des Holzfällers Axthiebe klangen, keine Berglehne, über die nicht die frisch entrindeten Stämme weißleuchtend rollten. Und es war keine Schmiede im Lande, in der nicht glühendes Eisen sich wand unter hartem Hammer. Aber Mal um Mal war Frute schweigend davon geritten.

Und wieder kam Weihnacht, und Frute kam. Da sah er Frau Hildens Antlitz anders als sonst, da sie ihn grüßte. Sie ritten zum Strande hinab, und Frau Hilde hielt lächelnd still, während Herr Frute die Schiffe zählte. Weit hinaus lagen sie unter der kargen Sonne, Bord an Bord, Mast an Mast und Segel dicht an Segel. Die Farben leuchteten frisch, und in makellosem Weiß wehten klatschend die Zeichen. Im neuen Tauwerk sah Frute wie kletternde Käfer braune Jungen sich schwingen, und einer von ihnen, mit Haaren wie Bast so hell, rief lachend herüber: »Wann fahren wir, Herr Frute, die schöne Normandie zu sehen?«

»Eher, dünkt mich, als Herrn Ludwig lieb ist!« murmelte Herr Frute. Und er richtete sich im Sattel auf.

Sie ritten nach Matalane zurück, und Frau Hilde hieß das Waffenhaus aufschließen, mit dem Schlüssel, der nie aus ihren Händen kam. Die alten Knechte, die noch in Irenland gewesen waren, hüteten die Halle. Da war Haken neben Haken eingeschlagen, und auf jedem hingen scheinend ein Panzerhemd und ein Helm, blinkend wie Silber. Darunter lehnte Schild um Schild, funkelnd im einbrechenden Licht. In Gestellen lehnten Speere, und die neuen Schwerter hatte man auf dem Estrich zuhauf getürmt, schmale Wege blieben ausgespart zwischen ihnen. Auf denen standen grinsend die alten Knechte, einer hinter dem andern, und fragten: »Wann, Herr Frute, ist es so weit, daß die Normannen wieder Waffen sehen aus Hegelingen?«

»Eher, dünkt mich, als Frau Gerlind sich träumen läßt!« sagte Herr Frute, und er lächelte, da er aus dem Hause trat.

Frau Hilde ging weiter. Sie traten in die Pferdeställe, und Herr Frute sah Roßrücken an Roßrücken, spiegelnd im Fell und prall – schwere dänische Streithengste, deren Mutterstuten er noch als Fohlen gekannt hatte, zähe Araber und feurige Rosse aus Hispan, die kämpfen wie ihre Reiter und gewohnt sind, einen langen Stachel auf ihrer Brust zu tragen, der wie ihres Herrn Schwert tötet.

Frau Hilde ging weiter. Sie sahen Rinder mit gewölbten Augen nach ihnen blicken, schwere Schweine inmitten wimmelnder Ferkelschar, Lämmer in endlosem flockigem Gewimmel, mit Frau Hildens rotem Hauszeichen gefärbt.

Sie traten ins Vorratshaus, in die himmelhohe Rauchküche, die nach Wacholder, nach Ruß und Fichtennadeln roch und in der reihenweise die Eber Schinken hingen und die Speckschwarten mit weißlicher Breitfläche. Da waren Kisten mit Hartbrot und Fässer bauchig voll mit Wein, und Dörrfisch war da und Hartkäse in riesigen Laiben, groß wie Wagenräder. Und endlich trat Frau Hilde ins Haus und führte Herrn Frute an der Hand und ließ ihn von der Treppe hinab in den Schloßhof von Matalane blicken. Aus dem tönte Ballschlag her und helles Gelächter. Da stand Schar gegen Schar, helläugige Jugend, lebendig und leichten Fußes. Und einer führte sie, nicht Knabe ganz und doch auch noch nicht ganz Mann. Er schlug den Ball mit Schnelligkeit und Schärfe und sprang ihm nach, wie der Pardel springt, unbewußt seiner Anmut und sicher seiner Kraft.

Da lachte Herr Frute auf, und Herr Ortwin blickte empor, er stieß einen hellen Ruf aus und setzte in Sprüngen über die Treppe, ihn zu grüßen.

»Wie gleicht er doch Gudrun!« sagte Herr Frute.

Frau Hilde faßte seinen Arm und sprach, zwischen Angst und Hoffnung: »Verlangt Ihr mehr noch Herr Frute?«

»Die Zeit ist erfüllt«, sprach er. »Laßt die Boten reiten.«

Hildens Zeichen ging durch die Lande, von guten Männern getragen. Bis nach Alzabe kamen die Boten. Sie wurden mit vieler Ehre empfangen, und als sie schieden, nahmen sie viel Gold mit sich und die langgekräuselten Federn eines bunten Vogels, zum Zeichen, daß der Herr vom Mohrenland Frau Hilde sein Wort löse.

Von allen Seiten zogen die Heere her, wie Wetterwolken am Himmel aufziehen. Der Vorlenz war kalt, stürmisch das Meer und grundlos waren die schlechten Wege, aber doch kamen sie zu Tausenden, und jeder blasse Sonnenstrahl spiegelte sich in Waffen.

Vor Matalane reihte sich das Heerlager, Zelt um Zelt, über dem die Farben im Märzwind wehten. Für jede Hundertschaft, die ein Fürst mit sich führte, war ein Schild vor seinem Zelte aufgepflanzt, und Frute zählte der Schilder viele.

Herr Morung, der eines Kindes Raub zu rächen hatte wie Frau Hilde, ging mit Ungeduld durch die Reihen. »Ich habe die Schilde gezählt wie Ihr, Herr Frute!« drängte er. »Unser sind sechzigtausend gute Männer! Es hat nicht Sinn, auf die von Mohrenland zu warten!«

»Sieben Jahre haben wir gewartet, Herr Morung, nun wollen wir aber auch keinen Arm missen. Der Herr von Alzabé hat zugesagt, er käme mit zwanzigtausend Streitern.«

Herr Horand aber sah wohl, wie Herr Herwig nun den bang angehaltenen Atem in erlöstem Seufzer ausstieß, als eile es ihm minder als Herrn Morung mit der Heerfahrt.

Des Abends saß Herwig im Saal, und einer der gefleckten Jagdrüden schlief, schneckenförmig eingerollt, ihm zu Füßen. Da trat ein Mann zu ihm, ohne daß der Estrich geknarrt hätte, nur der Hund tat ein wachsames Auge auf. Herr Horand setzte sich still auf das Bankende, und sogleich erhob sich der Rüde, stellte sich vor ihn und legte den schweren Kopf auf Horands Knie. Reglos sahen die braunen Augen auf, während des Sängers sachte Hand mit dem Behang spielte. Das graue Eichhörnchen kam aus dem Rade hervor und war mit nachwippendem Sprung schon auf Horands Schulter. Zum Schluß kam schlendernd auch die Katze vom Feuer her.

Sprach Herwig voll Ungeduld: »Gib doch die Tiere fort!«

»Alle kommen zu mir, die Frieden suchen«, antwortete Herr Horand aus dem Schatten, und es war, als sei seine Stimme noch süßer geworden, seit er nicht sang.

»Wer wäre es denn, dem hier Frieden mangelte? Du siehst es! Sieben Jahre sind vergangen, da ziehen sie nach Gudrun aus. Und keiner fragt: Wie werde ich sie wiederfinden? Wer weiß, es grüßt uns vielleicht Hartmuths Erbe zu Normandie, ein goldäugiger Knabe!« Horand schwieg, und der Rüde seufzte in Wohlbehagen unter seiner Hand. »Sieh!« sprach der Sänger, »es gibt wohl Frauen, die wie Hökerinnen sind und ihr Kienlicht ausblasen und neu entzünden, Tag um Tag. Aber andere wieder, seltene, gibt es, deren Liebe ist wie die Flamme vor dem Kreuz des Herrn, die nie lischt und brennet ewiglich ...«

Herr Horand erhob sich.

Das Eichhorn floh mit raschelndem Lauf aufs Bord hinauf, der Rüde trottete mit Horand aus dem Saale. Nur die Katze stieg sacht auf Herwigs Knie hinüber.

 

Endlich waren die Schiffe da aus Alzabé, die so fremd aussahen – hochbordig und bespannt mit seidenen Schattenzelten, gestreift in Rot und Grün. Zwanzigtausend Sichelschwerter brachte der König den Hegelingen zu, und sein braunes Antlitz zwischen den schaukelnden Ohrreifen lachte vor Freude. Man begann Waffen und Zehrung und Rosse einzuschiffen. Als sie nun ziehen sollten, da ging Frau Hilde hinab und dankte ihrer aller Treue. Sie zog Hettels weißes Zeichen hervor, darin die Blutflecken bräunten, und breitete es aus vor ihnen allen, und sie senkten davor das Schwert. »Dem Fahnenträger sollt ihr folgen, den ich euch weise. Denn wer zu ihm steht, der wankt nicht im Sturm!« Sie trat zu Horand von Dänemark und bot ihm die alte Fahne, und er neigte vor ihr ein Knie und band das Tuch an den Schaft. Und Frau Hilde bat heimlich Freund um Freund, ihres lieben Sohnes Ortwin zu achten. Da setzte Wate sein Haupt zum Pfand, daß er den jungen König heil wiederbrächte. Ortwin zürnte lange, da er hievon erfuhr. Denn er und die Gefährten, die bei ihm weilten, waren alle zu Waisen geworden auf dem Wülpensande, und wie Welpen waren sie alle durstig nach Blut und Rache.

Das Meer war glatt und der Wind war so, als schöbe sie eine große Hand sanft vorwärts über spiegelnde Fläche. Sie kamen ohne jede Fährnis bis zum Wülpensande, wo unter dem Mal von Stein ihre Väter ruhten. Sie stiegen an Land und knieten vor den Gräbern, die die weißen Mönche getreulich gepflegt hatten. Die Hegelinge gaben neue Spenden für ein Kloster, das dem Kirchlein zugebaut worden war, die Walstatt in eine heilige Stätte zu wandeln.

Als die andern zu Schiffe gingen, trat Wate zu Hettels Grabhügel. Er drückte die Spitze seines nackten Schwertes mit seinem ganzen Gewicht in die gefrorene Erde. Und wie er so über seinem Schwerte lehnte, sah er nicht hinab, er sah zum Himmel, über den Wolken trieben.

»Ich habe nichts vergessen, Herr König«, sprach er. »Nichts von dem, was ich geschworen habe.«

Als sie vom Wülpensande steuerten, war es, als hätten sie das Fahrtglück nicht mit an Bord genommen. Sturm zog auf, tückischer Märzsturm, der sie aufs Meer hinausblies. Schwarz kochten die Wogen, es klagte im Mast wie streichende Nachtvögel, es seufzte in den Segeln, und die Schiffe gingen tief, als trügen sie verborgene Last.

»Das sind die Streiter vom Wülpensand, die mit uns fahren!« sprach Frute, dem mehr als andern zu schauen vergönnt war. Wate stand und führte das Steuer, übersprüht von Sturzwellen, und all die Zeit kreisten mit weiten Schattenschwingen, sinkend wie zum Zustoß und sich hebend mit einem Wippen der äußersten Schwungfedern, die Meervögel über ihm, unter diesem grauen, zerrissenen Himmel. Dann stieg Nebel auf und war wie feuchtmodriges Grablinnen um sie.

Sprach Frute: »Sie wollen etwas. Aber ich kann sie nicht verstehen.« Sprach Horand: »All die Zeit her denke ich, ob sie uns nicht warnen wollen, neue Schuld zu begehn, da wir gesandt sind, fremde Schuld zu strafen! Wir sollten nicht unversöhnlicher sein zur Normandie, als es Christenrittern geziemt.«

Und als er dies gesagt hatte, da riß der Nebel mittendurch, wie ein mürbes Laken reißt, und mit eins hob sich schütternd das Schiff.

»Land! Land!« jauchzte der Späher.

»Das ist die Küste von Normandie!« sprach Herr Horand. Eine Waldbucht kannte er, da warfen sie Anker aus, damit man die Schiffe nicht von den Burgtürmen her erspähe.

Unter uralten Fichten, durch deren Dach kein Schneefall drang, lagerten die meermüden Mannen, und sie freuten sich wie Erlöste der festen, nadelbestreuten Erde, des Trunkes aus eisumgebenem Quell, der runzligen Hagebutten an den Sträuchern. Aber Frute gönnte ihnen nur kurze Rast, denn der Feind war nahe. Er hieß sie die Rosse an Land führen, die steif von langem Stehen waren, und ihnen doppelt den Hafer bemessen vor den Mühen des morgigen Tages.

»Jede Halsberge mögt ihr heute noch prüfen und jeden Sattelriemen, daran hängt oft eines Helden Leben. Und wem immer sein Panzer nicht taugt, der tausche ihn für einen bessern. Fünfhundert gute Rüstungen gab uns Frau Hilde im Überfluß, da wir schieden.«

Es wurden Feuer entzündet und Speisen herbeigetragen. Messer schnitten in Eberkeulen, während die Rosse über hafergefüllten Schilden schnoben, denn Frute wußte wohl, daß man Mann und Roß am Abend vor einer Schlacht speist und nicht am Morgen. Sie wurden satt und müde, Schlaf sank über sie. Ein Feuer nach dem andern brannte herab und warf glosenden Schein auf die rötlichen Fichtenstämme, die endlos in den Schatten aufzuwachsen schienen, und auf die Helme der Wachen, die, von beiden Seiten her schreitend, im Lichtkreis zusammentrafen.

Abseits an einem Feuer saßen Herr Wate und Herr Frute wach, deren Alter nicht langen Schlaf kannte. Und Herr Herwig war bei ihnen, der, das Kinn auf beide Fäuste gestützt, in die knackende Lohe starrte, und Herr Horand, der manchmal über seine Schwertklinge strich und dem Ton nachlauschte. Das war eine Weise, die er angenommen hatte, seit er die Lieder ungesungen welken ließ nach seinem Gelübde.

Zu ihren Füßen lag Herr Ortwin hingesunken und schlief unter Wates Mantel, den der über den Schlummernden gebreitet hatte. Nur den hellen Haarschopf sah man und die geschlossenen Augen, die so eifrig schliefen.

Wate sah zum Himmel auf, der schwarz war und ohne Sterne.

»Ein Morgen noch, und kein Normanne soll sagen dürfen, daß Hegelingens König ungerächt in seinem Grabe läge!«

Herr Frute sprach raunend, als werde geheimstes Denken laut: »Wir müssen einen Späher senden. Unmöglich berennen wir beide Burgen zugleich, ehe wir wissen, daß sie uns nicht in den Rücken fallen.«

Wate lachte: » Ein Gutes hat dieser Spähergang! Um den Rückweg braucht der Mann sich wenig zu sorgen. Denn das ist wohl gewiß, daß Ludwigs Mannen ihn fangen und hängen!«

Antwortete Frute: »Und doch müssen wir Späher schicken. Wir müssen erfahren, wo sie die Frauen halten. Es möchte sonst sein, daß sie sie verbergen, wo wir so leicht sie nicht wiederfinden.«

Der Fürst vom Mohrenland lachte mit weißen Zähnen. »Das Schwert ist der beste Schlüssel zu allen Türen. Und wir führen achtzigtausend solcher Schlüssel am Bunde!«

»Wen denn wolltest du nach Karadein senden?« fragte Horand ruhig.

»Mich!« lachte Herr Ortwin, warf geballt den Mantel Wate zu und sprang vom Boden auf, frisch und warm vom Schlaf wie Brot vom Backofen.

»Dir wäre wohl mein Tod lieb?« polterte Wate. »Hast du vergessen, daß mein Kopf als Pfand für deinen auf meinem Halse sitzt?«

»Bist du der eine Späher, Ortwin, so bin ich der andere«, sprach da Herr Herwig und hob sich zu seiner schlanken Höhe. Er redete ohne Hast, doch festen Willens. »Keiner kann Ortwin wehren, seine Schwester zu suchen, noch mir, das Weib, das mir angelobt war.«

Da erhob sich Rede und Gegenrede. Frute aber stimmte mit ihnen. Er riet nur, den Tag zu erwarten, ehe sie die Sendung anträten, denn es sei lange Ruderfahrt vor ihnen, so nahe auch die Burgen scheinen wollten. So saßen die Helden stumm um das Feuer, bis der bleiche Morgen kam. Und keine Nacht im Leben hatte Herwig je so lange gedünkt wie die, nach der er Gudrun wiedersehen sollte oder bittern Spähertod sterben.

 

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