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Sechstes Kapitel

Sechs Monate verstrichen abermals, Herr Alexandrin dachte manchmal an die hübsche Jenny in der Harfen-Straße, welche er der vom Boulevard Saint-Martin vorzog, aber er las die Theaterzettel nicht mehr so eifrig.

Eines Tages, nachdem der alte Schreibmeister einige Lektionen in der Mittel- und Cursivschrift gegeben hatte, dehnte er seinen Spaziergang längs der Boulevards aus und kam bis zum Blumenmarkte bei der Magdalenen-Kirche.

Er bewunderte diesen hübschen, geräumigen, vor Gefährten geschützten Promenade-Platz, aber er war erstaunt, so wenig Leute auf dem Markte zu sehen, wo es allerdings weniger Blumen gab, als auf dem Kai, der übrigens doch noch gut genug versehen war, um manchen Blumenkorb oder Blumentisch zu zieren.

Herr Alexandrin ging schon einige Zeit auf dem Magdalenen-Markte auf und ab, und suchte, nachdem er einige kostbare Stauden bewundert hatte, wie gewöhnlich ein Veilchenstöckchen.

Aber auf dem Magdalenen-Markte sind die einfachen Blumen rar, und der alte Lehrer hatte den gesuchten Gegenstand noch nicht gefunden, als eine elegante Kalesche in der Nähe des Marktes hielt, eine junge, prachtvoll gekleidete Dame ausstieg und unter den Blumen herumspazierte.

Die junge Dame, deren Züge ein italienischer Strohhut etwas verdeckte, blieb zuweilen vor den Händlerinnen stehen, schien jedoch nichts zu finden, was schön genug gewesen wäre, ihre Wahl zu fesseln.

Endlich zog eine herrliche Camelie die Blicke der eleganten Dame auf sich, und sie näherte sich, um sie zu kaufen; der alte Alexandrin stand eben dicht bei der Camelie, hinter welcher er ein einfaches Veilchenstöckchen bemerkt zu haben glaubte. Plötzlich dringt ihm eine wohlbekannte Stimme an's Ohr, er wendet sich um, sieht die elegante Dame an und stößt einen Schrei der Verwunderung aus: er hatte Jenny Desgrillon erkannt.

Auch das junge Frauenzimmer hat den kleinen Greis erkannt, sie lächelt ihm zu und reicht ihm die Hand mit den Worten:

»Es scheint, daß wir uns auf allen Blumenmärkten von Paris treffen müssen.« – Ja, man könnte glauben, dies stehe in dem Buche unseres Schicksals geschrieben. – »Ich wette, Sie wollten wieder Ihr Veilchenstöckchen kaufen,« sagte Jenny lächelnd.

– »Das war in der That meine Absicht; ich bin beständig ... aber Sie ... Sie kaufen heute eine herrliche Camelie; ich kann Ihnen die Blume Ihrer Wahl nicht mehr streitig machen ... wir handeln nicht mehr um denselben Gegenstand! Aber ich sehe, daß es Ihnen immer geht, wie dem Vogel im Hanfsamen.– »Mein lieber Herr Alexandrin, Sie sind sicher böse auf mich, und ich gestehe auch in der That, daß ich Unrecht gehabt habe. Wollen Sie Frieden mit mir schließen?« – Man grollt nie in die Länge mit einem hübschen Frauenzimmer; erlauben Sie mir, Ihre Camelie zu tragen. Sie wissen, das ist mein Amt.– »Ich willige ein unter der Bedingung, daß Sie in meinen Wagen sitzen und mit mir nach Hause fahren.«

Statt aller Antwort nimmt das kleine Männchen die Camelie, welche sich in einem schönen Topfe befand; die Last war etwas schwer für einen Mann in Herrn Alexandrins Alter, aber der Ehrgeiz verdoppelte seine Kräfte, und der kleine Greis setzte einen Ehrgeiz darein, abermals Fräulein Jenny's Träger zu sein.

Zum Glück für Herrn Alexandrin stand die Kalesche nur einige Schritte entfernt.

Man erreicht den Wagen, das junge Frauenzimmer steigt ein, der Greis scheint einen Augenblick unentschlossen; aber Jenny streckt ihm die Hand entgegen, ein Lakai nimmt ihm die Camelie ab und hilft ihm beim Einsteigen. Der arme Lehrer weiß gar nicht recht, wie ihm zu Muthe ist, als er in einer glänzenden Equipage davon rollt und neben einer Dame mit Federn und einem Caschemir sitzt.

Man langt bald vor einem schönen Hause der Straße d'Antin an; der Wagen fährt in den Hof. Diesmal trägt ein Lakai die Camelie, worüber Herr Alexandrin nicht im Mindesten ärgerlich ist, und er folgt der hübschen Dame, die ihn in ein Logis im ersten Stockwerk führt. Hier ist Alles kokett, elegant, prachtvoll.

Nachdem man einen luxuriös möblirten Salon durchschritten, kommt man in ein mit Seide und Caschemir ausgeschlagenes Boudoir, wo reiche Vorhänge die Thüren verhüllen und große Spiegel Alles vervielfältigen, was im Zimmer vorgeht.

Jenny gibt dem kleinen Greise einen Wink, sich neben sie auf einen Divan zu setzen, und Herr Alexandrin, der nicht müde wird, die prachtvolle Umgebung zu bewundern, setzt sich nur auf den Rand des Divans und murmelt:

»Ei, aber! ... es ist herrlich ... prunkvoll hier! bei welchem Theater sind Sie jetzt angestellt, mein theures Fräulein Jenny?«

– Vor allen Dingen bin ich nicht mehr Fräulein Jenny; man heißt mich jetzt Frau von Saint-Eugène, dieser Name ist passender. – »O! o! Frau von Saint-Eugène! das hat freilich einen bessern Klang.« – Dann bin ich nicht mehr auf dem Theater, ich bin keine Schauspielerin mehr: ich habe auf eine Laufbahn verzichtet, wo man tausenderlei Widerwärtigkeiten und Unannehmlichkeiten durchmachen muß, ehe man einigen Erfolg erlebt, den Einem Neid und Tadelsucht unaufhörlich streitig zu machen suchen. Sie erinnern sich, lieber Lehrer, jener ersten Aufführung eines Stückes, welches durchfiel und worin ich spielte? – »Ja, sehr gut; ich hatte meinen Platz beim Orchester neben Herrn Fanfan Benoît, einem achtbaren Spezereihändler, der mich mit Rosi ...« – Tags darauf, als Sie mich besuchten, wollten Sie mir nicht gerade in's Gesicht sagen, daß ich schlecht gespielt, aber Sie ließen mich merken, daß ich noch viel Studium nöthig hätte; und ich nahm das, statt die Richtigkeit Ihrer Bemerkung einzusehen und Ihren guten Rath anzuerkennen, übel auf; Sie hatten meine Eigenliebe verletzt und ich gab meinem Portier den Auftrag, mich, so oft Sie kämen, abwesend zu melden. – »Bei meinem elften Besuche kam dieser Gedanke auch mir.« – Verzeihen Sie mir, mein guter Herr Alexandrin; Schmeicheleien hatten mir den Kopf verdreht, ich hielt mich für eine große Künstlerin und hatte gar kein Talent; ich wollte auf's Neue spielen und wurde abermals ausgepfiffen: o! nun war ich in Verzweiflung!

»Ich weiß nicht, wie weit mich die Verzweiflung getrieben hätte ... aber zu derselben Zeit erschien ein Herr bei mir: es war ein sehr reicher, sehr angesehener Mann; er hatte mich spielen sehen und mich hübsch gefunden; so daß er sein Herz und sein Vermögen, eine Equipage und Caschemirs – unter der Bedingung, daß ich vom Theater abtrete – zu meinen Füßen legte.

»Meiner Treu, der Augenblick war zu günstig gewählt, als daß ich hätte daran denken können, ihn auszuschlagen; ich verabscheute das Theater, liebte aber die Caschemirs sehr.

»Ich nahm somit die Vorschläge jenes Herrn an und bewohne seither dieses Logis. Dienerschaft und Equipage stehen mir zu Gebote, und ich habe keinen Wunsch, der nicht augenblicklich befriedigt würde.«

Alexandrin, welcher dem Frauenzimmer mit einer sonderbaren Miene zugehört hatte, begnügte sich mit einem Kopfschütteln, indem er entgegnete:

»Aber es ist erstaunlich, wie Sie sich geändert haben, seit Sie so glücklich sind. Sie haben nicht mehr jene frische und gesunde Farbe, die auf ihrem hübschen Gesichtchen strahlte, als Sie noch im sechsten Stockwerk in der Harfen-Straße wohnten; Sie sind jetzt recht blaß, Ihr Gesicht hat sich in die Länge gezogen, Ihre Augen sind matt ... entschuldigen Sie, ich errege vielleicht abermals Ihren Unwillen gegen mich, aber ich kann Ihnen mein Staunen nicht verbergen.« – O! das schadet nichts, ich gehe jetzt Abends oft auf Bälle, durchwache die Nächte, und das ermüdet mich, ich muß es gestehen; allein was liegt daran, es ist weit vornehmer, blaß auszusehen, man findet mich auf diese Weise reizend.– »Und was macht Ihr Gemahl, der Herr von Saint-Eugène?« frug Alexandrin, einen besondern Nachdruck auf die ersten Worte legend; »werden Sie mich demselben nicht vorstellen?«

Jenny lächelte, während sie erwiderte:

»Wenn Herr von Saint-Eugène da ist, nehme ich Niemands Besuch an, aber er kommt nie vor vier Uhr; daher, mein lieber Herr Alexandrin, müssen Sie sich immer Morgens bei mir einfinden, Sie frühstücken dann mit mir; ich werde Ihnen die besten Sachen auftragen lassen, denn ich erinnere mich, daß Sie einer guten Tafel nicht feind sind!«

Der alte Alexandrin stand auf, nahm seinen alten Hut, den er auf den Boden gestellt hatte, machte der jungen Frau ein Compliment, und sagte mit ernster Miene zu ihr:

» Frau von Saint-Eugène, ich habe die Ehre, Ihnen einen guten Tag zu wünschen.« – Sie verlassen mich schon, mein lieber Lehrer?« sagte Jenny.

» Ja, Frau von Saint-Eugène,ich muß Schreibunterricht geben. Ach! ich hätte mich immer darauf beschränken und mich nie mit einem andern Unterrichte befassen sollen.« – Sie besuchen mich aber doch hoffentlich bald wieder; Sie treffen mich immer, wenn Sie vor vier Uhr kommen, ich verspreche es Ihnen. – »Allzugütig, Frau von Saint-Eugène, ich werde mich dessen erinnern. Lassen Sie sich nicht stören, Frau von Saint-Eugène, ich bitte Sie.«

Damit verließ der kleine Greis sehr rasch die glänzenden, von der schönen Jenny bewohnten Zimmer und sprach zu sich:

»O! jetzt gefällt mir's nicht mehr, das junge Mädchen geht auf einem tadelnswürdigen Pfade. Sie ist von dem Theater abgetreten, zu welchem sie, meiner Meinung nach, einen entschiedenen Beruf hatte; nunmehr scheint sich aber ihr Beruf Federnhüten und Caschemir-Shawls zugewendet zu haben ... Nein, ich kehre nicht mehr zu ihr zurück, ich werde sie nicht mehr besuchen, obgleich sie mir köstliche Frühstücke vorstellt; ich bin ein Lecker, das mag sein, das läugne ich nicht einmal; aber die Leckerhaftigkeit wird mich nie zu niedrigen Handlungen verleiten, und ich darf nun Fräulein Jenny, nachdem sie sich in eine Frau von Saint-Eugène verwandelt und einen Mann hat, den man nicht sehen darf und der erst um vier Uhr zu ihr kommt, nicht mehr besuchen.«

Der kleine Mann schritt durch den Hof und wollte Jenny's Haus verlassen, als ein Spezereihändler mit einem Korb voll Waaren in den Hof trat und an ihn anrannte.

»He! Spezereihändler, besser Acht gegeben!« schreit ihm Herr Alexandrin, den Kopf in die Höhe richtend, zu; aber in demselben Augenblick bleibt er stehen, ergreift den Handelsmann beim Arm und ruft aus:

»Ei, ich täusche mich nicht! Das ist Herr Fanfan Benoît.« – »Ja freilich,« entgegnet der junge Gewürzkrämer, »schau! Sie sind mir auch bekannt ... Sie sind der Schreiblehrer, der Autor, der Versmacher!« – Ach, mein lieber Freund, ich habe das Alles so ziemlich aufgegeben; mit den Jahren wird der Geist ruhiger. Wo gehen Sie denn aber hin, Herr Fanfan? – »Ich trage Waaren aus, die man bestellt hat.« – Tragen Sie dieselben in dieses Haus? – »Ja, mein Herr.« – Zu wem, wenn ich fragen darf? – »Zu ... nun ... warten Sie ... man hat mir ja den Namen angegeben ... ah! zu Frau von Saint-Eugène ... es muß eine vornehme Dame sein, denn sie hat vom schönsten und besten Zucker und Kaffee verlangt.« – »Sie gehen zu Frau von Saint-Eugène?« sagte Herr Alexandrin, den Spezereihändler immer zurückhaltend; »ach, mein Freund, ich muß Ihnen eine vertrauliche Mittheilung machen ... wissen Sie, wer die Dame ist, zu welcher Sie gehen?« – Nein, es ist mir aber auch ganz gleichgültig, da baar bezahlt wird. – »Das wird es nicht mehr sein, wenn Sie erfahren, daß die Dame, die im ersten Stocke in prachtvollen Gemächern wohnt, Caschemirs trägt, eine Equipage zu ihrer Verfügung hat und jetzt Camelien kauft, keine andere ist als Jenny Desgrillon, die ehemalige Coloristin in der Harfen-Straße, die Sie früher heirathen wollten.« – »Jenny!« ruft Fanfan Benoît, seinen Korb vom Kopfe nehmend und ihn auf einen Eckstein setzend, aus. »Jenny! ... Wie, sie ist eine große Dame geworden und hat in so kurzer Zeit ihr Glück gemacht! Ach! Herr Alexandrin, ich sehe ein, daß Sie Recht hatten, zu behaupten, sie habe das heilige Feuer, und es sei besser, Schauspielerin als Spezereihändlerin zu sein; ich hätte ihr nie eine Equipage und Lakaien halten können; sie ist Ihnen viel Dank schuldig! Um übrigens ein solches Einkommen zu haben, muß sie wenigstens bei der großen Oper angestellt sein.« – Nein, sie ist weder bei der großen, noch bei einer kleinen Oper angestellt!« entgegnet der kleine Greis, einen tiefen Seufzer ausstoßend und in den Korb hineinblickend, dessen Säcke aber alle fest zugebunden waren, »sie ist nicht einmal bei einem Seiltänzertheater ... sondern von der Bühne abgetreten.« – »Sie hat demnach sonst ihr Glück gemacht! denn das muß ein sehr reicher Mann sein, der sie geheirathet hat? ... Jedenfalls ist sie verheirathet, da sie jetzt Frau von Saint-Eugène heißt. Was treibt ihr Mann ... er ist wohl Pair von Frankreich?« – Ihr Mann! ... hm! Ich glaube nicht, daß sie einen Pair von Frankreich zum Manne hat, nicht einmal einen Hasenfellhändler ... sondern ich glaube, daß sie ... hm! mein lieber Freund, die Weiber! sehen Sie, Virgil hat gesagt:

Varium et mutabile semper femina!

und wenn man Catull's und Cato's Ansichten dazu fügt, so ergibt sich kein vortheilhaftes Resultat für das schöne Geschlecht daraus. – »Mein Herr,« erwiderte Fanfan Benoît, seinen Korb wieder auf den Kopf nehmend, »ich verstehe zwar kein Latein, aber ich merke, was Sie damit sagen wollen ... Ach! Mamsell Jenny, dahin mußte es mit Ihnen kommen ... deßhalb also wollten Sie meine Frau nicht werden! Doch, wenn sie nur glücklich ist, bin ich schon zufrieden, ich wünsche nur, daß ihr Glück von Bestand sein möge; aber ich verkaufe keinen Zucker und keinen Kaffee an sie! o nein! sie kann ihn holen lassen, wo sie will! Adieu, mein Herr.«

Nach diesen Worten entfernte sich der junge Spezereihändler mit großen Schritten, und der alte Alexandrin dachte, während er ihm nachsah: »Dieser Spezereihändler ist ein guter Mensch! ja, ein guter Mensch! an seiner Stelle hätte ich es auch so gemacht ... ich hatte auch meine Waaren wieder mitgenommen ... nur hätte er, da er seinen Kaffee nicht zu Frau von Saint-Eugène trug, mir einige Loth davon anbieten können ... Allein, gleichviel, Fanfan Benoît hat Herz im Leibe; man muß keine Frau verzuckern, die uns verschmäht hat.«

Und der alte Lehrer kehrte mit dem Vorsatz nach Hause zurück, nicht mehr in die Chaussée-d'Antin zu gehen und keine Blumen mehr auf dem Magdalenen-Markte zu suchen.


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